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Berufsgenossenschaft der keramischen und Glas-Industrie ... · PDF fileBegrüßung...

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Berufsgenossenschaft der keramischen und Glas-Industrie Gesetzliche Unfallversicherung
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Berufsgenossenschaft der keramischenund Glas-IndustrieGesetzliche Unfallversicherung

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Lungenkrebs bei Silikose– BK 4112 BKV –Arbeitsmedizinisches KolloquiumBad Reichenhall, 2003

Heft 42der Schriftenreihe„Berufskrankheiten in der keramischen und Glas-Industrie“herausgegeben von der Berufsgenossenschaft derkeramischen und Glas-Industrie, Würzburg

Gesamtherstellung: Konrad Triltsch, Print und digitale Medien GmbH, Ochsenfurt/Hohestadt

1. Auflage 2004

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Berufskrankheiten in der keramischen und Glas-Industrie

Heft 42

Arbeitsmedizinisches KolloquiumBad Reichenhall 2003

Lungenkrebs bei Silikose– BK 4112 BKV –

Diskussionsleitung: Dr. jur. Albert Platz

20. September 2003

Klinik für Berufskrankheiten

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Inhaltsverzeichnis Seite

Begrüßung und Einleitung

Dipl.-Ökon. G. SchloßarekVorsitzender des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Dr. med. W. RaabChefarzt der Klinik für Berufskrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Diskussionsleitung

Dr. jur. A. PlatzHauptgeschäftsführer der Süddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft, Mainz . . 11

Einstufung und Grenzwertfindung, Konsequenzen für die arbeitsmedizinische Vorsorge, BK-Bearbeitung und Sicht der Technik

Dipl.-Ing. F-W. LöfflerHauptgeschäftsführer der Berufsgenossenschaft der keramischen und Glas-Industrie, Würzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Lungenkrebs bei Silikose (Nr. 4112 BKV): Anerkennungsvoraussetzungen.Radiologie. Histologie und kumulative Staubdosis

Prof. Dr. H. J. WoitowitzDirektor des Instituts und der Klinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Gießen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Anerkennung bei Exposition im Steinkohlenbergbau mit anschließender Übertage-Exposition

Prof. Dr. E. Borsch-GaletkeDirektorin des Instituts für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Teilnehmerliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

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Blick ins Auditorium

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Referenten, v.l.n.r: Dr. A. Platz, Prof. Woitowitz, Prof. Borsch-Galetke, Dipl.-Ing.Löffler

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Begrüßung und Einleitung

Dipl.-Ökon. G. SchloßarekVorsitzender des Vorstands

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Namen des Vorstandes der Berufsgenossenschaft Keramik und Glas begrüße ichSie heute in unserer Klinik hier in Bad Reichenhall. Ich hoffe für diejenigen, die ges-tern abend dabei waren, dass Sie einen schönen und einen netten Abend hatten. ImMittelpunkt stand gestern abend unser Hauptgeschäftsführer, Herr Löffler, der 60. Ge-burtstag hatte. Für viele von Ihnen, glaube ich, ist es ja nicht das erste Mal, dass Sieden Weg hier in unsere Klinik gefunden haben. Ich möchte, bevor ich einige inhaltli-che Dinge zum heutigen Kolloquium, aber auch zum Thema Arbeitsschutz sage, be-sonders herzlich stellvertretend für alle, die beiden Referenten des heutigen Tages,Frau Professor Borsch-Galetke, und Herrn Professor Woitowitz, herzlich begrüßen.Aber das ist ja auch bei Ihnen nicht das erste Mal, sondern – man darf fast sagen –Sie sind hier Dauergast und auch Dauerreferenten. Und ich begrüße auch den Mode-rator des heutigen Tages, Herrn Dr. Platz, sehr herzlich. Das Thema des Kolloquiums heute, in diesem Jahr 2003, ist „Lungenkrebs bei Sili-kose“. Damit sind auch zwei Arbeitsschwerpunkte der Klinik genannt. Ich darf daranerinnern, dass wir in diesem Jahr ein 40-jähriges Jubiläum feiern. Im Mai d.J. habeich hier ausgeführt, diese 40 Jahre sind oder waren eine Erfolgsstory für die Klinikund mit Sicherheit auch für die Berufsgenossenschaft. 40 Jahre, in denen vielen Men-schen geholfen werden konnte – Hilfe aufgrund von Erkrankungen oder gegen Er-krankungen, die sie sich im Laufe ihres Arbeitslebens zugezogen haben. Hilfe heisstnun nicht immer Heilung, das wissen wir, aber hoffentlich in der Regel doch Linde-rung. Als der Vorstand vor über 40 Jahren die Entscheidung getroffen hat, eine eigeneKlinik zu bauen, war dies eine sehr weise Entscheidung. Und wir sind als BG Kera-mik und Glas natürlich stolz darauf, dass wir diese Klinik nun auch 40 Jahre erfolg-

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reich geführt haben und da die Arbeitswelt bekanntlich nicht Halt macht und immerwieder neue Probleme entstehen, werden wir alles unternehmen, um den Ruf der Kli-nik zu erhalten. Die Kolloquien, die in Bad Reichenhall in den letzten Jahren durch-geführt wurden, haben in der Fachwelt einen hervorragenden Ruf und haben mit denErgebnissen auch dazu beigetragen, dass der Arbeitsschutz sich ständig verbesserthat. Selbstverständlich kann dies aus unserer Sicht nicht quantifiziert werden. Aber ineiner Kosten-Nutzen-Rechnung kann oder würde der Nutzen mit Sicherheit die Kos-ten deutlich übersteigen. Meine Damen und Herren, letzteres wünsche ich mir und Ihnen auch für speziellheute, dieses Kolloquium, und ich bin sicher, dass Sie nach der Veranstaltung sagenwerden: Es hat sich wieder gelohnt, den Weg nach Bad Reichenhall zu finden.Vielen Dank. Ich darf jetzt Herrn Dr. Raab bitten, die Teilnehmer zu begrüßen.

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Begrüßung

Dr. med. W. RaabChefarzt der Klinik für Berufskrankheiten

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, meine sehr geehrten Damen und Herren,ich freue mich sehr, dass ich Sie heute in Bad Reichenhall in der Klinik für Berufs-krankheiten begrüßen darf und möchte mich für Ihr Erscheinen bedanken. Wir spre-chen heute neuerlich über die Berufskrankheit „Lungenkrebs bei Silikose“. Seit derEinstufung von Quarzfeinstaub als kanzerogen und vor allem seit der Einführung derneuen Berufskrankheit 4112 sind auch neue Fragen aufgetaucht, neue Prob-lemstellungen, die wir lösen müssen. Unsere heutigen Referenten, ganz namhafte Ex-perten auf ihrem Gebiet, werden uns Antworten geben, werden mit uns zusammenAntworten erarbeiten. So wird Herr Dipl.Ing. Löffler berichten, was im Gesundheits-schutz in der Prävention bereits geschehen ist, vor allem was noch geschehen soll.Wir haben mit dieser neuen Berufskrankheit Probleme, sowohl bezüglich der Prä-vention als auch bezüglich der Entschädigungspraxis der Berufskrankheiten. Die Pro-fessoren, Frau Professor Borsch-Galetke und Herr Professor Woitowitz, werden aufFragestellungen im BK-Recht in der Entschädigungspraxis eingehen. Wir wissenviele Detailfragen noch nicht zu handhaben. Was muss geschehen, wenn ein Versi-cherter ein Bronchialkarzinom hat und wir haben nur die histologische Sicherung vonQuarzkristallen oder auch von echten silikotischen Granulomen? Was muss gesche-hen, wenn ein Versicherter ein Bronchialkarzinom bekommt und er jahrelang imuntertägigen Steinkohle-Bergbau tätig war mit anschließender übertägiger Quarz-staubexposition? Es ist ja keine Seltenheit, dass mit Schließung der Zechen dieseLeute dann im Bau-Hauptgewerbe, in der Schwerindustrie, in der Gießerei unterge-kommen sind. Was ist die Brisanz des heutigen Themas im Entschädigungsrecht? DieBrisanz ist ganz einfach die geforderte Gleichbehandlung. Wir können von der All-gemeinheit überhaupt kein Verständnis dafür verlangen, dass wir gleichgelagerte

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Fälle unterschiedlich entscheiden. Wir müssen heute von unseren Experten Antwor-ten, Lösungsvorschläge aufgezeigt bekommen und wir müssen uns bemühen, einenKonsens zu finden. Ich scheue mich nicht, das Wort „Konvention“ zu gebrauchen.Man weiß nie, wie nah man der Wahrheit kommt, aber wir müssen eine Gleichbe-handlung der Fälle anzielen. Ich darf mich an dieser Stelle ganz ausdrücklich bei denReferenten des heutigen Tages bedanken für ihre Bereitschaft, die Themen zu über-nehmen. Wir haben teilweise Neuland und ich weiss, dass die Erstellung, die Erar-beitung der Vorträge recht große Mühe bereitet hat. An die Referenten dafür unserenDank.Herr Dr. Platz, auch bei Ihnen darf ich mich bedanken, dass Sie den Vorsitz und dieDiskussionsleitung übernehmen. Ich habe noch eine kleine Bitte: Wir haben es hierimmer so gehalten, dass wir nach dem jeweiligen Vortrag einige Zusammen-hangsfragen, einige Verständnisfragen direkt mit den Referenten klären. Gegen 11.00Uhr, nach dem 2. Vortrag, ist eine Pause. Dann spricht Frau Professor Borsch-Galetkeund im Anschluss an Frau Professor Borsch-Galetke soll, wie bisher immer, die Ge-neraldiskussion nochmal zu allen drei Themen erfolgen. Herr Dr. Platz, ich darf Siebitten, die Veranstaltung zu eröffnen und bedanke mich bei allen für ihr Erscheinenund wünsche uns eine angenehme, vor allem aber erfolgreiche Diskussion und einenerfolgreichen Verlauf.

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Diskussionsleitung

Herr Dr. jur. A. PlatzHauptgeschäftsführer der SüddeutschenMetall-Berufsgenossenschaft, Mainz

Meine Damen und Herren, auch von mir ein herzliches Willkommen zu der Veran-staltung heute. Herr Dr. Raab, die Veranstaltung ist sicherlich durch Sie gebührend er-öffnet worden. Herr Dr. Raab hat das Spektrum gezeigt, über das wir heute reden wol-len. Ich freue mich, dass so viele zu dieser Veranstaltung gekommen sind. Das zeigt,dass die Tradition, in der diese Veranstaltung steht, angenommen worden ist und auchgeschätzt wird. Es ist gut, wenn wir zu solchen Themen zusammenkommen und unsaustauschen.Meine Damen und Herren, nun bin ich Diskussionsleiter und kein Referent, deshalbbeschränke ich mich auf die wenigen Worte und darf direkt Herrn Löffler bitten, seinEinführungsreferat zu halten.

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Lungenkrebs bei Silikose – BK 4112 BKV –

Einstufung und Grenzwert-findungKonsequenzen für die arbeitsmedizinische VorsorgeBK-Bearbeitung und Sicht der Technik

Dipl.-Ing. F-W. LöfflerHauptgeschäftsführer der Berufs-genossenschaft der keramischen und Glas-Industrie, Würzburg

Vor vier Jahren lautete das Thema des Arbeitsmedizinischen Kolloquiums Bad Rei-chenhall „Kanzerogenität von Quarz – eine Standortbestimmung“. Dieses Thema war damals hochaktuell, weil wenige Monate vorher, am 01. Juli 1999,die Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft den alveolengängigenAnteil von kristallinem Siliziumdioxid-Staub in die Kategorie 1 der Krebs erzeugen-den Arbeitsstoffe eingestuft hatte. Unter anderem stützte sich die MAK-Kommission auf die Monographie der IARCvon 1997 und die dort beschriebenen epidemiologischen Studien. Allerdings betontedie Arbeitsgruppe der IARC, dass eine Kanzerogenität von Quarz nicht unter allenUmständen an den Industriearbeitsplätzen beobachtet wurde. Die Kanzerogenitätkann abhängig sein von relativ spezifischen Charakteristika der kristallinen Silikateoder von externen Faktoren, die zur Beeinflussung seiner biologischen Aktivitätenoder Verteilung seiner variablen Struktur führen (IARC, 1997). Ausdrücklich wird von der Expertengruppe der IARC hervorgehoben, dass „keineausreichenden Beweise für eine Kanzerogenität von Kohlenstaub beim Menschen undkeine diesbezüglichen Beweise in Tierexperimenten vorliegen“. Da aus einer Reihe anderer Studien ebenfalls hervorging „Quarz ist nicht gleichQuarz“, war bereits 1999 abzusehen, dass die Empfehlung der MAK-Kommission inDeutschland kontrovers diskutiert werden würde. Und das Ergebnis zeigt, auch nachvier Jahren intensiver Beratung im AGS ist die Empfehlung der MAK-Kommissionnoch nicht in das Deutsche Gefahrstoffrecht aufgenommen worden. Es soll hier heute nicht wieder die Einstufungsproblematik thematisiert werden, aberda die Einstufung die folgenden Themen immer wieder tangieren wird, ist es wichtig,den aktuellen Stand darzustellen. Dabei hat es einen vergleichbaren Fall bereits vor

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einigen Jahren gegeben, der zu ähnlichen Abläufen geführt hatte. 1990 hatte dieMAK-Kommission die Künstlichen Mineralfasern in die Gruppe III A 2 – heute K 2– eingestuft. Auch damals stützte sie sich auf die Hinweise und Empfehlungen der IARC und aufForschungsergebnisse aus den eigenen Reihen (Pott), die aufgrund von Hypothesen(lang und dünn), Ähnlichkeiten in der chemischen Zusammensetzung zu Asbestfasernund Tierversuchen (i.p.-Test) beruhten. In über mehrere Jahre lange dauernden Aus-einandersetzungen mit der Senatskommission, dem Beraterkreis Toxikologie, demAGS und dem damals zuständigen BMA gelang es der betroffenen Industrie mitUnterstützung von hervorragenden, anerkannten deutschen und ausländischen Wis-senschaftlern sowie durch Initiierung von Forschungsvorhaben diese Einstufungs-kriterien zu relativieren. Inzwischen hat auch die IARC ihre Einstufungsemp-fehlungen bezüglich Glas- und Steinwollefasern revidiert. Heute sind diese inDeutschland verwendeten Glas- und Steinwollefaser-Materialien, die den Produktender 90er Jahre entsprechen, vom Krebsverdacht freigesprochen. Für sie gilt nicht ein-mal der TRK-Wert. Nur für Keramikfasern gilt noch die K 2-Einstufung, aber auchhier gibt es aufgrund aktueller Forschungsergebnisse neue Erkenntnisse. Man kann nur hoffen, dass beim Thema Quarz dieser Expertenstreit nicht genauso verläuft und bald beendet wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch derText aus der Grenzwertbegründung für Quarz in den USA (0,05 mg/m3) durch AMERICAN CONFERENCE OF GOVERNMENTAL INDUSTRIAL HYGIE-NISTS. (Abbildung 1)Grundlage für diese Aussage sind vor allem Studien und Untersuchungen von Per-sonen, die eine Lungenfibrose ohne Quarzexposition haben. Auch solche Personenhaben ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko.

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Abb. 1: Quarz-Lungenkrebs-Silikose/ACGIH 2001

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Der AGS hat im Mai 2002 konstruktive und praxisgerechte Beschlüsse gefasst (Ab-bildung 2).Der aktuelle Stand heute ist, dass seit Mai 2002 dieser AGS-Beschluss dem zustän-digen Ministerium (BMWA) vorliegt, aber bisher nicht im Bundesgesetzblatt veröf-fentlicht wurde. Dabei hatten die für das Gefahrstoffrecht verantwortlichen Minis-terialbeamten den AGS darin bestärkt, Quarz nicht in die TRGS aufzunehmen. Ende2002 kam dann die plötzliche Kehrtwendung, der AGS-Beschluss passe nicht in diegeplante Neufassung der Gefahrstoffverordnung. Das ist ein Kapitel für sich, denndiese neue Gefahrstoffverordnung sollte eigentlich „Gefahrstoffverordnung 2000“heißen, weil die entsprechende EG-Richtlinie bis spätestens Mai 2001 in nationalesRecht hätte umgesetzt werden müssen. Jetzt haben wir bald Ende 2003 und die Ent-würfe dieser neuen Gefahrstoffverordnung, die auch Regelungen zum Quarz enthal-ten sollten, sind wieder zurückgezogen worden. Leidtragender ist die Prävention, denn das bei den Berufsgenossenschaften erarbei-tete Präventionskonzept konnte bisher nicht als TRGS übernommen werden. Das vomAGS empfohlene Sicherheitsdatenblatt liegt als Entwurf ebenfalls vor.Selbstverständlich ist im Zuge der Beratungen zur Einstufung von Quarz-Feinstaubauch die Frage nach der Festsetzung eines TRK-Wertes aufgeworfen worden. Aber bereits anlässlich des Arbeitsmedizinischen Kolloquiums 1999 wurden gezieltePräventionsmaßnahmen formuliert mit der Zielsetzung „Verhütung von Silikosen“,denn durch eine Vielzahl von Forschungsvorhaben war eindeutig nachgewiesen wor-den, dass Silikotiker ein etwa 2-fach erhöhtes Lungenkrebsrisiko im Vergleich zuNicht-Silikotikern haben.

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Abb. 2: AGS-Beschluss zur Einstufung von Quarz-Feinstaub

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Das Auftreten einer Silikose ist von der Höhe der Exposition abhängig, je höher dieExposition gegenüber Quarz-Feinstaub, umso höher der Anteil an Silikotikern. Daeine Überhäufung von Lungenkrebserkrankungen bei Quarz-Exposition nur beigleichzeitig vorliegender Silikose besteht, war die Folgerung, Vermeidung einer Sili-kose verhindert Überhäufungen von Lungenkrebs bei Quarz-Exposition.Für die Prävention gilt deshalb:

– Bereiche festzustellen, in denen heute noch Silikosen vorkommen,– Arbeitsplätze zu benennen, wo der gültige Grenzwert auch heute noch überschrit-

ten wird,– ein Schutzstufenkonzept für diese Gefährdungsbereiche zu entwickeln,– die arbeitsmedizinische Vorsorge (Nachgehende Untersuchungen) zu verbessern.

Von größter Bedeutung ist hierbei die Frage für die Prävention „Wird bei Einhal-tung des seit 1971 gültigen Luftgrenzwertes von 0,15 mg/m3 eine Silikose vermie-den?“. Wie die Entwicklung (Abbildung 3) der BK-Silikose in der Keramik- und Glasin-dustrie während der letzten 50 Jahre zeigt, ist in diesem Bereich sehr erfolgreichPrävention betrieben worden. Gab es Anfang der 50er Jahre noch jährlich über 600neue BK-Renten, liegt die Größenordnung der letzten 10 Jahre bei ca. 15 neuen Sili-kose-Renten. Die Exposition (Abbildung 4) dieser Versicherten, die überwiegend älter als 70 Jahresind, lag insbesondere im Zeitraum 1940–1960. Aus diesem Zeitraum liegen uns

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Abb. 3: Neue Silikose-Renten der Berufsgenossenschaft Glas/Keramik von1950–2002

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Abb. 4: Neue Silikose-Renten 1998–2000 – Beginn der Exposition

Abb. 5: Zusammenhang zwischen Expositionshöhe, Expositionsdauer und Silikose

BG 3: BG der keramischen- und Glasindustrie

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keine Arbeitsplatzkonzentrations-Messergebnisse vor, Experten schätzen die Wertedeutlich höher als den seit 1971 gültigen MAK-Wert. Bestätigt wird dies durch die Studie von Prof. Ulm, die er für die Steinbruchs-BG unddie BG der keramischen und Glas-Industrie durchführte (Abbildung 5). Bei 300 unter-suchten Silikosefällen (1993–2000) der Steinbruchs-BG gab es keinen Fall mit einerdurchschnittlichen Exposition < 0,1 mg/m3. Bei drei von 70 Fällen der BG Glas/Ke-ramik hatte die Auswertung der Expositionsangaben eine durchschnittliche Exposi-tion < 0,1 mg/m3 ergeben. Da die drei Fälle derartig aus dem Rahmen fielen, habe ich mir persönlich die BK-Akten angeschaut und für die „Ausreißer“ nachvollziehbare Erklärungen gefunden.

Fall 1: Die durchschnittliche Exposition laut Studie beträgt 0,07 mg/m3 (Abbil-dung 6).

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Abb. 6: Durchschnittliche Exposition eines Versicherten (Fall 1)

Der Versicherte war 4,5 Jahre im Uranbergbau unter Tage und ca. 32 Jahre als Mon-teur beschäftigt. Für die 4,5 Jahre unter Tage, in denen er nachweislich Trocken-bohrungen durchgeführt hat, wurde als Exposition eine 1,5-fache MAK-Überschrei-tung (0,225 mg/m3) angenommen. Für die 32 Jahre als Monteur wurde eine durchschnittliche Exposition von 0,0375mg/m3 (Viertel MAK-Wert) geschätzt – nicht gemessen –, da er ab und zu mal Lö-cher für Dübel in das Mauerwerk bohren musste. Entscheidend für die Entstehung derSilikose sind die 4,5 Jahre Uranbergbau. Hierbei wurde allerdings die Exposi-tionshöhe von 1,5 MAK-Wert als viel zu niedrig angesetzt. Außerdem wäre natürlichdie Belastung durch die radioaktive Strahlung bei Auftreten eines Lungenkarzinomszu berücksichtigen.

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Dass bei einer kurzen Einwirkungsdauer bei entsprechend hoher Quarzstaub-Kon-zentration die kritische Dosis für eine Silikose erreicht werden kann, ist erwiesen.

Fall 2: Der Versicherte war 25 Jahre gegenüber silikogenen Feinstäuben exponiert(Abbildung 7). Auch hier fällt auf, dass er 2 Jahre unter Tage gearbeitet hat und dieAbschätzung der Bergbau-BG mit einer 1,5-fachen MAK-Wert-Überschreitung zugering erscheint.

