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Begleitmaterial Die Verwandlung - Theater Dortmund :: … · wendet sich ab. Gregor soll und kann...

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Materialien „Die Verwandlung“, KJT Dortmund, 2017-2018 1 Materialien zur Vor- und Nachbereitung Die Verwandlung Stück von Antje Siebers nach der Erzählung von Franz Kafka Herausgegeben von: Theater Dortmund / KJT Erika Schmidt-Sulaimon, Ilona Seippel-Schipper Theaterpädagogik und Dramaturgie Spielzeit 2017 / 2018 Theater Dortmund / KJT, Sckellstr. 5-7, 44141 Dortmund, Leitung: Andreas Gruhn
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Materialien zur Vor- und Nachbereitung

Die Verwandlung Stück von Antje Siebers

nach der Erzählung von Franz Kafka

Herausgegeben von: Theater Dortmund / KJT Erika Schmidt-Sulaimon, Ilona Seippel-Schipper Theaterpädagogik und Dramaturgie Spielzeit 2017 / 2018 Theater Dortmund / KJT, Sckellstr. 5-7, 44141 Dortmund, Leitung: Andreas Gruhn

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Inhaltsverzeichnis Begrüßung 3 Verhalten im Theater 3 Dramaturgischer Teil 4 Stückinhalt 5 Franz Kafka 5 Interpretationsansätze 4 Konzeption des Theaterstücks 6 Musik 6 Bühnenbild und Kostüme 7 Interview mit der Regisseurin Antje Siebers 8 Theaterpädagogische Vorbereitung 9 Themenbereiche der „Verwandlung“ 9 Mein rücksichtsloser Tag 9 Der Einbruch des Unheimlichen in die Welt der Familie Samsa 10 Von der Erzählung zum Theaterstück 11 Theaterpädagogische Nachbereitung 12 Nachgespräch: Auf alles eine gute Frage haben! 12 Assoziationen zum Bühnenbild 12 Gregor bleibt verborgen 13 Verfilmungen 13 Quellenangaben 15

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Begrüßung Mit den vorliegenden Materialien möchten wir Sie und Ihre Schüler mit Hintergrundinformationen und praktischen Anregungen zur Inszenierung „Die Verwandlung“ nach der Erzählung von Franz Kafka versorgen. Da zu Kafkas Erzählung, seinen Werken und zu seiner Person hinreichend Sekundärliteratur verfügbar ist, liegt der Schwerpunkt dieser Materialien auf der Konzeption unserer Inszenierung und der Bühnenfassung, die Regisseurin Antje Siebers auf der Basis von Kafkas Erzählung verfasst hat. Wir möchten Sie dazu ermutigen, sich mit ihren Schülern auch ganz praktisch mit dem Text und den Themenfeldern der "Verwandlung" zu beschäftigen. Anregung dazu finden Sie im theaterpädagogischen Teil dieser Materialien. Ergänzend zum Theaterbesuch bieten wir vor dem Besuch der Vorstellung szenische Einführungen an. Hier werden Besonderheiten der Inszenierung, wie Umgang mit dem Text oder die Spielweise, praktisch erprobt, Dauer: 1,5 Stunden, Ort: Workshopraum im KJT, kostenfrei. Kontakt: Erika Schmidt-Sulaimon, Mail: [email protected], Fon 0231-50 28 771 Um nach dem Besuch der Vorstellung noch mit beteiligten Akteuren zu sprechen, Eindrücke zu schildern, Fragen zu stellen, kann ein Nachgespräch angefragt werden. Dauer ca. 30 Minuten, kostenfrei. Kontakt: Lioba Sombetzki, Mail: [email protected], Fon 0231 50 22 416. Falls der letzte Theaterbesuch schon länger zurückliegt, möchten wir Sie darum bitten, mit den Schülern über die Besonderheiten des Kulturortes Theater zu sprechen und Ihnen die unten stehenden Verhaltensregeln zu vermitteln. Entscheidend aber für das Gelingen des Theaterbesuchs ist es, dass die Schüler sich auf das Bühnengeschehen einlassen und es auf sich wirken lassen. Nur so kann die eigene Phantasie in Gang gesetzt werden und es können sich individuelle Assoziationen einstellen, über die sich ein Austausch im Anschluss lohnt. Viel Freude am Ausprobieren und einen anregenden Theaterbesuch wünschen Erika Schmidt-Sulaimon und Ilona Seippel-Schipper, Theaterpädagogik und Dramaturgie Verhalten im Theater Während der Vorstellung: Respekt Anders als im Kino, wo das Erleben einseitig in den Zuschauersitzen stattfindet, lebt eine Theatervorstellung von der Kommunikation zwischen Schauspielern und Publikum. Die Schauspieler nehmen ihr Publikum sehr genau wahr und müssen bei jeder Vorstellung auf Lacher, Zwischenapplaus und anderer Reaktionen spontan reagieren. Gespräche mit dem Nachbarn, das Spiel mit dem Handy oder gar ein Telefonklingeln, eine raschelnde Bonbontüte oder Kaugummi-Kauen können eine Vorstellung erheblich stören. Deshalb braucht es Respekt auf Seiten des Publikums. Wer die Arbeit der Schauspieler respektiert, redet, trinkt, isst und telefoniert vor oder nach der Vorstellung und verlässt den Zuschauerraum während der Vorstellung nur im Notfall. Handys, I-Phones, MP3-Player und sonstige elektronische Geräte müssen ganz ausgeschaltet werden. Und am Ende: Applaus! Am Ende der Vorstellung verbeugen sich die Schauspieler. Das Publikum applaudiert. Mit dem Applaus zeigt man, dass man den Einsatz der Schauspieler wertschätzt. Man sagt: Der Applaus ist das Brot des Künstlers. D.h. auch wenn einem die Aufführung in Teilen nicht gefallen hat, spendet man Applaus. Natürlich kann man mehr oder weniger begeistert in die Hände klatschen, aber gar nicht zu klatschen ist respektlos.

