Naturnaher Wasserbau bringt den Geschiebe-haushalt der Emme wieder ins Gleichgewicht
Tiefbauamt des Kantons BernOberingenieurkreis IV
Befreite Emme, lebendiger Fluss
Vor mehr als einhundert Jahren wurde damit
begonnen, den Lauf der Emme* mit grossem
Aufwand zu begradigen und über weite
Strecken zu kanalisieren (rechts). Durch diese
Korrektion und durch spätere Nacharbeiten
konnte die Hochwassergefahr erfolgreich ge-
bannt werden. Seither hat sich der Fluss aber
so stark eingetieft, dass die fortschreitende
Sohlenerosion die bestehenden Schutzbauten
gefährdet. Mit naturnahen Massnahmen wird
jetzt der Lauf der Emme schrittweise stabili-
siert und gleichzeitig revitalisiert. Sechs Vor-
haben (unten) wurden bereits ausgeführt bzw.
eingeleitet oder sind im Planungsstadium.
Inhalt
Aufweitung Altisberg Seiten 16 und 20
Aufweitung Aefl igen-Utzenstorf Seite 10
Aufweitung Winterseyschache Seite 14
Aufweitung Ranfl ühschache Seite 18
Aufweitung Aeschau-Horben Seite 13
Aufweitung Kirchberg-Lyssach Seite 20
Utzenstorf
Kirchberg
Burgdorf
Lützelflüh
Langnau i.E.
Eggiwil
Aare
Ilfi s
Solothurn Langenthal
Bern
Thun
* Seit Beginn der umfassenden Emmekorrektion im 19. Jahrhundert wird der insgesamt rund 80 Kilometer lange Flusslauf der Emme aus administrativen und organisatorischen Gründen in folgende fünf Sektionen aufgeteilt:
• Sektion Solothurn: Aaremündung bis Kantonsgrenze (km 0 – 6,470)
• Bern, I. Sektion: Kantonsgrenze bis Kirchberg/Burgdorf (km 0 – 14,250)
• Bern, II. Sektion: Kirchberg/Burgdorf bis Emmenmatt (km 14,250 – 34,240)
• Bern, III. Sektion: Emmenmatt bis Räbloch (km 34,240 – 54,380)
• Bern, IV. Sektion: Räbloch bis Kemmeriboden (km 54,380 – 65,650)
Emme, I. Sektion
Emme, II. Sektion
Emme, III. Sektion
Emme, IV. Sektion
Emme, Sektion Solothurn
Emmenmatt
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1
Liebe Leserin, lieber Leser
1987, also vor inzwischen 18 Jahren, begann für den Wasserbau an der Emme eine neue Phase. Damals legten die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich und das Geographische Insti-tut der Universität Bern (GIUB) die Ergebnisse einer Studie vor, die sie gemeinsam im Auftrag der Baudirektion des Kantons Bern (Tiefbau-amt, OIK IV) und des Baudepartements des Kantons Solothurn (Amt für Wasserwirtschaft) über das Einzugsgebiet und den Lauf dieses Flusses verfasst hatten. Das fächer- und grenzüberschreitende Vor-haben trug den visionären Namen «Emme 2050». Denn es zeigte, wie der aus dem Gleichgewicht geratene Geschiebehaushalt der Emme bis etwa zum Jahr 2050 stabilisiert werden kann – und das mit naturnahen Mit-teln und unter Ausnutzung der Kraft des Flus-ses selbst. Seither bildet die Studie «Emme 2050» die Grundlage für die Planungs- und Projektierungsarbeiten an der Emme. Gestützt auf diese wissenschaftlichen Erkennt-nisse – und ergänzt durch spätere Detailab-klärungen über Abfl uss und Geschiebe – sind inzwischen an der Emme sechs Einzelvorha-ben so weit gediehen, dass mit dieser Bro-schüre über das jeweilige Vorgehen und über erste Erfahrungen berichtet werden kann. Die hier dokumentierten Projekte zeigen, dass es beim Wasserbau längst nicht mehr nur darum geht, ein Gewässer mit allen Mitteln zu bän-digen. Zeitgemässer Wasserbau nimmt auch Rücksicht auf die vielfältigen Funktionen der Gewässer und sucht sie, wo immer es geht,
Die im Jahr 1987 vorgelegte Studie
«Emme 2050» zeigte, dass die proble-
matisch gewordene Sohlenerosion mit
Massnahmen unterbunden werden kann,
die sowohl den Geschiebehaushalt
stabilisieren als auch den Fluss aus
seinem engen Korsett befreien. Davon
profitiert nicht nur die Natur im und am
Wasser. Ein wiederbelebter Flusslauf
wird auch von vielen Menschen als
attraktiver und nahe gelegener Ausflugs-
ort geschätzt. Im Jahr 1988 machte eine
Kurzfassung (oben) der wissenschaftli-
chen Studie das neue Verbauungskon-
zept bei Betroffenen und Interessierten
bekannt. 1992 erschien eine aktualisierte
zweite Aufl age dieser Broschüre.
zu erhalten oder sogar wiederherzustellen. Gesucht werden deshalb auch an der Emme Lösungen, die dem Fluss vermehrt Freiräume gewähren, ohne aber dadurch den Hochwas-serschutz zu vernachlässigen. Der Wasserbau muss also vielen Ansprüchen genügen, und nicht immer sind die entspre-chenden Anstrengungen frei von Interessen-konfl ikten. Die hier vorgestellten Beispiele zeigen aber, dass solche Lösungen gefunden und umgesetzt werden können. Erfreulich ist, dass nach vollbrachter Arbeit eigentlich alle Betroffenen zufrieden sind. Kinder entdecken die Herausforderungen des fl iessenden Wassers, bauen Kanäle und Däm-me auf den Kiesbänken und plantschen im unterschiedlich tiefen Wasser. Erwachsene ge-niessen Spaziergänge am lebendiger gewor-denen Ufer und fi nden sich zum Grillplausch am Flussufer zusammen. Naturfreunde beo-bachten, wie Flora und Fauna die Flussland-schaft zurückerobern. Und als Vertreter einer kantonalen Behörde freue ich mich – ich gebe das gerne zu – über die überwiegend positi-ven Reaktionen, die den Prozess der Revitali-sierung der Emme begleiten.
Walter BrodbeckKreisoberingenieur Tiefbauamt, OIK IV
«Die Emme» als allegorische Flussnymphe
hält in ihrem rechten Arm den nie versiegen-
den Krug der Emmequelle (Ausschnitt aus dem
1733 von Johann Adam Riediger gezeichneten
Korrektionsplan der Emme bei Burgdorf).
Sohlenerhöhung durch frühe Verbauungen
Wassermassen und Geschiebefrachten
Die Emme hat zwei ganz verschiedene Gesich-ter. Monatelang bildet dieser Fluss bloss ein klägliches Rinnsal, das zwischen Kiesbänken plätschernd seinen Weg sucht. Aber die Breite des Flussbetts ist verdächtig. Plötzlich bricht die Emme los und kann zur Gefahr für Leib und Leben werden: «Grau und grausig auf-geschwollen durch hundert abgeleckte Berg-wände, stürzt sie aus den Bergesklüften unter dem schwarzen Leichentuche hervor, und in grimmigem Spiele tanzen auf ihrer Stirne hun-dertjährige Tannenbäume und hundertzentri-ge Felsenstücke, moosischt und ergraut.» Um die enorme Wucht zu begreifen, mit der sich
die Emme von Zeit zu Zeit durch ihr Tal wälzt, gibt es noch heute keine eindrücklichere Schil-derung als jene des wortgewaltigen Jeremias Gotthelf über die Wassernot im Emmental vom 13. August 1837.Besonders betroffen von solchen Ereignissen waren naturgemäss die Dörfer und Wohnstät-ten in den fl ussnahen Niederungen, in den so genannten Schachen. Ursprünglich hatten diese häufi g überschwemmten Talgründe einen breiten und dicht bewaldeten Puffer zwischen dem Flusslauf und den höher ge-legenen frühen Siedlungsgebieten gebildet. Doch schon um das Jahr 1400 haben sich Talbewohner in die Schachen vorgewagt, den Wald gerodet und Äcker, Wiesen oder Gärten angelegt. Jedenfalls belegt eine Urkunde aus dem Jahr 1417, dass es nach einem solchen Einschlag in den Schachenwald zwischen Has-le und Rifershüsere zu Streitigkeiten gekom-men sei. Das war beileibe kein Einzelfall. Nach den Seuchenzügen und Kriegswirren früherer
Zeiten wuchs die Bevölkerung rasch so stark an, dass das landwirtschaftlich nutzbare Land knapp wurde. Vor allem den armen Familien blieb nichts anderes übrig, als in die hoch-wassergefährdeten Schachen auszuweichen und dort ihre bescheidenen «Taunerhüsli» zu errichten. Diese an sich widerrechtliche Land-nahme von obrigkeitlichem Grundeigentum veränderte die Siedlungsstruktur im Emmental grundlegend: Im Laufe des 15. Jahrhunderts, spätestens aber im frühen 16. Jahrhundert gab es überall entlang der Emme Einschläge in die früher gemiedenen Flussufer. Um diese neuen Lebens- und Wirtschaftsorte wirksamer zu schützen, musste der wilde Fluss gebändigt werden. Seit den 1570er-Jahren haftete – als Gegenleistung für die Landnah-me – eine obrigkeitlich verordnete Schwellen-pfl icht als Reallast auf dem Uferland. Dieser Aufgabe waren aber die in den Emmenscha-chen wohnenden Menschen, die «Schäche-ler», nicht gewachsen. Zu bescheiden waren ihre Mittel, zu improvisiert die Massnahmen, zu wenig koordiniert das Vorgehen.
