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Bildgebung zur präoperativen Abklärung bei Varikose der unteren Extremität

Date post: 25-Aug-2016
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| Der Radiologe 7·98 Diagnostik und Interventionen am Venensystem 554 T. Zontsich · K.Turetschek · M. Baldt · Universitätsklinik für Radiodiagnostik Wien, Abteilung für konservative Fächer,AKH-Wien Bildgebung zur präoperativen Abklärung bei Varikose der unteren Extremität Klassische Insuffizienzmuster und klinische Wertigkeit Neben postthrombotischen Verän- derungen im tiefen Venensystem ist die Varikose die zweithäufigste Ursache ei- ner chronisch venösen Insuffizienz (CVI). Durch den retrograden Fluß im oberflächlichen Venensystem kommt es zu einer Volumenüberlastung des tiefen Venensystems und daraus resultierend zu einer sekundären Insuffizienz des Klappenapparates im tiefen Venensy- stem. Die CVI tritt bei ca. 13% der Er- wachsenen auf und ist wegen der auf- wendigen und langfristigen Behandlung sowie der damit verbundenen Arbeits- unfähigkeit ein wichtiger volkswirt- schaftlicher Kostenfaktor [5]. Stadieneinteilung der chronisch venösen Insuffizienz Die CVI führt zu lokalisierten trophi- schen Hautveränderungen im Bereich des medialen Knöchels und des Unter- schenkels. Diese Veränderungen werden in vier Stadien eingeteilt [8]: Stadium I: Corona phlebectatica, Ödemneigung; Stadium II: Indurationen, akutes Ul- cus cruris; Stadium III: Derbe Induration, chroni- sches Ulcus cruris, arthrogenes Stau- ungssyndrom; Stadium IV: chronisches Faszienkom- pressionssyndrom. Ätiologie Aus ätiologischer Sicht unterscheidet man zwischen primärer und sekundä- rer Varikose des oberflächlichen Venen- systems. Bei der primären Varikose kommt es als Folge einer vermehrten Dehnbarkeit der Venenwand bzw. einer Schlußunfähigkeit der Venenklappen des oberflächlichen Venensystems zu ei- ner Beeinträchtigung des Abpumpvor- ganges [6, 8, 17]. Als Ausgangspunkte haben hier die Verbindungsvenen zwi- schen dem oberflächlichen und tiefen Venensystem größte Bedeutung. Prädisponierende Faktoren für die Entstehung der primären Varikose sind neben Adipositas, stehender Berufstätig- keit und Schwangerschaft auch geneti- sche Faktoren. Die höhere Inzidenz im Alter wird auch durch die physiologische Abnahme der Anzahl der Venenklappen mit zunehmendem Alter erkärt [24]. Die sekundäre Varikose entsteht als Folge einer zunehmenden Volumsbela- stung des oberflächlichen Venensy- stems, das bei einer Thrombose des tie- fen Venensystems bzw. bei dem post- thrombotischen Syndrom als Umge- hungskreislauf dient. Diese erhöhte Volumsbelastung führt zu einer Dila- tation des oberflächlichen Venensys- tems und daraus resultierend zu Schluß- unfähigkeit des Klappensystems. Inzidenz Die Varikose der unteren Extremität ist in allen Industrieländern sehr weit ver- breitet. Die Inzidenzraten betragen je nach Studie und Land zwischen 15% und 25% der Bevölkerung [5]. Diagnostik und Interventionen am Venensystem Radiologe 1998 · 38:554–559 © Springer-Verlag 1998 Zusammenfassung Die Varikose der unteren Extremität ist eine häufige Erkrankung mit großer volkswirt- schaftlicher Bedeutung. Neue, gezielt auf das individuelle Befallsmuster ausgerichtete Operationsmethoden, wie die endoskopi- sche Perforansligatur,verlangen eine präzise präoperative bildgebende Diagnostik. In die- sem Beitrag werden die zur Verfügung ste- henden Methoden, wie aszendierende Phle- bographie (AP), farbkodierte Duplex-Sono- graphie (FCDS) und deszendierende Phlebo- graphie dargestellt und hinsichtlich ihrer Wertigkeit analysiert. Darüberhinaus werden mögliche Varianten des oberflächlichen Ve- nensystem und die radiologischen Befunde erläutert. Das oberflächliche Venensystem zeichnet sich durch eine ausgeprägte Varia- bilität aus. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, die individuelle Situation bei jedem Patienten genau zu erfassen, damit ein ge- eignetes operatives Vorgehen geplant wer- den kann. Durch die kombinierte Anwendung von AP und FCDS können bei Patienten mit Varikose suffiziente und insuffiziente Venenabschnit- te präzise identifiziert werden. Schlüsselwörter Venen · Varikose · Phlebographie · Sonographie Dr.T. Zontsich Universitätsklinik für Radiodiagnostik Wien, Abteilung für konservative Fächer, AKH, Währingergürtel 18–20, A-1090 Wien& / f n - b l o c k : & b d y :
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Page 1: Bildgebung zur präoperativen Abklärung bei Varikose der unteren Extremität