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Dramaturgischer Teil Die Verwandlung Stück nach der Erzählung von Franz Kafka ab Klasse 9 Premiere am 22.09.2017 am KJT Dortmund Aufführungsdauer ca. 70 Minuten Regie: Antje Siebers Bühne und Kostüme: Oliver Kostecka Musik: Michael Kessler Dramaturgie: Ilona Seippel-Schipper Theaterpädagogik: Erika Schmidt-Sulaimon Regieassistenz: Christina Keilmann Gregor: Philip Pelzer Grete: Ann-Kathrin Hinz Dienstmädchen, 3. Herr: Thorsten Schmidt Mutter: Chris Nonnast Vater, 2.Herr: Andreas Ksienzyk Prokurist, 1.Herr: Rainer Kleinespel Herstellung des Bühnenbilds und der Kostüme in den theatereigenen Werkstätten am Theater Dortmund Stückinhalt An diesem Morgen ist nichts mehr, wie es war: Als der Handlungsreisende Gregor Samsa erwacht, hat er sich in ein Ungeziefer verwandelt. Er ist besorgt, dass er seiner beruflichen Tätigkeit nun nicht mehr nachkommen und seine Familie – bestehend aus Mutter, Vater und Schwester Grete – dann nicht mehr ernähren kann. Zunächst bringt die Familie Gregor Anteilnahme entgegen und Grete versorgt ihn. Doch mit der Zeit wird der verwandelte Gregor mehr und mehr als Belastung wahrgenommen und die Familie wendet sich ab. Gregor soll und kann sein Zimmer nicht mehr verlassen, er wird vom Familienleben isoliert. Eltern und Schwester haben inzwischen eine Arbeit gefunden und es wird an drei Herren untervermietet. Als Gregor eines Tages von den drei Untermietern entdeckt wird, kommt es zum Eklat. Die Mieter kündigen und die Familie ist sich einig: das Ungeziefer muss weg. Gregor stirbt noch vor Sonnenaufgang in seinem Zimmer. Die Erzählung endet mit einem Ausflug ins Grüne der verbliebenen Familienmitglieder. Man plant einen Neuanfang inklusive Umzug und Verheiratung von Grete. Die 1915 erschienene Novelle gehört zu Kafkas bekanntesten Texten. Das Ereignis der Verwandlung und das darauf folgende Verhalten der Familienmitglieder erfuhr eine Vielzahl von Deutungen. Das KJT bereitet den Stoff nun für ein jugendliches Publikum auf.

