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Begutachtung der posttraumatischen Belastungsstörung; Expert opinion of posttraumatic stress...

Date post: 23-Dec-2016
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1 3 ORIGINALARBEIT Forens Psychiatr Psychol Kriminol (2014) 8:26–33 DOI 10.1007/s11757-013-0245-0 Zusammenfassung Die Prävalenz postraumatischer Be- lastungsstörungen (PTBS) in Bevölkerungsstichproben ist hoch. Daher sind entsprechende Symptome auch in unter- schiedlichen rechtlichen Kontexten häufig zu begutachten. Die professionellen Standards bei der Begutachtung der PTBS werden dargestellt. Der Stellenwert von Beschwer- denvalidierungstests in der Begutachtung der PTBS wird kritisch diskutiert. Testergebnisse erfordern eine sorgfältige Erörterung in einem klinischen Gesamtkontext. Schlüsselwörter Begutachtung · Posttraumatische Belastungsstörung · Beschwerdenvalidierungstest Expert opinion of posttraumatic stress disorder Abstract There is a high prevalence of posttraumatic stress disorder in community-based samples; therefore psy- chiatric assessment and expert opinion is often required. Professional standards of psychiatric expert opinion in the assessment of posttraumatic stress disorder are outlined. The significance of symptom validity tests is critically discussed. Test results have to be considered carefully in the medicolegal context and require thorough clinical assessment. Keywords Expert opinion · Posttraumatic stress disorder · Symptom validity test Einleitung Erstmals wurde die Diagnose des posttraumatischen Stress- syndroms („posttraumatic stress disorder“, PTSD) im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders-III (DSM III, [5, 13]) aufgeführt. Die diagnostischen Kriterien wurden in den nachfolgenden Revisionen des DSM teil- weise erheblich verändert. Auch in der im Mai dieses Jahres erschienenen Ausgabe des DSM-5 finden sich signifikante Änderungen der diagnostischen Kriterien, die sich wiede- rum nicht unerheblich von den diagnostischen Kriterien der „posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)“ der Inter- national Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems-10 (ICD-10) unterscheiden. Gemeinsam ist allen Diagnosesystemen, dass die Symptomatik durch eine spezifische und bekannte Ursache, nämlich ein trauma- tisches Erlebnis ausgelöst wird, das eine unabdingbare Vor- aussetzung für die Diagnosestellung ist. Das traumatische Erleben ist dabei eine notwendige und hinreichende Bedin- gung für die Verursachung der Symptomatik, sodass sich andere ätiologische Diskussionen erübrigen. Dennoch ist zu beachten, dass ein relevantes Trauma nicht in jedem Fall eine posttraumatische Symptomatik zur Folge hat. So ist die Mehrzahl der Bewohner US-amerikanischer Großstädte zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens einer traumatischen Situation ausgesetzt, die das jeweilige Traumakriterium der diagnostischen Manuale erfüllt, aber weniger als 10 % ent- wickeln tatsächlich eine entsprechende Symptomatik [3]. Durch die explizite Betonung der Kausalität unterschei- den sich die Diagnosen PTSD/PTBS von anderen psy- chischen Störungen. Die gutachlich häufig kontrovers zu Begutachtung der posttraumatischen Belastungsstörung Harald Dressing · Klaus Foerster Prof. Dr. med. H. Dressing () Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, 68159 Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] K. Foerster Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland Eingegangen: 3. September 2013 / Angenommen: 4. November 2013 / Online publiziert: 11. Dezember 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
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Originalarbeit

Forens Psychiatr Psychol Kriminol (2014) 8:26–33DOI 10.1007/s11757-013-0245-0

Zusammenfassung Die Prävalenz postraumatischer Be-lastungsstörungen (PTBS) in Bevölkerungsstichproben ist hoch. Daher sind entsprechende Symptome auch in unter-schiedlichen rechtlichen Kontexten häufig zu begutachten. Die professionellen Standards bei der Begutachtung der PTBS werden dargestellt. Der Stellenwert von Beschwer-denvalidierungstests in der Begutachtung der PTBS wird kritisch diskutiert. Testergebnisse erfordern eine sorgfältige Erörterung in einem klinischen Gesamtkontext.

Schlüsselwörter Begutachtung · Posttraumatische Belastungsstörung · Beschwerdenvalidierungstest

Expert opinion of posttraumatic stress disorder

Abstract There is a high prevalence of posttraumatic stress disorder in community-based samples; therefore psy-chiatric assessment and expert opinion is often required. Professional standards of psychiatric expert opinion in the assessment of posttraumatic stress disorder are outlined. The significance of symptom validity tests is critically discussed. Test results have to be considered carefully in the medicolegal context and require thorough clinical assessment.

Keywords Expert opinion · Posttraumatic stress disorder · Symptom validity test

Einleitung

Erstmals wurde die Diagnose des posttraumatischen Stress-syndroms („posttraumatic stress disorder“, PTSD) im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders-III (DSM III, [5, 13]) aufgeführt. Die diagnostischen Kriterien wurden in den nachfolgenden Revisionen des DSM teil-weise erheblich verändert. Auch in der im Mai dieses Jahres erschienenen Ausgabe des DSM-5 finden sich signifikante Änderungen der diagnostischen Kriterien, die sich wiede-rum nicht unerheblich von den diagnostischen Kriterien der „posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)“ der Inter-national Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems-10 (ICD-10) unterscheiden. Gemeinsam ist allen Diagnosesystemen, dass die Symptomatik durch eine spezifische und bekannte Ursache, nämlich ein trauma-tisches Erlebnis ausgelöst wird, das eine unabdingbare Vor-aussetzung für die Diagnosestellung ist. Das traumatische Erleben ist dabei eine notwendige und hinreichende Bedin-gung für die Verursachung der Symptomatik, sodass sich andere ätiologische Diskussionen erübrigen. Dennoch ist zu beachten, dass ein relevantes Trauma nicht in jedem Fall eine posttraumatische Symptomatik zur Folge hat. So ist die Mehrzahl der Bewohner US-amerikanischer Großstädte zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens einer traumatischen Situation ausgesetzt, die das jeweilige Traumakriterium der diagnostischen Manuale erfüllt, aber weniger als 10 % ent-wickeln tatsächlich eine entsprechende Symptomatik [3].