| Der Radiologe 7·98

Diagnostik und Interventionen am Venensystem

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T. Zontsich · K.Turetschek · M. Baldt · Universitätsklinik für Radiodiagnostik Wien,

Abteilung für konservative Fächer, AKH-Wien

Bildgebung zur präoperativenAbklärung bei Varikose derunteren ExtremitätKlassische Insuffizienzmuster und klinische Wertigkeit

Neben postthrombotischen Verän-derungen im tiefen Venensystem ist dieVarikose die zweithäufigste Ursache ei-ner chronisch venösen Insuffizienz(CVI). Durch den retrograden Fluß imoberflächlichen Venensystem kommt eszu einer Volumenüberlastung des tiefenVenensystems und daraus resultierendzu einer sekundären Insuffizienz desKlappenapparates im tiefen Venensy-stem. Die CVI tritt bei ca. 13% der Er-wachsenen auf und ist wegen der auf-wendigen und langfristigen Behandlungsowie der damit verbundenen Arbeits-unfähigkeit ein wichtiger volkswirt-schaftlicher Kostenfaktor [5].

Stadieneinteilung derchronisch venösen Insuffizienz

Die CVI führt zu lokalisierten trophi-schen Hautveränderungen im Bereichdes medialen Knöchels und des Unter-schenkels.

Diese Veränderungen werden invier Stadien eingeteilt [8]:● Stadium I: Corona phlebectatica,

Ödemneigung;● Stadium II: Indurationen, akutes Ul-

cus cruris;● Stadium III: Derbe Induration,chroni-

sches Ulcus cruris, arthrogenes Stau-ungssyndrom;

● Stadium IV: chronisches Faszienkom-pressionssyndrom.

Ätiologie

Aus ätiologischer Sicht unterscheidetman zwischen primärer und sekundä-rer Varikose des oberflächlichen Venen-systems. Bei der primären Varikosekommt es als Folge einer vermehrtenDehnbarkeit der Venenwand bzw. einerSchlußunfähigkeit der Venenklappendes oberflächlichen Venensystems zu ei-ner Beeinträchtigung des Abpumpvor-ganges [6, 8, 17]. Als Ausgangspunktehaben hier die Verbindungsvenen zwi-schen dem oberflächlichen und tiefenVenensystem größte Bedeutung.

Prädisponierende Faktoren für dieEntstehung der primären Varikose sindneben Adipositas, stehender Berufstätig-keit und Schwangerschaft auch geneti-sche Faktoren. Die höhere Inzidenz imAlter wird auch durch die physiologischeAbnahme der Anzahl der Venenklappenmit zunehmendem Alter erkärt [24].

Die sekundäre Varikose entsteht alsFolge einer zunehmenden Volumsbela-stung des oberflächlichen Venensy-stems, das bei einer Thrombose des tie-fen Venensystems bzw. bei dem post-thrombotischen Syndrom als Umge-hungskreislauf dient. Diese erhöhteVolumsbelastung führt zu einer Dila-tation des oberflächlichen Venensys-tems und daraus resultierend zu Schluß-unfähigkeit des Klappensystems.

Inzidenz

Die Varikose der unteren Extremität istin allen Industrieländern sehr weit ver-breitet. Die Inzidenzraten betragen jenach Studie und Land zwischen 15%und 25% der Bevölkerung [5].