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Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 als erstes Kind von Julie und Herrmann Kafka in Prag geboren. Er wuchs mit den Schwestern Gabriele, Valerie und Ottilie auf. In der jüdischen Familie wurde deutsch gesprochen. Nach dem Abitur begann Kafka 1901 ein Jurastudium an der deutschsprachigen Karl-Ferdinands-Universität Prag. Im Rahmen des Studiums lernte Franz Kafka im Jahr 1902 den späteren Schriftsteller Max Brod kennen, es beginnt eine lebenslange Freundschaft. Brod war zu diesem Zeitpunkt bereits schriftstellerisch tätig und ermutigte Kafka, dessen Texte ebenfalls zu veröffentlichen. Kafka ließ sich jedoch Zeit damit. Erst nach Promotion, einjährigem Rechtspraktikum und Anstellung bei einer Versicherung, erschien 1908 sein Text Betrachtung in der Zeitschrift „Hyperion“. In den nächsten Jahren entstanden zahlreiche Briefwechsel, Romane und Erzählungen, darunter Der Verschollene, Das Urteil und Der Prozess. Franz Kafka vertraute jedoch nicht uneingeschränkt seinem Talent als Autor. Viele Werke blieben unvollendet und zu Lebzeiten unveröffentlicht. Zahlreiche Schriften wurden von Max Brod erst nach Kafkas Tod herausgegeben. Durch Kafkas kurzes Leben zogen sich große gesundheitliche Probleme und dadurch bedingt mehrfache Aufenthalte in Sanatorien und Kurorten. Kafka starb am 3. Juni 1924 an den Folgen einer Tuberkulose. … statt dessen habe ich mich seit jeher vor dir verkrochen, in mein Zimmer … (aus: Franz Kafka: Brief an den Vater, 1919) Interpretationsansätze Zum Umgang mit Kafkas Werken im Hinblick auf Interpretationen geht die Meinung innerhalb der Literaturwissenschaft auseinander. Einige vertreten die Ansicht, die Schriften stünden für sich und bedürften keinerlei Deutung und Suche nach autobiografischen Bezügen. Für andere ist klar, dass sich gerade durch Kafkas Biografie zahlreiche Deutungsmöglichkeiten ergeben. Max Brod – Kafkas Entdecker, Freund und Nachlassverwalter – zweifelte an, dass sich aus Kafkas literarischen und autobiografischen Selbstdarstellungen ein authentisches Bild seiner Persönlichkeit gewinnen lässt. Blickt man auf die „Verwandlung“, fallen einige Parallelen zu Kafkas Leben auf:

- Gregor Samsa und Franz Kafka haben/hatten ein gestörtes Verhältnis zu ihren autoritären und dominanten Vätern. Sie teilen die Sorge, den Erwartungen des Vaters nicht gerecht zu werden.

- beide sind unverheiratet - Gregor Samsa und Franz Kafka haben/hatten ein enges Verhältnis zu ihrer jüngeren

Schwester - die Nachnamen der beiden bestehen aus fünf Buchstaben, das A an der gleichen

Position: SAMSA – KAFKA Auch der Vorgang der Verwandlung lässt verschiedene Interpretationen zu. Es kann Gregors Negation jeglichen Funktionierens auf familiärer und gesellschaftlicher Ebene bedeuten. Er verweigert seine Rolle als Ernährer der Familie und als fleißiger Arbeiter. Seine Verwandlung zieht die Verwandlungen der Familienmitglieder nach sich. Vater und Mutter sind wieder in der Lage zu arbeiten und Grete wird von der sorgenden Schwester zu der Person, die als erste klarstellt, dass das „Ungeziefer weg muss“. Die Erzählung endet mit dem Satz: „Und es war ihnen wie eine Bestätigung ihrer neuen Träume und guten Absichten, als am Ziele ihrer Fahrt die Tochter als erste sich erhob und ihren jungen Körper dehnte.“