Durch die explizite Betonung der Kausalität unterschei-den sich die Diagnosen PTSD/PTBS von anderen psy-chischen Störungen. Die gutachlich häufig kontrovers zu

Begutachtung der posttraumatischen Belastungsstörung

Harald Dressing · Klaus Foerster

Prof. Dr. med. H. Dressing ()Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, 68159 Mannheim, DeutschlandE-Mail: [email protected]

K. FoersterUniversitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland

Eingegangen: 3. September 2013 / Angenommen: 4. November 2013 / Online publiziert: 11. Dezember 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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diskutierende Bedeutung äußerer Ereignisse für die Verur-sachung von psychischen Störungen entfällt also bei einer PTBS/PTSD-Diagnose, da die Frage der Kausalität bereits durch die Diagnosestellung beantwortet wird. Da der gewissenhaften Beurteilung der diagnostischen Kriterien damit eine ganz besondere Bedeutung zukommt, soll darauf zunächst kurz eingegangen werden.

Diagnostische Kriterien der PTBS und der PTSD

Unabhängig davon, in welchem rechtlichen Kontext eine posttraumatische Symptomatik zu begutachten ist, sollte explizit auf die jeweils zugrunde gelegten diagnostischen Kriterien eingegangen werden. Im Gutachten sollte aus-führlich anhand der erhobenen Befunde begründet werden, ob die jeweiligen diagnostischen Kriterien erfüllt sind oder nicht. Eine solche detaillierte Auseinandersetzung mit den diagnostischen Kriterien ist ein wesentliches Qualitätsmerk-mal von Gutachten auf diesem Gebiet. In der ICD-10 finden sich die in Tab. 1 angeführten diagnostischen Kriterien.

Obwohl für Gutachten im deutschsprachigen Raum eine Diagnosestellung gemäß der ICD-10 vorrangig ist, erscheint

es gerade bei der Begutachtung einer postraumatischen Symptomatik sinnvoll, zusätzlich die diagnostischen Krite-rien des DSM-5 zu diskutieren, da diese wesentlich stärker operationalisiert sind und deshalb eine umfassendere Ein-schätzung erlauben. Die diagnostischen Kriterien der PTSD im DSM-5 sind in Tab. 2 zusammengefasst.

Da sich die Diagnosekriterien der PTSD im DSM-5 signifikant gegenüber denen im DSM-IV verändert haben, werden die wesentlichen Änderungen in Tab. 3 noch einmal zusammenfassend aufgeführt.

Die Gegenüberstellung der diagnostischen Kriterien macht deutlich, dass bei gleichen Ausgangsbedingungen eine PTSD/PTBS-Diagnose festgestellt oder verneint wer-den kann. Bezüglich der DSM-Kriterien ist für die gutacht-liche Praxis ganz wesentlich der Wegfall des A2-Kriteriums im DSM-5. Mit dem Hinweis auf den fehlenden Nachweis des A2-Kriteriums wurde nämlich das Vorliegen einer ent-schädigungspflichtigen PTSD-Symptomatik von vielen Leistungsträgern bisher abgewiesen, was bei Beachtung der nun gültigen DSM-5-Kriterien nicht mehr möglich ist.

Relevanz der Diagnosen „posttraumatische Belastungsstörung“ bzw. „posttraumatisches Stresssyndrom“ für die Gutachtenpraxis

Die Relevanz dieser Diagnosen ergibt sich aus der Auftre-tenshäufigkeit dieser Störungen. Zwar zeigen die epidemio-logischen Studien zur Prävalenz der PTSD/PTBS, dass die Auftretenswahrscheinlichkeit sowohl von den in den jewei-ligen Studien zugrunde gelegten diagnostischen Kriterien als auch vom soziokulturellen Kontext der Studienstich-probe abhängt.

In einer deutschen epidemiologischen Studie fand sich eine altersabhängige Einmonatsprävalenz von 2,3 % für das Vollbild der PTBS und von 2,7 % für partielle PTBS-Syndrome [16]. In amerikanischen Studien ergaben sich noch höhere Lebenszeitprävalenzen für PTSD, wobei sich auch Unterschiede abhängig vom ethnischen Hintergrund der Betroffenen zeigten: Die höchste Lebenszeitprävalenz fand sich bei dunkelhäutigen Personen (8,7 %), gefolgt von „hispanics“ und Weißen (7–7,4 %), die niedrigste Prävalenz hatten Asiaten (4 %, [19]). In einer Stichprobe von Adoles-zenten in den USA berichteten 61,8 %, dass sie mit einem potenziell traumatischen Erlebnis konfrontiert waren. Die Prävalenz für PTSD betrug 4,7 % und war bei den weibli-chen Adolszenten mit 7,3 % signifikant höher [17].

