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Böhlk 2012 – Warum entstand die Stadt Bernburg-1

Date post: 17-Oct-2015
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  • Mitteilungen des Vereins fr Anhaltische Landeskunde 21 (2012)AUFSTZE

    Warum entstand die Stadt Bernburg?Die Rolle der askanischen Stadtgrndung an der Saale

    bei der Entstehung des spteren Landes Anhalt

    Von Olaf Bhlk (Bernburg)

    Der Grundriss der Stadt Bernburg besitzt einige auffllige Kennzeichen, wel-che Fragestellungen zur Entstehung dieses anhaltischen Ortes an der Saalegeradezu provozieren.

    Warum gab es im Stadtgebiet einschlielich Waldaus um 1500 die rechtstattliche Zahl von neun Kirchen und Kapellen, darunter allein vier Pfarr-kirchen? Warum entwickelten sich im Bernburger Saaletal gleich zwei hoch-mittelalterliche Grndungsstdte parallel? Welche Rolle spielte dabei der oftgenannte bergang ber die Saale?

    Auf die im Elbe-Saale-Gebiet seltene Besonderheit des Nebeneinanderszweier unabhngiger gotischer Planstdte in Bernburg wies schon der ver-diente schsische Stadtplanforscher Karlheinz Blaschke hin.1

    Auf Blaschkes Anregung zum Lesen" eines Stadtplanes als Quelle2 beru-hend, soll die Kirchenorganisation3 auch in dem vorliegenden Aufsatz alswichtiger Schlssel dienen, um sich dem interessanten und auergewhn-lichen Bernburger Stadtgrundriss auf der Suche nach Antworten auf dieoben genannten Fragen zu nhern. Bei der Formulierung eines neuen Ent-stehungsmodells fr die Stadt Bernburg mssen natrlich auch hypothe-tische Aussagen getroffen werden. Die Suche nach logischen Erklrungsmu-stern fr stadtgeschichtliche Fragestellungen ist als dynamischer Prozess derAnnherung an die historische Realitt aufzufassen. Getroffene Aussagenmssen dabei stndig anhand der sich wandelnden Faktenlage verifiziertwerden. In diesem Sinne ist der vorliegende Text als ein Diskussionbeitragzu verstehen.

    In den letzten Jahren ermglichten aufschlussreiche archologische Be-funde Einblicke in frhe Entwicklungsphasen der Saalestadt. Sie erlaubenRckschlsse darauf, welchen gravierenden Vernderungen der Naturraumzwischen Flussniederungen und Hochflchen im bergang vom Frh- zum

    d topographischerStadtgeschichtsforschung. In: Stadtgrundriss und Stadtentwicklung. Johanek (Hg) 2001 - Stadtgrund-riss und Stadtentwicklung, hrsg. von Peter Johanek. Kln, Weimar, Wien: Bhlau 2001. S. 73-82, S.81.

    2 Blaschke, Karlheinz: Wie liest man einen Stadtplan? In: Stadtgrundriss und Stadtentwicklung. Joha-nek (Hg) 2001 - Stadtgrundriss und Stadtentwicklung, hrsg. von Peter Johanek. Kln, Weimar, Wien:Bhlau 2001. S. 193-204.

    3 Blaschke, Karlheinz: Kirchenorganisation und Kirchenpatrozinien als Hilfsmittel der Stadtkernfor-schung. In: Stadtgrundriss und Stadtentwicklung. Johanek (Hg) 2001 - Stadtgrundriss und Stadtent-wicklung, hrsg. von Peter Johanek. Kln, Weimar, Wien: Bhlau 2001.

    1 Blaschke, Karlheinz: Altstadt - Neustadt - Vorstadt. Zur Typologie genetischer und topographischerStadtgeschichtsforschung. In: Stadtgrundriss und Stadtentwicklung. Johanek (Hg) 2001 - Stadtgrund-riss und Stadtentwiklng hrsg von Peter Johanek Kln Weimar Wien: Bhlau 20 S 7382 S

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  • Hochmittelalter unterworfen war und wo Befestigungen auf Herrschafts-zentren hinweisen, die Keimzellen der frhstdtischen Siedlungen bildeten.

    Letztendlich soll gezeigt werden, dass die durch Burgenbau und Stadtgrn-dung gesicherte Errichtung eines anhaltischen Saaleberganges aufs Engstemit der Herausbildung des sich im Entstehen befindlichen askanischen Kern-territoriums in Verbindung stand und vielleicht sogar diesen Prozess erstermglichte. Die landesgeschichtliche Bedeutung der spteren anhaltischenResidenzstadt an der Saale wird noch heute eindrucksvoll durch die symbo-lische Prsenz der Herrschaft Bernburg im sachsen-anhaltischen Landeswap-pen unterstrichen. Die immer wieder belegbar herausgehobene Stellung derBernburger Residenz in der askanischen Memorialkultur verdichtet sich ein-drucksvoll im sogenannten Wolfgangbau des Renaissanceschlosses, welchersich in seiner Formensprache auf den romanischen Bergfried der Burganlagebezieht und diesen neu interpretiert.4

    Naturrumliche Vernderungen vom Frh- zum Hochmittelalter

    Die naturrumlichen Gegebenheiten im Bernburger Saaletal werden durchdie Einmndung dreier Nebenflsse beeinflusst: der Wipper im Sden sowieder Fuhne und Bode im Norden.

    Das heutige Landschaftsbild ist gekennzeichnet von hochwassergefhrdetenFlussniederungen, die im Falle der Saale durch Auenwlder und teils ver-landete Altarme neben einem vitalen, die Wassermassen bndelnden unddurch Flussausbau begradigten Hauptstrom geprgt werden. Auerhalb die-ser Flussniederungen finden wir die intensiv landwirtschaftlich genutztenund fast vllig von natrlicher Vegetation befreiten fruchtbaren Hochflchenvor. Die Zentren der Siedlungen liegen heute meistens erhht und im si-cheren Abstand zu den Fliegewssern. Verkehrsbauwerke, Industrieanlagenund Versorgungseinrichtungen werden, als jngste Bestandteile der heutigenInfrastruktur, vornehmlich auf hochwassergeschtzten Arealen oberhalb derFlsse errichtet. Dabei spielte fr die Besiedlung der Hochflchen der Auf-bau technischer Einrichtungen zur Trink- und Brauchwasserversorgung dieentscheidende Rolle.5

    Flussbergnge erwiesen sich noch in jngster Vergangenheit bei Hochwasser-ereignissen als besonders gefhrdete Punkte. Dieser Sachverhalt wurde Ver-kehrsteilnehmern erst im Januar 2011 vor Augen gefhrt, als sie die 1741erbaute6 Neustdter Flutbrcke unterhalb des Stadtteils Waldau passieren4 Mller, Matthias: Ein Sinnbild fr die dynastische und politische Verantwortung des Frsten: Schloss

    Bernburg und die Zeichenhaftigkeit hfischer Architektur. In: Schloss Bernburg als Erinnerungsort -Funktionalitt und Symbolik im frhneuzeitlichen Schlossbau. Bhlk (Hg) 2012 - Schloss Bernburg alsErinnerungsort, hrsg. von Olaf Bhlk. Bernburg: Kulturstiftung Bernburg 2012. S. 49-75, S. 57-58.

    5 So war das Wachstum der Bernburger Bergstadt einst vor allem durch die Schwierigkeiten bei derWasserversorgung begrenzt. Vgl. Suhle, Hermann: Beitrge zur Geschichte der Bergstadt Bernburg.In: Mitteilungen des Vereins fr Anhaltische Geschichte und Altertumskunde 11 (1912). S. 641-668,S. 663. ^ '

    6 Peper, Hans: Geschichte der Stadt Bernburg. 1. Aufl. Bernburg: Gustav Kunze (Dornbluth Nachf)1938, S. 146.

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  • Stadtplan Bernburg im 15. Jahrhundert

    A Pfarrkirche St. Stephan WaldauB Martinskapelle im Gernrder KlosterhofC Neustdter NikolaikircheD ServitenklosterE Alstdter MarienkircheF Hospital .Zum Heiligen Geist" oder Neues

    Hospital"G Burgkapelle St. PankratiusH Bergstdter AegidienkircheI WolfgangskapelleJ Waldauer Sattelhof am StephansbergK Neustdter Gernrder Kloster-

    hof (btischer Hof")L 1. Neustdter SattelhofM 2. Neustdter SattelhofN 1. und 2. Altstdter Sattel-

    hof (genaue Lage unklar)0 Eichehof (Stadtburg?)P Freihof derer von KinsdorfQ Gerichtsvogtei, Sachsenburg"R Neustdter Brcke mit Waldauer Tor

    S Tor-, Brcke und Graben zwischen Alt- undNeustadt

    T Hirtentor spter Nienburger Tor"U Krumbholzpforte mit TorhausV Altstdter Brcke mit BrckentorW Neustdter RathausX Altstdter RathausY Bergstdter Rathaus

    Abb. 1: Rekonstruktion des Bernburger Stadtgrundrisses um 1500auf Basis der Straensituation um 1850

    Diese und alle weiteren Kartengrafiken in diesem Beitrag: Olaf Bhlk 2012

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  • mussten, um bei Hochwasser das Saaletal zu berqueren. Erst gro dimen-sionierte Brckenbauwerke fr die Autobahn A14 und die Bundesstrae 6nermglichen die komfortable und schnelle Flussberschreitung, unabhngigvom Wasserstand der Saale. Der damit verbundene technische Aufwandkennzeichnet die Bedeutung der Talquerungen fr unser Verkehrsnetz,welches sich teilweise an die hoch- und sptmittelalterlichen Trassenfh-rungen anlehnt.

    Projiziert man nun, wie es in der historischen Forschungsliteratur immerwieder geschah, die heute vorherrschende hochfichenorientierte" Strategiebei der Infrastrukturentwicklung auf die frhmittelalterliche Landschaft desSaaletals, wird man zwangslufig zu Fehlschlssen verleitet.

    Die sich im Hochmittelalter verstrkende und durch menschliches Handelnhervorgerufene Auffllung der Flussniederung mit Auelehm7 fhrte zu hn-lich dramatischen Ergebnissen, wie jene, die sich derzeit in den von Rodungbetroffenen Regenwaldgebieten Sdamerikas abzeichnen.8 KlimabedingteSchwankungen und wasserbauliche Manahmen verstrkten diesen Effektweiter.9 Die im Frhmittelalter als Siedlungs- und Verkehrsadern dienendenTler wurden als sicherer Lebensraum nachhaltig zerstrt.10 Als Folgen, derdurch Rodungen hervorgerufenen Erosion und der damit verbundenen Tal-aufhhung, verstrkten sich dort die Hochwasserspitzen und vernichtetenVerkehrsbauten ebenso wie flussnahe Siedlungen. Die oft in mehreren Me-tern Mchtigkeit eingeschlmmten Erdmassen wirkten sich nachhaltig aufden ursprnglich durch Inseln geprgten Charakter der Saaleniederung11 ausund begnstigten die durch den Flussausbau und die Nutzung der Auengefrderte Konzentration auf einen einzigen Hauptlauf, der bei Hochwassernun eine enorme Zerstrungskraft entwickeln konnte. Die bewusst an diesemgefhrdeten Standort errichteten Bernburger Talstdte waren einerseits denFolgen des ablaufenden naturrumlichen Wandels ausgesetzt, andererseitsprofitierten sie aber auch von diesem, ja verdankten ihm sogar urschlich ihreEntstehung.

    7 Prtge, Karl-Heinz u. Mathias Deutsch: Hochwasserereignisse und sie beeinflussende Faktoren - amBeispiel der Weser. In: Historische Perspektiven auf Wasserhaushalt und Wasssernutzung in Mitteleu-ropa. Kaiser, Merz (Hg) 2012 - Historische Perspektiven auf Wasserhaushalt, hrsg. von Knut Kaiseru. Bruno Merz. Mnster: Waxmann 2012. S. 119-131, S. 127ff.

    8 Heinemann, Ekkehard: Einflsse von Rodung und von Einengung der Fluauen auf Hochwasserspit-zen. In: Entwicklungslnderbezogene Forschung. Institut fr Tropentechnologie 1996 - Entwicklungs-lnderbezogene Forschung. Kln 1996. S. 85-91, S. 87.

    9 Bleue, Ralf: Die Nutzung und Vernderung der Binnengewsser Nordostdeutschlands in prhisto-rischer und historischer Zeit - ein berblick. In: Historische Perspektiven auf Wasserhaushalt undWasssernutzung in Mitteleuropa. Kaiser, Merz (Hg) 2012 - Historische Perspektiven auf Wasserhaus-halt, hrsg. von Knut Kaiser u. Bruno Merz. Mnster: Waxmann 2012. S. 29-72, S. 33.

