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Begrüßung - uni-oldenburg.de

Date post: 29-Nov-2021
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PROF. DR. PETER JANIESCH Begrüßung Sehr geehrter Herr Hempel, sehr geehrte Frau Hempel, Herr Präsident, verehrte Ehrengäste, meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie im Namen des Fachbereichs Biologie der Carl von Ossietzky Universität zum Festakt aus Anlaß der Verlei- hung der Ehrendoktorwürde an Herrn Prof. Dr. Gotthilf Hempel. Wir freuen uns, daß so viele Kolleginnen und Kolle- gen auswärtiger Universitäten und Institutionen unserer Ein- ladung nach Oldenburg gefolgt sind. Ich begrüße ebenso die Vertreter aus Wirtschaft, Kultur und Politik aus dieser Region. Seit 20 Jahren, fast auf den Tag genau, gibt es eine Biologie- ausbildung an unserer Universität, ein Grund, diesen Tag mit einem besonderen Ereignis zu feiern. Dies hat uns bewogen, eine besondere Persönlichkeit auszuzeichnen. Der Fachbereich Biologie verleiht zum ersten Mal eine Ehrendoktorwürde. Es ist darüber hinaus die erste Ehrenpromotion der Naturwissenschaften. Mit Herrn Prof. Hempel ehren wir eine individuelle wissenschaftliche Leistung in der Polar- und Meeresforschung sowie eine herausragende Persönlichkeit im Wissenschaftsbetrieb. Durch seine Unterstützung in der Anfangsphase hat der Fachbereich Biologie sehr profitiert. Aus kleinen Anfängen mit einer regionalbezogenen Forschung hat sich heute eine mit anderen Universitäten vergleichbare und ebenbürtige Biologie entwickelt. Die Erfolge in der For- schung finden Anerkennung durch umfangreiche Unterstüt- zung durch außeruniversitäre Förderungseinrichtungen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Bundesumwelt-
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PROF. DR. PETER JANIESCH

Begrüßung

Sehr geehrter Herr Hempel, sehr geehrte Frau Hempel, HerrPräsident, verehrte Ehrengäste, meine Damen und Herren!

Ich begrüße Sie im Namen des Fachbereichs Biologie der Carlvon Ossietzky Universität zum Festakt aus Anlaß der Verlei-hung der Ehrendoktorwürde an Herrn Prof. Dr. GotthilfHempel. Wir freuen uns, daß so viele Kolleginnen und Kolle-gen auswärtiger Universitäten und Institutionen unserer Ein-ladung nach Oldenburg gefolgt sind. Ich begrüße ebenso dieVertreter aus Wirtschaft, Kultur und Politik aus dieser Region.

Seit 20 Jahren, fast auf den Tag genau, gibt es eine Biologie-ausbildung an unserer Universität, ein Grund, diesen Tag miteinem besonderen Ereignis zu feiern. Dies hat uns bewogen,eine besondere Persönlichkeit auszuzeichnen. DerFachbereich Biologie verleiht zum ersten Mal eineEhrendoktorwürde. Es ist darüber hinaus die ersteEhrenpromotion der Naturwissenschaften. Mit Herrn Prof.Hempel ehren wir eine individuelle wissenschaftlicheLeistung in der Polar- und Meeresforschung sowie eineherausragende Persönlichkeit im Wissenschaftsbetrieb. Durchseine Unterstützung in der Anfangsphase hat der FachbereichBiologie sehr profitiert.

Aus kleinen Anfängen mit einer regionalbezogenen Forschunghat sich heute eine mit anderen Universitäten vergleichbareund ebenbürtige Biologie entwickelt. Die Erfolge in der For-schung finden Anerkennung durch umfangreiche Unterstüt-zung durch außeruniversitäre Förderungseinrichtungen wiedie Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Bundesumwelt-

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ministerium, das Ministerium für Forschung und Technologie,Europäische Förderungseinrichtungen und andere mehr. Dieeingeworbenen Mittel übersteigen heute die Landesmittel beiweitem. Ohne diese Drittmittel wäre ein qualifizierter Lehr-und Forschungsbetrieb im Fachbereich Biologie zur Zeit nichtmehr gewährleistet.

Von Anfang an hat die ökologisch orientierte Forschung immarinen Bereich eine wichtige Rolle in der Biologie in Olden-burg gespielt. Bis heute haben sich im wesentlichen drei For-schungsschwerpunkte herausgebildet:

Ein ökosystemar orientierter Schwerpunkt im Bereich derKüsten- und Flachmeerforschung, der zur Gründung des Insti-tuts für Chemie und Biologie des Meeres geführt hat, einSchwerpunkt „Terrestrische Ökologie“ mit botanischen undzoologischen Forschungen im Arten- und Biotopschutz, wobeiim marin-terrestrischen Übergangsbereich gemeinsame For-schungsansätze der beiden ökologischen Arbeitsrichtungenbestehen, und drittens ein Schwerpunkt im molekular-zellbio-logischen Bereich, der wie die übrigen international aner-kannte Forschungsleistungen aufzuweisen hat

Die Einführung des Studiengangs Landschaftsökologie mitbiologischen, geographischen und planerischen Anteilen imletzten Wintersemester und des Studiengangs marine Umwelt-wissenschaften in diesem Semester sind wichtigeMeilensteine in der Entwicklung der Biologie in Oldenburg.Weitere Planungen im Bereich der Zellbiologie werden zurZeit diskutiert.

Lassen Sie mich nun zum heutigen Ereignis kommen. DasJahr 1984 vor zehn Jahren ist für den Fachbereich ein wichti-ges Datum gewesen. Wie in Oldenburg allgemein üblich,steht am Anfang bedeutender Ereignisse eine Kohlfahrt. DieKohlfahrt von Polarforschern des Alfred-Wegener-Instituts fürPolar- und Meeresforschung und Forschungsgruppen desFachbereichs Biologie der Universität Oldenburg war der

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Beginn einer sehr erfolgreichen Kooperation, die 1985 miteinem Kooperationsvertrag besiegelt wurde. Der Erfolg wurdeinsbesondere durch den Einsatz von Herrn Prof. Hempel fürdie Oldenburger Biologie ermöglicht. So war immer, wenn esnötig war, einer der begehrten Plätze auf der „Polarstern“ vor-handen, oder es wurden Geräte beschafft oder konnten mit-benutzt werden, die von der Universität nicht hätten finanziertwerden können. Heute werden Sie, Herr Prof. Hempel, sicherin vielen Gesprächen Gelegenheit haben, sich von dem Erfolgihres Einsatzes für die Biologie in Oldenburg zu überzeugen.

Auch in der Lehre hat die Kooperation erfreuliche Ausmaßeangenommen und dazu geführt, daß Diplomanden und Dokto-randen aus Oldenburg am Alfred-Wegener-Institut betreutwurden. Ich hoffe, daß sich dies auch in der Zukunftfortsetzen wird. Von Anfang an haben in der Lehre Frau Dr.Schiel, Herr Dr. Dieckmann, Herr Dr. Gutt, Herr Dr. Hircheund Herr Prof. Spindler, der sich in Oldenburg habilitiert hatund heute Leiter des Instituts für Polarökologie in Kiel ist,mitgewirkt. Allen möchte ich dafür unseren Dankaussprechen. Darüber hinaus möchte ich ganz besondersHerrn Prof. Tilzer, dem jetzigen Direktor des Alfred-Wegener-Instituts, danken, daß er sich bereit erklärt hat, heuteeinen Festvortrag zu halten.

Lassen Sie mich noch einige Worte zur Ehrenpromotionsagen. Promotionen und Ehrenpromotionen werden in Olden-burg nach einem vergleichbaren Verfahren durchgeführt. Wirhatten in Analogie zum Promotionsausschuß eineKommission gebildet, die sich mit der wissenschaftlichenLeistung des Vorgeschlagenen befaßt hat. Im Gegensatz zuanderen Universitäten gibt es in Oldenburg kein Rigorosum,eine Prüfung in einzelnen Fächern, sondern nach Vorlage undAnnahme der Dissertation eine öffentliche Disputation, in derder Kandidat mit einem kurzen Vortrag seine wesentlichenwissenschaftlichen Ergebnisse darlegt und sich anschließendeiner einstündigen öffentlichen Diskussion stellt. Ähnlich

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wird es heute sein. Es wird einen Vortrag des Ehrendoktorsgeben. Da wir jedoch die Urkunde schon vorher überreichen,verzichten wir auf die Diskussion „HONORIS CAUSA“.

Zum Schluß meiner Begrüßung möchte ich allen danken, diemich bei der Vorbereitung dieser Veranstaltung unterstützthaben. Mein besonderer Dank gilt den Sponsoren, Der KleineKreis - Wirtschaftliche Vereinigung Oldenburg und der Raiff-eisenbank Oldenburg, die den Weg zur musikalischen Umrah-mung unserer Veranstaltung und zur Bewirtung unserer Gästefrei gemacht haben

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PROF. DR. MICHAEL DAXNER

Grußwort

Sehr geehrter Herr Kollege Hempel, Herr Dekan Janiesch,meine Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende, sehrgeehrte Damen und Herren aus Öffentlichkeit, Wissenschaftund Kultur!

Die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg hat eine jungeund nicht sehr ausgedehnte Tradition von Ehrendoktoren undEhrenbürgern. Mit Gotthilf Hempel wird zum fünften Mal dieWürde eines Dr. honoris causa vergeben, das erste Mal in denNaturwissenschaften. Ich beglückwünsche Sie, Herr KollegeHempel, und ich gratuliere unserem Fachbereich Biologie undallen Kolleginnen und Kollegen, die auch über den Fach-bereich hinaus mit Gotthilf Hempel zu tun haben. Die Univer-sität kann sich glücklich schätzen, daß die Entscheidung desFachbereichs auf Sie gefallen ist, und zwar in ihrer Gesamt-heit.