Die Studienergebnisse zu Prävalenzen der PTBS/PTSD werden teilweise auch kritisch kommentiert mit dem Hin-weis, dass der Ausschluss von Simulation und Aggravation bei der Diagnosestellung nicht hinreichend beachtet worden sei [20, 22, 23].

Tab. 1 Diagnostische Kriterien der PTBS (ICD-10-Forschungskri-terien)A. Die Betroffenen sind einem kurz- oder langhaltenden Ereig-

nis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde

B. Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen (Flashbacks), lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume oder durch innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stehen

C. Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zu-sammenhang stehen, werden tatsächlich oder möglichst ver-mieden. Dieses Verhalten bestand nicht vor dem belastenden Erlebnis

D. Entweder 1. oder 2.1. Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige

Aspekte der Belastung zu erinnern2. Anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivi-

tät und Erregung (nicht vorhanden vor der Belastung) mit zwei der folgenden Merkmale

a) Ein- und Durchschlafstörungenb) Reizbarkeit oder Wutausbrüchec) Konzentrationsschwierigkeitend) Hypervigilanze) Erhöhte SchreckhaftigkeitE. Die Kriterien B., C. und D. treten innerhalb von 6 Monaten

nach dem Belastungsereignis oder nach Ende einer Belas-tungsperiode auf. (In einigen speziellen Fällen kann ein spä-terer Beginn berücksichtigt werden, dies sollte aber gesondert angegeben werden)

ICD International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, PTBS posttraumatische Belastungsstörung

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Unabhängig davon zeigen aber alle Studien, dass es sich bei der PTBS/PTSD um eine Störung handelt, die in der Bevölkerung häufig vorkommt. Die hohe Prävalenz dieser Störungen bedingt, dass ihnen auch im Kontext von Begutachtungen eine zunehmende Bedeutung zukommt. Die oben skizzierten diagnostischen Besonderheiten bei der

A. Bedrohung mit Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Ge-walt in einer oder mehreren der folgenden Formen

1. Direktes Erleben eines der traumatischen Ereignisse2. Persönliches Miterleben eines dieser traumatischen Ereignis-

se bei anderen Personen3. Mitteilung, dass eines der traumatischen Ereignisse einem

engen Familienmitglied oder einem Freund widerfahren ist. Im Falle eines Todesfalles (drohenden Todes) muss dieser durch einen Unfall oder eine Gewalthandlung eingetreten sein

4. Wiederholte Konfrontation mit aversiven Details einer trau-matischen Situation (z. B. Notfallhelfer, die Leichenteile ein-sammeln müssen, Polizeibeamte, die wiederholt mit Details kindlicher Missbrauchsgeschichten konfrontiert sind)(Das A4-Kriterium trifft nicht auf die Exposition durch elekt-ronische Medien, Fernsehen, Film oder Bilder zu, es sei denn die Exposition ist beruflich bedingt)

B. Eines oder mehrere der folgenden Intrusionssymptome, die mit dem Trauma assoziiert sind und nach dem Trauma auftreten

1. Wiederholte eindringliche belastende Erinnerungen an das traumatische Erlebnis(Bei Kindern > 6 Jahre kann das traumatische Erleben in wie-derholten Spielszenen ausgedrückt werden, in denen Aspekte des Traumas dargestellt werden)

2. Wiederholte und belastende Träume, in denen der Inhalt und/oder der Affekt des Traums in Beziehung zum Trauma stehen(Bei Kindern können Angstträume ohne erkennbaren Inhalt vorkommen)

3. Dissoziative Symptome (z. B. Flashbacks), in denen die Person fühlt oder handelt, als ob sich die traumatische Situ-ation gerade wiederholt. (Die Reaktionen können in einem Kontinuum vorkommen, wobei bei einer maximalen Aus-prägung ein völliger Verlust der Wahrnehmung der aktuellen Umgebung auftreten kann)

4. Intensive oder anhaltende psychische Belastung bei Konfron-tation mit internen oder externen Reizen, die die traumatische Situation symbolisieren oder an einen Aspekt des Traumas erinnern

5. Deutliche körperliche Reaktionen bei Konfrontation mit internen oder externen Reizen, die die traumatische Situation symbolisieren oder an einen Aspekt des Traumas erinnern

C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die auf mindestens eine der folgenden Weisen mit dem Trauma verbunden sind

1. Vermeidung belastender Erinnerungen, Gedanken oder Ge-fühlen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen

2. Vermeidung externer Reize, die an das Trauma erinnern (Per-sonen, Plätze, Unterhaltungen, Aktivitäten, Situationen)

D. Negative Veränderungen der Kognitionen und der Stimmung nach dem Trauma. Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor

1. Unfähigkeit sich an wichtige Aspekte des Traumas zu er-innern (als Folge einer dissoziativen Amnesie und nicht durch andere Faktoren wie z. B. eine Hirnverletzug, Alkohol oder Drogen bedingt)

2. Persistierende und übersteigerte negative Kognitionen oder Erwartungen in Bezug auf sich selbst, andere oder die Welt (z. B. „Ich bin schlecht“, Man kann niemandem trauen“, „Die gesamte Welt ist gefährlich“, „Mein gesamtes Nervensystem ist für immer zerstört“)

Tab. 2 Diagnostische Kriterien der PTSD nach DSM-53. Andauernde kognitive Verzerrungen im Hinblick auf die

Ursachen oder die Folgen der traumatischen Situation, die dazu führen, dass die Person sich selbst oder anderen Vor-würfe macht

4. Anhaltende negative Emotionen (z. B. Angst, Furcht, Ärger, Schuld, Scham)

5. Deutlich vermindertes Interesse an wichtigen Aktivitäten6. Gefühl der Entfremdung von anderen Personen7. Anhaltende Unfähigkeit, positive Emotionen zu empfinden