    10 Heibig, Herbert: Die slawische Siedlung im sorbischen Gebiet. In: Siedlung und Verfassung der Slawen.Ludat (Hg) 1960 - Siedlung und Verfassung der Slawen, hrsg. von Herbert Ludat. Giessen: Schmitz1960. S. 27-64, S. 30.

    11 Zu den Entwicklungen im Saaletal grundlegend: Kalle, Friedrich: Beitrge zur historischen Land-schaftskunde des unteren Saaletals zwischen der Rothenburger Gebirgsbrcke und der NienburgerEnge. Kthen (Anhalt): Verl. d. Heimatmuseums 1926 (Schriftenreihe des Kthener Heimatmuse-ums 3).

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  • Das als Reaktion auf die Umweltvernderung nun im strkeren Ma alsbisher auf Hhenwege ausgerichtete hochmittelalterliche Verkehrssystem12unserer Region verlangte nach gesicherten Flussbergngen, die nun mitgroem Aufwand nach den jetzt zyklisch auftretenden Zerstrungen durchHochwasser, wieder und wieder neu errichtet und gewartet werden mussten.13Planmig angelegte Talstdte" und ihre Wirtschaftskraft spielten bei die-ser Aufgabe eine sicher nicht unwichtige Rolle.

    Frhmittelalter:Thringisch-slawische Nachbarschaft im Bernburger Raum

    Wenn man die im Chronicon Moissiacense und im Chronicon Anianensegenannte Ortsbezeichnung "uualadala" auf das Bernburger Waldau bezieht,trte der Bernburger Raum im Jahr 806 erstmals in das Licht der Geschich-te.

    Die gesamte Feldzugskampagne der Franken gegen die slawischen Stm-me stlich der Saale und Elbe hat an diesem Ort mit einem "conuentummagnum" (Chronicon Anianense), einer groen (Heeres)Versammlung be-gonnen, die Karl der Jngere hier abhielt, nachdem er ber Thringenherangezogen war.14

    Gut ausgerstete Kerntruppen, die ber groe Entfernungen zusammen-gefhrt wurden, bildeten den schlagkrftigsten Bestandteil des frnkischenHeeres. Ein zur Waldauer Heerschau zeitlich und rtlich in nahem Bezugstehender Gestellungs- und Mobilisierungsbefehl von Kaiser Karl an Fulrad,den Abt des Klosters Niederalteich bei Regensburg, erlaubt uns interessanteEinblicke in die Ausstattung jener Krieger.16 Neben verschiedensten Waffenfhrten die berittenen Kmpfer dieser Einheiten auf Karren auch Werkzeugemit, um jederzeit befestigte Standlager errichten zu knnen. Selbst Zimmer-mannsutensilien fr die Herstellung des Inventars von Behausungen wurdenbereitgehalten. Bei der im Verlauf des Waldauer Feldzuges erfolgten Errich-tung eines Kastells in Halle und gegenber Magdeburg kam vermutlich einehnliche Ausrstung zum Einsatz.

    Die vom Kaiser gerufenen Truppen des Abtes sollten sich infra Saxoniamin Orientali parie, super fluvium Rota (Bota) in loco qui dicitur Starasfurt11612 Winfried Schich weist auf den neuen Verkehrsverhltnissen angepasste technische Vernderungen, wie

    Beispielsweise die Verbesserungen bei dem sich in dieser Zeit weit verbreitenden vierrdrigen Wagenim 12./13. Jh. hin: Schich, Winfried: Die Havel als Wasserstrae im Mittelalter. Brcken DmmeMhlen Flutrinnen ; Antrittsvorlesung 24. November 1992. Berlin 1995 (ffentliche Vorlesungen 22),S. 9.

    13 Seit dem 12. Jh. war wieder der Bau von steinernen Bogenbrcken mglich. Vgl. ebd. Aber noch beimBrckenbau nach 1436 stand in Bernburg auch die Errichtung einer hlzernen Saalebrcke zur Disposi-tion: Kindscher, Franz: Bernburger Saalbrcke von 1436. In: Mitteilungen des Vereins fr AnhaltischeGeschichte und Altertumskunde (1893) H. 6. S. 313-316, S. 313.

    14 Kettemann, Walter: Subsidia Anianensia. Duisburg 2000, S. Beilage 2, S. 109.15 Boretius, Alfred: Capitvlaria regvm Francorvm. Hannoverae: Hahn 1883 (Monumenta Germaniae

    Historica, Legum sectio 2, Capitularia Regum Francorum 1), S. 168.16 ebd.

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  • einfinden. hnliche Einheiten gehrten vielleicht zu jenen Scharen", welcheKarl der Jngere von Waldau aus ber die Elbe sandte.17

    Die frnkischen Kerntruppen wurden sicher auch durch Slawen und Sach-sen untersttzt,18 die in den Gesamtverband integriert werden mussten. Diegesamten Vorbereitungen drften einen gewissen Zeitraum in Anspruch ge-nommen haben, whrend das Heer in Waldau lagerte.

    Um diesen sensiblen Abschnitt der Operation nicht durch Prventivschlgedes Gegners zu gefhrden, muss davon ausgegangen werden, dass auch inWaldau eine zumindest temporre Befestigungsanlage errichtet wurde.

    Ob diese Anlage mit dem vermuteten Knigshof im Bereich des GernrderKlostergutes auf dem Waldauer Martinsberg identisch ist, oder vielleicht eineHhenbefestigung auf einer benachbarten Bergkuppe genutzt wurde, mussnoch nher untersucht werden. Ein bisher in das Neolithikum datiertes19Grabenwerk auf dem Langen Berg" mit der Flurbezeichnung Tanzplan"bte sich als mglicher Standort an.20 Die Saale als Transportweg spieltesicher auch, wie ein Jahr zuvor die Elbe,21 bei der Vorbereitung des von Wal-dau ausgehenden Vorstoes eine gewisse Rolle.

    Die Entstehung eines im Jahr 849 erstmals bezeugten Limes Sorabicu^22kann zwischen unterer Saale und Fuhne vermutlich schon in die Zeit der fr-hesten slawischen Landnahme unter den thringischen Herzgen zurckver-folgt werden. Die Saale bildete aber wohl nur in der abstrakten Vorstellungeine an rmischen Vorbildern orientierte Grenzlinie.23 Praktisch stellte derFluss eher einen gesicherten Versorgungskanal dar, dem stlich des Reichsge-bietes ein Siedlungssaum mit zugewanderter slawischer Bevlkerung vorgela-gert war. Dieser wiederum wurde vom westlich der Saale gelegenen Hinter-land mit seinem Burgbezirkssystem kontrolliert.24 Kennzeichnend fr diesePufferzone ist die grenzbegleitende Ausdehnung des slawischen Siedlungs-raumes zwischen dem unteren Saale- und Fuhnetal.25 Sie entsprach nichtder weiter stlich anzutreffenden Gliederung in slawische Siedlungskammern,die von dlandsumen abgegrenzt und mit entsprechenden Landesburgen17 Bachrach, Bernard S.: Early Carolingian warfare. Prelude to empire. Philadelphia, Pa: Univ. of Penn-

    sylvania Press 2001 (The Middle Ages series), S. 80 ff.18 Henning, Joachim: Das Kastell contra Magadaburg von 806 AD und die karolingischen Kastelle an der

    Elbe-Saale-Grenze. Ausgrabungen auf dem Weinberg von Hohenwarthc. In: Archologie in Sachsen-Anhalt (2011). S. 133-144, S. 142-143.

    19 Falke, Karsten u. Andreas Neubert: Waldau - Zur frhen Siedlungsgeschichtc des ltesten Ortes inAnhalt. In: Mitteilungen des Vereins fr Anhaltische Landeskunde 17 (2008). S. 153-180, S. 159.

    20 Bhlk, Olaf: Der Waldauer Knigshof im Spiegel neuer Erkenntnisse zu frnkischen Verteidigungsan-lagen. http://www.siehdort.de/franken-waldau.

    21 Kettemann, Walter: Subsidia, S. Beilage 2, S. 108.22 Zum Limes Sorabicus" grundstzlich: Brachmann, Hansjrgen: Der Limes Sorabicus - Geschichte und

    Wirkung. In: Zeitschr. f. Archologie (1991). S. 177-207.23 Hardt, Matthias: Contra Magadaburg ... contra Sclavorum incursiones. In: ArteFact. Grunwald, Rieck-

    hoff (Hg) 2009 - ArteFact, hrsg. von Susanne Grunwald u. Sabine Rieckhoff. Bonn: Habelt 2009.S. 261-269, S. 262.

    24 a.a.O., Anm. 22. Brachmann, Hansjrgen: Limes, S. 179.25 Siehe Karte bei: Schultheis, Johannes: Zur Verbreitung slawischer Ortsnamentypen im Saale-Mulde-

    Muendungsgebiet. In: Slawischer onomastischer Atlas. Slawischer onomastischer Atlas 1988. Brno1988. S. 91-108, S. 105.

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  • ausgestattet waren.26 Erst in jngster Zeit vorgenommene Datierungen27 imBereich einer im Zuge der Bauarbeiten zum Schulprojekt Campus Technicusaufgefundenen umfangreichen Befestigungsanlage auf dem Bernburger Burg-berg erbrachten keinen Beleg fr deren Errichtung bereits in frhslawischerZeit sondern deuten eher in das 09. bis 11. Jahrhundert.

    Auf frhe sorbische Ansiedlung wiesen hingegen Funde slawischer Keramik,welche dem Prager Typ hnelten28 und altslawische Ortsnamen in der Bern-burger Umgebung hin.29 Im direkten Umfeld des mutmalichen WaldauerKnigshofes wurden von Hansjrgen Brachmann im Bereich einer Siedlungam Reberg aufgefundene Bruchstcke von Gefen beschrieben, die derRussener Phase der Leipziger Gruppe nahestehen".30

    Eine slawische Burgenkette" an der Saale erscheint, vor dem Hintergrundeiner im unteren Saaletal anzunehmenden sorbisch-thringischen Kontakt-zone unter Dominanz der frnkisch-thringischen Seite,31 unwahrscheinlich.Mit Burgen ausgestattete slawische Siedlungskammern entstanden wohlerst im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungs- und Differenzierungsprozesse,die nach der Landnahme zu einem Zerfall des ehemals sorbischen Gro-verbandes und der Herausbildung kleinrumiger hierarchischer Herrschafts-formen fhrten.32 stlich jener thringisch-slawischen Siedlungszone, derenostsaalischer Teil im Jahr 961 als Nudzici bezeichnet wurde, nahmen daherdie sorbischen Landschaften oft die Namen Ihrer als Zentralorte aufzufas-senden Herrschaftszentren an.33 Die vermutlich gesteuerten slawischen Sied-lungsvorgnge im unteren Saaletal scheinen zu einem Zeitpunkt erfolgt zusein, an dem diese Differenzierung noch nicht stattgefunden hat oder durchwestsaalische Einflsse verhindert wurde. Die 961 in Nudzici erwhntenBurgen34 drften daher kaum die Funktion slawischer Landesburgen beses-sen haben.

    26 Schlesinger, Walter: Die Verfassung der Sorben. In: Siedlung und Verfassung der Slawen. Ludat (Hg)1960 Siedlung und Verfassung der Slawen, hrsg. von Herbert Ludat. Giessen: Schmitz 1960. S.75-102, S. 82.

    27 Curt-Engelhorn-Zentrum Archometrie gGmbH, Mannheim, Analyse vom 31.05.2012: Tierknochenaus Grabenverfllung, Campus Technicus Standort I, Leipziger Strae, Labornr. 14947 C14 Alter 1138+/- 21, Cal 1 sigma: cal AD 887-963, Cal 2 sigma: cal AD 784-979; Knochen aus Grabenverfllung,Campus Technicus Standort II, Nhe Aegidienkirche, Labornr. 14849 C14 Alter 1156 +/- 21, Cal 1sigma: cal AD 784-947, Cal 2 sigma: cal AD 780-967; Holzkohle aus Brandbefund, Campus Techni-cus Standort II, Nhe Aegidienkirche, Labornr. 14850, C14 Alter 1043 +/- 22, Cal 1 sigma: cal AD990-1017, Cal 2 sigma: cal AD 904-1024; Darstellung der Befunde siehe Beitrag Ulf Petzschmann imgleichen Band.

    28 Brachmann, Hansjrgen: Slawische Stmme an Elbe und Saale. Zu ihrer Geschichte u. Kultur im 6.-10Jh., auf Grund archolog. Quellen. Berlin: Akademie-Verl 1978 (Schriften zur Ur- und Frhgeschichte31), S. 114.

