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Bachelorarbeit - - Catalogus Professorum...

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Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung Studiengang Soziale Arbeit (B.A.) Bachelorarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts (B.A.) Lebensereignis Arbeitslosigkeit – Anmerkungen zu Konzepten der differentiellen Arbeitslosenforschung unter besonderer Berücksichtigung von gesundheitlichen Folgen vorgelegt von: Rechkemmer, Simone Erstprüfer: Prof. Dr. Johannes Böttner Zweitprüfer: Prof. Dr. Claudia Steckelberg Abgabetermin: 11.08.2014 urn:nbn:de:gbv:519-thesis2014-0372-0
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Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Studiengang Soziale Arbeit (B.A.)

Bachelorarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts (B.A.)

Lebensereignis Arbeitslosigkeit – Anmerkungen zu Konzepten der differentiellen Arbeitslosenforschung unter besonderer

Berücksichtigung von gesundheitlichen Folgen

vorgelegt von:Rechkemmer, Simone

Erstprüfer: Prof. Dr. Johannes Böttner

Zweitprüfer: Prof. Dr. Claudia Steckelberg

Abgabetermin: 11.08.2014

urn:nbn:de:gbv:519-thesis2014-0372-0

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I

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis I

Abbildungsverzeichnis III

Einleitung 01

1. Arbeitslosigkeit / Erwerbslosigkeit 04

1.1. Definition der Arbeitslosigkeit gemäß SGB III 04

1.2. Definition der Erwerbslosigkeit gemäß Labour-Force-Konzept 06

1.3. Typisierung der Arbeitslosigkeit 06

2. Der Gesundheits- bzw. Krankheitsbegriff 08

2.1. Prävention und Gesundheitsförderung 09

2.2. Theorien und Modelle zur Entstehung von Gesundheit

und Krankheit 09

2.2.1. Biomedizinische Modellvorstellungen 10

2.2.2. Risikofaktorenmodell 10

2.2.3. Das Stressmodell 10

2.2.4. Kritische Lebensereignisse (Stress als Reiz) 11

2.2.5. Transaktionale Stresstheorie 11

2.2.6. Salutogenese 12

3. Wandel der Einstellung zum Thema Arbeit bzw. Arbeitslosigkeit 13

4. Theorien über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die 15 psychische und physische Gesundheit

4.1. Die Arbeitslosen von Marienthal / Marienthal – Studie 15

4.1.1. Die Theorie der psychischen Deprivation 15

4.2. Identitätstheorien 16

4.3. Das Vitamin - Modell 16

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II

4.4. Theorie der erlernten Hilflosigkeit 17

4.5. Soziale Exklusion 17

4.6. Modell der Gratifikationskrisen 17

4.7. Differentielle Arbeitslosenforschung 18

5. Typologie biographischer Modi des Identitätsprozesses 19

5.1. Bildung der Typologie 21

5.1.1. Die Umstellung des Selbst (episodische Beeinträchtigung) 21

5.1.2. Die Befreiung des Selbst (episodische Verbesserung) 22

5.1.3. Der Kampf um das Selbst (Beeinträchtigung von

ungewisser Dauer) 23

5.1.4. Der Verfall des Selbst (dauerhafte Beeinträchtigung) 24

5.1.5. Die Transformation des Selbst (dauerhafte Verbesserung) 26

5.2. Anmerkungen / Vergleich mit anderen Typologien 26

6. Zusammenhang von Gesundheitszustand und Arbeitslosigkeit 30

6.1. Kausalität / Selektion 30

6.2. Faktoren der Bewältigung 30

6.3. Gesundheitliche Folgewirkungen bei Erwachsenen 32

6.3.1. Arbeitslosigkeit und Selbsteinschätzung des

Gesundheitszustandes 32

6.3.2. Gesundheitszustand hinsichtlich der Dauer der Arbeitslosigkeit 32

6.3.3. Physische und psychische Beschwerden 33

6.3.4. Suchtverhalten 35

6.3.5. Krankenhausaufenthalte 36

6.3.6. Mortalität 38

7. Resümee 39

Literaturverzeichnis 44

Internetquellen 47

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III

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: „Circulus vitiosus“ von Erwerbslosigkeit und Gesundheit 30

Abbildung 2: Gesundheitszustand in Abhängigkeit von Arbeitslosigkeits- 33

erfahrungen bei Männern

Abbildung 3: Kontakteinschränkungen aufgrund psychischer / 34

physischer Störungen

Abbildung 4: ausgewählte starke psychische Beschwerden nach 35

Erwerbsstatus (anhand der von Zerssen-Liste)

Abbildung 5: Krankenhaustage bei Männern nach ICD10-Diagnosekapiteln 37

Abbildung 6: Krankenhaustage bei Frauen nach ICD10-Diagnosekapiteln 37

Abbildung 7: Sterblichkeit nach Dauer der vorausgehenden Arbeitslosigkeit 38

(Gesamtarbeitslosigkeitsdauer 1995-1997)

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Einleitung

Vor der Industrialisierung gab es in der gesellschaftlichen Wahrnehmung keine Un-

terscheidung zwischen Arbeitslosen und Armen. Pauperismus war ein spezifisches

industriewirtschaftliches Phänomen des 19. Jahrhunderts. Die Problematik der Ar-

beitslosigkeit löste sich erst im Zuge des weiteren Industrialisierungsprozesses zu-

nehmend aus dem Kontext der Armenfürsorge heraus, Phasen von Arbeitslosigkeit

traten periodisch auf. 1873 schlug die Konjunktur, nach einer längeren Wachstums-

phase seit 1850, mit einem raschen Einbruch zahlreicher Finanzmärkte um und führ-

te zu einer nachfolgenden Deflationsphase, der Gründerkrise.

Bis zum Beginn des 1. Weltkrieges war die Arbeitslosigkeit in Deutschland relativ ge-

ring. In dieser Zeit etablierte Reichskanzler Otto von Bismarck im deutschen Kaiser-

reich das System der deutschen Sozialversicherung mit Kranken-, Unfall-, Invalidi-

täts- und Altersversicherung. Das Reichsamt für Demobilmachung reagierte nach

dem Ende des 1. Weltkrieges mit der „Verordnung für Erwerbslosenfürsorge“ (1918)

auf die drohende Arbeitslosigkeit entlassener Kriegsteilnehmer.

Neun Jahre später trat das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversiche-

rung (AVAVG) als eine große soziale Errungenschaft der Weimarer Republik in Kraft,

welches mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 seine schlimmste Belastungsprobe

erlebte. Die Massenarbeitslosigkeit stieg sprunghaft an und erreichte im Winter 1931

mit über sechs Millionen Arbeitslosen ein bisher unbekanntes Ausmaß und das Phä-

nomen einer lang andauernden Massenarbeitslosigkeit entwickelte sich.

Die Arbeitslosigkeit war in der Nachkriegszeit zunächst kriegsbedingt hoch, doch es

folgte die Zeit des „deutschen Wirtschaftswunders“ in den 1950er Jahren. Ab Anfang

der 1960er Jahren folgte „Vollbeschäftigung“, das Thema Arbeitslosigkeit spielte in

der Allgemeinen Diskussion kaum eine Rolle - bis zum Ölpreisschock 1973 (vgl. Hol-

lederer, 2011). In Folge der Ölkrise 1973 und 1979 sowie der 1992 einsetzenden

Rezession kam es zu einem Aufbau einer immensen Arbeitslosigkeit.

1997 wies das mittlerweile wiedervereinte Deutschland 4,4 Millionen arbeitslos ge-

meldeten Personen auf, somit erreichte die Arbeitslosigkeit in Deutschland vorerst

ihren Höhepunkt. Dieser Wert wurde allerdings im Jahr 2005 übertroffen. Hier erhöh-

te sich die Arbeitslosenzahl gegenüber dem Vorjahr um 10,9% auf ca. 4,9 Millionen.

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Zugeschrieben wird diese Entwicklung dem so genannten „Hartz-IV-Effekt“, der Zu-

sammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (vgl. Bundeszentrale für politische

Bildung, 2014).

Seitdem Arbeitslosigkeit als Massenphänomen auftrat, sind die gesundheitsbelas-

tenden Folgen des Arbeitsplatzverlustes Gegenstand wissenschaftlicher Untersu-

chungen. Zu den bekanntesten Publikationen zählt beispielsweise die Arbeitslosen

von Marienthal, eine Untersuchung, welche 1933 von Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel

veröffentlicht wurde und die Auswirkungen und psychosozialen Belastungen auf ein

ganzes Dorf während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren beschreibt.

Zudem zeigt die flächendeckende Zunahme von Stress und psychischer Belastung

am Arbeitsplatz, dass das Arbeiten für immer mehr Menschen eine regelrechte Qual

wird (vgl. Statistisches Bundesamt, 2011).

Das Anliegen dieser Arbeit ist es, den bisherigen Forschungsstand der Arbeitslosen-

forschung sowie gesundheitliche (psychosoziale) Folgewirkungen bei Erwachsenen

anhand ausgewählter Modelle zu skizzieren. Da die meisten Studien den Übergang

aus der Erwerbsarbeit in die Arbeitslosigkeit ausschließlich als psychische Belastung

beschreiben und schlussfolgern, dass Erwerbsarbeit zwingend mit Entlastung und

Arbeitslosigkeit mit Belastung zusammenhängt, möchte ich im Kontext der differen-

tiellen Arbeitslosenforschung eine neue Studie vorstellen.

Dr. Benedikt Rogge beschäftigt sich in seiner Interviewstudie mit Identitätsprozessen

und der psychischen Gesundheit bei Statuswechseln und entwickelte eine Typologie

biographischer Identitätsmodi.