(z. B. Fröhlichkeit, Zufriedenheit, Liebe)E. Anhaltende Symptome erhöhter Arousals und übersteiger-

ter Reaktionen. Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor

1. Irritabilität und aggressive Ausbrüche (ohne oder nach geringer Provokation), die sich in verbalen oder körper-lichen Aggressionen gegen andere Personen oder Objekten manifestieren

2. Rücksichtslosigkeit und selbstzerstörerisches Verhalten3. Gesteigerte Wachsamkeit4. Übertriebene Schreckreaktionen5. Konzentrationsschwierigkeiten6. Schlafstörungen (Ein- oder Durchschlafstörungen, unruhiger

Schlaf)F. Die Störung (Kriterien B, C, D und E) dauert länger als ein

MonatG. Die Störung verursacht klinisch bedeutsames Leiden oder

eine Beeinträchtigung der sozialen, beruflichen oder anderer bedeutsamer Fähigkeiten

H. Die Störung ist nicht auf physiologische Effekte von Substan-zen (z. B. Medikamente, Alkohol) oder eine andere körper-liche Erkrankung zurückzuführen

Spezifikation: Mit dissoziativen Störungen: Die Person erfüllt die Kriterien des posttraumatischen Stresssyndroms; zusätzlich erlebt die Person als Reaktion auf den Stressor anhaltend oder wieder-kehrend eines der folgenden Symptome1. Depersonalisation: andauerndes oder wiederkehrendes Gefühl

der Entfremdung, als ob man ein außenstehender Beobachter der eigenen geistigen oder körperlichen Funktionen sei (z. B. als ob man in einem Traum sei; Gefühl der Unwirklichkeit in Bezug auf die eigene Person und den eigenen Körper; Gefühl, als ob die Zeit langsamer voraschreitet)

2. Derealisation: andauerndes oder wiederkehrendes Ge-fühl der Unwirklichkeit der Umwelt (z. B. die Umwelt wird als unwirklich, traumhaft, weit entfernt oder verzerrt wahrgenommen)

Spezifikation: PTSD mit verzögertem Beginn, wenn die diagnosti-schen Kriterien vollständig erst 6 Monate nach dem Trauma erfüllt sind. (Einige der Symptome können schon unmittelbar nach dem Trauma auftreten)Übersetzung durch die Autoren.DSM Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, PTSD „posttraumatic stress disorder“

Tab. 2 (Fortsetzung)

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Begutachtung der posttraumatischen Belastungsstörung

rischer Diagnostik möglich ist. Wie oben bereits ausgeführt, sind die DSM-5-Kriterien stärker operationalisiert, sodass eine Diagnostik nach diesem Diagnosemanual zumindest bei schwierigen und umstrittenen Fragestellungen vorzuzie-hen ist. Möglich ist auch, dass die Diagnose sowohl nach den ICD-10-Kriterien als auch nach den DSM-5-Kriterien erörtert wird. Sofern man hierbei dann zu abweichenden dia-gnostischen Einschätzungen kommt, ist dies im Gutachten offenzulegen. In solchen Fällen können alternative gutacht-liche Beurteilungen ventiliert werden, und es obliegt dem Gericht zu entscheiden, welche der Alternativen als Beurtei-lungsgrundlage herangezogen wird. Für das diagnostische Interview ist es auch hilfreich, wenn Fremdbeurteilungs-skalen wie z. B. die „Clinician Administered PTSD Scale“ (CAPS, [21]) zur Testung der PTBS zur Anwendung kom-men. Der Einsatz von in der klinischen Praxis verbreiteten Selbstbeurteilungsskalen ist dagegen bei der Begutachtung kritisch zu sehen. Selbstbeurteilungsskalen bilden lediglich die subjektive Wirklichkeit und das Verständnis des Proban-den von den jeweiligen Fragen ab. Sie sind damit Abbilder von Beschwerden, aber noch keine objektiven Befunde und für eine gutachtliche Diagnosestellung deshalb wenig hilf-reich [7]. Sofern sie im Gutachten zum Einsatz kommen, ist die eingeschränkte Relevanz für die gutachtliche Bewertung in jedem Fall kritisch zu diskutieren.

Eine besondere Schwierigkeit stellt die Diagnose einer verzögert auftretenden PTBS/PTSD dar. Beim derzeitigen Forschungsstand ist aber davon auszugehen, dass es For-men einer verzögert auftretenden PTBS/PTSD gibt. Bei diesem Verlauf finden sich in der Anamnese häufig einige Symptome einer PTBS/PTSD im Vorfeld, ohne dass die diagnostischen Kriterien der PTBS/PTSD vollumfänglich erfüllt waren [1, 2].

Der erste Schritt einer Begutachtung ist die Erstellung einer begründeten Diagnose auf dem Boden eines detaillier-ten psychopathologischen Befundes. Die weiteren gutacht-lichen Überlegungen hängen vom rechtlichen Kontext und den in diesem Zusammenhang gestellten Beweisfragen ab.