    29 Vgl.: a.a.O., Anm. 25. Schultheis, Johannes: Zur.30 a.a.O., Anm. 28. Brachmann, Hansjrgen: Slawische, S. 114.31 Klble Mathias: Ethnogenese und Herzogtum Thringen im Frankenreich (6.-9. Jahrhundert). In: Die

    Frhzeit der Thringer. Castritius (Hg) 2009 - Die Frhzeit der Thringer, hrsg. von Helmut Castri-tius. Berlin: de Gruyter 2009, S. 353.

    32 a.a.O., Anm. 26. Schlesinger, Walter: Verfassung, S. 77.33 ebd.34 Die Urkunden Konrad I., Heinrich I. und Otto I (DO I), hrsg. von Theodor von Sickel, I, Hannover

    1879, Nr. 231.

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  • Frhe Kirchenorganisation im Bernburger Raum

    Erste Hinweise auf Bestrebungen zur Christianisierung der heidnischen Be-vlkerung in der westsaalischen Region bei Bernburg finden sich im Zu-sammenhang mit dem bekannten Klbicker Tanzwunder, welches von ErnstErich Metzner in das Jahr 1018 datiert wird.35 Metzner gelingt die Rekon-struktion von Fragmenten vorchristlich-germanischer Kulturelemente auf derBasis von historischen Berichten ber das Wunderereignis. Er liefert damiteinen wichtigen Hinweis auf germanische Siedlungskontinuitt an der Wip-permndung. Das Magnus-Patrozinium der Klbicker Klosterkirche belegtnach Metzner die Existenz eines Lokalheiligen, der als Missionar im frhen8. Jahrhundert sein Martyrium erlitt und dort bestattet wurde.36

    Auf dem Gelnde des mutmalichen Gernrder Knigshofes in Waldaubefindet sich die Pfarrkirche St. Stephan und St. Veit.37 Ihr ehemals be-stehendes Doppel-Patrozinium verweist einerseits auf die Entstehungszeitdes Bistums Halberstadt38 und andererseits auf das dem ostfrnkischen undschsischen Knigshaus nahestehende Kloster Corvey.39 Die Waldauer Pfarr-kirche wird als Sitz eines Archipresbyters erwhnt,40 diente der Versorgungeines Gernrder Kanonikers41 und leistete die hchsten Prokurationsabgabenim Halberstdter Bann Kakelingen.42 Zahlreiche Spolien verweisen auf Vor-gnger des heutigen, aus der zweiten Hlfte des 12. Jahrhunderts stammen-den romanischen Kirchenbaus.43

    Im Zentrum des Gernrder Hofes in Waldau gab es eine noch im frhen16. Jh. bezeugte Martinskapelle,44 deren Patrozinium ebenfalls auf die engeNhe zum ostfrnkischen bzw. schsischen Knigshaus deutet. Ihr kam ver-mutlich eine einer Pfalzkapelle hnliche Funktion innerhalb des ehemaligen

    35 Metzner, Ernst Erich: Zur frhesten Geschichte der europischen Balladendichtung Der Tanz in Kl-bigk. Legendarische Nachrichten gesellschaftlicher Hintergrund historische Voraussetzungen. Zugl.:Frankfurt a. M., Univ., Diss., 1969. Frankfurt am Main: Athenum-Verl. 1972 (Frankfurter Beitrgezur Germanistik), S. 163ff.

    36 Bhlk, Olaf: Auf den Spuren der Gotik. Die Stadt Bernburg im Mittelalter ; Begleitband zum Kol-loquium Stadtgeschichte im Spannungsfeld - Bernburgs Weg zur frhneuzeitlichen Residenzstadt derFrsten von Anhalt. Bernburg (Saale) 2011 (Stadtgeschichte im Spannungsfeld : Bernburgs Weg zurfrhneuzeitlichen Residenzstadt der Frsten von Anhalt / Frderer der Kulturstiftung e.V. ; Be-gleitbd.), S. 57.

    37 Strombeck, Hilmar von: Zur Archidiakonat-Eintheilung des vormaligen Bisthums Halberstadt. In:Zeitschrift des Historischen Vereins fr Niedersachsen (1863). S. 1-144, S. 75.

    38 Ptzold, Stefan: Die Anfnge des Christentums an der mittleren Elbe: von der Ankunft der erstenGlaubensboten bis zur Grndung des Erzbistums Magdeburg im Jahr 968. In: Concilium medii aevi.Zeitschrift fr Geschichte, Kunst und Kultur des Mittelalters und der Frhen Neuzeit (2000) H. 3.S. 135-153, S. 144f.

    39 Wagner, Heinrich: Zur Topographie von Knigsgut und Pfalz Salz. In: Pfalzen - Reichsgut - Knigs-hfe. Fenske (Hg) 1996 - Pfalzen, hrsg. von Lutz Fenske. Gttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996.S. 149-183, S. 180.

    40 Codex diplomaticus Anhaltinus (CDA II), hrsg. von Otto von Heinemann, Dessau 1875, Nr. 735.41 Codex diplomaticus Anhaltinus (CDA IV), hrsg. von Otto von Heinemann, Dessau 1879, Nr. 19.42 a.a.O., Anm. 37. Strombeck, Hilmar von: Zur, S. 75.43 Bhlk, Olaf: St. Stephan in Waldau - eine Kirche mit langer Geschichte, http://www.boehlk.eu/mit-

    telalterorte/st-stephan-bernburg-waldau/ (19.8.2012).44 Specht, Reinhold: Ortsgeschichtliches aus der Kirchenvisitation 1534 in Anhalt-Bernburg. In: Bernbur-

    ger Kalender (1938). S. 70-75, S. 71.

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  • Knigshofes zu, whrend die benachbarte Stephanskirche als Sprengelkirchedes zugehrigen Fiskalbezirks diente.45 Eine hnliche Konstellation bestandsicher auch beim nur wenige Kilometer entfernten Knigshof Aderstedt. Dortfand sich ebenfalls eine Martinskapelle46 neben einer Pfarrkirche, die ur-sprnglich das frnkische Patrozinium St. Hippolyt trug.47

    Ostlich der Saale, im Bereich des bereits erwhnten slawischen Grenz-saumes zwischen dem unteren Saale- und Fuhnetal, deutet das vermehrteAuftreten von Pfarrkirchen mit einem Peters-Patrozinium auf die frhesteKirchenorganisation auf sorbischem Gebiet hin. Vermutlich entstanden dieentsprechenden Urpfarreien, im Zuge der strkeren Integration dieses Ge-bietes, nach dem Sieg ber die Siusler im Jahr 880.48

    Der stliche Bernburger Raum zwischen Saale und Fuhne wurde vom Pfarr-bezirk der Zernitzer Peterskirche eingenommen.49 Nachdem die gegenberAderstedt auf dem stlichen Saaleufer bei dieser Kirche liegende Siedlungwst wurde, verlegte man das Gotteshaus in den Ort Grna, dessen Dorfkir-che St. Petri das alte Patrozinium noch heute trgt.50 Die Fuhne bildete beiBernburg nicht nur die Grenze der Zernitzer Urpfarrei, der Landeschaft Nud-zici und - bis in das 15. Jahrhundert - des Pltzkauer Gerichtsbezirks ,51 son-dern sie diente auch als Grenze innerhalb der Kirchenorganisation des Erz-bistums Magdeburg, indem sie den Bann Kthen von der Sedes Brachstedtdes Archidiakonates Halle52 schied.

    Frhmittelalterlicher Landesausbau

    Die beiden Knigshfe in Aderstedt und Waldau drften auch beim frhenLandesausbau im Bernburger Gebiet eine entscheidende Rolle gespielt haben.Vergleichende Untersuchungen zeigten, dass Knigshfe als Verwaltungszen-tren umfangreicher Fiskalgter dienten und aus mehrgliedrigen, arbeitsteilig

    45 Flach, Dietmar: Fiskalkapelle, Pfalzkapelle und Pfarrkirche. Varianten eigenkirchlicher Entwicklungendes Frh- und Hochmittelalters in den rheinischen Kastellorten Andernach, Boppard und Koblenz.In: Pfalzen - Reichsgut - Knigshfe. Fenske (Hg) 1996 Pfalzen, hrsg. von Lutz Fenske. Gttingen:Vandenhoeck & Ruprecht 1996. S. 13-52, S. 14.

    46 Vgl. Register in: Jacobs, Eduard (Hrsg): Urkundenbuch des in der Grafschaft Wernigerode belegenenKlosters Ilsenburg. Halle: Buchh. d. Waisenh. 1875 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und an-grenzender Gebiete 6), S. 548.

    47 ebd., S. 410.48 Graf, Gerhard: Peterskirchen in Sachsen. Ein patrozinienkundlicher Beitrag zum Land zwischen Saale

    und Neie bis an den Ausgang des Hochmittelalters. Univ., Habil.-Sehr.Greifswald, 1998. Frankfurtam Main: Lang 1999 (Europische HochschulschriftenReihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften834), S. 48.

    49 Zur Zernitzer Peterskirche Stieler, Franz: Die beiden Zernitz. In: Serimunt: Mitteilungen aus Ver-gangenheit und Gegenwart der Heimat ; Blaetter des Vereins Heimatmuseum fuer Stadt und KreisKoethen (Anhalt), e.V. (1929) 21-23.

    50 Stieler, Franz: Wann tritt Bernburg in das Licht der Geschichte? Bernburg: Rat der Stadt 1961 (Bei-trge zur Geschichte von Stadt, Burg und Land Bernburg Teil 1), S. 57.

    51 Lindner, Heinrich: Geschichte und Beschreibung des Landes Anhalt. Dessau: Ackermann 1833, S.421.

    52 Bnhoff, Leo: Der Sden der Magdeburger Erzdizese und seine kirchliche Verfassung. In: Zeitschriftdes Vereins fuer Kirchengeschichte der Provinz Sachsen (1914) H. 11. S. 123-192, S. 124.

    117

  • differenzierten Siedlungen bestanden.53 Mit dem Machtantritt der Liudolfin-ger intensivierte sich der Landesausbau im Bereich des nrdlichen Harzvor-landes und der stlich der Saale gelegenen Gebiete. Im Bernburger Raumwird dieser Prozess am ehesten im Bereich der Fuhnemndung greifbar.

    Markgraf Gero erhielt dort im Jahr 951 von Otto I. die villa Drogubulest-horp" (den heutigen Ort Drbel) gemeinsam mit allen weiteren Siedlungenvon drei marchas" in der regio Serimunt" geschenkt.54 Wenige Monatenach Geros Tod bereignete Otto im November 965 dem Mitbegrnder desKlosters Nienburg und Neffen Geros, Graf Thietmar,55 ein knigliches Gut(praedium), welches hchstwahrscheinlich ebenfalls in der eben erwhntenSiedlung lag, die jetzt als villa Drogobuli" bezeichnet wurde.56

    Schon die oben genannten, auf kniglichem Grund errichteten Peters-kirchen weisen auf Reichsinteressen im Raum stlich der Saale hin.57 Ein Teildieses Gebietes nimmt nach Gertraud Eva Schrge geradezu eine Sonderstel-lung ein: [...] da sich Schenkungen an Privatpersonen noch bis zum Endedes 10. Jahrhunderts ausschlielich auf das Gebiet zwischen Saale, Fuhneund Mulde beschrnken und darber hinaus hier ausschlielich Mitglieder derkniglichen Familie in Erscheinung treten [,..]".58

    An der Fuhnemndung wird Siedlungsttigkeit durch das Vorhandenseinvon Umformungen slawischer Ortsnamen angezeigt, wie sie beispielsweisebeim oben genannten Drogubulesthorp" oder bei der im Jahr 945 als interSclavos'69 liegend bezeichneten Siedlung Zachliandorp" (Zechlitz), auftra-ten.60 Der Landesausbau fhrte zu einer groen Dynamik der Besitzverhlt-nisse, die auch nach der teilweisen Integration des Gebietes in den BurgwardGrimschleben anhielt.61

    Mit der vermutlich schon als Teil der Fundationsmasse im Jahr 961 er-folgten bertragung des Waldauer Knigshofes und des geronischen Besitzesan der Fuhnemndung an das Stift Gernrode, tritt der Bernburger Raum ineine neue Phase des frhmittelalterlichen Landesausbaus ein.

    gen/ Westsachsen. Sachenbacher (Hg) 2005 Kirche und geisticher. Langenweissbach: Beier & Beran 2005. S. 139-151, S. 142.