Zum Aufbau und Inhalt der Arbeit:

Im ersten Kapitel werden Grundlagen zum Thema Arbeitslosigkeit dargestellt. Es er-

folgt eine Definition der Arbeitslosigkeit gemäß des SGB III und der Erwerbslosigkeit

gemäß des Labour-Force-Konzeptes der International Labour Organization (ILO),

sowie eine Typisierung der Arbeitslosigkeit.

Das zweite Kapitel setzt sich mit dem Gesundheits- bzw. Krankheitsbegriff auseinan-

der und gibt einen Einblick in den Diskurs bzgl. verschiedener Definitionsansätze.

Neben dem Thema Prävention bzw. Gesundheitsförderung, welches kurz beleuchtet

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wird, beschäftigt sich dieses Kapitel hauptsächlich mit ausgewählten Theorien und

Modellen zur Entstehung von Gesundheit und Krankheit.

Während Kapitel drei einen groben Überblick über den Wandel der Einstellung zum

Thema Arbeit bzw. Arbeitslosigkeit gibt, werden in Kapitel vier ausgewählte Theorien

über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die psychische und physische Ge-

sundheit vorgestellt. Dieses Kapitel endet mit der differentiellen Arbeitslosenfor-

schung und schlägt somit eine Brücke zum fünften Kapitel, welches sich der aktuel-

len Interviewstudie von Dr. Benedikt Rogge (2013) hinsichtlich des Zusammenhangs

von Identitätsprozessen und psychischer Gesundheit widmet. Nach der Einführung in

die Thematik folgt ein Überblick über die Vergleichsdimensionen verbunden mit der

Bildung der Typologie biographischer Modi des Identitätsprozesses, sowie eine Skiz-

zierung der Ergebnisse, ergo der einzelnen Modi. Anschließend folgen Anmerkungen

bzgl. der Forschungsergebnisse Rogges bzw. ein Vergleich mit anderen Typologien.

Das sechste Kapitel beinhaltet die Thematik des Zusammenhangs zwischen Arbeits-

losigkeit und Gesundheitszustand. Nachdem die Kausalitäts-, sowie die Selektions-

hypothese vorgestellt wurden, werden einige Faktoren der Bewältigung betrachtet.

Im Wesentlichen beschäftigt sich dieses Kapitel mit möglichen Folgewirkungen der

Arbeitslosigkeit bei Erwachsenen, hinsichtlich der Aspekte „Selbsteinschätzung des

Gesundheitszustandes“, „Gesundheitszustand hinsichtlich der Dauer der Arbeitslo-

sigkeit“, „physische und psychische Beschwerden“, „Suchtverhalten“, „Krankenhaus-

aufenthalte“ und „Mortalität“.

Das abschließende Kapitel umreißt die Konturen der Theorie biographischer Identi-

tätsmodi und fasst die Resultate der vorliegenden Arbeit zusammen.

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1. Arbeitslosigkeit / Erwerbslosigkeit

Allgemein unterscheidet man in einer Ökonomie zwischen freiwilliger und unfreiwilli-

ger Arbeitslosigkeit. Freiwillige Arbeitslosigkeit liegt dann vor, wenn eine erwerbsfä-

hige Person ihre Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stellt, also beste-

hende Arbeitsplätze aufgrund verschiedener Faktoren, wie beispielsweise aufgrund

zu geringer Lohnhöhe oder zu kurzer Befristung, nicht angenommen werden. Unfrei-

willige Arbeitslosigkeit resultiert, wenn das Arbeitsangebot die Arbeitsnachfrage über

steigt, es somit unmöglich ist, bei herrschenden Bedingungen einen Arbeitsplatz zu

finden.

Der Definition von Arbeitslosigkeit und Erwerbslosigkeit in der amtlichen Arbeits-

marktstatistik der Bundesrepublik Deutschland liegen zwei verschiedene Erhebungs-

konzepte und Erfassungsmethoden zugrunde, die Definition von Arbeitslosen und

Arbeitssuchenden gemäß SGB III und die Definition von Erwerbslosigkeit gemäß

dem Labour-Force-Konzept der International Labour Organization (ILO).

1.1. Definition der Arbeitslosigkeit gemäß SGB III

Für die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich die rechtliche Definition aus dem So-

zialgesetzbuch (SGB) III.

Arbeitslos sind nach §16 SGB III:

„(1) [...] Personen, die wie beim Anspruch auf Arbeitslosengeld

1. vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen,

2. eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und dabei den Vermitt-

lungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen und

3. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben.“

(2) An Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik Teilnehmende gelten als nicht

arbeitslos.“

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Arbeitssuchend ist nach §§ 15, 38 SGB III:

„[...] Arbeitsuchende sind Personen, die eine Beschäftigung als Arbeitnehme-

rin oder Arbeitnehmer suchen. Dies gilt auch, wenn sie bereits eine Beschäfti-

gung oder eine selbständige Tätigkeit ausüben.“ (§ 15 SGB III)

„(1) Personen, deren Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis endet, sind verpflich-

tet, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung persönlich bei der

Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden.“ (§ 38 Abs.1 S.1 SBG III)

Wer nicht als Arbeitslos zählt:

Da die offizielle Zahl der Arbeitslosen die Unterbeschäftigung nicht vollständig er-

fasst, ermittelt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Differenz

zwischen offiziell registrierter Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, die so ge-

nannte stille Reserve.

„Zur Stillen Reserve gemäß Definition des IAB gehören Personen,

die grundsätzlich erwerbsbereit sind, aber aus den verschiedensten

Gründen nicht mehr in offiziellen Statistiken erscheinen. Das IAB

differenziert zwischen der Stillen Reserve im engeren Sinne und der

Stillen Reserve in Maßnahmen. Die Stille Reserve im engeren Sinne

umfasst insbesondere entmutigte Personen, die die Suche nach Arbeit

aufgegeben haben, aber bei guter Arbeitsmarktlage eine Arbeit aufnehmen

würden. Die Stille Reserve in Maßnahmen umfasst Personen, die an

arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnehmen, aber nicht erwerbstätig

sind. Damit sind beispielsweise "Ein-Euro-Jobber" ausgeschlossen.

Zusammengenommen wird diese Form der (Unter-)Beschäftigung auch

als "verdeckte Arbeitslosigkeit" bezeichnet.“

(Bundeszentrale für politische Bildung)

Es entfallen also insbesondere Personen, die beispielsweise:

das 65. Lebensjahr vollendet haben

ihre Verfügbarkeit ohne zwingenden Grund einschränken

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arbeitsunfähig erkrankt sind

sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen befinden

(einschließlich Leistungsempfänger gemäß § 428 SGB III)

Schüler / Schulabgänger sind, welche nur eine Ausbildungsstelle suchen

in Haft sind

1.2. Definition der Erwerbslosigkeit gemäß Labour-Force-Konzept

Die International Labour Organization (ILO) hat ein standardisiertes Konzept zur

Messung des Erwerbsstatus entwickelt, das Labour-Force-Konzept. Hiernach erfasst

das Statistische Bundesamt die Zahl der Erwerbslosen durch monatliche Stichpro-

benbefragung, so genannte Labour Force Surveys, der Bevölkerung. Die Arbeitskräf-

teerhebung ist Teil des Mikrozensus (vgl. Hollederer 2011).

„Als erwerbslos gilt im Sinne der durch die Europäische Union (EU)

konkretisierten Internationale Arbeitsorganisation (ILO)-Abgrenzung

jede Person im Alter von 15 bis 74 Jahren, die in diesem Zeitraum

nicht erwerbstätig war, aber in den letzten vier Wochen vor der

Befragung aktiv nach einer Tätigkeit gesucht hat. Auf den zeitlichen

Umfang der gesuchten Tätigkeit kommt es nicht an. Eine neue Arbeit

muss innerhalb von zwei Wochen aufgenommen werden können.

Die Einschaltung einer Agentur für Arbeit oder eines kommunalen

Trägers in die Suchbemühungen ist nicht erforderlich. Personen im

erwerbsfähigen Alter, die weder erwerbstätig noch erwerbslos sind,

gelten als Nichterwerbspersonen.“

(Statistisches Bundesamt)

1.3. Typisierung der Arbeitslosigkeit

Da es viele verschiedene Faktoren gibt, welche zu Arbeitslosigkeit führen können, ist

es hilfreich, die unterschiedlichen Arten von Arbeitslosigkeit zu typisieren. In der Öko-

nomie wird üblicherweise untergliedert in: friktionelle, saisonale, konjunkturelle und

strukturelle Arbeitslosigkeit.

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Friktionelle Arbeitslosigkeit

(Fluktuationsarbeitslosigkeit oder Sucharbeitslosigkeit )

Bezeichnet die Arbeitslosigkeit, bzw. den Zeitraum, zwischen Aufgabe des alten Ar-

beitsplatzes und Finden eines Neuen. In der Regel ist sie nur von kurzer Dauer.

Saisonale Arbeitslosigkeit

Entsteht durch jahreszeitlich bedingte unterschiedlich ausgelastete Sektoren des Ar-

beitsmarktes, wie z.B.: jahreszeitliche Produktionsschwankungen in der Branche der

Bau- und Landwirtschaft oder Nachfrageschwankungen im Tourismus.

Konjunkturelle Arbeitslosigkeit (Keynesianische Arbeitslosigkeit)

Bedingt durch konjunkturelle Schwankungen während Phasen mit nur teilweiser Aus-

lastung des gesamtwirtschaftlichen Produktpotentials. Sie entsteht in Rezessions-

phasen, in Aufschwungphasen verschwindet sie jedoch wieder, weshalb diese Art

der Arbeitslosigkeit, ebenso wie die beiden erstgenannten Formen, als kurzfristige

Arbeitslosigkeit aufgefasst wird.