Strafrechtliche Begutachtung

Bei der strafrechtlichen Begutachtung kann sich die Frage ergeben, ob ein an einer PTBS/PTSD leidender Täter in sei-ner strafrechtlichen Verantwortlichkeit beeinträchtigt war. Dabei ist vom Gutachter ein zweischrittiges Vorgehen zu beachten. Zunächst muss die Frage beantwortet werden, ob die Diagnose einer PTBS/PTSD unter eines der Ein-gangsmerkmale (krankhafte seelische Störung, Schwach-sinn, tiefgeifende Bewusststeinsstörung, schwere andere seelische Abartigkeit) der §§ 20, 21 des Strafgesetzbuchs (StGB) zu subsumieren ist. Sofern dies zu bejahen ist, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob hierdurch die Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit aufgehoben oder erheblich

PTBS/PTSD müssen im Begutachtungsprozess hinreichend reflektiert werden. Da dem Gutachter bei solchen Untersu-chungen eine sehr hohe Verantwortung sowohl gegenüber dem Probanden als auch gegenüber möglichen Kostenträ-gern zukommt [6], hat sich die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) veranlasst gesehen, ein Positionspapier zur Begutachtung bei der PTBS zu publizieren [7]. Bei den folgenden Ausführun-gen zur Begutachtung der PTBS/PTSD wird auch auf diese grundsätzlichen Leitlinien der DGPPN Bezug genommen.

Praktisches Vorgehen bei der Begutachtung der PTBS/PTSD

Notwendig ist eine gewissenhafte Diagnostik, die die Krite-rien der PTBS/PTSD gemäß der ICD-10 oder dem DSM-5 erfasst. Dabei ist es nicht die Aufgabe des Gutachters festzu-stellen, ob eine traumatische Situation überhaupt stattgefun-den hat oder nicht. Solche Anknüpfungstatsachen müssen dem Gutachter vom Auftraggeber mitgeteilt werden. Sofern dies aus dem Gutachtenauftrag nicht hervorgeht, sollte sich der Gutachter vorab mit dem Auftrageber in Verbindung setzen und in Erfahrung bringen, von welchen Anknüp-fungstatsachen beim Gutachten auszugehen ist. Gutacht-liche Aufgabe ist es dann zu prüfen, ob die vorgegebene Situation die Traumakriterien der ICD-10 oder des DSM-5 erfüllt. Gelegentlich verbinden die das Gutachten in Auftrag gebenden Behörden oder Richter mit dem Gutachtenauftrag die Vorstellung, dass über die Diagnose einer PTBS/PTSD eine Traumatisierung objektivierbar wäre. Dabei handelt es sich aber um einen logischen Zirkelschluss und letztlich um den Versuch einer Instrumentalisierung des Gutachters. Sol-che Gutachtenaufträge sollten mit dem Hinweis an den Auf-traggeber zurückgegeben werden, dass die Ermittlung der Anknüpfungstatbestände nicht mit den Methoden psychiat-

Tab. 3 Signifikante Unterschiede bei der PTSD-Diagnose zwischen DSM-5 und DSM-IV1. Explizitere Definition des Traumakriteriums (A-Kriterium)2. Wegfall des A2-Kriteriums (subjektive Reaktion auf das Trau-

ma mit Hilflosigkeit, Entsetzen und Erschrecken)3. Die 3 Symptom-Cluster des DSM-IV (1. Wiedererleben der

traumatischen Situation, 2. Vermeidung/emotionale Abstump-fung, 3. „arousal“) sind durch 4 Symptom-Cluster ersetzt (1. Wiedererleben der traumatischen Situation, 2. Vermeidung, 3. persistierende negative Kognitionen und negative Stimmung, 4. Arousal)

4. Bei den „Arousal“-Symptomen sind zusätzlich aufgeführt: aggressive Ausbrüche, selbstschädigendes Verhalten

5. Absenkung der diagnostischen Schwelle für Kinder und Adoleszenten

6. Spezielle Symptome für Kinder, die jünger als 6 Jahre sindDSM Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, PTSD „posttraumatic stress disorder“

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2. Gesetzliche Rentenversicherung Auch hier ist aus-schließlich ein finaler gutachtlicher Beurteilungsansatz anzuwenden. Zu beurteilen sind die möglichen Konsequen-zen der Diagnose im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben. Dabei sind mögliche qualitative Leistungs-einschränkungen (z. B. keine Schichtarbeit) von quantitati-ven Leistungseinschränkungen (< 3 h; 3–6 h; > 6 h/Tag) zu unterscheiden. Da die Ausprägung einer PTBS/PTSD-Sym-ptomatik sehr vielgestaltig sein kann, können keine generel-len Aussagen zu den Voraussetzungen einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit getroffen werden. Zu berücksichti-gen sind dabei u. a. der Ausprägungsgrad der Symptomatik, der Verlauf, bisherige Behandlungsbemühungen und deren Effekte [11].