Als der Wissenschaftsrat seine Begehung zur Umweltfor-schung an deutschen Universitäten machte, war die kritischeund sympathetische Ortskunde des Vorsitzenden der Arbeits-gruppe für die Universität zugleich eine strenge Prüfung undeine Herausforderung. Denn natürlich kennen Sie unsere Uni-versität seit vielen Jahren. Wir schätzen uns glücklich, daß derKooperationsvertrag mit dem Alfred-Wegener-Institut schonzu den wirkungsvollsten und kontinuierlichen Wissenschafts-beziehungen unserer jungen Universität zählt - viele Diplom-arbeiten und eine Habilitation, die gemeinsame Forschung aufder „Polarstern“ und vielfältige Forschungsbeziehungen ver-binden uns. Auch Ihre Tätigkeit an anderen norddeutschenKüstenuniversitäten findet in den Partnern des Nordverbundes

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ihre Entsprechung, man könnte sagen: Wir entgehen Ihnennicht, und heute sind Sie uns nicht entgangen. Ich werde kei-ner Laudatio vorgreifen, und ich will die Hauptakteure, dieBiologinnen und Biologen und alle Kolleginnen und Kollegender Meeresforschung im ICBM und darüber hinaus in ihrerFeier für Gotthilf Hempel prozedieren lassen.

Meine Gratulation, lieber Herr Kollege, findet zu einem Zeit-punkt statt, der es verbietet, das politische Umfeld unerwähntzu lassen. Nicht nur in Niedersachsen stehen die Zeichen fürGrundlagenforschung und Nachwuchsförderung, für studenti-sche Ausbildung und hinreichende Ausstattung der Hochschu-len auf Sturm. Die in hohem Maße selbstverschuldete Finanz-misere der öffentlichen Hand hat dazu geführt, daß der zuRecht von anderen beneidete Wissenschaftsstandort Deutsch-land eher eine virtuelle Realität als eine Tatsache zu bezeich-nen droht, wenn nicht rasch Abhilfe geschaffen wird. DieVerengung der wissenschaftlichen Zukunft unseres Landesauf einen Wirtschaftsstandort führt dazu, daß nicht nur dieakademische Lehre, sondern auch die Grundlagenforschung inden Augen der Politiker an Gewicht verliert. Und bei einemBundeshaushalt, dessen Zuwachsraten ausschließlich beimSchuldendienst liegen, kann man keine großen Anreize füreine Gemeinschaftsaktion von Bund und Ländern erhoffen,alle Haushalte gleichmäßig derart anzuheben, daß wir dasquantitative Niveau von 1981 wieder erreichen. Noch hat dieungeheure Leistungsfähigkeit unseres Hochschul- und Wis-senschaftssystems die ärgsten Einbrüche verhindern können,aber es ist kein wohlfeiler Pessimismus, wenn ich befürchte,daß dieses System innerhalb weniger Jahre noch unterhalb derSchwelle der Mittelmäßigkeit sich wiederfinden wird. Natür-lich weiß ich, daß Geld nicht alles ist, aber viele der von unsgewollten Strukturveränderungen sind ohne zusätzliches Geldgar nicht vorstellbar.

Ich erwähne das heute deshalb, weil Sie zu jenen Wissen-schaftlern gehören, Herr Kollege Hempel, die über viele Jahr-

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GRUßWORT 13

zehnte hinweg weit über ihr Fachgebiet hinaus immer wiederNeues angestoßen haben - und hier auch keine creatio exnihilo machen konnten, sondern immer darauf angewiesenwaren, daß Staat und Gesellschaft sowie die wissenschaftlicheGemeinschaft gemeinsam das befördern, was sich dann alsForschungsinstitut, Studiengang oder Promotionsschwerpunktdarstellte. Forschung, zumal wenn sie sich auf die ökologischeUmgestaltung der Erde konzentriert, kann sich nicht nach dentagespolitischen Konjunkturen kleinherziger und gedanken-armer Politik richten, sonst hat sie in ihrer Bedeutung bereitswesentliches Terrain eingebüßt. Wir hoffen, daß Ihre Stimmeweiterhin an der Seite dieser ökologisch orientierten Grund-lagenforschung gehört wird, wir hoffen, daß Ihre vielfältigenArbeitszusammenhänge Sie weiterhin mit unserer Universitätkooperieren lassen, und ganz persönlich wünsche ich Ihnenund uns einen erheblichen Fortschritt im Kampf gegen dieErwärmung der Weltmeere, weil sonst Ihr Forschungsgebiet,die Polkappen, vorzeitig abschmelzen werden.

Ich gratuliere Ihnen nochmals und wünsche Ihnen im Namender Carl von Ossietzky Universität Oldenburg alles Gute.

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PROF. DR. MAX TILZER

Polarforschung: Neue Wege - Neue Ziele

Einleitung

Die Expedition unter der Leitung von Kapitän Koldewey mitder „Grönland“ im Jahre 1868 kann als der Beginn der deut-schen Polarforschung angesehen werden. Die frühe Polarfor-schung schließt direkt an die Tradition der Entdecker derfrühen Neuzeit an. Zwischen den beiden Weltkriegen sind ins-besondere die Expeditionen von Alfred Wegener nach Grön-land sowie die Flugerkundung der Antarktis unmittelbar vordem 2. Weltkrieg zu nennen.

Nach dem 2. Weltkrieg beteiligte sich Deutschland am Inter-nationalen Geophysikalischen Jahr sowie an internationalenProjekten zur Erkundung der Möglichkeit der Ausbeutungmariner lebender Ressourcen im Antarktischen Ozean.

Nach dem Beitritt der Bundesrepublik zum Antarktisvertragim Jahre 1979 und der Gründung des Alfred-Wegener-Insti-tuts für Polarforschung im Jahre 1980 erlebte die Polarfor-schung im Lande einen steilen Anstieg, und Deutschlandnimmt heute einen festen Platz unter den polarforschendenNationen ein. Neben dem Alfred-Wegener-Institut, in welches1986 das Institut für Meeresforschung in Bremerhaven ein-gegliedert wurde, wurde die Polarforschung auch an Universi-täten und Bundesforschungsanstalten deutlich verstärkt. DieDeutsche Forschungsgemeinschaft richtete ein Schwerpunkt-programm „Antarktisforschung“ ein. An der Universität Kielwurde ein Institut für Polarökologie gegründet. Ergänzt wur-den diese Forschungsaktivitäten durch die Arbeiten der Bun-

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desanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover,und die Bundesanstalt für Fischerei in Hamburg, die bereitsfrüher in der Polarforschung sehr aktiv gewesen waren.

Der Aufstieg der deutschen Polarforschung zu Weltgeltung istmit keinem Namen so sehr verbunden wie mit dem vonGotthilf Hempel, der das Alfred-Wegener-Institut währendder ersten zehn Jahre seines Bestehens geleitet hat undSprecher des DFG Schwerpunktprogramms„Antarktisforschung“ sowie Begründer des Instituts fürPolarökologie der Universität Kiel gewesen ist.

Im folgenden sollen wichtige Schwerpunkte der heutigenPolarforschung sowie Aspekte ihrer künftigen Entwicklungkurz beleuchtet werden.

Ziele moderner Polarforschung

Nach der Phase der Entdeckungen war Polarforschungzunächst der Versuch, in den letzten noch unbekannten undnoch nicht ausgebeuteten Regionen der Erde nach Ressourcenzu suchen. Auf dem Festland waren dies in erster Linie Mine-ralien und fossile Energieträger, in den Ozeanen lebende Res-sourcen zur Deckung des Proteinbedarfs der wachsendenMenschheit. Die intensiven Forschungsarbeiten, die in diesemZusammenhang durchgeführt wurden, ergaben zwar, daß auswirtschaftlichen Gründen die Ausbeutung der polaren Res-sourcen nicht lohnend ist. Sie brachten aber eine Vielzahlbedeutender wissenschaftlicher Ergebnisse, die Grundlagenunserer heutigen Kenntnisse der Polarregionen darstellen.Dazu kommt, daß der Antarktisvertrag jede wirtschaftlicheAusbeutung der Antarktis verbietet und den freien Austauschvon Informationen sicherstellt. Die heutige Polarforschung hatzum Ziel, die Rolle der Polarregionen bei der Steuerungglobaler Prozesse zu klären. Die Erde wird heute als einüberaus dynamisches System betrachtet, das sich über einenweiten Bereich von Zeitskalen verändert:

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• Kontinentaldrift in der Größenordnung von 108 Jahren• Wechsel von Warm- und Kaltzeiten über eine Zeitspanne

von 105 Jahren• Meeresströmungen über eine Zeitskala von 1-1000 Jahren• Meereisverteilung über eine saisonale Zeitskala bis über

wenige Jahre• Biologische Prozesse in Zeitskalen zwischen Sekunden und

einigen Jahren

Die Bedeutung der Polarregionen für das Erdsysteminsgesamt läßt sich wie folgt zusammenfassen:

(1) Polarregionen bestimmen die globalen Stoff- und Ener-giebilanzen des Erdsystems entscheidend mit: Die polarenEiskappen, die größten Süßwasserreservoire der Erde(über 80%) haben mit ihrer enormen latenten Wärmeeinen großen Einfluß auf die Energiebilanz der Erde.Diese wird durch die hohe Albedo von Meer- und Landeisentscheidend mitbestimmt. Die Meereisbedeckung hatwesentlichen Einfluß auf den Stoffaustausch zwischenOzean und Atmosphäre.

(2) Polarregionen reagieren empfindlich auf globale Klima-veränderungen und sind in zahlreiche Rückkopplungs-mechanismen integriert.

Wichtige zukunftsweisende Fragestellungen derPolarforschung

Im folgenden sollen fünf Themenschwerpunkte kurz erläutertwerden, die in der gegenwärtigen und zukünftigen Polarfor-schung im Mittelpunkt des Interesses stehen werden.

Die Rolle des Meereises für den Energieaustausch Ozean -Atmosphäre

Die Ausdehnung des Meereises hat in der Vergangenheitzahlreiche Veränderungen erfahren und unterliegt auch heute

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großen interannuellen Variationen und jahreszeitlichenSchwankungen. Durch Methoden der Eisfernerkundung (Ent-wicklung einer Rasterkamera zur quantitativen Untersuchungder Meereisausdehnung sowie seine Reflexionseigenschaften)ist es nunmehr möglich geworden, Austauschprozesse überweite Areale quantitativ vorauszusagen. Meereis wirkt aufEnergieaustauschprozesse in zweierlei Weise:

(1) Durch Erhöhung der Albedo wird der Wärmeeintragdurch die Sonnenstrahlung in den Ozean stark unterbun-den.