Strukturelle Arbeitslosigkeit

ein vieldeutiger Begriff, der unterschiedlichste Typen von Arbeitslosigkeit zusammen-

fasst. Sie kann differenziert werden nach regionalen, sektoralen, qualifikationsspezi-

fischen oder technologischen Ursachen. Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert die-

se Form folgendermaßen:

„Sie liegt vor, wenn Angebot und Nachfrage nicht zusammenpassen,

weil beide Seiten in Bezug auf vermittlungsrelevante Merkmale wie

Alter, Qualifikation, Gesundheit, Beschäftigungsgrad, Wohnsitz und

Produktionsstandort unterschiedlich zusammengesetzt (merkmals-

strukturiert) sind. Für die Höhe der strukturellen Arbeitslosigkeit ist

maßgebend, aus welchen Gründen und in welchem Tempo sich die

Struktur der Nachfrage und des Angebots auseinander entwickeln.“

(Gabler Wirtschaftslexikon)

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2. Der Gesundheits- bzw. Krankheitsbegriff

Die Zustände Gesundheit bzw. Krankheit sind auf den ersten Blick schnell erklärt.

Während Gesundheit im Allgemeinen mit der Abwesenheit von Beschwerden oder

Schmerzen, also mit Wohlbefinden erklärt wird, assoziiert man den Begriff Krankheit

dagegen mit Einschränkungen sowohl physischer, als auch psychischer Natur.

Schaut man jedoch genauer hin, so stellt man fest, dass sich eine einheitliche, objek-

tive Definition dieser Begriffe als sehr schwierig erweist. Die Begriffe Gesundheit und

Krankheit sind nicht nur historisch und kulturell geprägt und variieren mit Alter, Ge-

schlecht und sozialer Schicht; schon beim Empfinden körperlicher Beeinträchtigung

wird bereits deutlich, dass dieses durch individuelle und soziale Einschätzung und

durch persönliche Ressourcen beeinflusst wird.

Des Weiteren unterliegen die Begrifflichkeiten immer aktuellen Normen; Fröhlich-

Gildhoff unterscheidet z.B. fünf verschieden Arten von Normen: (1) die Soziale Norm,

(2) die statistische Norm, (3) die funktionale Norm, (4) die ideale Norm und (5) die

subjektive Norm. In Bezug auf die Begriffsdefinitionen lässt sich beispielsweise für

die statistische Norm festhalten, dass diese durch die Wahrscheinlichkeit des Auftre-

tens einer Eigenschaft des Organismus bestimmt wird, d.h. vereinfacht gesagt: ge-

sund ist, was auf die Mehrheit der Menschen zutrifft, krank ist, was von diesen

Durchschnittswerten abweicht (vgl. Bengel et al., 1999/2001). So definiert ein Kom-

mentar zum SGB V § 27 Krankheit folgendermaßen:

„Krankheit als Versicherungsfall der gesetzlichen Krankenversicherung

ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand. Er kann die

Notwendigkeit ärztlicher Heilbehandlung und zugleich oder allein

Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben. Als regelwidrig wird ein Zustand

angesehen, der von der Norm, also vom Leitbild des gesunden

Menschen, abweicht.“

(Haufe SGB Office Professional Lexikon)

Idealnormen, so zum Beispiel die Definition des Begriffes Gesundheit der WHO, be-

schreiben einen Zustand der Vollkommenheit: „Gesundheit ist der Zustand des voll-

ständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Feh-

len von Krankheit oder Gebrechen.“ (WHO 1948).

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Da absolute / vollkommene Zustände jedoch nicht zu erreichen sind, ist die Umset-

zung bzw. Anwendung dieser Definition von Gesundheit schwierig und wirkt regel-

recht Realitätsfern.

Es wird deutlich, dass eine objektive, eindeutige Definition des Konstruktes Gesund-

heit nicht möglich scheint, und Gesundheit darüber hinaus mehrdimensional betrach-

tet werden muss. Bengel et al. (1999/2001) führen an:

„Neben körperlichem Wohlbefinden (z.B. positives Körpergefühl,

Fehlen von Beschwerden und Krankheitsanzeichen) und psychischem

Wohlbefinden (z.B. Freude, Glück, Lebenszufriedenheit) gehören

auch Leistungsfähigkeit, Selbstverwirklichung und Sinnfindung dazu.

Gesundheit hängt ab vom Vorhandensein, von der Wahrnehmung,

Erschließung und Inanspruchnahme von Ressourcen.“

2.1. Prävention und Gesundheitsförderung

Betrachtet man den geschichtlichen Hintergrund der Medizin, so zeigen sich kontinu-

ierliche Versuche der gänzlichen Verhütung von Krankheiten.

In Bezug auf das Thema Prävention besteht die Notwendigkeit der Abgrenzung der

Begriffe Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. Deren Unterscheidung geht auf

den Psychiater Caplan (1964) zurück und bezieht sich auf den Interventionszeit-

punkt. Während Primärprävention Risiken ausschalten, reduzieren oder zeitlich ver-

zögern will, will Sekundärprävention Krankheiten in einem Frühstadium erkennen.

Aufgabe der Tertiärprävention ist, die Folgen einer Erkrankung zu reduzieren. Prä-

vention nimmt ihren Ausgangspunkt also bei Krankheiten und Störungen und zielt

darauf ab, die Risiken zu reduzieren, während Gesundheitsförderung ihren Aus-

gangspunkt bei Ressourcen nimmt und diese fördert (vgl. Hurrelmann et al., 2004).

2.2. Theorien und Modelle zur Entstehung von Gesundheit und Krankheit

Im Folgenden werden ausgewählte, relevante Modelle zur Entstehung von Gesund-

heit und Krankheit näher vorgestellt.

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2.2.1. Biomedizinische Modellvorstellungen

Biomedizinische Modellvorstellungen beschäftigen sich primär mit der Entstehung

von Krankheiten und vergleichen den menschlichen Körper mit einer Maschine, „de-

ren Funktionen und Funktionsstörungen verstanden werden können, indem die Or-

gansysteme und -strukturen sowie die physiologischen Prozesse möglichst genau

analysiert werden.“ (Bengel et al. 1999/2001, S.17). Es wird davon ausgegangen,

dass Krankheiten eine spezifische Ursache (single cause modell) und einen be-

schreibbaren Verlauf haben, sowie durch eine spezifische Schädigung gekennzeich-

net sind.

In den 1970er Jahren entwickelte der Sozialmediziner Engel ein erweitertes, biopsy-

chosoziales Modell, in dem nicht nur körperliche, sondern auch psychosoziale Ursa-

chen die Entstehung von Krankheiten erklärte, da Forschungsbefunde bewiesen,

dass sowohl psychische, als auch soziale Faktoren die Entstehung und den Verlauf

von Krankheiten stark beeinflussen (vgl. Prof. Kolip, 2006).

2.2.2. Risikofaktorenmodell

Das in den 1950er Jahren entwickelte Risikofaktorenmodell stellt die Basis der Prä-

ventivmaßnahmen dar und begründet die Früherkennungsmedizin. Laut diesem Mo-

dell erhöhen Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung und können bio-

logischen, verhaltensbezogenen, psychosozialen Ursprungs sein oder aus der physi-

schen Umwelt stammen. Diese Risikofaktoren werden folgendermaßen eingeteilt:

(1) körperliche Risikofaktoren, (2) personale Risikofaktoren, (3) verhaltensgebundene

Risikofaktoren, (4) soziostrukturelle Risikofaktoren und (5) ökologische Risikofakto-

ren (vgl. Prof. Kolip, 2006).

2.2.3. Das Stressmodell

Ein von dem Mediziner Hans Selye entwickeltes Modell der 1930er Jahre, dessen

Kernstück das AAS - Allgemeines Adaptionssyndrom - ist. Es betrachtet Stress als

Ko-Faktor bei der Entstehung zahlreicher Krankheiten und bezeichnet stereotype

Reaktionen eines Organismus auf Stressoren, wie beispielsweise psychische Belas-

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tungen, Leistungsdruck und körperliche Anstrengung. Die Steuerung der daraus re-

sultierenden Abwehrreaktion erfolgt durch körpereigene hormonähnliche Stoffe (Ka-

techolamine und Corticoide), durch welche es zu Gesundheitsschäden kommen

kann, werden diese andauernd bzw. in zu hohem Maße ausgeschüttet (vgl. Prof. Ko-

lip, 2006).

2.2.4. Kritische Lebensereignisse (Stress als Reiz)

Dieses Modell geht davon aus, dass psychosoziale Stimuli einen wichtigen Einfluss

auf die Entstehung von Krankheiten haben, da ein Zusammenhang zwischen be-

deutsamen Änderungen im Lebenslauf und psychischer und physischer Gesundheit

besteht, zumal Änderungen eine Anpassungsreaktion des Organismus erfordern. Bei

besonders belastenden Änderungen oder bei chronischer Belastung erhöht sich so-

mit die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung (vgl. Prof. Kolip, 2006).

2.2.5. Transaktionale Stresstheorie

Die von Lazarus entwickelte Transaktionale Stresstheorie betont die Wechselwirkung

zwischen Person und Umwelt. Demnach hängt das Erleben von Stress einerseits

vom Reiz, andererseits von den Verarbeitungsmechanismen der betroffenen Person

ab; von ihren kognitiven Bewertungsprozessen.