3. Gesetzliche Unfallversicherung Hierbei ist nicht nur eine finale Begutachtung notwendig (Feststellung der Diagnose und deren sozialmedizinischen Auswirkungen), sondern es ist auch zur Verursachung der Symptomatik Stellung zu nehmen. Im Rahmen der Unfallversicherung gilt die Kausalitätslehre der „wesentlichen Bedingung“. Dabei ist zu beurteilen, ob der in Rede stehende Unfall mindestens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit – darunter versteht man eine > 50 %ige Wahrscheinlichkeit – als wesentliche Teilursache des Gesundheitsschadens anzusehen ist. Eine PTBS/PTSD-Symptomatik ist zunehmend häufig im Kon-text der gesetzlichen Unfallversicherung zu begutachten. Neben klassischen Konstellationen (z. B. Geiselnahme bei Banküberfall, Katastrophenhelfer) geht es aber z. B. auch um die Begutachtung von Wegeunfällen, wenn das Unfaller-leben das Traumakriterium erfüllt. Sofern die Symptomatik richtig erkannt und die diagnostischen Kriterien sorgfältig geprüft werden, ist die in der Unfallversicherung geltende Kausalitätsbeurteilung bereits positiv beantwortet. Die gutachlich häufig kontrovers zu diskutierende Bedeutung äußerer Ereignisse für die Verursachung von psychischen Störungen entfällt also bei einer PTBS/PTSD-Diagnose, da die Frage der Kausalität bereits durch die Diagnosestellung beantwortet wird. Hierdurch wird die Diagnose natürlich auch anfällig für mögliche Begehrlichkeiten von Antrag-stellern. Dies unterstreicht noch einmal die Bedeutung der sorgfältigen Beachtung der diagnostischen Kriterien. Sofern sich die traumatische Situation im Rahmen einer versicher-ten Tätigkeit ereignet hat und die diagnostischen Kriterien erfüllt sind, ist die in der gesetzlichen Unfallversicherung geforderte Kausalkette gegeben. Für die dann zu leistende Unfallrente muss der Gutachter einen Vorschlag machen, wie hoch der Grad der Schädigungsfolge (GdS) ist. Zur Schweregradeinschätzung können die in Tab. 4 aufgeführen GdS-Werte herangezogen werden [12].

4. Soziales Entschädigungsrecht Das soziale Entschädi-gungsrecht umfasst die Gesetze, die die Entschädigung

beeinträchtigt war. Nur bei einer schwer ausgeprägten PTBS/PTSD-Symptomatik kommt grundsätzlich eine Sub-sumtion unter das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit in Betracht. Eine Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit wird hierdurch aber ebenso wenig verursacht wie eine aufgehobene Steuerungsfähigkeit. Zu prüfen ist allerdings, inwieweit möglicherweise eine erheb-liche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit vorgele-gen hat. Diesbezüglich sind auch das im DSM-5 erstmals explizit aufgeführte Kriterium „aggressive Ausbrüche ohne oder nach nur geringer Provokation“ sowie das Kriterium „körperliche Aggressionen gegen andere Personen oder Objekte“ zu beachten. Diese diagnostischen Kriterien wur-den aufgenommen, weil sich in empirischen Studien zeigte, dass eine PTSD einen Risikofaktor für gewalttätiges Verhal-ten darstellt. Dieser Zusammenhang findet sich nicht nur bei einer PTSD-Symptomatik, die sich nach Traumatisierungen im Kontext kriegerischer Kampfhandlungen einstellt [15], sondern auch nach traumatischen Erlebnissen, denen die Betroffenen im zivilen Kontext ausgesetzt waren [4]. Für die strafrechtliche Begutachtung kommt es in diesen Fällen darauf an, in Erfahrung zu bringen, ob sich auch außerhalb der angeklagten Straftat Hinweise für eine durch die PTSD/PTBS-Symptomatik beeinträchtigte Verhaltenssteuerung finden lassen. Sofern dafür belastbare Anknüpfungstatsa-chen vorhanden sind, ist gutachtlich zu prüfen, inwieweit sich ein symptomatischer Zusammenhang zwischen der angeklagten Straftat und der PTSD/PTBS-Symptomatik aufzeigen und eine erhebliche Beeinträchtigung der Steue-rungsfähigkeit im Hinblick auf das Tatgeschehen plausibel machen lässt.

Sozialrechtliche Begutachtung

Bezüglich sozialrechtlicher Fragestellungen kann die Begutachtung einer PTBS/PTSD-Symptomatik insbeson-dere im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Unfall-versicherung und im sozialen Entschädigungsrecht von Bedeutung sein.

1. Gesetzliche Krankenversicherung Der Begutachtungs-ansatz ist hier final, d. h., es wird eine Diagnose gestellt, und deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit werden gut-achtlich beurteilt. Fragen der Kausalität spielen dabei keine Rolle. Eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit infolge einer PTSD/PTBS ist in der Regel nur vorübergehend, wenn die psychopathologische Symptomatik akut exazerbiert ist. Unter Umständen kann aber eine längere oder sogar dauer-hafte Arbeitsunfähigkeit bezüglich einer besonderen beruf-lichen Tätigkeit vorliegen (z. B. Tätigkeit am Bankschalter nach einem Banküberfall).

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Begutachtung der posttraumatischen Belastungsstörung

Sozialrecht die sog. Adäquanztherorie anzuwenden ist. Ursache ist hier nur die „conditio sine qua non“, die mit dem eingetretenen Schaden in einem adäquaten Zusammen-hang steht. Der Zusammenhang ist zu bejahen, wenn eine Tatsache i. Allg. und nicht nur unter besonders einzigarti-gen Umständen zur Herbeiführung des Schadens geeignet war. Eine detaillierte Darstellung der rechtlichen Rahmen-bedingungen findet sich bei Foerster u. Dreßing [10]. Trotz der unterschiedlichen Kausalitätsnormen im Sozial- und im Zivilrecht kommen die Gutachter bei gleichem Sachverhalt in der Praxis nach beiden Theorien meist zu den gleichen Beurteilungsergebnissen. Da bei der PTBS/PTSD der Son-derfall vorliegt, dass die Diagnose bereits Aussagen zur Kausalität impliziert, ist das in Rede stehende Trauma in der Regel sowohl in der sozialrechtlichen Kausalitätslehre als „wesentliche Bedingung“ als auch in zivilrechtlichen Verfahren als „adäquate Ursache“ einzuschätzen.

Differenzialdiagnostische Abgrenzung von Aggravation und Simulation

Da die Symptome der PTBS überwiegend subjektive Beschreibungen darstellen, ergibt sich in diesem Zusam-menhang auch die notwendige Abgrenzung zu Simulation, Aggravation und Verdeutlichungstendenzen.

