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Beilage zum GrenzEcho Nr. 208 Samstag, 7. September...

Date post: 10-Sep-2019
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1 Beilage zum GrenzEcho Nr. 208 Samstag, 7. September 2019 Als Boris Johnson die DG im Daily Telegraph vorstellte Seite 8 Persönliche Erinnerungen „Histoire de Familles“ auf den Höhen von Verviers Seite 4-5 Restaurants zum Verführen: Kreuzfahrttouristen sind als Besucher auf Kurztrips in den Hochburgen des Tourismus zwar nach wie vor beliebt, doch kommen sie in stets grö- ßerer Zahl, und dies bereitet Sorgen. Bestes Beispiel für die- sen Wandel ist Venedig. Dort waren die Kurzbesucher jahre- lang sehr willkommen. Doch weil die Schiffe stets mehr Rei- sende gleichzeitig von Bord lassen, sehen sich manche Städte überfordert. Als Reakti- on auf diese Entwicklung stellt sich die Frage: Wie können die Interessen der Gäste und jene der besuchten Orte in Ein- klang gebracht werden? Venedigs Behörden haben das Heft bereits in die Hand genommen. Sie wollen stren- gere Voraussetzungen erlas- sen, um den Ansturm von je- weils Tausenden Kreuzfahrt- touristen auf die ohnehin schon gefährdete Stadt zu bremsen. Sie haben die Behör- den des beliebtesten aller Rei- seziele der modernen Kreuz- fahrer gebeten, mit ihnen ge- meinsam nach Auswegen zu suchen. Sie haben dazu in Bar- celona, Amsterdam, Dubrov- nik, Hamburg, Marseille, Pal- ma de Mallorca, in Malaga und eben auch in Brügge ange- klopft. Ziel ist, die jeweiligen Erfahrungen mit den Schiffs- touristen auszutauschen und gemeinsam zu prüfen, wie die grundsätzlich gewollten Touri- sten mit den zunehmenden Belastungen in Einklang zu bringen sind, die zu beklagen sind, wenn zu viele Gäste gleichzeitig anstürmen. Venedigs Hafenschöffe Pino Musolino ist überzeugt, dass es möglich ist, die Reedereien für einen umweltverträgliche- ren Tourismus mit ins Boot zu nehmen. Barcelona, Palma und Marseille haben bereits angedeutet, dass sie der Bitte um gemeinsames Handeln Folge leisten wollen. In Zee- brugge, wo die Gäste für Brüg- ge an Land gehen, verwies Ha- fenschöffe Joachim Coens auf schon anberaumte Unterre- dungen vor Ort. In der Stadt Brügge ist der Umgang mit den Besuchern eines der wich- tigsten Anliegen der Behör- den, die gerne viele Besucher begrüßen, doch hoffen, dass nicht zu viele zur selben Zeit kommen … und dass sie etwas Geld ausgeben. Die von den Schiffen ausströmenden Besu- cher haben durchweg hohe Ausflugsgebühren gezahlt und sind wenig zum Geldaus- geben in den besuchten Orten geneigt. Brügge ist sich der ne- gativen Auswirkungen des Schifffahrtstourismus be- wusst. Im vergangenen Jahr wurden 8,3 Millionen Besu- cher als Touristen gezählt. Das waren deren 900.000 mehr als im Jahr zuvor. Platz für alle ist vorhanden, weiß Bürger- meister Dirk De Bauw. Doch strebt die Stadt mehr Quali- tätstourismus an. Wenn in we- nigen Stunden möglichst viele Touristen in Bussen durch die engen Straßen von Brügge ge- karrt werden, bringe das der Stadt wenig. Die Brügger Be- hörden suchen mit jenen von Zeebrugge nach Mitteln, um den Massentourismus besser kanalisieren zu können. Es wird etwa daran gedacht, le- diglich zwei Kreuzfahrtschif- fen gleichzeitig das Einfahren in Zeebrugge zu erlauben. In Zeebrugge haben im ver- gangenen Jahr 151 Kreuzfahrt- schiffe festgemacht. 2010 wa- ren es deren noch 66. Von die- sen Schiffen gehen stets mehr Touristen von Bord, um zwi- schen 7 Uhr morgens und 18 Uhr vom Hafen aus die Stadt Brügge zu besuchen. Busse bringen sie in die Innenstadt. Seit einigen Jahren lassen diese Schiffe allerdings stets mehr Reisende gleichzeitig von Bord. Waren es deren eini- ge Hundert vor zehn Jahren, dürfen heutzutage bis zu 3.000 erwartet werden. Das kann sehr wohlals eine Art „Überrumpelung“ wahrge- nommen werden. Von Brügge aus werden zudem Touristen mit Bussen bis nach Brüssel, Gent, Ypern oder in andere be- liebte Städte gebracht. Die Stadt Brügge hat nicht erst auf den Hilferuf aus Vene- dig gewartet und spricht schon länger mit den Hafen- behörden in Zeebrugge und mit den Reedereien der Kreuz- fahrtschiffe über Möglichkei- ten, den Besucherstrom in bessere Bahnen zu lenken. Brügge sei kein Feind des Crui- setourismus, versichert der Tourismusschöffe. Wirkliche Probleme tauchten nicht oft auf, doch müsse die zu starke Beanspruchung zu gewissen Zeiten vermeiden werden. Das Eintreffen der Schiffstouristen in Zeit und Raum zu steuern, dies sei das Ziel der laufenden Gespräche mit Hafenbehör- den und Reedern. Auf der Suche nach geeigne- ten Mitteln kommt auch der Gedanke an eine Gebühr auf. In Dubrovnik müssen Eintags- touristen einen Euro zusätz- lich zahlen. Dieser fließt in die Kassen der Stadt. In Amster- dam gilt eine Gebühr von acht Euro pro Tag. Diese wird allein von Kurzbesuchern gefordert. Wer eine Kreuzfahrt in Am- sterdam aufnimmt oder sie dort beendet, muss nicht zu- sätzlich zahlen, weil diese Gä- ste wohl zusätzlich noch Geld in Amsterdam selbst ausge- ben. In Brügge wird eine Ge- bühr als Möglichkeit gewertet, doch nicht als Allheilmittel. Der Vorhafen Zeebrugge, wo die Gäste an Land gehen, hat kräftig investiert und einen Besucherterminal ausgebaut, der eine höhere Zahl von Kreuzfahrttouristen unter be- sten Voraussetzungen aufneh- men kann. Deshalb sehen es die Hafenbehörden auch we- niger gern, wenn weniger Schiffe einlaufen sollen. Für 2020 sind aber 36 Schiffe we- niger gemeldet als im laufen- den Jahr. Brügges Bürgermeister ist zugleich Präsident der Hafen- behörden in Zeebrugge. Er muss sehr unterschiedliche Erwartungen in Einklang brin- gen. AIDA Cruises hatte Brüg- ge jahrelang im Angebot, P&O Cruises brachte ebenfalls viele Besucher ins „Venedig des Nordens“. Eine Prokopfgebühr für jeden Besucher findet kaum Gefallen bei den Veran- staltern des Kreuzfahrttouris- mus. Zwar befördern deren Schiffe mehr Touristen, doch geben diese im Durchschnitt weniger Geld aus beim Besuch der Städte. (hw) Wie Venedig: Stets größere Schiffe, stets mehr Gäste und doch weniger Einnahmen So romantisch kann Brügge sein: der Rosenkai mit dem Belfried. Fotos: Photo News Brügge will Kreuzfahrttourismus steuern Die Touristen geben immer weniger Geld aus und fotografieren lieber prachtvolle Gebäude und die Grachten. Die Brügger Spitzenläden tun sich schwer, weil nur noch billigere Teppiche und Kissen gefragt sind. Vervierser Str. 44 . Eupen . 087-31 28 22 . [email protected] PROFITIEREN SIE VOM KLIMABONUS Erhalten Sie bis zu 650€ Prämie * bei der Modernisierung Ihrer neuen Heizung. WEITERE INFOS: LEYENDECKER-ONLINE.COM 650€ PRÄMIE * *Aktion gültig bis zum 30.09.2019 Ausführliche Informationen zu den Bedingungen finden Sie auf unserer Webseite. bis zu 2000459634/SR-G
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Beilage zum GrenzEcho Nr. 208 Samstag, 7. September 2019