Diagnostik und Interventionen am VenensystemRadiologe1998 · 38:554–559 © Springer-Verlag 1998

Zusammenfassung

Die Varikose der unteren Extremität ist eine

häufige Erkrankung mit großer volkswirt-

schaftlicher Bedeutung. Neue, gezielt auf das

individuelle Befallsmuster ausgerichtete

Operationsmethoden, wie die endoskopi-

sche Perforansligatur, verlangen eine präzise

präoperative bildgebende Diagnostik. In die-

sem Beitrag werden die zur Verfügung ste-

henden Methoden, wie aszendierende Phle-

bographie (AP), farbkodierte Duplex-Sono-

graphie (FCDS) und deszendierende Phlebo-

graphie dargestellt und hinsichtlich ihrer

Wertigkeit analysiert. Darüberhinaus werden

mögliche Varianten des oberflächlichen Ve-

nensystem und die radiologischen Befunde

erläutert. Das oberflächliche Venensystem

zeichnet sich durch eine ausgeprägte Varia-

bilität aus. Auch aus diesem Grund ist es

wichtig, die individuelle Situation bei jedem

Patienten genau zu erfassen, damit ein ge-

eignetes operatives Vorgehen geplant wer-

den kann.

Durch die kombinierte Anwendung von AP

und FCDS können bei Patienten mit Varikose

suffiziente und insuffiziente Venenabschnit-

te präzise identifiziert werden.

Schlüsselwörter

Venen · Varikose · Phlebographie ·

Sonographie

Dr.T. ZontsichUniversitätsklinik für Radiodiagnostik Wien,

Abteilung für konservative Fächer,

AKH,Währingergürtel 18–20, A-1090 Wien&/fn-block:&bdy:

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T. Zontsich · K.Turetschek · M. Baldt

Preoperative imaging of varicesof the lower extremity classical patternof insufficiency and clinical utility

Summary

Venous varicose are one of the most com-

mon diseases in industrial countries today.

New surgical strategies, tailored to a pa-

tient’s specific pattern of venous in-

competence require more detailed preope-

rative imaging.

Methods: In this review of current literature

we analyzed the value of ascending veno-

graphy, color coded duplex sonography and

descending venography for preoperative

planning of varicose surgery. On the other

hand, we describe variant anatomy of the su-

perficial venous system like the different lev-

els of escape points and perforating veins.

Results: Ascending venography and color

coded duplex sonography are both excellent

modalities for detection of reflux in the sa-

phenofemoral and saphenopopliteal junc-

tion.The results of current literature indicate,

that ascending venography is superior to co-

lor coded duplex sonography in the detec-

tion of incompetent perforators.

Conclusion: Ascending venography and color

coded duplex sonography provide improved

information, that may be crucial for surgical

planning.The high heterogeneity and broad

distribution of valvular incompetence con-

firmes the importance of detailed preopera-

tive imaging.

Key words

Veins · Varicose · Venography · Ultrasound

on.Wenn der Verdacht auf eine insuffizi-ente Perforansvene aufgrund der Er-gebnisse von AP oder FCDS geäußertwurde, wurde eine Perforansligaturdurchgeführt. Mit der AP wurden 90%der insuffizienten Perforansvenen dar-gestellt, während die FCDS lediglich63% der Perforansinsuffizienten dia-gnostizierte.

Eine Untersuchung von Valentin etal. [20] an 21 Patienten zeigte, daß mitFCDS doppelt so viele Insuffizienzender VSP erkannt wurden als mit AP. Da-neben fand sich sonographisch bei14 Fällen eine Insuffizienz der VSM,wogegen diese nur in 8 Fällen mit APerkannt wurde.

Von unserer Arbeitsgruppe [3]wurden 137 Beine bei 112 Patienten un-tersucht und eine sehr gute Überein-stimmung von FCDS und AP bei der Be-urteilung von Stammvarikosen der VSM(Abb. 1) und VSP festgestellt.Wir fandenmit AP und FCDS 254 insuffiziente Perfo-ransvenen, während 51 Perforansinsuffi-zienzen nur mit AP, nicht jedoch mitFCDS festgestellt wurden. Andererseitswurden 15 Perforansinsuffizienzen nursonographisch diagnostiziert. Somitscheint durch eine Kombination von APunf FCDS die größte Treffsicherheit imNachweis von Insuffizienzen im Bereichder oberflächlichen Stammvenen, derSeitenäste und der Perforansvenen, er-reichbar zu sein.