Unter Simulation versteht man das bewusste und absicht-liche Vortäuschen von Beschwerden oder Störungen zu bestimmten, klar erkennbaren Zwecken. Aggravation bezeichnet die bewusst verschlimmernde Darstellung einer krankhaften Störung zu erkennbaren Zwecken. Verdeut-lichungstendenzen sind der mehr oder weniger bewusste Versuch, den Gutachter vom Vorhandensein der geklagten Symptomatik zu überzeugen [6].

Obwohl von einigen wenigen Autoren der Eindruck erweckt wird, dass besonders häufig Symptome einer PTBS in Täuschungsabsicht beim Gutachter vorgebracht werden [22, 23], gibt es keine empirischen Belege dafür, dass Simu-lation und Aggravation bei der Begutachtung einer PTBS häufiger auftreten als bei anderen psychischen Störungen. Insofern gelten für die Begutachtung einer PTBS die glei-chen Standards wie bei anderen psychischen Störungen.

Grundsätzlich sind bezüglich der Simulation einer PTBS-Symptomatik die folgenden Situationen zu bedenken [6]:

● Es kann eine überhaupt nicht vorhandene Symptomatik vorgetäuscht werden.

● Es besteht zwar eine PTBS, diese ist aber nicht durch das vom Probanden vorgebrachte Trauma verursacht, son-dern durch eine andere traumatische Situation, für die kein Entschädigungsanspruch besteht.

● Eine milde Symptomatik wird massiv und bewusst übertrieben.

von Menschen regeln, die einen Gesundheitsschaden erlit-ten haben, für dessen Folge die Gemeinschaft in besonde-rer Weise einsteht. Im Hinblick auf die PTBS/PTSD sind in diesem Kontext insbesondere Begutachtungen im Rah-men des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) – z. B. Wehr-dienstbeschädigungen bei Auslandskriegseinsätzen – und nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) – z. B. nach vorsätzlichem tätlichen Angriff oder sexuellem Missbrauch – zu erwarten. Dabei gelten die gleichen Grundsätze der Kausalitätsbegutachtung wie in der gesetzlichen Unfall-versicherung. Für die Begutachtung nach dem OEG ist zu beachten, dass die in der Traumaforschung schon seit etwa 20 Jahren diskutierte komplexe PTBS, für die eine Über-schneidung mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung diskutiert wird [9] nicht in das diagnostische Manual des DSM-5 aufgenommen wurde und auch nicht in der ICD-10 enthalten ist. Für diese Störung sind psychoreaktive Symp-tome als Folge schwerster, anhaltender Traumatisierungen besonders nach Vernachlässigung, sexuellem Missbrauch und Misshandlung in der Kindheit typisch. Die Symptome können unmittelbar nach dem Trauma, aber auch noch nach längerer Zeit auftreten und zeigen sich z. B. in Störungen der Affektregulation, verminderter Steuerungsfähigkeit von aggressiven Impulsen, dissoziativen Symptomen, somato-formen Symptomen, gestörter Selbstwahrnehmung sowie Störungen der Sexualität und der Beziehungsgestaltung. Die Aufnahme der Diagnose einer komplexen PTBS in eines der verbindlichen psychiatrischen Diagnosemanuale hätte vermutlich eine erhebliche Ausweitung der Entschä-digungsfälle z. B. im Rahmen des OEG nach stattgehabtem sexuellem Missbrauch in der Kindheit zur Folge. Derzeit ist eine Entschädigung nach dem OEG nur möglich, wenn sich eine PTB/PTSD-Symptomatik klar diagnostizieren lässt. Sofern es sich „nur“ um eine Persönlichkeitsstörung handelt, kann diese dagegen nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden.

Zivilrechtliche Begutachtung

Bei zivilrechtlichen Fragestellungen handelt es sich auch um Kausalitätsbegutachtungen, für die im Gegensatz zum

Tab. 4 GdS-Werte für PTBS/PTSD [12]Störungsbild GdS-Wert (v. H.)Unvollständig ausgeprägtes Störungsbild (Teil- oder Restsymptomatik)

Bis 20

Üblicherweise zu beobachtendes Störungsbild mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit

Bis 30

Schwerer Fall mit massiven Schlafstörungen, Albträumen, Angstzustände auch tagsüber, ausgeprägtes Vermeidungsverhalten

Bis 50

GdS Grad der Schädigungsfolge, PTBS posttraumatische Belas- tungsstörung, PTSD „posttraumatic stress disorder“

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1 3

H. Dressing, K. Foerster

stellen. Testergebnisse müssen kritisch und mit der gebote-nen wissenschaftlichen Zurückhaltung interpretiert werden [14].

Werden von den Probanden bei der Symptomschilderung überhaupt keine kognitiven Probleme geltend gemacht, ver-sagen diese Tests zwangsläufig. Der spezifisch auf simu-lierte PTBS-Symptome ausgerichtete BVT von Morel [18] ist bisher nicht hinreichend validert.

Sofern das Ergebnis in einem BVT unterhalb der erwar-teten Norm liegt, kann nur festgestellt werden, dass das Anstrengungsverhalten nicht den Erwartungen entspricht. Die Zuordnung eines auffälligen Befunds zur Rubrik „Simu-lation“ und auch „Aggravation“ ist dann in einem zwei-ten Schritt vom Gutachter im klinischen Gesamtkontext zu bewerten [24]. An die Standards der Aggravations- und Simulationsdiagnostik bei der PTBS sind grundsätzlich keine anderen Maßstäbe anzulegen, als sie für die Begutachtung anderer psychischer Störungen gelten. Der obligatorische Einsatz von BVT ist keineswegs als Standard in der Begut-achtung einer PTBS zu fordern. Er kann in begründeten Ein-zelfällen aber hilfreiche Zusatzinformationen liefern [7].