Als Boris Johnson die DG

im Daily Telegraph vorstellte

Seite 8

Persönliche Erinnerungen

„Histoire de Familles“ auf den

Höhen von Verviers

Seite 4-5

Restaurants zum Verführen:

Kreuzfahrttouristen sind alsBesucher auf Kurztrips in denHochburgen des Tourismuszwar nach wie vor beliebt,doch kommen sie in stets grö-ßerer Zahl, und dies bereitetSorgen. Bestes Beispiel für die-sen Wandel ist Venedig. Dortwaren die Kurzbesucher jahre-lang sehr willkommen. Dochweil die Schiffe stets mehr Rei-sende gleichzeitig von Bordlassen, sehen sich mancheStädte überfordert. Als Reakti-on auf diese Entwicklung stelltsich die Frage: Wie können dieInteressen der Gäste und jeneder besuchten Orte in Ein-klang gebracht werden?

Venedigs Behörden habendas Heft bereits in die Handgenommen. Sie wollen stren-gere Voraussetzungen erlas-sen, um den Ansturm von je-weils Tausenden Kreuzfahrt-touristen auf die ohnehinschon gefährdete Stadt zubremsen. Sie haben die Behör-den des beliebtesten aller Rei-seziele der modernen Kreuz-fahrer gebeten, mit ihnen ge-meinsam nach Auswegen zusuchen. Sie haben dazu in Bar-celona, Amsterdam, Dubrov-nik, Hamburg, Marseille, Pal-ma de Mallorca, in Malaga undeben auch in Brügge ange-klopft. Ziel ist, die jeweiligenErfahrungen mit den Schiffs-touristen auszutauschen undgemeinsam zu prüfen, wie diegrundsätzlich gewollten Touri-sten mit den zunehmendenBelastungen in Einklang zubringen sind, die zu beklagensind, wenn zu viele Gästegleichzeitig anstürmen.

Venedigs Hafenschöffe PinoMusolino ist überzeugt, dasses möglich ist, die Reedereienfür einen umweltverträgliche-ren Tourismus mit ins Boot zunehmen. Barcelona, Palmaund Marseille haben bereitsangedeutet, dass sie der Bitteum gemeinsames HandelnFolge leisten wollen. In Zee-brugge, wo die Gäste für Brüg-ge an Land gehen, verwies Ha-fenschöffe Joachim Coens aufschon anberaumte Unterre-dungen vor Ort. In der StadtBrügge ist der Umgang mitden Besuchern eines der wich-

tigsten Anliegen der Behör-den, die gerne viele Besucherbegrüßen, doch hoffen, dassnicht zu viele zur selben Zeitkommen … und dass sie etwasGeld ausgeben. Die von denSchiffen ausströmenden Besu-cher haben durchweg hoheAusflugsgebühren gezahltund sind wenig zum Geldaus-geben in den besuchten Ortengeneigt. Brügge ist sich der ne-gativen Auswirkungen desSchifffahrtstourismus be-wusst. Im vergangenen Jahrwurden 8,3 Millionen Besu-cher als Touristen gezählt. Das

waren deren 900.000 mehrals im Jahr zuvor. Platz für alleist vorhanden, weiß Bürger-meister Dirk De Bauw. Dochstrebt die Stadt mehr Quali-tätstourismus an. Wenn in we-nigen Stunden möglichst vieleTouristen in Bussen durch dieengen Straßen von Brügge ge-karrt werden, bringe das derStadt wenig. Die Brügger Be-hörden suchen mit jenen vonZeebrugge nach Mitteln, umden Massentourismus besserkanalisieren zu können. Eswird etwa daran gedacht, le-diglich zwei Kreuzfahrtschif-

fen gleichzeitig das Einfahrenin Zeebrugge zu erlauben.

In Zeebrugge haben im ver-gangenen Jahr 151 Kreuzfahrt-schiffe festgemacht. 2010 wa-ren es deren noch 66. Von die-sen Schiffen gehen stets mehrTouristen von Bord, um zwi-schen 7 Uhr morgens und 18Uhr vom Hafen aus die StadtBrügge zu besuchen. Bussebringen sie in die Innenstadt.

Seit einigen Jahren lassendiese Schiffe allerdings stetsmehr Reisende gleichzeitigvon Bord. Waren es deren eini-ge Hundert vor zehn Jahren,

dürfen heutzutage bis zu3.000 erwartet werden. Daskann sehr wohlals eine Art„Überrumpelung“ wahrge-nommen werden. Von Brüggeaus werden zudem Touristenmit Bussen bis nach Brüssel,Gent, Ypern oder in andere be-liebte Städte gebracht.

Die Stadt Brügge hat nichterst auf den Hilferuf aus Vene-dig gewartet und sprichtschon länger mit den Hafen-behörden in Zeebrugge undmit den Reedereien der Kreuz-fahrtschiffe über Möglichkei-ten, den Besucherstrom in

bessere Bahnen zu lenken.Brügge sei kein Feind des Crui-setourismus, versichert derTourismusschöffe. WirklicheProbleme tauchten nicht oftauf, doch müsse die zu starkeBeanspruchung zu gewissenZeiten vermeiden werden. DasEintreffen der Schiffstouristenin Zeit und Raum zu steuern,dies sei das Ziel der laufendenGespräche mit Hafenbehör-den und Reedern.

Auf der Suche nach geeigne-ten Mitteln kommt auch derGedanke an eine Gebühr auf.In Dubrovnik müssen Eintags-touristen einen Euro zusätz-lich zahlen. Dieser fließt in dieKassen der Stadt. In Amster-dam gilt eine Gebühr von achtEuro pro Tag. Diese wird alleinvon Kurzbesuchern gefordert.Wer eine Kreuzfahrt in Am-sterdam aufnimmt oder siedort beendet, muss nicht zu-sätzlich zahlen, weil diese Gä-ste wohl zusätzlich noch Geldin Amsterdam selbst ausge-ben. In Brügge wird eine Ge-bühr als Möglichkeit gewertet,doch nicht als Allheilmittel.

Der Vorhafen Zeebrugge, wodie Gäste an Land gehen, hatkräftig investiert und einenBesucherterminal ausgebaut,der eine höhere Zahl vonKreuzfahrttouristen unter be-sten Voraussetzungen aufneh-men kann. Deshalb sehen esdie Hafenbehörden auch we-niger gern, wenn wenigerSchiffe einlaufen sollen. Für2020 sind aber 36 Schiffe we-niger gemeldet als im laufen-den Jahr.

Brügges Bürgermeister istzugleich Präsident der Hafen-behörden in Zeebrugge. Ermuss sehr unterschiedlicheErwartungen in Einklang brin-gen. AIDA Cruises hatte Brüg-ge jahrelang im Angebot, P&OCruises brachte ebenfalls vieleBesucher ins „Venedig desNordens“. Eine Prokopfgebührfür jeden Besucher findetkaum Gefallen bei den Veran-staltern des Kreuzfahrttouris-mus. Zwar befördern derenSchiffe mehr Touristen, dochgeben diese im Durchschnittweniger Geld aus beim Besuchder Städte. (hw)

Wie Venedig: Stets größere Schiffe, stets mehr Gäste und doch weniger Einnahmen

So romantisch kann Brügge sein: der Rosenkai mit dem Belfried. Fotos: Photo News

Brügge will Kreuzfahrttourismus steuern

Die Touristen geben immer weniger Geld aus und fotografierenlieber prachtvolle Gebäude und die Grachten.