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Konzeption des Theaterstücks Kafkas Erzählung lässt sich gut als Theatertext lesen, denn durch die nüchtern sachliche Erzählweise wirken Passagen schon beim Lesen wie Regieanweisungen. Doch auch wörtliche Rede findet sich im Original. Diese hat die Regisseurin Antje Siebers auch in ihre Stückfassung der Erzählung eingebaut. Ihr war es wichtig, ausschließlich Kafkas Originaltext zu verwenden. Diesen hat sie gekürzt und bearbeitet. Erzählt wird bei Kafka aus der Perspektive Gregor Samsas, allerdings in der dritten Person. Siebers hat den Erzähltext den einzelnen Figuren zugeordnet. Das heißt, neben Gregor sprechen auch der Vater, die Mutter, Grete, der Prokurist, das Dienstmädchen, die Zimmerherren von sich selbst in der dritten Person. Beispiel: Vater: "Nun war aber der Vater ein zwar gesunder, aber alter Mann, der schon fünf Jahre nichts gearbeitet hatte und sich jedenfalls nicht viel zutrauen durfte." Einen weiteren Stückauszug, der den Umgang mit dem Originaltext verdeutlicht, finden Sie im Kapitel Theaterpädagogische Vorbereitung. Statt zweier Dienstmädchen gibt es in unserer Stückfassung nur eines. Ihr fällt in der Inszenierung zudem eine Erzählerfunktion zu, sie bewahrt sich den Blick von außen auf das Familiengeschehen. Dadurch dass das Dienstmädchen, "eine robuste Person mit dem Hang zur Extravaganz" (Zit. Antje Siebers), von einem Mann gespielt wird, wird der Inszenierung zudem ein skurriles verstörendes Element hinzugefügt. Musik Der Komponist und Musiker Michael Kessler verwendet Klänge und Variationen aus dem Streichquartetten des amerikanischen Komponisten Morton Feldmann (1926-1987). Feldmann war ein Zeitgenosse von John Cage und hat Minimal Music geschaffen. Sein zweites Streichquartett dauert 5 Stunden. Die Musik wird im Stück atmosphärisch eingesetzt. Michael Kessler hat aber auch 2 Texte Franz Kafkas zu Liedern vertont, die Kleine Fabel und Ausflug ins Gebirge. (siehe Liedtext unten und im Kapitel Theaterpädagogische Nachbereitung) Text zum letzten Lied: Der Ausflug ins Gebirge von Franz Kafka »Ich weiß nicht«, rief ich ohne Klang »ich weiß ja nicht. Wenn niemand kommt, dann kommt eben niemand. Ich habe niemandem etwas Böses getan, niemand hat mir etwas Böses getan, niemand aber will mir helfen. Lauter niemand. Aber so ist es doch nicht. Nur daß mir niemand hilft ---, sonst wäre lauter niemand hübsch. Ich würde ganz gern –-- warum denn nicht –-- einen Ausflug mit einer Gesellschaft von Niemand machen. Natürlich ins Gebirge, wohin denn sonst? Wie sich diese Niemand aneinander drängen, diese vielen quer gestreckten und eingehängten Arme, diese vielen Füße, durch winzige Schritte getrennt! Versteht sich, daß alle in Frack sind. Wir gehen so lala, der Wind fährt durch die Lücken, die wir und unsere Gliedmaßen offen lassen. Die Hälse werden im Gebirge frei! Es ist ein Wunder, daß wir nicht singen.« Diese Kurzprosa ist Anfang März 1910 entstanden. Veröffentlicht wurde sie im Dezember 1912 in der Prosasammlung Betrachtung (Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig).