1525 1550 1575 1650 1675 1775175017251700
1569Das Trachselwalder Urbar (Güterverzeichnis)
auferlegt Schwellenpfl icht an Verursacher von Einschlägen im Schachenwald
1733«Geometrischer Plan des dissmahligen Emmen-Betts»
bei Burgdorf von Johann Adam Riediger(gestrichelte Linie zeigt eine geplante Begradigung)
16251600
1711Nach grossen Überschwemmungen
erlässt Burgdorf eine «Neuwe Ordnung» zum Schwellenwesen
Schwere Hochwasserschäden
entlang der Emme vor 1800
(Datenlage unvollständig)
1597Erster obrigkeitlicher Versuch, die Flösserei
auf der Emme zu unterbinden (auch wegen deran Uferverbauungen verursachten Schäden)
1766Umfassende Schwellen-
ordnung für dasAmt Trachselwald
1643Der Burgdorfer Burgermeister Jakob Fankhauser organisiert eine eigentliche Wasserwehr
3
erwünschte Sohlenerosion zu starke Sohlenerosion angestrebte Stabilisierung
205020252000
sich dieses Material ungehindert in der Fläche ausbreiten. Inzwischen war der Gewässer-raum aber stellenweise bereits so stark ein-gegrenzt worden, dass sich das Geschiebe zwischen den Verbauungen ablagerte und dort die Flusssohle erhöhte. Tatsächlich ge-lang es nach und nach, das Schwellenwesen besser zu ordnen. So galt seit 1710 für den Rüegsauschachen ein Schachenreglement, nach schlimmen Verwüstungen im Jahr 1711 wurde in Burgdorf eine «Neuwe Ordnung, die Reparation und köufftige Erhaltung der Emmen Wehrenen» erlassen, und aus dem Jahr 1733 stammt ein Plan zur Eindämmung der Emme zwischen Rüegsauschachen und Kirchberg (vgl. Abbildungen auf Seite 2). Generelle Gedanken über den Hochwasser-schutz machte man sich auch in den Kreisen der 1759 gegründeten Ökonomischen Gesell-schaft von Bern. Im Jahr 1762 schrieb sie eine Preisfrage zum Schwellenbau aus. Auf diese bemerkenswerte Weise wurden sichere und billige Methoden und Materialien gesucht, um Wildbäche und Flüsse in ihrem Bett zu halten und angrenzende Ländereien besser als anhin vor Überschwemmungen zu bewahren.
SchwellenordnungenKonkreter war die Schwellenordnung, die 1766 für das Amt Trachselwald erlassen wur-de. Die entsprechenden Reglemente schufen die Funktion von 12 Schwellenmeistern, die jeweils für einen bestimmten Flussabschnitt zuständig waren, und sie regelten detailliert die Schwellen- und Wehrpfl icht der Anstösser.
Zwei Jahre später wurde diese Verordnung auch in den Ämtern Burgdorf und Landshut in Kraft gesetzt. Durch die rastlosen Schwellen- und Damm-arbeiten waren die Emmeufer um das Jahr 1800 bereits über weite Strecken verbaut. Aber die einzelnen Werke standen in keinem Zusammenhang und zeigten deshalb nur be-dingt Wirkung. Es sollten allerdings noch Jahr-zehnte vergehen, bis dieser Erkenntnis auch entsprechende Taten folgten. Denn über die Auswirkungen von Korrektionsmassnahmen gab es schon damals höchst unterschiedliche Ansichten. Während man auf der einen Seite von einem begradigten Flussbett nichts als Übel erwartete, pries man es auf der ande-ren Seite als wirksamstes Mittel, um grosse Wassermassen schadlos abzuleiten und den Geschiebetrieb zu verstärken.Eine umfassende Korrektion der Emme wurde aber auch wegen fehlender Rechtsgrundlagen und Finanzen immer wieder vertagt. Erst das kantonale Wasserbaupolizeigesetz von 1857 und dann vor allem das Bundesgesetz über die Wasserbaupolizei von 1877 schufen die entsprechenden Voraussetzungen. Und in der Zwischenzeit erscholl noch häufi g der Emme Gebrüll – etwa 1837, während der «Wasser-not im Emmental».
1985 –1987Studie «Emme 2050»
über mögliche zukünftigeVerbauungskonzepte
19751950192519001875185018251800
1810Emme-Skizze
von H.C. Escher von der Linth
Schwere Hochwasserschäden entlang
der Emme seit 1800 (Schadensumme nach heu-
tigem Wert jeweils > 20 Millionen Franken)
SchwellenwerkDie einfachste Art des Schwellenbaus bestand im «Aahäiche». An der bedrohten Uferstelle wurde eine Tanne mit dem Giebel voran ins Wasser gestürzt und an der Strunkseite mit Ketten am Ufer angehängt. Neben solchen Streichschwellen, die dem Ufer folgten, wur-den auch quer zum Wasserlauf stehende «Trom- oder Grundschwelinen» angelegt, um aus der künstlich geschaffenen Stauung einen Mühle- oder Wässerbach zu speisen. Hinter den Streichschwellen sollte zudem strecken-weise ein Hochwasserdamm, der «Däntsch», das überbordende Wasser aufhalten. Doch allen Anstrengungen zum Trotz verwüs-teten tobende Fluten noch manches Heim und manchen Acker im Emmental. Aus dieser Not wuchs die Einsicht, dass individuelle und bestenfalls lokale Anstrengungen allein nicht genügten, um dem zügellosen «Eggiwilfuehr-me» erfolgreich zu wehren. Denn bei starker Wasserführung – namentlich nach heftigen Gewitterregen – transportiert die Emme im-mer auch viel Geschiebe zu Tal. Früher konnte
1837«Wassernot im Emmen-
tal» (Abfl uss bei Emmenmatt: 525 m³/s)
1886Einteilung der Emme auf bernischem
Gebiet in 4 Sektionen und Beginn der eigentlichen Korrektionsarbeiten
1857Wasserbau-
polizeigesetzdes Kantons
1939Einschränkung der
Entnahme von Bollen-steinen aus der Emme
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IK IV
(1)
Quellen:
F. Huber-Renfer: Die Emme und ihre Ufer (1941)F. Huber-Renfer: Die Besiedelung des Unter-Emmentals und seine Wassergrössen bis ins 16. Jahrhundert (1942) D. L. Vischer: Die Geschichte des Hochwasserschutzes in der Schweiz (2003) H.E. Minor & W.H. Hagen (Hrsg.): Flussbau in der Schweiz (2004)
Datengrundlage der Hochwasserereignisse: A. Gees & R. Weingartner (Gruppe für Hydrologie, Geographisches Institut der Universität Bern)
1877Wasserbau-
polizeigesetzdes Bundes
1990/1991Neue Wasserbaugesetze
auf Kantonsebene (WBG, 1990)und auf Bundesebene (WBG, 1991)
4
Die Einschwellung der Emme mochte bis Mitte des 19. Jahrhunderts zusammenhangslos und willkürlich erfolgt sein. Doch ganz vergebens seien die jahrhundertelangen Anstrengungen der Schachenbewohner und der betroffenen Gemeinden nicht gewesen. Das anerkannte jedenfalls Kantonsoberingenieur Emile Oscar Ganguillet – er war seit den 1870er-Jahren mit der Gesamtkorrektion der Emme betraut – in einem seiner Berichte: «Die Emme ist nicht mehr als ein ganz verwildeter Fluss anzuse-hen, zu dessen Bändigung bis anhin so viel als nichts gemacht worden oder bei welchem alle bisher für einen Uferschutz gemachten Anstrengungen erfolglos geblieben wären. Nein, es ist an der Emme viel gearbeitet wor-den und auch mit Nutzen.»Trotz der versöhnlichen Worte forderte Gan-guillet unerbittlich, dass die künftigen Ver-bauungen in einem Gesamtrahmen erfolgen müssen: «Die Gemeinden- und Schwellen-korporationen haben zwar längst die Zweck-mässigkeit eingesehen, die Emme enger zu dämmen, und haben von sich aus, ohne Be-willigung, die Uferlinie an einigen Stellen wei-ter in das Flussbett gerückt.»Aber sehr oft sei es dabei vor allem um den Landgewinn gegangen und nicht um den Hochwasserschutz, kritisierte Ganguillet: «Es tut Not, dieser Unordnung ein Ende zu machen und durch Aufstellung eines Korrektionsplanes sowohl die Richtung der Uferschwellen als das Normalprofi l des eigentlichen Flussbetts defi -nitiv festzustellen.» Ganguillets Worte hatten Gewicht, und an sich hätte das 1857 erlasse-
Begradigung und Eindämmung
ne Wasserbaupolizeigesetz des Kantons Bern – das «Gesetz zum Unterhalt und zur Kor-rektion der Gewässer und die Austrocknung von Möösern und anderen Ländereien» – den nötigen Handlungsspielraum gegeben. Doch noch immer fehlte es im Kanton Bern an Geld für umfassende Massnahmen. Dagegen nahm der Kanton Solothurn die Arbeiten in seiner Sektion bereits 1871 auf. Dort beteiligten sich allerdings industrielle Wasserkonzessionäre und die Eisenbahn an den Kosten. Erst das im Jahr 1877 auf eidgenössischer Ebene verabschiedete Wasserbaupolizeige-setz und die Vollzugsverordnung von 1879 änderten die Situation. Denn nun konnte der Bund fi nanzielle Unterstützungen an die Kan-tone leisten. Dadurch ging es auch mit der Projektierung der Emmekorrektion endlich vorwärts. Am 22. September 1883 reichte der Kanton Bern ein Subventionsgesuch für die Korrektionsarbeiten in der I. Sektion ein; am 6. Juni 1884 folgte ein Subventionsgesuch für die II. Sektion. Beide Gesuche wurden rasch bewilligt, und so konnten die Arbeiten in den unteren Sektionen schon bald aufgenommen werden. Für die III. Sektion folgte die erste Subventionsvorlage dagegen erst 1898, für die IV. Sektion 1906.
