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Bericht des Bundesrates zur Cassis de Dijon Thematik · 1. Einleitung Zur Thematik des Cassis de...

Date post: 19-Oct-2020
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Bericht des Bundesrates zur Cassis de Dijon Thematik in Erfüllung des Postulates 04.3390 eingereicht von Frau Nationalrätin Doris Leuthard am 18. Juni 2004
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  • Bericht des Bundesrates zur Cassis de Dijon Thematik in Erfüllung des Postulates 04.3390 eingereicht von Frau Nationalrätin Doris Leuthard am 18. Juni 2004

  • Inhaltsverzeichnis

    1. Einleitung...............................................................................................................2 2. Das Cassis de Dijon Prinzip in der EG... ............................................................3

    3. Abbau technischer Handelshemmnisse in der Schweiz: Ist-Zustand..............6 3.1. Massnahmen auf nationaler Ebene...................................................................6 3.1.1. BG über die technischen Handelshemmnisse (THG)........................................6 3.1.2. Stand der Harmonisierung per 1. September 2005..........................................7

    3.2. Abkommen zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse mit der EG.........9 4. Optionen für eine Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips.........................10 4.1. Vertragliche Regelung betreffend Anwendung des Cassis de

    Dijon Prinzips (Option 1)..................................................................................10 4.2. Autonome Regelung betreffend Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips....10 4.2.1. Einseitige Öffnung des Schweizer Marktes für alle Produkte aus der

    EG (Option 2)...................................................................................................10 4.2.2. Einseitige Öffnung des Schweizer Marktes für Produkte, für welche

    die Schweiz und die EG unterschiedliche technische Vorschriften haben (Option 3)..............................................................................................10

    4.3. Ausnahmen......................................................................................................11 4.4. Massnahmen zur Verhinderung der Inländerdiskriminierung..........................11

    5. Beurteilung..........................................................................................................12 5.1. Europapolitische Beurteilung...........................................................................12 5.2. Wirtschaftliche Beurteilung..............................................................................13 5.2.1. Beurteilung aus wirtschafts- und wettbewerbspolitischer Sicht.......................13 5.2.2. Aussenwirtschaftspolitische Beurteilung..........................................................18 5.3. Völkerrechtliche Beurteilung............................................................................19 5.4. Auswirkungen für den Vollzug.........................................................................19 6. Gesamtbeurteilung, Haltung des Bundesrates und weiteres Vorgehen........20 Beilage 1: Übersicht über den Stand der Harmonisierung nach Produktebereichen

    und Geltungsbereich der Abkommen mit der EG Beilage 2: Übersicht über den Anwendungsbereich des Cassis de Dijon Prinzips Beilage 3: Preisniveauvergleich Schweiz – Luxemburg Beilage 4: Antwort auf Frage 3 des Postulats Leuthard betreffend Kühlschränke und Küchenmöbel

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  • 1. Einleitung

    Zur Thematik des Cassis de Dijon Prinzips sind verschiedene parlamentarische Vorstösse eingereicht worden: das Postulat 04.3390 Leuthard, die Motion 04.3473 Hess, die bereits beantworteten Interpellationen 05.3054 Bührer und 05.3116 Sommaruga sowie das Postulat 05.3122 der Sozialdemokratischen Fraktion. Der vorliegende Bericht hat zum Ziel, die im Postulat Leuthard aufgeworfenen Fragen und andere im Zusammenhang mit einer Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips sich stellende Fragen zu klären, die Haltung des Bundesrates in Bezug auf den Abbau von technischen Handelshemmnissen1 darzulegen und das weitere Vorgehen zur Umsetzung der Motion Hess zu skizzieren. Mit dem Postulat Leuthard wird der Bundesrat beauftragt, folgende Fragen zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten:

    - was würde die Einführung des Cassis de Dijon Prinzips bedeuten für die

    Schweizer Preise, den hiesigen Markt und wie beurteilt der Bundesrat die Auswirkungen auf die Konsumenten und KMU?

    - müsste die Einführung des Prinzips einseitig oder gegenseitig sein mit der EU? - wie beurteilt er die gegenüber der EU unterschiedlichen Standards und

    Normen etwa bei Kühlschränken bzw. Küchenmöbeln? Die Interpellation Bührer stellt die Frage, ob die Einführung des Prinzips in verschiedenen Branchen zu einer Intensivierung des Wettbewerbs, zu Kosteneinsparungen und zu tieferen Konsumentenpreisen führen würde und ob der Bundesrat bereit sei, bis im Herbst 2005 einen Bericht über die diesbezüglichen volkswirtschaftlichen Auswirkungen vorzulegen. Die Interpellation Sommaruga wirft die Frage auf, in welchen Bereichen der wichtigsten Kategorien von Konsumgütern, landwirtschaftlichen Hilfsstoffen und Arzneimitteln Differenzen zwischen der europäischen und schweizerischen Gesetzgebung bestehen und welche dieser Differenzen einen echten und namhaften Unterschied im Schutzniveau darstellen. Mit dem Postulat der Sozialdemokratischen Fraktion wird der Bundesrat eingeladen, dem Parlament einen Bericht zu unterbreiten, welche nichttarifarischen Bestimmungen den Warenverkehr mit dem Ausland behindern und zur Verteuerung der Preise im Inland beitragen. Die Motion Hess schliesslich will durch eine Teilrevision des BG über die technischen Handelshemmnisse (THG; SR 946.51) die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, damit

    - die in der EU bzw. im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) geltenden technischen Vorschriften in der Schweiz grundsätzlich anerkannt werden;

    - die Produkte, die innerhalb der EU bzw. des EWR frei zirkulieren dürfen, auch in der Schweiz grundsätzlich zugelassen sind und

    - Abweichungen von diesem Grundsatz im Einzelfall ausdrücklich gesetzlich geregelt sind.

    Im Warenverkehr gilt es die folgenden fünf Kategorien von Importhemmnissen zu unterscheiden, die einzeln oder auch in Kombination mit den anderen handelshemmende Wirkung entfalten können. Es sind dies:

    a) mangelnde internationale Handelbarkeit (Boden, Liegenschaften, Salz- und Alkoholmonopol);

    b) Zölle, Zollverfahren und andere Abgabenordnungen; c) Nichttarifarische Handelshemmnisse (NTBs), insb. technische Handelshemmnisse

    (TBTs);

    1 Technische Handelshemmnisse sind Behinderungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs aufgrund unterschiedlicher Produktevorschriften im Herkunfts- und Bestimmungsland, aufgrund unterschiedlicher Anwendung solcher Vorschriften durch die Vollzugsbehörden des Herkunfts- und des Bestimmungslandes oder aufgrund der Nichtanerkennung ausländischer Konformitätsbewertungen (Prüfungen, Zertifizierungen, Inspektionen) oder Zulassungen durch das Importland.

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  • d) Bestimmungen des Privatrechts wie geistige Eigentumsrechte und Haftpflichtbestimmungen;

    e) Private Abreden. Die oben erwähnten parlamentarischen Vorstösse betreffen ausschliesslich Hindernisse gemäss Buchstabe c). Dieser Bericht befasst sich daher nur mit Fragen des Warenverkehrs, nicht aber mit Dienstleistungen. Ebenfalls ausgenommen von diesem Bericht und somit von der Cassis de Dijon Debatte sind Güter, deren Handel einer speziellen Regelung unterworfen ist wie Rüstungsgüter, Dual-use Güter oder Waffen. 2. Das Cassis de Dijon Prinzip in der EG

    Das Cassis de Dijon genannte Prinzip wurde durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) 1979 formuliert, als es einen Fall betreffend die Vermarktung des französischen Likörs Cassis de Dijon in Deutschland zu beurteilen galt. In Übereinstimmung mit Art. 28 und 30 (ex Art. 30 und 36) des EG-Vertrages setzten in der Folge sowohl der EuGH wie auch die Europäische Kommission diese Rechtssprechung durch. Gemäss diesem Prinzip gilt: Fehlen gemeinschaftliche Regelungen betreffend das Inverkehrsetzen eines Produktes, können nationale Regelungen, die sich dem Handel mit diesem Produkt entgegen stellen, nur hingenommen werden, wenn sie anerkannterweise nötig sind, um Anforderungen zu genügen, die sich zwingend aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, des Schutzes von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr und des Schutzes der Konsumenten ergeben. Kurz, das Cassis de Dijon Prinzip stellt eine Ergänzung zum Prinzip der Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften (Harmonisierung) und nicht einen Ersatz desselben dar. Bei der Anwendung des Prinzips durch die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten sind des Weiteren die Interpretationen des EuGH und der Europäischen Kommission zu berücksichtigen. In der EG wird das Cassis de Dijon Prinzip bereits seit über fünfundzwanzig Jahren angewendet und bildet Gegenstand einer umfangreichen Rechtssprechung sowie einer aufmerksamen und konstanten Überprüfung durch die Europäische Kommission, welche mehrere Mitteilungen und Berichte verabschiedet hat, um eine korrekte nationale Umsetzung des Prinzips sicherzustellen. Die letzte Mitteilung der Kommission, welche 2003 verabschiedet worden ist2, hält u. a. fest, dass weder von den nationalen Verwaltungen noch von den Unternehmen erwartet werden darf, dass sie die Interpretation des Prinzips im Detail kennen und fasst die Rechte, welche die Wirtschaftsteilnehmer aus dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ableiten können, zusammen. Wirtschaftsteilnehmer können demgemäss die direkte Wirkung der Art. 28 und 30 EG-Vertrag geltend machen, das heisst, sie können sich vor Verwaltungs- und Gerichtsbehörden auf diese Artikel berufen, da diese genügend präzise und klar formuliert sind, um in einem konkreten Fall zur Anwendung zu kommen und somit als Entscheidgrundlage zu dienen. Wenn innerstaatliche Rechtsvorschriften mit Art. 28 bis 30 EG-Vertrag unvereinbar sind, müssen die Gerichte und Verwaltungen der Mitgliedstaaten daher die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts gewährleisten, indem sie die damit unvereinbaren Vorschriften des innerstaatlichen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen3. Ausserdem ist die strafrechtliche oder sonstige Sanktionierung einer nationalen Beschränkungsmassnahme, die für gemeinschaftsrechtswidrig erkannt worden ist, ebenso wenig mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar wie die Beschränkung selbst4. Der nationale Richter, der im Rahmen seiner Zuständigkeit die Art. 28 und 30 EG-Vertrag anzuwenden hat, 2 C/2003/3944, Amtsblatt C 265 vom 4. November 2003. 3 Vgl. Randnr. 18 des Urteils des Gerichtshofs vom 13. März 1997, Tommaso Morellato gegen Unità sanitaria locale (USL) n. 11 di Pordenone, Rechtssache C-358/95, Slg. 1997 S. I-1431. 4 Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 20. Juni 2002, Radiosistemi Srl gegen Prefetto di Genova, verbundene Rechtssachen C-388/2000 und C-429/2000, Slg. 2002 S. I-5845.