    54 Schrge, Gertraud Eva: Zur Siedlungspolitik der Ottonen . Untersuchungen zur Integration der Ge-biete stlich der Saale im 10. Jahrhundert. In: Bltter fr deutsche Landesgeschichte 135 (1999).S. 189-268, S. 205 206.

    55 ebd., S. 213.56 DO I, Nr. 311.57 a.a.O., Anm. 48. Graf, Gerhard: Peterskirchen, S. 49.58 a.a.O., Anm. 54. Schrge, Gertraud Eva: Zur, S. 192.59 DO I, Nr. 69.60 Bischoff, Karl: Sprache und Geschichte an der mittleren Elbe und der unteren Saale. Kln: Bhlau

    1967 (Mitteldeutsche Forschungen 52), S. 121-122.61 Billig, Gerhard: Die Burgwardorganisation im oberschsisch-meinischen Raum. Archologisch-archi-

    1986Raun_ _Dresden), S. 36.

    118

  • Besonders nach der Verlegung des Klosters Nienburg an die Saale und sei-ner in diesem Zusammenhang im Jahr 97862 erfolgten Ausstattung mit demoben genannten Burgward Grimschleben kommt es zur direkten Konkurrenzzwischen mchtigen geistlichen Institutionen des Reiches beim frhen Lan-desausbau im Bernburger Raum.

    Ein sich, gem der von Paul Hfer geuerten These,63 mutmalich aufdem Bernburger Schlossberg befindlicher Burgbezirk Brandanburg" tritt imZusammenhang mit den oben genannten Siedlungsaktivitten nicht in Er-scheinung. Da aber die jngsten archologischen Untersuchungen fr dasin den Jahren 2008-2011 aufgefundene groflchige Grabenwerk eine frh-mittelalterliche Zeitstellung ermglichen,64 ist mit dem Vorhandensein ei-ner solchen, der Burg Grimschleben hnelnden Anlage, auf dem BernburgerSchlossberg durchaus zu rechnen.

    Wer diese civitas" besitzrechtlich verwaltete, ist bisher nicht zu klren.Sie gehrte aber offensichtlich nicht zum Einflussbereich jener geistlichenInstitutionen, deren Landbesitz die zu vermutende Burgsiedlung eng ein-schloss65 und sie so bis in das frhe 12. Jahrhundert zu einer scheinbar frden Landesausbau privater Grundherren zunchst recht unattraktiven Be-sitzinsel werden lie. Besonders fr das Erzbistum Magdeburg stellte aberjene Besitzinsel in der folgenden Zeit ein ernst zu nehmendes Hindernis beiden Bestrebungen dar, seine Magdeburger und Hallenser Herrschaftsgebieteterritorial zu verbinden.66

    Der im Jahr 1563 als Einnahme des frstlichen Amtes Bernburg von denBewohnern ufm Berge"aufgefhrte Honigzins67 und das Vorhandensein einerim Hochmittelalter unterhalb der Burg angelegten Kiezsiedlung68 knntenauf einen slawischen Bevlkerungsanteil der vermuteten frhmittelalterlichencivitas" hinweisen.

    Frhstdtische Situation in Bernburg

    Um 1049 wird Waldau erstmals in einer ppstlichen Besttigungsurkundeals Besitz des Klosters Gernrode erwhnt.63 Auch der Knigshof Aderstedt62 ebd., S. 34.63 Hfer, Paul: Die Frankenherrschaft in den Harzlandschaften. In: Zeitschrift des Harz-Vereins fr Ge-

    schichte und Altertumskunde 40 (1907). S. 115-179.64 a.a.O. Anm. 2765 So war der Bernburger Burgbezirk unter Anderem von Eigentum des Erzbistums Magdeburg, Besitz

    des Klosters Ilsenburg, des zum Kloster Nienburg gehrigen Burgwards Grimschleben (Rekonstrukt-ion siehe a.a.O., Anm. 61. Billig, Gerhard: Burgwardorganisation, S. 34 ff.), des Stifts Gernrode, desGoslarer Stifts Simon und Judas und des Merseburger Domkapitels umgeben, eine bersicht bieteta.a.O., Anm. 50. Stieler, Franz: Wann, S. 36 ff.

    66 Immerhin verhinderten die Bernburger Eigentumsverhltnisse die Okkupation des Bernburger Burg-berges durch das Erzbistum Magdeburg. Lutz Partenheimer vermutet als Angreifer im Jahr 1138Erzbischof Konrad I. von Querfurt, siehe Partenheimer, Lutz: Albrecht der Br. Grnder der MarkBrandenburg und des Frstentums Anhalt. Kln: Bhlau 2001, S. 73.

    67 Specht, Reinhold: Die anhaltischen Land- und Amtsregister des 16. Jahrhunderts. Magdeburg: Selbst-verlag der Historischen Kommission 1938 (2), S. 12.

    68 a.a.O., Anm. 36. Bhlk, Olaf: Auf, S. 77 ff.69 Codex diplomaticus Anhaltinus (CDA I), hrsg. von Otto von Heinemann, Dessau 1867, Nr. 125.

    119

  • kam im Jahr 1063 durch knigliche Schenkung an das Bistum Halberstadt70und gelangte 1086 in den Besitz des Klosters Ilsenburg.71 Eine pfalzhnlicheFunktion der beiden ehemalige Knigshfe, als mglicher Etappenort auf derim Frhmittelalter das Saaletal durchziehenden Straenverbindung zwischenMagdeburg und Halle,72 nahm inzwischen wohl das Reichskloster Nienburgwahr.73

    Fr Aderstedt und Waldau knnen bereits Siedlungsbereiche mit einerKonzentration handwerklicher Produktion vermutet werden. Am Waldau-er Reberg wurden bei einer Grabung im Jahr 1999 ein Grubenhaus mitFeuerstelle und eine mutmaliche Brennofenanlage aufgefunden. Die hoheBefunddichte in dem untersuchten Siedlungsabschnitt lsst auf eine intensiveNutzung des Areals auf dem westlichen Saaleufer bis in das Hochmittelalterhinein schlieen. stlich des Grubenhausbefundes wurde ein mehrphasigesGrabensystem nachgewiesen.74

    Der im unteren Fuhnetal und im Bereich des Schlossberges anstehendeBernburger Sandstein"75 fand bereits bei der Errichtung des ottonischenMagdeburger Domes Verwendung.76 Fr den Transport kam der Wasserwegber die Fuhne und Saale zur Elbe infrage.77 Angela Ehling und Jrg Bowitzstellten in ihrer Untersuchung zur Materialherkunft Mrkischer Kunstwerkefest, dass der Bernburger Sandstein [...] vom 10./ll. Jahrhundert bis zumEnde des 14- Jahrhunderts der dominierende Bau- und Bildhauerstein imNorden Sachsen-Anhalts und Brandenburgs" war.78 Die Berufsgruppe derSteinmetze verfgte im Hochmittelalter vermutlich ber eine einflussreichePosition in der Bernburger Brgerschaft. So wird unter den vier consules"in der Zeugenreihe der ersten Bernburger Stadtrechtsurkunde von 127879 einCunrado lapicida" erwhnt.

    70 CDA I, Nr. 140.71 CDA I, Nr. 154.72 Schwarze-Neuss, Elisabeth: Besitzgeschichte und Territorialpolitik des Magdeburger Moritzklosters

    und der Erzbischfe von Magdeburg (937-1024) mit besonderer Bercksichtigung der Burgenorganisa-tion. In: Sachsen und Anhalt 22 (1999/2000) (1999). S. 81-134, S. 109.

    73 So sammelte Otto III. im Jahr 993 sein Heer fr den Zug nach der Brandenburg vermutlich bei Nien-burg, siehe Assing, Helmut: Die Rtsel der ersten Potsdamer Urkunde. In: Jahrbuch fr brandenbur-gische Landesgeschichte (1993) H. 44. S. 11-33, S. 19.

    74 Pross, Abdreas: Grabung Reberg Sommer 1999. Grabungsbericht Blatt 232 D2001/874/1-3. Bern-burg (Saale) 1999.

    75 Der Begriff Bernburger Sandstein" bezeichnet nach Angela Ehling im Sinne eines Handels- bzw.Herkunftsnamens nur den in Bernburg und seiner Umgebung gewonnenen Sandstein und nicht dieGesteine der Bernburg-Formation", einer geologischen Altersbezeichnung fr Schichten aus dem Un-teren Buntsandstein.

    76 Persnliche Mitteilung von Frau Dr. Angela Ehling (Bundesanstalt fr Geowissenschaften und Roh-stoffe) vom 31.07.2012.

    77 Bowitz, Jrg u. Angela Ehling: Woher kommen die Sandsteine der mrkischen Kunstwerke? In: ImDialog mit Raubrittern und schnen Madonnen. Bergstedt (Hg) 2011 - Im Dialog mit Raubrittern,hrsg. von Clemens Bergstedt. Berlin: Lukas-Verl 2011. S. 370-375, S. 372.

    78 ebd., S. 372-373.79 Schsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.

    7404/05, Erstes Buch, der Stadt Leipzig Privileg ber die Niederlage- und Stapelgerechtigkeit, itemder Rat zu Leipzig contra den Rat zu Weienfels wegen eines Jahr-, Vieh- und Rossmarktes, 1605- 1669, Bl. 107-108.

    120

  • Einen weiteren aufstrebenden Ertragszweig stellte die Landwirtschaftdar. Die durch die Intensivierung des Landesausbaus erschlossenen Flchenoberhalb der Flussniederungen von Wipper, Bode und Fuhne ermglichtenauf den fruchtbaren Bden um Bernburg die ertragreiche Getreideproduk-tion. Vielleicht leitete der schon im Frhmittelalter einsetzende Export desBernburger Sandsteines auch den aufkommenden Fernhandel mit Getreidein der Region ein. Ein entsprechender Umschlagsplatz drfte im frhen12. Jahrhundert mit einer auf dem Gebiet der Bernburger Neustadt vermu-teten Fernhandelskaufmannssiedlung entstanden sein.

    Die Bernburger Nikolaisiedlung

    Bereits Karlheinz Blaschke wies auf die Mglichkeit des Bestehens einerfrhstdtischen Bernburger Fernhandelskaufmannssiedlung auf dem Gebietder Neustadt hin.80 Seine berlegungen konnten durch verschiedene Be-obachtungen gesttzt werden.81

    Auf die Frage, wo die ehemalige Nikolaisiedlung im Bereich der BernburgerNeustadt gesucht werden muss, kann eine Aufflligkeit im dortigen Stadt-grundriss wichtige Hinweise geben.

    Der Grundriss der gotischen Neustdter Planstadt folgt in seiner Anla-ge der Form eines Kreuznimbus. Der den Umkreis dieses Symbols bilden-de Straenzug von der Seegasse bis zur Gartenstrae ist nicht vollstndiggeschlossen, sondern wird von einem annhernd rechtwinkligen Quartiergestrt, welches von Breiter Strae", Klostergasse, dem Straenzug AmKloster" und dem Straenzug Am Provianthaus" begrenzt wird. In diesemAbschnitt der Breiten Strae" weisen archologische Befunde auf eine mg-liche Nutzung der angrenzenden Areale ab dem frhen 12. Jahrhundert hin,82ein Zeitraum, in dem mit der Herausbildung von Nikolaisiedlungen an derSaale gerechnet werden muss.83

    Bemerkenswert ist auch der Hinweis auf einen Graben, der im Jahr 2004im westlichen Teil des Fuweges im Abschnitt zwischen Klostergasse" undAm Provianthaus" aufgefunden wurde.84 Er erinnert an die Situation imbenachbarten Kthen, wo ebenfalls ein Grabensystem im Bereich der lte-sten Marktsiedlung mit hnlicher Zeitstellung lokalisiert werden konnte.86

    80 a.a.O., Anm. 1. Blaschke, Karlheinz: ALTSTADT, S. 81. . Im Jahr 2008 konnte der Autor diesesTextes dem Stadtkernforscher Karlheinz Blaschke in einem persnlichen Gesprch einen BernburgerStadtplan aus dem 19. Jahrhundert berreichen und auf dieser Basis die Situation in Bernburg kon-kreter diskutieren.

    81 a.a.O., Anm. 36. Bhlk, Olaf: Auf, S. 67f.82 Demuth, Volker: Fundbericht zu der archologischen Untersuchung auf dem Grundstck Breite Strae

    84 in Bernburg, vom 19/02/01-02/03/01. Grabungsbericht M 2001/458/1. Bernburg 2001.83 Blaschke, Karlheinz: Nikolaipatrozinium und stdtische Frhgeschichte. In: Stadtgrundriss und Stadt-

    entwicklung. Johanek (Hg) 2001 - Stadtgrundriss und Stadtentwicklung, hrsg. von Peter Johanek.Kln, Weimar, Wien: Bhlau 2001. S. S. 3-58, S. 49.