Ganguillets KonzeptGleichmässige Begradigung und Eindämmung des Flusses, dadurch erhöhte Transportkapa-zität, somit allmähliche Eintiefung der Sohle (was gleichbedeutend war mit verminderter Hochwassergefährdung). So lässt sich Gan-guillets Konzept zusammenfassen, das der Korrektion zugrunde lag. Die entsprechenden Verbauungen wurden grundsätzlich in zwei Phasen ausgeführt. Zuerst wurde mit Streichschwellen und so ge-nannten Bindern (Querwerken zwischen dem alten und dem neuen Ufer) die vorgesehene Lage und Breite des neuen Flusslaufs festge-legt. Diese Bauwerke dämmten den Bereich zwischen dem alten und dem neuen Ufer so weit ein, dass er durch die Geschiebeverlage-rungen während nachfolgender Hochwasser weitgehend von selbst verlandete. Erst in ei-ner späteren Phase wurden schliesslich auch die Hochwasserdämme entlang der Emme nach bestimmten Bauvorschriften erneuert und erhöht.Wohl beanspruchte die Korrektion auf diese Weise sehr viel Zeit, doch bei den damaligen Mitteln der Bautechnik war dieses Vorgehen weit weniger aufwändig als der künstliche Aushub eines neuen Querschnitts. Die Ver-bauungsarbeiten wurden jeweils an den am meisten gefährdeten Stellen aufgenommen, und Jahr für Jahr konnten einige Kilometer vollendet werden. Diese lange Dauer hatte aber auch einen gewichtigen Nachteil: Die grossen Hochwasser von 1891 und 1910 zer-störten verschiedene Neuanlagen.
Streichschwellen Binder
5
Geschiebetrieb und Sohlenerosion
Mit der Anlage von Streichschwellen
und Bindern wurde das Mittelwasser-
profi l der Emme eingeengt und begradigt
(links), aber nicht ausgehoben. Denn im
neuen Hauptgerinne nahm die Transport-
leistung zu, und entsprechend erodierte
der Fluss mehr Geschiebe. Auf natürliche
Weise legte die Emme dadurch die Sohle
ihres Hauptgerinnes allmählich tiefer.
Doch die Erosion stoppte nicht dort, wo
das Flussprofi l den Idealvorstellungen ent-
sprach. Vielmehr ging der Erosionsprozess
weiter und bedroht seither die Schutz-
und Uferverbauungen (rechts).
Ganguillet hatte die neue Flussbreite so ge-wählt, dass die Emme ihr Hauptgerinne selber ausräumte und dann vertiefte. Damit eine Kor-rektion auf diese Weise gelingen kann, müs-sen Flussbreite und Querprofi l in einem genau berechneten Verhältnis zum Gefälle stehen: Ist die Breite von Ufer zu Ufer zu gross, so win-det sich das Wasser von einer Seite zur ande-ren und lässt dabei sein Geschiebe liegen; ist das Bett jedoch zu schmal, so schneidet sich der Fluss viel zu tief und viel zu rasch ein. Deshalb legte Ganguillet in seinen Richtplä-nen für die Emme, deren durchschnittliches Gefälle von Emmenmatt bis zur Kantonsgren-ze von 7,3 ‰ auf 4,1 ‰ abnahm, unterschied-liche Breiten für das Hauptgerinne fest: • 40 m von Emmenmatt bis Zollbrück;• 36 m von Zollbrück bis Kirchberg;• 30 m von Kirchberg bis zur Kantonsgrenze.
Planmässige AusschwemmungDurch die Korrektion nach Ganguillets Richt-plänen gelang es offenbar auf Anhieb, eine natürliche Absenkung des Hauptgerinnes zu erreichen: Der begradigte und eingeengte Flusslauf der Emme bewirkte grössere Was-sertiefen und erhöhte Fliessgeschwindigkei-ten, wodurch die Transportkapazität auf das erwünschte Mass anstieg und der Fluss sein Gerinne selbst ausräumte und vertiefte. Teure Aushubarbeiten waren somit kaum nötig.Durch die natürliche Verlandung auf beiden Seiten wurde nach und nach auch das ange-strebte Doppelprofi l erreicht: Das abgetiefte Hauptgerinne war – und ist – ausreichend
Emile Oscar Ganguillet (1818 –1894) war
von 1858 bis kurz vor seinem Tod Ober-
ingenieur des Kantons Bern. In dieser
Funktion prägte er zahlreiche Brücken-
und Wasserbauten. Dazu gehörte die
Korrektion der Emme, die nach den von
ihm ausgearbeiteten Richtplänen (unten,
Flussplan von 1883) ausgeführt wurde.
bei normaler und mittlerer Wasserführung, während die überfl utbaren und durch Hoch-wasserdämme begrenzten Vorländer auch eine aussergewöhnlich starke Wasserführung bewältigen können. Diesem Prinzip folgten die Verbauungsarbei-ten von der Ilfi smündung bei Emmenmatt bis hinunter zur Kantonsgrenze. Dagegen wurde oberhalb des Zusammenfl usses von Emme und Ilfi s kein Doppelprofi l angestrebt, son-dern nur ein einfaches Abfl ussprofi l ohne Vor-länder und Dämme. Die Hochwassersicherheit für das umliegende Gebiet wurde auf diesem obersten Abschnitt ausschliesslich durch die Ausschwemmung der Flusssohle erreicht. Die Emme trug also mehr Geschiebe ab, als ihr aus den Seitenbächen zugeführt wurde. Damit war das gesteckte Ziel erreicht worden. Doch schon bald zeigte sich, dass die Erosionsleis-tung auch ein Ausmass annehmen konnte, das Leitwerke und Böschungen unterkolkte. Mit der Zeit wurden deshalb massive Inter-ventionen nötig, um die anfangs erwünschte Sohlenerosion in Grenzen zu halten.
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Geschiebedefi zit und Sperrenbau
Das Geschiebe, das die Emme mitführt, kommt zum grössten Teil aus ihrem oberen Einzugsgebiet. Hohgant, Schrattenfl uh und Brienzergrat liefern kantige Kalksteine, und aus den Abhängen von Napf, Blasenfl uh und Rämisgummen – den Nagelfl uhserien der mit-telländischen Molasse – stammen gut gerun-dete Gerölle. In den engen und steilen Gräben der Seiten-bäche sammelt sich das verwitterte und nach-gerutschte Material über Jahre hinweg an. Normalerweise kann ein kleinerer Seitenbach die grösseren Steine nicht bewegen. Schwillt er aber nach einem heftigen Gewitter an, hat das Wasser bald einmal genügend Kraft und transportiert auch kopfgrosse Steine Meter um Meter dem nächstgrösseren Gerinne zu.Ursprünglich wurde ein Teil davon bis in die Emme eingetragen, und ihre Hochwasser be-förderten das Geschiebe weiter – wiederum Meter um Meter. Viel davon blieb irgendwo im Flussbett liegen und erhöhte allmählich die Sohle.
Negative GeschiebebilanzDie Situation änderte sich mit der durchge-henden Begradigung und Eindämmung des Flusslaufs. Die Transportkapazität stieg so stark an, dass der Fluss vermehrt Geschiebe abräumte und seine Sohle wieder tiefer legte. Einfl uss auf die Geschiebebilanz der Emme hatten aber nicht nur die Korrektionsarbeiten an ihrem eigenen Gerinne. Zwei weitere Fak-toren unterstützten die vorerst erwünschte Absenkung der Sohlenlage: Zum einen trug
Mit Querwerken (Sperren) musste an man-
chen Stellen das Gefälle verringert werden,
um die Transportkapazität zu mindern und die
über das erwünschte Mass hinaus fortschrei-
tende Sohlenerosion einzugrenzen. Die ersten
Sperren wurden aus Holz gebaut, später
folgten vorwiegend Schienenwehre oder
Spundwände mit Betonkronen (oben links),
und in jüngerer Zeit wurden auch fi schgängige
Blocküberfälle (oben rechts) geschüttet.
der fortschreitende und ab 1890 auch staat-lich subventionierte Verbau vieler Seitenbä-che dazu bei, dass die Geschiebezufuhr in die Emme immer kleiner wurde; zum anderen wurde die vorhandene Geschiebemenge an verschiedenen Lokalitäten durch Kies- und Sandentnahmen massiv reduziert.