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Bühnenbild und Kostüme Kafkas Darstellungsstil ist von einem Ineinander von Realismus und Phantastik, von Weltsinn, Vernunft und Beobachtunsschärfe geprägt. Aber auch Aberwitz, Absonderlichkeit, Abwegigkeit kennzeichnen sein Werk. Dadurch ergeben sich für unsere Inszenierung groteske, tragikomische, stummfilmartige Elemente. Sichtbar wird das bei der Ausstattung von Oliver Kostecka. Die Kostüme sind in einer schwarz-weiß-Ästhetik gehalten, die Maske ist expressiv. Im Zentrum des Bühnenbildes steht Gregors Zimmer, dargestellt als verkleinerter Raum, der sich perspektivisch verjüngt. Siehe auch Assoziationen zum Bühnenbild im Kapitel Theaterpädagogische Nachbereitung. Der Einsatz einer Live-Kamera schafft den Zugang zur Perspektive des "Ungeziefers". Beispiel: Die Verwandlung Gretes vom Mädchen zur Frau

Figurinen von Oliver Kostecka, Ausstatter

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Interview mit der Regisseurin Antje Siebers Was reizt Sie persönlich an der Inszenierung der "Verwandlung"? Kafka ist für mich einer der ganz großen Erzähler der Weltliteratur. Diesen atmosphärisch sehr dichten, vielschichtigen, symbolträchtigen Text zu dramatisieren, ohne ihm seine verstörende, erzählerische Qualität zu nehmen ist für mich eine reizvolle Herausforderung. Was ist für Sie das zentrale Thema in Kafkas berühmter Erzählung? Der Titel zieht sich leitmotivisch durch die gesamte Novelle. Nicht nur der zum größten Teil aus seiner Perspektive erzählende Gregor Samsa erlebt eine Metamorphose, sondern jede Figur seiner Familie erfährt eine Verwandlung durch das alptraumhafte Ereignis. Zudem ist es eine Geschichte über Ausgrenzung, über das Abhandenkommen von Identität, über Andersdenkende und über das Fremde – hochaktuell! Themen, die gerade auch Jugendliche und junge Erwachsene umtreiben. Was können Sie schon zum Bühnenbild verraten? Zur Ausstattung von Oliver Kostecka, mit dem ich schon seit vielen Jahren zusammen arbeite, möchte ich nur so viel verraten, als dass es keinen realistischen Raum geben wird, sondern einen Raum, der das Innen- und Außenleben des Gregor Samsa beherbergt, und einen Raum, der vom Rest der Familie bewohnt wird, aber so abstrakt gehalten bleibt, dass er dem erzählenden Part der Geschichte genügend Freiraum und Projektionsfläche gibt. Wird es Musik geben? Musik wird ein wichtiger Faktor sein, die rätselhafte Atmosphäre, aber auch die grotesken, komischen Momente einzufangen und zu bereichern. Der Komponist und Musiker Michael Kessler, mit dem ich ebenfalls schon viele Projekte zusammen gemacht habe, bearbeitet dafür Streichquartette (die Geige ist ein Motiv in der Geschichte) aus der minimal music und vertont auch weitere Kafkatexte. Gibt es etwas, in das Sie sich mal gerne verwandeln würden? Auf keinen Fall in ein Ungeziefer! Da ich mich im Rahmen der Vorbereitung auf dieses Projekt auch mit Psychogrammen und Mustern in der Familie beschäftige, würde ich mich vielleicht mal ganz gerne (kurzfristig!) in meine Tochter verwandeln, um die familiären Strukturen mal aus ihrer Perspektive zu betrachten. Da würde ich bestimmt einige Überraschungen erleben.

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Theaterpädagogische Vorbereitung Themenbereiche der "Verwandlung" Ausbeutung. Leistungsdruck. Erfolgszwang. Was ist ein Mensch wert, der nicht arbeitet?

Ausgrenzung, plötzlich nicht mehr dazugehören (zur Familie, zur Gesellschaft).

Aussteigen und Verweigerung der alltäglichen Pflichten in Familie und Beruf.

Veränderungen des eigenen Körpers und der eigenen Lebenssituation (Stichwort Pubertät).

Fremdheit gegenüber sich selbst und anderen.