Auch die 12 Jahre Tätigkeit als Fördermechanist über Tage sind mit einem ViertelMAK-Wert viel zu gering bewertet. Vollkommen unterbewertet sind die 11 Jahre alsBetriebsschlosser in der Mineralgewinnungs-Industrie, denn gerade Betriebsschlos-ser waren bei der Beseitigung von Betriebsstörungen an Brecher, Mahlanlagen, För-derbändern extrem hohen Konzentrationen an Quarz-Feinstaub ausgesetzt.

Fall 3: Die Expositionsangaben (Abbildung 8) für die Tätigkeit in der Porzellan-industrie sind zutreffend. Ein persönliches Gespräch mit dem Versicherten ergab, dassdie Angaben der Personalabteilung für den Zeitraum von 1955–1964 (10 Jahre) voll-kommen unzutreffend waren. Er war in dieser Zeit in der Quarzsand-Verladung tätigund musste Quarzsand schaufeln und absacken. Eine mehrfache MAK-Wert-Über-schreitung ist nachweisbar, sodass die durchschnittliche Exposition statt bei 0,08mg/m3 bei 0,18 mg/m3 liegt.

Diese Beispiele zeigen, wie wichtig die sorgfältige Ermittlung der Arbeitsanamnesedurch den Technischen Aufsichtsbeamten ist, sowohl für die Zurverfügungstellungvon Daten für Forschungsvorhaben oder z. B. auch bei der BK-Ermittlung. Berück-sichtigen wir die Korrektur der drei Fälle von insgesamt 370 untersuchten Fällen, dieProf. Ulm ausgewertet hat, bin ich der Meinung, bei Einhaltung des MAK-Wertes für

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Abb. 7: Durchschnittliche Exposition eines Versicherten (Fall 2)

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Quarz ist die Gefahr des Auftretens einer Silikose äußerst gering und damit wird injedem Fall ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko verhindert.Bereits Ende 2000 forderte der AGS im Bundesarbeitsblatt die Wirtschaftsbereicheauf, in denen Quarz-Feinstaub-Expositionen stattfinden, Arbeitsplatzdaten für denUA V „Luftgrenzwerte“ zur Verfügung zu stellen, da die Neueinstufung von Quarzdie Erstellung eines TRK-Wertes erforderlich macht. Man erwartete, dass dieser „technikbezogene Luftgrenzwert“, der sich am Stand derTechnik orientiert, zahlenmäßig unter dem derzeit gültigen MAK-Wert liegen sollte.Ein weiteres Argument für die Absenkung war u. a. auch der Vergleich mit den inter-nationalen Grenzwerten. (Abbildung 9) die zum größten Teil unter dem deutschenMAK-Wert liegen. Aus den Bereichen Steine u. Erden, Bau, Bergbau, Stahl, Gieße-reiwesen, Chemie und Glas/Keramik wurden umfgangreiche Daten bis Ende 2002dem UA V zur Verfügung gestellt. Dabei zeigte sich, wie heterogen die Arbeitsplatz-situation in den verschiedenen Industriezweigen ist, sodass schon frühzeitig im UA Vdie Ansicht vertreten wurde, dass mit der Festlegung eines einzigen Luftgrenzwertesdas Problem nicht zu lösen ist. Beispielhaft darf ich anhand der Datenlage aus der Keramik-/Glas-Industrie, die imUA V Anfang 2003 vorgestellt wurde, die Probleme aufzeigen. Dabei waren die Ar-beitsplatzkonzentrationen dieser Industrie im Vergleich zu den bereits genannten In-dustriebereichen zum Teil deutlich niedriger. Abbildung 10 zeigt die Quarzstaubwerte (90 % Perzentil) aller Branchen von 1988bis 1999. Deutliche „Ausreißer“ zeigen sich in dem Zeitraum 1990 bis 1993, in demder Messtechnische Dienst der BG verstärkt in den neuen Bundesländern Messungendurchgeführt hat. Deshalb ist ein derartiger Datenpool zur Beschreibung des Standesder Technik ungeeignet.

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Abb. 8: Durchschnittliche Exposition eines Versicherten (Fall 3)

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Abb. 9: Internationale Grenzwerte für Quarz (Fall 3)

Abb. 10: Quarzstaubwerte in der Glas- und Keramik-Industrie von 1988–1999

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Wir haben aus diesem Grund in den Jahren 1998 und 2000 ein Sondermesspro-gramm in 61 Betrieben durchgeführt mit insgesamt 706 Arbeitsplatzmessungen. (Ab-bildung 11)Es wurde nur in neuen modernen Betrieben bzw. an Arbeitsplätzen, die mit modernerLüftungstechnik nachgerüstet waren, gemessen. Deutlich wird, dass in einigen Ge-werbszweigen, wie z.B. Glas, die Arbeitsplatzkonzentration deutlich (3-fach) unterdem MAK-Wert liegt, dagegen im Gewerbszweig „Rohstoffe“ auch heute der Luft-grenzwert nicht eingehalten wird.Nochmals zur Erinnerung, dies sind nur Werte aus modernen Betrieben. Da sich diewirtschaftliche Lage in den letzten 10 Jahren in der Keramik- und Baustoff-Branchesehr negativ entwickelt hat, gibt es eine Vielzahl gerade kleinerer und mittlerer Be-triebe, die nicht in der Lage war, notwendige Investitionen für die Entstaubungstech-nik durchzuführen. Eine deutsche Ziegelei mit einem durchschnittlichen Umsatz von ca. 4 Mio. € – nichtGewinn – müsste ca. 300.000 bis 400.000 € investieren, um in der Aufbereitung eineArbeitsplatzkonzentration von 0,1 mg/m3 einhalten zu können. Verteilt man die Messwerte des Sondermessprogrammes auf Arbeitsbereiche (Abbil-dung 12) sieht man, dass im Arbeitsbereich „Aufbereitung“ der Grenzwert nicht ein-gehalten wird. Da aber in allen Bereichen in der Keramikindustrie, ob Rohstoff-, Ziegel-, Fliesen-oder Porzellanindustrie, am Anfang des Produktionsprozesses eine Abteilung „Auf-bereitung“ vorhanden ist, kann somit ein Wert von 0,15 mg/m3 in derartigen Betrie-ben nicht eingehalten werden.

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Abb. 11: Quarzstaubwerte in der Glas- und Keramik-Industrie – Sondermesspro-gramm

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Abb. 12: Quarzstaubwerte in den Arbeitsbereichen – Sondermessprogramm

Obwohl in der Porzellanindustrie (Abbildung 13) sehr erfolgreich die Quarzstaub-Be-lastung verringert werden konnte, ist die Aufbereitung trotz moderner Entstaubungs-technik weiterhin ein Problemfeld. Der Quarzanteil in der A-Fraktion (Abbildung 14) des silikogenen Feinstaubes in derGlas/Keramik-Industrie liegt bei ca. 10 Gew.%. Bei einem Staub mit einem Quarz-gehalt von 10 Gew.% darf die A-Staub-Konzentration (Allgemeiner Staubgrenzwert)nicht über 1,5 mg/m3 liegen. (Abbildung 15)Bei der Festlegung des Allgemeinen Staubgrenzwertes von 3 mg/m3 wurde eine Aus-nahmeregelung u.a. für die Aufbereitungsanlagen in der Keramikindustrie von 6 mg/m3 zugelassen, weil man nachweisen konnte, dass mit dem heutigen Stand derTechnik 3 mg/m3 nicht erreichbar sind. Ein weiteres Problem stellt die Probenahme und Analytik der Materialproben dar.Dies soll anhand der Abbildung (Abbildung 16) verdeutlicht werden, in der die Ab-hängigkeit der relativen Nachweisgrenze von Quarz (mg/m3) von der A-Staub-Kon-zentration dargestellt ist. Wenn z.B. in einem Arbeitsbereich die A-Staub-Konzentration 3 mg/m3 (punktierteKurve) beträgt, kann die Nachweisgrenze der Quarzbestimmung den Wert von 0,03mg/m3 nicht unterschreiten. Mit diesem Nachweis kann man also nur qualitativ Quarz(Ja/Nein-Entscheidung) bestimmen, eine sichere Quantifizierung (Bestimmung) isterst ab 0,1 mg/m3 (Abbildung 17) möglich.Bezogen auf die A-Staub-Verhältnisse in den Aufbereitungsanlagen der Glas/Keramik-Industrie, wäre die Bestimmungsgrenze 0,075 mg/m3, d. h. aufgrund der Messtechnikkann der Luftgrenzwert hier nicht unter 0,075 mg/m3 festgelegt werden (Abbildung 18).

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Abb. 14: Quarzgehalt in der A-Fraktion des Staubes

Abb. 13: Quarzstaub in der Porzellanindustrie – Sondermessprogramm

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Abb. 15: Zusammenhang A-Staubkonzentration und Quarzgehalt

Abb. 16: Relative Nachweisgrenze für Quarz

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Abb. 17: Einfluss der A-Staubkonzentration auf die Quarzbestimmung

Abb. 18: Nachweis bzw. Bestimmungsgrenze in der Glas- und Keramik-Industrie

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Die aufgezeigten Probleme haben zu dem Vorschlag geführt, dass neben einem fest-zulegenden Luftgrenzwert, der nicht unter 0,075 mg/m3 liegen kann, ein Jahres-Do-sis-Wert gelten soll für die Arbeitsplätze, bei denen die Konzentration über 0,15mg/m3 liegt. Aus Sicht der Prävention ist dies ein gangbarer Weg, da für die jeweiligen Arbeits-plätze bzw. Tätigkeiten eine Dosis vergleichbar der BIA-BG-Empfehlung ermitteltund festgelegt werden kann. Nicht praktikabel ist eine individuelle Berechnung undDokumentation zur Überprüfung der Jahres-Dosis. Die Jahres-Dosis ist definiert alsdie Menge Quarz-A-Staub, der ein Versicherter während eines Jahres ausgesetzt ist,berechnet als mg/m3 ¥ Jahre. Zurzeit befindet man sich im UA V noch im Stadium der Meinungsbildung und hatnoch keinen Zahlenwert für die Jahres-Dosis genannt. Trotzdem weise ich schonheute darauf hin, dass die Vorschläge zur Berechnung der Dosis, indem man z.B.stundenweise Expositionen auf Schichten pro Jahr umrechnet sowie verschiedene Tä-tigkeiten mit unterschiedlichen Expositionshöhen berücksichtigen muss, in Klein-und Mittelbetrieben nicht verständlich gemacht werden können und damit auch nichtumgesetzt werden. Dieses als Entwurf vorliegende, komplizierte und umständliche Rechenwerk wirdselbst die Aufsichtsdienste der Gewerbeaufsicht und der Berufsgenossenschaftenüberfordern. Wie soll das dann ein Unternehmer eines Klein- oder Mittelbetriebesverstehen und für seinen Betrieb umsetzen? Derartige Regeln müssen für die verständlich gemacht werden, die vor Ort für denArbeitsschutz verantwortlich sind und die Regelwerke in die Praxis umsetzen müs-sen, denn sonst steht das nur auf dem Papier, die Arbeitsplatzsituation verbessert sichaber nicht. Nach dem Beschluss des AGS, dass alveolengängiger Quarz-Feinstaub humankanze-rogen ist, stellte sich die Aufgabe, inwieweit „Nachgehende Untersuchungen“ für dieQuarzstaub exponierten Personen einzuführen sind. Die Erfahrungen mit dem Kol-lektiv, das von Odin oder der ZAS mittels „Nachgehender Untersuchungen“ betreutwird, hat gezeigt, dass ohne Kenntnis der individuellen Lebens-Dosis keine effektivenachgehende Betreuung gewährleistet ist. So werden z.B. Versicherte, die nur drei Monate gegenüber Asbest exponiert waren,ohne Berücksichtigung der Expositionshöhe „Nachgehenden Untersuchungen“unterzogen. Da bei einer derart kurzen Asbestexposition in über 80 % der Fälle keine25 Faserjahre zustande kommen, kann man einem betroffenen Versicherten nicht ver-mitteln, dass einerseits „Nachgehende Untersuchungen“ durchgeführt wurden, ande-rerseits ein Lungenkrebs als BK nicht entschädigt wird, weil die 25 Faserjahre nichterreicht werden. Deshalb sollten die „Nachgehenden Untersuchungen“ für Quarzstaub Exponierte soorganisiert werden, dass aus

– Betriebsart, Arbeitsbereich, Tätigkeit,– Expositionszeit und– Expositionshöhe aus einem branchenspezifischen Quarzkataster

die individuelle Quarz-Lebens-Dosis errechnet werden kann (Abbildung 19).

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Auf die Nachteile bzw. Probleme des derzeitigen Verfahrens der arbeitsmedizinischenVorsorge, die aufgrund der Expositions-Vorbedingungen ausgelöst wird, ist Prof.Bauer anlässlich der Falkensteiner Tage 2000 in seinem Vortrag „Ermittlungen ku-mulativer Belastungen als Maßnahme des präventiven Gesundheitsschutzes“ aus-führlich eingegangen. So weist er u.a. auf den Vorteil des Dosis-Modells hin, dass Beschäftigte, an derenArbeitsplätzen aufgrund erfolgreicher Präventionsarbeit die Einhaltung des Luft-grenzwertes nachgewiesen wird, aus der Vorsorge herausfallen, unabhängig von dervorangegangenen Exposition. Bei Anwendung des Dosis-Modells würde bei Über-schreiten eines Dosis-/Schwellen-Wertes für diese Beschäftigten auch weiterhin einequalifizierte Betreuung durchgeführt. Unter Federführung von Herrn Dipl.-Ing. Sonnenschein hat sich eine Arbeitsgruppedes AK 4 „Berufsbedingte Gefährdung der Lunge“ mit der Aufstellung von Exposi-tionskatastern befasst, die zur Ermittlung der individuellen Quarz-Lebens-Dosis not-wendig sind. Das Konzept liegt vor und hat im AK 4 breite Zustimmung gefunden. Dabei mussdeutlich herausgestellt werden – die Anwendbarkeit steht und fällt mit der Erweite-rung der Datenbasis. Das Ganze zielt vornehmlich auf die Einleitung von „Nachge-henden Untersuchungen“ nach einheitlichen Vorgabekriterien und insbesondere fürspezielle Hochrisikogruppen und ist nicht für die konkrete BK-Beurteilung geeignet. Als Dosis-/Schwellen-Wert wäre z. B. eine Quarz-Feinstaub-Dosis von 2 mg/m3 ¥Jahre zu diskutieren, da die DFG und der Beraterkreis „Toxikologie“ des AGS die

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Abb. 19: Ermittlung der Quarzfeinstaub-Exposition

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Meinung vertritt, dass bei einer Exposition von 0,05 mg/m3 ¥ 40 Expositionsjahre mitca. 4% Silkose-Erkrankten zu rechnen ist. Die Berufsgenossenschaften sind in Zusammenarbeit mit dem Hauptverband gefor-dert, branchenspezifische Daten zu erfassen und fortzuschreiben. Hierzu ist seitensdes BIA bereits eine Arbeitsgruppe mit der Fortschreibung des Quarzreports befasst. Die Berufsgenossenschaft der keramischen und Glas-Industrie hat ebenfalls die not-wendigen Schritte eingeleitet und die Daten für die Gewerbszweige Ziegelei und Por-zellan erfasst (Abbildung 20).Mit Hilfe dieser Daten würde sich beispielhaft für einen Beschäftigten in der Por-zellanindustrie folgende Quarz-Feinstaub-Dosis (Abbildung 21) errechnen.Das Beispiel (Abbildung 22) zeigt, dass ein Versicherter ohne Silikose, der 19 Jahreeine durchschnittliche Exposition von 0,28 mg/m3 (Quarz-Feinstaub-Dosis6,1 mg/m3¥Jahre) hatte, sicherlich zu der Gruppe der „Nachgehenden Untersuchun-gen“ gehört. Der Umkehrschluss, dass man ab einer bestimmten Dosis bei Auftreten eines Lun-genkrebses automatisch auf die BK 4112 „Lungenkrebs durch die Einwirkung vonkristallinem SiO2 bei nachgewiesener Silikose“ schließt, darf auf keinen Fall gezogenwerden.Die Aufsichtspersonen der Berufsgenossenschaften haben die verantwortungsvolleAufgabe, im BK-Verfahren die Arbeitsvorgeschichte des Versicherten und die Expo-sitionsverhältnisse zu recherchieren. Die Ermittlungen und Stellungnahmen sind dabei besonders wichtig, weil sie die Be-urteilungen und Entscheidungen der BK-Sachbearbeiter, der Gutachter, der Renten-

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Abb. 20: Expositionskataster Porzellanindustrie

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Abb. 21: Ermittlung der Quarzfeinstaubdosis

Abb. 22: Durchschnittliche Exposition eines Versicherten

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und Widerspruchsausschüsse sowie der Sozialgerichte wesentlich beeinflussen undnicht selten deren Entscheidungsgrundlage bilden.An den drei Fällen aus der epidemiologischen Studie von Prof. Ulm, die fehlerhafteBewertungen der Expositionsverhältnisse enthielten, habe ich bereits dargestellt, wel-che falschen Rückschlüsse und Bewertungen dies zur Folge haben kann. Im BK-Fest-stellungsverfahren für die BK 4112 ist besonders sorgfältig zu ermitteln. Ich will diesan zwei Beispielen zeigen (Abbildung 23).

Fallbeispiel 1:Dieser Fall wird als BK 4112 entschädigt.

Wie ist aber in dem Fallbeispiel 2 zu verfahren?Laut Angabe der Bergbau-BG beträgt die durchschnittliche Exposition unter Tage 1,5MAK = 0,225 mg/m3. Die kumulative Dosis für die 21 Jahre Bergbau-Tätigkeit be-trägt 4,25 mg/m3 ¥ Jahre. Für die 20-jährige Tätigkeit in der Glasindustrie errechnetsich eine kumulative Dosis von 1 mg/m3 ¥ Jahre. Welche Exposition hat die im Jahr2001 festgestellte Silikose verursacht? Diese Frage hat nicht der Technische Aufsichtsdienst zu beantworten, und so hoffeich zur Lösung solcher Probleme auf Hinweise in den Beiträgen der nachfolgendenReferenten. Für den Technischen Aufsichtsdienst möchte ich abschließend folgendeBearbeitungshinweise geben:

1. Sorgfältige Prüfung der Arbeitsvorgeschichte, ob die Tätigkeit im Steinkohlen-bergbau stattgefunden hat.

2. Anfrage bei Bergbau-BG, ob eine Gefährdung im Sinne BK 4112 vorgelegen hat,z.B. Schacht- oder Gesteinshauer, Erzbergbau, Expositionsverhältnisse.

3. Quarzjahre berechnen, sofern „gemischte Exposition“ vorgelegen hat.

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Abb. 23: Fallbeispiele

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4. Dokumentation der Fälle über den Hauptverband, um weitere Kenntnisse zu ge-winnen.

5. Frühzeitige und gleichzeitige Prüfung, ob evtl. andere Gefährdungen vorliegen,z.B. BK 4104, BK 2402.

Literatur

Ulm K. et al: Quarzexposition, Silikose und Lungenkrebs, I Beschreibung der Studie,Ergebnisse der Mortalitätsanalyse (1999)

Ulm K. et al: Quarzexposition, Silikose und Lungenkrebs, II. Angaben zur Exposition(1999)

Bauer H.-D.: Ermittlung kumulativer Belastungen als Maßnahme des präventiven Ge-sundheitsschutzes, Falkensteiner Tage 2000

BIA-Report 7/97: Quarz am Arbeitsplatz, HVBGAmerican Conference of Governmental Industrial Hygienists: Silica, Crystalline-

Quartz, TLV-TWA, 0,05 mg/m3, A2 – Suspected Human Carcinogen ACGIH(2001)

Raab, Drexel, Stegbauer: Silikosekrebs, Trauma und Berufskrankheit, 1/2003,119–122

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Dr. Platz:Vielen Dank, Herr Löffler, Sie haben einen weiten Bogen gespannt von der Exposi-tion bis hin zu den Folgerungen, die daraus zu ziehen sind. Ich darf jetzt zunächst bit-ten, so wie Herr Dr. Raab am Anfang vorgeschlagen hat, dass wir zu dem Vortrag vonHerrn Löffler Zusammenhangsfragen, Verständnisfragen oder Vertiefungsfragen stel-len und die Gesamtdiskussion dann zum Ende hin verschieben. Haben Sie Fragen zudem, was Herr Löffler gesagt hat? Sie, Herr Löffler, sind sehr ins Detail gegangen anvielen Stellen. Es scheint aber alles offenbar sehr gut verstanden und aufgenommenworden zu sein. Wir haben hier die Chance, auf jeden Fall danach noch die Einzel-heiten zu diskutieren.

Dr. Jeremie, Norddt. Metall-BG, Hannover:Eine Frage zu dem Grenzwert von 0,05 mg/m3 in den USA z.B. Die können das na-türlich nicht anders einhalten als hier bei uns auch. Wie wird dann damit umgegan-gen?

Dipl.-Ing. Löffler:Herr Dr. Jeremie, wenn wir versuchen, den Stand der Technik in Deutschland zu be-schreiben, schaffen wir es selbst in den modernen Betrieben nicht überall, in be-stimmten Arbeitsbereichen Grenzwerte immer einzuhalten. Ich habe die Situation nurvon der Keramik- und Glas-Industrie dargestellt, auf dem Bau, in Gießereien und an-deren Wirtschaftszweigen ist dies ebenfalls der Fall. Der Grenzwert ist ein Wert, derauf dem Papier steht. Natürlich sind wir alle gefordert, dass er eingehalten werdensoll. Ich frage mich natürlich auch, wie dies in den USA gehandhabt wird. Bei denGrenzwerten in den EU-Staaten, die eigentlich verbindlich sind, bin ich mir auchnicht sicher, dass dort so penibel überall versucht wird, diese überhaupt einzuhalten,wie das in Deutschland ist. Auch wenn wir uns an die Grenzwerte der früheren DDRerinnern, war das zum Teil genauso. Die hatten niedrigere Grenzwerte als wir, die Ar-beitsplatzsituation war sicherlich schlechter als bei uns.