Die Brügger Spitzenläden tun sich schwer, weil nur noch billigereTeppiche und Kissen gefragt sind.

Vervierser Str. 44 . Eupen . 087-31 28 22 . [email protected]

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2 AUS DER REGIONGrenzEcho

Samstag, 7. September 2019

VON HEINZ GODESAR

Wie die technische Einrich-tung der Eupener Papiermüh-le ausgesehen haben mag,kann anhand von Abbildun-gen alter Papiermühlen rekon-struiert werden. Auch die Ar-beitsabläufe bei der Papierher-stellung sind nach alten Be-schreibungen ohne weiteresnachzuvollziehen.

Die benötigten Gerätschaf-ten waren zum größten Teilaus Holz gefertigt. Dazu ge-hörte das mächtige Wasserrad,welches die Energie des flie-ßenden Wassers auf dasStampfwerk oder das Hollän-dermahlwerk übertrug.

Das Stampfwerk einer Pa-piermühle funktionierte ähn-lich wie eine Tuchwalkmühle.Es bestand aus einer Reihevon großen Holzhämmern,teils mit Eisen bewehrt, dievon der durch das Wasserradangetriebenen Nockenwellegehoben wurden und auf dieLumpen fielen, die sich in dar-unterliegenden Trögen befan-den.

Im Stadtmuseum Eupenkann ein Modell eines solchenStampfwerks in Augenscheingenommen werden. Das Hol-ländermahlwerk ist eine inHolland entwickelte Stoff-mühle, in der die Lumpen zwi-schen einer Metallwalze undMessern zerrieben werden.Diese sogenannten Holländerfinden noch heute bei der Pa-pierfabrikation Verwendung.Von der Eupener Eisengieße-rei Wintgens ist überliefert,dass in ihrer Werkstatt insge-samt 22 Holländerschalen miteinem Gewicht von je 8.500Kilogramm für die MalmedyerPapierfabrik Steinbach gegos-sen wurden.

Die Kraft des Wassers wurdeebenfalls zum Antrieb weite-rer Maschinen genutzt. So gabes in den alten Papiermühlenhäufig mechanische Lumpen-schneider und Rührwerke, dieden „Stoff“ genannten Faser-brei in der Schöpfbütte beweg-ten. Mancherorts wurde auchdie große Spindelpresse, diezum Entwässern des Pauschtsdiente, durch Wasserkraft an-getrieben.

Ein Pautsch ist ein Stapelvon 182 Filzen und 181 Papier-bögen.

Relativ bescheidene Produktion

Inwieweit die Papiermühleam Selterschlag mechanisiertwar, lässt sich mangels fehlen-der Unterlagen nicht feststel-len. Die in dem Bericht von1764 erwähnten beiden Arbei-ter können aber auch beigrößtmöglicher Mechanisie-rung die anfallenden Arbeitenkaum alleine bewältigt haben.Es ist vielmehr anzunehmen,das es sich hierbei um ausge-bildete Papiermacher gehan-delt hat, die ständig beschäf-tigt waren, während die erfor-derlichen Hilfskräfte sich ausTagelöhnern rekrutierten.

Möglicherweise war die Eu-pener Papiermühle auch nichtdas ganze Jahr über in Betrieb.Die angegebene Produktions-menge hätte bei der üblichenBelegschaftsstärke im Ganz-jahresbetrieb jedenfalls höhersein können. Da in EupenPackpapier hergestellt wurde,dürften die geschöpften For-mate sicherlich zu den damalsgrößtmöglichen gehört ha-ben. Dies liefert eine zusätzli-

che Erklärung für die relativbescheidene Produktion. Beiden großen Papierformatenging die Arbeit natürlich nichtso schnell von der Hand,manchmal war es gar notwen-dig, dass zwei Büttgesellen dieübergroßen Schöpfformenmanipulierten.

Vom Schöpfen und vom Gautschen

Die Kunst des Papierma-chens gelangte aus China überArabien nach Europa. InEuropa wurde die alte Technikweiter entwickelt und etlicheVerbesserungen und Neue-rungen eingeführt. So wurdedas wenig haltbare Schilfsiebder Araber durch ein Sieb ausdünnen Drähten ersetzt. Dieswiederum bedingte das Able-gen des Blattes auf eine elasti-sche Unterlage, das Gautschenauf Filztüchern entstand.

Aufgrund dieser Neuerun-gen bildete sich eine arbeits-teilige Produktionsweise her-aus. An der Schöpfhütte warenin der Regel drei bis vier Per-sonen beschäftigt. Die wich-

tigste Arbeit führte der Schöp-fer, auch Büttgeselle genannt,aus. Von seiner Geschicklich-keit hing die Gleichmäßigkeitder Produktion ab. Er schöpftmit einem Siebformenpaarden Stoff aus der Bütte. Dazufasst er mit beiden Händen dieSchöpfform an den Schmalsei-ten. Er taucht sie in die Bütteund hebt sie gefüllt wiederheraus. Nun beginnt einkunstgerechtes Schütteln dergestrichen vollen Form. DasWasser tropft in die Schöpf-bütte ab, bis ein gut verfilztesBlatt entsteht. Dann wird derRahmen abgehoben und dasSieb dem Gautscher zugescho-ben. Dieser gautscht das Blattauf den Filz ab und bedeckt esmit einem neuen Filz. Inzwi-schen hat der Büttgeselle mitder zweiten Form schon dennächsten Bogen geschöpftund so wächst der Pauscht bisdas Fassungsvermögen derPresse erreicht ist.

In der großen Spindelpressewird der Pauscht gepreßt, biskein Wasser mehr ausfließt.Ein dritter Geselle, der Leger,trennt nun die noch feuchtenPapierbogen von den Filzen.Der Vierte an der Bütte, meistein Lehrling, trägt die noch

feuchten Papierbogen zumTrockenboden, wo sie vonHilfskräften, in der Regel Frau-en und Kinder, über Seile auf-gehängt werden. In der war-men Jahreszeit konnten dieBogen auch im Freien zumTrocknen ausgelegt werden.

Zahlreiche Arbeitsgängewaren erforderlich.

Bevor aber die Mannschaftan der Schöpfbütte tätig wer-den konnte, musste erst derStoff vorbereitet werden. Dieangelieferten Lumpen wurden– dies war eine Arbeit, die vonFrauen und Kindern verrichtetwurde - sortiert und in kleineFetzchen zerschnitten. UnterZugabe von Kalkmilch ließman die Hadern nun anfau-len, ehe sie in den Stampftrogoder ins Mahlwerk gelangten.War der Stoff genügend aufbe-reitet, kam er in den Vorrat-strog oder direkt in dieSchöpfbütte .

Nach dem Trocknen muss-ten die welligen und unan-sehnlichen Bögen nochmalsgepresst werden. Die nun fol-gende Leimung machte dasPapier tintenfest und somitbeschreibfähig. Den dazu er-forderlichen Tierleim stellteder Papiermacher selbst her.Bündelweise wurden die Bo-gen in die Leimlösung ge-taucht. Wiederum folgtenPressen und Trocknen,schließlich Glattpressen unddie Glättung mit einem Achat-stein oder unter einem Glätt-hammer. Es folgten nun nochdie Arbeitsgänge des Sortie-rens, Bündelns und Verpac-kens. Nun erst war das Papierverkaufsfertig. Um alle dieseArbeitsgänge zu bewältigen,waren in einer mittelgroßenPapiermühle mit einer

Schöpfbütte zwölf bis 16 Per-sonen erforderlich. In kleine-ren Mühlen, dazu zählte si-cherlich jene am Selterschlag,mussten mehrere Verrichtun-gen von denselben Personen -auf Kosten der Produktionslei-stung - übernommen werden.