Qualifikation des Gutachters

Voraussetzung für eine sachgerechte Begutachtung psy-chotraumatischer Störungen ist eine gründliche psych-iatrisch-psychotherapeutische Ausbildung, in der auch grundsätzliche Kenntnisse über die rechtlichen Rah-menbedingungen erworben wurden, innerhalb derer die Begutachtung stattfindet. Da sich die rechtlichen Rah-

Befunde, die eher für eine simulierte PTBS-Symptomatik sprechen, sind in Tab. 5 zusammengestellt. Keiner dieser Befunde ist aber spezifisch, und es muss eine verantwor-tungsvolle Gewichtung aller Befunde im Einzelfall erfolgen.

Einsatz von Beschwerdenvalidierungstests bei der Begutachtung der PTBS/PTSD

Der Einsatz neuropsychologischer Beschwerdenvalidie-runsgtests (BVT) wird auch bei der Begutachtung der PTBS zunehmend diskutiert. Es gibt eine Vielzahl meist kommerziell angebotener BVT. Die Mehrzahl dieser BVT prüft die Authentizität kognitiver Störungen, z. B. die kog-nitive Verarbeitungsgeschwindigkeit, die Konzentrations-leistung oder die Gedächtnisfunktionen. Die Anordnung des Testmaterials suggeriert dabei dem Probanden z. B. eine schwierige Gedächtnisaufgabe. Tatsächlich können die Auf-gaben aber problemlos gelöst werden, wenn nicht schwer-wiegende hirnorganische Beeinträchtigungen vorliegen. Im Sinn der diagnostischen Zielsetzung ist ein BVT umso effi-zienter, je mehr die subjektiv vom Probanden wahrgenom-mene Schwierigkeit die objektive Schwierigkeit des Tests übersteigt [8].

Mithilfe dieser Tests können ein suboptimales Leistungs-verhalten und eine negative Antwortverzerrung festgestellt werden. Die Tests erlauben aber keine Unterscheidung zwi-schen bewusster Simulation bzw. Aggravation und unbe-wusst hervorgebrachten neurotischen Symptomen. Für die gutachtliche Beurteilung können BVT deshalb immer nur ein Mosaikstein in der klinischen Gesamtbeurteilung dar-

Tab. 5 Kriterien zur Simulationsdiagnostik bei PTBS [6]Simulation einer PTBS Vorliegen einer PTBSSymptome werden übertrieben und ausführlich berichtet Bericht über Symptomatik wird eher vermiedenSymptome werden spontan und früh angesprochen Symptome werden zögernd und erst auf gezielte Fragen berichtetFlashbacks werden wenig plastisch beschrieben Bei Flashbacks sind unterschiedliche Wahrnehmungsqualitäten invol-

viert, Bericht eher im PräsensFlashback wird ohne Zeichen vegetativer Erregung oder emotiona-ler Anspannung berichtet

Vegetative Erregung und emotionale Anspannung sind beim Bericht eines Flashback in der Untersuchungssituation direkt beobachtbar

Angabe einer kompletten Amnesie für die traumatische Situation Es existieren Erinnerungsinseln, mit zunehmendem Abstand vom Ereig-nis weitet sich die Amnesie nicht aus

Albträume mit immer dem gleichen Inhalt und der gleichen Frequenz

Albträume mit unterschiedlicher Häufigkeit und ängstigenden, aber durchaus auch wechselnden Inhalten

Andere Personen oder äußere Umstände werden beschuldigt SelbstvorwürfeVor dem Trauma wird ein völlig konfliktfreies Leben ohne Be-lastungen berichtet

Frühere Konflikte und Probleme werden als Ursachen für die Sympto-matik erwogen

Behandlung wird in unmittelbarem Zusammenhang mit einer juristischen Auseinadersetzung begonnen; die erste Aktivität des Therapeuten ist die Ausstellung eines Attests

Frühzeitige Therapiebemühungen

Symptome werden im Zeitverlauf als völlig stabil und unveränder-lich dargestellt

Symptomatik fluktuiert, teilweise Besserungen z. B. durch Therapie werden berichtet

Obwohl bei der traumatischen Situation auch andere Menschen ums Leben gekommen sind, besteht keine „survivor guilt“

Ausgeprägte „survivor guilt“

PTBS posttraumatische Belastungsstörung

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1 3

Begutachtung der posttraumatischen Belastungsstörung

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menbedingungen und die daraus folgenden Beweisfragen im Straf-, Sozial- und Zivilrecht erheblich unterscheiden, sollten vor eigenverantwortlicher Erstellung von Gutach-ten zusätzliche theoretische Kenntnisse in Fortbildungsse-minaren und praktische Erfahrungen in Form supervidierter Gutachten erworben werden. Der Gutachter sollte auch Kenntnis über aktuelle Forschungsergebnisse im Bereich der Psychotraumatologie haben. Die Teilnahme an einem speziellen Ausbildungscurriculum für Psychotraumatologie oder Psychotraumatherapie ist dagegen keine zwingende Voraussetzung, um Gutachtenaufträge in diesem Bereich zu übernehmen und sachgerecht zu bearbeiten [7].

Interessenkonflikt H. Dreßing und K. Förster geben an, dass kein In-teressenkonflikt vorliegt.

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