(2) Durch die Meereisbedeckung wird die Abstrahlung vonWärme aus dem Ozean sowie der konvektive Tiefentrans-port abgekühlten Oberflächenwassers unterbunden. Ande-rerseits wird bei der Bildung von Meereis salzreiches kal-tes Wasser gebildet, welches in die Tiefe sinkt. Unter-suchungen der atmosphärischen Grenzschicht (Maximal-ausdehnung : 1.500 m über dem Meeresniveau) dienender Quantifizierung des Wärmeaustauschs zwischenOzean und Atmosphäre. Ziel der Untersuchungen ist dieQuantifizierung der Nettoeffekte von Albedo und der Ver-ringerung der Abstrahlung und des konvektiven undturbulenten Wärmeaustausches auf die EnergiebilanzOzean - Atmosphäre. Längerfristig dienen die Unter-suchungen dazu, die Bedeutung des Meereises für die glo-bale Wärmebilanz in Abhängigkeit von Veränderungender Gesamt-Meereis-Ausdehnung abzuschätzen.

Massenbilanzen der polaren Eisschilde als Folge vonKlimaschwankungen

Die in den Polareiskappen (Antarktika, Grönland) akkumu-lierten und in einem überaus langsamen Umsetzungsprozeßbegriffenen Eisschilde sind das Nettoergebnis von Nieder-schlag (Akkumulation) und Verlusten (Ablation, Abbrechenvon Eisbergen). Sie sind somit sowohl von der Niederschlags-menge als auch von der Temperatur abhängig. Klimamodelle

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zeigen, daß Temperaturerhöhung auch zu einer Zunahme derNiederschlagsmenge in den polaren Gebieten führt.

Die Untersuchung der Eis-Massenbilanz und die Vorhersageder Veränderung derselben im Falle von Klimaveränderungenbasiert auf Messungen der Eis-Massenbilanz entlang Transek-ten, die von den Zentren der Eisakkumulation (Dome) bis hinzu den Küsten führen. Die dort gewonnenen Daten dienen alsGrundlage für die Modellierung der Gesamt-Massenbilanzender großen Eisschilde.

Bisherige Modellierungen der Eis-Massenbilanzen habengezeigt, daß sich bei zu erwartenden Klimaveränderungen dergrönländische Eisschild grundsätzlich anders als der antarkti-sche verhalten würde. Während in Grönland eine verstärkteAblation zu erwarten ist, würde in Antarktia zumindest inabsehbarer Zeit die Ablation nur vernachlässigbar gering blei-ben. Dies hätte zur Folge, daß infolge der erhöhten Nieder-schlagsmengen die Nettoakkumulation des Eises über demantarktischen Kontinent zunehmen würde. Diese Modellrech-nungen legen nahe, daß es im Falle einer nachhaltigen Tem-peraturerhöhung zumindest in absehbarer Zeit zu keiner signi-fikanten Erhöhung des Meeresspiegelniveaus infolge desAbschmelzens des antarktischen Eisschildes kommen würde.Nicht berücksichtigt ist hierbei die Wirkung der Wärmeaus-dehnung des Meerwassers infolge einer globalen Temperatur-zunahme.

Klimarekonstruktion aus polaren Archiven

In den Polarregionen bestehen drei Archive, die jeweils unter-schiedliche detaillierte Informationen über die vergangeneKlimaentwicklung erlauben:

• Eisbohrkerne:Der langsame Massenumsatz der polaren Eiskappenerlaubt, vergangene Klimaentwicklungen mit hoher zeit-licher Auflösung über lange Zeitintervalle zu rekonstruie-

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ren. Das europäische Eisbohrprojekt in Grönland (GRIP),welches an der höchsten Stelle des grönländischen Eisschil-des durchgeführt wurde, ermöglicht die detaillierte Rekon-struktion der Klimaentwicklung während der letzten200.000 Jahre. Dabei ist es möglich, mit Jahresauflösungdie Temperaturentwicklung (∂ O18, Größe derEiskristalle), die chemische Zusammensetzung derAtmosphäre (Lufteinschlüsse im Eis) sowie die Ablagerungvon partikulärem Material aus der Atmosphäre (Staub,organisches Material) zu untersuchen. Probleme ergebensich durch Störungen der Eisschichtungen durch dieplastische Verformung des Eisschildes im Zuge desAbfließens der Eismassen aus den Akkumulationsgebietengegen die Küsten.

• Meeresbodenablagerungen:Ablagerungen der Meeresbodensedimente in polarenRegionen liefern Informationen über die vergangene Kli-maentwicklung (Temperatursignale), über ozeanographi-sche Bedingungen (horizontale Verfrachtung von Tonmine-ralien, zum Teil durch Meereis), über Eisbedeckung(Lebensgemeinschaften als Indikatoren für Meereisbe-deckung) sowie über paläökologische Bedingungen(Indikatoren für die Produktivität und Nährsalzversorgungwährend früherer erdgeschichtlicher Epochen). DieseUntersuchungen können u.a. zeigen, wie beständig bzw.veränderlich das globale Muster der Meeresströmungen ist,welches entscheidenden Einfluß auf die kurzfristige Verän-derung des Klimas haben kann.

• Bodenablagerungen in periglazialen Seen:Sowohl in den arktischen Permafrostgebieten als auch ineisfreien Gebieten der Antarktis befinden sich zahlreicheSeen, die hervorragende Klimaarchive darstellen. Infolgeder geringen Niederschlagsmengen waren weite Gebieteder sibirischen Arktis aber auch einige der antarktischenOasen auch während der letzten Eiszeit nicht mit Eis

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bedeckt. Im Gegensatz zu anderen Gebieten können daherdie Seebodensedimente als Archive für dieKlimaentwicklung in Landgebieten über langeZeitintervalle hinweg dienen. Neben Temperaturin-dikatoren können insbesondere Pollen sowie Diatomeen-und Tierablagerungen ökologische Informationen über dieBedingungen in der umgebenden Landregion sowie in denGewässern selbst liefern.

Eine wichtige Aufgabe für die Zukunft wird die Untersuchungder regionalen Verteilung von Klimaänderungen über weiteGebiete der Erde hinweg sein. Hierbei ist insbesondere dieFrage von Bedeutung, ob beobachtete kurzfristige Klimaände-rungen lokale Ereignisse darstellten oder sich über weiteGebiete der Erde hinweg ausgewirkt haben. Diese Unter-suchungen können wichtiges Material für die Beantwortungder Frage nach der Auslösung kurzfristiger globaler Klima-schwankungen liefern. Von besonderem Interesse hierbei istdie noch ungeklärte Frage nach der Bedeutung der Muster vonMeeresströmungen.

Die globale Kohlenstoffbilanz und ihre Bedeutung für dasKlima

Wegen seiner Eigenschaft, sichtbares Licht durchzulassen,Infrarotstrahlung jedoch stark zu absorbieren, besitzt Kohlen-dioxid eine große Bedeutung bei der Bestimmung derglobalen Wärmebilanz. Je höher der Gehalt der Atmosphärean Kohlendioxid, desto mehr wird von der Erde abgegebeneInfrarotstrahlung in der Atmosphäre zurückgehalten und führtdadurch zu einer Erhöhung der Temperatur. Untersuchungendes ersten tiefen Eisbohrkerns in der Antarktis (Wostok-Eis-kern) haben gezeigt, daß in der Vergangenheit atmosphäri-sches Kohlendioxid und Lufttemperatur parallelen Schwan-kungen unterlegen waren. Es ergibt sich daraus die Frage,welcher Effekt primär ist bzw. welche kausalen Zusammen-

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hänge zwischen dem atmosphärischen CO2-Partialdruck undder Lufttemperatur bestehen. Bilanzkalkulationen weisen eineerhebliche Lücke auf: die uns bekannten Verlustprozesse anKohlendioxid durch Ozeane und Landflächen können einDrittel der aus der Atmosphäre auftretenden CO2-Verlustenicht erklären. Es besteht die Vermutung, daß bisher unbe-kannte Prozesse im Ozean für die Abgabe des Kohlendioxidsaus der Atmosphäre verantwortlich sind. Untersuchungen derglobalen CO2-Bilanz konzentrieren sich daher auf die Rolleder Ozeane. Zwei Prozesse werden für die Entfernung vonKohlendioxid aus der Atmosphäre verantwortlich gemacht:

• Physikalische CO2-Pumpe: Durch Absinken von Ober-flächenwasser, welches mit CO2 gesättigt ist, werden großeMengen anorganischen Kohlenstoffs in die Tiefe befördert.

• Biologische CO2-Pumpe: Durch Absinken organischenMaterials sowie von kalkschaligen Planktonorganismenwerden große Mengen Kohlenstoff in die Tiefe befördert.

Polarregionen spielen in der globalen CO2-Bilanz eine ent-scheidende Rolle, und zwar aus folgenden Gründen:

• Durch konvektives Absinken und turbulente Durch-mischung sowie durch die Bildung von Tiefen- und Boden-wasser im Zusammenhang mit der Bildung von Meereiswerden große Mengen oberflächennahen Wassers in dieTiefe befördert.

• Die biologische Produktion der Meere höherer geographi-scher Breiten wird sehr wesentlich durch die Meereisbe-deckung mitbestimmt, die sich im Zuge von Klimaverände-rungen stark wandeln muß. Hinzu kommt die unterschied-liche Stabilität der Schichtung des Ozeanwassers, diewesentlich auf die Primärproduktion einwirkt.

Aus beiden Gründen ist die Polarforschung in der Lage, wich-tige Beiträge zur Klärung der globalen Kohlenstoffbilanz zuliefern.

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Untersuchungen am Alfred-Wegener-Institut haben gezeigt,daß die Geschwindigkeit der Inkorporation von anorgani-schem Kohlenstoff in Biomasse sehr wesentlich von der Ver-fügbarkeit von anorganischem Kohlenstoff im Wasser (CO2-Partialdruck) abhängig ist. Dies ist dadurch zu erklären, daßim Meerwasser nur etwa 1% des insgesamt vorhandenen orga-nischen Kohlenstoffs in Form von CO2 vorliegt. Die Verfüg-barkeit von CO2 wirkt sich überdies stark auf das Verhältnisder stabilen Kohlenstoffisotope zueinander aus. Eine Erhö-hung des CO2-Partialdrucks führt zu einer relativen Abnahmeder schweren Kohlenstoffisotope in der gebildeten orga-nischen Substanz. Gleichzeitig nimmt der relative Anteil anschweren C-Isotopen im Wasser selber zu. Dieser Anteilmanifestiert sich auch in gebildeten Kalkschalen. Es ist dahermöglich, aus dem relativen Anteil von schweren Kohlenstoff-isotopen (∂ 13 C) in organischen und anorganischen Ablage-rungen im Meeresbodensediment auf die Verfügbarkeit vonKohlendioxid in der Wassersäule zu schließen.