Leider ist nichts erhal-ten geblieben.

Von der Papiermühle amSelterschlag ist leider nichtserhalten geblieben. Es ist auchnicht bekannt, ob ein Wasser-zeichen benutzt wurde, umdie Produktion zu kennzeich-nen. Nur in der Ortsbezeich-nung „et Plagges“ lebt die Er-innerung an die Jünger derWeißen Kunst, die fast 40 Jah-re lang hier tätig waren, fort.

Die ursprüngliche Heerens-mühle dürfte ein anderes Aus-sehen gehabt haben, als derHochbau, der sich bis 1947 un-weit des Selterschlagwehreserhob.

Dieser Hochbau wurde vonHugo Stollé in den Jahren1856-57 errichtet. Er wies alleMerkmale eines Spinnerei-Etablissements auf von denenim 19. Jahrhunderts zahlreichean Hill und Weser entstanden.

Nur wenige dieser Fabrikge-bäude sind erhalten geblie-ben. In der ehemaligen Spin-nerei Feder im Pang nahmen1908 die Brüder Bourseaux dieFabrikation von elektrischenKabeln auf.

Das Gebäude wird nochheute genutzt. In den Haagen2A steht die ehemalige Spin-nerei der Firma Ackens, GrandRy & Cie fast unverändert undim Ortsteil Hütte wird die ehe-malige Weißgarnspinnereivon Gülcher und Grand Ryheute noch vom Rohrwerk desKabelwerks genutzt.

Die Papiermühle am Selterschlag (Teil 2)

Papiermacher an der Schöpfbütte. Rechts erkennt man den Pautsch.

Von der Arbeit in einer Papiermühle

Holländermahlwerk in einer stillgelegten französischenPapierfabrik. Foto: Heinz Godesar

In den Haagen blieb der hohe Bau der ehemaligen Spinnerei vonAckens, Grand Ry & Cie erhalten. Foto: Sammlung des EGMV

Die Spinnerei Fremerey am unteren Selterschlag wurde in den1950er Jahren abgebrochen. Dort steht jetzt die ResidenzWesertal. Foto: Sammlung des EGMV

Trockenpresse einer traditionellen Papiermühle.

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GrenzEchoSamstag, 7. September 2019 BILD DER WOCHE 3

Der erste Schultag ist jedes Jahr ein besonderer Tag. In erster Linie natürlich für die Erstklässler und ihre Eltern.Doch auch für die Pädagogen und Betreuer ist der Schulanfang eine Zäsur nach dem Sommer. Schließlich be-ginnt für die Politik auch immer mehr oder weniger mit dem Schuldbeginn der „Ernst des Lebens“. Eine neueSitzungsperiode beginnt: mit Regierungserklärung, Haushaltshinterlegung usw. Für den Unterrichtsministerist es mehr als ein Pflichttermin, einigen Schulen seine Aufwartung zu machen. Dieses Jahr besuchte HaraldMollers (ProDG) Grundschulen in Rocherath, Herbesthal und St.Vith. Foto: nemo.presse

Wenn der große Chef persönlich vorbeischaut

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4 GAUMENFREUDENGrenzEcho

Samstag, 7. September 2019

VON FRANZ-JOSEF HEINEN

Wenn Sie, meine geneigtenLeserinnen und Leser, derMeinung sind, die Stadt Ver-viers und ihre Umgebunghaben nicht besonders viel zubieten, so mag dies nicht ganzunberechtigt sein. Denn derRückgang der Tuchherstel-lung hat vor allem in denRandgebieten der Stadt füreinige Industrieruinen ge-sorgt, die nur sehr schleppendabgerissen oder einer neuenBestimmung (z. B. Museen)zugeführt wurden. Im Zen-trum machen die vielen leer-stehenden Geschäfte auchnicht gerade Lust auf gemütli-che Einkaufstouren. Vielleichthaucht das bereits seit lan-gem in Aussicht gestellte undviel diskutierte Shoppingcen-ter der Innenstadt neues Le-ben ein. Allerdings lässt dieRealisierung dieses Mammut-projektes schon viel zu langeauf sich warten, was zur Folgehat, dass einige ehemals blü-henden Geschäftsstraßen, diediesem Projekt weichen wer-den, mittlerweile gespenstigeZüge angenommen haben.Hier fühlt man sich erinnertan amerikanische Katastro-phenfilme, die den Nieder-gang der menschlichen Zivili-sation bedrückend in Szenezu setzen verstehen. Gastro-nomisch allerdings lohnt sichein Besuch der Stadt, die mitihren 55.000 Einwohnern fastso bevölkerungsreich ist wieunsere gesamte deutsch-sprachige Gemeinschaft(77.000 Einwohner). So hatsich am Weserufer eine„Fressmeile“ etabliert, die aufjeden Fall einen Besuch lohnt.Aber auch in den kleinen

Ortschaften rund um dieStadt gibt es viel zu entdec-ken, so z. B. in dem ganz inder Nähe liegende Dorf An-drimont. In Rufweite derKirche befindet sich das erstvor vier Jahren eröffnete Re-staurant „Histoire de Famil-les“, das wir heute gemeinsambesuchen werden.

Vom Tante-Emma-Laden

zum Dorfrestaurant

Andrimonts

Frédérique Lavigne hattehier vor Ort sehr lange Zeiteinen kleinen Dorfladen ge-führt, bis sie sich entschloss,den Job radikal zu wechseln,ein altes Haus in der Nähevon Grund auf zu renovierenund dank eines großzügigenAnbaus in ein sehr anspre-chendes Wirtshaus umzuwan-deln. 2015 wurde die Eröff-nung gefeiert und seitdem istdas Restaurant eine sichereAnlaufstelle für alle Hung-rigen, die eine typisch belgi-sche Brasserieküche über alleslieben. Der Parkplatz vor demRestaurant ist schnell belegt,aber nur wenige Meter ent-fernt befinden sich bei derKirche jede Menge Möglich-keiten, sein Fahrzeug sicherabzustellen. Ich würdeohnehin empfehlen, dort zuparken, denn direkt beimRestaurant ist es doch eheretwas beengt. Das Haus liegthinter einer Hecke an einerStraßenecke und fällt nichtgerade durch aufwendigeHinweisschilder auf. Der An-bau ist in grauem Bruchsteingehalten, mit großen Fenstern

auf allen Seiten, so dass derSpeiseraum lichtdurchflutetist. Die Inneneinrichtung isteher nüchtern, kein Chichi,alles sehr funktionell: Einfachgedeckte grauweiße Tischeund braune Holzstühle, derFußboden ist mit großengrauen Fliesen bedeckt, imHintergrund der Service-bereich und der Küchentrakt.Als wir am frühen Sonntag-abend das Haus betraten,waren bereits die meistenTische besetzt und es fiel unsauf, dass alle Gäste, die nachuns eintrafen, reserviert hat-ten. Dies ist am Wochenendeauf jeden Fall anzuraten. Derfreundliche Kellner Aloisführte uns an einen Tischganz in der Nähe der Theke.Der Tische stehen relativ engbeieinander und sind eherklein, was etwas an PariserBrasserien erinnert. Auf demTisch wartete auch schon einSchälchen mit Salzgebäck undwährend wir uns der Kartewidmeten, stellte uns Aloisnoch eine kleine Schiefertafelmit den Wochenempfeh-lungen auf den Tisch. KleineGratishäppchen aus der Kü-che? Fehlanzeige! Also warte-ten wir geduldig bei einemGlas Porto und mit knurren-dem Magen auf den erstenGang.