Die deszendierende Phlebographieist bei Patienten mit CVI nach wie vorder „Gold-Standard“ zum Nachweisvon Reflux in den proximalen Venenab-schnitten [1, 11]. Neglen et al. [15] unter-suchten die Wertigkeit der deszendie-renden Phlebographie im Vergleich zuFCDS. Sie verglichen bei 32 Patientendie Ergebnisse beider Methoden mitdem klinischen Schweregrad der CVI.Dabei zeigte sich, daß die FCDS die Ver-teilung insuffizienter Venenabschnitteund die Ausprägung der Klappeninsuffi-zienz im oberflächlichen Venensystemgenauer demonstriert als die deszen-dierende Phlebographie. Lediglich beider Beurteilung einer Klappeninsuffizi-enz im tiefen Venensystem ist die de-szendierende Phlebographie der FCDSüberlegen.Von Masuda et al. [13] wurdeuntersucht, welche Refluxdauer, gemes-sen mit der FCDS bei einer mit der de-szendierenden Phlebographie nachge-wiesenen Klappeninsuffizienz zu beob-achten ist. Es fanden sich in der deszen-

Therapie

Die Therapie der Wahl bei einer Stamm-varikose des oberflächlichen Venen-systems besteht heute unbestritten inKrossektomie und Stripping des vari-kösen Stammes mit Ligatur aller wei-teren insuffizienten Perforantes [4, 18].Lediglich bei Besenreiservarizen wirddie Sklerotherapie bevorzugt. In zu-nehmenem Maße wird heute ein indi-viduelles, auf das Insuffizienzmusterdes Patienten abgestimmtes chirurgi-sches Vorgehen, mit Anwendung selek-tiver bzw. endoskopischer Operations-verfahren, angestrebt [12]. Damit solleine Verringerung der Rezidvraten undeine Erhaltung suffizienter Venenab-schnitte erreicht werden.

Fragen an den Radiologen

Dieses individuelle Vorgehen stellt aberden Radiologen vor umfangreiche Auf-gaben. So ist es nicht mehr ausreichend,nur die Durchgängigkeit des tiefen Ve-nensystems und die Schlußfähigkeitder Klappen des tiefen Venensystemszu beurteilen, sondern es wird ein ex-aktes „Mapping“ aller suffizienten undinsuffizienten obeflächlichen Venenab-schnitte gefordert. Anatomische Vari-anten, wie doppelt angelegte Venenab-schnitte oder Mündungsanomalien derV. saphena magna (VSM) oder V. saphe-na parva (VSP) müssen vor einer Ope-ration exakt festgestellt werden. Für dieendoskopische Ligatur insuffizienterPerforansvenen ist darüber hinausauch eine exakte Lokalisation aller in-suffizienten Perforanten nötig.

Methodik

Als bildgebende Verfahren stehen zurpräoperativen Untersuchung bei Vari-kose heute v.a. die aszendierende Phle-bographie (AP) und deszendierendePhlebographie sowie die Varikographieund die farbcodierte Duplex-Sonogra-phie (FCDS) zur Verfügung [2, 14, 21, 23].

Phillips et al. [16] zeigten in einerStudie an 93 Beinen, daß die FCDS dieKrosseninsuffizienz und die Insuffizi-enz der VSP sicher darzustellen ver-mag. In ihrer Studie wurden 92% allerInsuffizienzen der VSM und VSP mit-tels AP und 95% mittels FCDS korrektdiagnostiziert. Als Referenzmethodediente dabei die chirurgische Explorati-

Radiologe1998 · 38:554–559 © Springer-Verlag 1998

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dierenden Phlebographie 105 Venen-segmente, die einen Reflux zeigten. Vondiesen zeigten 94 eine duplexsonogra-phische bestimmte Refluxzeit von mehrals 0.5 s. Dies ergibt eine Sensitivitätvon 90% für die FCDS. Bei den 38 Ve-nensegmenten, die in der deszendieren-den Phlebographie schlußfähige Klap-pen aufwiesen, fand sich in 32 Fällenduplexsonographisch eine Refluxzeitvon weniger als 0,5 s, was einer Spezifi-tät von 84% entspricht. 6 von dieser 38schlußfähigen Segmenten wiesen sono-graphisch Refluxzeiten zwischen 0,5und 2,0 s auf. Eine Refluxzeit zwischen0,5 s und 2,0 s wurde daher als „Grauzo-ne“ definiert. In diesen Fällen empfeh-len die Autoren eine ergänzende de-szendierende Phlebographie, da in die-sem Kollektiv die meisten falsch-positi-ven sonographischen Befunde gefundenwurden.