    84 Fleischmann, Roland: Grabungsbericht Grabung Nr.: 541 Bereich der ehemaligen Neustadt Bemburgzwischen Klostergasse und Flutbrcke 1. Bauabschnitt: 17.09. - 16.12. 2002 1. Bauabschnitt: 01.04.- 30.06. 2003. Grabungsbericht 2004, S. 3.

    85 Hoppe, Gnther: Zur Herrschaftsgeschichte im 10. und 11. Jahrhundert, vornehmlich in den Gauen

    121

  • ber dem von Roland Fleischmann im Jahr 2004 dokumentierten unterstenNutzungshorizont lagen mchtige Schwemmschichten, die durch Auelehmab-lagerungen bei Hochwasserereignissen entstanden sein drften. Sie erreichtenteils eine Mchtigkeit von bis zu zwei Metern.

    Volker Demuth stellte als Ergebnis einer Grabung im Jahr 2001 fest, dassdie in der zweiten Hlfte des 13. Jahrhunderts errichteten massiven undreprsentativen Steingebude im Bereich des Grundstcks Breite Strae 84bereits den heutigen Straenverlufen folgten.86 Sie markieren damit denZeitpunkt der berformung der lteren Kaufmannssiedlung durch die go-tische Planstadt. Das Areal der mutmalichen Nikolaisiedlung zwischen demStraenzug Am Kloster" und der Breiten Strae" wurde aber vermutlich beidieser Manahme nicht zerstrt, sondern blieb als noch heute im Stadtplanwahrnehmbarer Parzellen-Block erhalten.

    Die Nikolaikirche drfte somit den im Nordwesten vermuteten Eingangs-bereich der ltesten Bernburger Marktsiedlung dominiert haben. Auf der ihrgegenberliegenden Seite der Breiten Strae" befand sich ein freier Hof,87auf dessen Grundstck das vermutlich erst im Zuge der Anlage der gotischenPlanstadt errichtete Neustdter Rathaus erbaut wurde.88

    Im Sdosten begrenzte ein ehemaliger Saalearm das Areal der vermutetenKaufmannssiedlung. Seine spter den Stadtgraben bildende Mulde wurde ineiner Grabung im Jahr 1999 dokumentiert.89 ber die ursprngliche Dimen-sion dieses Saalelaufes knnen derzeit keine genauen Angaben gemacht wer-den. Im Zuge der Grabung irn Jahr 1999 wurde die Breite des aufgefundenenStadtgrabens mit acht Metern angegeben. Die ursprnglich sicher breitereNiederung zwischen den Stdten wurde durch beidseitige Aufschttungenvermutlich nach und nach bis auf den vorgefundenen Querschnitt verengt.90Die Bedeutung dieses bis zur Vereinigung beider Talstdte beidseitig mitStadtmauern eingefassten Flussarmes fr die frhstdtische Entwicklungsollte einer Neubewertung unterzogen werden. Womglich bildete nicht derSaalelauf unterhalb Waldaus,91 sondern der die Talstdte einst voneinandertrennende Flussarm, ehemals die Grenze zwischen dem ost- und westsaa-

    Serimunt und Colodici. In: Mitteilungen des Vereins fr Anhaltische Landeskunde 8 (1999). S. 9-54.S. 52.

    86 a.a.O., Ann. 82. Demuth, Volker: Fundbericht.87 Mrusek, Hans-Joachim: Gestalt und Entwicklung der feudalen Eigenbefestigung im Mittelalter. Berlin:

    Akad.-Verl. 1973 (Abhandlungen der Schsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philolo-gisch-Historische Klasse 60,3), S. 51 f.

    88 Zur Anlage von Rathusern auf dem Gelnde von Freihfen: Wilde, Manfred (Hrsg): Die Ritter- undFreigter in Nordsachsen. Ihre verfassungsrechtliche Stellung, ihre Siedlungsgeschichte und ihre In-haber. Techn. Univ., Diss. - Chemnitz. 1996. Limburg: Starke 1997 (Aus dem Deutschen Adelsarchiv12), S. 55.

    89 Reuter, Iris: Grabungsbericht Breite Strae 93-97 Dez 1995 - Mrz 1996. Grabungsbericht D74/161.Bernburg 1999, S. 13 und Beschreibung Befund Nr. 62.

    90 Ungefhr 150 m sdstlich des Grabens, im Bereich des Grundstcks Breite Strae 102 wurde 1988ein Siedlungshorizont des 13. Jh. in 2,8 m Tiefe festgestellt. Das knnte auf eine ehemals breitereNiederung in diesem Gebiet hindeuten, Trger, Ottomar: Das stdtische Wohnhaus in Bernburg. EinBeitrag zur stdtebaulichen Entwicklung von Alt- und Neustadt Bernburg Ottomar Trger. Bernburg:Museum Schlo Bernburg 1989 (Verffentlichungen zu Geschichte und Kultur von Stadt und LandBernburg), S. 9.

    91 a.a.O., Anm. 50. Stieler, Franz: Wann, S. 26.

    122

  • Abb. 2: Stadtzentrum der Altstadt mitMarktplatz und blockartigem Stadtkern aus

    Rathaus und Marienkirche.

    Abb. 3: Stadtzentrum der Neustadt mitNikolaikirche, Rathaus und Freihof.

    Der Straenmarkt trennt Pfarrkirche undRathaus voneinander

    lischen Herrschaftsbereich.92 Die beiden Grndungsstdte gelngen somit aufgegenberliegende Flussufer.9:l Die ursprngliche Bedeutung des zwischen derAlt- und Neustadt vorhandenen Saalelaufes wird ebenfalls deutlich, wennman bercksichtigt, dass dieser Flussarm jene Achse bildet, an dem sichder mittelalterliche Bernburger Stadtgrundriss spiegeln liee. Teilt man dieStadtanlage an dieser Spiegelachse, entstnden zwei gotische Planstdte imTal, die jeweils frhstdtischen Machtpolen auf dem westlichen (ehemaligerWaldauer Knigshof) und dem stlichen (vermutete civitas brandanburf)Hochufer zuzuordnen wren. Jede der beiden Bernburger Talstadt-Hhen-siedlung-Konstellationen fr sich gleicht dabei einer hufig vorzufindendenStadttopographie, wie sie beispielsweise in Eilenburg an der Mulde anzutref-fen ist. Auch dort findet sich eine Bergstadt", welche aus einer lteren Burg-siedlung hervorgegangen ist und eine hochmittelalterliche und auf einemgeplanten Stadtgrundriss basierende Talstadt". Auch der bereits als Beispielerwhnte Knigshof Karlburg am Main entwickelte sich nicht zur Stadt wei-ter. Stattdessen verlagerte sich der Siedlungsschwerpunkt in das Tal, wo die

    92 Bezglich der Bistumszugehrigkeit der ursprnglichen Nikolaikirche knnen derzeit keine Aussagengemacht werden. Die sptere Zuordnung zum Bistum Magdeburg kann fr die Frhphase als eine ge-nossenschaftlich organisierte Kaufmannskirche nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden. Vgl. a.a.O.,Anm. 83. Blaschke, Karlheinz: Nikolaipatrozinium, S. 35.

    93 hnlich wie beispielsweise bei den Doppelstdten Colin und Berlin oder in Brandenburg (Alt- undNeustadt), a.a.O., Anm. 12. Schieb, Winfried: Havel, S. 12.

    123

  • gotische Planstadt Karlstadt entstand.94 hnlich vollzog sich die Entwick-lung, um ein weiteres Beispiel aufzuzhlen, auch in Bad Neustadt an derSaale, einer Grndungsstadt in der Nachfolge des Pfalzortes Salz.95

    Scheinbar waren auch bei diesen fiussnahen Talstdten naturrumlicheVernderungen ein Grund fr die hochmittelalterliche Standortverlagerungin die hochwassergefhrdeten Flussniederungen. Der fr Bernburg bereitserwhnte Aspekt der dauerhaften Unterhaltssicherung von Flussbergngen,drfte auch bei den oben erwhnten gotischen Stadtgrndungen eine wich-tige Rolle gespielt haben.96

    In den genannten Beispielen gingen Suburbien frhmittelalterlicher Herr-schaftssitze als Vorlufersiedlungen" gotischen Planstdten voraus. Diesejngeren Grndungsstdte lagen dabei regelmig im Einflussgebiet ehemalsbedeutender prurbaner Zentren, unterhalb derer sie in Tallage entstanden.Vielfach diente die sich oft ursprnglich in Reichsbesitz befindliche Hhen-siedlung oder eine mit ihr in Beziehung stehende Burg bereits zur Grn-dungszeit der Stadt als Sitz des Stadtherren.

    Da sich im Fall Bernburgs die frhstdtische Nikolaisiedlung zunchst, ne-ben der als askanische Grndung zu verstehenden Altstadt, vllig unabhn-gig und parallel entwickelte, kann - zumindest in einer frhen Phase - auchvon einer Konkurrenzsituation zwischen beiden Plansiedlungen ausgegan-gen werden. Eine hnliche Konstellation bestand beispielsweise zwischen derMarktsiedlung Parduin und der Siedlung Luckenberg in Brandenburg an derHavel.97

    Neben der, bereits von Wilhelm Mller98 und Frank Kreiler99 als entschei-dendem Impuls fr die Grndungsinitiative der Bernburger Altstadt aufge-zeigten Konkurrenz zwischen der ab 1166 an das Erzbistum Magdeburg ge-fallenen Abtei Nienburg und den Askaniern, kann auch an eine Konkurrenzzwischen dem Stift Gernrode und der erzbischflichen Abtei Nienburg odertemporr, zwischen dem Stift Gernrode und den Askaniern gedacht werden.100Ebenso, wie etwas spter die Askanier, knnte auch schon das Stift Gernrodemit einer Stadtgrndung auf den sich im Bernburger Raum verschrfendenKonflikt reagiert haben. Auch das den benachbarten Aderstedter Kloster-94 Ettel, Peter: Karlburg am Main - vom frnkischen Knigshof mit Burg(en) und Kloster zum bischf-

    lichen Zentralort. In: Eine Welt in Bewegung. Eggenstein (Hg) 2008 - Eine Welt in Bewegung, hrsg.von Georg Eggenstein. Mnchen: Dt. Kunstverl 2008. S. 76-82, S. 82.

    95 a.a.O., Anm. 39. Wagner, Heinrich: Zur, S. 149 ff.96 a.a.O., Anm. 83. Blaschke, Karlheinz: Nikolaipatrozinium, S. 37.97 Nach Joachim Mller handelt es sich bei der Siedlung Luckenberg um eine mgliche Gegengrndung

    zu der sich in direkter Nhe befindlichen civitas Parduin", Mller, Joachim: Die frhe Topografie derAltstadt Brandenburg 1100 bis 1200. Befundinterpretation an der Schnittstelle zwischen historischerQuelle und archologischem Befund. In: Mitteilungsblatt der Deutschen Gesellschaft fr Archologiedes Mittelalters und der Neuzeit e.V. (2010) H. 22. S. 17-26, S. 20.

    98 Mller, Wilhelm: Die Entstehung der anhaltischen Stdte. Univ., Diss. - Halle-Wittenberg. 1912.Halle: Kaemmerer 1912, S. 24.

    99 Kreiler, Frank: Die Dominanz des Nahmarktes. Agrarwirtschaft, Handwerk und Gewerbe in denanhaltischen Stdten im 15. und 16. Jahrhundert. Halle (Saale): mdv Mitteidt. Verl. 2006, S. 25.

    100 Gnther Hoppe weist auf die in der im spten 12. Jh. geflschten und angeblich 964 ausgestelltenUrkunde anzutreffende Formulierung omnem regionem Serimuntem" und den damit verbundenenGernrder Anspruch hin a.a.O., Anm. 85. Hoppe, Gnther: Zur, S. 50 f.

    124

  • hof bewirtschaftende Kloster Ilsenburg frderte vermutlich die BernburgerNikolaisiedlung, denn auf dem Gebiet der Neustadt verfgte es ber eineNiederlassung,101 vielleicht um ber diese seinen Fernhandel mit Getreideabwickeln zu knnen.

