lgen sind eine Gruppe photosyntheti-
scher Mikroorganismen, die sich mit
raffinierten Mechanismen gegen Viren und
Bakterien, Pilze oder erhöhte UV-Strahlung
wehren. Damit sind sie Kandidaten für
Wirkstoffe mit antibakteriellen, antimycoti-
schen oder antiviralen Eigenschaften und
könnten als Zusätze für Kosmetika und Le-
bensmittel wertvolle Dienste leisten. Da sie
sich energetisch und zur Bindung von Koh-
lendioxid CO2 aus industriellen Emissionen
nutzen lassen, stehen Algen heute weltweit
im Blickpunkt der Grundlagenforschung.
Eine Grünalge als «Versuchskaninchen»
Das Forschungsumfeld am Management
Center Innsbruck (MCI) ist ideal, um die Al-
ge unter die Lupe zu nehmen, denn ausser
Biotechnologie sind hier Fachkompetenzen
in Umwelt-, Verfahrens- und Energietechnik
weit entwickelt. Noch sind viele der photo-
synthetisch aktiven Algenarten völlig unbe-
kannt. Um ihr Potenzial für gesellschaftlich
wichtige Produkte zu verwerten, nutzt das
MCI auch die Methoden der molekularen
Algenbiotechnologie. Das heisst: Es geht
hier um die Entwicklung und Optimierung
von Promotoren und Reportern sowie um
die transgene Expression von Allergenen
und essbaren Impfstoffen. Besonders inte-
ressieren sich die Innsbrucker für Chlamy-
domonas reinhardtii, eine einzellige Grünal-
genart von 10 Mikrometer Durchmesser. Sie
wurde von der Food and Drug Administrati-
on (FDA) als GRAS (Generally Regarded As
Save) klassifiziert und hat sich zum Modell-
organismus für Grundlagenforschung ge-
mausert. Am MCI spielen die Wissenschaft-
ler mit dem Gedanken, mit dieser Alge bio-
technologisch relevante Produkte wie Impf-
stoffe herzustellen und arbeiten daran, die
Reproduzierbarkeit und Ausbeute der Trans-
genexpression zu optimieren. Für diese lie-
fert C. reinhardtii, die im Boden und im
Frischwasser sehr verbreitet ist – etablierte
Methoden für Transformation, Marker und
Reporter. Ihre Eigenschaft, Proteine mit bio-
A pharmazeutischer oder biotechnologischer
Bedeutung, wie beispielsweise Antikörper,
Enzyme oder antigene Peptide zu exprimie-
ren, ist vielfach belegt.
Effizienz dank Hitzeinduktion
Die Herstellung von biotechnologisch rele-
vanten rekombinanten Proteinen ist ein
stark wachsender Markt, jedoch sind heuti-
ge Expressionssysteme sehr kostenintensiv,
was die Kultivierung und Regenerierung be-
trifft. C. reinhardtii bietet eine Alternative,
da sich diese Alge in Form von «Kügelchen»
einnehmen lässt und somit als oraler Impf-
stoff dienen kann. Um die bisher unbefriedi-
genden Expressionsraten durch Wärme-
induktion zu erhöhen, greifen die MCI-For-
scher auf synthetische Hitzeschock-Kompo-
nenten zurück.
In einem ersten Schritt klonierte die Grup-
pe von Professor Christoph Griesbeck, Lei-
ter des Departements Biotechnologie, ein
Plasmid-DNA-Konstrukt, das HSE8x in Ver-
bindung mit dem Rbcs2 Promotor von C.
reinhardtii enthält, sowie Renilla Lucifera-
se als Reporter-Gen. Geeignete C. reinhard-
tii-Stämme wurden mit dem Plasmidkons-
trukt mittels Glass Bead-Methode transfor-
miert und auf Arginin-Auxotrophie (ohne
Verwendung von Antibiotika) selektiert.