Radiologische Befundeund Ergebnisse

Insuffizienzmuster

Die primäre Varikose wird nach Hach[8] folgendermaßen eingeteilt:

Komplette Stammvarikose der VSM

Diese Form der Varikose entsteht durcheine Klappeninsuffizienz im Mündungs-bereich der VSM. Zunächst kommt eshier zu einer Schlußunfähigkeit der

lich. Durch eine Insuffizienz der Mün-dungsklappe kommt es zu einem Refluxim Bereich der saphenopoplitealen Ein-mündung und daraus resultierend zueiner Drucküberlastung der weiter di-stal gelegenen Venenabschnitte. Bei derStammvarikose der VSP werden dreiStadien unterschieden. Stadium 1 be-trifft lediglich die Mündungsklappen(Abb. 2). Bei einem Stadium 2 erstrecktsich die Insuffizienz bis zum Faszien-durchtritt in Höhe des mittleren Unter-schenkeldrittels. Bei einer InsuffizienzStadium 3 ist das gesamte Gefäß vonder Klappeninsuffizienz betroffen. Fürdie Chirurgie der VSP ist die äußerstvariable Lokalisation der Mündung die-ses Gefäßes ein wichtiges Problem.

Inkomplette Stammvarikose

Die inkomplette Stammvarikose ist da-durch charakterisiert, daß eine normale,schlußfähige Klappe im Mündungsbe-reich der VSM oder VSP vorliegt undder proximale Insuffizienzpunkt weiterdistal lokalisiert ist. Diese proximale In-suffizienz kann bei der VSM durch eineinsuffiziente Perforansvene am Ober-schenkel (zumeist eine Dodd-Vene)oder einen insuffizienten Seitenast (V.saphena accessoria lateralis) bedingtsein. In diesen Fällen ist es besonderswichtig, daß die exakte Lokalisation desproximalen Insuffizienzpunktes be-stimmt wird. Im Bereich der VSP findetsich ein proximaler Insuffizienzpunkthäufig im Bereich der May’schen Perfo-ransvene oder bei gleichzeitigem Vor-liegen einer Stammvarikose der VSMdurch eine unsuffiziente Verbindungs-vene zwischen VSM und VSP.

Mündungsklappe, die 0,5–1,5 cm distalder Einmündung der VSM in die V. fe-moralis communis gelegen ist. Ca. 3 cmdistal dieser Mündungsklappe sinddie Schleußenklappen lokalisiert. Beieiner Insuffizienz der Mündungsklap-pe kommt es durch die Drucksteige-rung zu einer Ausweitung der distaldavon gelegenen Venenabschnitte undschließlich zu einer Insuffizienz derweiter distal gelegenen Klappen. Derproximale Insuffizienzpunkt liegt so-mit bei der kompletten Stammvarikoseder VSM immer im Bereich der Mün-dungsklappe. Die Höhe des distalen In-suffizienzpunktes, der dem distalenÜbergang von dem insuffizienten zudem suffizienten Gefäßabschnitt ent-spricht, bestimmt das Stadium der Va-rikose. So wird die komplette Stamm-varikose der VSM nach Hach in 4 Sta-dien eingeteilt. Stadium 1 entsprichteiner isolierten Insuffizienz der Mün-dungs- und Schleußenklappen; im Sta-dium 2 liegt eine Weitstellung des Ge-fäßes bis in das distale Oberschenkel-drittel vor. Im Stadium 3 erstreckt sichdie Dilatation der VSM bis in Höhe desproximalen Unterschenkeldrittels undStadium 4 bedeutet eine Dilatation bisdistal des Sprunggelenkspaltes.