Die primäre Bewertung (primary appraisal) betrifft die Einschätzung der Bedeutung

eines Ereignisses für das Wohlbefinden und bestimmt Intensität und Qualität der

emotionalen Reaktion, die sekundäre Bewertung (secondary appraisal) tangiert die

Einschätzung der zur Verfügung stehenden Bewältigungsmöglichkeiten, also den

Ausgleich zwischen den Anforderungen der Situation und Fähigkeiten zur Bewälti-

gung. Durch die Neubewertung (reappraisal) können neue Informationen aus der

Umwelt neue Bewertungen zur Folge haben. Zu beachten ist, dass die Begriffe pri-

mär und sekundär keine Hierarchisierung oder zeitliche Reihenfolge beanspruchen.

Die Stressbewältigung hat nach Lazarus zwei Funktionen: zum einen eine instrumen-

telle Funktion, welche eine Veränderung der Situation mit sich bringt, zum anderen

eine affektive Funktion, welche eine Veränderung der Emotion zur Folge hat (vgl.

Prof. Kolip, 2006).

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2.2.6. Salutogenese

Das Salutogenese - Modell von Antonovsky ist eines der bekanntesten Ressourcen-

konzepte der Gesundheitsförderung. Im Gegensatz zur defizitorientierten Pathoge-

nese (beschreibt die Entstehung und Entwicklung einer Krankheit) lenkt die Saluto-

genese (beschreibt die Gesamtheit gesundheitsfördernder und -erhaltender Fakto-

ren) den Blick auf Ressourcen und Schutzfaktoren und gibt sowohl psychosozialen

als auch biologischen Faktoren gleichermaßen Gewicht.

Nach diesem Modell darf Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess ver-

standen werden, da es nicht nur zwei starre Zustände – gesund/krank – gibt, son-

dern ein Kontinuum von Gesundheit und Krankheit (vgl. Antonovsky, 1979) das be-

deutet, dass auch kranke Menschen immer mehr oder weniger gesund sind. Das Sa-

lutogenese - Modell widmet sich der Frage, welche Faktoren eine bestimmte Position

auf diesem Gesundheitskontinuum erhalten und welche Ressourcen einer Person

bei der Bewältigung von Stressoren zur Verfügung stehen. Stressoren sind allge-

genwärtig und unvermeidbar, ob es sich hierbei jedoch um negativen oder positiven

Stress handelt ist abhängig von ihrer subjektiven Bedeutung für die betroffene Per-

son, sowie der Verfügbarkeit von Ressourcen. Das Kernstück des Modells ist das

Kohärenzgefühl (sense of coherence, SOC). These ist, dass der Gesundheits- bzw.

Krankheitszustand im Wesentlichen durch die allgemeine Grundhaltung eines Indivi-

duums gegenüber der Welt und dem eigenen Leben bestimmt wird, Menschen also

durch das Konstrukt des SOC in der Lage sind individuell und flexibel auf Krisen rea-

gieren zu können. Antonovsky definiert das Kohärenzgefühl als

„(...) a global orientation that expresses the extent to which one has a

pervasive, enduring though dynamic, feeling of confidence that one’s

internal and external environments are predictable and that there is a

high probability that things will work out as well as can reasonably be

expected”. (Antonovsky 1979, S.10)

Die Grundhaltung gegenüber der Welt setzt sich nach Antonovsky aus drei Kompo-

nenten zusammen: (1) sense of comprehensibility (Gefühl von Verstehbarkeit), (2)

senese of manageability (Gefühl von Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit) und (3)

sense of meaningfulness (Gefühl von Sinnhaftigkeit bzw. Bedeutbarkeit) (vgl. Bengel

et al. 1999/2001).

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3. Wandel der Einstellung zum Thema Arbeit bzw. Arbeitslosigkeit

Im Laufe der Zeit hat sich die Einstellung zum Thema Arbeit gewandelt, beeinflusst

nicht nur durch epochale und kulturelle, sondern auch durch soziale, religiöse und

besonders durch politische Faktoren. Während Arbeit in der Antike noch als Zwang

galt, entwickelte sich im Christentum ein ganz anderes Bild: Arbeit wird als gottge-

wollte Pflicht verstanden. So heißt es in der Bibel im 2. Brief des Paulus an die Thes-

salonicher:

„Denn wir haben nicht unordentlich bei euch gelebt, haben auch

nicht umsonst Brot von jemandem genommen sondern mit Mühe

und Plage haben wir Tag und Nacht gearbeitet, um keinem von

euch zur Last zu fallen (…) Wer nicht arbeiten will, der soll auch

nicht essen.“

Arbeit als ethische Aufgabe niemandem zur Last zufallen und als Möglichkeit auf den

Anspruch auf das existentielle Bedürfnis Nahrung. Menschen die „unordentlich“ leb-

ten, also keiner Arbeit nachgingen wurden diskriminiert.

Im Mittelalter wurde diese christliche Auffassung von Thomas von Aquin weitestge-

hend vertreten; Arbeit dient dem Erwerb des Lebensunterhaltes. Für Aquin ist dies

nicht nur ein natürliches Gesetz, sondern zugleich auch ein göttliches Gebot. Wer

nicht eigenen Besitz hat und davon leben kann, für den ergibt sich die Verpflichtung

zu arbeiten (vgl. Schilling / Zeller 2010).

Im Vergleich zur Antike hat sich im Mittelalter nur wenig geändert; arbeiteten in der

Antike Sklaven und Unfreie, so tauchten im Mittelalter Erscheinungen wie Frondiens-

te und Leibeigenschaft auf. Allerdings galt Arbeit nicht mehr als Pflicht für alle, denn

wer von seinem Besitz leben konnte ohne zu arbeiten, war davon befreit.

Im 16 Jahrhundert lehrt Calvin, dass Arbeit ein göttlicher Auftrag sei und Nicht-

Arbeiten göttliche Verdammnis nach sich ziehe (vgl. Schuhmacher 1986). Die Almo-

senlehre von Thomas von Aquin erfährt grundlegende Veränderungen durch den

Calvinismus und den Humanismus, Arbeit wird zu einer Gottespflicht.

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Erst im 17 Jahrhundert fordert die bürgerliche Gesellschaft eine allgemeine Arbeits-

verpflichtung, welche alle arbeitsfähigen Gesellschaftsmitglieder mit einbeziehen soll-

te. Müßiggang wurde verdammt und Tugenden wie Askese und Sparsamkeit traten

in den Vordergrund. Arbeitslosigkeit und damit einhergehende Armut wurden als

selbst verschuldet erachtet, als persönliches Versagen, welches zum Ausschluss aus

der Gesellschaft führte.

Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts, in der Zeit der Aufklärung und des Absolu-

tismus mit seiner merkantilistischen Wirtschaftsordnung, führte der enorme Anstieg

von Arbeitslosigkeit und Armut zur Kriminalisierung von Armut und der Errichtung

von Zucht- und Arbeitshäusern. Betteln war streng verboten, wer dies trotzdem tat

wurde in die Zucht- und Arbeitshäuser eingewiesen und zur Arbeit gezwungen (vgl.

Schilling / Zeller 2010).

Erst als durch das Auftreten von Wirtschaftskrisen im 20. Jahrhundert die Zahl der

Arbeitslosen stark anstieg und man die Arbeitslosigkeit nicht mehr nur auf individuel-

les Versagen zurückführen konnte, nahm man von dieser Internierungspraxis Ab-

stand. Heute wird die Kausalität von Arbeitslosigkeit und ökonomischen Faktoren all-

gemein akzeptiert. Doch auch wenn soziale Sicherungssysteme wie beispielsweise

die Arbeitslosenversicherung1 dafür sorgen, dass die physische Existenz der Betrof-

fenen bewahrt wird, so können sie jedoch nicht vor gesundheitlichen / psychischen

Folgen der Arbeitslosigkeit schützen.

1 Anmerkung: ALG I und ALG II

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4. Theorien über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die psychische und physische Gesundheit

In der Vergangenheit versuchten mehrere Theorien die Wirkung von Arbeitslosigkeit

auf den Gesundheitszustand zu klären. Für einen Überblick werden die wichtigsten

bestehenden Perspektiven nachfolgend vorgestellt.

4.1. Die Arbeitslosen von Marienthal / Marienthal-Studie

„(...) Freizeit als tragisches Geschenk.“ (Jahoda, Lazarsfeld & Zeisel, 1933/1975, S.83)

Eine der bekanntesten Untersuchungen über psychosoziale Folgen von Arbeitslosig-

keit stellt die Marienthal-Studie dar. In dieser beschreiben die Autoren Jahoda, La-

zarsfeld und Zeisel die Auswirkungen und psychosozialen Belastungen auf ein gan-

zes Dorf während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren.

Sie typisierten die untersuchten Familien der Arbeitslosen in vier Haltungsgruppen:

(1) ungebrochen, (2) resigniert, (3) verzweifelt und (4) apathisch und stellten diese in

einen zeitlichen Ablauf.

4.1.1. Die Theorie der psychischen Deprivation

Während sich ökonomische Deprivationsansätze alleine auf ökonomische Ressour-

cen konzentrieren, fokussieren psychosoziale Deprivationsmodelle nichtökonomi-

sche Entbehrungen. Mit Rückgriff auf die Marienthal-Studie entwickelte Marie Jahoda

die Theorie der psychischen Deprivation.

In dieser Theorie hat ein Arbeitsplatz manifeste und eine Reihe latenter Funktionen.

Zusätzlich der Sicherung des Einkommens strukturiert Erwerbstätigkeit als „unbeab-

sichtigtes Nebenprodukt ihrer Organisationsform“ (Jahoda 1983, S. 136) den Tag.

Neben dem Einkommenserwerb, der manifesten Funktion, unterscheidet sie fünft

psychosoziale Funktionen der Erwerbsarbeit:

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(1) Zeitstruktur, (2) ein über die Familie hinausgehendes soziales Netzwerk, (3) die

Teilnahme an kollektiven Unternehmungen, (4) Identität und sozialer Status und (5)

eine regelmäßige Beschäftigung.