    Die Askanier als Bernburger Stadtherren

    Mit ihrer Zerstrung im Jahr 1138 tritt uns eine auf dem Bernburger Schloss-berg zu vermutende Burg erstmals als askanischer Herrschaftssitz entge-gen.102 Wie die in der Quelle erwhnte Grfin Eilika an diesen gelangteob als askanisches Wittum oder billungisches Erbe, ist bisher ungeklrt.103Ob der jngst bei Bauarbeiten im Bereich der romanischen Schlosskirchefestgestellte Befund eines um oder nach dem Jahr 1000 errichteten104 undspter durch Feuer zerstrten greren Bauwerkes in Grabennhe mit die-sem Ereignis in Verbindung gebracht werden kann, muss ebenfalls zunchstoffenbleiben.105

    Einen weiteren Hinweis zu den Verhltnissen auf dem Bernburger Schloss-berg liefert ein Nienburger Gterverzeichnis, welches belegt, dass das Klosterum das Jahr 1130 von Kaiser Lothar eine Schenkung von zwei Knigshufenim Bereich des Burgbezirks Bernburg erhielt.106 Neben dem mutmalich as-kanischen Besitz im Bereich der Bernburger Burg gab es dort, also kurz zu-vor, auch noch Knigsgut. Vielleicht muss hier von einer hnlichen Situationausgegangen werden, wie sie fr die Reichsburgen in Rothenburg (Zputines-burg')lm und Merseburg108 belegt ist, welche sich zum Teil oder temporr inder Hand von Privatpersonen befanden.

    Ein dominierender Einfluss der Askanier ber den Burgbezirk heraus, viel-leicht sogar in der Rolle eines Bernburger Stadtherren, kann zunchst, inAnbetracht der fr Albrecht den Bren schwierigen Situation nach der Zer-strung der Burg Bernburg, kaum angenommen werden. Zumal sich seineInteressen zu diesem Zeitpunkt wohl noch auf die Ausweitung der Kontrolle

    101 a.a.O., Anm. 46. Jacobs, Eduard (Hrsg): Urkundenbuch, S. 264.102 Annalista Saxo zu 1138: Eodem tempore castrum quod Bemeburch dicitur igne crematum est propter

    tyrannidem, quam exercebat inde Eilica cometissa cum suis". Pertz, Georg Heinrich: [Annales aevi Sue-vici]. Hannoverae: Hahn 1859 (Monumenta Germaniae Historica Scriptores 16), S. 186.

    103 Auch fr andere bedeutende Orte in der Umgebung Bernburgs, die sich spter in askanischem Besitzbefanden bestehen Unklarheiten, a.a.O., Anm. 85. Hoppe, Gnther: Zur, S. 15.

    104 Holzkohlebefund: a.a.O. Anm. 27.105 Das whrend der archologischen Grabung als "Grubenhaus" bezeichnete Gebude verfgte ber ei-

    nen vieleckigen und unregelmigen Grundriss, der aber nur teilweise eingemessen und dokumentiertwurde. Bhlk, Olaf: Archologische Hinweise auf die civitas Brandanburg"? Ein Zwischenberichtzur Entdeckung frher Befestigungen auf dem Bernburger Schlossberg. In: Schloss Bernburg als Er-innerungsort - Funktionalitt und Symbolik im frhneuzeitlichen Schlossbau. Bhlk (Hg) 2012 -Schloss Bernburg als Erinnerungsort, hrsg. von Olaf Bhlk. Bernburg: Kulturstiftung Bernburg 2012.S. 107-119, S. 117.

    106 Codex diplomaticus Anhaltinus (CDA V), hrsg. von Otto von Heinemann, Dessau 1881, AnhangNr. 1, S. 355.

    107 a.a.O., Anm. 54. Schrge, Gertraud Eva: Zur, S. 247.108 ebd., S. 194.

    125

  • ber die bis 1166 dem Reich unterstehende Abtei Nienburg gerichtet habendrften.109

    Erst nach dem Erwerb der Grafschaft Pltzkau im Jahr 1152110 trittAlbrecht der Br im Bernburger Raum in Erscheinung. Interessant ist indiesem Zusammenhang Heinrich Lindners Hinweis, dass noch im 15. Jahr-hundert die den Bernburger Burgbezirk umgebenden und westlich der Fuhnegelegenen Siedlungen nach Pltzkau und nicht nach Bernburg zu Gerichtgingen.111 Auch um das Jahr 1600 stellte das ostsaalisch liegende Dorf Grnanoch zwei Schffen fr das Landgericht des Amtes Pltzkau.112

    Nach der Herrschaft ber den Rechtsraum um die Burg Bernburg ab 1152strebten die Askanier vermutlich nun auch die Ausweitung oder den Erwerbder dortigen Grundherrschaft an. Auf Bitten des Ilsenburger Abtes erkauftAlbrecht der Br im Jahr 1156 in seiner Funktion als Vogt dieses Klosterseinen Wald und fnf Hufen Land am Ostufer der Saale von Albrecht undDietrich von Krosigk.113 Immerhin floss dabei die stattliche Kaufsumme von49 Mark, sodass die Ausdehnung des erworbenen Waldes nicht allzu kleingewesen sein drfte. Als Vergleich liee sich der Erwerb des BurgwartesKleutsch heranziehen, fr den das Kloster Nienburg im Jahr 1144 den Preisvon 40 Mark zahlte.114

    Die Betonung Albrechts, den Kauf in seiner Funktion als Vogt des KlostersIlsenburg zu ttigen und die ausdrckliche Erwhnung im Interesse des dor-tigen Abtes zu handeln, drfte vielleicht zum Schutz vor mglichen Anspr-chen des Knigs an dem zu erwerbenden Grund gedient haben, denn dasses sich bei dem Gebiet um ehemaliges Reichsgut handelte, kann aus seinerLage, stlich der Saale, geschlossen werden. Auch der die Burg Bernburgumgebene Gerichtsbezirk war, unter Beachtung von Lindners Ausfhrungen,zur Grafschaft Pltzkau zugehrig und damit Teil eines Reichslehens.115 DerWald am Ostufer des Flusses und im Interessengebiet des Ilsenburger Abteswird in dem Saaleabschnitt, zwischen der Siedlung Borne116 und der Fuhne-mndung vermutet werden drfen. Er lge damit im spteren BernburgerStadtgebiet. Vielleicht bildet das holte tho de horch Berenborch", aus dem

    109 Assing, Helmut: Die askanischen Herrschaftsrechte auf dem Territorium des Herzogtums Anhalt inder Zeit Albrechts des Bren (1120-1170). In: Mitteilungen des Vereins fr Anhaltische Landeskunde(1994). S. 11-31, S. 22.

    110 Schulze, Hans Kurt: Adelsherrschaft und Landesherrschaft. Kln, Berlin 1963, S. 143.111 a.a.O., Anm. 51. Lindner, Heinrich: Geschichte, S. 421.112 Jablonowski, Ulla: Das Rote oder Blutbuch der Dessauer Kanzlei (1542 - 1584). Im Kontext der Ver-

    waltungs- und Rechtsgeschichte Anhalts im 16. Jahrhundert. 1. Aufl. Beucha: Sax-Verl 2002, S. 189.113 CDA I, Nr. 425 und Beck, Lorenz Friedrich: Herrschaft und Territorium der Herzge von Sachsen-

    Wittenberg (1212-1422). Zugl.: Berlin, Techn. Univ., Diss., 1998. 1. Aufl. Potsdam: Verl. fr Berlin-Brandenburg 2000 (Bibliothek der brandenburgischen und preuischen Geschichte 6), S. 75.

    114 CDA I, Nr. 298.115 a.a.O., Anm. 113. Beck, Lorenz Friedrich: Herrschaft, S. 163.116 Im Bereich der Siedlung Borne am stlichen Saaleufer verfgte bereits das Erzbistum Magdeburg ber

    Landbesitz, vhl.: a.a.O., Anm. 50. Stieler, Franz: Wann, S. 39., sdlich von Grna schloss sich Besitzder 1131 durch das Erzbistum Magdeburg erworbenen Abtei Aisleben und der Burg Pfuhle an, ebd.,S. 36.

    126

  • das Kloster Ilsenburg noch um 1450117 einmal jhrlich eine Holzlieferungvom Frsten erhielt, einen Rest dieses Waldes.

    Erst der Landerwerb von 1156 ermglichte vermutlich den Askaniern wei-tergehende Siedlungsaktivitten auf und unterhalb des Bernburger Schloss-berges am stlichem Saaleufer. Er drfte die rumliche Grundlage fr dieErrichtung eines askanischen Herrschaftszentrums in Bernburg und die da-mit verbundene Stadtgrndung gelegt haben.

    In seiner Doppelrolle als Gernrder Stiftsvogt118 und Vogt des KlostersNienburg119 trat Albrecht im Jahr 1162 auch im Bereich des Waldauer Klo-sterhofes auf.120 Jedoch war zu diesem Zeitpunkt wohl, ohne die Mitwirkungder btissin, noch keine weitergehende stadtherrschaftliche Einflussnahmedes Askaniers auf die sich im Saaletal unterhalb Waldaus entwickelnde Sied-lung zu erwarten.121 Es ist zu vermuten, dass die Herrschaft ber das Arealder spteren Neustadt eng mit der Kontrolle ber den Waldauer Ministe-rialensitz zusammenhing. Vertreter des Ministerialengeschlechts derer vonWaldau traten noch im Jahr 1226 in der Zeugenreihe einer Gernrder Ur-kunde auf.122

    Sptestens im Jahr 1220 schufen die Wahl der Askanierin Sophia zur Gern-rder btissin und die gleichzeitig durch ihren Bruder Heinrich I. ausgebteVogtei123 gute Voraussetzungen zur Eingliederung des Ministerialensitzesin den askanischen Bernburger Herrschaftskomplex. Vermutlich tradiert dassptere Waldauer Rittergut nahe der Stephanskirche den Ort dieses Adels-hofes. Als wichtiger Hinweis auf die frhstdtischen Besitzverhltnisse kannder frstliche Sonderrechtsbereich in der nrdlichen Neustadt im Bereich derGartenstrae gesehen werden. Dieses Areal war zwar von der NeustdterStadtmauer umschlossen, wurde aber scheinbar nicht im Zuge des Stadtent-wicklungsprozesses mit Brgerhusern aufgesiedelt. Deshalb erhielten sichhier vermutlich die lteren stadtherrschaftlichen Besitzverhltnisse beson-ders ungestrt. Der Bereich um die Gartenstrae war daher, wie auch derangrenzende Waldauer Stephansberg, dem ostsaalischen Burgbezirk dienst-pflichtig. Mit dem Ministerialensitz in Waldau verband sich vermutlich aucheine ursprnglich dort in Stellvertretung fr den Knig ausgebte Gerichts-barkeit. Die bis in die Frhe Neuzeit reichende Bedeutung des Gerichts aufdem Stephansberg wird in dem noch heute sichtbaren Waldauer Pranger,dem sogenannte Kagk" und dem ehemaligen Standort der Wohn- und Ar-beitssttte des Bernburger Scharfrichters124 deutlich. Mit dem Stephans-

    117 a.a.O., Anm. 46. Jacobs, Eduard (Hrsg): Urkundenbuch, S. 486.118 Schulze, Hans K., Gnter W. Vorbrodt u. Reinhold Specht: Das Stift Gernrode. Kln [u.a.]: Boehlau

    1965 (Mitteldeutsche Forschungen 38), S. 82.119 a.a.O., Anm. 109. Assing, Helmut: askanischen, S. 22 f.120 CDA I, Nr. 477.121 a.a.O., Anm. 109. Assing, Helmut: askanischen, S. 22 f.122 CDA II, Nr. 84.123 a.a.O., Anm. 118. Schulze, Hans K., Gnter W. Vorbrodt u. Reinhold Specht: Stift, S. 45.124 Steudtner, Kurt: Henker und Henkerswesen in Bernburg. In: Bernburger Kalender (1941).

    127

  • berg kontrollierten die Askanier sptestens 1220 sowohl den ostsaalischen(Burgsiedlung/Grafschaft Pltzkau) als auch den westsaalischen (Waldau,Stephansberg) Rechtsraum.125 Zu diesem Zeitpunkt war aber scheinbar derEntstehungsprozess der mutmalich Gernrdischen (sptere Neustadt) undder askanischen (sptere Altstadt) Stadtgrndung im Tal schon weit fortge-schritten.