Durch Aufklärung der Mechanismen, welche zu Schwankun-gen des CO2-Partialdrucks in der Atmosphäre führen können,werden wichtige Informationen über die Bedeutung der Bio-sphäre bei der Steuerung des Weltklimas gewonnen. Wegendes großen Flächenanteils der polaren Ozeane spielen diesefür die Steuerung des globalen Klimageschehens eine heraus-ragende Rolle. Neben der Verfügbarkeit von Kohlenstoff hatdie Verfügbarkeit von Nährsalzen und Energie, bzw. die Eli-minierung von pflanzlicher Biomasse durch Konsumenten(Zooplankton, Fische und die marinen Endkonsumenten) eineentscheidende Bedeutung für das Verständnis des globalenKlimasystems.

In der Zukunft werden insbesondere Fragen bestehenderRückkopplungsmechanismen eine große Rolle spielen. Dane-ben ist die Frage zu klären, inwieweit Effekte von Treibhaus-gasen (Infrarotabsorption) durch gleichzeitig auftretende

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Effekte von Aerosolen (Wolkenbildung) zumindest teilweisewieder ausgeglichen werden.

Das stratosphärische Ozon und seine Bedeutung für dieUV-B-Belastung der Biosphäre

Die Ausbildung eines winterlich stabilen Hochdruckgebietsüber den Polarregionen, welches durch den polaren Wirbelvom Rest der Atmosphäre isoliert ist, sowie die extrem niedri-gen Temperaturen begünstigen den Abbau des stratosphäri-schen Ozons über den Polarregionen im Frühling. Eine her-ausragende Rolle spielen hierbei die polaren stratosphärischenWolken, an denen oberflächenkatalytische Prozesse auftreten.Wegen der niedrigeren Temperaturen und größeren Stabilitätdes polaren Wirbels ist die Ozonverarmung über der Antarktiswesentlich ausgeprägter als über dem Nordpolargebiet. Wäh-rend die Mechanismen des Ozonabbaus bereits relativ gut ver-standen werden, ist die Wechselwirkung zwischen den chemi-schen Prozessen und der Dynamik der oberen Atmosphäreüber den Polargebieten noch unzureichend bekannt. Aus die-sem Grunde ist es notwendig, den Ozonabbau über beidenpolaren Gebieten kontinuierlich in möglichst vielen Punktenzu studieren. Diese Untersuchungen müssen die Erfassung derDynamik der Atmosphäre auch durch Modellierung mit ein-schließen.

Neben weiterführenden Untersuchungen zur stratosphärischenOzonausdünnung muß die Auswirkung derselben auf die UV-B-Belastung an der Erdoberfläche weiter studiert werden. Esmüssen daher in beiden Polargebieten sowie in den angren-zenden Arealen niedrigerer geographischer Breiten Meßnetzeinstalliert werden, die sowohl die stratosphärische Ozonvertei-lung als auch die resultierende Ultraviolettstrahlung an derErdoberfläche erfassen. Des weiteren müssen Untersuchungenüber die biologischen Auswirkungen der UV-Belastung aufdie Biosphäre einschließlich des Menschen fortgesetztwerden. Infolge der hohen Lichtdurchlässigkeit des Wassers

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wird vermutet, daß sich die in das Wasser eindringende UV-B-Strahlung hemmend auf die Photosynthese desPhytoplanktons auswirkt und damit zu einer Herabsetzung derPrimärproduktion führt. Diese wiederum würde eine Ver-ringerung der CO2-Eliminierung durch das Plankton(biologische CO2-Pumpe) zur Folge haben.

Ausblick

Die moderne und zukünftige Polarforschung kann wichtigeAuskünfte zum Verständnis des Gesamtsystems Erde liefern.Die bisherigen Arbeiten haben gezeigt, daß das Erdsystemdurch eine Vielzahl von ineinandergreifenden Prozessengesteuert wird. Moderne Polarforschung muß daher system-orientiert - holistisch sein. Untersuchungen von Einzelprozes-sen müssen im Hinblick auf das Gesamtsystem miteinanderverknüpft werden. Die Rekonstruktion vergangener Entwick-lung muß dazu dienen, Kausalbeziehungen für die Steuerunggegenwärtiger Prozesse besser zu erfassen. Nur so kann esmöglich werden, auch zukünftige Entwicklungen einiger-maßen abzuschätzen. Besondere Bedeutung hierbei gewinntdas Erkennen von Nettoeffekten verschiedener, zum Teil ent-gegengesetzt wirkender Einflußgrößen. Positive bzw. negativeRückkopplungen sind hierbei von besonderem Interesse, ins-besondere dann, wenn es sich um relativ rasche Veränderun-gen mit globalen Dimensionen handelt.

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PROF. DR. HORST KURT SCHMINKE

Laudatio

Ein Lob der sekundären Glitzerlosigkeit

Unter den Wirbeltieren ist die Gruppe, die wir uns als Fischezu bezeichnen angewöhnt haben, die artenreichste. HerrnHempels Karriere als Meeresforscher hat mit der Fischereibio-logie begonnen, und es liegt daher nahe, meine Ausführungenmit einem Blick auf diese Tiere zu eröffnen.

Während wir bei Vögeln und Säugetieren die Zahl und dieLebensweise der heute existierenden Arten relativ genau ken-nen, ist das bei den Fischen völlig anders. Den etwa 4.000Säugetierarten und 9.040 Vogelarten stehen 19.056 bekannteFischarten gegenüber. Während aber bei Säugetieren undVögeln im Jahr nur 2-3 Neuentdeckungen hinzukommen, sindwir bei den Fischen weit davon entfernt, alle existierendenArten einigermaßen vollständig erfaßt zu haben, geschweigedenn ihre Lebensansprüche zu kennen Da gibt es noch eineMenge vor allem in tropischen Flußsystemen und in der Tief-see, die bisher der Aufmerksamkeit der Wissenschaft entgan-gen sind. Viele davon werden aussterben wie überhaupt diemeisten heute lebenden Tierarten insgesamt, bevor sie je eineChance erhalten entdeckt zu werden, denn vor ihnen sind dieWissenschaftler ausgestorben, die ihre Einzigartigkeit undBedeutung hätten erkennen können. Die moderne Biologieeinschließlich der modernen Ökologie hält sich mit Artennicht auf, obgleich von deren Wohl viel für uns Menschen ab-hängt. Ein drastisches Beispiel liefert gegenwärtig der Victo-riasee in Afrika, wo mangelnde Artenkenntnis und davonbeeinflußte falsche Management-Entscheidungen zum Unter-gang einer einzigartigen Fischfauna von über 300 nur dort

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vorkommenden Arten und zum Zusammenbruch der gesamtentraditionellen lokalen Fischereiwirtschaft mit unabsehbarensozialen und kulturellen Folgen geführt haben.

Uns Menschen aber bleibt ein Trost. Was wir der Natur anVielfalt nehmen, fügen wir ihr teilweise als Produkt unsererPhantasie wieder hinzu. Damit komme ich zu einem ganzbesonderen Fisch, der erst 1992 beschrieben worden ist. Wieviele andere Erstbeschreibungen auch erschien diese an einerobskuren Stelle, nämlich in einem Kinderbuch. Vorgestelltwird ein Glitzerfisch, ein wahres Prachtexemplar, und überetwas ähnliches soll ich ja hier rühmend berichten.

Die Beschreibung des Fisches, den die meisten von Ihnenübrigens auf der Anstecknadel mit sich tragen, beginnt so:„Weit draußen im Meer lebte ein Fisch. Doch kein gewöhn-licher Fisch, nein. Er war der allerschönste Fisch im ganzenOzean. Sein Schuppenkleid schillerte in allen Regenbogen-farben.“ Es versteht sich von selbst, daß er von allen anderenFischen mit Bewunderung betrachtet wurde. DieBeschreibung dieses außergewöhnlichen Fisches erschiendeshalb in einem Kinderbuch, so vermute ich, weil der Fischzu einem Verhalten findet, das Kindern als Vorbild dienenkönnte, allerdings ganz normalen Kindern, nicht solchen, dieeine wissenschaftliche Karriere im Schilde führen.

Wer so im Mittelpunkt des Interesses steht, ist ein begehrterSpielkamerad. Kein Wunder also, daß sich die Aufforderun-gen der anderen häufen, mit ihnen zu spielen, doch unserFisch gleitet stumm und stolz an ihnen vorbei und läßt seinSchuppenkleid glitzern. Auch die Bitte eines kleinen Fisches,ihm doch eine Glitzerschuppe von den vielen abzugeben, dieer hat, stößt auf brüske Zurückweisung. Solche Verweigerungbleibt nicht ohne Folgen. Drohender Vereinsamung entgehtunser Fisch nur, indem er sich eines Besseren besinnt und sichvon seinen Glitzerschuppen zu trennen beginnt, zunächst nurvon den allerkleinsten, dann auch von den großen und schön-

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sten. Eine einzige bleibt ihm schließlich erhalten, aber Aner-kennung wird ihm zuteil und er avanciert zum Mittelpunkteines ansehnlichen Schwarmes, in dem jedes Mitglied miteiner prächtigen Schuppe glänzt.

So, nun ahnen Sie vermutlich, wie es in meiner Rede weiter-gehen wird, nämlich in zwei Abschnitten: 1. Hempel erwirbtsein Glitzerkleid, 2. Hempel als Verteiler von Glitzerschup-pen. Wer je einer Versammlung von Wissenschaftlern beige-wohnt hat, weiß, wie sehr es dort glänzt und glitzert. Einigezeigen stolz ihr erstes Schüppchen, andere sind ganz volldavon. Doch sieht man den Schuppen nicht an, woher siekommen. Einige haben mehr Schuppen, als sie selbst hervor-gebracht haben, andere sind trotz fleißiger Produktion immernoch fast kahl. Herr Hempel hatte über 70 Schüler und Schü-lerinnen, doch ganz selten hat er mit ihnen zusammen publi-ziert. Geht man die Liste seiner mehr als 150 Veröffent-lichungen durch, stößt man nur vereinzelt auf eine entspre-chende Co-Autorenschaft. Sein Glitzerkleid ist original. KeinSchiller-, nein wirklich ein reines Glitzerkleid.