Diese fünf Erfahrungskategorien konvergieren mit basalen psychischen Bedürfnis-

sen. Da Arbeitslosigkeit zum Verlust dieser führt, versiegt somit die Quelle, welche

die fünf Erfahrungen in ausreichender Intensität und Regenmäßigkeit verfügbar

macht, somit ist also die Deprivation der Erfahrungskategorien die eigentliche Ursa-

che des schlechten Befindens.

4.2. Identitätstheorien

In den 1980er Jahren wurden bisherige theoretische Ansätze der Arbeitslosenfor-

schung kontrovers diskutiert. Als sich herausstellte, dass Arbeitslose unterschiedlich

auf den Verlust des Arbeitsplatzes reagieren, rückten vor allem die Phasenmodelle in

den Mittelpunkt der Diskussion.

Nach diesem Ansatz sind für die psychische Gesundheit und Bewältigung von Ar-

beitslosigkeit die wahrgenommenen Erwartungen und Bewertungen des sozialen

Umfelds von entscheidender Bedeutung (vgl. Rogge / Kieselbach 2009).

4.3. Das Vitamin - Modell

Warr entwickelte Jahodas Ansatz weiter und weitet ihn auf soziale Kontexte aus, ü-

bernimmt aber nicht die Unterscheidung zwischen manifesten und latenten Funktio-

nen. In Analogie zur notwendigen Versorgung des Körpers mit Vitaminen, nennt

Warr neun Kontextfaktoren, welche die psychische Gesundheit beeinflussen:

(1) Möglichkeit zur Kontrolle der eigenen Lebensbedingungen, (2) Möglichkeit, die

eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und anzuwenden, (3) externe Zielvorgaben, die

sowohl aktivierend, als auch motivierend wirken, (4) Abwechslung und die Chance,

neue Erfahrungen zu machen, (5) Vorhersehbarkeit und Durchschaubarkeit von Er-

eignissen, (6) Verfügbarkeit ausreichender finanzieller Ressourcen, (7) physische

Sicherheit, (8) soziale Kontakte, (9) eine soziale Position, die Selbstachtung und An-

erkennung durch andere begünstigt.

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4.4. Theorie der erlernten Hilflosigkeit

Dieser Erklärungsansatz geht davon aus, dass Menschen in unkontrollierbaren,

aversiven Situationen eine anhaltende Überzeugung entwickeln, aversive Reize ihrer

Umwelt nicht durch eigenes Verhalten kontrollieren zu können.

„Nach Seligman lernt und erlebt eine Person Hilflosigkeit, wenn

subjektiv bedeutsame Ereignisse subjektiv unkontrollierbar erscheinen.

In einem solchen Fall wird das eigene Verhalten und dessen Konse-

quenzen in der Umwelt unabhängig voneinander wahrgenommen.

Mein Handeln hat keine Konsequenzen! Dies gilt auch wenn objektiv

in einer neuen Situation Kontrolle besteht. Die Erfahrung wird auf

neue Situationen generalisiert.“

(Psychische Gesundheit-info.de [Stand 03.06.2014])

Nach diesem Ansatz werden Menschen, die keine Verbindung mehr zwischen eige-

nem Verhalten und Konsequenzen ihrer Umwelt sehen, resignativ, verlieren an

Selbstwertgefühl und werden schließlich depressiv.

4.5. Soziale Exklusion

In der Theorie der sozialen Exklusion dient Arbeit als Schlüsselfunktion für gesell-

schaftliche Teilhabe; Arbeitslosigkeit führt also zur sozialen Ausgrenzung.

„Die soziale Exklusion steigt mit der individuellen Vulnerabilität. Die Ausgrenzungs-

prozesse akkumuliere in diesem Modell und setzen eine Abwärtsspirale in Gang.“

(Hollederer 2011, S.31). Diese Ausgrenzung bringt nicht nur soziale Diskriminierung

mit sich, sondern hat auch weitere Exklusionsprozesse wie beispielsweise kulturelle

und räumliche zur Folge.

4.6. Modell der Gratifikationskrisen

Nach Siegrist führt ein Missverhältnis von Anstrengung und Belohnung zu einer Gra-

tifikationskrise. Das bedeutet, dass durch dieses Missverhältnis starke negative Emo-

tionen ausgelöst werden, welche mit einer hohen psychischen Belastung einherge-

hen.

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4.7. Differentielle Arbeitslosenforschung

Die genannten Ansätze lassen eine interdisziplinäre, integrative Perspektive vermis-

sen, sowie ein sozialwissenschaftlichen Verständnis für die Unterschiede innerhalb

der Population der Arbeitslosen. Denn sowohl die Deutung, als auch die Auswirkun-

gen der Arbeitslosigkeit, besonders auf gesundheitlicher Ebene, sind abhängig von

verschiedenen Faktoren, wie beispielsweise persönlichen und finanzielle Faktoren,

als auch Unterschiede in Merkmalen wie Geschlecht, Alter oder sozialem Milieu. Die

so genannte differentielle Arbeitslosenforschung hat dies bereits in den 1980er Jah-

ren erkannt. Wacker postulierte die Notwendigkeit der Identifizierung einzelner Fakto-

ren unterschiedlichster Bewältigungsstrategien, welche die Bewältigung von Arbeits-

losigkeit und die damit verbundenen Konsequenzen beeinflussen und machte deut-

lich, dass Pauschalisierungen fehl am Platze seien (vgl. Wacker 1983).

„Dennoch steckt m.E. in diesen Versuchen einer Umorientierung der

Arbeitslosenforschung ein richtiges Moment, da wir in der Tat vor dem

Dilemma stehen, recht viel über die möglichen allgemeinen psychosozialen

Auswirkungen von Arbeitslosigkeit zu wissen, aber vergleichsweise wenig

darüber, wie konkrete Individuen und Gruppen spezifische Zwänge der

Arbeitslosensituation verarbeiten (Wacker, 1980).

Forschungsstrategisch ist daher verstärkt eine differentielle Arbeitslosen-

forschung angezeigt (Lehr, 1982; Wacker, 1981).“

(Wacker 1983, Prokla S.79)

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5. Typologie biographischer Modi des Identitätsprozesses

Im Einklang mit der differentiellen Arbeitslosenforschung weist der Sozialwissen-

schaftler Dr. Benedikt Rogge mit seiner Typologie biographischer Identitätsmodi auf

die Varianz der Unterschiedlichkeit in der Deutung und dem Empfinden von Arbeits-

losigkeit hin. Er untersucht mit seiner Studie, basierend auf knapp 60 Interviews, wie

der Wechsel aus der Erwerbstätigkeit in die Arbeitslosigkeit mit dem Identitätspro-

zess und der psychischen Gesundheit einer Person zusammenhängt und entwickelt

anhand dieser eine Typologie biographischer Modi des Identitätsprozesses, welche

nachfolgend näher vorgestellt werden. Die während der Studie beobachteten Variati-

onen schlagen sich nach Aussage Rogges auf fünf analytisch zu unterscheidende

Ebenen nieder, welche er als grundlegende Dimensionen, Vergleichsdimensionen,

des Identitätsprozesses bezeichnet:

(1) das Sicherheitsempfinden, (2) das Sinnempfinden, (3) die Deutung der sozialen

Beziehungen, (4) die Deutung des Sozialstatus und (5) die psychische Gesundheit

(vgl. Rogge 2013).

(1) Das Sicherheitsempfinden

Das Sicherheitsempfinden stellt die erste Dimension dar, hierunter ist das allgemeine

Sicherheitsempfinden einer Person zu verstehen. Es ergibt sich aus dem Grad der

Gefährdung bzgl. der familiären und partnerschaftlichen Situation, der individuellen

ökonomischen Lage, der Wohnsituation, der physischen und psychischen Gesund-

heit usw. Am positiven Pol steht bei den Studienteilnehmern das Gefühl von Sicher-

heit, während am negativen Ende das Gefühl einer extremen, akuten Gefährdung

des Selbst steht.

Die Befragten, die sich unsicher und gefährdet fühlen, deuten ihre Lebenswelt auf-

grund der Arbeitslosigkeit als massiv bedroht. Ihr Unsicherheitsempfinden bezieht

sich in der Regel auf konkrete Bedrohungen wie beispielsweise das Auseinanderbre-

chen der Paarbeziehung bzw. das Scheitern der familiären Alltagsorganisation, den

Wegfall finanzieller Unterstützung bzw. Kürzung des Arbeitslosengeldes oder die

Verschlechterung der Gesundheit.

Die Studienteilnehmer, die ihre Lebenssituation für kontrollierbar halten, fühlen sich

sicher, das Sicherheitsempfinden bleibt trotz der Arbeitslosigkeit überwiegend unbe-

einträchtigt. Teilnehmer deren letzte Arbeitstätigkeit mit negativen Erfahrungen (und

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gesundheitlichen Auswirkungen) wie beispielsweise Mobbing geprägt sind, erleben

ihre Arbeitslosigkeit trotz ökonomischer Einbußen als Sicherheitsgewinn.

(2) Das Sinnempfinden

Die zweite Dimension des Identitätsprozesses ist das Sinnempfinden. Hierbei geht

es um das alltagsbezogene, subjektive Empfinden, als wie bedeutsam und erfüllend

eine Person ihr Alltagsleben erlebt. Das alltägliche Sinnempfinden verändert sich

meist erheblich, da bei vielen zuvor die Erwerbstätigkeit den größten Teil der Alltags-

zeit einnahm. Hier steht auf der negativen Seite, dass sich sowohl Männer als auch

Frauen, leer und unausgefüllt fühlen und die Arbeitssuche als rastlos und anstren-

gend empfinden. Doch auch hier kann es zu einer positiven Veränderung des Sinn-

empfindens kommen. Einige Befragte fühlen sich z.B. von einer Belastung befreit

und haben das Gefühl ein zufrieden stellendes, gar erfüllendes Alltagsleben zu ha-

ben.