Dr. Blome, Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitsschutz, St. Augustin:Wir verfolgen natürlich auch in den Staaten wie USA, wie es dort mit der Grenzwert-einhaltung ist. Man muss sagen, ACGIH ist das Gremium, das wissenschaftlich be-gründete Werte ableitet und es ist sehr interessant dann zu sehen, was OSHA, also dieBehörde, die für den realen Arbeitsschutz zuständig ist, dazu aussagt und das sind inder Regel Ausnahme-Paragraphen. Auf die guckt kein Mensch, aber ich glaube, dawürde mancher einen Schweißtropfen auf der Stirn bekommen, wenn er sieht, wasdort per Ausnahme geregelt ist. Herr Löffler, ich habe aber auch noch eine Frage anSie. Aber zuvor wollte ich Ihnen Dank und Glückwunsch sagen für diesen Parforce-ritt, den Sie wirklich durch sehr viele Bereiche des Arbeitsschutzes von der Präven-tion bis zur BK heute geritten haben. Sie haben Vorbehalte angemerkt zu bestimmtenKonzepten der Prävention im Hinblick auf das Dosismodell. Die teile ich voll undganz, aber ich sehe das relativ. Im Vergleich dazu haben wir ja das Schicht-Mittel-wert-Konzept, das eingeführt ist, von dem ich persönlich behaupte, dass es für vieleein Traum ist, an den sie glauben, der aber – wenn die Realität zuschlägt – ganz fürch-

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terlich aussieht. Diese Beurteilungsregel, die ja dahintersteht, die ist von Experten voretlichen Jahren erarbeitet und dann verkündet worden. Hier sage ich mal etwas Pro-vozierendes: Die Verkündigung erfolgte mit dem Rücken zur Gemeinde. Die Ge-meinde, die Betriebe können das sowieso schon nicht mehr verstehen und diejenigen,die es verstehen sollten, nämlich die Messstellen, die sog. akkreditierten Messstellen,bei denen ist es das häufigste Manko, dass sie das auch nicht verstehen. Wie im Übri-gen darf ich an der Stelle mal sagen, dass die Messstellen, diejenigen sind, die denamtlichen Stempel da draufhaben wollen, aber ansonsten auch festgestellt haben, dasssie mit diesen Messungen überhaupt nichts gewinnen können. Bei einigen hat sich dasimmer noch nicht herumgesprochen, die hoffen immer noch darauf. Für mich gibt eszwei Paragraphen der Gefahrstoffverordnung – ich sage mal, das sind für mich vir-tuelle Paragraphen. § 1 ist: Ermittle die Gefährdung und minimiere das Risiko.§ 2 ist: Es gibt technische Regeln. Die kannste anwenden, brauchste aber nicht. Gehlieber zu Immanuel Kant. Der hat nämlich gesagt: Wage den Verstand zu gebrauchen.Und das ist wirklich etwas sehr, sehr Wesentliches und wenn ich dann das mal berück-sichtige und mir das Dosismodell anschaue, dann war die Konzeption die im UA Vdiskutiert worden ist, so, dass hier natürlich Hilfestellungen durch die Berufsgenos-senschaften gegeben werden können, so genannte Tätigkeitsprofile, branchenbezo-gene Tätigkeitsprofile, die erarbeitet werden. Kann nicht ein Unternehmer, wenn ereine Hilfestellung von der BG hat, nicht viel effektiver sehen, wo ist denn genau derSchwachpunkt in meiner Präventionskette? Ich nehme ein Beispiel aus dem Bau: inder TRGS 402 steht, dass diese Schicht-Mittelwert-Sache überhaupt nicht anwendbarist. Die steht dort wirklich nur auf dem Papier. Am Bau ist ein entscheidenderSchwachpunkt der sog. Schlitzer; und dass man dann sagt: Ich versuche anzugeben,dem Unternehmer eine Hilfestellung zu geben, was er in dem Fall machen soll.Die Niederländer haben das gelöst, indem z.B. der Finanzminister Steuererleichte-rungen gegeben hat. Ich denke, in Deutschland müssen wir BG’en einspringen undan der Stelle z.B. geprüfte Geräte ins Spiel bringen und dem Unternehmer sagen,wenn du die Geräte einsetzt, dann hast du deinen wesentlichen Schwachpunkt besei-tigt oder zumindest minimiert. Wäre unter dem Aspekt, Herr Löffler, und jetzt meineFrage nochmal, das nicht wirklich ein Konzept, wenn man es auf Praxisnähe hin-trimmt, etwas das den Betrieben und dem Arbeitsschutz dienen könnte?

Dipl.-Ing. Löffler: Das habe ich ja zum Ausdruck bringen wollen, als ich sagte, es darf nicht zu kompli-ziert sein für den kleinen Unternehmer. Und wenn wir die Hilfestellung geben, dannso, dass er es versteht und wir sinnvolle Kriterien aufstellen und geeignete Informa-tionen geben, da stimme ich Ihnen zu. Ich unterstütze das Dosismodell. Nur, mein Ap-pell war, macht es nicht so kompliziert, dass es nachher keiner mehr anwenden willund versteht. Das war eigentlich die Botschaft dabei.

Herr Dr. Platz:Gut, vielen Dank. Wir sind wunderbar in der Planung. Ich darf zum nächsten Vortragaufrufen und Herrn Professor Woitowitz das Wort erteilen.

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Lungenkrebs bei Silikose (Nr. 4112 BKV):Anerkennungs-voraussetzungen. Radiologie. Histologie und kumulative Staubdosis

Professor Dr. H.-J. WoitowitzDirektor des Instituts und derPoliklinik für Arbeits- und Sozialmedizinder Universität Gießen

Herr Vorsitzender, meine sehr verehrten Damen und Herren. Auch ich darf Ihnen allen zunächst ein herzliches “Grüß Gott” sagen und mich beimVorstand, bei Herrn Schloßarek und bei der Geschäftsführung, sehr verehrter Herr Direktor Löffler und ebenso bei meinem Kollegen, Herrn Chefarzt Dr. Raab, herzlichfür die erneute Einladung bedanken. Herr Raab hat schon recht, und ich glaube, ichdarf hier gleichfalls für Frau Professor Borsch-Galetke sprechen: Die Themen, dieheute im Mittelpunkt stehen, haben es in sich. Wir mussten wohl beide, liebe FrauBorsch-Galetke, wohl nicht nur Tage, sondern auch Nächte dazu verwenden, um Ih-nen diejenigen Antworten zu geben, die Sie heute erwarten. Obwohl Herr Löffler schoneinen kurzen Rückblick gegeben hat, lassen Sie mich bitte der Reihe nach beginnen.

Kennzeichen der Legaldefinition und der Diagnose

Sie wissen, dass vor fast einem Jahr, am 13. September 2002, im Bundesgesetzblattfolgende Erweiterung der Listenkrankheiten als Nr. 4112 veröffentlich wurde:„Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO2) bei nach-gewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Siliko-Tuberkulose)“. DieseVerordnung trat dann am 01. Oktober letzten Jahres in Kraft. Die erste Frage lautet nun: Gibt es spezifische Kennzeichen der Legaldefinition? Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die medizinischen Begriffe Lungenkrebs undBronchialkarzinom synonym gebraucht werden. Legale Kennzeichen sind nun einmal– wie gesagt – Bronchialkarzinom in Verbindung mit nachgewiesener Silikose. Beidieser „Nachweispflicht“ berühren wir Interessenschwerpunkte, ich sage es einmal,Herr Dr. Platz, der sozialjuristischen Fachkompetenz.

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Eine weitere Antwort ist es, dass wir heute nicht auf spezifische medizinische Kenn-zeichen für den durch Quarzstaub verursachten Lungenkrebs zurückgreifen können.Dies gilt weder hinsichtlich seiner Verursachung und seiner Lokalisation noch hin-sichtlich seiner Histologie. Es lässt sich also nicht sagen: Dieser Bronchialkrebs istdurch das Zigarettenrauchen verursacht oder er ist durch Quarzstaub verursacht oderdurch Asbestfaserstaub, Arsen oder was es sonst noch als weitere Lungenkrebs ver-ursachende Listenstoffe gibt. Wie Sie wissen, enthält das geltende Berufskrankheiten-Recht insgesamt nicht weniger als 10 Listenkrankheiten für den Lungenkrebs infolgearbeitsbedingter Ursachen. Drittens ist zu sagen: Alle histologischen Wachstumsmuster des Bronchialkarzinomskommen vor. Es lässt sich beispielsweise nicht behaupten, ein Plattenepithelkarzinomist durch Quarz verursacht oder ein kleinzelliger Lungenkrebs ist nicht durch Quarzverursacht. Es gibt somit beweisrechtlich keine spezifischen Kennzeichen.Die nächste Frage betrifft die Kennzeichen der Diagnose. Hierbei gilt: Die DiagnoseSilikose ist röntgenologisch zu stellen. Nicht nur in der Arbeitsmedizin, sondern auchin der Pneumologie und Radiologie weiß der Erfahrene, dass man bei einer silikose-typischen Lungenzeichnung im Röntgenbild als Voraussetzung für die Diagnose einequalifizierte Arbeitsanamnese benötigt. Herr Löffler hat die Bedeutung dieser Ermitt-lungsarbeit geradezu exemplarisch herausgestellt, vielleicht, weil in der Praxis inso-fern nicht selten große Mängel zu konstatieren sind. Selbstverständlich ist stets dieDifferentialdiagnose zu berücksichtigen. Es gibt andere noduläre Lungenerkrankun-gen, die im Röntgenbild mit der Silikose verwechselt werden können, wie z.B. dieSarkoidose. Keinesfalls zu unterschätzen ist die Fortentwicklung der Computertomographie, diebisher zwar vornehmlich für die Früherkennung des Bronchialkarzinoms eingesetztworden ist, nicht zuletzt aber auch der Differentialdiagnose der Silikose dient. Zu nen-nen ist an dieser Stelle beispielsweise die stets anzeigepflichtige Hilus-Silikose. Ar-beitsmedizinisch unterscheiden wir bekanntlich bei den Berufskrankheiten die Lun-gensilikose von der Hilussilikose. Soviel zu den Kennzeichen der Diagnose im Rönt-genbild.

Die wissenschaftliche Begründung

Die neue Berufskrankheit hat in unserer „Sektion Berufskrankheiten“ die übliche,ausführliche wissenschaftliche Begründung erfahren. Wir haben sie im Bundesar-beitsblatt veröffentlicht. Beachten Sie bitte, wie viel Mühe hierfür aufgewendetwurde: Seite 37 bis 59, also mehr als 20 Seiten im üblichen Kleindruck des Bundes-arbeitsblattes. Darin enthalten sind die wesentlichen Fakten und Inhalte. Folgendeslässt sich sagen: Dieser neuen Berufskrankheit liegen die von Herrn Löffler schon ge-nannten internationalen und nationalen Einstufungen des alveolären Anteils vonQuarzstaub (A-Staub) als für den Menschen gesichert Lungenkrebs erzeugendem Ar-beitsstoff zu Grunde. Ich komme hierauf zurück, obwohl wir den Themenkomplex andieser Stelle vor 4 Jahren schon einmal diskutiert haben. Für Ihr tieferes Verständniskann es aber sicherlich hilfreich sein, die wichtigsten Tatsachen noch einmal vor Au-gen geführt zu bekommen. Es liegen wichtige pathomechanistische Erkenntnisse vor.

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Besonders zu beachten ist, dass die Krebs erzeugende Wirkung des Quarzstaubesheute als Paradebeispiel für alle granulären Stäube mit einer hohen Biobeständig-keit gilt. Die Bezeichnung „granulär“ dient zur Abgrenzung der nicht faserförmigenvon den faserförmigen Stäuben. Das Problem der krebserzeugenden Potenz derar-tiger granulärer Stäube stellt mit Sicherheit ein zentral wichtiges Thema, Herr Raabund Frau Kotschy, für irgendein arbeitsmedizinisches Kolloquium in nächster Zu-kunft dar. Es bedrückt die arbeitsmedizinisch-toxikologische Wissenschaft in be-sonderem Maße. Quarz mit seiner hohen Beständigkeit im menschlichen Orga-nismus und ausgeprägt zellzerstörenden Wirkung (Zytotoxizität) gilt hierfür als dasParadebeispiel.Schließlich sind die weltweiten epidemiologischen Forschungsergebnisse zu würdi-gen. Sie beziehen sich aber schwerpunktmäßig auf den Zusammenhang zwischen derErkrankung an Silikose und dem Auftreten eines Lungenkrebses, d.h. nicht auf dieZusammenhänge zwischen der kumulative Dosis eingeatmeter alveolengängigerQuarzstäube und dem Auftreten dieses Tumors. Damit sind die drei kardinalen Punkte aus unserer ausführlichen wissenschaftlichenBegründung der neuen Berufskrankheit Nr. 4112 BKV zusammenfassend angespro-chen. Lassen Sie mich dies bitte nun im einzelnen noch etwas untermauern.

Die internationalen Einstufungen des Quarz A-Staubes als Humankanzerogen

Bei den internationalen Einstufungen des kristallinen Siliziumdioxids als für denmenschen gesichert Lungenkrebs erzeugend ist das Adjektiv „kristallin“ zu beachten.Es dient als Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem amorphen SiO2. KristallinesSiliziumdioxid ist zunächst 1997 von der IARC, d.h. der internationalen Krebsagen-tur der Weltgesundheitsorganisation in Lyon, in die Gruppe I der gesichert für denMenschen krebserzeugenden Stoffe eingestuft worden. Ein Jahr später hat in denUSA ein Subcommittee des National Toxicology Program (NTP) die Höherstufungnachvollzogen. Der alveoläre Anteil von kristalliner Kieselsäure (silica) wurde damitebenfalls als gesichert für den Menschen krebserzeugend charakterisiert. Wir sinddann ein Jahr später in der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft(DFG) zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe – Sie kennen sie als MAK-Kommission – zu einem vergleichbaren Ergebnis gelangt. Die zugehörige Begrün-dung umfaßt etwa 60 Druckseiten. Das Problem dabei mag sein, dass eine derart aus-führliche wissenschaftliche Begründung von der Praxis kaum studiert und manchmalvielleicht auch nicht verstanden wird. Als Endresultat ergab sich eindeutig die Höher-stufung des alveolären Staubanteils von kristallinem Siliciumdioxid (Quarz, Cristo-balit und Tridymit) als für den Menschen gesichertes Kanzerogen (Kategorie I). Welches sind nun die Hauptgründe der Kommission, die drei Eckpfeiler für die K I-Einstufung?

Pathomechanistische, tierexperimentelle und epidemiologische Evidenz

Pathomechanistisch kommt es zur gentoxischen Wirkung reaktiver Sauerstoff- undStickstoffspezies auf die Erbsubstanz der Zielzellen, bevorzugt in der Bronchial-

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schleimhaut. Sie erfolgt wahrscheinlich indirekt sowohl über eine SiO2-Oberflächen-reaktive Oxidation als auch durch die Aktivierung von Alveolarmakrophagen. Tierexperimentell finden sich Arbeiten, bei denen Quarzstaub nach Einatmung, aberauch nach Eingabe in die Luftröhre (intratracheal), zu einer hohen Ausbeute an Tu-moren der Lunge bei Ratten führt. An dieser Stelle bitte ich um Verständnis, wenn wirin der arbeitsmedizinischen Toxikologie die Ratte als Stellvertreter des arbeitendenMenschen betrachten. Da sich ein Krebsversuch beim arbeitenden Menschen alleinaus ethisch-humanitären Gründen selbstverständlich nicht durchführen lässt, trägt er-satzweise diese Stellvertreterfunktion zur Aufklärung der Kausalzusammenhänge we-sentlich bei. Für den Menschen gibt es schließlich belastbare epidemiologische Erkenntnisse, diebeim Nachweis der Silikose als dem Surrogat einer im Einzelfall ausreichenden Ein-wirkung von alveolengängigem Quarzstaub einen deutlichen und signifikanten Zu-sammenhang zeigen.Lassen Sie mich bitte diese drei Eckpfeiler der wissenschaftlichen Begründung derMAK-Kommission für die Einstufung von kristallinem Siliciumdioxid als gesicher-tes Humankanzerogen (K I) noch etwas vertiefend erläutern.

Pathomechanistische Evidenz

Was ist über den Pathomechanismus bekannt und was bedeutet es, wenn alveolen-gängiger Quarzstaub als Paradebeispiel dieser biobeständigen granulären Stäube er-kannt wurde? Ist der Mensch mit Abwehrmechanismen ausgestattet, um in seineLunge eingeatmeten Quarzstaub jenseits einer bestimmten Dosis schadlos zu über-stehen? Für die Silikose und auch für den zweiten klinischen Endpunkt, das Bron-chialkarzinom, ist die Antwort sicher zu verneinen .Vereinfachend greife ich hier auf eine Abbildung aus einer Veröffentlichung von Prof.Oberdörster aus dem Jahre 1995 zurück, der als deutscher Forscher in den USA we-sentliche Ergebnisse zur Wirkungsweise, d. h. zur Toxikokinetik und Toxikodynamikder inhalativen Staubinkorporation geliefert hat (Abb. 1).Die pathomechanistische Kausalkette beginnt mit der Partikel-Exposition im Tierex-periment. Es handelt sich um die Einatmung verschiedener Stäube, nicht allein umQuarzstäube, sondern auch um gering toxische, aber biobeständige, granuläre Stäube.Zunächst kommt es zu einer Abwehrreaktion der Fresszellen in den Lungenbläschen,der sog. Alveolarmakrophagen. In den Lungenbläschen liegt gewissermaßen der erste Schauplatz der Abwehrreaktion gegen Eindringlinge in Gestalt solcher Staub-partikeln. Das Resultat ist zunächst eine akute Entzündung in Verbindung mit einergestörten Reinigungsfunktion (Clearance-Störung). Wenn die Reinigungsfunktion derLunge gestört ist, kommt es zu einer Anhäufung, einer Akkumulation der nachfolgendeingeatmeten Partikeln in der Lunge der Tiere. Mit der Zeit resultiert eine chronischeEntzündung, die zu einer Umformung von Zellen der Bronchialschleimhaut führt(Hyperplasie). Bei mikroskopischer Betrachtung gibt es dafür bestimmte Kennzei-chen, die dann auch auf Mutationen schließen lassen. Mutationen gelten für den Pro-zess der Krebsentstehung gewissermaßen als der Einstieg in die fatale, weitere Kau-salkette. Nach der Mutation kommt es durch weitere Teilungsschritte und Umwand-

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lung der Zellen zu noch reversiblen Regeneraten von metaplastischem Plattenepithel.Auf diese pathologisch-histologische Diagnose kann dann im weiteren Verlauf einTumor folgen. Ein solches Schema ist natürlich sehr vereinfacht, aber Sie sehen, es sind mehrereSchritte, die von der Ursache zum „Erfolg“, dem Lungentumor, führen. Eines fehlthier jedoch noch: Bisher ist die Fibrose der Lunge, hier also die Silikose, nicht er-wähnt worden. Unser heutiges Verständnis des Pathomechanismus sagt, diese chro-nische Entzündung kann auch zu einer Fibrose führen, welche dann über bestimmteMediatoren zur Hyperplasie der Zellen der Bronchialschleimhaut beiträgt. Ich be-zeichne diesen Nebenweg einmal als Bypass. Für den Hauptweg folgt daraus, dass dieSilikose offenbar nicht essentielles Glied der Kausalkette ist. Man kann also auf kei-nen Fall sagen, die Silikose ist verschlimmert worden durch den Krebs. Diese Aus-sage dürfte sozialjuristisch von erheblicher praktischer Bedeutung sein. Auch Prof. K.-M. Müller hat im Jahre 2000 mit seinem Mitarbeiter Dr. Wiethege eineanaloge Sicht der Dinge in der Zeitschrift Pneumologie veröffentlicht. Wiederumsteht dabei der Makrophage in den Lungenbläschen im Mittelpunkt. Deren Abwehr-reaktion gilt den Quarzpartikeln. Es kommt einmal zur gentoxischen Wirkung reakti-ver Sauerstoff- und Stickstoffspezies auf die Erbsubstanz der Zielzellen und zum an-deren zur Freisetzung bestimmter Mediatoren und Wachstumsfaktoren. Beides ist fürdie Entstehung einer Erkrankung an Lungenkrebs bedeutsam. Andererseits führen

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Abb. 1

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Abwehrreaktionen der Alveolarmakrophagen gegen eingedrungene Quarzpartikelnaber auch zur Freisetzung weiterer Mediatoren – es gibt wie wir heute wissen davoneine größere Anzahl – und damit zur Entstehung der Lungenfibrose, d. h. dem siliko-tischen Granulom. Eine derartige Zusammenfassung des gegenwärtigen pathogeneti-schen Wissens aus pathologisch-anatomischer Sicht verdient es, besonders gewürdigtzu werden, weil damit die bisher gültige sog. Narbenkrebshypothese um weitere undfortschrittlichere Pathomechanismen erweitert wird.Soviel zu dem Bypassproblem im Hinblick auf die beiden Endpunkte der klinischenDiagnostik: Dem Lungenkrebs einerseits und der fibrogenen Quarzstaublungener-krankung (Silikose) andererseits aus dem Tiermodell.