Sein erstes Schüppchen erwarb Herr Hempel 1952 mit seinerDoktorarbeit in Heidelberg über die Energetik des Heuschrek-kensprunges und das Laufen großer und kleiner Insekten. Einzartes Blinken war schon unverkennbar, aber die Farben wur-den kräftiger, als Herr Hempel am damaligen Max-Planck-Institut für Meeresbiologie in Wilhelmshaven zum Fischerei-biologen heranreifte. Er stürzte sich in mühselige Unter-suchungen der Wirbelzahl verschiedener Heringspopulationenmit dem Ziel Rassen nachzuweisen, um Aussagen über diewirtschaftlich wichtige Zusammengehörigkeit der verschiede-nen Heringsbestände der Nordsee machen zu können. Dannfiel ihm auf, daß Heringspopulationen, die jahreszeitlichunterschiedlich ablaichen, sich in Eigröße und Fruchtbarkeitunterscheiden. Die Ökologie der Fischbrut bestimmte die For-schung der nächsten Zeit und war auch Gegenstand der inHamburg 1962 vorgelegten Habilitationsschrift. Inzwischen

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hatte die Ausstrahlungskraft des wissenschaftlichen Schup-penkleides so zugenommen, daß Herr Hempel einen Ruf andas Institut für Meereskunde in Kiel erhielt. Dort rückte diePopulationsdynamik von Fischbeständen als zentrales For-schungsthema in den Mittelpunkt seiner eigenen und derUntersuchungen derer, die sich als Schüler um ihn zu sam-meln begannen. Ziel dieser Untersuchungen waren Ertrags-vorhersagen und die Ausarbeitung von Befischungsstrategien.

Als Herr Hempel nach Kiel kam, waren die am Institut fürMeereskunde vertretenden Einzeldisziplinen wie z.B. Regio-nale Ozeanographie, Planktologie, Meeresbotanik,Meereszoologie noch relativ eigenständig. Ansätze zurZusammenarbeit zwischen ihnen waren vorhanden, aber daßdie Grenzen schließlich immer durchlässiger wurden, ist vorallem dem Einsatz von Herrn Hempel zu verdanken. Seineigenes Fach, die Fischereibiologie, ging so zunächst in derBiologischen Meereskunde und letztlich in derinterdisziplinären Meeresforschung auf. Erste Etappe diesesIntegrationsprozesses war der erste Kieler meeresbezogeneSonderforschungsbereich „Meer-Meeresboden“, dessen eineTriebfeder Herr Hempel gewesen ist und in dessen Rahmendie genannten Disziplinen mit der Meeresgeologie zu einerwissenschaftlichen Einheit verbunden worden sind. DieseKooperation ist sukzessive ausgebaut worden und hat zu denbeiden meereskundlichen Schwerpunktprogrammen derDeutschen Forschungsgemeinschaft „Auftriebsphänomene imMeer“ und „Antarktisforschung“ geführt, deren Sprecher HerrHempel in letzterem Fall bis vor kurzem gewesen ist. Soentstand eine fächerübergreifende Disziplin, die Meeres-kunde, die es vorher in Deutschland nicht gegeben hat. HerrHempel hat dann unermüdlich daran gearbeitet, dieserDisziplin das Ansehen und die Bedeutung zu verschaffen,derer es bedurfte, um höheren Ortes die Einsicht reifen zulassen, daß ihr Ausbau eine nationale Notwendigkeit ist.

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Unmerklich beginnen sich die Schwerpunkte zu verlagern,und die Produktion neuer Glitzerschuppen tritt zugunsten ihrerVerteilung allmählich zurück. Neue kamen noch auf denFeldern „Antarktischer Krill“ und „LebensgemeinschaftWeddellmeer“ hinzu. Herr Hempel war ein Wegbereiter undInspirator. Er griff mit feinem Gespür aktuelle Entwicklungenauf und verband sie dank seines Überblicks, seines multidiszi-plinären Verständnisses und seiner Fähigkeit zu übergreifen-der Synthese zu realisierbaren Konzepten. Es gab gelegentlichden Fall, daß andere Personen Teile vorgedacht hatten, aberden großen Entwurf waren sie schuldig geblieben. Ihr Stück-werk hätte nichts bewegt, erst die umfassende Synthese, diemehr ist als die Summe ihrer Teile, und die dazugehörigeBeharrlichkeit schafften, was kaum für möglich gehalten wor-den war. Die deutsche Meeresforschung mauserte sich vonden bescheidenen Anfängen nach dem Zweiten Weltkrieg zueinem international angesehenen und begehrten Kooperations-partner. Doch bis es soweit war, mußte eine moderne Infra-struktur und ein konkurrenzfähiges Wissenschaftspotentialgeschaffen werden. Daß dies gelang, ist vorrangig dem Ein-satz von Herrn Hempel zu verdanken. Moderne Meeresfor-schung ist kooperativ, multidisziplinär, international und glo-bal. Herr Hempel hat keine Mühen gescheut, die deutscheMeeresforschung auch international zu verankern. Auf demganzen Erdball ist er unterwegs gewesen. Intergalaktischallerdings wird er wohl nicht mehr tätig werden.

Seine Sporen verdiente er sich am Institut für Meereskunde inKiel, an dem er 14 Jahre tätig gewesen ist. Dann wurde erzum ersten Direktor des Alfred-Wegener-Instituts für Polar-und Meeresforschung ernannt. Bevor er nach Bremerhavenging, nutzte er noch den Trotz der Kieler, die fest damitgerechnet hatten, daß dieses Institut nach Kiel vergebenwürde, und die sich in ihrer Enttäuschung unter kräftiger Mit-hilfe von Herrn Hempel ihr eigenes Institut für Polarökologieschufen, das inzwischen übrigens von Herrn Spindler geleitet

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wird, der sich in Oldenburg habilitiert hat. Das Bremerhave-ner Institut, das von Herrn Hempel geplant und aufgebautworden ist, gewann unter seiner Leitung schnell internationa-les Ansehen und wurde in den Kreis der deutschen Groß-forschungseinrichtungen aufgenommen. Das Flaggschiff, die„Polarstern“, die weltweit ihresgleichen sucht, ist von HerrnHempel mit entworfen worden. Dabei kamen ihm die Erfah-rungen zugute, die er durch seine Beteiligung an der wissen-schaftlichen Konzeption anderer Forschungsschiffe wie„Poseidon“ und „Meteor“ gesammelt hatte. Nach 11 JahrenBremerhaven wurde Herr Hempel Gründungsdirektor desInstituts für Ostseeforschung in Rostock-Warnemünde, demnach seiner Vorstellung ein wesentlicher Anteil an den not-wendigen Forschungsbemühungen aller Anrainerstaaten zufal-len soll, die Ostsee als intaktes Ökosystem wiederherzustellenund zu erhalten. Vor seinem Weggang aus Bremerhavengründete er noch das Zentrum für marine Tropenökologie inBremen, dessen Gründungsdirektor er gleichfalls ist. Zieldieses Instituts ist die Kooperation mit Instituten in tropischenLändern der Dritten Welt zur ökologischen Untersuchung undzur Nutzung tropischer Küstengewässer. Fast wäre es ihmgelungen, auch noch ein Max-Planck-Institut mitzugründen.Seine Empfehlung an die Max-Planck-Gesellschaft, einmarin-ökologisches Institut einzurichten, hat seine Wirkungnicht verfehlt, und tatsächlich zur Gründung eines Instituts inBremen geführt, wenn auch mit anderer wissenschaftlicherSchwerpunktsetzung. Es gibt kaum ein meeresbiologischesInstitut in Deutschland, an dem Herr Hempel nicht gewirktoder das er nicht gegründet hat. Eines allerdings ist dasInstitut für Chemie und Biologie des Meeres in Oldenburg.Das haben wir Herrn Krumbein zu verdanken. Doch muß manhinzufügen, daß die Durchsetzung dieses Instituts ohne denBoden wohl unmöglich gewesen wäre, den Herr Hempelbereitet hat.

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Wer sich von der reinen Forschung entfernt, büßt bei denHochglanzfischen an Ansehen ein. Ich habe mich immergefragt, warum das so ist. Inzwischen meine ich den Grund zukennen, denn wer von seinen Schuppen abgibt, dessen Aus-sehen nähert sich wieder dem eines Anfängers. Damit kom-men wir zu einem Phänomen, das Stammesgeschichts-forschern wohl vertraut ist, anderen aber Wahrnehmungs-schwierigkeiten bereitet. In unserem Fall können wir von pri-märer und sekundärer Glitzerlosigkeit sprechen. Was derFachbereich Biologie an Herrn Hempel ehrt, ist die sekundäreGlitzerlosigkeit, denn sie setzt das Vorhandensein eines voll-ständigen Glitzerkleides voraus, doch dieses wurde nichtallein zum eigenen Ruhme eingesetzt, sondern zum Vorantrei-ben einer großen Sache von gesamtgesellschaftlicher Bedeu-tung, dem Ausbau der deutschen Meeresforschung. EinBegleiteffekt davon war, daß vielen Wissenschaftlern Arbeits-möglichkeiten eröffnet und sie so in die Lage versetzt wurden,große wissenschaftliche Leistungen zu erbringen.

Unter Glitzerfischen gilt die Meinung, Ansehen erwirbt mandadurch, daß man von vielen anderen zitiert wird. Wieerreicht man das? Man erreicht es z.B. dadurch, daß man eineneue Methode findet, die auch anderen hilft, neue Entdeckun-gen zu machen. Bei der Publikation jeder dieser neuen Ent-deckungen wird man unter den Zitierten sein. Man erreicht esaber auch dadurch, daß man ein Institut gründet, denn jedeVeröffentlichung eines Mitglieds dieses Instituts ist ein impli-zites Zitat des Gründers. So betrachtet wird Herr Hempel jähr-lich weit mehr als 100 mal, in fleißigen Jahren noch viel öfterzitiert. Nur sind diese Zitate nicht so offensichtlich und wer-den in keinem Buch geführt. Sekundäre Glitzerlosigkeit setztdemnach Größe voraus. Reine Glitzerfische bewegen nichtviel, obgleich sie nicht selten in hohe Positionen aufsteigen,doch letztlich sind sie nur an sich selbst und ihrer Sichtbarkeitinteressiert. Primäre Glitzerlosigkeit, so können wir zusam-menfassen, gibt, sofern erste vielversprechende Schüppchen

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vorhanden sind, Anlaß zu großen Hoffnungen. Ein vollständi-ges Glitzerkleid ziert seinen Träger, sekundäre Glitzerlosig-keit adelt ihn. Letztere erkennt man weniger am Träger selbst,als vielmehr am Verhalten der anderen ihm gegenüber. Ihmwird Respekt entgegengebracht, sein Rat wird gesucht undman vertraut seiner Führung. Wer Herrn Hempel je im Kreisevon Meeresforschern gesehen hat, weiß, wovon ich rede.