Croustillant

und Carbonnades

flamandes

„Croustillant des Moines“nannte sich meine Vorspeise(10,50 €). Unter „croustillant“versteht man in der französi-schen Küche ein mit Brikteig(bei uns auch oft Frühlings-rollen- oder Loempiateig ge-nannt) hergestelltes Gericht.„Brik“ kommt aus dem Ma-rokkanischen und bezeichneteine in einer Teigtasche zu-bereitete Speise. Der sehrdünne Teigfladen eignet sichideal zum Ausbacken oderFrittieren. Der Fladen wirdmeist mit einer Mischung ausklein geschnittenem Gemüse

und Hackfleisch gefüllt, zu-sammengerollt oder zu einerTasche geformt und dannweiterverarbeitet. Meine Vor-speise war wie ein Lederbeu-tel mit Zitronengras zusam-mengesteckt und mit einerFüllung aus Käse und etwasLütticher Sirup versehen. LeBouquet des Moines ist einganz vorzüglicher Weichkäse

aus Herve, mit einem feinen,subtilen Geschmack undkeineswegs mit dem bekann-ten, stark duftenden „Stinkkä-se“ aus derselben Ortschaft zuverwechseln. Mit in der Teig-tasche war noch etwas Siropde Liège verarbeitet worden,der immer hervorragend zuKäse passt und aus einge-dicktem Fruchtsaft von Äp-

feln und Birnen (manchmalwerden auch noch Dattelnhinzugefügt) besteht. DieTasche war wunderbar knusp-rig gebacken (daher auch diefranzösische Bezeichnung),der Käse im Innern heiß undleicht geschmolzen, der Sirupkullerte etwas darüber. DerCroustillant stand auf einemBett aus frischem Salat, dazu

Restaurants zum Verführen, Teil 251

Frédérique Lavigne führt das Restaurant „Histoire de Familles“ seit 2015.

Belgische Kochkunst auf den Höhen von Vervie

● Inhaberin:Frédérique Lavigne

● Geöffnet:Montag, Mittwoch und Don-nerstag von 10.30 bis 17 Uhr;Freitag, Samstag, Sonntag von10.30 bis 22 Uhr

● Jahresurlaub:zwei Wochen im Juli

● Anzahl Gedecke: 50● Vorspeisen

(zwischen 9,50 und 13,50 €):Rindercarpaccio, Käsecroustil-lant, Champignontoast, HerverKäsekroketten, Garnelen-kroketten, Scampitöpfchen,Käse-Aufschnitt-Platte

● Pasta: sechs verschiedeneZubereitungen zwischen 12,50 und 15 €

● Salate: sechs verschiedene

Zubereitungen zwischen 12 und 17,90 €

● Hauptspeisen(zwischen 10 und 21 €): verschiedene Burger, flämi-sches Gulasch, Lütticher Bou-lets, Vol au vent, Rindertatar,verschiedene Steaks, Fleisch-spieß, Salm, Kabeljau, See-hecht

● Kinderteller (8 €): Geflügelnuggets, verschiedenePastagerichte, Lütticher Boulet

● Desserts(zwischen 5 und 16,50 €):sieben verschiedene Eisbecher,Dessert Gourmand, Käseplatte

● Weinkarte: kleine, sehr preis-günstige Karte mit vielenFlaschen um die 20 €, Schwer-punkt Frankreich und Italien

IM PORTRÄT

Restaurant „Histoire de Familles“

2015 wurde die Eröffnung gefeiert. Seitdem ist das Restaurant eine sichere Anlaufstelle für alle Schlemmerfreunde.

Restaurant „Histoire de Familles“Ruelle des Juifs, 60 – 4821 AndrimontTel. 087/68 14 94E-Mail: [email protected]

noch dünne Radies-chenscheiben und Apfel-splitter. Der Teller war sorg-fältig dekoriert, mit Streifenvon orangegelbem Coulisund schwarzem Pfeffer ausder Mühle. Die Kombinati-on aus salzigem und süßenGeschmacksnoten, dazuder herzhafte Salat, warsehr lecker und zugleich

auch noch preiswert. Ge-nauso wenig wie die Bou-lets liégeois dürfen aufkeiner BrasseriespeisekarteBelgiens die berühmtenCarbonnades flamandesfehlen: Rindergulasch aufBelgisch. Im Rezeptvor-schlag können Sie nach-lesen, wie Frédérique hierin Andrimont ihr Gulasch

zubereitet. Diese Haupt-speise kostet 14,90 €. Ne-ben dem Rindfleisch, daslange schmoren muss, istdunkles, belgisches Stark-bier (bei uns oft Spezialbiergenannt) die wichtigsteZutat. Damit die Soßeetwas sämig wird, könnteman auch Mehl oder Mais-stärke nehmen. Aber klassi-

scher ist es, wenn mandazu Lebkuchen verwendet.Der gibt dem Gericht eineunverwechselbare Note,etwas süßlich und mitweihnachtlichen Aromen.Man könnte es ebenfallsmit Sirop de Liège ver-suchen, aber da ist Augen-maß vonnöten, sonst wirddas Ganze zu süß. Auch

dieses Gericht wurde sorg-fältig präsentiert: ein schwar-zes gusseisernes Töpfchenmit dem Gulasch, dazu eingroßes Bukett mit einer er-frischenden Salatmischung.Die goldbraunen Fritten wur-den getrennt in einer Schüs-sel gereicht. Die Carbonnadeswaren gut gegart, aber nichtzu sehr, denn sonst zerfälltdas Fleisch und wird unan-sehnlich. Die Soße war nochrelativ flüssig, kräftig gewürzt,schmeckte rustikal nach ver-schiedenen Kräutern undpasste gut zu den Fritten. So,und jetzt für die Ästhetenunter Ihnen: Bitte mal kurzwegschauen! Ich liebe esnämlich, die knusprigen Frit-ten in der Fleischsoße mit derGabel zu zerpratschen; dassieht zwar für die Tischnach-barn vielleicht nicht beson-ders appetitlich aus, aber esschmeckt so einfach himm-lisch!

Der Rote

aus Bordeaux

Während des Essens be-gleitete uns ein Rotwein ausFrankreich. Der „Château LesClauzots“ wird von der Win-zerfamilie Tach in Saint-Pierre-de-Mons hergestellt.Diese Ortschaft liegt etwassüdöstlich von Bordeaux,inmitten des Weinanbau-gebietes Graves, das den äl-testen Teil der Weingroß-region um Bordeaux bildet.Aus Graves stammen einigeder Weltspitzenweine, wie z.B. der „Château Haut-Brion“,der die EhrenbezeichnungPremier Cru Classé trägt. Fürdie Produktion der Graves-Rotweine werden in der Regelzwei Rebsorten verwendet:zum einen der Cabernet Sau-vignon, der dem Wein Tiefeund Gerbstoffe verleiht, wasdie Haltbarkeit wesentlicherhöht. Zum andern die Reb-sorte Merlot, die dafür sorgt,dass der Wein rund und ge-schmeidig wird. Die Abstim-mung der beiden Rebsorten,die Zusammensetzung unddie Mischung aus verschiede-nen Lagen liegt ganz in derHand des Kellermeisters, derdafür verantwortlich ist, dassnach Reifung und Lagerungein Wein entsteht, der ge-schätzt und genossen wirdund der letztlich… auch gutabzusetzen ist. Der KellnerAlois brachte uns den feinenTropfen an den Tisch. Erstpräsentierte er die Flasche(Jahrgang 2016, 24 €) fach-

männisch, entkorkte sie amTisch und ließ uns kosten:intensive Blume, tiefrote Far-be, schön abgerundet imMund. Mit Sicherheit einWein, der sich hinter dengrößeren Namen in Gravesnicht zu verstecken braucht.