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  • ist gehalten, für deren volle Wirksamkeit Sorge zu tragen, indem er erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass er die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste5. Die vorgenannte Mitteilung beschreibt auch die praktischen Instrumente, welche dem Empfängerstaat einer Ware zur Verfügung stehen, um bei der Produktkontrolle ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Kontrollpflicht und dem freien Warenverkehr zu finden. Ein wichtiger Grundsatz des Gemeinschaftsrechts besagt, dass für ein Produkt die im EG-Vertrag verankerte Warenverkehrsfreiheit in Anspruch genommen werden kann, wenn der Bestimmungsmitgliedstaat nicht eine begründete Entscheidung dagegen getroffen hat, die sich auf technische Vorschriften stützt, die dem Erfordernis der Verhältnismässigkeit genügen6. Der freie Warenverkehr ist keine absolute Freiheit: Die gegenseitige Anerkennung zwischen den EG-Staaten ist an das Recht des Bestimmungsmitgliedstaates geknüpft, dass überprüft wird, ob das von dem Erzeugnis gebotene Schutzniveau dem Schutzniveau gleichwertig ist, das in den eigenen nationalen Vorschriften gefordert wird. Dieses Recht muss sich auf objektive, nicht-diskriminierende, vorab bekannte Kriterien stützen, die dem Ermessen der nationalen Behörden Grenzen setzen, die seine missbräuchliche Ausübung verhindern. Mithin müssen die Kriterien in entsprechender Form veröffentlicht oder leicht zugänglich sein. In jedem Fall muss das Überprüfungsrecht stets in einem möglichst kurzen, rationellen und kostengünstigen Verfahren ausgeübt werden. Im Prinzip darf im Bestimmungsmitgliedstaat keine systematische Kontrolle vor dem Inverkehrbringen vorgenommen werden. Der Bestimmungsmitgliedstaat kann die Konformität eines Produkts mit seinen eigenen technischen Vorschriften also generell nur bei einer Prüfung im Rahmen seiner Marktaufsichtstätigkeit und nur nach dem Inverkehrbringen im betreffenden Mitgliedstaat untersuchen. Indessen kann ein Genehmigungsverfahren, das dem Inverkehrbringen im Bestimmungsmitgliedstaat vorgeschaltet ist, unter sehr strengen Voraussetzungen gerechtfertigt sein7. Nach Auffassung der Kommission ist die Überprüfung der Konformität eines Produkts im Lichte der Rechtsvorschriften des Bestimmungsmitgliedstaates nur dann mit Art. 28 und 30 EG-Vertrag vereinbar, wenn dabei, in mehreren Schritten, folgende Faktoren berücksichtigt werden: Erster Schritt: Einholen der benötigten Informationen Wenn die zuständige Behörde des Bestimmungsmitgliedstaates überprüft, ob ein Produkt den technischen Vorschriften des betreffenden Staates entspricht, wäre es logisch, dass sie sich zunächst an den Wirtschaftsteilnehmer wendet, der die benötigten Informationen innerhalb einer angemessenen Frist liefern kann8. Auf gezielte Fragen wird der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die relevanten technischen Informationen und, erforderlichenfalls, ein Muster des infragestehenden Erzeugnisses liefern können. Angesichts ihrer Erfahrung mit der Bearbeitung von Beschwerden und Verstössen hält die Kommission eine Frist von 20

    5Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 4. Juni 1992, Strafverfahren gegen Michel Debus, verbundene Rechtssachen C-13/91 und C-113/91, Slg. 1992, S. I-3617. 6Gleichwohl gibt die Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, für gefährliche oder mutmasslich gefährliche Produkte Beschränkungen mit rascher Wirkung zu erlassen, und zwar auf der Grundlage von Artikel 6, 7 oder 8 und 14 der Richtlinie 92/59/EWG und ab 15. Januar 2004 Artikel 8, 11 oder 12 und 18 der Richtlinie 2001/95/EG. 7 In seinem Urteil vom 22. Januar 2002 (Canal Satélite Digital SL gegen Adminstración General del Estado, Beteiligte: Distribuidora de Televisión Digital SA (DTS), Rechtssache C-390/99. Slg. 2002, S. I-607) hat der Gerichtshof nachdrücklich daran erinnert, dass ein Vorabgenehmigungsverfahren den freien Warenverkehr einschränkt. Daher müsse eine solche Vorschrift, um im Hinblick auf diese Grundfreiheit zulässig zu sein, einen im Gemeinschaftsrecht anerkannten und im Allgemeininteresse liegenden Grund haben und dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit genügen, d. h. geeignet sein, die Verwirklichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das dafür Erforderliche hinausgehen. 8 Vgl. Randnr. 15 des Urteils des Gerichtshofs vom 13. Dezember 1990, Strafverfahren gegen Jean-Claude Bellon, Rechtssache C-42/90, Slg. 1990, S. I-4863.

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  • Arbeitstagen für angemessen. Auch wenn innerhalb dieser Frist keine Antwort eingeht bzw. die Anfrage mit Verspätung beantwortet wird, stellt dies an sich keinen Rechtfertigungsgrund für eine den Marktzugang verhindernde oder beschränkende Massnahme dar. Die zuständige Behörde des Bestimmungsmitgliedstaates hat auch das Recht, nähere Informationen einzuholen über die Konformität des Produkts mit den Vorschriften des Herkunftsstaates. Insbesondere wenn der Wirtschaftsteilnehmer einen Konformitätsnachweis besitzt (beispielsweise eine schriftliche Bestätigung der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates), wäre es nach Auffassung der Kommission sinnvoll, diesen Nachweis der zuständigen Behörde des Bestimmungsmitgliedstaates vorzulegen. Ferner wäre es sinnvoll, wenn der Wirtschaftsteilnehmer die in einem Herkunftsstaat anwendbare Vorschrift nennt. Zweiter Schritt: Überprüfung der Gleichwertigkeit des Schutzniveaus Die zuständige Behörde des Bestimmungsmitgliedstaates überprüft die Konformität des Produktes mit den gesetzlichen Anforderungen des Herkunftsstaates. Sie ermittelt die für das Produkt geltenden technischen Vorschriften aufgrund der erhobenen Informationen. Es sei daran erinnert, dass es für den nicht harmonisierten Bereich den Mitgliedstaaten frei steht, unter Einhaltung des Vertrags und des Prinzips der Verhältnismässigkeit, das Schutzniveau festzulegen, das sie für angemessen halten, um die rechtmässigen Ziele, wie beispielsweise die öffentliche Gesundheit, den Schutz der Verbraucher und der Umwelt, die öffentliche Ordnung oder die Strassenverkehrssicherheit zu garantieren9. Schliesslich ist es möglich, dass im Bestimmungsmitgliedstaat ein anderes Schutzsystem besteht als im Herkunftsstaat. Dieser Unterschied hat keine Bedeutung für die Beurteilung der Erforderlichkeit und Verhältnismässigkeit der im Bestimmungsmitgliedstaat geltenden technischen Vorschriften. Diese sind nur im Lichte der von den nationalen Behörden des Bestimmungsmitgliedstaates angestrebten Ziele und des Schutzniveaus, das sie gewährleisten sollen, zu beurteilen10. Dritter Schritt: Die Ergebnisse der Bewertung und die Unterrichtung des Antragstellers Hat der Bestimmungsmitgliedstaat das Produkt geprüft, müssen die Ergebnisse dieser Prüfung — unabhängig ob negativ oder positiv — dem betreffenden Wirtschaftsteilnehmer umgehend mitgeteilt werden. Die Kommission hält es für wichtig, dass die zuständige Behörde dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer all ihre Gründe darlegt, und zwar nicht nur im Falle einer negativen, sondern auch bei einer positiven Entscheidung. Eine positive Bewertung bestätigt, dass das Produkt rechtmässig im Bestimmungsmitgliedstaat in Verkehr gebracht werden kann. Die Handelsbeschränkung indessen, die aus einer negativen Bewertung folgen kann, ist im Prinzip eine Massnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung; diese ist nach Artikel 28 EG-Vertrag verboten. Es obliegt dem Mitgliedstaat, der sich auf einen Grund für eine Beschränkung des freien Warenverkehrs beruft, die Realität eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses, die Notwendigkeit der betreffenden Beschränkung und ihre Verhältnismässigkeit im Hinblick auf das verfolgte Ziel nachzuweisen. In ihrem letzten Bericht über die Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung (2002)11 unterstreicht die Europäische Kommission, dass die Erfahrungen innerhalb der EG zufriedenstellend sind, soweit diese Produkte mit einem niedrigen Sicherheitsrisiko (Fahrräder, Tanks und Behälter) betreffen. Im Gegensatz dazu wird das Prinzip in zahlreichen technisch komplizierteren Produktebereichen (Autobusse und Lastwagen, Edelmetalle, Bauprodukte) kaum oder nur eingeschränkt angewendet. Der Bericht präzisiert

    9 Es handelt sich hierbei genauer gesagt um die in Art. 30 EG-Vertrag genannten Ausnahmen von Art. 28 EG-Vertrag sowie die vom Gerichtshof anerkannten zwingenden Erfordernisse, die eine Massnahme mit gleicher Wirkung im Sinne des Art. 28 EG-Vertrag rechtfertigen können. 10 Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 21. September 1999, Markku Juhani Läärä, Cotswold Microsystems Ltd und OyTransatlantic Software Ltd gegen Kihlakunnansyyttäjä (Jyväskylä) und Suomen valtio (finnischer Staat), Rechtssache C-124/97, Slg. 1999 S. I-6067. 11 Bericht der Kommission an den Rat, das europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss: Zweiter Zweijahresbericht über die Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung im Binnenmarkt vom 23.7.2002; KOM(2002) 419.