Wer Schuppen zu vergeben hat, hat nicht nur Freunde, dennes gibt immer welche, die leer ausgehen. Hier wäre einExkurs in die Soziobiologie der Glitzerfische angebracht, aberich will mich nicht verzetteln. So sehr es einleuchtet, daßnicht alle zum Zuge kommen können, so schmerzlich ist es,wenn man zu denen gehört, die sich zu kurz gekommenfühlen. Lassen Sie mich diesen Aspekt kurz am Beispiel einesBereiches abhandeln, für den ich mich auch zuständig fühle.Biodiversität ist ein aktuelles Schlagwort, und ich knüpfe andie Einleitung dieser Ausführungen an. Überall in der Weltregen sich Aktivitäten, die Vielfalt lebender Arten zuerfassen, bevor es zu spät ist. Im marinen Bereich bahnen sichinternationale Großprojekte an, doch anders als in den übrigenBereichen deutscher Meeresforschung gibt es in derSystematik kein vergleichbares wissenschaftliches Potential,und die notwendige Infrastruktur könnte kümmerlicher nichtsein. In der Einleitung habe ich angedeutet, welchekatastrophalen Folgen Ignoranz auf diesem Gebiet habenkann. Es wäre schön gewesen, wenn mehr für die Systematikunternommen worden wäre.

Doch kommen wir zurück zu unserem Glitzerfisch. Ich habeihn die ganze Zeit so genannt, obgleich er in dem Kinderbuchvon den anderen Fischen Regenbogenfisch gerufen wird. Ichbin schon gespannt auf den Vortrag von Herrn Hempel überWale. Sie wissen, es gibt eine Organisation, die sich geradefür den Schutz der Wale nachdrücklich engagiert und die denRegenbogen als Erkennungszeichen führt, und wer weiß, viel-

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leicht wohnen wir gleich der Verwandlung eines Glitzerpro-fessors in einen Regenbogenprofessor bei.

Ich bin am Ende meines Lobes der sekundären Glitzerlosig-keit, die das selten erreichte Endstadium eines vollendetenwissenschaftlichen Werdeganges ist, und Sie, die Sie dieserFeier beiwohnen, bewahren doch bitte die kleine Schuppe, diewir an Sie verteilt haben, sorgfältig auf, damit Sie sich nochlange an dieses Ereignis erinnern können.

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PROF. DR. GOTTHILF HEMPEL

Wale und Walfang

Die Oldenburger Polarbiologie

Der Carl von Ossietzky Universität und dem FachbereichBiologie danke ich für die hohe Ehre, die Sie mir mit derDoktorwürde erwiesen haben. Lobesworte sind gesprochenworden, deren Wahrheitsgehalt zu prüfen, mir als Befange-nem nicht zukommt. Wichtiger ist mir der Ausdruck persön-licher Verbundenheit, den ich besonders aus der glitzerndenLaudatio von Herrn Schminke heraushörte und den ich aus derAnwesenheit so vieler alter Freunde ablese. Mit großem Inter-esse folgte ich Herrn Tilzer auf seinen neuen Wegen zu neuenZielen der Polarforschung. Eine besondere Freude war dieMusik, eingeführt, geleitet und geblasen von Herrn KollegenWackernagel.

Wie Präsident Daxner und Spectabilis Janiesch sehe ich inallen festlichen Veranstaltungen eine Gelegenheit zu wissen-schaftspolitischem Werben. So will ich für die UniversitätOldenburg werben. Sie und besonders ihr Fachbereich Biolo-gie können heute stolz darauf hinweisen, daß sie Frühaufste-her waren. Bald nach Bekanntwerden des Beschlusses derBundesregierung im Dezember 1979, das Polarinstitut inBremerhaven zu gründen, haben die Oldenburger ihre Polar-biologie aufgebaut. Sie wurden dazu von der Bundesregierungermutigt, denn in der Begründung zum damaligen, heißum-kämpften Kabinettsbeschluß hieß es, man habe den StandortBremerhaven statt Bremen gewählt, damit neben derUniversität Bremen auch Oldenburg bereichert würde. Diegeographische Logik war zwar nicht offensichtlich, aberdarum scherten sich die Oldenburger nicht, sondern gingen

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ans Werk und ich machte gern mit, denn im Hinblick aufwissenschaftliche Kooperation neige ich zur Polygamie, sie istfruchtbar und anregend und hält ein Institut jung.

Die Oldenburger Biologen, angeführt von Herrn Schminke,dem spiritus rector auch dieser Veranstaltung, und HerrnWägele, haben sehr erfolgreich eine Nische in der Polarfor-schung besetzt. Sie griffen einen ehrwürdigen Themenkreiswieder auf und brachten ihn bezogen auf polare Meerestierezu neuer Blüte: Das, was man früher die „Naturgeschichte“nannte, jene Kombination von Taxonomie und Morphologie,Autökologie und Tiergeographie, Ontogenie und Phylogenie.Sie nutzten dabei die einmaligen Möglichkeiten, die ihnen die„Polarstern“ bot, um Tiere aus großen Meerestiefen der Pack-eiszone zu sammeln, sie untersuchten aber auch die antarkti-sche Flachwasserfauna. Sie quartierten sich dazu in ausländi-schen Stationen ein, von wo aus sie sich tauchend undfischend betätigten. Logistische und finanzielle Unterstützungnahmen sie, wo immer sie zu kriegen war, und damals warallerhand Geld zu holen z.B. bei der VW-Stiftung und ausdem Schwerpunktprogramm Antarktisforschung der Deut-schen Forschungsgemeinschaft. Fleißiger als viele anderehaben die Oldenburger publiziert und das galt sowohl für dieDoktorandinnen und Doktoranden als auch für die Professorenund Assistenten. Die von uns gegründete Zeitschrift „PolarBiology“ kriegte manches Manuskript aus Oldenburg mit zau-berhaft schönen Zeichnungen z.B. von Nacktschnecken odervon Borsten- oder Mundwerkzeugen antarktischer Asseln.Oldenburg wurde zum taxonomischen Prediger-Seminar, dasseine Jungpriesterinnen und -priester in alle Welt, ja sogarnach Kiel schickte, von wo Herr Schminke gekommen war.Wer hätte im Dezember 1979 gedacht, daß aus einem unlogi-schen Kabinettsbeschluß soviel sinnvolles Handeln erwachsenwürde.

Ich freue mich, daß wir heute Gelegenheit haben, den 15.Geburtstag der Oldenburger Polarbiologie zu feiern. Ich habe

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ebenso wenig Ehrenpromotions-Erfahrung wie der hiesigeFachbereich Biologie. Muß ich erneut akademische Eideschwören, daß ich die Wahrheit suchen und bekennen werde?Was soll ich tun, mich der Doktor-Ehre würdig zu erweisen?Da ich kein Taxonom bin, der zeitlebens neue Arten hervor-bringt, kann ich die wissenschaftliche Wahrheit kaum nochdurch eigene Primärforschung fördern, sondern ihr nur nochdurch Synopsen und Synthesen dienen. Ich kann einzelnenNachwuchswissenschaftlern helfen und Institute und Pro-gramme freundlich begutachten. Und ich kann warnen vorübereifriger Geschäftigkeit, vor Willfährigkeit gegenüber derdurch Medien geprägten öffentlichen Meinung, vor demÜbermut der Ämter und anderen Übeln, die einer angemesse-nen Entwicklung der Wissenschaft entgegenstehen. Muß ichauch Wissenschaftler warnen vor Selbstüberschätzung undüberzogenen Ansprüchen gegenüber Staat und Gesellschaft?Wenn man ins Altersstadium der Ehrenpromovierten eintritt,sollte man Selbstbescheidung lernen auch hinsichtlich derAufgaben, die man bewältigen möchte. Polarforschung, meinegroße späte Liebe, gehört nicht mehr zu diesen Aufgaben. Ichbin zu meinen Geliebten der sechziger Jahre zurückgekehrt,zur Tropenforschung als Teil der wissenschaftlichen Partner-schaft mit Ländern der Dritten Welt und zur Ostseeforschung,die ich nun von Warnemünde aus fördern kann.

Jeder Ehrendoktorand möchte ein Zeugnis seiner Dankbarkeitliefern: Ein ehrenpromovierter Wirtschaftler wird stiften, einPolitiker versprechen. Bei dem heute gefeierten Wissenschaft-ler hätte es zum Rigorosum nicht mehr gereicht. So habe ichdem Fachbereich drei Vortragsthemen angeboten. Wale undWalfang wurde gewählt, ein Feld auf dem ich nie gearbeitethabe. Ich bin mir bei meinen Ausführungen bewußt, daß nichtnur Biologen im Auditorium sitzen.

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Überblick als Einleitung

Ich beginne mit einem Abstract.

Das Studium der Warmblüter der Meere ist für den Evolu-tionsforscher, den vergleichenden Anatomen und Physiologensowie den Ökologen gleichermaßen interessant. Denn dieseTiere sind - nachdem ihre Vorfahren sich ans Landleben ange-paßt hatten - (reumütig) ins Meer, vor allem in die für einenWarmblüter thermisch besonders unwirtlichen Eismeerezurückgekehrt. Sie mußten sich an die aquatischen Bedingun-gen hoher Viskosität und thermischer Leitfähigkeit und aneine schwierige Sauerstoff-Versorgung anpassen, ohne ihrenanatomischen und physiologischen Bauplan grundlegendändern zu können. Am weitesten sind dabei die Wale gegan-gen. In der Gesamtbilanz des Weltmeeres sind sie als Konsu-menten, nicht als Produzenten von Bedeutung. Ihre Biomasseund ihr Nahrungskonsum sind beträchtlich, ihre Produktionaber klein. Entsprechend sind sie kurzfristig eine willkom-mene, leicht zu fangende Beute für den Menschen, ihr Dauer-ertrag ist aber niedrig. Und so gilt der Walfang als Paradebei-spiel für eine ausbeuterische Überbeanspruchung lebenderRessourcen. Darüber hinaus haben verschiedene Kulturen denWalen weitere Werte zuerkannt - sei es zur Errettung vonPropheten oder zum Transport jugendlicher Gottheiten. Inunserem Jahrhundert wurde der Gesang der Buckelwale beiden Flower-Kids zur Kultmusik.