Weitere tierexperimentelle Evidenz

Dennoch möchte ich Herrn Löffler auch hier zustimmen: Es bleibt noch eine Kern-frage offen, die bisher in allen Gremien wissenschaftlich nicht definitiv beantwortetwerden konnte. Sie lautet: Wird der Lungenkrebs bei bestimmten exponierten Personengruppen durchQuarz direkt, d. h. ohne Bypass, oder lediglich indirekt mit Bypass, also erst beimVorhandensein einer Silikose der Lunge oder des Hilus verursacht?Es ist in der wissenschaftlichen Begründung nachzulesen, dass der Ärztliche Sach-verständigenbeirat es nach jahrelanger gründlicher Prüfung der zahlreichen neuen to-xikologischen und epidemiologischen Kenntnisse vorgezogen hat, den radiologischenNachweis einer Lungensilikose anhand kleiner rundlicher Schatten der Streuung 1/1oder mehr gemäß des ILO-Standardfilmsatzes, alternativ eine Hilussilikose, als Ent-schädigungsvoraussetzung für eine Erkrankung an Lungenkrebs zu empfehlen. DerVerordnungsgeber ist diesem Vorschlag bekanntlich gefolgt.Wir haben uns damit – eher konservativ – für die sicherere Seite entschieden. Dennbereits zu jenem Zeitpunkt der Empfehlung waren uns gewichtige Gegenargumentebekannt. Wenn Sie es gestatten, möchte ich davon berichten, obwohl ich weiß, dassSie alle – ebenso wie ich – keine Toxikologen sind. Es handelt sich um einen auf-schlußreichen Versuch, den Prof. Pott – der heute morgen bereits schon genannt undich denke auch, geehrt worden ist, weil er früher Bad Reichenhaller Arbeitsmedizini-sche Kolloquien oft in maßgeblicher Weise mitgestaltet hat – zusammen mit einigenKoautoren bereits 1994 veröffentlicht hat.Welches war der Versuchsaufbau? Ratten wurde eine besonders toxische Quarzmodi-fikation (DQ 12) in einer Dosis von 15 ¥ 3 mg intratracheal verabfolgt. Es kam bei38% der Tiere zu Lungenkrebs. Zu diesem Zeitpunkt bestand keine Möglichkeit, denFibrosegrad etwa als Flächenmaß pro cm2 zu bestimmen. In einem Parallelversuchwurde dann die gleiche Dosis der DQ 12-Quarzmodifikation (15 ¥ 3 mg), jedoch un-ter Koexposition des Silikosehemmstoffes Polyvinyl-pyridin-N-Oxid (PVNO), ver-abreicht. Das Ergebnis zeigte – wiederum ohne dass die silikotische Lungenfibroseflächenmäßig ausgemessen werden konnte – 58% Tiere mit Tumoren.Experimentell erfolgte nun der logisch fällige zweite Schritt: Verwendet wurde eineweitere Quarzmodifikation „Min-U-Sil 15“ in gleicher Dosis und ohne Gabe vonPVNO. Diesmal gelang es in Kooperation mit Prof. Friemann, einem Schüler von

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Prof. K.-M. Müller, morphometrisch ausmessen zu lassen, wieviel Prozent der his-tologisch begutachteten Lungenfläche Fibrose aufwies. Das Ergebnis lautete 12%,also relativ viel Lungenfibrose bei 54% Lungentumoren. Dagegen kam es bei Kon-trolltieren, denen lediglich Natriumchlorid, das ist physiologische Kochsalzlösungverabfolgt wurde, erwartungsgemäß nicht zum Nachweis von Lungenkrebs. Es fandsich aber ein Fibrosegrad von etwa 3%. Daher kann gesagt werden: Der normale,physiologische Befund in einer Rattenlunge weist einen Anteil bis zu 3% Fibroseauf. Die zentrale Frage war es nun: Was passiert, wenn die Silikose medikamentös unter-drückt wird? (Abb. 2)Die Abb. zeigt, dass bei der gleichen Dosis Quarz Min-Usil (15 ¥ 3 mg), aber in Koex-position mit 7 ¥ 20 mg PVNO subkutan, einerseits zwar praktisch keine Fibrose, an-dererseits jedoch bei 57% der Tiere Tumore verursacht wurden. Es lässt sich also fest-stellen: Bei 12% Fibrose in der Lunge kam es zu 54% Lungenkrebs, bei praktischfehlender Fibrose in der Lunge (ca. 2%) jedoch zu 57% Lungenkrebs. Hiernach wäreanhand dieses Experimentes somit die zentrale Frage: Ist eine Fibrose notwendig, ummit alveolengängigem Quarzstaub Lungenkrebs zu verursachen? eindeutig zu ver-neinen.Eines ist dabei allerdings zu beachten: Dieses Experiment beruhte lediglich auf 6 bzw.7 Tieren. In unserer „Sektion Berufskrankheiten“ habe ich mich daher dafür ausge-

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Abb. 2

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sprochen, dass der Verordnungsgeber eine BK-rechtliche Regelung nicht auf derGrundlage von 6 und 7, also 13 Tieren schafft. Dennoch ist damit eine ernst zu neh-mende Arbeitshypothese entstanden. Ihr gilt es nachzugehen, weil sie erkenntnistheo-retisch-wissenschaftlich und sozialrechtlich erhebliche Konsequenzen hätte. Dies istnun zwischenzeitlich eingeleitet worden. Ein analoger Versuch mit PVNO läuft der-zeit bei Herrn Prof. Heinrich im Fraunhofer-Institut in Hannover. Seine Kurzzeiter-gebnisse wurden bereits 2002 veröffentlicht. Der 2–3 Jahre beanspruchende Tumor-Langzeitversuch ist zur Zeit noch nicht abgeschlossen. Es ist aber damit zu rechnen,dass seine Ergebnisse im kommenden Jahr publiziert werden. Dann muß neu nach-gedacht werden. Mehr läßt sich an dieser Stelle nicht sagen.

Epidemiologische Evidenz

Damit leite ich über zur Epidemologie und unterstreiche erneut, was Herr Löffler aus-geführt hat. Der gesamte Kohlebergbau soll hier einmal außer Betracht bleiben, ob-wohl ich im Gegensatz zu Ihren Ausführungen, Herr Löffler, leider folgendes sagenmuß: Tierexperimentell liegt harte Evidenz vor, dass Kohlestaub, sowohl mit als auchohne Quarzanteil im Tierexperiment in hohem Maße Tumore verursacht. Darüber hinaus zeigt auch eine epidemiologische Kohortenstudie, die vor wenigen Monatenveröffentlichte sog. Saarbergwerks-Studie – Dr. Morfeld ist ja leider heute hier nichtmit dabei – ein Ergebnis, über das wir ebenfalls sehr intensiv nachzudenken haben.Dahinter steht die Frage, ob in Zukunft der gesamte Kohlebergbau aus dem Gel-tungsbereich der neuen Berufskrankheit Nr. 4112 BKV weiterhin exkludiert werdendarf.Bleiben wir jetzt aber weiterhin im obertägigen Bereich, so lassen sich weltweit grö-ßenordnungsmäßig etwa 30 belastbare epidemiologische Forschungsergebnisse zumZusammenhang von Silikose und Lungenkrebs in bestimmten exponierten Personen-gruppen betrachten. Nach wie vor verdient es die bereits 1995 publizierte Metaana-lyse von Frau Smith aus den USA, die ich vor vier Jahren hier schon einmal vorge-stellt habe, an erster Stelle genannt zu werden (Abb. 3).Methodenkritisch ausgewertet wurden insgesamt 23 Studien. Darunter befinden sich14 Kohorten-Studien mit dem Effektmaß der Standardmortalitätsrate (SMR), 4 Fall-Kontrollstudien mit dem Effektmaß der Odds Ratio (OR), 3 standardisierte Inzidenz-Studien mit dem Effektmaß der standardisierten Inzidenzrate (SIR) und 2 Mortalitäts-Odds-Ratio-Studien mit dem Effektmaß MOR. Der etwa in der Mitte beim relativenRisiko RR = 1 durchgezogene Strich deutet an, dass gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII einVergleich zwischen der „übrigen Bevölkerung“ mit ihrem Lungenkrebsrisiko und denverschiedenen arbeitsbedingt durch alveolengängigen Quarzstaub exponierten „be-stimmten Personengruppen“ angestellt wird. In der übrigen Bevölkerung gibt es be-kanntlich viele Zigarettenraucher mit entsprechend zahlreichen Lungenkrebs-Todes-fällen. Diese hohe Erwartungshäufigkeit der Lungenkrebserkrankungen wird alsMesslatte benutzt und das zugehörige relative Risiko mit RR = 1 bezeichnet. RR = 2heißt somit, in den verschiedenen arbeitsbedingt durch alveolengängigen Quarzstaubexponierten „bestimmten Personengruppen“ ist das gegenüber der „übrigen Bevölke-rung“ zu erwartende Lungenkrebs-Sterberisiko verdoppelt.

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Mit einem Blick läßt sich erkennen, dass alle „bestimmten Personengruppen“ imMittel mindestens ein RR = 2 oder sogar mehr aufweisen. Werden alle Studien ge-wissermaßen in einen Topf geworfen – was Epidemiologen normalerweise gar nichtso gerne tun – ergibt sich ein mittleres Risiko von RR = 2,2. Der untere Balken des95% Konfidenz-Intervalls liegt noch oberhalb des verdoppelten Risikos (RR = 2) undbedeutet Signifikanz.Dr. Morfeld hat auf den Potsdamer Tagen vor wenigen Jahren in einem bemerkens-werten Vortrag zwei weitere metaanalytische Studien – neben derjenigen von FrauSmith – aufgezeigt, Abb. 4:Es handelt sich einmal um die Metaanalyse von Steenland und Mitarbeitern in denUSA aus dem Jahre 1997 mit einem praktisch gleichen Ergebnis: Die nach strengenmethodenkritischen Gesichtspunkten ausgewählten und ausgewerteten 19 Studienzeigten mit einem ebenfalls signifikanten mittleren RR = 2,3 eine weitgehende Über-einstimmung. Schließlich kommt auch die 3. Metaanalyse aus Japan, in der Tsuda undMitarbeiter unter 32 Studien besonders auch solche aus Japan berücksichtigen, mit ei-nem mittleren signifikanten RR = 2,7 de facto zu einem identischen Resultat. Nachder Erinnerung aus einer mehr als 25-jährigen Mitgliedschaft im Berufskrankheiten-Ausschuss des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, gab es bisher kei-nen zweiten Fall einer neu zu bestimmenden Listen-BK, in dem die Epidemiologievergleichbar überzeugende Resultate aufwies.

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Abb. 3

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Folgerungen für das Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren

Bis hierher handelte es sich gewissermaßen um einen Rückblick zu bereits weitge-hend bekannt gewesenen Fakten. Offen geblieben ist dabei die Frage: Was tun wir mitall diesen Erkenntnissen und welche Folgerungen sind für die Begutachtungspraxisdaraus zu ziehen?Werfen wir zunächst einmal einen kurzen Blick in die Geschäfts- und Rechnungser-gebnisse des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften für das Jahr2002. Es handelt sich hierbei um die ersten Erfahrungen ab Inkrafttreten der neuenNr. 4112 BKV: Angezeigt wurden nach dieser neuen Listen-Nr. n = 76 Erkrankungs-fälle, entschädigt durch Rente n = 9. Selbstverständlich ist davon auszugehen, dassein Teil der eingeleiteten Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren in den Verwal-tungen noch nicht zum Abschluss kommen konnte. Dennoch erscheint die Größen-ordnung bisher zumindest volkswirtschaftlich nicht erschreckend hoch. Herr Dr. Raab und Herr Löffler, Sie haben nun aus dem berufsgenossenschaftlichenRaum einige Probleme gesammelt und sie uns 5-fach gebündelt als Fragen überge-ben.

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Abb. 4

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Aktuelle Probleme der Begutachtungspraxis

Die Beantwortung der ersten Frage „Wann ist die Quarzstaub-Lungenerkran-kung nachgewiesen?“ erscheint einfach: Beim Vorhandensein der Streuungskatego-rie 1/1 oder mehr kleiner rundlicher Lungenschatten. Grundlage der Beurteilung sindsomit die Standardfilme der ILO-Klassifikation röntgenologischer Staublungenbe-funde. Praktisch bedeutet dies, dass die Standardfilme sowohl in qualitativer als auchin quantitativer Hinsicht zur Beschreibung der Silikose heran zu ziehen sind. Quali-tativ handelt es sich um die Durchmesser der kleinen rundlichen Schatten, d. h. fürden Typ p < 1,5 mm, den Typ q = 1,5 < 3,0 mm und den Typ r = 3–10 mm. Bei derquantitativen Beurteilung handelt es sich um die Streuungsdichte mit ihren insge-samt 12 Abstufungen. Die Streuungsdichte 1/1 beginnt ab der Stufe 5 – darunter lie-gen also noch 4 Stufen, die somit abgeschnitten sind – bis zur 12. Stufe mit der Streu-ungsdichte 3+.In der wissenschaftlichen Begründung finden sich dazu folgende Ausführungen: „Die stärkste Assoziation besteht zwischen dem Vorhandensein silikotischer Verän-derungen und dem vermehrten Auftreten von Lungenkrebs. Hier kann ein z. T. mehrals verdoppeltes Lungenkrebsrisiko auch unter Ausschluß des Einflusses des Rau-chens und anderer Confounder angenommen werden“. Hierzu hatte ich darauf hinge-wiesen, dass die Folgen des Zigarettenrauchens bereits stark in die Häufigkeit des

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Abb. 5

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Lungenkrebses aufgrund des relativen Risikos RR = 1 bei der „übrigen Bevölkerung“eingeht. Ferner wird in der wissenschaftlichen Begründung gesagt: „Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand ist zu folgern, dass eine durch kristallinesSiO2 induzierte Verdoppelung des Lungenkrebsrisikos nur in Verbindung mit demNachweis einer Silikose (≥ 1/1 nach der ILO-Klassifikation) als eine wissenschaft-lich gesicherte Assoziation betrachtet werden kann“. Das sind einige der bereits 2001 veröffentlichten Erläuterungen gewesen, die auchheute dem Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen.Wie sieht der Befund einer Silikose 1/1 nun im Röntgenbild aus? Herrn Dr. Heringist es in sehr verdienstvoller Weise gelungen, digitalisierte Röntgenbilder nach derneuen ILO-Klassifikation 2000 in ausgezeichneter Qualität und genügender Anzahlzur Verfügung zu stellen (Abb. 5).Zur qualitativen Beschreibung sind die Durchmesser der kleinen rundlichen Siliko-seschatten im Röntgenbild im Millimeter-Maßstab abzuschätzen. Im Falle des ILO-Standardfilmes q/q 1/1 handelt es sich beispielsweise um eine mittlere Größe zwi-schen 1,5 und 3 mm. Darüber hinaus lässt sich, so hoffe ich, auch aus den hinterstenReihen des Saales eine gewisse Anzahl silikotischer Knötchen, bezogen auf das mar-kierte Flächenfeld, erkennen.Größe und Häufigkeit der silikotischen Knötchen, d. h. ihre Qualität und Quantitätsind somit das entscheidende Maß für die Anerkennung. Weniger als eine Streuung1/1 bedeutet keine, mindestens 1/1 oder höhere Streuungsgrade die legal definierteMöglichkeit zur Anerkennung einer im Vollbeweis gesicherten Erkrankung an Lun-genkrebs.Sie werden jetzt vielleicht fragen, ob mit einer zunehmenden, also oberhalb von 1/1liegenden Streuungsdichte auch das Lungenkrebsrisiko ansteigt. Dazu lassen sich ei-nige Studien anführen, die Dr. Morfeld in seinem bereits genannten Potsdamer Bei-trag seinerzeit vorgestellt hat (Abb. 6).Silikosegrad 1, 2, 3 oder I, II, III heißt hier Streuung 1/1, 2/2, 3/3 im Sinne röntgen-morphologisch fortschreitend schwererer ILO-Stadien der Lungensilikose. Man er-kennt, dass das relative Risiko bei Beschäftigten der Granitindustrie mit dem Schwe-regrad des Röntgenbefundes der Silikose deutlich von RR = 1,4 über RR = 2,8 aufRR = 5,1 ansteigt. Das gleiche, wenn auch nicht so ausgeprägt, gilt für die folgendeStudie an durch alveolengängigen Quarzstaub gefährdeten Beschäftigten in derTonsteinindustrie. Diese Studie kommt den Verhältnissen in der keramischen undGlasindustrie näher als die Ergebnisse aus der Granitindustrie. Schließlich bleibt einedritte Studie an Beschäftigten in der Metallindustrie und dem Nichtkohlebergbau zubetrachten. Hier zeigt sich zunächst ein Anstieg, der dann aber in der höchsten Stufenicht mehr zu verifizieren ist. Bedacht werden muß allerdings dabei, dass ein Patientmit fortgeschrittener Silikose erfahrungsgemäß viel häufiger an anderen Todesursa-chen verstirbt als am Lungenkrebs. Lehrbuchhaft zu nennen sind etwa eine Siliko-Tu-berkulose, die obstruktive Bronchitis, ein ausgeprägtes Lungenemphysem oder einVersagen des rechten Herzens (Cor pulmonale). Diese Diagnosen treten bei unserenPatienten mit schwerer Silikose als Todesursachen weitaus häufiger auf als ein Lun-genkrebs – das werden wohl besonders Frau Dr. Kotschy und Herr Dr. Raab aufgrund

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ihrer reichen klinischen Erfahrungen bestätigen können. Soviel zur Stadienabhängig-keit. Damit möchte ich zu den diagnostischen Verfahren der Pathologie überleiten, dennhier liegt ja wohl die kritischste der fünf aufgeworfenen Fragen: „Darf es beim pa-thologisch-histologisch gesicherten ,Nachweis‘ einer Silikose keine Anerkennunggemäß Nr. 4112 BKV geben?“ Vermag der Pathologe, der ja normalerweise keine Röntgenbilder anfertigt bzw. nachder ILO-Klassifikation beurteilt, mit seinen hochentwickelten Methoden der Histolo-gie oder bei der Autopsie keinen „Nachweis“ der Silikose im Sinne der Nr. 4112 BKVzu führen? Vor 14 Tagen konnte ich mit Prof. K.-M. Müller in Dresden darüber sprechen undfand meine diesbezügliche Meinung bestätigt: Natürlich kann der Pathologe das. Pa-thologen haben immer entsprechende Diagnosen gestellt, das ist nichts Neues. Be-sonders nachvollziehbar sind solche Diagnosen, wenn von den Lungen Großflächen-Schnitte angefertigt werden. Prof. Otto, der ja auch an dieser Stelle schon oft vorge-tragen hat, war es, der diese Technik in den 60er Jahren von Prof. Gough, Cardiff,übernommen und in Deutschland eingeführt hat. Prof. K.-M. Müller beherrscht undpraktiziert diese Methodik ebenfalls. Geeignete Techniken sind somit gegeben. Esliegt auf der Hand, dass ein solcher Nachweis weitaus besser gelingt, wenn der Pa-thologe die ganze Lunge des mit Silikose verstorbenen Lungenkrebs-Patienten bei der

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Abb. 6

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Sektion gewinnt oder er alternativ wenigstens ein Operationspräparat erhält, etwafalls wegen des Lungentumors ein Lungenflügel herausgenommen werden musste,ggf. auch nur einer der insgesamt fünf Lungenlappen. Dann liegt in der Regel genugGewebe für den geforderten Nachweis vor. Die Diagnose ist damit weitaus sichererzu stellen, als wenn der Kliniker am Patienten mit einer dünnen Punktionsnadel anirgendeiner Stelle durch die Thoraxwand bzw. transbronchial blind oder bei einer of-fenen Lungenbiopsie ein Millimeter-kleines Stückchen Lungengewebe entnimmt. Diedaraus abgeleitete histologische Diagnose lässt naturgemäß offen, inwieweit die rest-lichen 99,9 % der Lunge eine Silikose aufweisen. Wie sieht nun ein Großflächenschnitt der menschlichen Lunge aus? Es sei mir hieraus rein didaktischen Gründen gestattet, die Großflächenschnitt-Technik am Beispielder Anthrakosilikose eines Kohlebergmanns zu demonstrieren. Beim Kohlebergmannzeichnen sich die silikotischen Knötchen aufgrund der Koexposition von alveolen-gängigem Quarzstaub mit dem Kohlegrubenstaub schwarz ab. Ohne diese Schwär-zung wären die zahlreichen anthrako-silikotischen Veränderungen kaum zu erkennen(Abb. 7).Stellt man zur quantitativen Betrachtung den Befund des Lungen-Großflächenschnit-tes unserem röntgenologischen Abschneidekriterium z. B. in Gestalt des ILO q/q 1/1-Standardfilms gegenüber, ergibt sich die Frage, wie sich die erforderliche Korrelationherstellen lässt? Anders ausgedrückt: Wieviel Knötchen hier entsprechen wieviel

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Abb. 7

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Knötchen dort? Wenn es diesbezüglich gelingt, eine evidenzbasierte Korrelation zuerstellen – Prof. K.-M. Müller hat mir versichert, dass man das könne, es aber hierzueines gewissen Aufwandes bedürfe – wäre eine mit den Vorgaben der neuen BK Nr.4112 BKV hinreichend kompatible Antwort auf die gestellte Frage gefunden. Offenkundig besteht in der Pathologie weniger das Problem, den Größendurchmesserentsprechend der kleinen rundlichen Schatten vom Typ p, q oder r qualitativ messenzu können. Bisher war dies routinemäßig nicht gefordert, wäre aber künftig zu reali-sieren. Das Problem liegt vielmehr in der fehlenden quantitativen Korrelation der An-zahl silikotischer Knötchen, bezogen auf die im ILO-Standardfilm 1/1 pro Flächen-einheit als Mindestvoraussetzung für den „Nachweis“ der Diagnose Silikose erkenn-bare Anzahl. Wir dürfen somit erwarten, dass sich die Lücke einer fehlenden ver-bindlichen, quantitativen Korrelation durch gezielte Forschung – ich benutze hierauch gerne das Wort Konvention, welches Sie, Herr Löffler, bereits angesprochen ha-ben – in einer überschaubaren Zeit schließen lässt. Andernfalls wird dies vermutlichirgendwann einmal anstelle durch die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaftdurch die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit erfolgen, was aber wohl nicht derKönigsweg wäre.Eine weitere Tatsache kommt hinzu: Klinisch, radiologisch und arbeitsmedizinischbleibt zu konstatieren, dass der Pathologe prinzipiell über sensitivere und spezifi-schere Nachweismöglichkeiten verfügt, als sie uns mit der konventionellen Röntgen-technik gegeben sind. Anders ausgedrückt, ist die Sensitivität und Spezifität derRöntgen-Thoraxaufnahmen im Vergleich zu den Möglichkeiten der pathologisch-his-tologischen Befundsicherung unzureichend. Vergleichende Studien zeigen, dassmittels pathologisch-histologischer Nachweisverfahren höhere Prozentsätze richtigpositiver Diagnosen einer Silikose – das nennen wir die Sensitivität – und darüberhinaus auch richtig negativer Diagnosen – das nennen wir dann die Spezifität – zu er-zielen sind. Der zuletzt genannte Fall tritt ein, wenn ein Befund im Röntgenbild ähn-lich aussieht wie eine Silikose, eine solche aber nicht vorliegt, sondern z.B. eine Tu-berkulose oder ein Tumorleiden.Genannt sei eine 1996 veröffentlichte Studie, die sich auf Autopsieergebnisse an 430Kohlebergleute bezieht. Der Pathologe konnte in 96% fleckförmige Veränderungen,zu 70% kleine Knötchen, zu 45% große Knötchen und zu 28% Schwielen, d.h. eineweit fortgeschrittene Silikose feststellen (Abb. 8).Bemerkenswert war bei dieser Studie zunächst, dass bereits bei einer ILO-Katego-rie 0/1, das entspricht im Röntgenthoraxbild 2 Stufen unterhalb des festgeschriebe-nen Abschneidekriteriums der Streuungskategorie 1/1, statistisch gehäuft pathologi-sche Befunde einer Lungensilikose festgestellt wurden. Der Pathologe erkennt dankder besseren Sensitivität seiner diagnostischen Methoden mehr als es das Röntgen-bild der Streuungskategorie 1/1 vorgibt. Bei der Diagnose röntgenologisch sichtba-rer Silikose-verdächtiger Schwielen wurde pathologisch-anatomisch lediglich in66% der Fälle bestätigt, dass es sich tatsächlich um silikotische Schwielen handelte.Zu 34% fanden sich tuberkulöse Schwielen oder tumoröse Verschattungen, die rönt-genologisch so aussahen wie eine Silikoseschwiele. Die eingeschränkte diagnosti-sche Spezifität der röntgenologischen Diagnostik erscheint hier allerdings wenigerbedenklich, da es bei einer Silikose kaum jemals vor Gericht einen Streit über die