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  • ausserdem, dass in spezifischen Bereichen, in welchen das nationale Sektorrecht der Mitgliedstaaten durch grosse Unterschiede geprägt ist (namentlich Bauprodukte und Nahrungsergänzungen), die Angleichung der Rechtsvorschriften (Harmonisierung) die geeignetste Lösung zur Gewährleistung des freien Warenverkehrs darstellt. Werden schweizerische Produkte in die EG exportiert, gilt folgendes: Wird ein schweizerisches Produkt auf den EG-Markt gebracht, wird es in demjenigen Land, in welchem es zuerst in Verkehr gesetzt wird, einer Kontrolle unterzogen. Gemäss Art. 24 des EG-Vertrages können diese Güter nach Abschluss der Einfuhrformalitäten und nach Bezahlung der allfälligen Zölle oder Abgaben auf dem gesamten Gebiet der EG frei zirkulieren. Die Schweizer Produzenten könnten, wenn für ihre Produkte die EG-Gesetzgebung nicht harmonisiert worden ist, ihre jeweiligen Produkte auf den Markt desjenigen Mitgliedstaates bringen, in welchem die Produkteanforderungen am wenigsten streng sind, und anschliessend im ganzen EG-Raum frei zirkulieren lassen, auch in Staaten, die strengere Produkteanforderungen kennen. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen zum Schutz des ordre public, wie sie im Gemeinschaftsrecht, in der Rechtssprechung des EuGH sowie im Freihandelsabkommen von 197212 vorgesehen sind. 3. Abbau technischer Handelshemmnisse in der Schweiz: Ist-Zustand Der Bundesrat hat sich bisher im Bereich der technischen Handelshemmnisse für den Abbau bestehender und die Vermeidung neuer Hemmnisse durch eine bestmögliche Harmonisierung der schweizerischen Produktevorschriften mit dem EG-Recht - unter gleichzeitiger Wahrung des erreichten Schutzniveaus im Bereich des Gesundheits- und Umweltschutzes - und für eine vertragliche Absicherung des gegenseitigen Marktzugangs mit der EG bzw. dem EWR eingesetzt. Diese Bestrebungen bilden zusammen mit jenen unter dem Kartell- und dem Binnenmarktgesetz auch einen Beitrag für die Stärkung des Wettbewerbs und die Bekämpfung der Hochpreisinsel Schweiz. Für die weitere Diskussion wird im folgenden zwischen den vier nachgenannten Kategorien von technischen Handelshemmnissen unterschieden: Hindernisse aufgrund der

    - Produkteanforderungen im allgemeinen (z. B. der Eigenschaften, der Beschaffenheit oder der Zusammensetzung oder auch sanitäre und phytosanitäre Vorschriften),

    - Information über die Produkte im speziellen (z. B. Etikettierungs- und Kennzeichnungsvorschriften, Beipackzettel, Sicherheitsdatenblatt),

    - Konformitätsbewertung (Prüfung, Zertifizierung, Inspektion) und - Zulassung13.

    Die beiden ersten betreffen die Anforderungen an das Produkt selbst, die beiden letzteren die Verfahren zur Überprüfung der Übereinstimmung des Produkts mit den massgebenden Anforderungen. 3.1. Massnahmen auf nationaler Ebene 3.1.1 BG über die technischen Handelshemmnisse (THG14) Das im Rahmen des Revitalisierungsprogramms verabschiedete und am 1. Juli 1996 in Kraft getretene THG hat zum Ziel, dass bestehende Handelshemmnisse bestmöglich abgebaut werden und dass die von den Fachämtern vorbereiteten und vom Bundesrat erlassenen technischen Vorschriften keine neuen Hemmnisse schaffen. Das als Rahmenerlass

    12 SR 0.632.401 13 Auf Anmeldeverfahren wird im Rahmen dieses Berichtes nicht eingegangen, da ihre ökonomischen Auswirkungen weitgehend denjenigen von Zulassungsverfahren entsprechen. 14 SR 946.51

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  • konzipierte Gesetz enthält daher u.a. Grundsätze für die Vorbereitung, den Erlass und die Änderung technischer Vorschriften. Solche Vorschriften legen die Voraussetzungen fest, unter denen Produkte angeboten, in Verkehr gebracht, in Betrieb genommen, verwendet oder entsorgt werden dürfen und enthalten namentlich Regeln hinsichtlich Beschaffenheit, Eigenschaften, Verpackung, Beschriftung, Herstellung, Transport, Lagerung, Prüfung, Konformitätsbewertung, Anmeldung und Zulassung von Produkten. Gemäss Art. 4 THG sind technische Vorschriften so auszugestalten, dass sie sich nicht als technische Handelshemmnisse auswirken. Zu diesem Zweck sind sie auf die Vorschriften unserer wichtigsten Handelspartner, d.h. in der Regel auf jene der EG abzustimmen. Abweichungen von diesem Grundsatz sind gemäss Art. 4 Abs. 3 und 4 nur zulässig, soweit überwiegende öffentliche Interessen namentlich aus Gründen des Gesundheits-, des Umwelt- oder des Verbraucherschutzes dies erfordern15. Art. 18 Abs. 2 THG sieht zudem schon heute vor, dass ausländische Konformitätsbewertungen in der Schweiz auch ohne Staatsvertrag anerkannt werden, wenn glaubhaft dargelegt werden kann, dass die angewendeten Prüf- und Konformitätsbewertungsverfahren den schweizerischen Anforderungen genügen und die ausländische Konformitätsbewertungsstelle über eine gleichwertige Qualifikation wie die in der Schweiz geforderte verfügt. 3.1.2 Stand der Harmonisierung per 1. September 2005 Der Stand der Harmonisierung der schweizerischen Vorschriften mit dem EG-Recht gegliedert nach den vier oben erwähnten Unterkategorien von technischen Handelshemmnissen kann wie folgt zusammengefasst werden: Produkteanforderungen Nachdem auf den 1. August 2005 eine weitestgehende Harmonisierung des schweizerischen Chemikalienrechts mit jenem der EG in Kraft getreten ist, betreffen die zur Zeit wichtigsten technischen Handelshemmnisse die Lebensmittel (Anforderungen, Produkteinformation sowie vereinzelt auch Zulassung). In Bezug auf das Lebensmittelhygienerecht und die Gesetzgebung für Zusatzstoffe ist eine weitgehende Harmonisierung mit der EG für Ende 2005 geplant. Das Ziel ist, das horizontale, für alle Lebensmittel gültige Schweizer Recht so weit wie möglich mit dem horizontalen Lebensmittelrecht der EG zu harmonisieren. Es bleiben jedoch auch nach dieser Harmonisierung noch Unterschiede bei den vertikalen, die einzelnen Produktegruppen betreffenden Vorschriften, da diese in der EG nur selten gemeinschaftlich geregelt sind. Auch ausserhalb des Lebensmittelrechts bestehen hinsichtlich der Produkteanforderungen noch Unterschiede für einige andere, weniger bedeutende Produktegruppen. Diese stützen sich teilweise auf internationale Abkommen oder sind aufgrund einer Interessenabwägung nach Art. 4 Absätze 3 und 4 THG genehmigt worden. Produkteinformation Noch zahlreiche Unterschiede gibt es hinsichtlich den Informationsanforderungen, die nur zum Teil aufgrund einer Interessenabwägung nach Art. 4 THG genehmigt worden sind. Für einige Lebensmittel bestehen beispielsweise bezüglich der Produkteinformation weiterhin Unterschiede, namentlich die von Konsumentenseite seinerzeit geforderten Angaben zum Produktionsland von Lebensmitteln, Angaben zu unbeabsichtigten Vermischungen mit Allergenen in Lebensmitteln sowie die in Art. 18 des Landwirtschaftsgesetzes geforderte Angabe über in der Schweiz verbotene Produktionsmethoden.

    15 4 Interessen nach Absatz 3 Buchstabe a sind der Schutz: a. der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit; b. des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen; c. der natürlichen Umwelt; d. der Sicherheit am Arbeitsplatz; e. der Konsumenten und der Lauterkeit des Handelsverkehrs; f. des nationalen Kulturgutes; g. des Eigentums.

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  • Konformitätsbewertung Für Produkte mit geringem Risiko kann der Hersteller in der Regel selbst bestätigen, dass das Produkt den Vorschriften entspricht, während bei Produkten mit mittlerem Risiko eine Konformitätsbewertung und -bescheinigung durch eine von Hersteller und Käufer unabhängige auf dem betreffenden Fachgebiet anerkannte Drittstelle (Prüf-, Zertifizierungs-, Inspektionsstelle) erforderlich ist. Aufgrund von Art. 18 Abs. 2 THG gibt es kaum noch Importhindernisse infolge der Nichtanerkennung ausländischer Konformitätsbewertungen. Wenn es diesbezüglich doch einmal zu Problemen kommt, dann meist weil die Vollzugsbehörden diese Bestimmung des THG nicht korrekt anwenden. ZulassungZulassungsverfahren bestehen insbesondere für jene Produkte, von denen eine potenziell hohe Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Mensch, Tier oder für die Umwelt ausgeht. Durch ein staatliches Zulassungsverfahren soll sichergestellt werden, dass die Behörden jederzeit rasch über die wissenschaftlichen Daten zur Risikobeurteilung verfügen, die es ihnen ermöglichen, die für eine sichere Verwendung der Produkte erforderlichen Massnahmen zu treffen. Ausländische Zulassungen werden ohne Staatsvertrag nicht anerkannt, wohl aber die von den Herstellern einzureichenden Unterlagen, welche die Grundlage für eine Risikobeurteilung der Produkte bilden. Dabei gelangt in der Regel analog zur EG für im Ausland bereits zugelassene Produkte ein vereinfachtes Verfahren zur Anwendung. Wie in der EG besteht im schweizerischen Produkterecht zur Zeit für folgende Produkte eine Zulassungspflicht: Arzneimittel, Biozidprodukte, Pflanzenschutzmittel, alle GVO-Produkte, gewisse Lebensmittel (neuartige Lebensmittel, Zusatzstoffe), neuartige Bauprodukte, für die noch keine Normen existieren, sowie Motorfahrzeuge und Traktoren. Die Tatsache, dass die diesbezüglichen Vorschriften zwischen der EG und der Schweiz harmonisiert sind, bedeutet indessen nicht, dass die in der EG bzw. der Schweiz zugelassenen Produkte auch automatisch Zugang zum jeweils anderen Markt erhielten. Für gewisse Produkte wie Pflanzenschutzmittel werden die Zulassungen selbst zwischen den einzelnen EG-Mitgliedstaaten heute nicht automatisch anerkannt und müssen in jedem Mitgliedstaat, in dem sie auf den Markt gebracht werden sollen, ein neues, wenn auch vereinfachtes Zulassungsverfahren durchlaufen. Im Unterschied zur EG unterliegen heute in der Schweiz auch gewisse Zusätze/Zusatzstoffe für Futtermittel, gewisse Dünger, Stallsysteme für tiergerechte Haltung, gewisse Messinstrumente und mobile Druckbehälter, falls sie nach der Entleerung in der Schweiz wiederbefüllt werden sollen, sowie Explosivstoffe für die zivile Verwendung einer Zulassung. Aufgrund der für 2006 geplanten Harmonisierung der Vorschriften für Messinstrumente mit der neuen EG Messmittelrichtlinie wird aber künftig die Zulassungspflicht für die meisten Messinstrumente entfallen. Fazit Anhang 1 enthält eine Übersicht über den Stand der Harmonisierung der schweizerischen technischen Vorschriften mit dem EG-Recht sowie die per 1. September 2005 bestehenden, auf technische Vorschriften zurückzuführenden Importhindernisse unterteilt nach den Kategorien Produkteanforderungen, Produkteinformation, Konformitätsbewertung und Zulassung. Daraus geht hervor, dass die meisten technischen Handelshemmnisse bei den unterschiedlichen Vorschriften über die Produkteinformation (Anforderungen an die Etikettierung, Kennzeichnung etc.) liegen, die zweitmeisten bei der erneuten Zulassungspflicht von im Ausland bereits zugelassenen Produkten.