Mein rücksichtsloser Tag "Der Teufel soll das alles holen", sagt Gregor Samsa über seinen Beruf als Vertreter einer Stofffirma. "Die Verwandlung" handelt auch vom Aussteigen aus dem normalen Alltagstrott, vom Widerstand gegen institutionelle und familiäre Zwänge. Schreibaufgabe: Stell dir vor, du musst auf nichts und niemanden mehr Rücksicht nehmen. Was würdest du tun, was würdest du lassen? Nutze den folgenden Satzanfang für einen eigenen Text. Schreibe in der dritten Person.

Als Eva Keiner [eigenen Namen einfügen oder Phantasienamen] eines Tages aus unruhigen Träumen erwachte, ...

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Probenfoto „Die Verwandlung, v.l. Mutter, Dienstmädchen, Vater, Grete, Prokurist.

Fotograf: Eduarth Szekely

Der Einbruch des Unheimlichen in die Welt der Famil ie Samsa Arbeit in Kleingruppen mit Präsentation Material: Fotoausdrucke Die Vorgeschichte zum Bild: Gregor muss früh morgens zum Zug. Er hat einen Geschäftstermin. Normalerweise ist er sehr gewissenhaft und pünktlich, doch heute kommt er nicht aus seinem Zimmer. Die Familie ist zunehmend besorgt. Der Prokurist, ein höherer Angestellter der Firma, kommt selbst, um zu schauen, warum Gregor nicht bei der Arbeit erscheint. Endlich schließt Gregor die Tür zu seinem Zimmer auf. Der Anblick Gregors löst bei seiner Familie, dem Dienstmädchen und dem Prokuristen die auf dem Foto eingefangene Reaktion aus. Was sehen sie? Spielaufgabe: Es werden Kleingruppen à 6 Schüler gebildet. Jede Gruppe erhält das obige Foto. In jeder Kleingruppe werden die Rollen verteilt: Mutter, Dienstmädchen, Vater, Grete, Prokurist. Ein Schüler übernimmt die Rolle des Regisseurs. Nun stellt jede Gruppe das Bild nach, die Körperhaltung und die Mimik der Figuren werden übernommen. Der Regisseur gibt Hinweise von außen. Dynamisierung: Sobald das Bild gestellt ist, darf jede Figur einen ausgedachten Satz, ein Wort oder einen Laut sagen, der zu der beschriebenen Situation passt. Variante: Zunächst sprechen alle Figuren gleichzeitig, dann einzeln hintereinander. Alle Kleingruppen präsentieren ihr dynamisiertes Bild. Bemerkung: Der Gehstock des Prokuristen kann durch einen Schirm, einen Besenstiel oder einen anderen Gegenstand angedeutet werden. Auch ohne Gegenstand ist es möglich, die Haltung des Prokuristen einzunehmen. Erklärung Prokurist: ein Angestellter mit besonderen Vollmachten, alle Arten von Rechtsgeschäften für den Betrieb vorzunehmen.