GegenmassnahmenSchon bald zeigte sich aber, dass die Erosion auch zu stark werden konnte, wenn der Fluss insgesamt zu wenig Geschiebe mitführte. So vertiefte sich die Sohle unterhalb der Ilfi smün-dung schon wenige Jahre nach den Korrek-tionsarbeiten um mehr als zwei Meter. Zum Schutz von Pfeilern der dort über die Emme führenden Eisenbahnbrücke musste deshalb bereits 1897/98 eine erste Sohlenfi xierung mit Querwerken – so genannten Sperren – vorge-nommen werden.Diese Gegenmassnahme gegen die überbor-dende Sohlenerosion blieb kein Einzelfall. An immer neuen Stellen im Flusslauf musste inter-veniert werden, um zu starke Eintiefungen des Gerinnes aufzuhalten, und bis in die 1980er-Jahre wurden rund 80 weitere Sperrenbauten errichtet. Eine weitere Massnahme gegen die problematisch gewordene Sohlenerosion war die Einschränkung des Kies- und Sandabbaus im gesamten Einzugsgebiet der Emme.
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Studie «Emme 2050»
Trotz kostspieligem Sperrenbau und spürba-rer Reduktion der Geschiebeentnahmen tief-te sich die Emme weiter ein und gefährdete Uferverbauungen, Kanalzuläufe und ältere Sperrenbauten. Eine weitere Folge der fort-schreitenden Sohlenerosion wirkte sich nach-teilig für die Landwirtschaftsbetriebe und die Grundwasserfassungen entlang der Emme aus: Je tiefer der Lauf der Emme sank, umso tiefer lag der Grundwasserspiegel. Auch die Fischereikreise machten sich zu-nehmend Sorgen um den Zustand der Emme. 1982, nach einer umfassenden Beurteilung der Situation, legten sie einen entsprechenden Bericht* vor. Unter anderem forderten sie, das bisherige Korrektionskonzept grundsätzlich zu überdenken. Die für den Wasserbau an der Emme verant-wortlichen Fachstellen – das Tiefbauamt des Kantons Bern und das Amt für Wasserwirt-schaft des Kantons Solothurn – nahmen diese Anregung auf. Doch mit welchen Massnahmen liess sich das Hauptproblem, das offensichtli-che Ungleichgewicht im Geschiebehaushalt der Emme, korrigieren? Diese Frage stand im Mittelpunkt eines Auftrags, den die beiden Fachstellen 1985 erteilten und der gemeinsam von der Ver-suchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich und dem Geographischen Institut der Universität Bern (GIUB) übernommen wurde.
Nach umfassenden Vorarbeiten über die
Verhältnisse im gesamten Einzugsgebiet
wurden die Auswirkungen unterschiedlicher
Massnahmen mit dem speziell für die Emme
entwickelten Computerprogramm MORMO
durchgerechnet. Dieses «MOR-phologische
MO-dell» simuliert die in einer bestimmten
Flussstrecke vorhandene Geschiebetransport-
kapazität: Tieft sich die Emme weiterhin ein,
bleibt sie im Gleichgewicht, oder erhöht sie
sich gar durch Geschiebeaufl andungen? Seit
Abschluss der Studie «Emme 2050» wurde
dieses Computermodell weiterentwickelt und
projektbezogen eingesetzt. Die Grafi k zeigt
die Sohlenveränderungen von 1982 bis 1996
zwischen Lyssach und der Kantonsgrenze.
Quelle: Hunziker, Zarn & Partner AG
LyssachBätterkinden Aefl igenUtzenstorf
Aufweitung 1. Etappe1991/92
Kiesentnahmebis 1994
+ 0,50 m
– 0,50 m
– 1,00 m
Sohlenveränderungen 1982 –1996 im Verhältnis zur Sohlenlage von 1982
km 2 km 4 km 6 km 8 km 10 km 12 km 14
gemessenberechnet
Sohlenlage1982
km 0
0,00 m
* Fischerei-Pachtvereinigung Emmental: Zustand der Gewässer im Emmental. Leitideen zu einem umfassenden Schutz unserer Gewässer (1982)
Grundlagen...Von der Symptombekämpfung zur Ursachen-bekämpfung – auf diesen Nenner lässt sich die Ausgangslage bringen, die der Studie zu-grunde lag. Entsprechend galten die Untersu-chungen nicht nur dem Fluss selbst, sondern den Verhältnissen im gesamten Einzugsgebiet der Emme. Denn der anzustrebende Gleichge-wichtszustand ist nicht nur abhängig von der Form des Emmebetts. Genauso wichtig sind die Abfl ussverhältnisse und die Geschiebe-bilanz, und diese wiederum werden geprägt von einer ganzen Reihe von Rahmenbedin-gungen: den Niederschlagsverhältnissen, dem Umfang der Kulturlandentwässerungen (Me-liorationen), der Waldfl äche, dem Ausmass der Bodenversiegelung, den Kiesentnahmen aus dem Fluss und den Verbauungen in den Seitenbächen.Auch zeitlich musste der Rahmen weit ge-steckt werden. Einerseits wurde der Blick weit in die Vergangenheit gerichtet, weil das heu-te dominierende Verbauungskonzept seine Wurzeln im 19. Jahrhundert hat. Andererseits wurde als Zeithorizont für die Beurteilung
möglicher Massnahmen das Jahr 2050 ge-wählt. Dieser Zeithorizont gab der Studie den Namen: «Emme 2050».
...und PrognosenIm Rahmen der Studie «Emme 2050» wurde die Flussstrecke zwischen der Einmündung des Rötenbachs (bei Flusskilometer 44 im ber-nischen Teil der Emme) bis zur Mündung in die Aare erfasst. Die Güte von Prognosen ist aber nicht nur ab-hängig davon, wie präzise die grundlegenden Daten sind. Entscheidend ist auch, wie aus-sagekräftig diese Daten in Modellrechnungen umgesetzt werden können. Ein wichtiger Schritt war deshalb die Entwick-lung und Eichung eines entsprechenden com-putergestützten Simulationsprogramms. Das morphologische Modell MORMO (vgl. oben) lieferte schliesslich die geforderten Progno-sen für den Zeitraum bis 2050. Was passiert in der Emme, wenn gar nichts gemacht würde? Welche Auswirkungen hätte ein erhöhter Ge-schiebeeintrag? Und vor allem: Welche Mass-nahmen werden empfohlen?
8
Mehr Raum der Emme
Wird ein kanalisierter Flusslauf (Grafi k oben)
aufgeweitet, dann löst das je nach Gefälle,
Abfl ussregime, Geschiebemenge und Querpro-
fi l unterschiedliche Prozesse aus. Entscheidend
ist vor allem, dass sich in einem verbreiterten
Gerinne die Transportkapazität vermindert.
Denn das fl iessende Wasser kann sich über
eine grössere Fläche verteilen und verliert so
an Kraft. Dadurch bleibt innerhalb der Aufwei-
tung mehr Geschiebe liegen, und es wird – zu-
mindest vorübergehend – weniger Geschiebe
weiterbefördert: Die Sohle landet auf, bis die
Transportkapazität im aufgeweiteten Bereich
derjenigen im engen Gerinne entspricht.
Im Laufe der Zeit bilden sich im Flusslauf
wieder natürliche Muster – es entstehen
Verzweigungen und Kiesbänke, es gibt Still-
wasser und Rückstrombereiche, es hat wieder
Platz für Auengewächse. Je nach Breite, Länge
und Anordnung (Grafi k links) einer Aufweitung
werden sich die Veränderungen unterschied-
lich rasch und stark einstellen. Doch gemein-
sam ist ihr mehrfacher Nutzen:
• Aufweitungen heben die Sohle eines ero-
dierenden Flusses innerhalb und oberhalb
des entsprechenden Abschnitts an und
mindern dadurch die Erosionstendenz;
• Aufweitungen fördern naturnahe Gerinne-
formen mit ganz unterschiedlichen Fliess-
bedingungen;
• Aufweitungen begünstigen vielfältige
Lebensräume im und am Wasser;
• Aufweitungen werten eine Flusslandschaft
als Naherholungsgebiet auf.
Das Ziel ist, die Sohlenerosion und damit die weitere Eintiefung des Flussbetts zu unter-binden, ohne eine gegenläufi ge Entwicklung – also eine übermässige Aufl andung und Er-höhung der Sohle – einzuleiten.Grundsätzlich könnte die Erosionstendenz durch eine weitere Verdichtung des Sperren-systems stabilisiert werden. Dazu wäre aber der Bau von mindestens 80 neuen Sperren zwischen Eggiwil und der Mündung in die Aare nötig. Dass es auch anders ginge, zeigten die Er-gebnisse der Studie «Emme 2050»: Die pro-blematisch gewordene Sohlenerosion liesse sich auch mit Massnahmen unterbinden, die sowohl den Geschiebehaushalt stabilisieren als auch dem Fluss mehr Freiräume gewähren. Denn in einem breiteren Bett fl iesst das Was-ser langsamer. Dadurch hat es weniger Kraft und transportiert weniger Geschiebe.Bauliche Eingriffe werden auch bei diesem Vorgehen unumgänglich sein. Zudem müs-sen die Tendenzen des Geschiebetransports aufmerksamer verfolgt und berücksichtigt werden. Doch von jeher war es die Kunst des Flussbaus, die natürlichen Tendenzen des Ge-schiebetransports und der Gerinnebildung so weit es geht auszunützen. Bereits Ganguillets Konzept zeugt davon, und in dieser Bezie-hung folgen die Ergebnisse der Studie «Emme 2050» diesem Vorbild: Die vorgeschlagenen Massnahmen sollen den Lauf der Emme mit möglichst wenigen Eingriffen – und vor allem unter Ausnutzung der Kraft des Flusses – wie-der ins Gleichgewicht bringen.