    Ihren Ursprung fand die vom stlichen Saaleufer ausgehende askanischeGrndungsinitiative in der Errichtung einer groen romanischen Burganlageauf dem Gelnde der umfangreichen frhmittelalterlichen Befestigung126 inder zweiten Hlfte des 12. Jahrhunderts Die Lage des in dem Teilungsver-trag von 1497127 mit auff dem alden Schlosse" bezeichneten Areals, dermutmalichen ehemaligen civitas", war bis in die Frhe Neuzeit hinein alsSonderrechtsbereich bekannt und wurde im Bernburger Sprachgebrauch mitauf dem Bercf\ bezeichnet, wobei Berg" und Burg" synonym gebrauchtwurden.128

    Ein wichtiges Kennzeichen fr die Errichtung eines askanischen Herrschafts-zentrums war der Aufbau einer auf Patronatsrechten fundierten Kirchen-organisation, deren Zentrum die Bernburger Aegidienkirche als Sitz einesArchipresbyters129 bildete, dessen Zustndigkeitsbereich wohl zunchst aufden Burgbezirk beschrnkt war, dann aber nach und nach auf das im Ent-stehen befindliche Anhalt-Bernburger Territorium ausgedehnt wurde. Auchwenn ein frher Versuch der Okkupation des Pfarrsprengels der lterenPeterskirche im Jahr 1228 aufgegeben werden musste,130 bildete die Aegidien-kirche, zunchst bis zur Verlegung der Superintendur zur Marienkirche imJahr 1537,131 als frstliche Hofpfarrkirche das Zentrum einer frhen, dieBistumsgrenzen berschreitenden askanischen Landeskirche" im Bernbur-ger Raum.132 Die Funktion der Aegidienkirche hnelte damit vermutlich den125 Die Gerichtsverhltnisse in Bernburg knnten einen Hinweis auf die anfangs unvorteilhafte Situation

    der Askanier geben. Ulla Jablonowski schreibt dazu: Die landesherrlichen Gerichte des Amtes Bern-burg waren: das frstliche Amt auf dem Schlo, ein Stadtgericht fr die Alte und Neue Stadt Bernburgsowie das Landgericht vorm Berge fr die Vorstadt vorm Berge und die zugeordneten Amtsdrfer Waldau.Altenburg, Drb'bel, beide Poley, Baalberge, Kleinwirschieben und Oberpeien." a.a.O., Anm. 112. Jablo-nowski, Ulla: Rote, S. 188. Ursprnglich war der Bernburger Burgbezirk aber vom Gerichtsbezirk derBurg Pltzkau umgeben, vgl. a.a.O., Anm. 51. Lindner, Heinrich: Geschichte, S. 421. Es scheint, alsob das Landgericht vorm Berge" aus einem Zusammenschluss von Teilen des ehemaligen Waldauerund des ehemaligen Pltzkauer Gerichtsbezirkes hervorgegangen ist.

    126 Erste Hinweise auf ein der Burg Grimschleben hnelnde Grabenwerk auf dem Bernburger Schlossbergwurden vom Verfasser 2008 fotografisch festgehalten, vgl. a.a.O., Anm. 36. Bhlk, Olaf: Auf, S. 83ff.Im Jahr 2011 folgte die Dokumentation weiterer Befunde, die dieser Verteidigungsanlage zugeordnetwerden konnten. Zur Fundsituation: Bhlk, Olaf: Neue archologische Erkenntnisse zum BernburgerSchlossberg: Von groen Entdeckungen und groen Verlusten, http://www.siehdort.de/campus-tech-nicus-bernburg/, Darstellung der Befunde: Beitrag Ulf Petzschmann im gleichen Band.

    127 Regesten der Urkunden des herzoglichen Haus- und Staatsarchivs zu Zerbst (Regesten), hrsg. vonHermann Wschke, Dessau 1909, Nr. 1458.

    128 a.a.O., Anm. 36. Bhlk, Olaf: Auf, S. 83ff.129 CDA I, Nr. 693.130 Die Nennung einer ecclesia nostre in Berneburg" durch Heinrich I. im Jahr 1228 (CDA II, Nr. 95)

    bezieht sich nicht, wie oft in der Literatur angefhrt auf die Bernburger Marien- sondern auf dieAegidienkirche a.a.O., Anm. 36. Bhlk, Olaf: Auf, S. 63ff.

    131 Suhle, Hermann: Beitraege zur Pfarrchronik von Anhalt. In: Mitteilungen des Vereins fr AnhaltischeGeschichte und Altertumskunde (1904) H. 9. S. 399-446, S. 400.

    132 Dieses landeskirchliche Konzept wird 1375 besonders deutlich. Vgl. CDA IV, Nr. 460. Die Quelle

    128

  • Bernburg - Sonderrechtsbereiche im 15. Jahrhundert

    frhmittelalerl. Graben (vermutet)^ _ _ J frhmittelalerl. Graben (Befund)

    Graben der KernburgI Nikolaisiedlung (vermutet)| ehemalige Flussterrasse

    I Burg-Kernburg| Burg-Vorburg| Burg - Auf dem Berg", aldes sto"\ Burglehen

    Siedlung am BrahlenbergEhemaliger slawischer KietzHospitalgelnde, zur Altstadt gehrig

    Mhleninsel

    jdische Siedlung (vermutet)zum Eichehof gehrigKlostergartenfrstlicher SonderrechtsbereichWaldauer StephansbergWaldauer Martinsberg

    Abb. 4: Rekonstruktion der Sonderrechtsbereiche und Lage der ltesten Herrschaftszentrenund Stadtkerne in Bernburg.

    129

  • askanischen Eigenkirchen in Wrlitz133 und Hohenkthen.134 Erst krzlicherfolgte Datierungen einiger frher Begrbnisse des zugehrigen Friedhofes135besttigten die bisher durch kunsthistorische Vergleiche vorgeschlagene Zeit-stellung der romanischen Teile des Kirchenbaus in die zweite Hlfte des12. Jahrhunderts136 Altere Bestattungen, die auf einen Vorgngerbau deutenwrden, konnten in dem untersuchten Abschnitt stlich der Apsis der Ae-gidienkirche nicht nachgewiesen werden. Beim direkten Vergleich fllt einestarke hnlichkeit des Mauerwerks und der Fassadengliederung mit der be-nachbarten romanischen Burgkapelle St. Pankratius auf, die zeitnah zur Ae-gidienkirche erbaut wurden sein drfte.

    In der zweiten Hlfte des 12. Jahrhunderts entstand somit auf dem stlichenBernburger Saaleufer ein bezglich der Kirchenorganisation dem westsaa-lischen Waldau entsprechendes Herrschaftszentrum. Im Zusammenhang mitdieser intensiven Phase des askanischen Landesausbaus in Bernburg in derzweiten Hlfte des 12. Jahrhunderts ist auch mit der Anlage einer planm-igen Grndungsstadt unterhalb der Burg zu rechnen. Sie entstand hchst-wahrscheinlich auf einer ehemals vorhandenen Flussterrasse zwischen derheutigen Mhlstrae" und der Fhrgasse". Archologische Untersuchungenim Jahr 2007 in diesem Bereich137 fhrten zu der Feststellung, dass im Arealder Fhrgasse" die mittelalterliche Uferhhe in etwa dem heutigen Straen-niveau entsprach.138 Dieses Ergebnis ist insofern bemerkenswert, da sich deruntersuchte Bereich in nur wenigen Metern Entfernung vom heutigen Haupt-arm der Saale befindet. Das Vorhandensein einer, vom Grabungsleiter An-dreas Schwarz beschriebenen und bereits im Mittelalter bestehenden, steilenUferbschung139 sttzen die bereits von Franz Stieler140 vertretene Annahmeeiner Laufnderung der Saale im Bernburger Stadtgebiet. Wahrscheinlichist die starke Ausweitung eines einst knstlich angelegten Mhlgrabens141

    zeigt aber auch schon die Bestrebungen zur symbolischen Vereinnahmung der Altstdter MarktkircheSt. Marien.

    133 Vgl.a.a.O., Anm. 113. Beck, Lorenz Friedrich: Herrschaft, S. 79. und Marcus, Paul: Herzog Bernhardvon Anhalt (um 1140 bis 1212) und die frhen Askanier in Sachsen und im Reich. Frankfurt am Main:Lang 1993, S. 150.

    134 a.a.O., Anm. 66. Partenheimer, Lutz: Albrecht, S. 20.135 Curt-Engelhorn-Zentrum Archometrie gGmbH, Mannheim, Analyse vom 31.05.2012: Menschenkno-

    chen Friedhof Aegidienkirche, Labornr. 14852 C14 Alter 838 +/- 19, Cal 1 sigma: cal AD 1178-1223,Cal 2 sigma: cal AD 1166-1253; Labornr. 14851 C14 Alter 647 +/- 19, Cal 1 sigma: cal AD 1292-1385,Cal 2 sigma: cal AD 1286-1390; Darstellung der Befunde siehe Beitrag Ulf Petzschmann im gleichenBand

    136 Dehio, Georg: Der Bezirk Halle 1976 (Handbuch der deutschen Kunstdenkmler / Neubearb.durchd.Abt.Forschung d.Inst.fr Denkmalpflege im Einvernehmen mit der Vereinigung zur Herausgabed.Dehio - Handbuches ; 4), S. 34.

    137 Schwarz, Andreas: Grabungsbericht Bernburg Fhrgasse Blatt 543 G 2009/21 (2009/682). Bernburg(Saale) 2007, S. 2.

    138 Hier lag der mittelalterliche Nutzungshorizont im Gegensatz zum sonstigen Talstdter Stadtgebietnicht unter, sondern ber den mchtigen Schwemmschichten und Aufschttungen.

    139 Ein erster Vergleich mit dem archologisch erfassten Graben zwischen Alt- und Neustadt ergab, dassder durchschnittliche Wasserstand im spten Mittelalter in etwa dem des heutigen Bernburger Unter-pegels entsprochen haben drfte, dieser Sachverhalt bedarf noch einer genaueren Untersuchung.

    140 a.a.O., Anm. 50. Stieler, Franz: Wann, S. 26. und Grafik dort auf S. 52.141 Auch im schon zitierten Beispiel Eilenburg trennt ein knstlicher Mhlgraben die Talstadt" vom Fu

    des Berges.

    130

  • aufgrund der Erosion bei sich wiederholenden Hochwasserereignissen zumheutigen Saale-Hauptlauf anzunehmen. Dieser Mhlgraben142 trennte die ur-sprnglich eine Halbinsel bildende und somit zum stlichen Saaleufer geh-rende Flussterrasse sdlich des Altstdter Marktes vom Gebiet des heutigenSaalplatzes ab.

    Der Zeitpunkt fr die Anlage dieses Mhlgrabens kann mit der Ersterwh-nung einer Bernburger Saalemhle im Jahr 1219143 ungefhr gefasst wer-den. Ein zeitnah im Jahr 1222 ausgebrochener Streit mit dem Kloster Nien-burg wegen der Errichtung einer nicht nher lokalisierten Brcke und eines(Mhlen?)Dammes144 knnte sich bereits auf wasserbauliche Vernderungenin Bernburg bezogen haben.145 Jedenfalls werden Regelungen zur Benutzungeiner Bernburger Brcke in einem im Jahr 1239 abgefassten Vergleich indiesem Streit zwischen dem Kloster Nienburg und dem Askanier Heinrich I.getroffen.146

    Mit der Anlage des aus der Marktkirche St. Marien und dem Rathausbestehenden Stadtkerns wird die junge askanische Planstadt als eigentlicheRechtsstadt und damit als Altstadt" gekennzeichnet. Die im BegriffspaarAltstadt-Neustadt" suggerierte zeitliche Abfolge bezieht sich im Bernburgwohl weniger auf den Verlauf des Siedlungsprozesses. Eher ist zu vermuten,dass die vom askanischen Stadtherren geprgte Bezeichnung den Prozess derAusweitung vom Burg- zum Stadtnamen Bernburg" dokumentiert. Gemdieser Interpretation kennzeichnet die Bezeichnung Altstadt" jene Grn-dung, die quasi aus dem Areal des Bernburger Burglehens im Bereich derheutigen Langen Strae" herauswuchs und damit den Burgnamen in das Taltradierte. In enger Abstimmung mit dem Stadtherren und vielleicht schonbei ihrer Anlage, wurde diese Marktsiedlung mit einem, fr eine geplanteRechtstadt typischen und die Stadtrechtsverleihung quasi topographisch vor-wegnehmenden Altstadtkern", bestehend aus Markt, Rathaus und Markt-bzw. Marienkirche, ausgestattet. Der Begriff Neustadt", im Sinne von novoBerneburch":u7 kennzeichnet somit nicht die jngere Siedlung, sondern ihrenachgeordnete Rolle bezglich der Stellung gegenber dem askanischenStadtherren und dem nicht nur rumlich zu verstehenden, greren Abstandzur namensgebenden Burg.148 Das Stadtgericht der Bernburger Rechtsstadt

    142 Winfried Schien schildert anschaulich die Zusammenhnge von Stadtgrndung, Verkehrs-, Mhlen-und Wasserbauten im Hochmittelalter. Vgl. a.a.O., Anm. 12. Schich, Winfried: Havel, S. 9 ff.