Stammvarikose der VSP

Diese Form wird seltener beobachtetals die Stammvarikose der VSM, dasEntstehungsprinzip ist allerdings ähn-

a b

Abb. 1a,b m FCDS im Krossenbereich einer insuffizienten VSM. In entspannter Lage des Patientenerkennt man einen normalen orthograden Blutfluß in der gering dilatierten VSM (a). Bei Anwendungdes Valsalva Preßversuches zeigt sich ein deutlich turbulenter retrograder Flow (b) und eine deutli-che Zunahme des Durchmessers der VSM

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Seitenastvarikose

Häufig wird auch eine Varikose von Sei-tenästen der oberflächlichen Venen be-obachtet, die meist mit einer Stammva-rikose kombiniert ist. Seltener kann eineSeitenastvarikose aber auch isoliertvorliegen. Am Oberschenkel sind die V.saphena accessoria lateralis und media-lis, am Unterschenkel die hintere undvordere Bogenvene am häufigsten be-troffen. Im Bereich der V. saphena acc-essoria lateralis ist die Lokalisation derMündung besonders wichtig. Es kannhier einerseits eine transfasziale Mün-dung direkt in die V. femoralis commu-nis oberhalb der Mündungsklappe odereine Mündung in die VSM im Sinne ei-nes extrafaszialen Mündungstyps vor-liegen. Die Bedeutung der hinteren Bo-genvene liegt vor allem darin, daß indieses Gefäß die Cockett’schen Perfo-ransvenen münden, die präoperativ zulokalisieren sind.

Seitenastvarikose oder mit Perforanin-suffizienzen kombiniert.

Goren et al. [7] fanden bei 22% derPatienten atypische Insuffizienzen derVSM oder VSP im Sinne einer inkom-pletten Stammvarikose oder einer iso-lierten Seitenastvarikose.

Auch die Verteilung insuffizienterPerforansvenen ist sehr variabel. Han-rahan et al. fanden bei annähernd 50%ihrer Patienten eine Insuffizienz eineroder mehrerer Perforansvenen, welchevorwiegend am Unterschenkel lokali-siert waren. Von unserer Arbeitsgruppe[3] wurden bei der Untersuchung von137 Beinen insgesamt 254 insuffizientePerforansvenen nachgewiesen.Von die-sen Perforansinsuffizienzen waren 219am Unterschenkel und 35 am Ober-schenkel lokalisiert (Abb. 3). 78 insuffi-ziente Perforansvenen stellten einetransfasziale Verbindung zwischen ei-ner medialen Gastrocnemiusvene undder VSM oder der hinteren Bogenvenedar (Abb. 4).

Schlußfolgerungen

Die große Variationsbreite der Varikoseim Verteilungsmuster der insuffizientenVenenabschnitte unterstreicht die Be-deutung der präoperativen Bildgebungbei diesen Patienten. Das chirurgische

Verteilungsmuster

Ebenso wie die normale Anatomie desVenensystems sehr variabel ist, findetsich auch bei der Varikose häufig einunterschiedliches Verteilungsmuster[10, 19]. In der Varizenchirurgie wirdzunehmend versucht, das operativeVorgehen an das individuelle Vertei-lungsmuster insuffizienter Venenab-schnitte anzupassen. Verschiedene Au-toren haben sich mit der Häufigkeits-Verteilung verschiedener Insuffizienz-muster beschäftigt. Hanrahan et al. [9]untersuchten 95 Beine mit venösen Ul-zera hinsichtlich der Verteilung derKlappeninsuffizienzen im oberflächli-chen und tiefen Venensystem und imBereich der Perforansvenen. Die Grup-pe fand heraus, daß in 66% eine Kom-bination von Insuffizienzen in zumin-dest zwei Venensystemen (oberflächli-che Venen und Perforansvenen oderoberflächliche und tiefe Venen odertiefe Venen und Perforansvenen) vor-liegt. Lediglich in 27% der Fälle wareninsuffiziente Venen in nur einem Sy-stem nachweisbar.