MöglicheAnordnung:
EinseitigeAufweitung
BeidseitigeAufweitung
Wechselseitige Aufweitung
Hochwasser-schutzdämme
Ausgangslage
9
Für das erste Projekt an der Emme bei Aef-
ligen-Utzenstorf (Foto links) hat sich wegen
seiner ursprünglichen Form der Übername
«Birne» eingebürgert. So griffi g dieser Name
auch sein mag: Sonderlich zutreffend ist er für
eine mehrere hundert Meter lange Flussver-
breiterung eigentlich nicht. Deshalb wird heu-
te in der Fachwelt von Gerinneaufweitungen
gesprochen, die je nach Situation einseitig,
beidseitig oder wechselseitig erfolgen kön-
nen (vgl. Grafi ken). Solche Massnahmen, die
auch eine bewusste Revitalisierung ehemals
verbauter Gerinne umfassen, sind das Resultat
einer veränderten Wasserbau- und Hochwas-
serschutzphilosophie, die verstärkt natürliche
Eigenschaften und Prozesse einbezieht und die
den Gewässern wieder mehr Raum gibt.
BeidseitigeAufweitung
EinseitigeAufweitung
Wechselseitige Aufweitung
10
km 8
.400
km9.
000
Beidseitige Aufweitung Aefl igen-Utzenstorf
BauherrschaftSchwellenverband Emme, I. SektionGemeinden Aefl igen, Utzenstorf
Einleitung Initialphase1991/92 (1. Bauetappe)1998/99 (2. Bauetappe)
Projektlänge530 Meter
HauptarbeitenEntfernung des bestehenden Uferschutzes; Materialumlagerung aus dem Vorland ins Hauptgerinne; Einbau von Leitwerken aus Na-tursteinblöcken (als Schutzmassnahme gegen unkontrollierte Seitenerosion).
ZugangVon Aefl igen aus zu Fuss links- oder rechtssei-tig der Emme entlang bis zur Aufweitung.
Aefligen
1. Bauetappe
2. Bauetappe
Blockverbau
Einlaufsicherung aus Natursteinblöcken
Längsleitwerk aus Natursteinblöcken
Hochwasserdamm
100 m Vorland
Hochwasserdamm
Vorland
Uferlinie bis 1991
Utzenstorf
11
Die umfangreichen Korrektionsarbeiten im 19. Jahrhundert bändigten und begradigten den Lauf der Emme über weite Strecken. Auch unterhalb von Aefl igen fl oss die Emme seither eingezwängt in einem engen Bett Richtung Utzenstorf, mehr Kanal als Fluss. Immerhin blieben die rund 40 Meter breiten Vorlän-der beidseits des Gerinnes dicht mit Hecken, Laubhölzern und Fichten bestockt, bis hin zu den Hochwasserdämmen, die hier beidseits je etwa zweieinhalb Meter aufragen. Trotz vieler Querverbauungen senkte sich die Emme auch in diesem Abschnitt im Laufe der Zeit an manchen Stellen weit über das Ideal-mass hinaus ab. Das galt insbesondere für den Bereich zwischen den Flusskilometern 8,100 und 9,250. Dort brachen Uferverbauungen ein, und von Unterspülung bedroht waren auch die bestehenden Sperren. Ohne Gegen-massnahmen hätte sich die Emme am Fuss der Sperre beim Flusskilometer 9,250 bis zum Jahr 2050 um weitere zwei Meter abgesenkt. Es war also höchste Zeit, in diesem Abschnitt für ein ausgeglicheneres Gefälle der Emme zu sorgen, um dadurch die Schleppkraft zu dros-seln und die Sohlenerosion zu unterbinden. Auf konventionelle Weise hätte sich dieses Ziel durch den Einbau von drei neuen Sperren erreichen lassen. Doch die Resultate der 1987 vorgelegten Untersuchungen im Rahmen der Studie «Emme 2050» zeigten, dass dieses Ziel auch durch unkonventionelle Massnahmen erreicht werden konnte – durch Massnahmen, die wesentlich naturnaher sind als der Bau weiterer Sperren.
Zur Debatte standen eine einseitige*, eine beidseitige* oder eine wechselseitige* Auf-weitung. Nach einer eingehenden Prüfung der Situation stand aber bald einmal fest, dass zwischen Aefl igen und Utzenstorf eine beid-seitige Aufweitung das Mittel der Wahl ist.
GrundlagenarbeitNach diesen grundsätzlichen Überlegungen ging es darum, das neue Konzept im Rahmen
eines konkreten Projekts zwischen den Fluss-kilometern 8,385 und 8,655 umzusetzen und in der Praxis zu testen. Doch noch fehlten manche Grundlagen für die eigentliche Pro-jektierung. Deshalb baute die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich kurzum ein eigenes Stück Emme im Massstab 1: 55 nach und tes-tete in einem hydraulischen Experiment, wie eine solche Aufweitung im Detail dimensio-niert werden musste.Die Versuchsresultate waren überzeugend. Durch eine beidseitige Aufweitung konnte die Sohlenerosion offensichtlich begrenzt und die Sohlenlage auf einem günstigeren Niveau als zuvor stabilisiert werden. Das war eine ganz wichtige Erkenntnis. Von Belang war aber auch noch die Frage, wie sich die neue Mass-nahme im Falle eines Hochwassers bewähren würde. Auch dazu lieferte das hydraulische Experiment vielversprechende Erkenntnisse. Das Land neben dem betreffenden Flussab-schnitt wäre genauso hochwassersicher wie bisher. Denn an den bestehenden Hochwas-serschutzdämmen würde eine Aufweitung nichts ändern, und zwischen den vorgese-henen seitlich gestaffelten Leitwerken und den Hochwasserschutzdämmen bliebe eine Sicherheitszone bestehen.
PilotprojektBereits im Sommer 1990 liessen sich die Abge-ordneten des zuständigen Schwellenverbands und die Vertreter der beiden Anliegergemein-den von den Modellversuchen überzeugen
Durch die Aufweitung entwickelte sich un-
terhalb von Aefl igen ein überaus einladender
Flussabschnitt (links). 1991 begannen die
Arbeiten an diesem pionierhaften Projekt
(rechts aussen). Zuvor wurde an der VAW ein
Stück Emme im Massstab 1:55 nachgebaut,
um in einem hydraulischen Experiment die
theoretischen Überlegungen und Berechnun-
gen zu überprüfen. Der Modellversuch nahm
vorweg, was später in der Natur tatsächlich
geschehen sollte: Nach und nach verzweigte
sich der Lauf der Emme, begrenzt durch die
seitlichen Leitwerke, und die Sohle stabilisier-
te sich wie erwünscht. Die Fotos rechts zeigen
den Beginn (oben) und den Abschluss (unten)
dieses hydraulischen Experiments.
Doc
umen
ta N
atur
a (1
); Fr
ank
(1);
TBA
-OIK
IV (
2)
* Zu Beginn des Projekts wurden für diese Anordnungen die Begriffe gleichmässige Verbreiterung, lokale Verbreiterung bzw. gewundener Ausbau verwendet.
12
und sprachen sich für eine entsprechende Sa-nierung aus – und damit auch für die Wieder-herstellung einer naturnahen Flusslandschaft unterhalb von Aefl igen. So konnte bereits Ende 1991 mit den ent-sprechenden Arbeiten begonnen werden. Be-stehende Uferverbauungen wurden entfernt, und auf einer Länge von 270 Metern wurden beidseits des Gerinnes knapp 15 Meter Vor-land abgetragen und ins Flussbett geschüttet. Der Lauf der Emme wurde dadurch verbreitert und angehoben. Grenzenlose Freiheit hat das Wasser dennoch nicht. Seitlich gestaffelte Leitwerke im gelegentlich überschwemmten Schachenwald schützen vor einer allzu mas-siven Ausuferung (und damit auch vor Seiten-erosion an den Hochwasserdämmen), und das untere Ende der Gerinneaufweitung ist durch ein trichterförmiges Einlaufwerk gesichert. Ansonsten soll der Fluss arbeiten und sich seinen natürlichen Lauf wieder selbst suchen. Innerhalb der beidseitigen Aufweitung, die 1999 in einer zweiten Bauetappe um 260 Meter verlängert wurde, kann das Wasser nun frei mäandrieren und neue Nischen und Abfl usswege bilden. Nach jedem höheren Wasserstand sieht der Lauf der Emme deshalb wieder etwas anders aus. Unterhalb von Aefl igen ist damit ein Stück wertvolle Auenlandschaft geschaffen worden. Selten gewordene Tiere und Pfl anzen fanden dort neue Lebensnischen. Auch als Naherho-lungsgebiet erfreut sich die attraktive Fluss-landschaft entlang der beidseitigen Aufwei-tung inzwischen grosser Beliebtheit.