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Genese der zusätzlichen Lungenschwielen geben wird, wenn der Lungenkrebs imVollbeweis gesichert werden konnte. Die Autoren folgern, dass die Diagnostik derKohlebergarbeiter-Pneumokoniose mit Röntgenthoraxfilmen – insbesondere bei denfrühen Stadien, um die es ja hier geht – aufgrund der mangelnden Sensitivität unzu-reichend ist.Eine weitere, wohl am häufigsten in der arbeitsmedizinischen Weltliteratur zitierteStudie des Jahres 1993 stammt von Frau Hnizdo und Mitarbeitern aus Südafrika.Hierbei handelt es sich nicht um Kohlebergleute, sondern um die Autopsieergebnissevon 557 Goldminenarbeitern (Abb. 9).Die Gegenüberstellung der Silikosebefunde anhand des Röntgenbildes mit einerGrenzziehung bei der ILO-Streuungskategorie ≥ 1/1 bzw. < 1/1 einerseits und derSektion andererseits lässt erkennen, dass aus der Röntgenbild-Diagnostik in einem er-heblichen Prozentsatz falsch negative Diagnosen resultieren. Bei nicht weniger als198 von 326 Verstorbenen wäre nach dem Röntgenbild keine ILO-Streuungskatego-rie 1/1 zu erkennen gewesen, obwohl der Pathologe eine eindeutige Silikose feststel-len konnte. Aus dem Anteil von 128:326 richtig positiver Diagnosen anhand desRöntgenbefundes ergibt sich in dieser Studie lediglich eine Sensitivität von 39%. Da-mit wären 61% der Verstorbenen bei alleiniger radiologischer Diagnostik als falsch-negativ im Sinne des Abschneidekriteriums der neuen Berufskrankheit gemäß Nr.4112 BKV beurteilt worden. Demgegenüber erscheint die Anzahl von 3:231 = 1%

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Abb. 8

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falsch positiver Diagnosen anhand des Röntgenbefundes vertretbar gering. Aus den228:231 richtig negativen Diagnosen des Röntgenbefundes ergibt sich die hohe Spe-zifität von 99%. Mehr lässt sich in der Medizin am lebenden Menschen nicht erwar-ten.Soviel zu der zweiten Frage. Ich hoffe, dass es auch für Sie nachvollziehbar ist, wennwir feststellen, dass der Pathologe über Erkenntnismöglichkeiten verfügt, die nichtnur eine deutlich bessere Sensitivität sondern auch eine hohe Spezifität aufweisen.Damit möchte ich mich der dritten Frage zuwenden: „Darf es beim computertomo-graphisch gesicherten ,Nachweis‘ einer Silikose keine Anerkennung gemäß Nr. 4112 BKV geben?Hier kann ich mich kürzer fassen. Nach meiner langjährigen Erfahrung als sog. Zweit-beurteiler ist die Computertomographie heute technisch derart perfektioniert, dassman hiermit auch eine Silikose nachweisen kann. Es steht außer Zweifel, dass derNachweis umso sicherer ist, je fortgeschrittener die Silikose in quantitativ-substan-tieller Hinsicht und je fortgeschrittener im Einzelfall auch die computertomographi-sche Gerätetechnik ist. Ich denke 16-Zeiler-Geräte und alles was dazu gehört zeigenoptimale Auflösungsmöglichkeiten gerade auch für kleine rundliche Lungenschattendes Typs p, q oder r und der Streuungskategorien unterhalb ILO 1/1. Es steht daherzu erwarten, dass die HRCT-Technik, d. h. die hochauflösende Computertomographieallein aus physikalischen, aufnahmetechnischen Gründen auch in der Lage ist, ent-

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Abb. 9

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sprechend höhere Prozentsätze richtig-positiver und richtig-negativer Diagnosen zuerbringen. Herr Dr. Hering hat mir gestern einige neuere Studien aus dem Schrifttumseines Fachgebietes überreicht, die hier noch nicht eingearbeitet werden konnten. Daspositive Ergebnis dürfte aus meiner Sicht unstrittig sein. Eine weitere Antwort entspricht dem bereits im Zusammenhang mit der Frage zur di-agnostischen Reichweite der Pathologie Gesagten. Auch hier liegt das Problem we-niger in der nunmehr standardisiert kodierbaren qualitativen Deskription des Durch-messers kleiner rundlicher Fleckschatten entsprechend der ILO-Definitionen für p, qoder r. Heute gibt es routinemäßig verwendbare, standardisiert codierbare Schemata,in die besonders Dr. Hering und Prof. Kraus viel Mühe und Arbeit investiert haben.Es ist damit praktikabel, kleine rundliche Fleckschatten vom Typ p, q oder r auszu-messen. Das Kernproblem liegt wieder in der bisher fehlenden, nicht verbindlich ein-gegrenzten, evidenzbasierten Korrelation zwischen der quantitativen Deskription derminimalen Streuung von HRCT-Befunden, bezogen auf die Anzahl von Silikose-knötchen pro Volumeneinheit entsprechend dem ILO-Standardfilme 1/1, als der Min-destvoraussetzung für den „Nachweis“ der Diagnose Silikose. Es ist aber auch hier zuerwarten, dass sich diese Lücke in ziemlich kurzer Zeit schließen läßt, wenn die Fach-vertreter der Radiologie – genauso wie diejenigen der Pathologie – diese Frage zurBeantwortung wissenschaftlich aufgreifen. Voraussichtlich lässt sich eine Konventiontreffen. Andernfalls dürfte auch hier die Lücke durch die Rechtsprechung der Sozial-gerichtsbarkeit geschlossen werden.Die vierte und vorletzte der uns gestellten Fragen lautet: „Warum kommt eine ku-mulative Dosis des alveolengängigen Quarzstaubes als Verdopplungsrisiko unddamit ggf. als Abschneidekriterium derzeit für eine Anerkennung gemäß Nr.4112 BKV nicht in Betracht?“Warum ließ sich dieser von der Praxis bevorzugte Weg nicht beschreiten? Die Ant-wort ist wohl auch für Sie nachvollziehbar: Die Streubreiten bei den veröffentlichten,belastbaren Dosis-Häufigkeits-Beziehungen erscheinen gegenwärtig einfach zu groß. Es käme einem Akt der Willkür und nicht einer wissenschaftlich evidenzba-sierten Entscheidung gleich, eine entsprechende legislative Festlegung zu empfehlen(Abb. 10).Aufgezeichnet finden Sie die zur Zeit verwertbaren 6 Dosis-Häufigkeits-Beziehun-gen. Auf der X-Achse ist die kumulative, alveolengängige Quarzstaub-Dosis (A-Staub) in der Einheit mg/m3 ¥ Jahre dargestellt. Die Ordinaten-Achse weist das rela-tive Lungenkrebs-Risiko – gewissermaßen als Wirkung –, bezogen auf RR = 1 als dieErwartungshäufigkeit auf. Wird die einzige unplausible, aus China stammende Kurvebeiseite gelassen, verbleiben insgesamt 6 solche Kurven. Aus Zeitgründen sollen nurdie steilste, von Frau Hnizdo und Mitarbeitern aus Untersuchungen bei Goldminen-arbeitern und die flachste, von Bolm-Audorf und Mitarbeitern aus verschiedenen Be-rufsgruppen abgeleiteten Dosis-Häufigkeits-Beziehungen betrachtet werden. Wirdnun das verdoppelte, also zweifache Risiko auf der X-Achse für die steilste Kurve ab-gelesen, ergäbe sich ein Abschneide-Kriterium von etwa 1 mg/m3 ¥ Jahre. Anderer-seits sprechen die Ergebnisse der deutschen Studie von Bolm-Audorf und Mitarbei-tern für ein Abschneide-Kriterium bei etwa 5,5 mg/m3 ¥ Jahre. Aufgrund dieser Streu-breite der epidemiologischen Ergebnisse konnte dem Verordnungsgeber nicht emp-

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fohlen werden, entweder 1 mg/m3 ¥ Jahre, 5,5 mg/m3 ¥ Jahre oder irgend etwas da-zwischen im Sinne eines Mittelwertes als Abschneidekriterium für eine Anerkennungeiner Erkrankung an Lungenkrebs gemäß Nr. 4112 BKV festzulegen. Dieser Wunschbedarf somit weiterer intensiver Forschungsanstrengungen. Es ist zwar arbeitsmedizinisch-toxikologisch plausibel, dass die kumulative Dosis derExposition mit dem Risiko an einer Silikose zu erkranken korreliert und zwar be-sonders, wenn dieser Dosisbereich in relativ kurzen Expositionszeiten, z. B. innerhalbvon etwa 10 Jahren erreicht wird. Dennoch ist die kumulative Dosis des alveolen-gängigen Quarzstaubes beim heutigen Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Er-kenntnis allein noch kein Indikator, der unter allen Expositionsverhältnissen hinrei-chend zuverlässig mit dem Auftreten von Silikose und/oder Lungenkrebs korreliert. Die gegenwärtigen Kenntnisse rechtfertigen es somit nicht, eine hohe kumulative Do-sis von eingeatmeten alveolengängigem kristallinen Siliciumdioxid (SiO2) allein undohne Zeichen einer Lungen- oder Hilussilikose als ursächlich für den Krebs anzuse-hen. Das war und ist unsere Aussage und damit haben Sie die erbetene Antwort aufdie aufgeworfene Frage.Sie kann sich in Zukunft durch neuere Studien ändern, aber gegenwärtig sprechen wirvom gesicherten Stand der heutigen Erkenntnis.Soviel zu Frage Nr. 4. Es bleibt jetzt nur noch die Frage Nr. 5 anzusprechen: Wannist eine Silikotuberkulose im Sinne der Nr. 4112 BKV „nachgewiesen“?.

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Abb. 10

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Die Antwort lässt sich relativ kurz geben: Zu unterscheiden ist, ob die Tuberkuloseinaktiv ist oder Zeichen der Aktivität aufweist. Wenn die Tuberkulose inaktiv ist, giltgleichfalls das Kriterium des ILO-Standardfilmsatzes der Typen p, q oder r mit einerStreuung von 1/1 oder mehr. Wenn sie aber aktiv im Sinne der BK Nr. 4102 BKV fort-schreitet, ist zu empfehlen, auch unterhalb der Streuungskategorie 1/1 eine Anerken-nung vorzunehmen, und zwar entsprechend der bisher höchstrichterlich anerkanntenVerwaltungspraxis, wie es die hier besonders betroffenen Berufsgenossenschaften derKeramischen und Glasindustrie, der Steine- und Erdenindustrie sowie der Eisen- undStahlindustrie bisher gewohnt sind und praktizieren.

Zusammenfassung

Damit fasse ich die aufgeworfenen Fragen zu den Anerkennungsvoraussetzungen derneuen BK Nr. 4112 BKV wie folgt zusammen:

∑ Der „Nachweis“ einer Silikose anhand der ILO-Standardfilme des Typs p, q oder rmit einer Streuung ≥ 1/1 ist der Regelfall.

∑ Im Ausnahmefall, wenn kein solches Röntgenbild vorliegt, sollte auch der Patho-loge den „Nachweis“ dann erbringen können, wenn es quantitativ gesichert ist, dassdie Anzahl der Silikoseknötchen pro Flächeneinheit im Lungengroßflächenschnittmit derjenigen der vorgenannten ILO-Standardfilme evidenzbasiert korreliert.

∑ Auch bei der diagnostischen Technik des HRCT sollte der „Nachweis“ der Anzahlvon Silikoseknötchen pro Flächeneinheit mit derjenigen der vorgenannten ILO-Standardfilme evidenzbasiert korrelieren.

∑ Schließlich bleibt festzustellen, dass sich ein Verdopplungsrisikos anhand der vor-liegenden Dosis-Häufigkeits-Beziehungen wissenschaftlich derzeit nicht hinrei-chend valide begründen läßt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe,dass es mir gelungen ist, die schwierigen Fragen auf einigermaßen verständliche Artzu beantworten und darf mich für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit herzlich bedan-ken.

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Dr. Platz:Lassen Sie mich erstmal Herrn Professor Woitowitz sehr herzlich danken für diesenexzellenten Vortrag. Herr Professor Woitowitz ich möchte Ihnen als Jurist einmal sa-gen, dass es auch didaktisch eine Meisterleistung war. Vielen Dank für die Antwor-ten, die Sie gegeben haben. Meine Damen und Herren, wir hatten vereinbart, dass wir zu den Vorträgen immerZusammenhangsfragen, Verständnisfragen stellen und Grundsatzdiskussionen zumSchluss führen, wenn Sie damit einverstanden sind.

Diskussion

Rechtsanwalt Battenstein, Düsseldorf: Ich betreue eigentlich bundesweit Berufs-krankheitsfälle. Meine Tochter und Anwaltskollegin, Frau Battenstein und ich sindheute angereist, weil wir uns vorstellen, dass es sich um zahlreiche Fallgestaltungeneinschlägiger Art handelt, von denen Professor Woitowitz heute hier gesprochen hatund Ihre zahlreiche Anwesenheit belegt, dass dieses Thema auch nicht zu beschrän-ken ist auf 9 Fälle von 76 gemeldeten Fällen in 2002, wie Professor Woitowitz auf-gezeigt hat. Ich hatte vor Jahren einen Lungenkrebsfall eines Steinbruchsarbeiters an-gemeldet, da gab es die Erweiterung der Liste noch gar nicht. Ich kannte allerdings eine Entsprechung zum Narbenkarzinom und da konnte ich mirunschwer vorstellen, dass da ein beruflicher Zusammenhang bestand. Jahrelang tatsich berufsgenossenschaftlich nichts, das ist kein Vorwurf von meiner Seite. Ich binauch ruhig geblieben, habe stillgehalten. Die Mandantschaft wurde sehr drängend und massiv mir gegenüber. Aber zum gutenSchluss, eines Tages, als keiner mehr damit rechnete, kam der Anerkennungsbescheidund zwar im Sinne dieser BK. Insofern fühle ich mich fast auch als Vater dieser BK-Listen-Erweiterung. Bei einem von 9 oder diesen wenigen Fällen, das ist schon eine ziemliche Treffer-quote. Obwohl ich da nicht renommieren möchte, das ist ein Zufallstreffer gewesen,in Ansehung dieser neuen Listennummer. Aber die Frage die ich stellen möchte – und da berühren wir die Stichtagsproblema-tik. Die Liste wurde ja mit Wirkung zum 01.01.1998 erweitert. Die Masse der Pilot-fälle liegt aber viel früher und ich mutmaße mal, im Uranbergbau z.B. werden wirmassig Fälle haben und ich mutmaße auch bei den Gussputzern und Sandstrahlern.Drei Jahre von dieser Tätigkeit, hat mir ein Technischer Aufsichtsbeamter bekun-det – sind 120 Jahren Bergbau zu vergleichen. Deswegen geht meine Frage an Pro-fessor Woitowitz einmal dahin: Mit wieviel Fällen hat man denn in der Vergangenheitzu rechnen (ich möchte keine rechtliche Grundsatzdiskussion, habe meinen Diskus-sionsbeitrag auch schriftlich eingereicht).Ich sage folgendes: Die Fälle aus der Listenerweiterung können nach Liste ab01.01.1998 entschädigt werden. Die anderen Fälle sind aber bereits entstandene An-sprüche auf der Grundlage des § 551 Abs.2 RVO (BK nach neuer Erkenntnis im Ein-zelfall) und das Bundessozialgericht, das ja eine gegenteilige Rechtssprechung pflegt,hat bis heute nicht belegen können, dass diese Vorschrift an irgendeiner Stelle je mal

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aufgehoben worden wäre, rückwirkend, genausowenig wie das mit der Vorschrift des§ 9, Abs.2, SGB VII stattgefunden hat. Insofern weise ich dringend darauf hin – dieGesetzeslage ist gut- die Praxis allerdings folgt den Rechtsansprüchen bisher nicht,was die Berufsgenossenschaft anbetrifft und die Rechtsprechung des Bundessozial-gerichtes, die wirklich beklagenswert ist.

Professor Dr. Woitowitz: Ich glaube nicht, Herr Dr. Platz, dass ich mich als Arbeits-mediziner jetzt auf juristisches Glatteis begeben darf. Die Rückwirkungsklausel, HerrRechtsanwalt Battenstein, ist sicher nicht eine Erfindung, die medizinischem Denkenentsprossen ist. In diesem Falle greift die Rückwirkungsklausel ja bis in das Jahr 1998.Lungenkrebserkrankungen bei Silikose 1/1 oder mehr, die vor 1998 entstanden sind,wären somit von der Entschädigung gemäß Nr. 4112 BKV ausgeschlossen. Zu derFrage, wie man mit dieser gesetzlichen Regelung des Ausschlusses sozialjuristisch,d.h. sozialanwaltlich oder sozialrichterlich umgeht, muss ich schweigen und zuhören,ob berufenere Damen und Herren zu einer Antwort kommen.

N. Erlinghagen, Bergbau- und Steinbruchs-BG: Zunächst zur Statistik. Wenn eineBK gegen Jahresende aufgenommen und dann letztendlich auf dieser Hausnummerdie DOK basiert, ist klar, dass dann die Differenz zwischen den angezeigten Fällenund den abgearbeiteten ziemlich negativ aussieht.Tatsächlich ist es natürlich so, dass die Fälle gerade seit dem die Einführung stattge-funden hat, verhältnismäßig glatt laufen und auch entschädigt werden.Ich möchte klipp und klar sagen: Wenn die Voraussetzungen, die von Ihnen darge-stellt werden, da sind, und das ist in einer Vielzahl von Fällen der Fall, läuft auch dieEntschädigung durch, nur sind entsprechend die Bescheide eben noch nicht im letz-ten Jahr ergangen.Wir haben eine Reihe von Fällen die im Rahmen § 9, Abs.2 dokumentiert sind odersogar sich verstecken in Silikosen, die schon als Silikosen anerkannt waren und beidenen dann der Krebs, der dazutritt, im Rahmen der Silikose als Verschlimmerungs-anteil dann entsprechend entschädigt wird.Über die Frage kann man sich zwar streiten, ob das richtig ist, aber ggf. ist das auchder schnellste Weg, zur Entschädigung zu kommmen.Eine Bemerkung möchte ich noch machen zu der Frage, ob wir abweichend von rönt-genologischen Nachweisen die Silikose belegen können.Wenn wir in der Epidemiologie die Grenze ziehen durch Anwendung der röntgeno-logischen Befunde (wir sagen, wir sind erst dann sicher, wenn die Röntgenologienachweist: pq 1/2) müssen wir natürlich aufpassen, dass wir auf der Entschädi-gungsseite diese Voraussetzung nicht kippen, es sei denn, wir hätten auch auf dergrundsätzlichen Seite neue Erkenntnisse, die es ermöglichen, außerhalb der röntge-nologischen Nachweise zu sagen: Jawohl, auch da ist das Verdoppelungsrisiko ge-geben.D.h. wir müssen also systemkonform bleiben. Ich hätte im Augenblick die Sorge, dassim Streitfall „wie weisen wir Silikose nach“ diese grundsätzlichen Voraussetzungen,der Grund warum sie gewählt wurden – ich bin dankbar, dass wir es heute noch ein-mal gehört haben – ein bisschen vergessen werden.

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D.h. wenn man sagt, ich habe eine andere Methodik im Einzelfall zum Nachweis derSilikose, die in feineren Bereichen, durch die Histologie z.B. stattfindet, muß man im-mer auch sehen, ob das auch die Fälle sind, die ursprünglich bei der Anerkennunggrundsätzlich der BK eine Rolle gespielt haben. Ich denke, das muß Hand-in-Handgehen. Wenn das der Fall ist, habe ich kein Problem, das weiter zu entwickeln. Nurich kann auf der Anwenderseite das natürlich nicht aus den Angeln heben und will esauch nicht. Das ist der eigentliche Grund, warum sich die Berufsgenossenschaften daauch relativ linientreu natürlich an das halten, was in der Wissenschaft vorgegebenwird.