Die Dimension des Sinnempfindens weist eine große Nähe zu Antonovskys Kern-

stück des Salutogenesemodells auf, dem Kohärenzgefühl (SOC) genauer gesagt der

Komponente Gefühl von Sinnhaftigkeit (sense of meanigfulness).

(3) Die Deutung der sozialen Beziehungen

Bei dieser Dimension geht es darum, wie sich eine Person im Verhältnis zu ihren In-

teraktionspartnern sieht. Am negativen Extrempol finden sich Aussagen der Befrag-

ten, die das Empfinden von Einsamkeit und Isolation, sowie das Fehlen von Aner-

kennung schildern. Auf der anderen Seite des Extrempols finden sich beispielsweise

Berichte über soziale Unterstützung oder Gewinne auf der Beziehungsebene, z.B.

eine Intensivierung der Elternrolle.

(4) Die Deutung des Sozialstatus

Die vierte Dimension „(...) umfasst die subjektive Sicht eines Individuums auf seine

eigene Position innerhalb des gesellschaftlichen Gefüges und auf seine Zugehörig-

keit zu (einer) bestimmten Sozialkategorie(n), in der vorliegenden Studie vor allem

zur Gruppe der Arbeitslosen.“ (Rogge 2013, S.99). Auf der negativen Seite steht die

Abwertung des eigenen Status und es kommt zur Selbststigmatisierung, da die Ar-

beitslosigkeit als nicht tragbar und mit Scham empfunden wird. Dem entgegen wird

die Arbeitslosigkeit auf der positiven Seite als unvermeidbar oder sogar als positive

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Alternative zur Entfremdung durch Arbeit gesehen, es kommt also zu einer normali-

sierenden bzw. aufwertenden Statusdeutung.

(5) Die psychische Gesundheit

In der fünften Dimension erstreckt sich das Kontinuum von Angst Verzweiflung, Wut,

Sinnverlust, Selbstmordgedanken über Gleichmütigkeit bis hin zu Ausgeglichenheit

Wohlbefinden und Zufriedenheit. Auch wenn sich bestimmte Emotionen bereits in

anderen Dimensionen finden (z.B. bzgl. des Sicherheitsempfindens) ist es dennoch

erforderlich die psychische Gesundheit als eigenständige Dimension analytisch zu

trennen, da psychische Belastungen in vielen fällen zu einer eigenständigen Größe

im Identitätsprozess werden. Einige der Befragten gaben an, sie hätten das Gefühl,

permanent damit beschäftigt zu sein ihre psychischen Belastungen zu regulieren

bzw. zu lindern.

5.1. Bildung der Typologie

Auf der Basis identitätstheoretischer Heuristik entwickelte Rogge eine aussagekräfti-

ge Typologie, welche anhand ihrer Charakteristika wie folgt benannt wurden.

5.1.1. Die Umstellung des Selbst (episodische Beeinträchtigung)

In diesem Modus kommt es zur „Entdramatisierung der Arbeitslosigkeit“ (Rogge

2013, S.111). Der Eintritt der Arbeitslosigkeit stellt für die Betroffenen zwar eine Be-

einträchtigung, jedoch keine Katastrophe dar, da sie nicht als ungewöhnlich empfun-

den, sondern als erwartet gedeutet wird, zum Beispiel dann, wenn ein befristeter Ver-

trag ausläuft. Für prekär Beschäftigte, wie im Bereich der Lohn- und Zeitarbeit, ist

Arbeitslosigkeit ein Ereignis, das jederzeit eintreten kann. In diesem Modus reagieren

die Betroffenen auf den Arbeitsverlust relativ gelassen, nehmen ihn hin und sehen

keine Grund zu kämpfen, da für sie außer Zweifel steht, bald wieder ein Beschäfti-

gungsverhältnis aufzunehmen. “Diese episodische Statusperspektive beruht auf den

biographischen Erfahrungen der Umsteller, namentlich auf der Diskontinuität ihrer

Erwerbsbiographien.“(Rogge 2013, S.112). Die Betroffenen gehen davon aus, ihre

Situation kontrollieren zu können, weil sie sich in der Vergangenheit immer wieder

als Determinante in ihrer Erwerbsbiographie erlebt haben. Dies wird durch die die

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Bereitschaft ermöglicht, auch schlecht bezahlte, körperlich anstrengende Arbeit an-

zunehmen, anstatt noch länger in der Arbeitslosigkeit zu verweilen. Rogge bezeich-

net diesen Modus als „Modus der prekär Beschäftigten“, da Arbeitslosigkeit für die

Betroffenen „eine vertraute Episode ist, in der man sich umstellen muss (ebd. S.113).

Das Sicherheitsempfinden der Betroffenen verändert sich nur gering, da sie nicht nur

einen geringeren finanziellen Status und somit auch das haushalten gewohnt sind,

sondern sich in Bezug auf Ansehen, Vermögen oder ähnlichem, weniger bedroht füh-

len als andere. Der Sozialstatus wird akzeptiert, der Arbeitslosenstatus normalisiert.

Diese Normalitätskonstruktion führt zu einer Entstigmatisierung, welche eine psychi-

sche Entlastung zur Folge hat, da das Empfinden von Wertlosigkeit verringert wird.

5.1.2. Die Befreiung des Selbst (episodische Verbesserung)

Das Empfinden einer Verbesserung dominiert, wobei die Überzeugung besteht, dass

diese nur von kurzer Dauer ist „(...) und in absehbarer Zeit die Rückkehr in das alte

Selbst ansteht.“ (ebd. S.105). Ein entscheidendes Merkmal des Befreiungsmodus ist

die Erwünschtheit der Arbeitslosigkeit. Teilweise erlebten die Betroffenen ihre Arbeit

nicht nur als körperlich, sondern auch als psychisch belastend. Im Gegensatz zu den

Betroffenen im Umstellungsmodus treten die Betroffenen hier nach langer Zeit aus

ihrer Erwerbstätigkeit in die Arbeitslosigkeit ein, des Öfteren sogar zum ersten Mal in

ihrem Leben. Die Erwünschtheit resultiert aus einer Arbeitsunzufriedenheit, bei-

spielsweise aufgrund fehlenden Entfaltungsspielraums, Probleme bei Wechsel des

Vorgesetzen, Mobbingerfahrungen oder der Unvereinbarkeit der Arbeit mit anderen

Lebensbereichen, sowie arbeitsbedingter gesundheitlicher Belastungen. Der Eintritt

in die Arbeitslosigkeit stellt für die Betroffenen dieses Modus einen biographischen

Wendepunkt dar.

Das Sicherheitsempfinden ist relativ hoch, da die Betroffenen des Befreiungsmodus

sowohl über finanzielle, als auch über kognitive und berufliche Ressourcen verfügen;

so haben beispielsweise fünf von sechs Teilnehmern ein Hochschulstudium absol-

viert, während es im Vergleich dazu im Umstellungsmodus einer von sieben ist (vgl.

Rogge 2013).

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In Bezug auf die Statusdeutung kommt es zur Sublimierung der Arbeitslosigkeit, bei-

spielsweise zur Relativierung der Erwerbstätigkeit, sowie die Romantisierung der Ar-

beitslosigkeit. Im Gegensatz zum Umstellungsmodus ist der Arbeitslosenstatus für

Betroffene hier nicht normal, sondern hat Ausnahmecharakter. Sie distanzieren sich

von typischen Arbeitslosen, betrachten sich selbst als sublime Arbeitslose, deren So-

zialstatus vorübergehend pausiert. Von der Auszeit erhoffen sich die Betroffenen ei-

ne Verbesserung ihrer gesundheitlichen Situation. Da das letzte Beschäftigungsver-

hältnis als Störfaktor empfunden wurde, stellt sich bei Eintritt in die Arbeitslosigkeit

schnell eine Besserung des Befindens ein, es kommt zu einer Entlastung und zu ei-

nem Gewinn an Lebensqualität.

5.1.3. Der Kampf um das Selbst (Beeinträchtigung von ungewisser Dauer)

Die Betroffenen bemühen sich intensiv darum wieder in ihren alten Status zurückzu-

kehren, da der Erfolg jedoch nicht absehbar ist, kämpfen die betroffenen Personen

darum.

Während der Eintritt in die Arbeitslosigkeit sowohl im Umstellungs-, als auch im Be-

freiungsmodus, als episodisches Intermezzo gesehen wird, ist die Statusperspektive

im Kampfmodus ungewiss. „Diese Ungewissheit paart sich mit der Deutung der Ar-

beitslosigkeit als einer massiven Störung des Identitätsprozesses.“ (Rogge 2013, S.

162). Der Eintritt in die Arbeitslosigkeit wird häufig als Schock erlebt, da das Ereignis

nicht nur unerwartet kommt, sondern auch unfreiwillig und unerwünscht ist.

Bezüglich des Sicherheitsempfindens, beherrscht von Bedrohung auf der einen und

Verunsicherung auf der anderen Seite, differenziert Rogge zwei verschiedene Vari-

anten: (1) der Kampf um Selbsterhaltung und (2) der Kampf um Selbstverwirklichung.