Die in zwei Etappen ausgeführte Aufweitung
zwischen Aefl igen und Utzenstorf im April
1992 (oberes Bild), im Juli 1995 (mittleres Bild)
und im November 2004 (unteres Bild).
Innerhalb der beidseits verlaufenden Hoch-
wasserdämme hat der Fluss ein Stück Auen-
landschaft gebildet, in dem auch Geschiebe
abgelagert wird. Einerseits ist damit an dieser
Stelle das wasserbauliche Hauptziel – die Sta-
bilisierung der Flusssohle – erreicht worden.
Andererseits wurde eine naturnahe Fluss-
landschaft geschaffen, ohne dass dadurch der
Hochwasserschutz in Frage gestellt würde.
Doc
umen
ta N
atur
a (3
)
km 41.000
13
Beidseitige Aufweitung Aeschau-Horben
Auch im Oberlauf der Emme ist die Sohlenero-sion im Laufe der Zeit an manchen Stellen zu einem Problem geworden, etwa im Abschnitt zwischen der Horbenbrücke und Aeschau. In diesem Bereich hatte sich das Flussbett inner-halb von sechs Jahrzehnten – zwischen 1931 und 1990 – stellenweise um mehr als zwei Meter abgetieft. Diese massive Sohlenveränderung schädigte bestehende Ufersicherungen, Sperren und Brückenfundamente, und je tiefer die Sohle der Emme absank, umso tiefer sank auch der Grundwasserspiegel im benachbarten Talbo-den. Das spüren nicht nur die Bauern, die das Land entlang der Emme bewirtschaften: Es wirkt sich auch nachteilig aus auf die gros-se Grundwasserfassung im Ramseischachen. Von dort bezieht die Bevölkerung der Stadt Bern seit dem Jahr 1906 einen bedeutenden Teil ihres Trinkwassers, und eine weitere Ab-senkung des Grundwasserspiegels gefährdet den geregelten Betrieb dieser wichtigen Infra-strukturanlage. Eine Sanierung dieses Flussabschnitts drängt sich also auf, und entsprechende Projektie-rungsarbeiten sind eingeleitet worden. Doch ausgeführt werden konnte bislang erst eine Aufweitung ein Stück oberhalb des Ramsei-schachens, bei Horben. Dadurch entwickelte sich hier eine lebendige Flusslandschaft, und auch das wasserbauliche Ziel wurde erreicht. Aktuelle Messungen zeigen, dass sich die Sohlenlage der Emme in diesem Bereich in-zwischen stabilisiert hat und stellenweise hö-her liegt als vor Baubeginn im Jahr 1994.
Eggiwil
100 m
BauherrschaftSchwellenkorporation EggiwilSchwellenkorporation Signau
Erstellung1994
Projektlänge550 Meter
HauptarbeitenAbtrag der bestehenden Böschungen und Aufweitung des Flussbetts; Sicherung des Böschungsfusses mit Natursteinblöcken und durch ingenieurbiologische Verbauungen (Fa-schinenwalzen und Weidenspreitlagen).
ZugangVon einem kleinen Abstellplatz an der Strasse Aeschau–Eggiwil sind es nur wenige Schritte bis zum Flussufer.
Uferlinie bis 1994
Im Bereich der Aufweitung Aeschau-Horben
bieten aufgebrochene Uferlinien, Stillwasser
und eine üppig spriessende Ufervegetation
vielfältige Lebensräume im und am Wasser.
Faschinenwalzen
Blockverbau
Fran
k
Signau
14
Einseitige Aufweitung Winterseyschache
Die Flusslandschaft zwischen Hasle und Ober-burg ist heute nicht mehr dieselbe wie noch vor wenigen Jahren, und sie wird sich weiter verändern: Mit einer vorerst einseitigen und später möglicherweise beidseitigen Aufwei-tung soll auch hier die Sohlenlage stabilisiert, die Sohlenstruktur verbessert und die Uferbe-pfl anzung aufgewertet werden. Erreicht wer-den diese Ziele in einem längerfristigen und in drei Phasen ablaufenden Prozess, bei dem die Kraft des Flusses selbst einen entscheidenden Teil der Veränderungen mitgestaltet. Eingeleitet wurde die Aufweitung im Winter 2001/02 mit verschiedenen baulichen Eingrif-fen. In einer ersten Phase, der so genannten Initialphase, wurden am rechten Emmeufer die angrenzenden Büsche und Bäume gero-det, die bisherigen Uferverbauungen entfernt, die bestehende Böschung maschinell angeris-sen und der Uferweg verlegt. Auch oberhalb der künftigen Aufweitung ist der Längsverbau auf einem kurzen Stück zwischen zwei beste-henden Sperren entfernt worden. Von grosser Bedeutung für die weitere Entwicklung sind aber vor allem die beiden Buhnen und eine Blockschwelle. Diese nur temporär vorhan-denen Bauwerke lenken die Wasserströmung bewusst gegen das rechte Emmeufer ab und provozieren eine Kiesbank am linken Ufer.
Jahrelange natürliche ErosionDurch die Konzentration der Wasserströmung auf der rechten Uferseite nagt das Wasser in-zwischen an der Uferböschung – bei geringer Wasserführung etwas weniger stark, bei grös-
seren Abfl üssen etwas mehr. Die maschinell vorgenommenen Anrisse sorgen dafür, dass dieser Prozess in seinen Anfängen beschleu-nigt wird. Ansonsten soll das Ufermaterial nach und nach auf völlig natürliche Weise durch das fl iessende Wasser unterspült und abgebaut werden. Noch offen ist, wie lange diese so genannte Erosionsphase genau dauern wird. Es dürften aber noch mehr als zehn Jahre verstreichen, bis die festgelegte Interventionslinie erreicht ist und die Aufweitung das erwünschte Aus-mass aufweist. Sobald dieser Zustand eintritt, werden geeig-nete Massnahmen für eine Stabilisierung der Situation sorgen: Einerseits müssen die beiden gegenüberliegenden Buhnen entfernt werden, damit die Strömung nicht weiter gegen die Aufweitung abgelenkt wird, andererseits si-chern Längswerke aus Natursteinblöcken und Lebendverbau das neu geschaffene Flussufer und den Verengungsbereich.
Auengebiet von nationaler BedeutungDie Aufweitung Winterseyschache erfolgt zusammen mit der Revitalisierung der Ober-burgschache, eines Auengebiets von nationa-ler Bedeutung. Inzwischen hat auch die Win-terseyschache diesen Schutzstatus erhalten. Zusammen mit der Emme und mit kleinen Tümpeln bilden die beiden Waldgebiete ein abwechslungsreiches Mosaik, das für viele – und zum Teil selten gewordene – Pfl anzen- und Tierarten Lebensraum und für zahlreiche Menschen Erholungsraum ist.
Buhnen (temporär)
Anriss
InitialphaseDie Längsverbauungen wurden an mehreren Stellen entfernt, und Buhnen lenken seither die Strömung gegen das rechte Ufer.
Blockschwelle (temporär)
Entfernung Längsverbau (beidseitig)
Entfernung Längsverbau
Den grössten Teil des erwünschten Material-
abbaus für die Aufweitung vollbringt die
Emme durch ihre eigene Erosionsleistung.
Bauliche Massnahmen waren lediglich nötig,
um den Erosionsprozess einzuleiten und die
Strömung durch kleine Buhnen (oben) vor-
übergehend auf die maschinellen Anrisse
(links) auf der Gegenseite zu lenken. Bereits
entwickelten sich Kiesbänke und Teilgerinne.
Fran
k (2
)
15
km 20.600
km 20.000
BauherrschaftSchwellenverband Emme, II. SektionGemeinden Burgdorf, Hasle, Heimiswil
Einleitung Initialphase2001
Projektlänge750 Meter
HauptarbeitenEntfernung bestehender Längsverbauungen; maschineller Anriss der Böschung; Errichtung temporärer Ablenkbuhnen auf der gegen-überliegenden Flussseite; Einlaufsicherung; Ergänzung der Ufersicherungen in der Stabi-lisierungsphase.
ZugangVom Lochbachbad her zu Fuss auf gut begeh-barem Waldweg der Emme entlang bis zur Aufweitung.
Uferlinie bis 2001
Einlaufsicherung durch Natursteinblöcke
Interventionslinie
HeimiswilBurgdorf
ErosionsphaseWährend mehrerer Jahre soll die Emme nun das rechte Ufer erodieren. Vorsorglich wurden Wege verlegt und der Wald gelichtet.
StabilisierungsphaseDer Erosionsprozess am rechten Ufer wird durch Leitwerke aus Natursteinblöcken in festgelegten Grenzen gehalten.
LochbachDie Spazierwege in der Winterseyschache
führen zu einer dynamischen Wasserland-
schaft, die immer wieder neue Überraschun-
gen bietet. Denn der Flusslauf verändert sich
hier ständig (links). Sobald die Erosionsphase
abgeschlossen sein wird, was einige Jahre
dauern kann, werden die gegenwärtig auf
einer Deponie gelagerten Natursteinblöcke
(oben) wieder zur Ufersicherung verwendet.