Die Mannschaft

Die Chefin Frédérique Lavi-gne hat es verstanden, sichmit gutem und fleißigemPersonal zu umgeben. Hinterder Theke arbeitet San, dieauch beim Service im Speise-raum anpackt, falls Not amManne ist. Bedient wurdenwir von Alois und Samuel:jung, sehr höflich, freundlich.Und unermüdlich, denn derRaum war voll besetzt und esging Schlag auf Schlag. Unddennoch kam nie Hektik aufund wir verbrachten einenruhigen und gemütlichenAbend. Die Speisekarte mitSchwerpunkt traditionelleKüche wird eigentlich nichtgeändert, so wie es bei denRestaurants auf dem Landeoft üblich ist. Kreativer wirdes allerdings bei den Wochen-empfehlungen, die stets aufeiner kleinen Schiefertafelvermerkt sind und die sicheng an das saisonale Markt-angebot ausrichten. In denvier Jahren hat sich Frédé-rique einen ansehnlichenKundenstamm erarbeitet. Diemeisten Gäste kommen ausdem Vervierser Raum, aberauch aus den Niederlanden,denn die hügelige Gegendrund um das Städtchen ziehtdie Wanderer und Radtouri-sten aus unserem Nachbar-land wahrscheinlich magischan. Auch aus Ostbelgien sindregelmäßig Gäste da und wirverdanken diesen Restaurant-tipp dem gastronomisch in-teressierten Remy aus Wal-horn, der mit seinen Wander-freunden hier eingekehrt war.Frédérique begrüßt jedenLeser und jede Leserin, diemit dieser Reportage in An-drimont einkehrt, mit einemkostenlosen Hausaperitif.

Fazit: neues Restaurant aufdem Lande, ganz in der Nähevon Verviers, moderne, nüch-terne Einrichtung, fleißiges,zuvorkommendes Personal,kleine Weinkarte mit einemsehr preisgünstigen Angebot,eher traditionelle belgischeKüche mit vielen Klassikern,dazu kreative Wochenemp-fehlungen, sehr sorgfältigeTellerpräsentation, lecker,ausgezeichnetes Preis-Lei-stungs-Verhältnis.

Fotos: Helmut Thönnissen

ers

5

GrenzEchoSamstag, 7. September 2019 GAUMENFREUDEN 5

Von Küchenchefin Frédérique Lavigne● Zutaten für vier Personen:

– 1 kg Rindergulasch– 3 Schalotten– 2 Fl. dunkle Starkbiere 33cl (Val Dieu oder Leffe)– 6 Scheiben Lebkuchen– Salz und Pfeffer– 1 EL Senf– 2 Lorbeerblätter und ein Zweig Thymian

● Zubereitung :– In einem Brattopf die klein geschnittenen Schalotten inetwas Butter anschwitzen– Das Fleisch dazugeben und von allen Seiten anbraten, Thy-mian und Lorbeer hinzufügen– Das Bier darüber geben, bei geringer Hitze und geschlosse-nem Topf während zwei Stunden köcheln lassen – Aufkochen, pfeffern und salzen, den Senf und den klein ge-zupften Lebkuchen hinzufügen; alles gut umrühren und dieHerdplatte abschalten, sobald die Zubereitung andickt.Guten Appetit!

R EZEPT VORSCH L AG

Flämisches Rindergulaschmit Lebkuchen

6

6 RÄTSELGrenzEcho

Samstag, 7. September 2019

VergleichsbildrätselAuf den ersten Blick sehen beide Bilder gleich aus. Sie unterschei-den sich aber in genau acht Einzelheiten. Wo sind diese zu finden?

Edel-holz

ange-nommen,dass

einDessert

bibli-scherProphet

Hosen-falte

Strudel-wirkung

pelzigesTierkleid

katho-lischerWürden-träger

Gelenkzw. Ober-u. Unter-schenkel

mutig

PrinzvonBaden †

Säulen-deck-platte

Wirk-stoff desKaffees

Berg-ein-schnitt

dt.Schriftst.(Hans)† 1947

eineLage-bezeich-nung

Trieb

weibl.Tanz-truppmit-glieder

india-nischeSprach-familie

klein-wüchsigerScharr-vogel

Zugtier

glän-zendesGewebe

reden

himmel-farben

Halbtonüber g

Grube,Loch

Rich-tungs-anzeiger

Denk-sportler

irisch-engl.Schrift-steller †

töricht

Puff,Schubs

kleinerKeller-krebs

Liebes-erlebnis

gemisch-tesDoppel(Tennis)

KölnerKarne-vals-ruf

Spiel-karten-austeiler

Auer-ochse

reli-giösesLied

dt.Trom-peter(Stefan)

stechen(ugs.)

PatronEng-lands

so weit,solange

Grund-form,Muster-beispielschotti-scherWoll-umhang

Weidendes Rot-wildes

ugs.:hasten

kurz für:an das

gezierteHaltung

Woh-nungs-inventar

nordi-scherMeer-riese

Abk.:Brot-einheit

Leicht-metall(Kurz-wort)

Körper-reinigungin derWanne

Berufs-aus-bildung

Stell-griff

rot-gelberFarb-stoff

fast

GottesGunst

Wild-pfleger

englisch:Sonne

lang-weilig

chemi-schesElement

Kladde

Lebens-hauch

Him-mels-richtung

zu demZeit-punkt

jetzt, indiesemMoment

Dom-stadtan derMosel

Abk.:unteranderem

britischePrin-zessin

Jogging

englisch:Auge

Wund-starr-krampf

Teil derBibel(Abk.)

W-702

D

PI

I

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A

AMADEUS

ALOE

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C

CELLO

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LILAK

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THEKE

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KLIPP

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ATHLET

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UFO

PAL

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BORKUM

PK

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Auflösung des letzten Rätsels

W-701

Rebusrätsel

7

52

8

9

38

2

3

8

9

72

9

3

1

3

45

5

9

1

7

49

6

6

17

4

Sudoku leichtFüllen Sie die leeren Felder so aus, dass in jeder Zeile, in jeder Spalte und in jedem 3-x-3-Kästchenquadrat alle

Zahlen von 1 bis 9 stehen. Viel Erfolg beim Lösen!

Brückenrätsel

Auflösungen der letzten Woche:

261974835

594138762

387265491

659723148

748651329

132849576

913482657

426517983

875396214

Vergleichsbildrätsel Sudoku leicht

SCHNEE SCHRANKGROSS UNSERKURS GESCHIRRSCHIEFER KAMMERVERB ZENTRUMSPIEL KAMMWEISS DAMPFGOLD FIEBERKOKOS CREMELAUB KERNEIFFEL FALKEHALB RAUPE

Versuchen Sie hier, jeweils ein Wort als „Brücke” zwischen den beiden außen stehenden Wörtern zu finden. Es sollen sich zwei sinnvolle neue Wörter ergeben, wobei das „Brückenwort” zu beiden Wörtern passen muss (z. B. GartenZAUN – ZAUNkönig). Die farbige Senkrechte nennt dann das gesuchte Lösungswort.2

18

46

3

7

7

3

6

3

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4

4

2

1

9

1

7

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1

8

3

2

5

41

84

6

Sudoku schwer

Sudoku schwerFinden Sie heraus, was das jeweilige Bild

bedeutet. Streichen Sie daraus die angege-benen Buchstaben oder ersetzen Sie sie.

Wie lautet das Lösungswort?

Verwandeln Sie das obere Wort so, dass in jeder Zeile immer nur ein Buchstabe verän-dert, dabei sinvolle Wörter entstehen und

sich schließlich das untere Wort ergibt.