    143 Ottomar Trger vermutet einen schon lngeren Bestand der Bernburger Mhle, da diese bereits einbedeutender Betrieb" gewesen sei. Vorgnger einer vielleicht erst 1222 als ortsfestes Bauwerk ein-gerichteten Mhle knnten aber auch Schiffsmhlen gewesen sein: Trger, Ottomar: Wassermhlenim unteren Saaletal. Beitrge zur Mhlenchronik an der unteren Saale: Die Wassermhlen Aisleben,Bernburg, Nienburg, Calbe. Bernburg: Vereinigte Mhlenwerke Saalemhlen 1969, S. 20.

    144 "[...] super eonstruetione. cuiusdam pontis et exstruetione cuiusdam aggeris, [...] "CDA II, Nr. 60.145 Vogtherr, Thomas: Das Kloster Nienburg zwischen Magdeburg und Anhalt (1166-1239). In: Mittei-

    lungen des Vereins fr Anhaltische Landeskunde (2001). S. 11-38, S. 30.146 CDA II, Nr. 145.147 "[...] quod quondam pertinebat ad curiam Johannis dicti Stripen, quondam opidani in novo Berneburch [...] ",

    Codex diplomaticus Anhaltinus (CDA III), hrsg. von Otto von Heinemann, Dessau 1877, Nr.: 745.148 Zur Problematik Altstadt-Neustadt:a.a.O., Anm. 1. Blaschke, Karlheinz: ALTSTADT, S. 81.

    131

  • besa hingegen auch in spterer Zeit noch eine gewisse Vorbildfunktion.149 ImJahr 1278 privilegierte Frst Bernhard I. von Anhalt-Bernburg beide Stdtein einer gemeinsamen Urkunde, die sich leider nicht im Original erhalten hat.Ihr Wortlaut ist aber als Teil eines Schreibens des Frsten Christian I. ausdem Jahr 1607 berliefert, dem eine Abschrift der Urkunde als Anhang bei-gefgt war.150 Dieses fr die Bernburger Stadtgeschichte wichtige Dokumentkennzeichnet den Abschluss des Stadtgrndungsprozesses und die Rolle deraskanischen Frsten als Herren ber beide Bernburger Talstdte.

    Zusammenfassung:Ein hypothetisches Grndungsmodell fr die Stadt Bernburg

    Die Stadt Bernburg verdankt ihre Entstehung urschlich der Reaktion regio-naler Herrschaftstrger auf naturrumliche und politische Vernderungen.Die aufgrund von Erosionsprozessen und damit verbundenen Talaufhhungeninfolge des mittelalterlichen Landesausbaus sich verschrfenden Hochwasser-spitzen verlangten nach einer Umorientierung des dem Saaletal folgendenfrhmittelalterlichen Straennetzes auf Hhenwege. Flussbergnge wurdendabei zu neuralgischen Punkten der hochmittelalterlichen Verkehrsinfra-struktur. Der Bau und Unterhalt aufwndiger und technisch anspruchsvollerBrcken- und Dammbauwerke, welche noch dazu hufig durch Hochwasserzerstrt wurden, bedurften einer nachhaltig belastbaren Ressourcenquelle,die mit der Anlage von Talstdten erschlossen werden konnte. Diese Stdteprofitierten einerseits von der verkehrsbndelnden Wirkung der Talque-rungen, schtzten diese aber auch andererseits als Groburgen" vor ber-griffen und sorgten, mit ihrem Stadtcorpus selbst eine Brcke bildend, frdie Erhaltung des Flussberganges.

    Motivation fr den hochmittelalterlichen Landesausbau im BernburgerRaum bot die Konkurrenz zwischen aufstrebenden Territorialmchten wieden Askaniern und dem Erzbistum Magdeburg auf der einen und etabliertenAnrainern, wie dem Reichskloster Nienburg oder dem Reichstift Gernrodeund dem Kloster Ilsenburg auf der anderen Seite.

    Erste frhstdtische Ausbauaktivitten im Einflussbereich des GernrderKlosterhofes in Waldau fhrten mglicherweise im frhen 12. Jahrhundertauf einer Saaleinsel zur Entstehung einer Nikolaisiedlung von unter Knigs-chutz stehenden und genossenschaftlich orientierten Fernhandelskaufleuten,welche in Handelsbeziehungen zu den getreideproduzierenden ehemals knig-lichen Wirtschaftshfen in Waldau und Aderstedt standen.

    Da sowohl das Reichsstift Gernrode als auch das Reichskloster Nienburgim Raum um die Fuhnemndung Landesausbau betrieben, kann vor dem149 In der Privilegierung von Grbzig aus dem Jahr 1465 durch Frst Bernhard VI. von Anhalt heit

    es: Falls die Schoppen des genannten Flecks in irgendeinem Urteil irre wrden und es nicht findenknnten in ihrem Dingestuhl, so sollen sie Urteil holen und sich befragen bei unsern Brgermeisternund Schoppen unserer Altstadt Bernnborg". Vgl. Regesten, Nr. 652 und a.a.O., Anm. 99. Kreiler,Frank: Dominanz, S. 34.

    150 a.a.O. Anm. 79

    132

  • Hintergrund des wachsenden Drucks durch das expandierende ErzbistumMagdeburg auch von einer zunehmenden Konkurrenz zwischen den beidenmchtigen geistlichen Institutionen im Bernburger Raum ausgegangen wer-den. Die Herrschaftsbasis des Reichsstifts Gernrode htte sowohl in recht-licher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht als Voraussetzung fr eine Stadt-grndung am westlichen Saaleufer ausgereicht. Unklar ist, ob die Askanierin ihrer Rolle als Stiftsvgte am Ausbau der Nikolaisiedlung zur gotischenPlanstadt vor 1220 beteiligt waren.

    Die rechtliche und materielle Stellung der Askanier im Bernburger Gebiet vor1138 ist unklar. Vermutlich verfgten sie nur ber Teilbesitz neben Knigsgutin einer frhmittelalterlichen civitas" auf dem Bernburger Burgberg.

    Als Reaktion auf die planmige Ausdehnung der Kontrolle ber strate-gisch bedeutende Saalebergnge durch das Erzbistum Magdeburg151 und dasScheitern der Versuche zur dauerhaften Integration des Klosters Nienburg inden askanischen Machtkomplex forcierte Albrecht der Br den hochmittelal-terlichen Landesausbau im Bernburger Raum. Als Basis fr dieses Vorhabendiente der Erwerb der Grafschaft Pltzkau im Jahr 1152 und ein in der Funk-tion des Ilsenburger Klostervogts gettigter Kauf von ungerodetem Land amstlichen Saaleufer im Jahr 1156.

    In der zweiten Hlfte des 12. Jahrhunderts152 wurde auf dem Gelnde derottonischen civitas" eine groe romanische Burganlage erbaut, die auch eineWirtschaftssiedlung zur Getreideproduktion, eine Dienstsiedlung (Kiez) un-terhalb der Burg und einen Bereich mit Burglehngtern an der heutigenLangen Strae umfasste.153 Mit der Errichtung der Burgpfarrkirche St. Ae-gidien, die als Sitz eines Archipresbyters diente und dem Bau der ihr unter-stellten Burgkapelle St. Pankratius,154 war auf dem stlichen Saaleufer derAufbau eines dem Waldauer Klosterhof auf dem Westufer entsprechendenaskanischen Herrschaftszentrums abgeschlossen.

    Entsprechend der auf Gernrder Grund begonnenen Anlage einer gotischenPlanstadt im Bereich der Nikolaisiedlung entstand auf der eine Halbinselbildenden Flussterrasse unterhalb der Burg eine Marktsiedlung, welche plan-mig durch ihren an Einfluss gewinnenden Stadtherren zur Rechtsstadt mitMarienkirche und angrenzendem Rathaus unter der entsprechenden Bezeich-nung Altstadt" ausgebaut wurde. Der Name Bernburg", welcher bisher nurfr den Burgbezirk in Gebrauch war, wurde nun auf diese Stadt bertragen.Im Zuge der Errichtung einer ortsfesten Saalemhle wurde die Anlage einesMhlgrabens, eines Mhlendammes und einer neuen Saalebrcke notwendig.Dieser Mhlgraben teilte nun das Altstadtgebiet vom Burgberg ab und wei-tete sich in der Folgezeit durch Erosion zum heutigen Hauptlauf aus.151 Alsleben (1131), Nienburg (1166).152 Zur Jahreswende 1185/1186 besttigte Herzog Bernhard von Sachsen, in domo nostra Berneborch"

    eine bedeutende Schenkung seines 1183 verstorbenen Bruders Dietrich von Werben an das lateinischeKloster in Jerusalem: a.a.O., Anm. 133. Marcus, Paul: Herzog, S. 118.

    153 a.a.O., Anm. 36. Bhlk, Olaf: Auf, S. 84ff.154 ebd., S. 74.

    133

  • Nach 1220 gelangte vermutlich der Ministerialensitz Waldau auf dem Ste-phansberg und damit die Herrschaft ber dessen Einflussbereich ebenfallsin die Hnde der Askanier. Der hier mglicherweise schon begonnene Stadt-grndungsprozess um die Nikolaikirche wurde jetzt durch den neuen, frst-lichen Stadtherren vollendet, welche fr die spter unter seine Herrschaftgelangte zweite Bernburger Stadtgrndung den Begriff Neustadt", im Sinnevon novo Berneburch"155 prgt. Whrend der Herrschaft der Gernrder b-tissin Mechthild L, die sich 1275 selbst comitissa Ascharie" nannte,156 ver-lieh Frst Bernhard I. von Anhalt-Bernburg im Jahr 1278 beiden BernburgerGrndungsstdten stdtische Rechte.

    Trotz zahlreicher Zerstrungen infolge von wiederkehrenden Hochwasserer-eignissen erwiesen sich die Bernburger Stadtgrndungen als Erfolgsmodell.Bernburg entwickelte sich bald zum wichtigsten Flussbergang im unterenSaaletal und zur wirtschaftlich zweitstrksten Stadt Anhalts nach Zerbst.lr'7Die mit einem Brckenneubau durch die Bernburger Brgerschaft verbun-dene bernahme der Herrschaft ber die Altstdter Saalebrcke nach 1436und gleichzeitig stattfindende, groangelegte Bauprojekte an den beiden tal-stdtischen Stadtkirchen und den Stadtmauern kennzeichneten das Selbst-bewusstsein der beiden Bernburger Stdte eindrucksvoll. Das Ereignis desBernburger Heringskrieges" im Jahr 1426 stellt ein wichtiges Zeugnis fr dasZusammenwirken von Stadtherren und Brgerschaft beider Stdte bei dermilitrischen Verteidigung im Sinne einer Groburg" dar.158

    Mit der militrischen Besetzung der Bernburger Talstdte durch Truppendes Frsten Georg I. endete im Jahr 1468 eine lange Phase der mittelalter-lichen stdtischen Selbstverwaltung159 und es begann die Entwicklung zurabsolutistisch regierten anhaltischen Residenzstadt.

    Abschlieend kann resmiert werden, dass die Bernburger Talstdte diestrategisch bedeutende Territorialbrcke zwischen Harz- und Elbegebietnachhaltig sicherten und damit der auf Durchtrennung des askanischen Herr-schaftsraumes ausgerichteten Expansionspolitik des Erzbistums MagdeburgEinhalt gebieten konnten. Die beiden Stdte an der Saale schufen damit einewichtige Vorraussetzung fr die Entstehung des spteren Landes Anhalt.

    Korrespondenzanschrift:Olaf BhlkSaalweg 13D-06406 Bernburg

    155 a.a.O., Anm. 146.156 a.a.O., Anm. 118. Schulze, Hans K., Gnter W. Vorbrodt u. Reinhold Specht: Stift, S. 46.157 a.a.O., Anm. 112. Jablonowski, Ulla: Rote, S. 169.158 Deutschlnder, Gerrit: Frsten, Hofleute und Brger: Zum Verhltnis von Stadt und Residenz in

    Bernburg im 15. und 16. Jahrhundert. In: Stadtgeschichte im Spannungsfeld - Bernburgs Weg zurfrhneuzeitlichen Residenzstadt der Frsten von Anhalt. Bhlk (Hg) 2011 - Stadtgeschichte im Span-nungsfeld, hrsg. von Olaf Bhlk: Kulturstiftung Bernburg 2011. S. 37-55, S. 43 ff.

    159 Suhle, Hermann: Frstin Hedwig, geb. Herzogin von Sagan, Gemahlin Bernhards VI. von Anhalt, desletzten Frsten der alten Bernburger Linie. In: Mitteilungen des Vereins fr Anhaltische Geschichteund Altertumskunde (1912) H. 11. S. 1-39, S. 13.

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