Prof. Dr. Woitowitz: Herr Dr. Platz, es ist die kardinale Frage, die Herr Erlinghagenhier stellt. Aber ich hoffe doch, Herr Erlinghagen, gezeigt zu haben, dass die Radiolo-gie leider nicht alles sieht, was der Pathologe diagnostizieren kann. Andererseits wirdes in der Welt niemals eine epidemiologische Studie geben, in der sämtliche Patientenmit Silikose einer Autopsie durch den Pathologen zugeführt werden können. Schauen Sie bitte beispielsweise einmal auf die Autopsie-Frequenz in Gesamt-deutschland. Sie mag jetzt vielleicht zwischen 1% und 10% liegen. In der früherenDDR gab es demgegenüber eine exzellent hohe Autopsiefrequenz, vielleicht hätte mandamals bessere Chancen zur Klärung dieser Frage gehabt. In Amerika, aber auch in al-len anderen Ländern, in denen gute Epidemiologie datenschutzrechtlich nicht derartbehindert wird, dürfte es dennoch nie möglich sein, z.B. aus einem Steinbruchbetrieballe Verstorbenen mit und ohne Silikose einer Autopsie zuzuführen. Wenn eine solcheForderung gestellt würde, müßten wir vor Gericht bekennen: „Meine Damen und Her-ren Richter, Sie überfordern damit eindeutig die Möglichkeiten der medizinischen Wis-senschaft“. Deshalb muß der indirekte Weg gesucht werden. Der Lösungsansatz einer Ermittlungder erforderlichen Korrelation mit den Methoden der Pathologie ist praktikabel. Glei-ches gilt auch für die Radiologie beim Einsatz der hochauflösenden Computertomo-graphie. Wir bewegen uns dann zwar nach Art eines „Rösselsprungs“, bleiben aber aufder Grundlage des bestverfügbaren Wissens. Andererseits steht fest, daß arbeitsmedi-zinische Routine-Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Pneumokoniose-Erkrankungen weltweit, d.h. nicht nur in Deutschland, auf den Erkenntnismöglich-keiten des Röntgenbildes beruhen. Anhand dieser bildgebenden Methode liegen großeErfahrungen und bedeutende, auch epidemiologisch verwertbare Datenmengen vor.Demgegenüber kann die Forderung nicht zur Routine erhoben werden, bei allen Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmern – etwa in der keramischen und Glas-Industrie –zum Todeszeitpunkt nachzuschauen, wie es mit letzter Sicherheit in deren Lungen aus-sieht. Bei allem wissenschaftlichen und sozialjuristisch-beweisrechtlichem Interessewäre ein solches Ansinnen selbstverständlich nicht umsetzbar.

Dr. Platz: Vielen Dank, erlauben Sie bitte jetzt, dass wir in die Pause gehen und wei-tere Grundsatzfragen zu den Themen dann im Anschluss danach diskutieren.

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Lungenkrebs bei Silikose (BK Nr. 4112 BKV)– Anerkennung bei Exposition im Steinkohlenbergbau mit anschließender Übertage-Exposition –

Prof. Dr. E. Borsch-GaletkeDirektorin des Instituts für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin der Heinrich-Heine-Universität,Düsseldorf

Einleitung

Die 1. Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung 2002 (BKV-ÄndV) vom 5. 9. 2002 ist am 1. 10. 2002 in Kraft getreten. Mit Artikel 1 Nr. 2 b wurdedie BK Nr. 4112 neu in die Liste eingeführt und folgendermaßen bezeichnet:

„Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO2) bei nach-gewiesener Quarzstaublungenerkrankung – Silikose oder Siliko-Tuberkulose“.Das Lungenkrebsrisiko von Steinkohlenbergleuten ist umstritten und war zum Zeit-punkt der Änderungsverordnung nicht hinreichend geprüft. Daher ist Lungenkrebs inVerbindung mit Silikose bei diesen Beschäftigten – außer solchen z.B. im Streb-ausbau – in Kenntnis des gegenwärtigen Wissensstandes ausgenommen. Eine Berufskrankheit Nr. 4112 liegt also vor, wenn ein Versicherter nach Tätigkeitenbei Einwirkung gegenüber alveolengängigem Staub mit kristallinem Silizium-dioxid – außer Steinkohlenbergleuten – an Silikose bzw. Siliko-Tuberkulose undaußerdem an Lungenkrebs erkrankt ist. Die Silikose muss radiologisch nach der ILOKlassifikation 1980 mindestens entsprechend der Streuung 1/1 zu kodieren sein.Denn nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist eine durch kristallines SiO2 induzierteVerdoppelungsdosis des Lungenkrebsrisikos nur in Verbindung mit dem Nachweis ei-ner Silikose vereinbar, und das ist z. Zt. die röntgenologisch erkennbare Mindest-Streuung 1/1 nach ILO-Klassifikation 1980.

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Problemstellung

Wie ist die Bewertung gemischter Tätigkeiten und zwar im Steinkohlenbergbau mitanschließender Übertage-Quarzstaubeinwirkung im Hinblick auf die Anerkennungeiner BK 4112 BKV zu vollziehen?

Diese Frage stellt sich, wenn zum Zeitpunkt der Diagnose „Bronchialkarzinom“ eineröntgenologisch ausreichend erkennbare Anthrakosilikose zumindest auf der Über-sichtsaufnahme nach vorgenannten Expositionen zu kodieren ist. Anders gefragt:Welche Tätigkeiten – Steinkohlenbergbau oder obertätig im Quarzfeinstaubbereich –sind für die Verursachung dieser röntgenologisch sich darstellenden silikotischen Ver-änderungen nicht, überwiegend oder nur anteilig – quasi als Brücke – und damit fürdie Anerkennung der BK 4112 BKV verantwortlich zu machen (Abb. 1)?

Abb. 1: Die Silikose als Brücke für die Anerkennung eines berufsbedingtenBronchialkarzinoms (BK Nr. 4112 BKV) durch quarzhaltigen Alveolarstaub (außerSteinkohlenbergbau)

Denn den erkennbaren silikotischen Fleckschatten ist in der Regel nicht anzusehen,welche Genese des beruflichen Werdegangs ihnen zugrunde liegt, es sei denn, es stel-len sich ganz typische Veränderungen dar, wie sie gelegentlich bei sehr hohem Quarz-anteil (z.B. Granit) zu sehen sind.Welche Parameter lassen für den einzelnen Arbeitnehmer eine konkrete Aussage zur ursächlichen Beziehung zwischen „Belastung durch quarzhaltigen Alveolar-staub einerseits und darauf zuzuordnenden Silikosekategorien andererseits“ zu undzwar

∑ unter Exposition im Steinkohlenbergbau∑ nach Abkehr aus dem Steinkohlenbergbau∑ und unter/nach Übertage-Exposition (Abb. 2).

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Zusammenhang zwischen fibrogenen Grubenstäubenund Anthrakosilikoseprävalenz

Da die Einflussgrößen für die Entstehung einer Anthrakosilikose maßgebend von denVerhältnissen am Arbeitsplatz bestimmt werden, sind sowohl die Dauer der Einwirkung, die Konzentration, also die Dosis, und die Zusammensetzung des inkor-porierten Feinstaubes insbesondere hinsichtlich seines Quarzgehaltes maßgebend.Die Wirkung von quarzhaltigem Grubenfeinstaub kann in der Lunge erheblich vari-ieren: Hierfür werden insbesondere physikochemische Eigenschaften der Partikel-oberfläche verantwortlich gemacht (z.B. Fubini 1998, Bruch 1985, 2001, Bruch undMit. 1983, 1991, Woitowitz 1999, Woitowitz und Mit. 1989, Reisner 1971, Reisnerund Mit. 1985). Je nach Konstitution der Oberflächenschichten kann die Reaktivitätvon Quarz variieren. Man spricht auch von einer „Maskierung“ der Quarzoberfläche.Nach der überwiegenden Zahl der Autoren steht der Quarzfeinstaubanteil nicht mitder Krankheitsprävalenz „Anthrakosilikose“ in positiver Beziehung: Vielmehr ergibtsich aus epidemiologischen Studien für das Risiko „Silikose“ eine positive Assozia-tion zum Inkohlungsgrad: Je älter und höher inkohlt die abzubauende Kohle ist, desto wahrscheinlicher ist eine höhere Silikosekategorie im Röntgenbild zu kodieren(Hurley und Mit. 1987, Morfeld und Mit. 1997, Reisner 1985).Nach Morfeld und Piekarski (2000) ergeben sich positive Beziehungen der Krank-heitsprävalenz „Bergarbeiterpneumokoniose“ zur Höhe der Feinstaubbelastung, imAllgemeinen aber keine mit der der Quarzstaubexposition, lediglich bei älteren stra-tigraphischen Horizonten (Reisner und Mit. 1985, Robock und Bauer 1988).

Abb. 2: Entwicklung und Progression der Anthrakosilikose nach Einwirkungsdauerund Konzentrationshöhe des quarzhaltigen Alveolarstaubes aus Steinkohlenbergbauund Nicht-Steinkohlenbergbau

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Woitowitz et al. (1989) und Woitowitz (1999) sehen eine verringerte Quarzwirkungim Kohlengrubenstaub durch Begleitminerale, d. h. Co-Expositionen sind zu berück-sichtigen.Übereinstimmend konnte in Tierversuchen nachgewiesen werden, dass die fibroblas-tische Wirkung des Quarz durch Komponenten in Kohlengrubenstäuben gehemmtwird (Schlipköter und Pott 1969).Nach Reisner (1971) und Reisner und Mit. (1985) ist das Auftreten und Fortschreitender sillikotischen Lungenstrukturierung abhängig von der

∑ Höhe des kumulativen Feinstaubes (als Staubsumme ∑)∑ Verweildauer des Staubes in der Lunge.

Reisner untersuchte für den deutschen Steinkohlenbergbau in einem 20-Jahreszeit-raum von 1954–1973 18.000 Bergleute auf 10 Zechen hinsichtlich Pneumokoniose-risiko. Die Staubsumme ∑ = K ¥ S berücksichtigt hierbei die Staubkonzentration Kund die Expositionsdauer als verfahrene Schichten S. Nach der Gesundheitsschutz-verordnung von 1992 werden die persönlichen Staubbelastungswerte und Tätigkeitennach Anlage 6 im § 5 mittels einer Karteikarte fortlaufend registriert (Abb. 3). Bereitsab 1954 wurde begonnen, Arbeitsbelastungen zu dokumentieren und Messverfahrenzu vereinheitlichen. 1964 wurde die Bergverordnung in NRW erlassen.Die durch Reisner und Mit. (1985) ermittelten Ergebnisse zeigen zusammenfassend,dass sich das Auftreten mindestens „eben leichter“ ≥ – I Staublungenveränderungen– der ILO Klassifikation 1980 entsprechend der Streuung 1/0; 1/1; 1/2 – bei Be-schäftigten im Untertagebau in Abhängigkeit von der Staubdosis, d. h. der Staub-summe unterschiedlich entwickelt (Abb. 4).

K

Abb. 3: Staubsumme

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Auch das Anlegealter des Versicherten bestimmt die Prävalenz der Pneumokoniose,wobei die Häufigkeit dieser Veränderungen mit dem Lebensalter zunimmt (Abb. 5).Ebenso stellt die Dauer der Verweilzeit des fibrogenen Staubes in der Lunge einen wei-teren Parameter des Pneumokonioserisikos dar. Für die Zeche H ist der Einfluss der Ver-weildauer explizit in Abb. 6 dargestellt und zwar bei einem Anlegealter von 22 Jahren.Für die Beschäftigten der 10 Zechen bestehen trotz gleich hoher Staubsumme hin-

Abb. 4: Das Auftreten der einfachen Pneumokoniose unterschiedlicher Schwere-grade in Abhängigkeit von der Staubsumme bei einer mittleren Verweildauer desStaubes in den Lungen von 120 Monaten und einem Anlegealter von 22 Jahren aufder Zeche H (Ergebnis einer Regressionsanalyse mit logistischem Modellansatz)(nach Reisner et al. 1985)

K

p

Abb. 5: Auftreten sicherer Staublungenveränderungen in Abhängigkeit von derStaubsumme und dem Anlegealter (nach Reisner 1969)

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Abb. 6: Das Auftreten der einfachen Pneumokoniose in Abhängigkeit von der Staub-summe und der mittleren Verweilzeit des Staubes in den Lungen bei einem Anlegeal-ter von 22 Jahren (nach Reisner et al. 1985)

Abb. 7: Das Auftreten mindenstens „eben leichter“ ≥ (–I) und „leichter bis mittle-rer“ ≥ (I–II) Staublungenveränderungen in Abhängigkeit von der Staubexpositionbzw. einer mittleren Feinstaubkonzentration (CTBF) nach 7000 Schichten in 35 Jah-ren auf 10 Ruhrzechen bei einem Anlegealter von 22 Jahren und einer mittleren Ver-weildauer des Staubes in den Lungen von 210 Monaten (Ergebnis einer Regressions-analyse mit logistischem Modellansatz) (nach Reisner 1985)

sichtlich Silikoseprävalenz deutliche Unterschiede (Abb. 7). Dies gilt sowohl fürleichte Grade der Silikose (linke Seite) wie ausgeprägte auf der rechten Seite dieserAbbildung. Eine Hauptursache kann der Quarzfeinstaubgehalt des Gesteins der 10untersuchten Zechen sein.

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Vergleicht man den Quarzanteil im Alveolarstaub für drei große Arbeitsbereiche, soliegt er für den Steinkohlenbergbau des Ruhrkarbon bei < 5%, für den des Saarlan-des zwischen 5 und 15% (Abb. 8).

Fazit:

Aus der jeweiligen Staubsumme ∑ einschl. Quarzanteil ist die individuelle Belastungjedes einzelnen Steinkohlenbergmanns bekannt. Da für die Beschäftigten regelmäßig

Abb. 8: Quarzanteil im Alveolarstaub größter arithmetischer Mittelwert verschiede-ner Arbeitsbereiche einer Teilbetriebsart (nach BIA-Report 7/97)

Abb. 9: Fazit

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arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt wurden/werden, ist dieBeanspruchung, also das röntgenologisch sich darstellende silikotische Lungensubs-trat, nahtlos objektiviert. Belastung und Beanspruchung können so zeitlich und quan-titativ in Beziehung gesetzt werden (Abb. 9).

Zusammenhang zwischen quarzhaltiger Alveolarstaub-Einwirkung im Nicht-Steinkohlenbergbau und ∑ Silikoseprävalenz

∑ Latenzzeit

Ein Schwellenwert für die Entstehung der Silikose wird prinzipiell in Frage gestellt,da nur eine unvollständige Elimination des quarzhaltigen Feinstaubes aus der Lungeerfolgt und so fortlaufend mit einer fibrogenen Wirkung zu rechnen ist (Greim 1998).In vergleichenden Studien wird eine kumulative Dosis von 2 mg AQS/m3/Jahre bzw.ein Konzentrationsmittelwert von 0,05 mg AQS/m3 gewählt. Die Silikoseprävalenz be-trägt z.B. im englischen Gipsbergbau 16 % für die silikotische Lungenstrukturierung≥1/0 bei einer Expositionsdauer von ≥20 Jahren. In der englischen Keramikindustrieliegt die Prävalenz für das Stadium ≥ 1/0 zwischen 0 und 2 % bei einer Expositions-dauer von mehr als 10 Jahren (Cherry und Mit. 1998). Vergleiche hierzu Abb. 10.Im kanadischen Goldbergbau (Muir und Mit. 1989) zeigt die Prävalenz eineAbhängigkeit von der Anzahl der „Leser“ des Röntgenbildes (Abb. 11).Im Rahmen einer Dissertation wurden Daten von Beschäftigten der keramischen undGlasindustrie-Berufsgenossenschaft aufgearbeitet. Was die mittlere Latenzzeit rönt-genologisch sich darstellender silikotischer Lungenveränderungen der Streuung 1/1,

Abb. 10: Überblick über Dosis-Wirkungs-Beziehungen für die Silikose in Abhängig-keit von der Quarzstaub-Exposition (…MAK-Begründungen…, 1999)

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Abb. 12: Dauer (in Jahren) für die Entwicklung erster röntgenologisch nachweisba-rer silikotischer Lungenveränderungen und einer entschädigungspflichtigen BK 4101BKV (n = 81) aus Daten der BG der keramischen und Glasindustrie aus den Jahren(1975–1986)

Abb. 11: Überblick über Dosis-Wirkungs-Beziehungen für die Silikose in Abhängig-keit von der Quarzstaub-Exposition (…MAK-Begründungen…, 1999)

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also den Beginn der BK 4101 BKV betrifft, liegt sie bei 27 Jahren, bis zur Entschä-digung im Mittel bei 47 Jahren (Abb. 12).Bezogen auf die verschiedenen Tätigkeitsarten, beträgt die kürzeste Latenzzeit 20Jahre im Bereich Aufbereitung, die längste in der Dreherei, Formerei. Die erstereGruppe weist das höchste Eintrittsalter (32 Jahre), letztere das niedrigste mit 15 Jah-ren auf. Staubmesswerte, die zuzuordnen wären, fehlen ebenso wie auch Angabenzum Verlauf der silikotischen Fleckschatten nach Tätigkeitsaufgabe.Nach Finkelstein (1994), der die Daten von quarzstaubexponierten Arbeitnehmernmit unterschiedlichen Tätigkeiten aufarbeitete, beginnt die Silikose bereits nach 5Jahren mit einem breiten Gipfel zwischen 16 und 30 Jahren (Abb. 13).

Follow-up-Dauer nach Silikosediagnose für das Bronchialkarzinom in Hinblick auf die SMR/SIR

Studien von Amandus und Mit. (1991) und Partanen und Mit. (1994) erlauben eineAussage zur Dauer des Follow-up für das Bronchialkarzinom nach Silikosediagnose:Erstere finden bei Beschäftigten in verschiedenen Bereichen wie Bergbau, Gießerei,Steinbruch, Baugewerbe keinen Anstieg für die SMR mit zunehmender Follow-up-Dauer. Sie beträgt im Mittel 2,3 (1,5–3,4). Partanen und Mit. (1994) errechnen fürdie SIR aller Lungenkarzinome 2,9, bei weniger als 2 Jahren nach Silikosediagnose0,41, nach mehr als 10 Jahren 3,27. Auch hier sind die Tätigkeitsbereiche: Bergbau,Steinbruch (ohne Granit), Metallerzabbau, Glas- und Keramikindustrie, Gießerei(Stahl-, Eisen-), Baubereich, Glasindustrie: Von insgesamt 811 an Silikose Erkrank-ten waren im Bergbau und Steinbruch 247 tätig, Gießereiarbeiter 258 und solche imMetallerzabbau 227. Hingegen finden Partanen und Mit. einen Anstieg der SIR mitzunehmender Follow-up-Dauer seit Silikosediagnose (Abb. 14).

Abb. 13: The latency distribution of diagnosis of silicosis among silicaexposed wor-kers under surveillance in Ontario, and the cumulative proportion of silicosis diag-nosis vs. latency (Finkelstein 1994)

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Fazit für den deutschen Nicht-Steinkohlenbergbau

Was die Auswertung der Untersuchungsergebnisse im Nicht-Steinkohlenbergbau inHinblick auf die Beziehung zwischen alveolärer Quarzfeinstaubbelastung (AQS) einer-seits und silikotischen Lungenveränderungen andererseits betrifft, sind diese im Gegen-satz zum Steinkohlenbergbau sehr spärlich. Das Fazit ist in Abb. 15 zusammengestellt.

Abb. 15: Fazit

Abb. 14: Follow-up-Dauer nach Silikosediagnose für das Bronchialkarzinom(…MAK-Begründungen…, 1999)

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Progression der Silikose

Studien zu nachgehenden Untersuchungen, was den Verlauf der Silikose betrifft, sindebenso sehr selten. Nach der Gesundheitsschutzbergverordnung (1992) wurden dieseerst 1997 in die Praxis umgesetzt, für den obertägigen Bereich existieren noch keine.Reischig und Mit. (1991) untersuchten abgekehrte Bergleute im saarländischen Stein-kohlenbergbau. Aus ihren Ergebnissen zeichnet sich eine beträchtliche Progredienzsilikotischer Fleckschatten ab: Aus einem Stadium 0/0 entwickelte sich bei 2,2% eineStreuung 1/1, aus einer fraglichen (0/1; 1/0) bei 15% eine 1/1 und höher. Auch nachHurley und Mit. (1987) ist ebenfalls ein Fortschreiten der silikotischen Veränderun-gen bekannt, sogar bis zur progressiven Silikose.Hessel und Mit. (1988) zeigten an 631 Bergleuten im südafrikanischen Goldbergbaueine Progression der Silikose mit 88,3% nach Beendigung, unter Exposition mit94,6%. Das Follow-up lag bei 14,2 Jahren.Kreiss und Kehe (1993) und Kreiss und Zhen (1996) beobachteten Bergleute aus USAüber einem Zeitraum von 60 Jahren: Bei 67% liegt nach einer Expositionsdauer von25 Jahren 35 Jahre später eine Streuung 1/0 und höher vor. Die Zahl der Silikotikerist mit 78 % aber nicht wesentlich höher als die derer, die 45 Jahre quarzstaubexpo-niert waren und 25 Jahre später nachbeurteilt wurden (Abb. 10).Ulmer und Mit. (1987) haben sich sehr ausführlich den Bergleuten nach Abkehr zu-gewandt. Sie erkannten, dass der Verlauf der Silikose ohne weitere Exposition ebensosteil ist wie der unter Exposition im Steinkohlenbergbau. Ulmer und Mit. untersuch-ten das Klientel an 2 Zechen (Abb. 16, 17).Auch nach Morfeld und Piekarski (1994) und Morfeld und Mit. (1992) besteht eineProzessdynamik der Erkrankung: Das Risiko, von der silikotischen Streuung 1/1 indie nach 2/2 anzusteigen, beträgt 38,5%, bezogen auf eine Verweildauer im Stadium1/1 von 10 Jahren.

Abb. 16: Mittlere pneumokoniotische Veränderungen in Abhängigkeit von der Expo-sitionszeit und der Abkehrzeit des „Sauna-Kollektivs“ wie des „unselektierten Kol-lektivs“ (Ulmer et al. 1987)

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Auch nach Reisner und Mit. (1985) entwickeln sich die silikotischen Lungenverän-derungen fort. Was Veröffentlichungen zu Dosis-Wirkungs-Beziehungen betrifft, sind diese mit er-heblichen Unsicherheitsfaktoren behaftet, wovon in Abb. 18 die bedeutendsten ge-nannt werden.