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Von der Erzählung zum Theaterstück Ein Beispiel für die Bearbeitung des Originaltextes durch unsere Regisseurin liefert dieser Auszug. Man findet ihn unbearbeitet in Kafkas Erzählung im zweiten Kapitel. Aufgabe: Die Schüler lesen den Auszug in verteilten Rollen. Was ist auffällig oder ungewöhnlich? Wie ist der Umgang mit dem Ursprungstext? Bemerkung: Der Text ist auf die Protagonisten der Handlung verteilt. Zum Teil gibt es direkte Dialoge (siehe Beginn des Auszugs). Dann aber sprechen die Figuren über sich selbst in der dritten Person. Grete: Möchtest Du ein Bier? Mutter : Ich hole es gerne! Du trinkst doch sonst immer gerne Bier... Ich hol dir auch eins aus dem Keller...dann ist es schön kühl... Vater: Nein! Gregor: Ton Alle erschrecken Vater: Schon im Laufe des ersten Tages legte der Vater die ganzen Vermögensverhältnisse und Aussichten... Dienstmädchen holt Kasse und bringt sie dem Vater Mutter: ...sowohl der Mutter... Grete: .. als auch der Schwester dar. Dienstmädchen : Hie und da stand er vom Tische auf und holte aus seiner kleinen Wertheimkassa, die er aus dem vor fünf Jahren erfolgten Zusammenbruch seines Geschäftes gerettet hatte, irgendeinen Beleg oder irgendein Vormerkbuch. Diese Erklärungen des Vaters waren zum Teil das erste Erfreuliche, was Gregor seit seiner Gefangenschaft zu hören bekam. Gregor: Er war der Meinung gewesen, daß dem Vater von jenem Geschäft her nicht das Geringste übriggeblieben war, zumindest hatte ihm der Vater nichts Gegenteiliges gesagt. Vater: Gregor allerdings hatte ihn auch nicht darum gefragt. Gregor: Gregors Sorge war damals nur gewesen, alles daranzusetzen, um die Familie das geschäftliche Unglück, das alle in eine vollständige Hoffnungslosigkeit gebracht hatte, möglichst rasch vergessen zu lassen. Mutter: Und so hatte er damals mit ganz besonderem Feuer zu arbeiten angefangen und war fast über Nacht aus einem kleinen Kommis ein Reisender geworden, der natürlich ganz andere Möglichkeiten des Geldverdienens hatte, und dessen Arbeitserfolge sich sofort zu Bargeld verwandelten, das der erstaunten und beglückten Familie zu Hause auf den Tisch gelegt werden konnte. Es waren schöne Zeiten gewesen. Vater: Man nahm das Geld dankbar an... Mutter: ...er lieferte es gern ab...

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Theaterpädagogische Nachbereitung Nachgespräch: Auf alles eine gute Frage haben! Moderne Theaterformen bebildern nicht, sie ermöglichen, dass Zuschauer eigene Bilder finden. Sie hinterlassen Fragen, aber auch ein Feuerwerk der Ideen und Assoziationen in den Köpfen. In jedem Kopf ein anderes Feuerwerk. Doch wie tauscht man sich darüber aus? Es ist eine Herausforderung, die sinnlichen und vielleicht widersprüchlichen Eindrücke in Worte zu fassen. Ein gutes Gespräch nach einem gemeinsamen Theaterbesuch braucht deshalb ein paar Voraussetzungen.

1. Es geht nicht um das Abfragen von Wissen. 2. Es geht um das Sammeln von Eindrücken und Meinungen. 3. Es gibt kein Richtig und kein Falsch. 4. Es werden offene Fragen gestellt, die mehrere Antworten zulassen. Was hast du

gesehen? Was denkst du dazu? 5. Antworten werden nicht korrigiert, sondern zur Diskussion gestellt: Was meinen die

anderen dazu? 6. Der Gewinn aus dem Gespräch entsteht aus der Vielfalt der Blickwinkel.

Am Ende wissen alle mehr – voneinander und vom Theater.

Assoziationen zum Bühnenbild Die kleine Fabel von der Maus oder der Hinweis im Stückauszug (s.u.) liefern Interpretationen zum Bühnenbild. Doch jeder Zuschauer hat seine eigenen Assoziationen. Es ist interessant, sich darüber auszutauschen. Aufgabe: Die Schüler sammeln zu der Frage: Was kann man in Gregors Behausung noch sehen? Zum Beispiel: Schachtel, Puppenhaus, Mausefalle Kleine Fabel von Franz Kafka »Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.« – »Du mußt nur die Laufrichtung ändern«, sagte die Katze und fraß sie.