Dadurch erzielten die Forscher dank Hitze-
induktion eine bis um das Dreifache er-
höhte Expression des Reporterproteins im
Vergleich zur bisher stärksten Promotor-
kombination. Diese Studien, durchgeführt
mit der Humboldt Universität zu Berlin
und der FH Campus in Wien, zeigen, dass
es prinzipiell möglich ist, C. reinhardtii als
Produktionsorganismus für biotechnisch
und pharmazeutisch relevante Proteine
einzusetzen, beispielsweise für oralen
Impfstoff. «Das Interesse an der Anwen-
dung von Algensystemen für essbare Impf-
stoffe nimmt rapid zu», erklärt Christoph
M A N A G E M E N T C E N TE R I N N S B R U C K
Nase vorn in AlgentechnologieAlgenbiotechnologie ist ein Forschungsschwerpunkt am Management Center Innsbruck. Im Fokus stehen innovative
Verfahren, um aus Algen hochwertige Roh- und Wirkstoffe zu gewinnen. Zukunftspotenzial zeigt sich in Pharma, Agrar,
Lebensmittel und Kosmetik – für biotechnet Switzerland ein Grund, mit dem international tätigen MCI eine Partnerschaft
einzugehen.
E L S B E T H H E I N Z E L M A N N
Die einzellige Grünalge Chlamydomonas reinhardtii ist einer der am besten untersuchten photosynthetischen Or-
ganismen, liefert etablierte Methoden für Transformation, Marker und Reporter. Ihre Fähigkeit der Proteinexpres-
sion mit biopharmazeutischer oder biotechnologischer Relevanz wie Antikörper, Enzyme oder antigene Peptide,
ist mehrfach erwiesen.
b i o t e c h n o l o g i e CHEMIE PLUS 6 / 7 - 2015 2 9
Griesbeck. «Neben Biopharmazeutika er-
schliesst sich ein zusätzlicher Applikati-
onsbereich für Pharma-Produkte mit opti-
mierten Metaboliten.»
Algen könnten Vakzine revolutionieren
So stellt die Gruppe beispielsweise – in Ko-
operation mit der Universität Salzburg – All-
ergene in C. reinhardtii zur Verfügung. Mit
den vollständigen Algenkulturen können die
Forscher, zusammen mit den hergestellten
Allergenen, Mäuse mit einer spezifischen Im-
muntherapie behandeln, welche in ihren
Körpern eine Desensibilisierung gegenüber
Allergien bewirkt. «Derzeit arbeiten wir an
Algen, die in ihren Zellen ein Hauptallergen
von Birkenpollen produzieren», erklärt Chris-
toph Griesbeck. «Die Möglichkeit, die ganze
Zellkultur zu handhaben, erübrigt in der Zu-
kunft die komplexe und kostenintensive Rei-
nigung. Zudem könnten die zusätzlichen Al-
genkomponenten als Hilfsstoff dienen, der
den therapeutischen Effekt erhöht.»
Für den Einsatz von Mikroalgen für biotech-
nologische Zwecke zieht das Forschungs-
team die gesamte Prozesskette in Betracht,
von der Kultivierung über die Isolation bis
zur Analyse. Nur die vielversprechendsten
Mikroalgenstränge, die sie durch Bioaktivi-
tätsscreenings in Biobanken erkennen, wer-
den analysiert, um optimierte Wachstums-
parameter zu identifizieren. Auf diesen Er-
kenntnissen aufbauend, entsteht ein ökono-
mischer Photo-Bioreaktor mit optimiertem
Licht, Nährstoffeintrag und flexibler Regulie-
rung für die Einleitung von Biomasse
und/oder die Wirkstoffproduktion. Mit neu-
artigen Methoden für den Zellaufschluss der
Mikroalgen und die Gewinnung von Wirk-
stoffen konnten die Wissenschaftler den
Downstream-Prozess nachhaltig verbessern.
Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen
Am Ball bleiben die MCI-Forscher besonders
mit der Gewinnung natürlicher Substanzen
aus Algen. Die Aktivitäten reichen vom
Screening von Algensammlungen und der
Entwicklung von Kultivierungs-Screenings
oder der Optimierung von Kultivierungspa-
rameter für das Screening von Wirkstoffen
für pharmazeutische, kosmetische und le-
bensmitteltechnische Anwendungen bis zur
energetischen Verwertung von Biomasse. Da
das MCI zur «Open University Innsbruck»
gehört, ist der Partner das Institut für Bota-
nik an der Universität Innsbruck. Deren
Sammlung von Algendaten umfasst an die
1500 Stämme, meist von alpinen Regionen
in Zentraleuropa, vor allem terrestrische,
Luft- und Flechtenalgen. Sie geht zurück auf
die späten 50er-Jahre. 1974 erweiterte sich
die Algensammlung mit einer Schenkung
des Schweizer Botanikers Wilhelm Vischer,
ehemaliger Dozent an der Universität Basel.