Die Unterteilung resultiert primär aus der finanziellen Situation der Betroffenen. Wäh-

rend die Betroffenen des Selbsterhaltungskampfes aus Ausbildungsberufen stam-

men oder ungelernte Arbeiter sind und entweder Arbeitslosengeld I oder II beziehen,

haben die meisten Betroffenen des Selbstverwirklichungskampfes ein Hochschulstu-

dium absolviert, in höheren Dienstleistungsberufen gearbeitet und sind finanziell ab-

gesichert. Diese finanzielle Absicherung hat zweifellos einen positiven Einfluss auf

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die psychische Beeinträchtigung, dennoch sind die Betroffen trotz allem stark be-

lastet.

Was die Statusdeutung betrifft, so sehen die Betroffenen des Kampfmodus ihre sozi-

ale Identität bedroht, „es kommt zu einem inneren Kampf um die Deutung des eige-

nen Sozialstatus.“ (Rogge 2013, S.183), da es hier, im Gegensatz zum Umstellungs-

und Befreiungsmodus, keine Differenzierungen zwischen Arbeitslosen gibt, sondern

eine negative Konnotation, also eine assoziative, emotionale, wertende Vorstellung,

herrscht, welche aus der Annahme resultiert, dass Arbeitslosigkeit ausnahmslos

stigmatisiert wird. Die Betroffenen haben nicht nur das Problem der Deutung des ei-

genen Sozialstatus, sondern stigmatisieren sich auch gleichzeitig selbst, sehen ihren

Status als „verunreinigt“ an, wodurch schwerwiegende Folgen für ihren persönlichen

Identitätsprozess entstehen können. Rogge bezeichnet dies als „Miasma der Status-

deutung“ und konstatiert:

„Das Wort ‚Miasma’ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet

‚Befleckung, Schmutz (...) oder auch ‚Besudelung, Verunreinigung’ (...).

Das Moment der ‚Verunreinigung’ im Begriff des Miasmas spiegelt die

Deutung der Kämpfer wider, dass sich mit der Arbeitslosigkeit ein

Fremdkörper, wenn nicht ein giftiges, ‚widerwärtiges’ Element in ihren

Identitätsprozess eingeschlichen habe. Der objektive Statuswechsel

springt quasi auf die subjektive Statusdeutung des Kämpfenden über,

ohne sie schon vollständig zu vereinnahmen. Die Idee einer reversiblen

‚Befleckung’ ist zentral für das Miasmakonzept. Sie unterscheidet sich

von einer anhaltenden ‚Brandmarkung’, die dem Stigmakonzept eigen ist.

Die Kämpfenden haben den Eindruck, ihr Selbst habe einen Makel

Erhalten, aber einen auslöschlichen Makel.“

(Rogge 2013, S.184)

5.1.4. Der Verfall des Selbst (dauerhafte Beeinträchtigung)

Im Verfallsmodus wechselt die Statusperspektive; was in den vorangegangenen Mo-

di noch ungewiss war, entwickelt sich jetzt vermeintlich zur Gewissheit, die Deutung

eines dauerhaften Anhalten des Sozialstatus. Im Gegensatz zum Kampf um das

Selbst gehen die Betroffenen hier nicht mehr davon aus, in ihr altes Selbst zurückzu-

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kehren. Das frühere Selbst wird als zerfallend wahrgenommen, da eine dauerhafte

Beeinträchtigung des Identitätsprozesses erwartet wird, dabei ist sekundär, ob der

Betroffene nun davon ausgeht auf Dauer in der Arbeitslosigkeit verharren zu müssen

oder prekär beschäftigt zu sein. Ausschlaggebend ist, dass die Betroffenen eine Ver-

schlechterung auf allen Ebenen wahrnehmen, welche durch das Ereignis Arbeitslo-

sigkeit initiiert wurde. Die Betroffenen des Verfallsmodus scheinen dazu zu neigen,

ihre Arbeitslosigkeit als eine katastrophale Veränderung zu sehen, welche den un-

ausweichlichen Verlust ihres Selbst nach sich zieht (vgl. Rogge 2013).

Bezüglich des Sicherheitsempfindens haben die Betroffenen im Verfallsmodus ein

permanentes Gefühl von Unsicherheit. Zum einen erschüttert sie die Tatsache, ihre

Erwerbsbiographie nicht kontrollieren zu können, zum anderen herrscht eine kontinu-

ierliche innere Anspannung wenn sie an ihre Zukunft denken. Diese Unsicherheit

kann eine „cascade of secondary stressors“ (Rogge 2013, S. 205) auslösen, sowie

gesundheitliche Probleme.

Zu der alltäglichen Unsicherheit und Zukunftsangst gesellt sich bald Resignation, da

die Anstrengungen des Kampfmodus auf Dauer nicht auszuhalten sind. Die Suche

nach Arbeit wird sekundär, die Bemühungen einen neuen Arbeitsplatz zu finden

nehmen immer weiter ab. Die Befragten gaben im Interview an, ihren Alltag als sinn-

los zu empfinden, beginnen in den Tag hinein zu leben und versuchen Zeit totzu-

schlagen. Sie fühlen sich ohnmächtig und hilflos (vgl. Rogge 2013, S. 206ff). Rogge

formuliert die Situation der Betroffenen folgendermaßen:

„Das Gefühl des Selbstverlustes schlägt sich in einer

Notorischen Entleerung des Alltags und einem chronischen

Empfinden von Inkongruenz nieder (…). Die Verzweiflung

und Niedergeschlagenheit stellt in den Biographien der Befragten

einen psychischen Tiefpunkt dar. Von diesem Tiefpunkt aus

kommt es bei vielen Arbeitslosen zu Adaptionen, d.h. zu einer

Gewöhnung an die belastenden Lebensumstände oder zu

selbstwertdienlichen Veränderungen des Selbstbildes.“

Was die psychische Belastung betrifft, so ist der Verfallsmodus der am zweitstärks-

ten belastete Modus. Die Betroffenen sind in ihrer psychischen Gesundheit stark be-

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einträchtigt, leiden an Depressionen. Im Interview gaben sie auf der Depressionsska-

la vor allem an „unter dauerhafter, trübsinniger Laune, Depression / Niedergeschla-

genheit, Traurigkeit und dem Gefühl, dass alles anstrengend ist“ zu leiden (ebd. S.

216). Um diese Symptome zu lindern, entwickeln die Betroffenen Strategien. Hierzu

gehört unter anderem beispielsweise die Betäubung des Selbst durch Konsum von

Alkohol und Tabletten, sowie die Flucht in die Fiktion, beispielsweise das Abtauchen

in Tagträumereien von einem besseren Leben.

5.1.5. Die Transformation des Selbst (dauerhafte Verbesserung)

Der Statuswechsel wird von den Betroffenen sowohl als Verbesserung des Identi-

tätsprozesses auf Dauer, als auch „(...) als Ursache einer positiven Veränderung des

Selbst (...)“ (ebd. S.105), empfunden. Auf eine Sequenz von Moduswechseln seit

Beginn der Arbeitslosigkeit erfolgt der Transformationsmodus. „Das Selbstbild unter-

scheidet sich nun substanziell vom Selbstbild des Ausgangszustandes vor der Ar-

beitslosigkeit.“ (ebd. S. 224) , da sich die Maßstäbe der Selbstbewertung verändern.

Da die Betroffenen davon ausgehen, ihren Sozialstatus dauerhaft beizubehalten,

bleibt nur die Möglichkeit der Anpassung / Transformation oder das Erleben von

dauerhafter Inkongruenz, weshalb von diesem Modus hauptsächlich Langzeitarbeits-

lose betroffen sind, da sich die Transformation nur langsam vollzieht.

Die Betroffenen weisen bezüglich ihres Sicherheitsempfindens eine grundsätzliche

Stabilisierung auf. Sie sind, ähnlich wie im Umstellungsmodus, der Überzeugung ihr

Leben selbst kontrollieren zu können und zu Recht zu kommen. Beeinträchtigungen

der körperlichen und psychischen Gesundheit, wie beispielsweise im Verfallsmodus,

sind nicht erkennbar. Es kommt zudem, anders als in den anderen Modi, zu einer

Solidarisierung der Arbeitslosen mit ihrem sozialen Umfeld, des weiteren „(...) zeich-

nen sie sich (…) durch die Zurückweisung ihrer sozialen Stigmatisierung aus, durch

Formen der Stigmaresistenz.“ (ebd. S. 233).

5.2. Anmerkungen / Vergleich mit anderen Typologien

Die vorliegende Untersuchung lässt sich, aufgrund des Bezugsrahmens, mit einer

Reihe bisher angefertigten Studien vergleichen.

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Die Marienthal-Studie (1933/1975) unterschied vier Gruppen von Arbeitslosen:

(1) die Ungebrochenen, (2) die Resignierten, (3) die Verzweifelten und (4) die Apa-

thischen. Die Gruppe der Ungebrochenen lässt sich dem Kampfmodus, die restlichen

drei Gruppen dem Typus des Verfallsmodus zuordnen. Dies zeigt, dass die Typolo-

gie biographischer Identitätsmodi wesentlich differenzierter ist, als die Typologie der

Marienthal-Studie.

1938 identifizierten Eisenberg und Lazarsfeld in ihrem Phasenmodell die Phasen:

(1) Schock, (2) Optimismus, (3) Pessimismus und (4) Fatalismus. Während sich die

erste und die dritte Phase, Schock (über den Arbeitsplatzverlust) und Pessimismus,

im Kampfmodus finden, stellt die vierte Phase, Fatalismus, ein typisches Element

des Verfallsmodus dar. Die zweite Phase, Optimismus, zeigt sich sowohl im Umstel-

lungs- als auch im Befreiungsmodus. Rogges Typologie geht ergo auch über die

Folgerungen des Phasenmodells hinaus.