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Abb Bühnenbildmodell (noch ohne Inhalt)

Dienstmädchen: Wer hatte in dieser abgearbeiteten und übermüdeten Familie Zeit, sich um Gregor mehr zu kümmern, als unbedingt nötig war? Der Haushalt wurde immer mehr eingeschränkt. Die größte Klage war aber stets, Grete macht Runde um Box entgegen Uhrzeigersinn daß man diese für die gegenwärtigen Verhältnisse allzu große Wohnung nicht verlassen konnte, da es nicht auszudenken war, wie man Gregor übersiedeln sollte. Aber Gregor sah wohl ein, daß es nicht nur die Rücksicht auf ihn war, welche eine Übersiedlung verhinderte, denn ihn hätte man doch in einer passenden Kiste mit ein paar Luftlöchern leicht transportieren können; was die Familie hauptsächlich vom Wohnungswechsel abhielt, war vielmehr die völlige Hoffnungslosigkeit und der Gedanke daran, daß sie mit einem Unglück geschlagen war, wie niemand sonst im ganzen Verwandten- und Bekanntenkreis. Gregor bleibt verborgen Kafka hat verfügt, dass es keine Abbildung von Gregor geben soll, gerade die Abwesenheit eines visuellen Eindrucks sei wesentlich für das Erfassen der "Verwandlung". Der Leser solle nicht voreingenommen sein durch Bilder. In der Inszenierung des KJT bleibt Gregor in seinem "Zimmer" hinter einer Gaze. Aufgabe: Jeder Schüler fertigt eine Skizze an oder beschreibt in einem Text, wie er sich Gregor als Ungeziefer vorstellt. Wie groß ist er? Danach findet ein Austausch in Kleingruppen statt. Welche Unterschiede zwischen den Phantasien fallen auf und gibt es Parallelen? Welche Anhaltspunkte hat die Theaterinszenierung für die verschiedenen Eindrücke geliefert? Verfilmungen In unserer Inszenierung spielt die Webcam in Verbindung mit Videoprojektionen eine wichtige Rolle. Es ist interessant, sich den Einsatz der subjektiven Kamera auch in der Verfilmung der "Verwandlung" von ZDF und ORF aus dem Jahre 1975 (Regie Jan Nemec) anzuschauen. Zu finden auf Youtube, Dauer 55 Min, mit türkischen Untertiteln. https://www.youtube.com/watch?v=eHVf2LSBHtU Der zum Ungeziefer verwandelte Gregor wird in dieser Verfilmung überhaupt nicht gezeigt, der Film zeigt das Geschehen vielmehr aus seiner Perspektive mit Hilfe einer subjektiven Kamera. Im Gegensatz zur Vorlage ist die Bedienerin ein junges Mädchen statt einer alten Frau.

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"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt." Interpreten raten dazu, den ersten Satz von Kafkas Erzählung nicht wortwörtlich zu nehmen, sondern Gregor weiterhin als Menschen zu sehen, und zwar als ein Opfer in einem Prozess starker Herabsetzung. Das folgende Kurzfilm-Beispiel macht die Aktualität der Erzählung deutlich: Die Handlung wird in diesem preisgekrönten Kurzfilm aus dem Jahre 2015 (Regie Igor Plischke) in ein modernes Start-up Unternehmen verlegt. Unter der Oberfläche aufgeschlossener und cooler Kollegen herrscht ein enormer Leistungsdruck. Diesem kann Gregor immer weniger standhalten. Die Angst davor zu scheitern und die immer spürbarer werdende Enttäuschung seines Chefs verfolgen ihn bis in den Schlaf. Begleitet von heftigen Kopfschmerzen schleichen sich wahnhafte Tagträume zunehmend in seine Wahrnehmung und verwischen langsam die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit. Trailer unter folgendem Link: https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/kurzfilm/verwandlung-igor-plischke-kurzfilm100.html

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Quellenangaben

Kafka, Franz: Die Verwandlung, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1986 Siebers, Antje, Stückfassung zur Erzählung „Die Verwandlung“ von Franz Kafka, für das KJT Dortmund 17/18

Kafka, Franz: Kleine Fabel, http://gutenberg.spiegel.de/buch/kleine-fabel-171/1

Abbildung Katze und Maus: http://www.lesemotivation.ch/pages/wp-content/uploads/1_22.png Kafka, Franz: Der Ausflug ins Gebirge, http://gutenberg.spiegel.de/buch/franz-kafka-erz-161/13

Kafka, Franz: Brief an den Vater, VITALIS Deutscher Buchverlag Prag, 1996 (verfasst 1919)

www.fischerverlage.de

www.zeit.de


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