Der Pottwal

Ich muß mich heute auf die Bartenwale in den Polarmeerenkonzentrieren, obwohl gerade die Zahnwale, wie Delphineund Tümmler der mittleren und niederen Breiten an Sinnes-und Schwimmleistungen sowie an Intelligenz denBartenwalen überlegen sind. Und der Pottwal ist eines derseltsamsten Geschöpfe der Erde. Wenn ein Pottwalbulle anunseren Küsten strandet, erregt er Neugier und Ehrfurcht,

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heute wie vor 300 Jahren. Sein Tauchvermögen, bis zu 90Minuten und in über 1.000 m Tiefe, ist einmalig. Unerklärtist, wie der Pottwal mit seinem unterständigen, schnabelartiggeformten Unterkiefer einen Riesentintenfisch fangen kann.Unerklärt ist auch, warum die alten, solitären Bullen, dieMoby Dicks, in hohe Breiten ziehen und ins flache Wasserder Schelfmeere geraten, während sich die Pottwalherdenansonsten in den offenen Ozeanen der niederen Breitenaufhalten.

Anpassungen

Die Rückkehr der Säugetiere ins Meer ist polyphyletischerfolgt und hat immer wieder zu ähnlichen Kompromissen beider Anpassung geführt. Die Homoiothermie, d.h. das Warm-blütigsein, und die Nutzung des Luftsauerstoffs als Atem-medium wurden unter großen Schwierigkeiten beibehalten.Die hohe Körpertemperatur sichert auch bei niedrigen Außen-temperaturen die volle geistige und physische Beweglichkeit -allerdings getragen von einem sehr energiehungrigen Stoff-wechsel, der einen reichen Gasaustausch über kräftig venti-lierte Lungen erfordert. Dem steht der Zwang zum Tauchenentgegen. Um als Luftatmer beim Tauchen mit wenig Sauer-stoff auszukommen, dürfen nur die lebenswichtigsten Organe- vor allem Gehirn und Herzmuskel - während desTauchganges durchblutet werden, muß die myoglobinreicheMuskulatur vorher stark mit O2 befrachtet werden. Sobald derWal an die Oberfläche kommt, muß ein sehr effektiverGasaustausch zwischen Gewebe, Blut und Lungenalveolenerfolgen, um das O2-Defizit der Muskulatur zu decken undCO2 abzuführen. Um der Caisson-Krankheit, d.h. demAusperlen von Luftstickstoff im Blut bei Dekompression, zubegegnen, darf während des Tauchganges nur relativ wenigLuft aus den Lungen und Luftsäcken ins Blut abgegebenwerden. Gegen Unterkühlung hilft ein günstiges Verhältnisvon Oberfläche zu Volumen - je größer und rundlicher das

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Tier, um so besser. Die Tiere schützen sich mit einemFettpanzer. Sie dürfen sich aber nicht zu warm anziehen: DieÜberhitzung bei Anstrengung ist eine ebenso große Gefahrwie die Unterkühlung, deswegen muß die passiveWärmedämmung durch aktive Wärmeregulation kompensiertwerden mit Hilfe variabler Durchblutung bestimmter Teile derPeripherie.

Lebensgeschichte

Wir kennen drei Lebensformtypen der Bartenwale: Die grün-delnden Grauwale mit kurzen Barten, die träge mit offenemMaul schwimmenden und dabei das Wasser mit langen Bartenfiltrierenden Glattwale, die einen über 50 cm dicken Fettpan-zer haben, so daß sie nach dem Tode an der Oberfläche trei-ben, und die schnell mit geschlossenem Maul schwimmendenFurchenwale, deren Blubber nur 10-20 cm dick ist. Sie schlür-fen ihre Nahrung, den Krill, in einem großen Wasserschwallauf, den sie dann durch die relativ kurzen Barten pressen. AlleWale sind ausgesprochene K-Strategen, ihre Fortpflanzungs-rate ist niedrig. Ihre soziale Geschlechtsreife tritt erst einigeJahre nach der physischen Geschlechtsreife ein, und dannsetzt die Blauwalkuh meist nur alle 3-7 Jahre ein Kalb, dasmindestens ein halbes Jahr gesäugt wird. Trotz dieser gutenVersorgung ist die Kindersterblichkeit relativ hoch. Manschätzt, daß eine Blauwalkuh im Verlaufe ihres 40-80jährigenLebens nur etwa 4-5 Kälber erfolgreich aufzieht. Die großenBartenwale sind Kosmopoliten - im Gegensatz zu den kleinenZahnwalen. Zwischen den Beständen der drei Ozeane findetüber das Südpolarmeer ein von Art zu Art unterschiedlichstarker Austausch statt, gelegentlich sogar zwischen der Nord-und Südhemisphäre. Den Bartenwalen ist gemeinsam, daß sieihre Nahrung meist in den polaren und subpolaren Meerensuchen. Dort ist die Nahrungssaison beschränkt - bei den naheder Eisrandzone fressenden Arten auf 100-130 Tage, anschlie-ßend wandern sie in die Subtropen und Tropen. Die anfangs

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schlecht isolierten Kälber sind auf warmes Wasser angewie-sen. Ein gutes Ortungs- und Schwimmvermögen ist für dielange Jahreswanderung erforderlich, aber auch um Futter-schwärme zu finden und dem Eis auszuweichen.

Die oberste trophische Ebene in den Polarmeeren besteht alsoaus Riesen mit langer Lebensdauer, später Fortpflanzung undsehr intensiver Brutpflege. Zwischen diesen Faktoren existie-ren positive Rückkopplungen, die zu einer starken und stabi-len Nutzung des Lebensraumes führen. Als Krillfresser findensie in den Polarmeeren einen reich gedeckten Tisch, der ihnenauch von Fischen kaum streitig gemacht wird, da diese meistbei 0° C Wassertemperatur annähernd an der Grenze ihrerAnpassungsleistung sind. Riesenwuchs ist nur bei hohenFutterkonzentrationen möglich. Im Meer mit seinem Phyto-plankton als Primärproduzenten lohnt sich Herbivorie füreinen Riesen nicht, er ist auf dichte Schwärme von Zooplank-ton, Krill oder Kleinfischen angewiesen, die ihrerseits meistPhytoplanktonfresser sind. Die dreigliedrige Nahrungskettevon den Diatomeen über Krill zum Wal bedeutet Riesen-schritte um 6-8 Zehnerpotenzen (bezogen auf das Gewicht)von einer trophischen Ebene zur nächsten. Aber weder Krillnoch Wal sind gute „Futterverwerter“. Nur wenig Energiewird zum Aufbau der Körpersubstanz verwendet, das meisteFutter wird „verbrannt“.

Walfang

Unangefochten standen die Bartenwale in den Polarmeeren ander Spitze der Nahrungspyramide, bis der Mensch kam - alsOber-Raubtier oder als Nahrungskonkurrent. Wie die Walesind die Fischer auf viel Beute bei kleinem Aufwand ange-wiesen, seien es Wale oder dichte Krillschwärme.

Walfang ist ein altes Gewerbe. Der europäische Walfangbegann im Mittelalter in der Biskaya, verzog sich dann nachNeufundland und Labrador, um sich im 17. Jahrhundert auf

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den Nordatlantik, die Gewässer Spitzbergens, Jan Mayens undOstgrönlands zu verlegen. In der ersten Hälfte des 18. Jahr-hunderts blühte der Walfang in der Davisstraße. Die nord-kanadischen Bestände konnten erst mit den dampfgetriebeneneisverstärkten Schiffen des 19. Jahrhunderts in großem Stilbejagt werden. Schließlich wurde es auch möglich, nicht nurdie trägen Glattwale zu jagen, sondern mit schnellen starkenBooten und Harpunenkanonen den Buckel-, Blau- und Finn-walen nachzustellen. Anfangs wurden die Wale um ihres Flei-sches willen gejagt, später als Öl- und Bartenlieferanten. Unsentsetzt heute, wie in der dreihundertjährigen Jagd auf dieGlattwale ein Bestand nach dem anderen beinahe ausgerottetwurde. Wir verdanken dem Walfang aber einen Teil der euro-päischen Zivilisation. Molière und Goethe dichteten vermut-lich bei Walöllicht und ihre Damen wurden mit Walbarten inForm gehalten. Erst das Erdöl und die Petrochemie konntendie Walprodukte als Leuchtstoff und Plaste ersetzen. In unse-rem Jahrhundert war Walöl lange Zeit eine wesentliche Kom-ponente der Margarine und half die Hungersnot der Nach-kriegsjahre in Europa zu lindern.

Der Walfang im Südpolarmeer begann 1904. Zwanzig Jahrelang wurde er von den antarktischen Inseln aus betrieben.Mitte der zwanziger Jahre wurden Walfangmutterschiffe mitHeckaufschleppe als schwimmende Fabriken eingeführt. Siewaren frei in ihrer Jagd, bis ab Mitte der 30er Jahre schritt-weise internationale Fangbeschränkungen eingeführt wurden.Bis zu 45.000 Blau- und Finnwale pro Saison wurden in denVorkriegsjahren gefangen. Bald nach dem Krieg ging die Jagdfast ungehemmt weiter. Die Buckelwale waren schon in denzwanziger Jahren aus dem Rennen, in den 30ern nahmen dieBlauwale drastisch ab, in den 50ern die Finnwale. Es folgtendie Sei- und vor allem die Zwergwale als neue Fangobjekte.Erst in den 60er Jahren kam es zu einschneidenden Schon-maßnahmen der Internationalen Walfangkommission. Die vonden Politikern ausgehandelten Quoten lagen aber immer weit

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über den von Wissenschaftlern empfohlenen. Der antarktischeWalfang wäre aufgrund der Knappheit an Walen als unrenta-bel zusammengebrochen, wenn nicht die Sowjetunion auchunwirtschaftliche Operationen im Rahmen ihrer Planwirt-schaft durchgeführt hätte und die Japaner Walfleisch umjeden Preis haben wollten.