Abb. 18: Unsicherheiten bei den Angaben zu Dosis-Wirkungsbeziehungen

Abb. 17: Mittlere pneumokoniotische Veränderungen in Abhängigkeit von der Expo-sitionszeit (Kollektiv B1) bzw. von der Expositionszeit und der Abkehrzeit (KollektivB2 + B3) (Ulmer et al. 1987)

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Praktisches Vorgehen

Auch wenn Mängel bei der Erfassung/Beurteilung der Belastung und/oder Bean-spruchung bestehen, muss ein in die Praxis umsetzbares Verfahren anwendbar sein,was es erlaubt, bei einem am Bronchialkarzinom erkrankten Steinkohlenhauer mit an-schließend obertägiger Zeit über das Vorliegen einer BK 4112 BKV eine valide Aus-sage zu treffen:

Auch unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit teilweise nicht optimal er-mittelten Untersuchungsergebnisse ist folgendes Vorgehen vorzuschlagen:

1. Für den untertägigen Bereich erfolgt nach Beiziehung aller Thoraxaufnahmen dieKodierung silikotischer Lungenveränderungen nach der gültigen ILO-Klassifika-tion.

2. Für den Zeitraum untertage als Steinkohlenbergmann kann aus früheren Zeiten an-hand des Staubsummenwertes ∑ bzw. aus den Daten der Staubkarte eine Aussageüber die Belastungsdosis gemacht werden. Dies betrifft auch den Quarzgehalt.

3. Nach Abkehr aus dem Untertagebereich bzw. aus dem Zeitraum der obertägigenquarzstaubbelastenden Tätigkeit liegen in der Regel Thoraxaufnahmen im Abstandvon bis zu 3 Jahren vor.

Schlussfolgerungen

Die röntgenologisch sich darstellenden silikotischen Lungenveränderungen erfahrenbei einem zeitlich ausreichenden Follow-up eine Progression. Sofern sich diese sili-

Abb. 19: Gewichtung der Anthrakosilikosekategorien nach Einwirkungsdauer undKonzentrationshöhe des quarzhaltigen Alveolarstaubes vom Steinkohlen- und Nicht-Steinkohlenbergbau

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kotischen Fleckschatten unter/nach Exposition im obertägigen Bereich ausgeprägterdarstellen – also eine höherer Streuung erkennen lassen – als im Vergleich zu denennur unter Abkehr zu unterstellenden, ist diese Zunahme der obertägigen Alveolar-staubeinwirkung zuzuordnen. Der Anteil dieser Fleckschatten ist als so wesentlich an-zusehen, dass er als Silikose im Sinne einer Brücke für die Karzinomentwicklung ein-zuordnen ist. Hierbei kann eine Berechnung/Abschätzung der kumulativen fibroge-nen Alveolarstaubdosis ober- und untertägig hilfreich sein (Abb. 19).Das praktische Vorgehen zur Beurteilung, ob eine BK 4112 BKV vorliegt oder nicht,geht aus Abb. 20 hervor. Hierbei ist eine Gewichtung der Anthrakosilikose nach derHöhe der Belastungsdosis, also nach Einwirkungsdauer und Konzentrationshöhe desquarzhaltigen Alveolarstaubes, bei Steinkohlen- und Nicht-Steinkohlenbergleutenvorzunehmen.

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Abb. 20: Praktisches Vorgehen zur Beurteilung des Vorliegens einer BK 4112 BKVbei Tätigkeiten im Steinkohlen- und Nichtsteinkohlenbergbau

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Dr. Platz: Vielen Dank, Frau Professor Borsch-Galetke für das Rätsels Lösung. Soweit. Viel-leicht bestehen aber doch direkt dazu, weil für den einen oder anderen das Rätsel noch nicht ganz gelöst ist, noch weitere Fragen. Erstmals Zusammenhangsfragen zu IhremVortrag und dann werden wir noch einmal in die Gesamtdiskussion gehen. Bitteschön, hier ist eine Frage.

Dr. Angerer/Uni München: Wie groß müsste denn der Anteil sein, der der Arbeit ausdem Nicht-Steinkohlebergbau zuzuordnen ist, damit sie sagen das entspricht dieser1/1, die in der BKV gefordert ist?

Prof. Dr. Borsch-Galetke: Welchen Anteil meinen Sie, Herr Angerer, meinen Sie jetztden Anteil des Röntgenbildes oder den Anteil des Staubes?

Dr. Angerer/Uni München: Sie würden ja erwarten, dass eine bestimmte Progressionda ist, um wieviel mehr muss die Progression sein als erwartet, dass Sie sagen, dasBronchialkarzinom ist auf die Silikose, die über Tage erworben worden ist, zurück-zuführen?

Prof. Dr. Borsch-Galetke: Ich würde dann versuchen, über die Teilursächlichkeit zugehen. Es muß für mich keine volle Stufe sein, also keine 1/1 oder 2/2, sondern fürmich würde schon reichen 1/2 oder 2/1, also eine halbe Kategorie. Aber ich würdenicht so weit gehen, dass das für jeden Fall gilt, sondern ich würde die Belastung derStaubdosis gewichten und natürlich auch die Zeitdauer. Ich würde nicht ein Jahr imquarzhaltigen Obertagebereich ansehen. Das sind ja oft Fälle oder können Fälle werden, wo ich nach 2 Jahren diesen Sprung habe. Wir wissen auch von früheren Untersuchungen, dass auch unterTage eine ganz massive progressive Silikose entstehen kann. Die Silikoseschlummert über Jahre. 30 Jahre hat sich nichts getan – und nach einer ganz kur-zen Zeit geht sie über in eine progressive Silikose. In diesen Fällen kann ich keineHilfe geben.Ich kann nur für die einfachen Pneumokoniosen dieses Schema anbieten oder zur Dis-kussion stellen.

N. Erlinghagen: Ein Sonderproblem, was sich herleiten läßt aus dem Merkblatt für die Anzeige, wo wie heute schon erwähnt wurde, Schacht- und Gesteinshauer als entschädigungsfähig ausgenommen sind von den untertägig Tätigen, wir aber das Problem haben eine irgendwie geartete Quantifizierung vornehmen zu müs-sen, um zu sagen, wieviel Staub / Zeit brauche ich um sagen zu können, dass danndiese Tätigkeit als rechtlich wesentlich / ursächlich für den Krebs angesehen werdenkann. Statuten / Vorstellungen aus Ihrer Sicht, wie man diesem Problem entgehenkönnte?

Prof. Dr. Borsch-Galetke: Nehmen wir das Ruhr-Carbon, weil mir das natürlich amnächsten ist, dann weiß ich auf welcher Zeche er tätig war.

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Ich weiß dann etwas zum Quarzgehalt und zur Feinstaubsumme. Dann würde ich indas Reisner’sche Diagramm hereingehen und sagen, wo liegt die Silikoseprävalenz,fiktiv. Das wäre eine Möglichkeit. Ich habe natürlich noch die Vorsorgeuntersu-chungen. Dann weiß ich auch, wie die Silikose angestiegen ist, wie ihre Progressionwar.

N. Erlinghagen: Wir orientieren uns also rein am tatsächlichen Verlauf der Silikose,nicht an Staubmesswerten oder Quantitäten.

Prof. Dr. Borsch-Galetke: „Nein, beides Herr Erlinghagen, ich muß das Eine in Be-ziehung zum Anderen setzen, ich kann das Eine nicht loslösen. Nur die KomponenteQuarz, die ist relativ unklar. Die würde ich bei Untertägigen zunächst vernachlässigen,weil sie gewichtet wird im Hinblick auf das Karzinomrisiko. Aber sonst können SieStaubdosis in Beziehung setzen zur stadienbezogenen Lungenveränderung.

Dr. Platz: Vielen Dank. Weitere Fragen unmittelbar an diesen Vortrag? Wenn das jetztnicht der Fall ist, möchte ich jetzt die Referenten bitten, hier ans Podium zu kommen.Dann eröffnen wir nochmal die Diskussion zu allen 3 Vorträgen und zu der Proble-matik insgesamt. Bitte schön.

Professor Dr. Ulm / TU München an Professor Woitowitz: Es geht um die Entschä-digung der Silikose. Sie sagten, die ganzen Studien zeigen dass die Arbeiter mit Sili-kose ein mehr als zweifach erhöhtes Lungenkrebsrisiko haben im Vergleich zur Be-völkerung, was hier für die Keramik- und Steinbruchs-BG gilt. Nur muß man sagen,der Vergleich heißt: ich vergleiche Arbeiter mit Silikose mit der Bevölkerung. Dieunterscheiden sich in zwei Faktoren: Quarzexposition-Silikose und Rauchen. Undwenn ich das Rauchen berücksichtige und adjustiere, dann sinkt natürlich die SMR,das relative Risiko bezüglich Lungenkrebs und das Problem ist, ich habe keine ganzperfekten oder guten Zahlen für die Bevölkerung was das Rauchen anbelangt. Für dieArbeiter kenne ich das relativ gut.Wenn ich das aber mache, weiss ich, dass ich etwa 30% mehr Lungenkrebsfälle aufGrund des Rauchens erwarten würde. D.h., im Rechenbeispiel wenn 20 Fälle an ei-nem Lungenkarzinom versterben unter einem Kollektiv von Silikose, dann würde ichetwa 10 erwarten, wenn ich die Bevölkerung zu Grunde nehme.Wenn ich das Rauchen nur adjustiere, hätte ich statt den 10 vielleicht 13 Fälle.Das Risiko sinkt unter 2. Wir sind da relativ nahe an dieser kritischen Grenze.Ist es jetzt dann immer noch ausreichend für die Entschädigungsfrage?

Prof. Dr. Woitowitz: Herr Prof. Ulm sagt, wir verfügen nicht über gute Studien zurHäufigkeit des Lungenkrebses, geschichtet nach Nichtrauchern und Rauchern in derBevölkerung. Dies lässt sich, meine sehr verehrten Damen und Herren, einfach erklä-ren. Der Totenschein, auf dem solche Kohortenstudien in der Regel basieren, enthältbekanntlich keine Angaben zu den Rauchgewohnheiten, sondern lediglich die Diag-nose Lungenkrebs. Hier war es 1995 aber die international anerkannte amerikanischeEpidemiologin Frau Smith mit ihren Mitautoren – Herr Prof. Ulm, Sie kennen die Ar-

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beit in der hochrangigen Zeitschrift Epidemiology sicher genauso gut wie ich – diedennoch anhand einiger Studien zur Klärung dieser wichtigen Frage Entscheidendesbeigetragen hat. Die Ergebnisse wurden jedoch bereits 1999 hier an dieser Stelle imDetail vorgetragen und lassen sich somit in dem zugehörigen Berichtsband nachlesen.Sie waren daher nicht Gegenstand meines heutigen Referats. Dennoch sei folgendesin Erinnerung gerufen. Frau Smith konnte einige Studien aufführen, aus denen man fürdie Verstorbenen die Rauchgewohnheiten ermitteln konnte. Dann hat sie folgende Lo-gik angewendet: Für die „übrige Bevölkerung“ sei davon auszugehen, daß schät-zungsweise etwa 80% der Erkrankungen an Lungenkrebs durch das Rauchen verur-sacht werden. Hergestellt wurde daher ein Vergleich der Lungenkrebs-Häufigkeit beinicht rauchenden, durch alveolengängigen Quarzstaub gefährdeten und an Silikoseerkrankten Beschäftigten mit derjenigen für die „übrige Bevölkerung“ nach entspre-chender Raucheradjustierung. Wurden jedoch die 80% Erkrankungen an Lungenkrebsdurch das Zigarettenrauchen in der „übrigen Bevölkerung“ herausgerechnet, ergab sich– meiner Erinnerung nach – für die an Silikose erkrankten Nichtraucher ein relati-ves Risiko von etwas über RR = 3 – verglichen mit der “übrigen Bevölkerung“ nachder so vorgenommenen Raucheradjustierung. Die Begrenzheit dieses Ansatzes liegt inder geringen Zahl solcher Studien mit einer relativ kleinen Fallzahl.Mangels besserer Studien mußte im BK-Ausschuss das Problem auf dieser Datenba-sis diskutiert werden. Der wissenschaftlichen Begründung kann die Empfehlung ent-nommen werden, angesichts dieses dreifachen, d.h. mehr als verdoppelten Lungen-krebs-Risikos die Rauchgewohnheiten nicht als einen limitierenden Faktor für die An-erkennung einer Erkrankung an Lungenkrebs bei einer Silikose der ILO-Streuungska-tegorie 1/1 anzusehen.

Prof. Dr. Ulm / TU München: Es ist eine wesentliche Frage. Was ergeht, wenn Siedie 20 Fälle sehen und 10–13 Fälle würden Sie erwarten, dann geht es ja darum, dass7 Fälle wahrscheinlich quarz- oder silikosebedingt zusätzlich aufgetreten, egal wieSie das rechnen. Die Hauptfrage ist, wie finden Sie die 7 Fälle unter den 20 Fällenheraus für die Entschädigung. Es ist doch – wie ich das sehe – einer der Kernpunkte:Welche Kriterien haben Sie denn, die Fälle zu finden und zu entschädigen?Sehen Sie das in der Exposition, sehen wir das in anderen Kriterien? Und das ist et-was, wo ich denke, da gibt es – wie Sie richtig gesagt haben – aus der Literatur keineHinweise, die Sie hier ausfiltern können.

Prof. Dr. Woitowitz: Es sollte hier vorgebeugt werden, Herr Prof. Ulm, dass Sie einAuditorium total verwirren. Daher wiederhole ich, aus Studien, welche die „übrige Be-völkerung“ als Bezugsgröße verwenden, also beispielsweise die amtliche Sterblich-keits-Statistik aufgrund des Totenscheins in Deutschland, müssten aus der Häufigkeitder Erkrankungen an Lungenkrebs etwa 80% herausgerechnet werden, um für denNichtraucheranteil der Bevölkerung eine entsprechend raucheradjustierte Lungen-krebs-Inzidenz abzuschätzen. Dies haben Frau Smith und ihre Koautoren getan. Ausder Sicht der Arbeitsmedizin erscheint das Vorgehen, mangels besserer Evidenz über-zeugend, weil es das zur Zeit bestverfügbare Wissen berücksichtigt. Wir können dochnicht eine Bevölkerung, die hauptsächlich aufgrund des Zigarettenrauchens ihren Lun-

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genkrebs erleidet, als Maßstab für jene Silikose-Patienten mit Lungenkrebs heranzie-hen, die nicht geraucht haben. Frau Smith und Mitarbeiter haben aber eindeutig ge-zeigt: Auch nichtrauchende Silikose-Patienten, verglichen mit der Lungenkrebs-Inzi-denz der Bevölkerung minus 80%, weisen ein etwa dreifach erhöhtes Risiko auf, anLungenkrebs zu sterben. Wir gingen bei dieser Datenlage daher davon aus, daß sie aus-reichend für die genannte Empfehlung sei.

Prof. Dr. Ulm / TU München: Wenn Sie einen Fall haben, der Nichtraucher ist, Si-likose und Lungenkrebs hat, dass der entschädigt wird ist keine Frage. Nur diesenExoten gibt’s extrem selten. Die großen Statistiken in unseremTumorzentren sagen,dass 95% aller Fälle, die mit Lungenkarzinom eingewiesen und behandelt werden,sind Raucher, nur 5% sind Nichtraucher. Wenn der kommt, keine Frage. Das Problemliegt bei den Rauchern. Wie wir das differenzieren.

Prof. Dr. Woitowitz: Herr Prof. Ulm, all das ist doch ebenfalls bestens bekannt. DasProblem der Zigarettenraucher haben wir nicht zuletzt auch beim Asbest nun bereitsseit vielen Jahren ausdiskutiert. Das Risiko ist um vieles höher, wenn zwei gentoxi-sche, für den Menschen gesichert Lungenkrebs erzeugende Stoffe, hier der Teer ausder Zigarette und der Asbestfaserstaub am Arbeitsplatz zusammenwirken. Arbeitsme-dizinisch-toxikologisch handelt es sich dabei um einen synkanzerogenen Synergismus.Er verhält sich im Falle der arbeitsbedingten Asbestfaserstaub-Wirkung annähernd mul-tiplikativ. Auch im Falle des Quarzstaubes kann diese Synkanzerogenese – soweit wirwissen – weit überadditiv wirksam werden. Der Steigerungsfaktor durch den Zigarettenkonsum aufgrund des synkanzerogenenZusammenwirkens wurde im Falle des durch Asbestfaserstaub wesentlich mitverur-sachten Lungenkrebses sozialrechtlich durchaus angemessen gewürdigt. Eine derar-tige Entscheidung liegt letztlich jedoch weder beim durch Asbestfaserstaub noch beimdurch alveolengängigen Quarzstaub verursachten Lungenkrebs (Nr. 4104 BKV bzw.Nr. 4112 BKV) in der Kompetenz des ärztlichen Sachverständigen. Diese Erkenntnisverdanken wir, Herr Dr. Platz, Ihrem Vorgänger, Herrn Direktor Seidler, seit jenemdenkwürdigen Mainzer Kolloquium „Krebserkrankungen und berufliche Tätigkeit“1988 in Ihrer Berufsgenossenschaft. Kein geringerer als Prof. Dr. Krasney, Vizeprä-sident des Bundessozialgerichts und Vorsitzender des 2. Senats hat uns seinerzeit diesozialjuristische Fragestellung dieser Fallkonstellation am Beispiel des Asbestlungen-krebses eindeutig dahingehend beantwortet, dass bei einer solchen Synkanzerogenesedas Rauchen kein Ausschließungsgrund sein kann. Das möchte ich analog auch für diehier angesprochene gentoxische Substanz, den Quarzstaub, so sehen. Es ist daher keinProblem der Statistiker, sondern der sozialrechtlichen Bewertung im Sinne der in dergesetzlichen Unfallversicherung geltenden Rechtstheorie der wesentlich mitwirken-den Bedingung.

Dr. Platz: Vielen Dank, wir werden den Streit, Herr Professor Ulm, Herr ProfessorWoitowitz hier so nicht lösen könne, Aber ich denke der Hinweis auch auf die recht-liche Bewertung dieser Seite ist hier völlig richtig.

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O. Lang: Herr Professor Woitowitz, gestatten Sie mir noch eine einfachere Frage alswie die vorhergehende Raucherfrage. Wir haben hinsichtlich der unterschiedlichenErkrankungsbilder der BK Silikose und der BK 4112 doch m.E. ein Problem. Bezüg-lich der Wirkung des einatembaren kristallinen Siliziumdioxid sind zwei pathogene-tische Mechanismen zu unterscheiden: a.) die fibrogene Wirkung des Quarzstaubesund zum Anderen die kanzerogene Wirkung des Quarzstaubes.Die fibrogene Wirkung führt zur bekannten Silikose und zu dem bekannten Krank-heitsbild. Hinsichtlich der kanzerogenen Wirkung bzw. bei der BK 4112 bedienenwir uns doch der röntgenologischen Staubeinlagerungen nach der Streuungsdichte1/1 als praktischer Indikator. Wenn man sich aber die Erkrankungsbilder anschaut,bin ich der Auffassung, dass wir zwei vollkommen unterschiedliche Erkrankungs-bilder vor uns haben. Und jetzt die Frage an Sie, den Vertreter der medizinischenWissenschaft: Ist es tatsächlich so, dass man behaupten kann, dass das Bronchial-karzinom ursächlich oder Folge der BK Silikose ist? Wenn man ihr Bild in IhremVortrag zur Kausalkette betrachtet, dann müßten sie eigentlich diese Frage vernei-nen. Ist das richtig?

Prof. Dr. Woitowitz: Das ist gleichfalls eine weitere kardinale Frage, Herr Lang. Ausder Sicht der medizinischen Wissenschaft sollte heute nicht davon ausgegangen wer-den, daß der Lungenkrebs eine Verschlimmerung der Silikose ist. Das lässt sich auf-grund der Datenlage leider nicht feststellen, mag aber vielleicht pragmatisch manch-mal so gesehen werden. Dem lässt sich durch die Wissenschaft nicht begegnen und –solange sie nicht gefragt wird – auch nicht entgegentreten. Bedenken Sie aber bittenoch einmal die Resultate des Schlüsselversuches von Prof. Pott an Ratten. Wenn je-nes Ergebnis im nächsten Jahr an einer größeren Tierzahl bestätigt werden sollte undwir diese Daten haben, lässt sich definitiv zu der wissenschaftlich fundierten, dann er-härteten Aussage kommen, daß die Silikose eben nicht für die Verursachung des Tu-mors erforderlich ist.Wir haben uns im BK-Ausschuss nach heutigem Wissensstand aber sehr vorsichtig,wie gesagt konservativ verhalten mit der Festlegung des Abschneidekriteriums beimILO-Streuungsgrad 1/1. Das mag vielleicht als eine gewisse Härte empfunden werden,ist jedoch der derzeit gesichertste Sachverhalt, dem der Verordnungsgeber zu folgenvermochte. Alle anderen Entscheidungen wären weitaus angreifbarer als das, was HerrProf. Ulm jetzt in die Diskussion zu bringen versucht.

Dr. Platz: Vielen Dank Herr Professor Woitowitz. Sie hatten ja betont, an dieser StelleIhres Vortrages, dass wir dann, wenn diese Ergebnisse vorliegen, neu nachdenkenmüssen. Und dann wahrscheinlich auf einer völlig anders gesicherten Basis, als dasheute der Fall ist.