Ein Schwerpunkt des MCI-Teams sind Mik-
roalgen: Sie lassen sich in Anwesenheit von
Licht preisgünstig kultivieren und bieten
wertvolle Substanzen, erschliessen so enor-
mes ungenutztes Potenzial. Im Zentrum der
Arbeiten stehen noch nicht recherchierte
Bio-Banken, besonders eine Sammlung ter-
restrischer Algen: Die Wissenschaftler ver-
muten, dass sie dadurch innovative Wirk-
stoffe auswerten könnten, beispielsweise für
die pharmazeutische Industrie.
Einheimische Flechtenalgen im Rampenlicht
Manchmal sind die interessantesten For-
schungsthemen gleich «um die Ecke»: In ih-
ren Beobachtungen im Tirol und in Oberös-
terreich entdeckten die MCI-Forscher an
Laut Professor Christoph Griesbeck, Leiter Biotechnologie, kombinieren Mikroalgen-
basierte Systeme die Vorzüge von Pflanzen mit den Eigenschaften von Mikroorga-
nismen und bieten so eine Alternative zu «Gene Farming». (Fotos Elsbeth Heinzelmann)
Studenten untersuchen an der Laminar Flow Algenstämme, welche ihre Farbe von Grün
zu Orange wechseln, je nach Kultivierungsbedingungen. Das zeigt, wie wichtig eine äus-
serst sorgfältige Kultivierung ist, da sie starken Einfluss auf die Produktbildung ausübt.
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Angenstein AG, CH-4147 Aesch
LICHT UND SICHT FÜR VERFAHRENSTECHNISCHE PROZESSE T +41 (0)61 756 11 11
F +41 (0)61 756 11 04
■ Schauglasarmaturen
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■ Für den Ex-Bereich
Baumstrünken spezielle Flechten. Mikrosko-pisch kleine Algen bevölkern hier Baumpil-ze. Sie gehen eine «Win-win-Situation» ein:Die Algen geniessen das stabile Umfeld, derPilz profitiert vom hoch angereicherten Ma-terial, das die Alge aus Kohlendioxid undSonnenlicht produziert. Sobald jedoch derPilz zu schnell wächst, stielt er das Lichtder Sonne. Die Wissenschaftler schlussfol-gern, dass die symbiotische Alge für ihrenSchutz Substanzen produziert, welche dasWachstum des Pilzes verhindern oder ein-dämmen. «Wir glauben deshalb, dass dieseWirkstoffe auch das Ausbreiten des Pilzesverhindern können», spekuliert ChristophGriesbeck. So zeigten in den letzten Jahrennatürliche Substanzen aus Algen eine anti-angiogenetische Wirkung, indem sie dieNeubildung von Blutgefässen verhindern,welche zum Beispiel für die Ernährung unddas Tumorwachstum nötig sind. Algen wei-sen antibakterielle Effekte auf, aber bis heu-te verstehen wir nicht, wie dieser Prozessgenau funktioniert. Das motiviert Wissen-schaftler in aller Welt, auch in diese Rich-tung zu forschen, um möglicherweise denEinsatz von Antibiotika zu reduzieren.Eine wichtige Rolle spielt die Alge in der Le-bensmittelkette: So ist beispielsweise Lachseine reiche Quelle für Omega 3-Fettsäuren.«Aber Lachse produzieren diese Substanznicht selbst, sondern nehmen sie mit ihrerNahrung auf, das heisst: Kleinere ölhaltigeFutterfische, die Omega 3-reiche Algen kon-
sumieren», kommentiert Christoph Gries-beck. «Wir untersuchen, wie und in wel-chen Mengen Algen ungesättigte Fettsäurenproduzieren, ein unverzichtbarer Baustofffür unsere Zellen und Nerven.»Algentechnologie spielt eine dominante Rol-le für das Joint Research Centre (JRC) derEuropäischen Kommission. Im Rahmen sei-ner kürzlich entwickelten Bio-Ökonomiesind Mikroalgen eine bedeutende biologi-sche Ressource für verschiedenste Anwen-dungen. Mikroalgen-basierte Moleküle zei-gen spezifische Vorteile gegenüber syntheti-schen und traditionellen Alternativen, sindso eine kommerziell rentable Quelle für denLebensmittelsektor. Der JRC Rapport hältfest, dass laut Experten die EU Potenzialhat, marktführend in mikroalgen-basiertenLebensmitteln und Futterprodukten zu wer-den.