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  • 3.2 Abkommen zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse mit der EG Im Rahmen der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft von 1999 („Bilaterale I“) wurde mit verschiedenen staatsvertraglichen Instrumenten die Grundlage für den gegenseitigen Abbau von technischen Handelshemmnissen geschaffen. Es geht dabei namentlich um das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Mutual Recognition Agreement; MRA)16 im Bereich der Industrieprodukte sowie um das Abkommen über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Agrarabkommen)17. Das MRA sieht die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Prüfungen, Zertifizierungen, Inspektionen) und teilweise auch der Produktezulassungen für gegenwärtig fünfzehn Bereiche des Industriesektors vor18. Sofern die schweizerischen Vorschriften im Abkommen als gleichwertig mit jenen der EG anerkannt werden, genügt eine einzige Konformitätsbewertung der betreffenden Produkte durch eine unter dem Abkommen anerkannte Konformitätsbewertungsstelle für die Vermarktung sowohl auf dem schweizerischen als auch auf dem EG-Markt. Die doppelte Konformitätsbewertung - nach den schweizerischen Anforderungen und jenen der EG - entfällt. In den übrigen vom Abkommen erfassten Bereichen, in denen sich die schweizerischen Vorschriften von denjenigen der EG unterscheiden, sind weiterhin zwei Konformitätsnachweise - einer nach schweizerischem und einer nach EG-Recht - erforderlich, die aber beide von einer schweizerischen oder einer EG-Konformitätsbewertungsstelle ausgestellt werden können. Für Produktebereiche, die nicht unter das Abkommen fallen, ist dagegen für den Export in die EG weiterhin eine Konformitätsbewertung durch eine EG-Stelle erforderlich. Das Agrarabkommen verbessert den gegenseitigen Marktzugang zwischen der Schweiz und der EG nicht nur durch Zollkonzessionen, sondern v.a. auch durch den Abbau technischer Handelshemmnisse in zahlreichen Produktebereichen des Agrarsektors19. Zum grössten Teil geschieht dies durch die gegenseitige Anerkennung der Gleichwertigkeit der Gesetzgebungen und demzufolge einen Verzicht auf die Vorlage von Zeugnissen. Auch über die gegenseitige Anerkennung von gesundheitspolizeilichen oder pflanzenschutzrechtlichen Erfordernissen (Gesundheitszeugnisse, amtliche Kontrollen, etc.) oder von qualitätsbezogenen Bescheinigungen wird der gegenseitige Marktzugang verbessert. Fazit Kolonne 6 in Anhang 1 enthält eine Übersicht über die Produktebereiche, für die der Marktzugang schweizerischer Exporte in die EG bzw. den EWR vertraglich abgesichert ist. Daraus geht hervor, dass für eine ganze Reihe von Produktbereichen, in denen die Schweiz ihre Vorschriften mit denjenigen der EG harmonisiert hat, der Marktzugang zur EG noch nicht vertraglich abgesichert ist. Handlungsbedarf besteht namentlich bei Chemikalien, Biozidprodukten, Pflanzenschutzmittel, Bauprodukten und den Aufzügen, wo die Schweiz der EG bereits Vorschläge für die Erweiterung des MRA bzw. des Agrarabkommens unterbreitet hat. Bei den Chemikalien, Biozidprodukten und Pflanzenschutzmitteln wird dabei auch die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen angestrebt, was ebenfalls eine wesentliche Erleichterung für die Importe mit sich bringen würde.

    16 SR 0.946.526.81 17 SR 0.916.026.81 18 Maschinen; Persönliche Schutzausrüstungen; Spielzeug; Medizinprodukte; Gasverbrauchseinrichtungen und Heizkessel; Druckgeräte; Funkanlagen und Telekommunikationsendgeräte; Geräte und Schutzsysteme zur Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen; Elektrische Betriebsmittel und elektromagnetische Verträglichkeit; Baugeräte und Baumaschinen; Messgeräte und Fertigpackungen; Kraftfahrzeuge; Land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen; Gute Laborpraxis (GLP); Inspektion der guten Herstellungspraxis (GMP) für Arzneimittel und Zertifizierung der Chargen. 19 Pflanzenschutz, Futtermittel, Saatgut, Weinbauprodukte, Spirituosen und aromatisierte Getränke aus Wein, Bio-Produkte, Obst- und Gemüse, Tiere und Produkte tierischer Herkunft (z.B. Käse).

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  • 4. Optionen für eine Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips Nachfolgend werden im Rahmen dieses Berichtes die vertragliche und die autonome Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips untersucht. Eine schematische Darstellung der verschiedenen Optionen ist in Anhang 2 zu finden.

    4.1. Vertragliche Regelung betreffend die Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips

    (Option 1) Option 1 behandelt eine staatsvertragliche Regelung für die Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips. In einem Abkommen mit der EG würden sich die beiden Vertragsparteien verpflichten, das Cassis de Dijon Prinzip in ihren gegenseitigen Handelsbeziehungen anzuwenden. Mit dieser Option würde der Marktzutritt unter den Vertragsparteien reziprok geregelt, d.h. schweizerische Produkte könnten auf dem EG-Markt von denselben Handelserleichterungen profitieren wie entsprechende Produkte aus dem EG-Raum in der Schweiz. Ferner wäre eine analoge Regelung mit den EWR-EFTA-Staaten zu treffen. Konkret würde dies bedeuten, dass gemäss den schweizerischen Vorschriften hergestellte und hier in Verkehr gesetzte Produkte von der Schweiz aus direkt in jedes EG- bzw. EWR-Land exportiert und dort in Verkehr gebracht werden könnten. Auch wenn in diesen Ländern andere Vorschriften gelten, könnten die Behörden der betreffenden Staaten Vorbehalte einzig aus den gleichen Gründen anbringen, die auch gegenüber Produkten aus anderen EG- bzw. EWR-Mitgliedstaaten zulässig wären. 4.2. Autonome Regelung betreffend die Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips Die für eine autonome Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips durch die Schweiz erforderlichen gesetzlichen Grundlagen würden über eine Revision des THG geschaffen. Für diesen Fall lassen sich zwei Varianten unterscheiden: 4.2.1. Einseitige Öffnung des Schweizer Marktes für alle Produkte aus der EG (Option 2) In einem neuen Kapitel „Marktzugang“ wäre im THG der Grundsatz zu verankern, wonach Produkte, die gemäss den geltenden Produktevorschriften der EG bzw. des EWR - und bei fehlender oder unvollständiger Harmonisierung des EG-Rechts - gemäss den nationalen Produktevorschriften eines EG- bzw. EWR-Mitgliedstaaten hergestellt und dort rechtmässig in Verkehr gebracht worden sind, auch in der Schweiz ohne zusätzliche Auflagen in Verkehr gebracht werden können.

    4.2.2. Einseitige Öffnung des Schweizer Marktes für Produkte, für welche in der Schweiz

    und in der EG unterschiedliche technische Vorschriften gelten (Option 3) Die oben dargestellte Option würde dahingehend geändert, dass die neuen Bestimmungen im THG nicht auf alle Produkte Anwendung fänden, sondern nur auf jene, für die in der Schweiz und in der EG unterschiedliche technische Vorschriften gelten. Dies betrifft erstens Produkte, für welche die EG keine oder nicht vollständig harmonisierte Vorschriften erlassen hat und zweitens jene Produkte, für welche die Schweiz ihre Vorschriften nicht oder noch nicht vollständig an die harmonisierten EG-Vorschriften angepasst hat. Im Falle von nicht vollständig harmonisierten Vorschriften würde das Prinzip jeweils auf die nicht harmonisierten Bestimmungen angewendet20.

    20 Vollständig harmonisiert sind Vorschriften dann, wenn sie bezüglich aller vier oben erwähnten Aspekte (Produkteanforderungen, Produkteinformation, Konformitätsbewertungs- und Zulassungsverfahren) übereinstimmen.

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  • 4.3. Ausnahmen Bei allen drei Optionen müssten Ausnahmeregelungen vorgesehen werden. Für die Schweiz stellt sich die Frage der Ausnahmen grundsätzlich auf zwei Ebenen. Zum einen geht es um die Ausnahmen vom Grundsatz gemäss Art. 4 THG, wonach die schweizerischen Produktevorschriften auf die technischen Vorschriften der wichtigsten Handelspartner abzustimmen sind. Dieser Entscheid ist durch den Gesetzgeber zu treffen. Die Ausnahmen müssten für alle drei Optionen in den schweizerischen Produktevorschriften ausdrücklich vorgesehen sein, wobei bei der Ausgestaltung und Anwendung dieser Ausnahmen auch der diesbezüglichen Rechtssprechung des EuGH Rechnung zu tragen wäre. Zu diesen Ausnahmen gehören insbesondere Arzneimittel und GVO-Produkte, für die gemäss den kürzlich getroffenen Entscheiden der eidgenössischen Räte weiterhin an einer schweizerischen Zulassung festgehalten werden soll. Um zu klären, welche weiteren Ausnahmen im Sektorrecht erforderlich sind, um den Schutz der Gesundheit, der Umwelt und der Verbraucher zu gewährleisten, sind die in den schweizerischen Produktevorschriften bestehenden Abweichungen vom EG-Recht im Rahmen der Ausarbeitung der Teilrevision des THG auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 4 THG sowie der Rechtssprechung des EuGH zum Cassis de Dijon Prinzip zu überprüfen. Eine solche Überprüfung wird im übrigen auch im Postulat 05.3122 der Sozialdemokratischen Fraktion verlangt. Dabei werden auch alle Produktezulassungspflichten, namentlich jene die über das EG-Recht hinausgehen, auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen sein. In jenen Fällen, in denen die Abweichungen nicht mehr notwendig bzw. die Kriterien gemäss Art. 4 THG nicht mehr erfüllt sind, soll dem Bundesrat bzw. dem Parlament Antrag auf Streichung der Abweichung gestellt werden. Ausser in den oben erwähnten Bereichen, in denen der schweizerische Gesetzgeber vom EG-Recht abweichende Vorschriften erlassen hat, sind auch Ausnahmen in jenen Produktebereichen zu erwarten, für die in der EG keine harmonisierten Vorschriften bestehen. Diese würden im Einzelfall von den Vollzugsbehörden beschlossen. Auch solche Ausnahmen müssten jedoch auf einer Grundlage im jeweiligen Sektorrecht beruhen und im Einzelfall durch die Vollzugsbehörden begründet werden, wobei analog zur EG der zwingende Grund des öffentlichen Interesses, die Notwendigkeit der Beschränkung und ihre Verhältnismässigkeit im Hinblick auf das verfolgte Ziel nachzuweisen wäre. Zur Gewährleistung eines gesamtschweizerisch einheitlichen Vollzugs wären zudem zusätzliche Verfahrensbestimmungen erforderlich, um bei allfälligen Beschwerden eine rasche, einfache und effiziente Überprüfung der Ausnahmeentscheide zu ermöglichen. Bei der Ausarbeitung der Revision des THG wird daher zu prüfen sein, wie bezüglich der Ausnahmen in einem einfachen Verfahren ein rascher Entscheid herbeigeführt werden kann. 4.4. Massnahmen zur Verhinderung der Inländerdiskriminierung Da Produkte aus einem EG- bzw. EWR-Mitgliedstaat mit der Umsetzung der Motion Hess grundsätzlich Zugang zum schweizerischen Markt erhielten und damit die Schweizer Produzenten konkurrenzieren könnten, wären diese diskriminiert, wenn sie sich an die im Vergleich zu dem in diesen Staaten geltenden Recht an die strengeren schweizerischen Produktevorschriften halten müssten. Gleichzeitig ist ein Schweizer Produzent aufgrund des relativ kleinen inländischen Absatzmarktes besonders daran interessiert, für den einheimischen Markt nach denselben Vorschriften produzieren zu dürfen wie für den Export. Es muss daher im Rahmen der Teilrevision des THG eine Lösung gefunden werden, welche es schweizerischen Produzenten erlaubt, in den oben erwähnten Fällen auch nach den in der EG geltenden Produktevorschriften - nationale Produktevorschriften eingeschlossen - zu produzieren.