Specht, Tiefbau-BG München: Herr Professor Woitowitz, bekanntlich weisen die imTunnelbau Beschäftigten ein erhöhtes Silikose-Risiko auf. Da ist keine Frage.Im Zusammenhang mit der BK 4112 werden immer wieder epidemiologische Studienaus Bereichen gezeigt wie Bergbau, Gesteinsgewinnung etc. Der Tunnelbau tauchtdabei allerdings nie auf. Frage an Sie, als denjenigen der diese Studien alle kennt:

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Gibt es denn keine Studien, die ein solches Risiko für den Tunnelbau belegen? Ha-ben wir Studien, die vielleicht nicht ausreichend Aufschluss darüber geben?Wenn ich mir die wissenschaftliche Begründung ansehe, dann haben wir darin ledig-lich eine Studie aus 1988 mit einem Relativrisiko 1:3, relativ kleines Kollektiv.Hintergrund meiner Frage ist: wenn wir die BK-DOK ansehen, 25 Jahre Auswer-tungszeitraum betrachten und 6 Fälle von an Silikose erkrankten Tunnelbauern fin-den, die auch ein Lungenkrebsrisiko dann letztlich aufweisen, indem sie erkrankten,habe ich da ein Problem, ob wir wirklich von der Begründung für diesen Bereich auchso richtig liegen oder meinen Sie, dass wir hier einfach irgendwelche Analogie-schlüsse im Vergleich zu anderen Branchen ziehen sollten?

Prof. Dr. Woitowitz: Ja, Herr Specht, auch ich bedaure es, dass der wichtige Industrie-zweig des Tunnelbaues in der wissenschaftlichen Literatur nicht repräsentativ berück-sichtigt wird. Allerdings dürften solche Tunnelbaustellen, wie wir sie für die ICE-Li-nien in den letzten 15 Jahren in Deutschland kennen gelernt haben, weltweit kaum sehrstark verbreitet sein. In der älteren Literatur aus dem Tunnelbau – wohl aus den 30erJahren – liegen Berichte etwa aus dem Alpenraum vor. Ich denke dabei z.B. an den St.Gotthard-Tunnel. Zwar sind darin noch keine Staubmessergebnisse enthalten, denn da-mals waren die Sicherheits- und die Staubmesstechnik noch nicht soweit fortgeschrit-ten, dass sie kumulative Dosen etc. berechnen und abschätzen konnte. Anders sieht esmit der Erkenntnis aus, daß bei hohen Quarzanteilen im Gestein und entsprechend ho-her Einwirkung von alveolengängigem Quarzstaub sehr frühzeitig „akute Silikose-Er-krankungen“ auftreten können. Anders als bei Frau Professor Borsch-Galetke, die mitLatenzzeiten von 10 bis 30 Jahren rechnet, können im Tunnelbau bei hoher Quarzbelas-tung, d. h. bei unzureichenden Arbeitsschutzmaßnahmen, bereits nach verhältnismäßigkurzer Zeit rasch progrediente Silikosen entstehen, die z.T. auch tödlich verlaufen. DieseErfahrungen haben im Tunnelbau – das wissen Sie besser als ich – zu eingreifenden Ar-beitsschutzvorschriften geführt. An Studien in diesem Sinne, wie wir sie epidemiolo-gisch benötigen würden, ist meines Wissens aber weiterhin Bedarf vorhanden.Wenn Sie zurückliegend lediglich 6 Fälle mit Silikose und Lungenkrebs aus dem Tun-nelbau erwähnen – ich schätze die BK-DOK und Dr. Butz sehr – sollte bedacht wer-den, daß in der BK-DOK ja nur die angelieferten Zahlen bearbeitet werden können.Da es bisher nicht als eine BK-rechtlich relevante Fragestellung galt, Erkrankungenan Lungenkrebs bei Silikosepatienten anzuzeigen, wird man diese Statistik wohl kaumals wissenschaftlich hinreichend aussagefähig bezeichnen können.

N. Erlinghagen: Obwohl, Frau Borsch-Galetke, ich noch zu kauen habe an IhremVortrag – das gebe ich gerne zu, weil er sehr komplex war, möchte ich einen Fall bil-den: Nehmen wir an, wir haben jemanden, der 20 oder 30 Jahre untertägig im Stein-kohlenbergbau tätig war, abgekehrt ist und dann 10–12 Jahre im Roh-Sandsteinbe-reich arbeitet, mit heutigen Verhältnissen im Gegensatz zu früheren.Wenn wir jetzt Ihr System nehmen würden und würden feststellen, dass die Progre-dienz in dem Fall auf der Linie liegt, die im untertägigen Steinkohlebergbau zu er-warten war, wissen aber, dass die 10–12 Jahre Roh-Sandsteinbetrieb eigentlich auchgereicht hätten, überhaupt eine Silikose hervorzurufen, dann sind wir ja eigentlich in

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einem unlösbaren Dilemma. Denn an sich müßte ich mir die Steinkohletätigkeit voll-ständig wegdenken und dann prüfen ob der Zeitraum im Roh-Sandstein für sich al-leine genommen reicht, um eine Silikose zu bekommen. Dann landen wir letztlichdoch wieder bei Dosisfragen. Hier komme ich noch nicht ganz aus dem Dilemma he-raus und hoffe, dass Sie eine bessere Idee haben als ich.

Prof. Dr. Borsch-Galetke: Sie unterstellen, dass er jetzt gegenüber dem obertägigenQuarzfeinstaub auch reagiert. Er muß ja nicht in gleichem Maße reagieren.Der Prozess ist zwar angestoßen, das heißt aber nicht, dass aus seinem Staubdepot, das er obertägig als Depot angelegt hat, die Silikose auch fortschreitet, das würde ichnicht sagen. D.h., wenn sie weiterhin einen Verlauf haben, der der Abkehrzeit entspricht,dann haben sie keine Komponente, die Sie dem Obertägigen zuordnen können.

N. Erlinghagen: D.h., auch wenn die Expositionsverhältnisse an sich für sich ge-nommen gereicht hätten? Nachdem entschädigungsfrei und eine praktisch negativeEntscheidung für den Versicherten.

Prof. Dr. Borsch-Galetke: Sie müssen ja nach Abb. 19 gehen – dafür haben wir janun etliche Studien, wir haben eine Zeche A und B, die unterschiedliche K-Faktoren hatten – und Sie haben auch die ausländische Literatur, die ich zeigte. Insofern sindes ja mehrere Studien, die das belegen. Warum wollen Sie denn jetzt, wo nichts ober-tägiges passiert, gerade so zuordnen?Dann hieße es ja: Wenn wir keine Progression untertägig haben, dann würde ja dieLinie, die wir jetzt gleichlaufend gezogen haben, einen Knick erhalten und nach un-ten gehen.Das würden Sie ja unterstellen, und diese Untersuchungsergebnisse liegen nicht vor.

N. Erlinghagen: Meine Sorge ist eher die, dass ich bei rein rechtlicher Betrachtungdes Vorganges geneigt gewesen wäre, den Fall anzuerkennen, weil ich sage: Hätte ergar nicht in der Steinkohle gearbeitet sondern nur im Roh-Sandstein hätte er seine Si-likose ja auch bekommen.

Prof. Dr. Borsch-Galetke: Aber er ist ja abgekehrt mit einer Streuung 1/1, die hat sichobertägig nicht erhöht, ist nicht um eine halbe oder ganze Kategorie gestiegen. Und wa-rum wollen Sie jetzt so einen nach 4112 BKV entschädigen? Da sehe ich keinen Grund.

N. Erlinghagen: Der Fall den Sie gebildet haben war ja anders. Falls die normale Pro-gression des Falles weiterläuft, also keine steilere Steigerung drinnen ist und ich danndas Problem habe, den Sozialrichtern erklären zu sollen, dass diese weitere Steige-rung nicht aus der hinzugetretenen Sandsteinexposition kommt.Das ist genau der Punkt, um den es bei uns geht als wie „zwei Seelen in einer Brust“,Die Bergmanns-Seele hat da kein Problem damit, aber als Steinbruchs-BG-Ge-schäftsführer habe ich das Problem. Möchte auch niemandem Ansprüche abstreiten,der möglicherweise welche hätte. Deswegen bin ich im Moment wirklich nachhaltigverunsichert.

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Prof. Dr. Borsch-Galetke: „Dann unterstellen Sie, dass wir einen Knick haben nachAbkehr, es ganz nach unten geht – keine Progression –.

N. Erlinghagen: Ich unterstelle den Fall, den Sie gebildet haben. Ich kann keine Dif-ferenz nachweisen, obwohl ich eine hinzutretende Exposition hätte, die für sich al-leine eigentlich rechtlich wirken könnte.

Prof. Dr. Borsch-Galetke: Sie haben keine.

Prof. Dr. Woitowitz: Aus meiner Sicht handelt es sich schon um eine überzeugendeAntwort, die Frau Professor Borsch-Galetke gegeben hat. Es geht ja nicht allein umdie kumulative Quarzstaubdosis, die jetzt im Sinne der Rechtstheorie der wesentlichmitwirkenden Teilursächlichkeit zu beurteilen ist. Es kommt auch darauf an, die pa-thophysiologische Reaktion im Lungengewebe – sprich die Ausprägung des Silikose-Schweregrades – in die Tatsachenbetrachtung mit einzubeziehen.Die Linearität des Silikoseverlaufes, die uns Prof. Ulmer und seine Mitautoren vor vie-len Jahren dankenswerterweise aufgezeigt haben, ist m.E. als Tatsache zu Grunde zulegen, weil es der evidenzbasierte, pathophysiologisch-klinisch erforschte Verlauf ist.Bereits bei Abkehrern aus dem Kohlebergbau verläuft die Progredienz der Silikose-erkrankung des Kohlebergmannes hiernach offenbar in gleicher Steilheit weiter. Trittnun durch die obertägige Einwirkung von alveolengängigem Quarzstaub keine Zu-nahme in der Steilheit, kein gewissermaßen additiver Effekt, hinzu, möchte ich die Fol-gerung von Frau Professor Borsch-Galetke unterstützen, dass dann auf der Basis die-ses Parameters eine wesentliche Teilursächlichkeit nicht ableitbar ist. Diese Annahmeberuht auf der derzeitigen Erkenntnislage deshalb, weil auch die pathophysiologischeReaktion eines Menschen, der sog. Individualfaktor bzw. seine Suszeptibilität, in ei-ner erheblichen Bandbreite variabel ist.

Prof. Dr. Borsch-Galetke: Das Wichtigste für die Kurve nach der Abkehrzeit ist derVerlauf. Ich bin ja einfach nur von der Gradlinigkeit weiter ausgegangen. Wir hattenja sogar nach der Abkehr noch eine Progression, die nach oben geht und die habe ichnicht mal berücksichtigt. Dann lägen Sie nach Ihrer Argumentation oder Ihrer Frageunterhalb der Abkehrzeit. Aber dann haben Sie keine Erhöhung, sie brauchen ja eineSteigerung der Silikose.

Dr. Raab: „Ich kann Sie sehr gut verstehen, Herr Erlinghagen. Sie haben auch für IhreVerhältnisse ein unglückliches Beispiel gewählt. Sie haben ihn 30 Jahre unter Tagesein lassen und nur 10 Jahre im Sandstein. Was ist, wenn er jetzt 20 / 20 Jahre hat?Aber die Frage, die Sie jetzt beantworten müssen: Sie unterstellen diese 10 JahreSandstein reichen alleine schon aus, eine Silikose zu bekommen und wir haben jazuerst gehört, wir haben im Übertagebereich keine validen Studien, weil, wenn wirdie hätten, hätte es vielleicht anders ausgesehen.Ich habe überhaupt keine Antwort parat, die alle zufriedenstellt aber solange Sie nichtdefinitiv sagen können: Nach 15 Jahren Kalk-Sandstein haben 99% eine Silikose p 1/2, also hätte er, wenn er nicht unter Tage gewesen wäre, das gesichert auch, so-

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lange habe ich auch keine Möglichkeit zu sagen, 10 Jahre nur Sandstein reicht. WennSie da Studien haben, die verlässlich sagen 20 Jahre dieses und jenes reichen sicheraus, dann bricht diese These wieder zusammen.

Dipl.-Ing. Sonnenschein, Maschinenbau-BG: Ich habe eine noch etwas andere Kon-stellation, noch extremer und zwar: 1/2 Jahr Gießerei-Tätigkeit und dann 25 JahreBergbau. Eine anerkannte Silikose durch die Bergbau-BG. Kommt jetzt die 4112hinzu, stellt sich die Frage, wer ist für die 4112 zuständig. Das ist auch noch nicht ge-klärt und das führt ins Extreme. Nur, meine Damen und Herren, es bestärkt mich im-mer mehr in die Diskussion hinein, Dosismodelle zu entwickeln für diesen Bereich,sodass wir wirklich irgendwann einmal solche Dinge auch über Dosismodelle beur-teilen – nicht unbedingt für die Anerkennung einer BK – aber um überhaupt einmaleine Richtung in die unterschiedlichsten Industriezweige und Tätigkeiten hineinzu-bekommen.Gerade eine solche Diskussion bestärkt mich darin, das noch voranzutreiben und allezu bitten, in diesem Sinne Daten zu erfassen und in eine Dosismodell-Betrachtunghineinzugehen, sodass wir in Zukunft etwas mehr Erhellung haben, welche Leutedenn welche Expositionen hatten und auch unterschiedlich zu gewichten.Wir sind überzeugt dabei, dass Tätigkeiten in einer Gießerei anders zu gewichten sindals die in einem Steinbruch oder in einer sonstig gearteten Industrie mit Quarzexpo-sition. Danke.

Prof. Dr. Borsch-Galetke: Das wäre bei Punkt 2, nicht wahr Herr Sonnenschein?

Dipl.-Ing. Sonnenschein: Ja.

Dr. Platz: Meine Damen und Herren, das, was Herr Sonnenschein gerade gesagt hat,klang schon fast wie ein Schlusswort, weil Sie schon die Verbindung wieder zu derEröffung von Herrn Dr. Raab gezogen haben. Dort ist das Wort Konvention auch, dasteckt die Dosis auch dahinter, aufgetaucht, und das ist sicherlich ein Weg, über denman in der Zukunft nachdenken muss, mit dem dann auch solche Fragestellungen, wiesie in der Praxis auftauchen, von Herrn Erlinghagen beschrieben, lösbar sein würden. Jetzt sehe ich noch 2 Wortmeldungen, die möchte ich noch zulassen.

Dr. Prager, Castrop-Rauxel: Ich bin mit der Bergbau-Geschichte irgendwie unglück-lich, denn wenn man sich die Biographie eines Bergarbeiters ansieht, so arbeitet derja im Allgemeinen nicht 30 Jahre vor Kohle, sondern der ist mal in der Gewinnung,mal im Streckenvortrieb = Tunnelbau, mal im Schachtbau und das ist ja bei der 4112gar nicht so berücksichtigt, wie es eigentlich berücksichtigt werden müßte.

Prof. Dr. Borsch-Galetke: „Das ist richtig, ich hatte Herrn Erlinghagen bei dem ent-sprechenden Punkt in meinem Vortrag angesehen, das ist eine Sache, die dann derTechniker uns vorlegen muß.Der muß dann sagen: Das war die Gesteinshauertätigkeit, das war die Kohlenhauer-tätigkeit und das war derjenige, der im Streckenvortrieb war. Das können wir nicht.Das muß dann herausgerechnet werden.

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Dr. Angerer, München: Nochmal eine Frage zu dieser Dosis. Ich hänge immer nochan einem möglicherweise speziellen Fall, dass von der ILO-Klassifikation eine Sili-kose nicht anzunehmen ist,wenn die kumulative Dosis aber über der liegt, die z.B. inder worst case Studie von Bolm-Audorf gezeigt worden ist. So dass wir von der Do-sis her sagen müßten, da ist ein Zusammenhang, aber die ILO das nicht hergibt, wasmacht man denn da?

Prof. Dr. Woitowitz: Bitte, fragen Sie mich etwas Leichteres, Herr Angerer. Es ist eineFrage der sozialrechtlichen Bewertung durch den Verordnungsgeber, wenn aufgrundder heutigen Erkenntnisse die Anerkennung einer Erkrankung an Lungenkrebs bei ei-nem Patienten ohne Silikose allein anhand des Dosismaßes nicht legalisiert wurde. Siedenken auf der Dosisebene jetzt ebenso wie ich medizinisch und toxikologisch. So wiedie Legaldefinition aber im Bundesgesetzblatt nun einmal steht und die wissenschaft-liche Begründung dazu im Bundesarbeitsblatt, wird es schwer werden oder sogar aus-geschlossen sein, die von Ihnen genannte Fallkonstellation etwa vor einem Landesso-zialgericht erfolgreich zu vertreten. Beim Vorliegen neuer wissenschaftlicher Er-kenntnisse wäre es allerdings des Versuches wert, die Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2SGB VII heranzuziehen. Denn ich stimme Ihnen zu, dass es bedenklich ist, bei einemPatienten mit Lungenkrebs den Kausalzusammenhang zu verneinen, wenn er vielleichtsogar noch als Nieraucher eine arbeitsbedingt extrem hohe kumulative Dosis an alve-olengängigem Quarzstaub inkorporiert hat, aber im Röntgenbild das Korrelat der 1/1-Silikose dazu fehlt. Denn Quarzstaub ist zum einen international als potentes Human-kanzerogen erkannt. Zum anderen lassen sich für solch gentoxische KanzerogeneSchwellenwerte, unterhalb derer eine krebserzeugende Wirkung ausgeschlossen wer-den kann, wissenschaftlich bekanntlich nicht festlegen.In der Poliklinik für Berufskrankheiten wäre natürlich zunächst einmal praktisch zufragen: Liegt ein technisch einwandfreies HRCT vor? Haben wir selbst dort einen ne-gativen Befund, könnte der Witwe schließlich als ultima ratio geraten werden, dem Pa-thologen Gelegenheit zu geben, mit seinen sensitiven und spezifischen diagnostischenVerfahren schlußendlich festzustellen, daß tatsächlich keine Silikose nachzuweisen ist.Denn die diagnostische Sensitivität des Röntgenbildes, das hatte ich wohl hinreichendzeigen können, kann im Einzelfall ziemlich unbefriedigend sein.

Dr. Hering, Knappschafts-KH Dortmund: Deswegen hatte ich mich spontan gemel-det, weil ich glaube, dass hier doch dann die bildgebende Diagnostik ins Gesprächkommt. Wir sind natürlich in der Lage mit modernen CT-Methoden auch silikotischeKnötchen, Granulome und andere Veränderungen zu sehen, die wir auf der Über-sichtsaufnahme nicht sehen und ich denke, das ist eine Entwicklung, die für die Zu-kunft durchaus sehr relevant ist. Bisher haben wir die 1/1 im Übersichtsbild als rele-vante Bezugsgröße. Wir werden aber in der Zwischenzeit auch dazu aufgefordert,weiter zu forschen und zu sehen, wie weit kann ich mit dem CT herunterkommen undwieviele Knötchen kann ich nachweisen.Wir sind bereits mit Herrn Prof. Müller dabei, dass wir Lungenpräparate jetzt unter-suchen, die aber leider alle belüftet sein müssen. Wir können nicht die normalen pa-thologischen Präparate nehmen, die vorhanden sind, sondern wir brauchen belüftete

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Lungen dabei und ich denke wir sind auch auf dem Wege, dabei auch Korrelationenherzustellen zwischen Standard-Lungenaufnahme und CT. Und ich denke, da wirdeine ganze Menge an Enwicklungsarbeit in Zukunft auf uns zukommen und die wirdauch die Entscheidungskriterien beeinflussen.

Dr. Platz: Vielen Dank für diese Ergänzung. Ich darf noch fragen, ob weiteres ge-wünscht wird, gefragt wird, eingebracht wird. Dann sehe ich, das ist nicht der Fall.Ich darf mich sehr herzlich bei den Organisatoren dieser Veranstaltung bedanken. Ichdarf mich bei den Referenten bedanken. Wir haben es gepackt in der vorgesehenenZeit, die Veranstaltung durchzuführen. Für Ihre Diskussionsbeiträge vielen Dank.

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TEILNEHMER

ApselDr. med. AngererBäderBattensteinBaumFrau BepplerBerzBeschornerFrau BeslmeislDr. med. BirkleDr. BlomeFrau Prof. Dr. Borsch-GaletkeFrau BradeFrau Dr. BrammertzFrau BrockDr. DollingerDr. med. DraegerDrexelEhnesDr. med. EichendorfEigenthalerDr. med. EiliehausenErlinghagenFeserFiedlerForstFrancksDr. FrankFrau GobrechtGoldsteinHammermeisterFrau Dr. med. Hendrich-WistokatHennigesDr. HeringDr. med. HollmannDr. med. JeremieKairiesDr. med. KannProf. Dr. Dr. KesselKieferFrau Dr. med. KlothProf. Kochan

Frau Dr. med. Kotschy-LangProf. Dr. KrausLachmuthLahrLangLangeLatzLecheltDr. LeiserFrau LiebichLöfflerFrau LöfflerFrau LottFrau Dr. Maaß-RühlFrau MayerProf. MayerDr. med. MehlhornFrau MehlhornFrau Dr. MenzeMeyerMieraFrau Dr. MohrmannFrau Dr. MüllerFrau Müller-TietzeMünzerNarrFrau NebelDr. OttenDr. PaurFrau Dr. PerlebachPiaseckiDr. PlatzPlinskeFrau PoppDr. med. PragerFrau PragerPrestiProf. Dr. Dr. RaithelReifRenklDr. RiedlSchloßarek

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Frau Dr. SchmidtProf. Dr. SchneiderFrau SchumacherDr. SchürmannDr. med. SiegmundDr. med. SommerSonnenscheinSpechtFrau Dr. SperlFrau Dr. SteidlerSteidlerSteinigDr. StraßburgerThaldorfThallerDr. TietzeDr. med. TruckenbrodtTschechProf. UlmDr. med. Volkvon Rimscha WalterWaisWeinkauf

Dr. WeisWesselborgWesselsWestenburgerDr. med. WildgansDr. med. WistokatProf. Dr. WoitowitzFrau Dr. med. WoitowitzZölchZschockelt

Dr. med. Raab (Klinik)Dr. med. Skalitzky (Klinik)Frau Dr. med. Mühl (Klinik)Dr. med. Stegbauer (Klinik)Dr. med. Kühler (Klinik)Duschner (Klinik)Frau Kaniber (Klinik)Frau Argstatter (Klinik)Frau Gillitz (Klinik)Frau Knab (Klinik)Frau Vallant (Klinik)Frau Springl (Klinik)Frau Schemmel (Klinik)


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