Das Netzwerk der Algenstrategie stärken
Damit jedoch die Mikroalgenbiotechnologiemarktfähige Produkte entwickeln kann,heisst es in Netzwerken gemeinsame Strate-gien schmieden und Synergien verschiede-ner Partner nutzen. Algen wachsen schnell,können ihre Zellzahl in wenigen Stundenverdoppeln und lassen sich damit regelmäs-sig ernten. Gedeihen sie im Sonnenlicht, ab-sorbieren Algen Kohlendioxid und gebenden Sauerstoff ab, den wir zum Atmenbrauchen. Es gibt kein ethisches Problem,da die Algenkultivierung nicht der Land-
wirtschaft das Terrain streitig macht, im Ge-genteil: Algen entwickeln sich oft auf Bö-den, die sich nicht für Agrarkulturen eignen.Mikroalgen liefern einen hohen Anteil anProtein und Öl, um Biokraftstoff oder Fut-termittel zu produzieren. Sie lassen sich so-gar im Meer anbauen in Form von Meeres-algen, deren Zucker in Biokraftstoffe undChemikalien umgewandelt werden. Algenkönnen in der Reinigung von Abwässerneingesetzt werden, sei es in kommunalenAbwasserreinigungsanlagen oder bei Indust-rieabwässern. Algen-Biomasse dient alsEnergiequelle. Die Alge selbst kann zur Pro-duktion verschiedenster Substanzen ver-wendet werden, die dann als Zusätze imKosmetik-Bereich, als Basis-Chemikalien,Polymere, Schmiermittel oder Dünger Ver-wendung finden können. Und Algen sindnicht wählerisch: Sie gedeihen in fast jedemKlima in unterschiedlichsten Produktions-systemen, von Wasserbecken über Photo-Bioreaktoren bis Gärbottichen und schaffenein breites Spektrum an Arbeitsplätzen inForschung, Ingenieur- und Bauwesen, Ag-rarwirtschaft oder Marketing.
Schulterschluss mit biotechnet Switzerland
«Das exzellente Know-how am MCI veran-lasst uns, die bestehende Kooperation mitdieser Forschungsgruppe auszubauen undzu verstärken, damit Synergien zu nutzenund rascher an effiziente Forschungsergeb-nisse zu kommen», erklärt Professor DanielGygax, Präsident von biotechnet Switzer-land. «Erste Kontakte mit geeigneten Part-nern an der ZHAW Wädenswil und derHES-SO Wallis/Valais sind geknüpft. BisHerbst 2015 definieren wir Plattformen mitspezifischen Aufgaben und gemeinsamenProjekten im Bereich der Bioressourcen-Technologien und der in vitro Diagnostikauf internationaler Ebene.» Die engere Zu-sammenarbeit zwischen dem Tirol und derSchweiz verschafft jungen Menschen einenZugang zum Studienaustausch in Bachelor-und Master-Arbeiten und erschliesst ihnenneue Chancen in Ausbildung auf hohem Ni-veau. – Alles in allem eine Win-win-situa-tion für beide Forschungspartner. ■
Marco Rupprich, Studiengangsleiter Umwelt-, Verfahrens- und Energietechnik sowie geschäftsführender
Gesellschafter der ionOXess GmbH, erklärt den Bioreaktor für die Algenkultivierung mit einem Volumen bis zu
100 Liter.
www.mci.eduwww.biotechnet.ch
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