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  • 5. Beurteilung 5.1. Europapolitische Beurteilung Das 1992 zwischen den drei EFTA-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein sowie der EG und deren Mitgliedstaaten abgeschlossene Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ist der einzige Vertrag, in welchem sich die EG verpflichtet hat, das Cassis de Dijon Prinzip21 in ihren Beziehungen mit einem Drittstaat anzuwenden. Diese einzigartige Situation lässt sich mit dem aussergewöhnlichen Geltungsbereich des EWR-Abkommens erklären, welches die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes sowie die unterstützenden Politiken auf die drei genannten EFTA-Staaten ausweitet. Nach der schweizerischen Ablehnung des EWR-Vertrages wurde mit Vertretern der EG die Aushandlung eines Abkommens über den freien Warenverkehr, welches die Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips in den Beziehungen der Schweiz mit der EG eingeschlossen hätte, erörtert, von Seiten der EG jedoch alsbald definitiv ausgeschlossen. Für die EG ist die Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips ausserhalb eines umfassenden Abkommens nach dem Beispiel des EWR, das heisst ohne volle Übernahme des gesamten, den Warenverkehr betreffenden Acquis communautaire (einschliesslich des Wettbewerbsrechts, des Rechts der staatlichen Beihilfen sowie des Konsumenten- und Steuerrechts) wie auch komplexer institutioneller Regelungen (Anerkennung durch die Schweiz der Zuständigkeit von gemeinschaftlichen Institutionen mit direkten Auswirkungen für die Schweiz) nicht möglich. In seiner Botschaft vom 23. Juni 1999 zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EG22 hält der Bundesrat fest, dass er kein formelles Gesuch zur Aushandlung eines Abkommens über die Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips eingereicht habe, weil dazu eine institutionelle Lösung erforderlich wäre, welche über den Rahmen der Verhandlungen zu den sektoriellen Abkommen hinausgehen würde. Im Rahmen der Verhandlungen zu den bilateralen Abkommen I hat sich die Schweiz auf den Abschluss von Abkommen über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen sowie über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen beschränken müssen, da dies das Maximum war, zu dem die EG im Rahmen sektorieller Abkommen bereit war. Es ist darauf hinzuweisen, dass ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen nicht das Ziel verfolgt, das Recht der Vertragsparteiein zu harmonisieren. Vielmehr bezweckt ein solches Abkommen die Anerkennung von durch schweizerische Stellen vorgenommenen Konformitätsbewertungen in der EG sowie die Anerkennung in der Schweiz von Konformitätsbewertungen, welche von europäischen Stellen durchgeführt wurden. Diese Haltung der EG wurde auch in den Bilateralen II bekräftigt. Würde die EG im Hinblick auf Verhandlungen betreffend eine allfällige vertragliche Regelung zum Cassis de Dijon Prinzip analoge Forderungen formulieren, wie sie etwa im Mandat zur Aushandlung eines Dienstleistungsabkommens zu finden sind, hätte die Schweiz den Acquis communautaire ausnahmslos und einschliesslich aller relevanten horizontalen Politiken, etwa betreffend Wettbewerb, staatliche Beihilfen, Gesundheitsschutz, Konsumentenschutz und Steuern zu übernehmen. Zwischenfazit In einem allfälligen Abkommen zwischen der Schweiz und der EG über die Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips müsste die Schweiz voraussichtlich auch den gesamten für den Warenverkehr derzeit geltenden wie zukünftigen Acquis communautaire, die vorgenannten unterstützenden Politiken sowie die gesamte einschlägige Rechtssprechung des EuGH und Praxis der europäischen Kommission übernehmen, ohne jedoch eine entsprechende

    21 Botschaft vom 18. Mai 1992 zur Genehmigung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, BBL 1992 IV 1, 164 22 BBL 1999 6128, Ziff. 231

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  • Mitgestaltungsmöglichkeit zu haben. Der Bundesrat geht daher davon aus, dass eine vertragliche Regelung mit der EG (Option 1) kurz- und mittelfristig nicht realisierbar und deshalb bei einer Überweisung der Motion Hess nur eine einseitige Marktöffnung (Option 2 oder 3) möglich wäre. Nachfolgend werden daher nur noch die Option 2 und die Option 3 nach wirtschaftlichen und völkerrechtlichen Kriterien sowie in Bezug auf die Auswirkungen für den Vollzug beurteilt. 5.2. Wirtschaftliche Beurteilung 5.2.1. Beurteilung aus wirtschafts- und wettbewerbspolitischer Sicht Hohes Preisniveau bereits auf der ersten Handelsstufe Die volkswirtschaftlichen Kosten des hohen schweizerischen Preisniveaus sind bedeutend. Könnten die einzelnen Wirtschaftszweige ihre Vorleistungen aus dem In- und Ausland zu EU-Preisen kaufen, d.h. würden in der Schweiz die EU-Produzentenpreise gelten, würden die Unternehmen im Einkauf rund 65 Mrd. Franken pro Jahr einsparen23. Das wären 15% bis über 30% ihrer Kosten für Vorleistungen, in der Nahrungsmittelindustrie sogar 45%. Würden diese Kosteneinsparungen an die Kunden weitergegeben, würden die Haushalte an Kaufkraft gewinnen. Klar gewinnen würden auch diejenigen Unternehmen, die heute schon in weltweiter Konkurrenz stehen und deshalb zu internationalen Preisen verkaufen müssen. Es käme aufgrund der verbesserten preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft zu einem nachhaltigen exportgeleiteten Aufschwung. Für die Schweiz nachteiliger Vergleich mit Luxemburg Oft wird argumentiert, dass sich hohe Realeinkommen, wie sie in der Schweiz existieren, in einem höheren Preisniveau niederschlagen. Zu diesem Einwand ist allerdings zu bemerken, dass Luxemburg, das gleichfalls nur von EU-Staaten umgeben ist, ein viel günstigeres Preisniveau kennt als die Schweiz, obwohl der Finanzplatz die Realeinkommen dort mindestens so hoch treibt wie in unserem Land. Gemäss Berechnungen von EUROSTAT lag 2003 das Preisniveau in Luxemburg bei 111 Punkten (wenn EU15=100), in der Schweiz bei 133 Punkten, war also 20% höher (vgl. Anhang 3: Preisvergleich Schweiz- Luxemburg). Hervorzuheben ist weiter, dass in Luxemburg bei den Warenpreisen quasi das gleiche Preisniveau herrscht wie in der EU15, während es in der Schweiz bei den Waren 2003 noch 20 Punkte höher lag, obwohl bei Waren die internationale Preisarbitrage an sich spielen sollte. Offensichtlich gelingt es Produzenten und Grosshandel, den Schweizer Markt besser von den umliegenden Märkten abzuschotten und hier die Kaufkraft der Kunden in höherem Mass abzuschöpfen als im bezüglich Wohlstand vergleichbaren Luxemburg. Eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes BAK Basel für die Swiss Retail Federation stützt diese Einschätzung. Die Studie führt die höheren Preise im Detailhandel nicht auf die höheren Vertriebskosten, sondern die ungünstigeren Einkaufspreise zurück. Zudem dürfte der politische Druck für den Erlass abschottender Regulierungen in Luxemburg angesichts des sehr viel kleineren Heimmarktes von bloss dreihunderttausend Einwohnern auch wesentlich geringer sein als in der Schweiz. Die Zahl der (potentiellen) Wettbewerber als Schlüsselfaktor für das Preisniveau in einer kleinen offenen Volkswirtschaft Die Zahl der Anbieter hat einen wesentlichen Einfluss auf das Preissetzungsverhalten der Unternehmen. Der Abbau von Marktzutrittsschranken, die in staatlichen Regulierungen wie divergierenden technischen Vorschriften gründen, hat deshalb für wettbewerbsfähige Preise mindestens den gleichen Stellenwert wie die Regeln des Wettbewerbsrechts zum Verhalten der Marktteilnehmer. Das Resultat ist für das importierende Land viel ungünstiger, wenn eine Importschwelle 2 von 5 Konkurrenten abschreckt, als wenn diese Auflage 20 von 50 Konkurrenten vom Markt fernhält. Aus der Perspektive von Wachstum und Wettbewerb hat

    23 Vgl. Rolf Iten et al. : Hohe Preise in der Schweiz: Ursachen und Wirkung, erschienen als Nr.19 in der Reihe Strukturberichterstattung des seco, S. 201f.

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  • die Schweiz als relativ kleine Volkswirtschaft mit tendenziell wenigen Anbietern somit alles Interesse, ihre Bestimmungen auf das europäische Umfeld abzustimmen. Gleichzeitig ist ein Schweizer Produzent aufgrund des relativ kleinen inländischen Absatzmarktes besonders daran interessiert, für den einheimischen Markt nach denselben Vorschriften produzieren zu können wie für den Export. Angleichungen, wie die im schweizerischen Lebensmittelhygienerecht geplanten, erleichtern hiesigen Produzenten den Zugang zu einem Markt von 455 Mio. Konsumentinnen und Konsumenten. Zudem senkt auch der Wegfall von zusätzlichen Anerkennungs- und Kontrollverfahren beim Export aufgrund neuer Abkommen die Markterschliessungskosten erheblich. Handlungsbedarf im Bereich der technischen Vorschriften Der Anteil des Handels in den Produktebereichen, für die noch keine Gleichwertigkeit der schweizerischen Produktevorschriften mit den EG-Regelungen besteht, wird noch im Laufe dieses Jahres deutlich abnehmen. Nach der per 1. August 2005 erfolgten Harmonisierung des Chemikalienrechts und der auf Ende Jahr anstehenden Harmonisierung des Lebensmittelhygienerechts werden primär noch Importhindernisse im Zusammenhang mit einer schweizerischen Zulassungspflicht oder aufgrund abweichender Anforderungen betreffend die Produkteinformation im Vordergrund stehen. Die Bedeutung technischer Vorschriften ist für die einzelnen in die Schweiz importierten Warengruppen unterschiedlich. Nachstehend erfolgt eine erste Einschätzung der handelshemmenden Wirkung der jeweiligen Produktevorschriften unter Berücksichtigung der jeweiligen Anteile an den Gesamtimporten: Gross ist die Bedeutung des technischen Rechts bei : - landwirtschaftlichen Produkten auf Grund anspruchsvoller sanitärer und phytosanitärer

    Auflagen; auf diese Waren entfielen im Jahr 2004 7,9% der Gesamteinfuhren24 oder 10,43 Mrd. Fr.