Regulierung des Walfanges

Die Geschichte der Regulierung des Walfanges durchlief dreiPhasen mit unterschiedlicher Zielsetzung: Zuerst ging es umdie Stabilisierung der Preise, dann um die dauerhafte Optimie-rung der Fangerträge durch eine populationsdynamisch sinn-volle Bewirtschaftung der Bestände und schließlich um Natur-und Artenschutz, wobei die emotionale Zuwendung zu den„Riesen des Meeres“ eine besondere Triebfeder bildete. AbMitte der 70er Jahre wurde ein brauchbares Verfahren einge-führt, überbeanspruchte Bestände einzeln als solche auszuwei-sen und unter Schutz zu stellen. 1982 siegten die Naturschüt-zer in der Internationalen Walfangkommission. Sie verab-schiedete das nun seit 1986 wirksame weltweite Moratoriumfür den Walfang. Da sie aber die Möglichkeit einer künftigenNutzung der Bestände nicht ausschließen will, entwickelt sieals theoretische Vorarbeit verbesserte Bewirtschaftsungsstra-tegien anhand von Einarten-Produktionsmodellen. Bestands-zählungen und historische Datenreihen der Fänge liefern dieGrundlage für diese Berechnungen. Auch bei Aufhebung desMoratoriums dürften auf Grund dieses Verfahrens in absehba-rer Zeit keine Bartenwale außer einer begrenzten Anzahl vonZwergwalen gefangen werden. Das Moratorium kann aber erstdann aufgehoben werden, wenn das Revised ManagementScheme international verabschiedet worden und die weltweiteAbschätzung aller Walbestände abgeschlossen ist. 1944 wurdedas Schutzgebiet Südpolarmeer beschlossen, das an dasSchongebiet Süd-Indik anschließt.

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Die ökologischen Konsequenzen

Neben der Dynamik der Einzelbestände gilt es auch die öko-logischen Auswirkungen des Walfanges im Auge zu behalten.Früher waren die Wale zumindest in der Antarktis die wich-tigsten Krillkonsumenten, gefolgt von Robben und Pinguinen.Fische und Tintenfische haben nie große Krillmengen gefres-sen. Laws schätzte 1977 den Krillkonsum durch Warmblüterauf rund 150 Mio. t pro Jahr, während er für die Zeit vor derDezimierung der Walbestände etwa den doppelten Krillkon-sum annahm. Die quantitative Rolle der Wale im antarkti-schen Nahrungsnetz ist aber längst nicht so gut bekannt, wieLaws glaubte. Wir kennen weder die Größe der Bestände -besonders seit die Beobachtungen durch geschulte Walfängerweitgehend weggefallen sind, noch scheinen mir die Schät-zungen über den jährlichen Nahrungsbedarf verläßlich. Nie-mand kennt die tatsächliche Schwimmeffizienz und denWärmehaushalt eines Finnwales, d.h. den eines Tieres, dassich weitgehend der experimentellen Forschung entzieht. Ausder Differenz zwischen den angenommenen Krillkonsum-Werten vor und nach der großen Waljagd entstand das „Krill-Surplus“-Argument, mit dem wir eine großangelegte Krill-fischerei für ökonomisch stabil und ökologisch tragbarhielten, auch wenn die Robben und Pinguine inzwischeneinen Teil der Nahrungsnische übernommen haben. Vielleichtprofitierten auch die verbliebenen Wale von denAuswirkungen des Walfanges, insbesondere die damals nochnicht genutzten Bestände der Zwergwale. Inzwischen gibt eszumindest für die Grau-, Glatt- und Buckelwale Hinweise aufeine Erholung, auch nimmt der Blauwal im Nordatlantik zu.Es besteht also die Hoffnung, daß sich die großen Wale gegendie kurzlebigen Robben und Pinguine alsNahrungskonkurrenten durchsetzen.

Wie sieht der Walforscher eine direkte Nutzung des Krilldurch den Menschen? So wie der populationsdynamischgeschulte Biologe gegen einen beschränkten und kontrollier-

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ten Fang von Zwergwalen in der Antarktis keine guten Ein-wände vorbringen kann, so spricht auch wenig gegen die Ent-nahme von einigen Millionen Tonnen Krill, wenn sie fernabvon den Brutplätzen der Robben und Pinguine erfolgt undsoweit möglich die Wale auf ihren Weidegründen nicht belä-stigt.

Wenn wir aber aus dem Südpolarmeer annähernd sovielEiweiß pro Quadratmeter herausholen wollten wie aus derNordsee, müßten wir 100 Mio. t Krill fangen ohne Rücksichtauf die anderen Krillkonsumenten. Die Erholung der Blauwal-und vielleicht auch der Finnwal-Bestände würde dadurchernsthaft gefährdet, die Bestände der Krabbenfresserrobbenund Adélie-Pinguine (heute die bei weitem häufigsten Robbenund Pinguine der Welt) würden sicher schrumpfen, aber nichtverschwinden. Für eine großangelegte Krillfischerei bestehtheutzutage kein ökonomischer Anreiz, trotz der Eiweißlückenin weiten Teilen der Dritten Welt.

Jede dieser Aussagen scheint zwar wissenschaftlich plausibel,ihre quantitative Verläßlichkeit ist aber sehr beschränkt,zumal sich die Dynamik mariner Ökosysteme auf sehr unter-schiedlichen Raum- und Zeitskalen abspielt. UnterschiedlicheLebensdauer und Mobilität der einzelnen Glieder des Nah-rungsnetzes lassen diese in unterschiedlicher Weise auf Ereig-nisse, Fluktuationen und Trends reagieren. So können uner-wartete positive und negative Rückkopplungen eintreten.

Empfehlungen

Als Ökologe empfehle ich daher: Laßt das Südpolarmeermöglichst in Frieden, aber erforscht die Dynamik polarmari-ner Ökosysteme mit wissenschaftlicher Neugier, frei von vor-gefaßter, mythenbildender Meinung. Wenn dann unsere Kin-der oder Enkel darauf angewiesen sein sollten, die Weltfische-rei-Erträge stark zu vermehren, können sie hoffentlich auf derBasis besserer Kenntnisse brauchbare Entscheidungen fällen

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hinsichtlich einer dauerhaften Nutzung des Südpolarmeeres,notfalls einschließlich seiner Wale.

Ich sage „notfalls“ hinsichtlich der Wale, denn außerhalbmeiner Überlegungen als Fischereibiologe und Ökologe binich ein Kind meiner Zeit. Vor dreißig Jahren habe ich nüch-tern die Strategien für eine dauerhafte Nutzung der Walbe-stände gelehrt, genau wie das ein Wildbiologe für Hirsche undHasen macht. Heute schrecke ich davor zurück. Es ist nichtAngst vor den Grünen, sondern die Überzeugung, daß wirdiese herrlichen Geschöpfe nicht töten sollen, solange es nichtnotwendig - im wahrsten Wortsinne - ist. Diese Überzeugungsteht aber argumentativ auf schwachen Füßen, denn ein Finn-wal ist nur größer aber wahrscheinlich nicht intelligenter alsmanches andere Säugetier - und überhaupt, warum sollen wirgerade die Großen und Intelligenten schonen? Mir bleibt nureine unwissenschaftliche Antwort, die alle Argumente überden Haufen wirft:

Ich bewundere die großen Wale.

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Die Autoren

DR. JANIESCH, PETER (1941)

studierte Biologie, Chemie und Geographie.Nach der Promotion war er an der Westfälischen - Wilhelms-Universität in Münster als wissenschaftlicher Assistent imInstitut für Angewandte Botanik tätig. 1980 habilitierte er sichdort für Botanik mit einer ökophysiologischen Arbeit überErlenbruchwälder. 1982 folgte er einem Ruf an dieUniversität Oldenburg. Er ist Leiter der Abteilung fürPhysiologische Ökologie und Direktor des BotanischenGartens. Zur Zeit ist er Dekan des Fachbereichs Biologie.

DR. SCHMINKE, HORST KURT (1941)

Studium der Biologie und Romanistik in Kiel und Tübingen.Erstes Staatsexamen für das Lehramt an Höheren Schulen,Promotion und Habilitation im Fach Zoologie an derUniversität Kiel. Seit 1979 Professor für Zoologie (SpezielleZoologie) an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.Erster Dekan nach Gründung des Fachbereichs Biologie, 1.Vizepräsident (1982-1984) der Universität.

DR. TILZER, MAX (1939)

Prof., Dr. habil. Wissenschaftlicher Direktor des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, Bremer-haven (seit 1992).Studierte Biologie (Hauptfach Zoologie) an der UniversitätWien, Promotion 1967. Danach 6 Jahre Tätigkeit im Rahmendes Internationalen Biologischen Programms in einem Projektüber die Produktivität von Hochgebirgsseen (bis 1973). 1974 -

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76 Forschungstätigkeit am Lake Tahoe (Kalifornien - Neva-da). 1977-78 Tätigkeit am Institut für Ökologie der TU Berlin,ab 1978 Lehrstuhlinhaber für Limnologie an der UniversitätFreiburg, ab 1980 Universität Konstanz. Lehrtätigkeit inLimnologie, ökosystemorientierte Forschung am Bodensee.Teilnahme an vier Forschungsexpeditionen in den Antarkti-schen Ozean mit Untersuchungen über die Mechanismen zurSteuerung der Produktivität des Südpolarmeeres.

DR. HEMPEL, GOTTHILF (1929)

Prof. (em.) Dr. h.c. (Oldenburg)Direktor des Zentrums für Marine Tropenökologie, Bremenund des Instituts für Ostseeforschung, Rostock-Warnemünde1946-1952 Studium der Biologie in Mainz und Heidelberg.Wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg, Wilhelmshaven,Hamburg und Helgoland, 1963 Habilitation in Hamburg,1964-1966 UNESCO, Paris. Seit 1966 Professor an der Uni-versität Kiel.Vierzehn Jahre Leiter der Abteilung Fischereibiologie desInstituts für Meereskunde in Kiel, dann zwölf Jahre Aufbaudes Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschungin Bremerhaven. 1992 Gründung des Zentrums für MarineTropenökologie und Neustrukturierung der Meeresforschungin Warnemünde. Arbeitsgebiete: marine Fischereibiologie undPlanktonforschung, Förderung der internationalen Zusammen-arbeit in der Meeresforschung, besonders in den Entwick-lungsländern.


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