3=R

2

4=U

4=F

5=A

5

1

2

6

2

4=T

G

L

E

A

B

G

O

E

T

R

Worttreppe

Säge, Schwan, Zweig, Kette= GESCHWINDIGKEIT

Brückenrätsel Rebusrätsel

LLLMMM

EEEEAA

IIIIIR

SSNNNN

TEEEEE

Worttreppe

1 2 5=i1

2 3=i

53=D

W ESS

HPL

RTT

TZSAUA

STROMLEITUNG

T

EFEALMEPKE

E

IFSCLMRTT

I

T

SKEEN

N

E

RR

761953284

324876195

895241736

476395821

219468573

583712649

637184952

148529367

952637418

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GrenzEchoSamstag, 7. September 2019 REISE ECHO 7

VON UTE MÜLLER

Vulkanische Krater, tiefe La-gunen und zerklüftete Küstensind die Markenzeichen derAzoreninsel São Miguel. Dasimmergrüne Eiland ist aberauch einer der wenigen OrteEuropas, an denen Tee ange-baut wird.

Wenn Wolken an der Nord-küste von São Miguel aufzie-hen, dann freut sich MadalenaMotta. Die 46-Jährige leitet infünfter Generation die Tee-plantage „Chá de Gorreana“,und die Erntezeit hat geradebegonnen. „Auf das Wetter isthier Verlass, der Nebel und derhäufige Regen sorgen dafür,dass auf unseren Highlandshervorragender Tee gedeiht“,sagt Motta.

Motta ist stolz, dass São Mi-guel einer der sehr wenigenOrte in Europa ist, wo Tee an-gebaut wird, das milde Azo-renklima macht es möglich.Ihr Ururgroßvater gründetedie Firma bereits im Jahr 1883,als der Export von Orangennach Europa ins Stocken ge-riet und man nach Alternati-ven Ausschau halten musste.

Viele der Touristen, die heu-te hierher kommen, sind Ame-rikaner, oftmals Nachfahren

von azorischen Auswande-rern, die im 19. Jahrhundert indie USA gingen. „Wir fühlenuns enger mit Boston verbun-den als mit Lissabon“, sagtMotta, die ihren Tee auch inNordamerika vertreibt.

Wie die gesamte Inselgrup-pe ist auch São Miguel vulka-nischen Ursprungs, und dieWanderwege, die zu den Kra-tern hochführen, bieten spek-takuläre Ausblicke. Der Rie-senvulkan Sete Cidades (Sie-ben Städte) beherbergt dieZwillingslagunen Lagoa Verdeund Lagoa Azul, eines der sie-ben Naturwunder Portugals,die nur durch eine Brückevoneinander getrennt sind.Vom Aussichtspunkt Miradordo Rei sieht man eine Lagunegrün schimmern und die an-dere blau.

Furnas liegt mitten imKrater.

Nicht weniger beeindruc-kend ist das VulkansystemFurnas, das auf der Ostseiteder Insel liegt. Zwar gab es inhistorischen Zeiten keinenAusbruch mehr, aber dass der

Vulkan aktiv ist, merkt mansobald man in den gleichna-migen Kurort gelangt, der we-gen seiner Heilquellen be-kannt ist. Das kleine Städt-chen ist mitten in den Kratereingebettet.

Ein betuchter Amerikanerbaute sich hier sein eigenesThermalbad und legte denGrundstein für einen der be-kanntesten botanischen Gär-

ten Europas. Der Park gehörtheute zum Hotel „Terra No-stra“, für dessen Gäste die Heil-quellen und der Park auch dieganze Nacht offen stehen.

Der Garten wirkt wie eineverwunschene Oase. „Ich habefünf Jahre gebraucht, um allePflanzen zu klassifizieren“,sagt Carina Costa (33), dieTochter des Chefgärtners Fer-nando Costa. Dessen besonde-

rer Stolz ist ein Areal vollerPalmfarne. Hier gedeiht auchdie immergrüne australischeWollemia Nobilis, der wohlseltenste Baum der Welt. „Die-se Bäume sind so eigenartig,dass viele Besucher sich an Ju-rassic Park erinnert fühlen“,sagt Carina und lacht.

Üppige Natur und karge Vul-kanlandschaften wechselnsich an vielen Orten der Inselab, etwa rund um die Lagoa doFogo (Feuerlagune), die imKrater des gleichnamigen Vul-kankomplexes liegt. Die Lava-berge reichen bis zu 947 Meterhoch, doch sie sind oft ver-hüllt von Wolken.

Wetter ändert sichmehrmals am Tag.

In der Tat kann sich das Wet-ter auf den Azoren mehrmalsam Tag ändern. „Das berühm-te Azorenhoch bleibt immernur einen Tag bei uns, bevores nach Europa weiterzieht“,erklärt Eduardo Castello (32),der in der Hauptsaison vonMai bis Oktober als Guide ar-beitet.

Doch die vielen Niederschlä-

ge erweisen sich als Segen fürdie Flora. Auf der Insel wu-chert alles, was in den vergan-genen Jahrhunderten einge-führt wurde, egal von wel-chem Kontinent der Erde. Dasgilt für die malayische Zehr-wurz ebenso wie für die japa-nischen Hortensien oder denwilden Ingwer, der im Hima-laya heimisch ist.

Die einzige Bedrohung sindder Mensch und sein Drangzur intensiven Landwirtschaft.Vor dem EU-Beitritt wurdenim großen Stil Wiesen undWälder in Weideflächen umge-wandelt, um die Milchwirt-schaft zu fördern. Auch Mot-tas Vater sollte damals aufDruck der Behörden aus derTeefabrik einen landwirt-schaftlichen Betrieb machen.Dass er standhaft blieb, hatsich als richtig erwiesen. Heu-te floriert das Unternehmen.

Auf dem Rundweg um dieTeeplantage laufen schon amMorgen viele Touristen. ZweiStunden braucht man, um alleHänge zu erkunden, das Meerstets im Blick. Motta lacht:„Das macht den Leuten nichtsaus, sie wissen ja, dass auf un-serer Insel viel gewandertwird“.

(dpa)

Azoren: Vulkanische Krater, tiefe Lagunen und zerklüftete Küsten sind die Markenzeichen der Azoreninsel São Miguel

An manchen Stellen hat man eine beeindruckende Aussicht auf die Lagoa do Fogo (Feuerlagune).

Auf eine Tasse Tee nach São Miguel

Schwefel färbt das Wasser im Thermalbad im Park des HotelsTerra Nostra in Furnas gelb. Foto: Açores Natureza Viva

Furnas liegt mitten im Krater. An vielen Stellen steigt heißerDampf aus der Erde.

Hortensien blühen an vielen Stellen auf São Miguel. Fotos: Roman Martin/dpa

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8 REPORTAGEGrenzEcho

Samstag, 7. September 2019

solchen Abenden beileibenicht immer die hohe EU-Politik. Boris interessierte sichfür das Land, in dem er vieleJahre als kleiner Junge ver-bracht hatte. „Heide, ich habegerade deinen Beitrag im„Bulletin“ über die Deutsch-sprachige Gemeinschaft Bel-giens, die bestgeschützteMinderheit innerhalbEuropas, gelesen. Das wäredoch eine super Story für denDaily Telegraph. Dieser TeilBelgiens ist völlig unbekanntund journalistisch unterbe-lichtet“, meinte er. „Kannst dumir einige Kontaktadressengeben?“

Das tat ich nur allzu gerne.Dabei nannte ich den damali-gen Ministerpräsidenten der

VON HEIDE NEWSON

Er hat das für unmöglichGehaltene geschafft, nämlichDonald Trump in letzter Zeitbei den schrägen Schlagzeilenden Rang abzulaufen. Schrägwar Boris Johnson schon, alsich ihn das erste Mal traf. Daswird die Wenigsten über-raschen. Dabei war er gerademal sechs Jahre alt und lerntein Uccle, im Longchampsschwimmen. Schräg ist er bisheute geblieben, auch wennihm seit Dienstagabend die-ser Woche wahrscheinlich einwenig seiner Gelassenheitverlorengegangen ist.