    - Fahrzeugen (10,2% oder 13,57 Mrd. Fr.); die Hindernisse aufgrund unterschiedlicher Anforderungen oder infolge der Zulassungsverfahren wurden jedoch in den letzten Jahren weitestgehend beseitigt, zumindest was Importe aus dem EG-Raum betrifft.

    Gering ist die Bedeutung technischer Vorschriften dagegen bei : - Energieträgern (Einfuhranteil 4,9% oder 6,48 Mrd. Fr.), was sich durch die hohe

    Standardisierung erklären lässt. - Textilien und Bekleidungen (6,5% oder 8,62 Mrd. Fr.), welche kaum reglementiert sind. - Leder- und Kautschukwaren (ca. 5,4% oder 7,17 Mrd. Fr.), welche kaum reglementiert

    sind. Zu differenzieren ist die Bedeutung technischer Vorschriften für folgende Bereiche: - Kunststoffe und Chemikalien (ca. 24% oder 29,47 Mrd. Fr.); es ist zu unterscheiden, ob

    diese als Rohstoffe und Halbfabrikate oder als konsumfertige Erzeugnisse eingeführt werden, wirken sich die technischen Vorschriften doch vor allem auf letztere aus. Seit dem 1. August 2005 sind diese Vorschriften weitestgehend mit dem EG-Recht harmonisiert.

    - Steine und Erden (1,9% oder 2,51 Mrd. Fr.) sowie Metalle und Metallwaren (8,7% oder

    11,49 Mrd. Fr.) erscheinen als kaum betroffen, es sei denn aufgrund der Baunormen und

    24 Die Prozentangaben beziehen sich auf das Total I der Einfuhren, gegliedert nach Warenarten, d.h. die Einfuhren ohne Edelmetalle und Schmucksteine sowie Kunstgegenstände und Antiquitäten.

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  • Bauvorschriften, welche den Einbau und die Verwendung gewisser Produkte in Bauwerken erschweren können.

    - Im Bereich Maschinen und Elektronik (20,6% der Einfuhren oder 27,32 Mrd. Fr.)

    bestehen zwar eine Reihe von technischen Vorschriften (u.a. Niederspannungsverordnung), doch muss der Produzent und Importeur bei diesen Kategorien von Waren in der Regel nur eine Konformitäts- oder Herstellererklärung vorlegen. Auch die materiellrechtliche Harmonisierung ist sehr weit fortgeschritten, selbst wenn etwa bei elektrischen Steckern infolge unterschiedlicher privater Normen ärgerliche, aber überwindbare Handelshemmnisse fortbestehen.

    - In den Rubriken Instrumente, Uhren und Bijouterie (6,2% oder 8,17 Mrd. Fr.) sowie

    verschiedene übrige Waren (3,5% oder 4,66 Mrd. Fr.) erscheinen am ehesten noch die Instrumente als betroffen, wo gelegentlich zusätzlich zur Herstellererklärung noch Eichungen (Waagen) oder staatlich vorgeschriebene Prüfverfahren vor der Inverkehrsetzung zu durchlaufen sind. Für die Messinstrumente ist eine Harmonisierung mit dem EG-Recht für 2006 geplant.

    Zusammenfassend ergibt sich das Bild, dass Einfuhren im Umfang von mehreren Dutzend Milliarden Franken anforderungsreichen Bestimmungen des technischen Rechts unterliegen, wobei diesen Bestimmungen – je nach Bereich – eine unterschiedlich grosse handelshemmende Wirkung zugemessen werden muss. Die hohen Beträge weisen auf ein grosses potentielles volkswirtschaftliches Interesse am Abbau von ungerechtfertigten Handelshemmnissen hin. Der Stellenwert anderer Importhemmnisse für die Hochpreisinsel Schweiz am Beispiel der Einfuhr von Personenwagen Die Frage, ob nach der Beseitigung der Schranken im Technischen Recht die Hochpreisinsel Schweiz eingeebnet sein wird, muss allerdings verneint werden. Den Beleg hierfür liefert etwa die Liberalisierung der Einfuhr von Personenwagen. 1992 wurden die Einsparmöglichkeiten für den Kunden in der Schweiz im Fall einer hindernisfreien Einfuhr von Personenwagen auf 500 Mio. Franken pro Jahr geschätzt. Aufgrund des THG harmonisierte die Schweiz ihre Vorschriften für Motorfahrzeuge mit dem EG-Recht und verzichtete Mitte der 90er Jahre auf abweichende Lärm- und Abgasvorschriften. Der Anteil der Parallelimporte an den gesamten Neuzulassungen betrug 1998 dennoch nur 0,9%25 und dies bei Preisniveauvergleichen für Personenwagen, die 1999 den Wert für die Schweiz auf 105 Punkte bezifferten (EU15=100). Berücksichtigt man die Steuern, hätten die Preise aber tiefer als im EU-Mittel liegen müssen. Auch die Tatsache, dass das Zulassungsverfahren auf Betreiben der Wettbewerbskommission gegen Ende der 90er Jahre dahingehend geändert wurde, dass die Typenzulassung nicht mehr nur für den offiziellen Importeur gültig war, sondern sich alle interessierten Händler darauf beziehen konnten, senkte die Schweizer Preise noch nicht unter das EU-Niveau. Wenn heute das Preisniveau bei Kauf und Betrieb von Personenwagen tiefer liegt als im EU-Mittel (aber immer noch 5% höher als in Luxemburg), ist dies der Verschärfung des Wettbewerbsrechts in der jüngsten Zeit zuzuschreiben. Dabei geht es nicht einmal so sehr um das Wettbewerbsrecht in der Schweiz, das geändert werden musste, als vielmehr um jenes in der EG. Die Händlernetze im umgebenden Ausland konnten nämlich von den Herstellern angewiesen werden, nicht in die Schweiz zu liefern. Zentral war folglich, dass die WEKO mit ihren Bekanntmachungen zu vertikalen Abreden und einvernehmlichen Regelungen mit Autoimporteuren auf der Liberalisierung der Vertriebsorganisation in der EG aufbauen konnte, die als Folge der Revision der EG-Gruppenfreistellungs-Verordnung per 1. Juli 2002 eintrat. 25 nach Iten et al. (vgl. Fussnote 23), S.114

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  • Das Beispiel zeigt folgendes: Die Harmonisierungen oder einseitige Anerkennung von ausländischen Produktvorschriften sind eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Voraussetzung für wettbewerbsfähigere Preise in der Schweiz. Der gewünschte Effekt ergab sich erst aus dem Zusammenwirken von Reformen im technischen Recht und im Wettbewerbsrecht. Die Tatsache, dass die Importhemmnisse im Bereich Warenverkehr sehr vielfältig sind und jede Schranke einzeln oder in Kombination mit den anderen zu einer Abschottung des schweizerischen Marktes führen kann, hat nachhaltige Implikationen für eine quantifizierte Einschätzung des Nutzens der Einführung des Cassis de Dijon Prinzips. Für schlüssige quantitative Aussagen müssten bei der gegebenen Datenlage umfassende neue Primärerhebungen an der Grenze und in der Wirtschaft durchgeführt werden. Sie müssten den Beitrag bestimmen, den – neben dem technischen Recht – auch die folgenden öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Regelungen an die Abschottung des Schweizer Marktes einzeln und in Kombination leisten:

    • Zölle, Zollverfahren, Zollabfertigungsgebühren • Ursprungsregeln, Ursprungszeugnisse • Staatsmonopole, Abgabenordnungen • Staatliche Durchsetzung von Schutzrechten des geistigen Eigentums • Bestimmungen des Konsumentenschutzes • Haftungsregeln.

    Ferner müssten dabei auch die Gegenstrategien, welche die Produzenten nach einer Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips durch die Schweiz einschlagen dürften, miteinbezogen werden. Zu nennen sind hier namentlich:

    • Eine verstärkte reale oder psychologische (Werbung) Produktdifferenzierung • Ausbau selektiver Vertriebssysteme, in Verbindung mit der Vorgabe von Standards

    an Verkaufsräumlichkeiten und Leistungszielen für die Verkaufsorganisation, die ihr den Handlungsspielraum bei Preisen nehmen

    • Verstärkte vertikale Integration • Behinderung des Parallelimports über die Lieferbedingungen • Behinderung des Parallelimports über Bestimmungen bezüglich der Garantie- und

    Wartungsleistungen. Nur gegen einen Teil dieser Strategien kann wettbewerbsrechtlich eingeschritten werden. Der Einsatz dieser Instrumente gehört zu den üblichen Praktiken eines marktwirtschaftlichen Verhaltens. Das Korrektiv zu diesen Praktiken liegt im effektiven oder drohenden Eintritt neuer Konkurrenz. Damit bestätigt sich erneut, wie bedeutend der Abbau von Importschranken aller Art für die Herausbildung eines international wettbewerbsfähigen Preisgefüges in der Schweiz ist. Mit Blick auf eine genauere Einschätzung des volkswirtschaftlichen Stellenwerts der Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips sollen vor diesem Hintergrund im Herbst 2005 bei einer exemplarischen Auswahl von Produkten Abklärungen über die für die Preisbildung von Gütern massgebenden Faktoren durchgeführt werden. Die Fallbeispiele werden sich allerdings kaum zu einem gesamtwirtschaftlichen Effekt der geplanten Revision des THG hochrechnen lassen. Dazu sind die zu beachtenden Einflussfaktoren wie oben dargelegt zu vielfältig. Die Beispiele dürften allerdings aufzeigen, dass in Gebieten mit anforderungs-reichen technischen Vorschriften wie den Lebensmitteln eher andere staatliche Bestimmungen als technische Vorschriften die hohen Schweizer Preise erklären, so etwa die hohen Zölle im Agrarbereich.