In einer anderen Arbeit derselbenGruppe [10] fand sich eine Insuffizienzder Krosse zwar als sehr häufiger Be-fund, allerdings selten isoliert. Zumeistwar die Krosseninsuffizienz mit einer

Abb. 3 m Insuffiziente Perforansvene (Pfeil) aus der V. femoralis profunda, welche ein Varizenkon-volut an der Außenseite des Oberschenkels speist. Dieses Gefäß wurde von Hach als Profunda-Perfo-rans beschrieben

Abb. 2 m Geringe Dilatation des proximalen Ab-schnittes der VSP im Sinne einer InsuffizienzGrad 1. Die Mündung des Gefäßes findet sichca. 3 cm oberhalb des Kniegelenkspaltes (Pfeil)

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ves Bild von sämtlichen suffizienten undinsuffizienten Venenabschnitten erfor-derlich, um ein an das individuelle Ver-teilungsmuster des einzelnen Patientenangepaßtes operatives Vorgehen zu er-reichen. Die uns für diese Aufgabe zurVerfügung stehenden Methoden sindim wesentlichen die AP, FCDS und diedeszendierende Phlebographie. Die de-szendierende Phlebographie ist vor al-lem dann indiziert, wenn die FCDS einezweifelsfreie Beurteilung der Schlußfä-higkeit des Klappenapparates im Be-reich der tiefen Oberschenkelvenennicht erlaubt [1, 11, 13, 15]. Die AP ist derFCDS im Nachweis der Perforansinsuffi-zienzen überlegen. Die FCDS hat aller-dings den Vorteil der fehlenden Invasivi-tät und fehlenden Strahlenbelastung.Darüberhinaus können bei der FCDSinsuffiziente Venenabschnitte und Per-foransinsuffizienzen gleichzeitig direktauf der Haut markiert werden.

Insgesamt zeigt sich, daß durch einekombinierte Anwendung von AP undFCDS die größte Treffsicherheit in derBeurteilung der oberflächlichen Stamm-venen, der Seitenäste und der Perforans-venen zu erreichen ist [3, 16, 20].

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Vorgehen wird zunehmend auf das indi-viduelle Verteilungsmuter der Varikoseabgestimmt. Ziel dieses Vorgehens ist es,alle insuffizienten Venenabschnitte mitallen insuffizienten Perforansvenen zuunterbinden, um so die Rezidivraten zureduzieren. Ein großer Teil der Rezidiv-

Varikosen entsteht, wenn insuffizientePerforansvenen belassen werden. Daherist eine möglichst exakte Erfassungsämtlicher Perforansinsuffizienzen beider präoperativen Diagnotik unabding-bar. Für die endoskopische Perforansli-gatur hat sich die präoperative Markie-rung der insuffizienten Perforanten aufder Haut mit FCDS bewährt [12]. Eineweitere wichtige Aufgabe der präopera-tiven bildgebenden Diagnostik ist, ne-ben dem Nachweis der freien Durchgän-gigkeit und des suffizienten Klappenap-parates im tiefen Venensystem, derNachweis venöser Anomalien. In diesemZusammenhang sind besonders die Va-riationen der saphenofemoralen undsaphenopoplitealen Mündung hervor-zuheben. Von einer distalen Mündungs-anomalie der VSM spricht man, wennsie unterhalb des Hiatus saphenus in dieV. femoralis superficialis einmündet(Abb. 5). Bei Einmündung der VSM indie Vena epigastrica caudalis sprichtman von einer proximalen Mündungs-anomalie. Beide Varianten sind sehr sel-ten, für die operative Planung allerdingsvon größter Bedeutung [8]. Die Mün-dung der VSP ist ausgesprochen varia-bel. Ihre Kenntnis ist ebenfalls für denOperateur von großer Bedeutung [8].

Neben der möglichst vollständigenUnterbindung aller insuffizienten Ve-nenabschnitte wird auch die möglichstgroßzügige Belassung aller suffizientenVenenabschnitte gefordert. Dieses Ve-nenmaterial ist hervorragend für By-pässe geeignet und wird in der Herz-und Gefäßchirurgie benötigt.

Insgesamt ist somit ein möglichstexaktes und vollständiges präoperati-

Abb. 5 m Phlebogramm bei einem Patienten miteiner Stammvarikose der VSM. Auffällig ist dietiefe Einmündung der VSM in die Vena femora-lis communis in Höhe des Trochanter minus

Abb. 4 b Insuffiziente Per-foransvene aus der media-len Gastrocnemiusvene,welche zur hinteren Bo-genvene zieht

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Mitteilung

Prof. Dr. R.W. Günther, Aachen, erhieltdie Ehrenmitgliedschaft des British In-stitute of Radiology.


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