100 m
Grundbach
Hasle
Fran
k (2
)
Längsverbau bestehend
km 0.700
km 1.200
Einseitige Aufweitung Altisberg
BauherrschaftSchwellenverband Emme, I. SektionGemeinden Bätterkinden, Wiler, Zielebach
Einleitung Initialphase2002
Projektlänge614 Meter
HauptarbeitenEntfernung des Blocksatzes und Verwendung der Steine in neuen, rechtsufrigen Leitwerken; Umlagerung von Böschungsmaterial ins Ge-rinne; maschinelle Anrisse der Böschung.
ZugangIm Bannholz von der Strasse Wiler–Gerlafi n-gen abbiegen und weiter bis zu einem Abstell-platz im Schachenwald; letztes Stück zu Fuss auf dem gut begehbaren Uferweg.
Wiler
E.W.
Limpach
100 m
Uferlinie bis 2002
Leitwerk aus Natursteinblöcken und Weidensteckhölzern
Anriss
Anriss Seitenarm
Interventionslinie
Hochwasserdamm
Vorland
Leitwerk aus Natursteinblöcken und Weidensteckhölzern
Profi llinie Seite 17
Bätterkinden
Altisberg
17
Unmittelbar vor der Grenze zum Kanton Solo-thurn bildet der Altisberg auf der linken Seite eine natürliche Begrenzung des Flusslaufs, während auf der rechten Seite ein Hochwas-serdamm den möglichen Überfl utungsbereich abschliesst. Durch die Einengung und Begra-digung der Emme im 19. Jahrhundert und durch die allmähliche Eintiefung ihrer Sohle wurde das Vorland – die bewaldete Fläche zwischen dem kanalisierten Fluss und dem Hochwasserdamm – allerdings kaum mehr überfl utet. Die zuvor dominante auentypische Vegetation wich deshalb zunehmend nutzba-rem Fichtenholz. Mit einer einseitigen Aufweitung in diesem Abschnitt erhält die Emme innerhalb der bis-herigen Grenzen wieder mehr Raum für eine natürliche Entwicklung. Das wirkt sich in ver-schiedenen Bereichen günstig aus: Die Soh-lenlage stabilisiert sich, im Flussbett entste-hen vielfältigere Strukturen mit Kiesbänken, Kolken und einem Seitenarm, und am linken Ufer kann sich mit der Zeit eine Auenland-schaft bilden, die diesen Namen verdient. Wasser und Land sollen sich am Fuss des Altisbergs also wieder besser vernetzen. Das ist das grundsätzliche Ziel, und erreicht wird es auch an diesem Ort schrittweise. In einer ersten Phase (der so genannten Initialphase) schufen bauliche Massnahmen die entspre-chenden Voraussetzungen. Das war im Jahr 2002. Seither kann sich die Emme am linken Ufer innerhalb der defi nierten Grenzen frei entwickeln und das Gewässerbett durch Sei-ten- und Rückwärtserosion neu formen. Wäh-
rend dieser noch mehrere Jahre dauernden Erosionsphase werden die morphologischen Veränderungen und die Strömungsverhältnis-se laufend überwacht und dokumentiert, um allenfalls rechtzeitig eingreifen zu können. An sich dauert die Erosionsphase aber noch so lange an, bis das Böschungsmaterial durch
die Kraft des Flusses bis zur Interventionslinie abgetragen und das Flussbett entsprechend aufgeweitet ist. Erst zu diesem Zeitpunkt wird also zu entscheiden sein, ob weitere bauliche Massnahmen zur langfristigen Sicherung des Hochwasserschutzes nötig sein werden – oder eben nicht.
Auch am Fuss des Altisbergs (rechts) formt
die Emme ihr zukünftiges Gerinne selbst. Die
baulichen Massnahmen in der Initialphase
schufen lediglich die entsprechenden Voraus-
setzungen. So wurden die Sicherungsblöcke
auf der linken Flussseite abgetragen und auf
der gegenüberliegenden Seite für Leitwerke
verwendet. Sie lenken die Strömung an jene
maschinell angerissenen Stellen, die im Laufe
der nächsten Jahre auf natürliche Weise ero-
dieren sollen. Noch ist die Aufweitung erst in
Ansätzen vorhanden, doch die Flusslandschaft
ist bereits vielfältiger und attraktiver gewor-
den (links). Mit der Zeit wird sich sogar der
Seitenarm wieder bilden, der im 19. Jahrhun-
dert durch die Flusskorrektion verschwunden
ist (Entwicklungsprofi l rechts unten).
Leitwerk aus Natursteinblöckenund Weidensteckhölzern
Aufschüttung HochwasserdammAnriss Seitenarm
Ausgangslage
Initialphase
Stabilisierungsphase
Fran
k (2
)
18
Einseitige Aufweitung Ranfl ühschache
Die bislang jüngste Aufweitungsstrecke befi n-det sich auf dem Gebiet der Gemeinden Rü-derswil und Lützelfl üh, kurz vor der markan-ten Linkskurve am Fuss der Wannenfl uh. In diesem Fliessbereich tiefte sich die Sohle der Emme seit der Begradigung im 19. Jahrhun-dert stellenweise mehr als vier Meter ab. Auf beiden Seiten des Flusslaufs ist das Ge-lände fl ach und durch Hochwasserdämme vor Überfl utungen geschützt. Daran ändert auch die gegenwärtige Revitalisierung nichts, denn die vorgesehene Aufweitung beschränkt sich auf den Raum innerhalb der beiden Dämme. Analog zum Vorgehen im Winterseyschache (vgl. Seite 14) wird die Aufweitung auch im Ranfl ühschache nicht maschinell ausgeführt, sondern auf weitgehend natürliche Weise durch die Erosionskraft des Flusses selbst.Vorgängig wurden in der so genannten Ini-tialphase lediglich einige Bauarbeiten ausge-führt, um die Wasserströmung an die richtigen Stellen zu leiten und um den Erosionsbereich abzugrenzen. Dazu gehörten die Entfernung der Uferverbauung am rechten Ufer, die Erstel-lung einer Buhne auf der gegenüberliegenden Seite, um die Strömung gegen das rechte Ufer zu lenken, und der Bau eines Einlaufl eitwerks am Ende der zukünftigen Aufweitung. In den nächsten rund zehn Jahren wird die Emme nun ihr neues Bett ausräumen, das am Ende der so genannten Erosionsphase rund doppelt so breit sein wird wie heute, nämlich rund 60 Meter. In diesem Zeitraum sollte sich auch die Sohle ganz deutlich anheben, näm-lich um rund 80 Zentimeter.
InitialphaseDie Längsverbauungen am rechten Ufer wur-den entfernt, und eine Buhne lenkt seither die Strömung gegen diese Seite.
ErosionsphaseWährend mehrerer Jahre soll die Emme nun das rechte Ufer erodieren. Vorsorglich wurden Wege verlegt und der Wald gelichtet.
Buhne(temporär)
Entfernung Längsverbau
Anriss
Interventionslinie
Einlaufsicherungaus Natursteinblöcken
Fran
k
19
km 28.600
km 29.000
BauherrschaftSchwellenverband Emme, II. SektionGemeinden Rüderswil, Lützelfl üh
Einleitung Initialphase2002
Projektlänge440 Meter
HauptarbeitenEntfernung bestehender Längsverbauungen am rechten Ufer; maschineller Anriss der Bö-schung; Errichtung einer temporären Ablenk-buhne auf der gegenüberliegenden Uferseite; Einlaufsicherung; in der Stabilisierungsphase Ergänzung der Ufersicherungen.
ZugangVon der Strasse Ramsei–Zollbrück zu Fuss über den unbewachten Bahnübergang bis zur Aufweitung.
StabilisierungsphaseDer Erosionsprozess am rechten Ufer wird durch Leitwerke und Längsverbauungen in festgelegten Grenzen gehalten.
Bauliche Massnahmen schufen auch im
Ranfl ühschache bloss die Voraussetzungen,
um die Kraft des Flusses für die Ausweitung
auszunützen. Eine Buhne (links aussen) lenkt
die Strömung gegen die rechte Seite, um das
Böschungsmaterial im Laufe der nächsten
Jahre abzutragen und das Ufer aufzuweiten,
und maschinelle Anrisse (links im Vordergrund)
beschleunigen diesen Prozess in seinen An-
fängen. Begrenzt wird die natürliche Erosion
bereits jetzt durch eine Einlaufsicherung am
Ende der Aufweitungsstrecke (rechts). Mit
Blocksteinen wird später auch das rechte Ufer
gesichert, um die Aufweitung in ihrer festge-
legten Ausdehnung zu stabilisieren.