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  • Einfluss der technischen Handelshemmnisse auf die Produktion im Inland Der oben aufgezeigte exemplarische Abbau von Importschranken bei Personenwagen wurde nicht zuletzt dadurch erleichtert, dass hier nur Interessen von Importeuren und kaum Interessen von einheimischen Produzenten der Reform im Wege standen. Bei den Anfang 2004 noch nicht harmonisierten Bereichen verhielt es sich dagegen anders. Dies führt zur Frage, was die Einführung des Cassis de Dijon Prinzips für die im Inland produzierende Wirtschaft bedeuten würde. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Feststellung, dass auf den weltweit sich öffnenden Märkten ein immer differenzierteres Produktangebot zu immer attraktiveren Preisen verfügbar wird. Der Abbau von Importschranken wird folglich in vielen Fällen nicht auf Kosten einheimischer Produzenten gehen, die heute dank zurückgebundener ausländischer Konkurrenz auf dem Inlandmarkt eine bessere Marge zu erzielen wissen. Letzteres dürfte nur dort der Fall sein, wo heute einheimische Produzenten herkömmliche Güter herstellen und so mit quasi identischen Erzeugnissen ausländischer Konkurrenz im Wettbewerb stehen, wie bei gewissen Nahrungsmitteln, wo allerdings noch länger ein für Importe oftmals prohibitiver Zollschutz fortbestehen wird. Wenn durch liberalisierten Marktzugang einheimische Konkurrenten verstärkt durch Importe konkurrenziert werden, ist mit der Öffnung ein Strukturwandel in der Branche zu erwarten, der in Richtung effizienterer Produktionsserien und Betriebe führen wird. Dies bedeutet nicht nur die Einsparung volkswirtschaftlicher Ressourcen, sondern beinhaltet für die unter Anpassungsdruck gelangenden Unternehmen auch die Chance, im Gegenzug selber im Export Erfolge zu erzielen, vorausgesetzt die Umstellung zu einem neu differenzierteren, jedoch rationell hergestellten Angebot gelingt. Ihre Strukturen werden sich so jenen von Wirtschaftszweigen angleichen, in denen schon länger internationale Konkurrenz besteht. In den Sektoren mit fortgeschrittener internationaler Arbeitsteilung dürften die Nachteile einer Marktabschottung schon heute selbst für produzierende Firmen gegenüber den Vorteilen eines verminderten Importdrucks überwiegen, denn durch staatliche Bestimmungen oder private Abreden behinderte Einfuhren bedeuten für sie regelmässig beschränkte Einkaufsmöglichkeiten. Dies kann sie absatzseitig im Inland wie im Ausland gegenüber der Konkurrenz auf der gleichen Stufe in der Wertschöpfungskette zurückwerfen. Gerade im KMU-Bereich sind die Ergänzung der eigenen Produktion durch Handelsware oder die Veredelung eingeführter Erzeugnisse als Geschäftsstrategien wichtig. Umso bedeutender ist es, dass diese Firmen nicht wegen staatlicher Bestimmungen oder schwachem Wettbewerbsrecht in die Abhängigkeit der Sortimente und Preise geraten, die grosse Produzenten im Ausland für den Schweizer Markt vorsehen und hier desto besser durchsetzen können, je höher die Importschranken sind. Die Kosten für die Überwindung von Importschranken sind stark degressiv, je grösser die eingeführte Menge, desto tiefer fallen sie aus. Typisches Beispiel für die geschilderten Entwicklungen ist die Spezialisierung in der Fahrzeugindustrie, die in der Schweiz schon lange keine grössere Bedeutung mehr hatte, so dass allfällige Preiswirkungen handelsbeschränkender Vorschriften sich seit je überwiegend zu Gunsten der Importeure oder - noch wahrscheinlicher - der ausländischen Hersteller auswirkten, und nicht der Produktion im Inland. Mangelndes Gewicht der Produzenten hat in diesem Bereich denn auch zu einer konsequenteren Harmonisierung geführt als in andern Bereichen. Im eng verwandten Schienenfahrzeugbau zeigte sich gleichzeitig, dass die Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens innovativen Schweizer Unternehmen auch Chancen eröffnete, nicht zuletzt auch im Ausland. Entgegen der Erwartung einer fortschreitenden Deindustrialisierung ist der Fahrzeugbau ein Bereich, in dem die Schweiz international eher Marktanteile gewinnt. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist somit nicht der Nachweis zu führen, dass sich Harmonisierung im Technischen Recht volkswirtschaftlich auszahlt. Es muss vielmehr in den spezialgesetzlichen Erlassen der Nachweis geführt werden, dass die verfolgten Schutzziele nur mit technischen Bestimmungen, Informationspflichten und Zulassungserfordernissen zu erreichen sind, die Schweiz-spezifisch ausgestaltet sind, und dass diese Schutzwirkungen

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  • höher zu gewichten sind als die wirtschaftlichen Nachteile der damit ermöglichten handelsbeschränkenden Praktiken. Der Bundesrat erachtet die bisher vorliegenden Beurteilungsgrundlagen als ausreichend, um die Umsetzung des Cassis de Dijon Prinzips an die Hand zu nehmen. Bei der Beseitigung der anderen Importhemmnisse sind mit der Revision des Kartell- und des Binnenmarktgesetzes bedeutende Fortschritte erzielt worden. Mit der vorgesehenen Ergänzung des THG sind die Auswirkungen dieser Revisionen nun wirkungsvoll zu verstärken. 5.2.2. Aussenwirtschaftspolitische Beurteilung Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit schweizerischer Unternehmen sind nicht nur die Wettbewerbsverhältnisse im Inland, sondern auch der Zugang zu ausländischen Märkten von zentraler Bedeutung. Die EG sowie einige wichtige Handelsnationen machen in vielen Produktebereichen die Anerkennung von im Ausland durchgeführten Prüfungen, Zertifizierungen und Inspektionen vom Bestehen eines Abkommens abhängig. Das oben erwähnte Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) sowie das Agrarabkommen sind daher für einen möglichst diskriminierungsfreien Zugang schweizerischer Produkte zum EG-Markt von zentraler Bedeutung. Aus aussenwirtschaftspolitischer Sicht wäre daher die Option 1 zu bevorzugen. Da diese zur Zeit nicht realisierbar ist, werden in der Folge nur noch die Optionen 2 und 3 näher analysiert. Mit einer einseitigen Öffnung des schweizerischen Marktes für EG-konforme Produkte gemäss Option 2 könnte die EG ihr Interesse an der bereits geplanten Erweiterung dieser Abkommen auf zusätzliche Produktebereiche wie beispielsweise Bauprodukte, Chemikalien, Biozidprodukte, Pflanzenschutzmittel und Aufzüge verlieren, da ihre Produkte auch ohne Abkommenserweiterung vollen Zugang zum schweizerischen Markt erhielten. Die in der Schweiz hergestellten Produkte hätten dagegen nicht automatisch Zugang zum EG-Markt und die Schweiz hätte für die Wahrung der Interessen ihrer Exporteure auf dem EG-Markt in den Verhandlungen nichts mehr anzubieten. Falls der Zugang zum EG-Markt durch diese einseitige Öffnung längerfristig nachhaltig beeinträchtigt werden sollte, könnte dies die Tendenz zur Verlagerung der Produktion ins Ausland verstärken und damit den Verlust von Arbeitsplätzen nach sich ziehen. Mit Option 3 würde in den Produktebereichen, in denen die schweizerischen Vorschriften mit jenen der EG harmonisiert sind, eine Schwächung der schweizerischen Verhandlungs-position vermieden und das Potenzial für die Erweiterung bestehender bzw. den Abschluss neuer Abkommen zur Absicherung des Zugangs zu ausländischen Märkten namentlich über die gegenseitige Anerkennung von Produktezulassungen für Arzneimittel, Chemikalien, Biozidprodukte und Pflanzenschutzmittel gewahrt. Was dagegen die Produkteanforderungen im allgemeinen und namentlich die Anforderungen an die Produkteinformation betrifft, würde die Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips in vielen Fällen ermöglichen, die heute diesbezüglich bestehenden Hemmnisse zu überwinden. Ein wichtiger Bereich für die Anwendung dieses Prinzips wäre beispielsweise der Bereich der Bauprodukte. In den auf EG-Ebene harmonisierten Vorschriften sind nämlich nur die grundlegenden Anforderungen an die Produkte festgelegt, die durch einen Verweis auf technische Normen konkretisiert werden. Weil nur für einen kleinen Teil der Bauprodukte solche auf europäischer Ebene harmonisierten Normen bestehen, gehören viele Bauprodukte wie beispielsweise Baustähle und Geotextilien in den nichtharmonisierten Bereich und fallen daher unter den Anwendungsbereich des Cassis de Dijon Prinzips. Da insbesondere in den für die schweizerische Volkswirtschaft wichtigen Produktebereichen mit dem EG-Recht harmonisierte Vorschriften bestehen, dürften sich die Auswirkungen der Optionen 2 und 3 auf die Binnenwirtschaft kaum unterscheiden. Aus aussenwirtschaftlicher Sicht stellt aber Option 3 die klar bessere Lösung dar als Option 2. Mit Option 3 wären zudem die Chancen am grössten, dass die schweizerischen Bestrebungen zur Harmonisierung mit dem EG-Recht nicht nachlassen. Zudem könnte auch die mit der Option