Geregelt oder ungeregelt: Erwill seinen Landsleuten end-lich den Brexit liefern. Details,wie das gehen soll, wie manden Backstop sinnvoll ersetztund was danach kommt, gibter nicht. Aber konkrete De-tails waren noch nie seinDing. Und verunsichert, ob-wohl er selbst nicht weiß, wiealles enden wird, ist er ganzund gar nicht. Ganz im Ge-genteil. Er träumt weiter vomAufbruch Großbritanniens ineine große Zukunft: ohneEuropäische Union. Und dasmit großer Leidenschaft undZuversicht. Genau diesenleidenschaftlichen und opti-mistischen Boris kenne ichseit seiner Kindheit kenne.

Wie bereits erwähnt, traf ichihn mit seinem Vater Stanley,im Schwimmbad in Uccle.Sein blonder Schopf fiel sofortins Auge, aber nicht nur seineunglaublich helle Haarpracht.Als Mutter eines damals drei-jährigen Sohns war ich ver-blüfft, wie er all seineSchwimmgefährten sogleichin seinen Bann zog. Wo im-mer er auftauchte, stand erim Mittelpunkt, ohne sich inden Vordergrund gedrängt zuhaben. Immer wieder über-raschte er seine Freunde mitneuen Spielideen. Langweiligwar´s nie mit ihm.

Auch in der Europaschulewar Boris bei seinen Schulka-meraden ausgesprochen be-liebt. Dabei war er weder ein

Streber noch Musterschüler,eher ein sehr phantasievolles,sympathisches und hochintelligentes Schlitzohr. Als erim Jahr 1977 ins Eton Collegenach England überwechselte,wurde er von seinen vielenFreunden in Brüssel vermisst.

Aber nach einem abge-schlossenen Oxford-Studiumkehrte er in Europas Haupt-stadt zurück: als Journalist.Jetzt waren wir plötzlich Kol-legen. Er schrieb für den pre-stigeträchtigen Daily Tele-graph, ich für das EU-Magazinund das englische, in Brüsselangesiedelte Expat-Magazin„The Bulletin“. Mit Charme,Witz, Brillanz mischte BorisJohnson die trockene EU-Materie auf und brachte soviel frischen Wind in die Brüs-seler EU-Blase.

Bei den morgendlichenPressebriefings stellte er miteiner Prise Ironie und seinemso individuellen analytischenIntellekt pointierte Fragen. Erhatte seine eigene Vision vonEuropa, er deckte Missständeauf, gerierte sich oft als eu-ropakritisch und verströmtedennoch europäische Zuver-sicht. Obwohl er den EU-Pres-sesprechern mit seinen unbe-quemen Fragen nicht geradeihren Job leichter machte,kam er gut an und war alsinteressanter Gesprächspart-ner gefragt.

„Das erzählst du aberbitte niemandem“,meinte Johnson miteinem breiten Lachenim Gesicht.

Mit seiner blonden un-gebändigten Mop-Frisur undKlamotten, die alles andereals stylisch waren, schritt ermit einer beneidenswertenLeichtigkeit durchs BrüsselerLeben. Politdiskussionen mitKollegen endeten oft im OldHack, einer Kneipe gegenüberdem Berlaymont. Dabei warenunsere Lieblingsthemen an

Deutschsprachigen Gemein-schaft, Joseph Maraite, alsersten Ansprechpartner. Einpaar Wochen später präsen-tierte Boris mir seinen imDaily Telegraph veröffentli-chen Beitrag über Ostbelgien,der sich sehr flüssig las, undbrillant geschrieben war.

Nur einige Fakten stimmtennicht ganz, was ich ihm auchsagte. „You won’t tell anybo-dy,“ das sagst du aber nieman-dem, meinte er lachend, ob-wohl es ihm absolut nichtsausgemacht hätte, falls ichetwas verraten hätte. Aber sowar er halt: unbeschwert undleichtfüßig, was vornehmlichauf das weibliche Geschlechtziemlich anziehend wirkte.Während einer Abschieds-

party, die er für seine Sekretä-rin gab, hielt er eine tolleRede. Er und lobte seine rech-te Hand über den grünenKlee. Als er sich dann bei ihrnochmals persönlich mitUmarmung und Handschlagbedanken wollte, wusste erihren Namen nicht mehr.Typisch Boris. Zum Glücknahm sie es mit Humor.Schließlich kannte sie ihrenChef nur allzu gut.

Dann im Jahr 1993 seineHochzeit mit Marina Wheeler,einer Anwältin, die er gleichnach der Scheidung von sei-ner Frau ehelichte. Völligunkonventionell lud er alledie ein, die mitfeiern wollten,und das waren unendlichviele. Anstatt hochzeitlichemGlamour, wurde locker bis indie frühen Morgenstundengefeiert. Ein unvergesslichesErlebnis.

Dann wurde Boris zu-rück nach London ver-setzt. Und flog die Er-folgsleiter hoch.

Dass er dann solch einetraumhafte Karriere in derPolitik hinlegen würde, damithatte ich zunächst nicht ge-rechnet, obwohl er dazuschon immer das Potentialgehabt hatte. In britischenTalkshows gelang es ihm,Debatten, zu denen er einge-laden war, nicht zuletzt durch

seine etwas skurrile Art ineine interessante Richtung zulenken. Er kam authentischrüber, das Publikum liebteihn, während seine Gegnerihm unterstellten, dass allseine Sätze und Pointen aufEffekt getrimmt waren. Ichdagegen glaube eher, dass erselbst ein wenig überraschtvon der Wucht seines Erfolgswar.

Dann ging alles Schlag aufSchlag. Von Mai 2008 bis 2016war er Londons Bürgermei-ster, von Juli 2016 bis Juli 2018Außenminister, und seit dem24. Juli 2019 ist er Großbritan-niens Premierminister.

Ob er schon damals in Brüs-sel diesen Lebensplan für sichentworfen hat, glaube ichkaum. Dass er zu etwas Hö-herem berufen war, war da-gegen allen klar, die ihn kann-ten.

Boris hatte schon immerdie Fähigkeit, in aussichts-losen Situationen Zuversichtzu verströmen. Aber in solchschwierigen Zeiten werdenPolitiker weder nach ihremUnterhaltungswert noch nachihrem ungebrochenen Opti-mismus, sondern nach ihrerFührungsstärke und ihrenErfolgen oder Misserfolgenbeurteilt.

Der ehemalige Journalistmuss also liefern. Ob ihm dasgelingt, steht in den Sternen.Ich jedenfalls kann nur sagen:„Good luck Boris, du wirst esbei deiner wohl schwerstenAufgabe mehr als brauchen.“

Unikat: Heide Newson lernte Boris Johnson schon als Kind kennen – Der Blondschopf kehrte als Journalist in die EU-Hauptstadt zurück

Spätestens seit dieser Woche hat der „Emergency“-Modus auch im wirklichen Leben für Boris Johnson begonnen. Hier inspiziert derExzentriker einen Krankenwagen im Pilgrim Hospital. Dem Gesundheitssektor hat er Brexit-Milliarden versprochen. Foto: dpa

Als Boris Johnson Ostbelgien präsentierte

Dabei sein ist alles: Boris Johnson bei denOlympischen Spielen in Peking. Foto: dpa

Bei stellt während einem Treffen mit Emmanuel Macron (l) stellte Boris Johnson (r) imElysee-Palast kurz mal den Fuß auf die Tischkante: einfach so, aus Spaß. Foto: dpa

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