Hochwasserdamm
Ufersicherung aus Natursteinblöcken
Uferlinie bis 2002
Hochwasserdamm
LützelflühRüderswil
100 m
Fran
k
20
km 13
.100
km 1
3.60
0
Schrittweises Vorgehen
Kirchberg-LyssachDie bislang realisierten oder eingeleiteten Aufweitungen erfolgten abseits bewohnter Gebiete. Ganz anders das Vorhaben zwischen den Flusskilometern 12 und 14. In diesem Ab-schnitt durchfl iesst die Emme den Ortsbereich von Kirchberg bzw. Lyssach (Grafi k unten). Es ist ein anspruchsvolles Vorhaben, die Emme an dieser Stelle aus ihrem engen Korsett zu befreien. Doch auch hier gilt der Grundsatz, dass die Revitalisierung nicht auf Kosten der Hochwassersicherheit geschehen darf. Umfas-sende Abklärungen sind gemacht worden, um entsprechende Bedenken zu zerstreuen. Und so entsteht vielleicht auch in diesem Fluss-abschnitt bald einmal eine gleichermassen naturnahe wie zugängliche Emme mit Kurven, Buchten, Kiesbänken und Bereichen mit fl a-chem, ruhigem Wasser.
An fünf verschiedenen Orten wurden bislang Aufweitungen realisiert oder eingeleitet, und weitere Vorhaben werden laufend geprüft. Denn es gibt noch manche Stellen, an denen der Geschiebehaushalt der Emme nicht im Gleichgewicht ist.
Noch ist die Emme nicht im Gleichgewicht.
Zur Eindämmung der Sohlenerosion werden
in den nächsten Jahren und Jahrzehnten
weitere wasserbauliche Vorhaben nötig sein.
Dabei haben naturnahe Projekte Vorrang,
die dem Fluss mehr Raum geben. Bereits in
Diskussion und im Projektstadium sind eine
nächste Etappe am Fuss des Altisbergs (links)
sowie eine Aufweitung oberhalb des Orts-
bereichs von Kirchberg (Grafi k unten).
Lyssach
Kirchberg
Unterer AltisbergVor allem dank der natürlichen Begrenzung durch den Altisberg könnte der Flussab-schnitt zwischen der Limpachmündung und der Kantonsgrenze zu Solothurn aufgeweitet und revitalisiert werden, ohne dass dadurch die Hochwassersicherheit in diesem Gebiet beeinträchtigt würde. Ein entsprechendes fl ussmorphologisches Konzept wurde bereits ausgearbeitet. Dennoch macht es Sinn, dieses Vorhaben in mehreren Etappen zu realisieren. Zum einen werden dadurch die Baukosten über mehrere Jahre verteilt, und zum anderen können die zu Beginn gemachten Erfahrungen laufend berücksichtigt werden. Inzwischen wurde der erste Teil dieses Projekts eingelei-tet und befi ndet sich gegenwärtig in der Ero-sionsphase (vgl. Seite 16). Der zweite Teil wäre eine einseitige Aufweitung der linken Uferseite beim unteren Altisberg, also kurz vor der Kantonsgrenze. Dort soll ein neuer Seiten-arm entstehen – und damit auch eine Insel, die den Flusslauf bereichert. Abgeschlossen würde das Projekt mit einem dritten Teil durch eine Aufweitung des rechten Ufers zwischen den beiden erwähnten Teilstücken.
100 m
Uferabfl achung
Ufergestaltung Badanstalt
bestehende Uferlinie
Fran
k
Fazit aus wasserbaulicher Sicht
Mit der Aufweitung bei Aefl igen-Utzens-
torf (rechts) hat die Emme ein Stück
Lebensraum zurückbekommen. Auf einer
grossen Kiesbank spriesst Auengrün, in
ruhigen Zeiten werden Eisvögel gesichtet,
und an schönen Sommertagen ist die
lebendige Emme ein beliebter Treffpunkt
geworden – ohne dass dadurch die Sicher-
heit der bestehenden Hochwasserdämme
(unten) geschmälert worden wäre.
Wird ein kanalisiertes Gerinne wie die Emme aufgeweitet, laufen aus wasserbaulicher Sicht vor allem die folgenden Prozesse ab:• Dynamisches Gleichgewicht. Ein natur-nahes Flusssystem zeichnet sich durch eine grosse Dynamik aus, die durch die Abfolge und durch die Intensität von Hochwassern ge-steuert wird. Das Flussbett, das sich aus dem Wechselspiel von Erosion und Ablagerung ergibt, wird periodisch durch Hochwasser um-gestaltet. Dazwischen liegen Zeiten der Stabi-lität, in denen die Auenvegetation die nötige Zeit hat, Fuss zu fassen. • Vorübergehende Erosionsstellen. Gera-de zu Beginn ihrer Entwicklung sind Aufwei-tungen ausgesprochen dynamische Systeme, die sich erst allmählich dem Gleichgewichts-zustand annähern. So können beim Einlauf in die Aufweitung vorübergehend auch Ero-sionsprozesse auftreten. Deshalb ist es sehr wichtig, die Morphologie des betreffenden Gewässerabschnitts genau zu kennen und laufend zu überwachen.• Auswirkungen auf Oberwasser. Die Sohle innerhalb einer Aufweitung landet auf, bis die Transportkapazität im aufgeweiteten Bereich derjenigen im kanalisierten Bereich davor (im so genannten Oberwasser) und im kanalisierten Bereich danach (im so genann-ten Unterwasser) entspricht. Bei langen Auf-weitungen ist aber auch mit einer Anhebung der Sohle im Oberwasser zu rechnen. Das ist allerdings in Flüssen, die sich wie die Emme in einem Erosionszustand befi nden, durchaus erwünscht.
• Auswirkungen auf Unterwasser. Der Ge-schieberückhalt durch die Sohlenhebung in der Aufweitung kann zu einem vorübergehen-den Geschiebedefi zit im Unterwasser führen (und dort unter Umständen zu einer verstärk-ten Sohlenerosion). • Gerinnestrukturen. Je nachdem, wie die Verhältnisse zwischen Flussbettbreite und Ab-fl usstiefe beziehungsweise zwischen Abfl uss-tiefe und Korndurchmesser sind, bilden sich unterschiedliche Gerinneformen aus. In einem kiesführenden Voralpenfl uss wie der Emme dominieren Verzweigungen. Das Wasser teilt sich in einzelne Gerinne auf, die sich bei ge-nügend grosser Geschiebeführung und Hoch-wasserabfl üssen immer wieder verlagern und neu bilden. Auf relativ engem Raum entste-hen so Zonen mit unterschiedlichen Fliesstie-fen und unterschiedlichen Fliessgeschwindig-keiten. Strukturvielfalt und Dynamik sind also in einer Aufweitung viel grösser als in einem kanalisierten Flussabschnitt.• Kolkbildung. Beim fl ussabwärts liegen-den Ende der Aufweitung wird die Strömung konzentriert ins ursprüngliche, kanalisierte Gerinne umgelenkt. Dies kann stellenweise zu erheblichen Kolktiefen führen, weshalb die Ufersicherung in diesem Bereich entsprechend tief fundiert werden muss. • Revitalisierung. Aufweitungen schaffen neue Lebensräume für Fauna und Flora und sind gleichzeitig beliebte Erholungsorte.
Seit den im 19. Jahrhundert begonnenen
Korrektionsarbeiten fl iesst die Emme über
weite Strecken in einem begradigten und
kanalisierten Flussbett. Um die anfänglich
erwünschte, dann jedoch überbordende Soh-
lenerosion in diesem engen Gerinne zu
stabilisieren, wurden vorerst zahlreiche
Querwerke (Sperren) errichtet. Darunter
litt unter anderem die Fischgängigkeit des
Flusses, weshalb Fischereikreise 1982 eine
neue wasserbauliche Strategie forderten.
Die entsprechenden Grundlagen lieferte die
Studie «Emme 2050». Seither wird die pro-
blematisch gewordene Sohlenerosion – wo
immer möglich – durch Massnahmen un-
terbunden, die sowohl den Geschiebehaus-
halt stabilisieren als auch dem Fluss mehr
Freiheiten zugestehen: durch Aufweitungen
des Gerinnes. Mit dem Begriff Aufweitung
werden Massnahmen an verbauten Strecken
grösserer Fliessgewässer bezeichnet, die
folgende Gemeinsamkeiten haben:
• Sie führen zu einer deutlichen Verbrei-
terung des Mittelwasserbetts (wobei die
optimale Breite abhängig ist vom Abfl uss
und vom Geschiebeeintrag);
• sie schaffen Raum für vielfältige morpho-
dynamische Prozesse (wie die Sedimentation
und die Erosion von Geschiebebänken);
• sie erlauben eine naturnahe Ufergestal-
tung samt natürlicher Entwicklung (Sukzes-
sion) der Ufervegetation;
• sie beleben das Erscheinungsbild einer
Gewässerlandschaft (ein verzweigter Fluss
wirkt attraktiver als ein kanalisierter).
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HerausgeberTiefbauamt des Kantons BernOberingenieurkreis IV (TBA-OIK IV)
RedaktionWalter Brodbeck (TBA-OIK IV)Rudolf Mosimann (TBA-OIK IV)Heinz Roth (TBA)Roni Hunziker (Hunziker, Zarn & Partner AG)
Konzeption, Realisation und Grafi kFelix Frank Redaktion & Produktion, Bern
DruckVögeli AG Druckzentrum, Langnau i.E.
Weitere Exemplare dieser Broschüre können bei folgender Adresse bezogen werden:
TBA-OIK IVTiergarten 1/Postfach3401 BurgdorfTelefon 034 420 8282Telefax 034 420 8283info.tbaoik4 @ bve.be.ch
© Burgdorf, 2005
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