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  • 2 einhergehende Schwächung der schweizerischen Konformitätsbewertungsstellen und der damit verbundene Know-how Verlust für die schweizerische Industrie vermieden werden. Option 3 ist schliesslich die Variante, welche dem Anwendungsbereich des Cassis de Dijon Prinzips in der EG entspricht. 5.3. Völkerrechtliche Beurteilung Eine systematische einseitige Bevorzugung ausschliesslich der EG- bzw. EWR- Mitgliedstaaten wäre nicht mit dem Prinzip der Meistbegünstigung (MFN) der WTO vereinbar. Gemäss Artikel I des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT 1994) sowie den dazugehörigen Ausführungsbestimmungen im Abkommen über die technischen Handelshemmnisse (TBT) und dem Abkommen über die gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Massnahmen (SPS) muss jeder Vorteil, welcher einem anderen WTO-Mitglied bezüglich einem Produkt gewährt wird, sofort und bedingungslos ebenfalls den anderen WTO-Mitgliedstaaten bezüglich ihrer vergleichbaren Produkte eingeräumt werden. Dies hätte zur Folge, dass eine einseitige Marktöffnung auch zu Gunsten aller anderer WTO-Mitgliedstaaten erfolgen müsste, welche in ihrer Produktegesetzgebung über ein vergleichbar hohes Schutzniveau verfügen wie die EG. Darauf könnte nur verzichtet werden, wenn das Cassis de Dijon Prinzip im Rahmen einer vertraglichen Regelung im Sinne von Art. XXIV des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994) angewendet würde. Bei Option 2 würde sich die WTO-MFN-Verpflichtung zur einseitigen Öffnung des schweizerischen Marktes aus anderen Staaten mit gleichwertigen Vorschriften auf alle Produkte beziehen. Da heute keine vollständige Übersicht über die Gleichwertigkeit ausländischer Produktevorschriften mit dem schweizerischen Recht besteht, ist es schwierig, eine Aussage darüber zu machen, für welche Staaten bzw. für welche Produkteimporte aus diesen Staaten allenfalls eine einseitige Öffnung erfolgen müsste. Im Vordergrund stünden vermutlich Warenimporte aus den aussereuropäischen OECD-Staaten wie USA, Kanada Mexiko, Japan, Australien, Neuseeland, Korea und der Türkei. Bei Option 3 würde sich die WTO-MFN-Verpflichtung im Unterschied zu Option 2 nur noch auf jene Produktebereiche beziehen, für welche die schweizerischen und die EG-Vorschriften noch nicht harmonisiert sind. Da in diesem Fall nur wenige Produktebereiche betroffen wären, ist die Wahrscheinlichkeit, dass mit diesen Staaten keine Einigung erzielt werden könnte und demzufolge in der WTO gegen die Schweiz geklagt würde, gering. 5.4. Auswirkungen für den Vollzug Der EG-Vertrag schreibt vor, dass die Vorschriften zum Schutz der Gesundheit, der Umwelt und der Verbraucher ein hohes Schutzniveau aufweisen. Nichtsdestotrotz bestehen insbesondere im Umweltbereich Differenzen im Schutzniveau zwischen EU- und Schweizer Recht in einzelnen Produktesektoren. Mit einer einseitigen Öffnung des Schweizerischen Marktes für Produkte, die in der EG bzw. dem EWR rechtmässig in Verkehr gebracht wurden, dürften somit grundsätzlich keine nachteiligen Folgen für das Schutzniveau in der Schweiz verbunden sein, sofern sichergestellt wird, dass die importierten bzw. die in der Schweiz nach ausländischen Vorschriften hergestellten Güter tatsächlich den Vorschriften der EG bzw. eines EG-Mitgliedstaates oder damit gleichwertigen Vorschriften eines anderen WTO-Mitgliedes entsprechen. Punktuell kann dennoch die Öffnung des Schweizerischen Marktes zu einer Absenkung des Schutzniveaus führen. Die Ausgestaltung des Vollzuges einer einseitigen Anwendung des Cassis de Dijon Prinzipes kann sich an den innerhalb der EG geltenden Verfahrensabläufen, wie sie im Kapitel 2 dargestellt wurden, orientieren. Für die mit der Marktüberwachung beauftragten eidgenössischen wie kantonalen Vollzugsbehörden ist mit einem Mehraufwand sowie mit

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  • einer gewissen Rechtsunsicherheit bezüglich des anwendbaren Rechts zu rechnen, sowohl in Bezug auf die Option 2 wie in Bezug auf die Option 3. Bei einer einseitigen Öffnung gemäss Option 2 müssten die schweizerischen Vollzugsbehörden alle in der EG geltenden Vorschriften - gemeinschaftsrechtliche wie nationale Vorschriften - kennen, um die Produktekonformität kontrollieren zu können. Im Rahmen der Marktüberwachung hätten die Vollzugsbehörden zu prüfen, ob die nicht nach schweizerischem Recht hergestellten Güter tatsächlich den Vorschriften der EG bzw. eines EG- oder EWR-Mitgliedstaates oder damit gleichwertiger Vorschriften eines anderen WTO-Mitgliedes entsprechen bzw. dort legal in Verkehr gebracht worden sind. Aussereuropäische Staaten könnten zudem von der Schweiz eine Überprüfung ihrer Vorschriften mit dem schweizerischen Recht fordern. Es ist allerdings davon auszugehen, dass eine solche Äquivalenzprüfung mit aussereuropäischen Vorschriften nur in den wenigsten Fällen erforderlich sein dürfte, da die von aussereuropäischen Staaten in die EG exportierten Produkte auch in der Schweiz in Verkehr gebracht werden könnten, ohne dass die Gleichwertigkeit der Vorschriften des betreffenden Staates mit dem schweizerischen Recht überprüft werden müsste. Schwierigkeiten dürfte den schweizerischen Vollzugsbehörden aber der Umstand bereiten, dass sie kaum in Erfahrung bringen könnten, ob ein Produkt in einem bestimmten EG-Mitgliedstaat nur deshalb frei zirkuliert, weil die Vollzugsbehörden bisher nicht eingeschritten sind oder ob dieses Produkt tatsächlich der betreffenden Gesetzgebung entspricht. Akzentuiert würde diese Problematik noch zusätzlich durch die Tatsache, dass die Schweiz die einseitige Öffnung auch auf Produkte aussereuropäischer Staaten mit gleichwertiger Gesetzgebung ausdehnen müsste. Bei Option 3 würden sich die Rechtsunsicherheit und der Mehraufwand im Vollzug im Vergleich zu Option 2 erheblich reduzieren, da nur noch jene Bereiche betroffen wären, für welche die Schweiz die Vorschriften mit jenen der EG nicht oder noch nicht vollständig harmonisiert hat oder die EG selbst keine oder nur eine unvollständige Harmonisierung kennt. Im Hinblick auf diese Schwierigkeiten ist mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen, dass aufgrund der Einführung des Cassis de Dijon Prinzips der Verbraucherschutz in allen Bereichen gewährleistet bleibt. Damit die Vollzugsaufgaben mit vernünftigem Aufwand erfüllt werden könnten, sollte zudem eine vertragliche Zusammenarbeit mit der EG zumindest im Bereich der Marktüberwachung angestrebt werden. Während der Dauer des Verfahrens zur Revision des THG sollen daher Massnahmen im Hinblick auf eine solche Zusammenarbeit im Bereich der Marktaufsicht getroffen werden. 6. Gesamtbeurteilung, Haltung des Bundesrates und weiteres Vorgehen Die Importhemmnisse im Bereich Warenverkehr sind sehr vielseitig und jede Schranke einzeln oder in Kombination mit den anderen führt zu einer Abschottung des schweizerischen Marktes. Die Beseitigung der Schranken im technischen Recht ist daher nicht hinreichend, um bestehende Preisunterschiede abzubauen bzw. neue zu verhindern, stellt aber zusammen mit der Revision des Binnenmarktgesetzes und des Kartellgesetzes ein geeignetes Instrument dar, um die mit deren Revision erzielten Wirkungen noch zu verstärken. Aufgrund der Komplexität der Marktzugangserschwernisse ist eine quantifizierte Einschätzung des Nutzens der Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips auf der Basis der heute verfügbaren Daten nicht möglich. Vor diesem Hintergrund soll daher im Hinblick auf eine genauere Einschätzung des volkswirtschaftlichen Stellenwerts im Herbst 2005 noch eine Untersuchung über die zu erwartenden Preiseffekte anhand einer exemplarischen Auswahl von Gütern durchgeführt werden.

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  • Für die im Inland produzierende Wirtschaft würde die Einführung des Cassis de Dijon Prinzips eine durch den liberalisierten Marktzugang verstärkte Konkurrenz durch ausländische Importe bedeuten. Als direkte Auswirkung davon wäre ein Wandel zu erwarten, der in Richtung effizientere Produktionsserien und Betriebe führen würde. Dies wiederum bedeutet nicht nur die Einsparung volkswirtschaftlicher Ressourcen, sondern beinhaltet für die unter Anpassungsdruck gelangenden Unternehmen auch die Chance, im Gegenzug selber im Export Erfolge zu erzielen. Im Interesse der Exportwirtschaft sind in erster Linie Lösungen zu bevorzugen, welche es ermöglichen, schweizerischen Produkten über entsprechende Verträge einen reziproken Zugang zum EG- bzw. EWR- Markt zu gewährleisten. Ist dies nicht möglich, bildet die einseitige Öffnung des schweizerischen Marktes ein geeignetes Instrument, um den Wettbewerb auf dem heimischen Markt zu intensivieren. Würde die Schweiz auf dem unilateralen Weg aber systematisch alle in der EG für den Warenverkehr geltenden Vorschriften anerkennen, hätte die EG kein Interesse mehr, die mit der Schweiz abgeschlossenen Abkommen, welche die EG verpflichten, schweizerischen Produkten den Zugang zum europäischen Markt zu gewähren, weiterzuführen oder gar noch auszubauen. Der Bundesrat ist daher der Ansicht, dass die einseitige Anerkennung der im Gemeinschaftsrecht oder in der Gesetzgebung der einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Produktevorschriften auf diejenigen Bereiche beschränkt werden soll, in denen in der Schweiz und in den EG- bzw. EWR-Mitgliedstaaten unterschiedliche technische Vorschriften gelten. Der Bundesrat wird daher die Arbeiten zur Anwendung des Cassis de Dijon Prinzips im Sinne von Option 3 (einseitige Öffnung des Schweizer Marktes für Produkte, für welche in der Schweiz und in der EG unterschiedliche technische Vorschriften gelten) vorantreiben. Ziel ist, dem Parlament bis Ende 2006 eine entsprechende Botschaft zur Revision des THG vorzulegen. Im Rahmen dieser Gesetzesrevision wird auch eine Überprüfung und Bewertung der bestehenden Unterschiede zwischen der schweizerischen und der europäischen Rechtsordnung im Bereich der Produktevorschriften durchgeführt werden, wie sie namentlich mit dem Postulat 05.3122 der Sozialdemokratischen Fraktion gefordert wurde. Zur Aufrechterhaltung des bestehenden Schutzniveaus sind auch künftig Ausnahmen nötig. In den Bereichen, in denen die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts oder der nationalen Gesetzgebungen der EG- bzw. EWR-Staaten ungenügend sind, sind Ausnahmen zum Schutz von Umwelt, Gesundheit und der Verbraucher im Sinne von Art. 4 THG vorzusehen. Während der Dauer des Gesetzgebungsverfahrens zur Revision des THG sollen im Übrigen auch Massnahmen getroffen werden, um die Zusammenarbeit mit der EG in den Bereichen Risikobeurteilung und Risikomanagement sowie Marktüberwachung und öffentliche Information zu intensivieren. Beilagen: Beilage 1: Übersicht über den Stand der Harmonisierung nach Produktebereichen und

    Geltungsbereich der Abkommen mit der EG Beilage 2: Übersicht über den Anwendungsbereich des Cassis de Dijon Prinzips Beilage 3: Preisniveauvergleich Schweiz – Luxemburg Beilage 4: Antwort auf Frage 3 des Postulat Leuthard betreffend Kühlschränke und

    Küchenmöbel

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    Bericht des Bundesrates zur Cassis de Dijon Thematikin Erfüllung des Postulates 04.3390 eingereicht von Frau NatHohes Preisniveau bereits auf der ersten HandelsstufeFür die Schweiz nachteiliger Vergleich mit LuxemburgHandlungsbedarf im Bereich der technischen Vorschriften


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