Die Interviewstudie von Kronauer, Vogel und Gerlach (1993) unterschied vier Typen

der Arbeitslosigkeitserfahrung:

(1) Arbeitslosigkeit als integrierbarer Bestandteil der Erwerbsbiographie, (2) das

Infragestehen dieser Integrierbarkeit, (3) Arbeitslosigkeit als lebensbestimmende so-

ziale Realität und (4) den Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt und Übergang in gesell-

schaftlich anerkannte Alternativrollen. Auch hier finden sich Ähnlichkeiten und Über-

schneidungen zur Typologie Rogges. Der erste Typus der Interviewstudie interferiert

mit den Typen Umstellung des Selbst und Befreiung des Selbst. Der zweite Typus

zeigt eine Überschneidung mit dem Kampfmodus, der dritte mit dem Verfalls- und

der vierte mit dem Transformationsmodus. Die zentrale Kategorie der Typenbildung

wird hier jeweils durch die subjektiv empfundene Bedrohung der Erwerbsbiographie

dargestellt.

1999 beschreibt Vogel in seiner Interviewstudie, durchgeführt an ostdeutschen Ar-

beitslosen, drei vergleichbare Typen der Deutung von Arbeitslosigkeit:

(1) als erwerbsbiographischer Neuanfang, (2) als erwerbsbiographische Blockade

und (3) als erwerbsbiographischer Endpunkt. In dieser Studie findet sich weder der

für prekäre Erwerbsbiographien charakteristische Umstellungstypus, noch der

Befreiungs- oder Transformationstypus. Zudem lässt sie sowohl potentiell positive

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und entlastende Momente der Erwerbslosigkeit, als auch die potentielle Entfremdung

durch Erwerbstätigkeit vermissen. Es zeigt sich erneut, dass die Typologie biogra-

phischer Identitätsmodi deutlich weiter gefasst ist.

Ezzy (2001) unterschied in seiner Arbeitslosenstudie aus der Perspektive der narrati-

ven Identitätstheorie eine tragische Erzählung und eine heroische Erzählung des Ar-

beitsplatzverlusts. Die Verbindung zu Rogges Studie besteht hier in der Möglichkeit

der positiven Bewertung der Arbeitslosigkeit. Während die heroischen Erzählungen

mit den Aussagen der Betroffenen im Befreiungsmodus assoziiert werden können,

erinnern die tragischen Erzählungen an die Aussagen Betroffener im Verfallsmodus.

Interessant ist, dass die Möglichkeit einer positiven Bewertung des Wechsels in ei-

nen non-normativen Sozialstatus explizit nur in den Studien von Ezzy (2001), Buhr

(1995) und Ludwig (1996) hervorgehoben wird (vgl. Rogge, 2013).

Rogge konstatiert:

„Der Vergleich von aus quantitativen Daten begründete Typologien

hat Grenzen. Auffällig ist aber erstens, dass einige andere Studien

dem Konstrukt der Statusperspektive verwandte Konzepte als zentral

herausstellen. Zweitens ist hervorzuheben, dass die positive Bewertung

eines Wechsels in die Arbeitslosigkeit aus einer entfremdenden oder

belastenden Arbeit, wie sie im Befreiungsmodus beschrieben ist, das

charakteristische Deuten und Handeln in Arbeitslosigkeit unter den

Bedingungen prekärer Erwerbsbiographien, wie es im Umstellungs-

modus erfasst ist, und schließlich die Überwindung einer Krise durch

Arbeitslosigkeit, wie es im Transformationsmodus eingefangen wird, in

bisherigen Typologien nicht enthalten sind. […] Drittens ist hervorzuheben,

dass die psychische Gesundheit von keiner der genannten Studien explizit

untersucht wurde. Die Typologie biographischer Identitätsmodi stellt in

der hier vorgelegten Form somit ein zwar mit bisherigen Studien in Teilen

übereinstimmendes, aber in ihrer Gesamtheit deutlich über sie hinaus-

gehendes Forschungsergebnis dar.“

(Rogge 2013, S. 246f)

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Nun soll das Terrain der Arbeitslosenforschung verlassen und sich einem Vergleich

mit Typologien aus der Sterbe- und Trauerforschung gewidmet werden. Auch hier

sind Lebensereignisse verbunden mit Statuswechseln.

Elisabeth Kübler-Ross definierte in ihren Interwies mit Sterbenden (1969) fünf Pha-

sen des Verlustes, welche die psychischen Prozesse bei Trauerfällen darstellen und

erklären. Hieraus entwickelte Verena Kast (1982) in Anlehnung an die Erkenntnisse

John Bowlbys ein Modell von Trauerphasen, welches vier Phasen umfasst:

(1) die Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens, (2) die Phase der aufbrechenden Emo-

tionen, (3) die Phase des Suchens und Sich-Trennens und (4) die Phase des neuen

Selbst- und Weltbezugs.

Dieses Modell lässt sich nicht nur auf den Verlust geliebter Menschen, sondern auch

auf den Verlust des Arbeitsplatzes anwenden. Analogien zur Typologie biographi-

scher Identitätsmodi finden sich hier beispielsweise in Phase 1, Nicht-wahrhaben-

Wollen. Die Hoffnung, dass die Dinge sich wieder normalisieren herrscht hier vor. Ei-

ne weitere Gemeinsamkeit liegt hier in der geringen psychischen Belastung, wie et-

wa im Umstellungsmodus.

In der zweiten Phase, der Phase der aufbrechenden Emotionen, entsteht eine starke

emotionale Verunsicherung, da sich langsam aber sicher Ungewissheit ausbreitet,

diese entspricht der Ungewissheit bzgl. der Statusperspektive gemäß der Typologie

Rogges, in der sich Ungewissheit verbunden mit emotionaler Dramatik im Kampfmo-

dus wiederfindet.

Einen Tiefpunkt der Trauer stellt die dritte Phase, die Phase des Suchens und Sich-

Trennens, dar. In dieser geht es darum, die dauerhafte Veränderung der eigenen Si-

tuation zu akzeptieren. Auch hier findet sich eine Gemeinsamkeit im Fatalismus und

der Depressivität des Verfallsmodus.

In der vierten Phase wird das Stadium der Trauer überwunden und führt im besten

Falle zu einer Entwickelung eines neuen Selbst-und Weltbezug, ebenso in Rogges

Transformationsmodus, in dem sich das Selbstbild substanziell vom Selbstbild des

Ausgangszustandes vor der Arbeitslosigkeit unterscheidet.

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6. Zusammenhang von Gesundheitszustand und Arbeitslosigkeit 6.1. Kausalität / Selektion

Das zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit herrschende wechselseitige Wir-

kungsverhältnis ist eine der zentralen Fragen in der Arbeitslosenforschung.

Die Selektionshypothese geht davon aus, dass gesundheitliche Einschränkungen

einerseits das Risiko arbeitslos zu werden erhöhen und andererseits sowohl die Ar-

beitsplatzsuche, als auch die Arbeitsmarktintegration erschweren.

Dagegen geht die Kausalhypothese davon aus, dass sich die Arbeitslosigkeit selbst

als eigenständiger Faktor ursächlich auf den Gesundheitszustand des Betroffenen

auswirkt. Die Frage, ob Krankheit zur Arbeitslosigkeit führt oder ob Arbeitslosigkeit

krank macht lässt sich bis heute noch nicht abschließend beantworten. Arbeitslosig-

keit kann im Einzelfall sowohl Folge, als auch Ursache sein.

Abb.1: „Circulus vitiosus“ von Erwerbslosigkeit und Gesundheit

Quelle: Hollederer, A. 2011

6.2. Faktoren der Bewältigung

Arbeitslose bilden, auch trotz ihres gemeinsamen Beschäftigungsmerkmals Arbeits-

losigkeit, keine homogene Gruppe. Arbeitslosigkeit hat mit ihren verschiedenen For-

men unterschiedliche Bedeutung für verschiedene soziale Gruppen. Zudem hängen

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gesundheitliche Auswirkungen von den Bewältigungsmöglichkeiten, den sog, Mode-

ratorvariablen, ab, die den Arbeitslosen individuell zur Verfügung stehen.

In Moderationsanalysen wurden viele potentielle Einflussfaktoren zur Bewältigung

unfreiwilliger Arbeitslosigkeit untersucht. Kieselbach nennt als zentrale Moderatorva-

riablen (vgl. Kieselbach 2006):

Arbeits- und Berufsorientierung

Einen zentralen Faktor stellt die Bedeutung der bisherigen Arbeitserfahrungen dar.

Je höher der zugeschriebene Wert der Beschäftigung ist, desto stärker leidet man

unter deren Verlust.

Finanzielle Einschränkungen

Eine gewichtige Ursache psychosozialer Belastungen ist das Ausmaß monetärer

Einschränkungen, der permanente Zwang, Ausgaben drastisch einzuschränken und

keine Schulden zu machen.

Altersabhängige Belastungsprofile

Am verletzlichsten sind Arbeitslose im mittleren Alter, in der Regel mit abhängigen

Angehörigen. Im Mittel etwas geringer sind dagegen die Belastungen bei jüngeren

und älteren Arbeitslosen.

Geschlechtsspezifische Reaktionen

Es zeigte sich, dass sich dann Unterschiede ergeben, wenn Berufstätigkeit für Män-

ner und Frauen eine unterschiedliche Bedeutung hat. Zudem können durch gesell-

schaftliche Alternativrollen die spezifischen Folgen des Verlustes der Arbeit abgefe-

dert werden. Diese Alternativen finden sich für Frauen vor allem in traditionellen Rol-

len, wie z.B. als Hausfrau und Mutter.

Dauer der Arbeitslosigkeit

In der Bundesrepublik findet sich mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit ein

Anstieg der Belastungswerte, während in anderen Ländern Anzeichen von Anpas-

sung an die neue Lebenssituation stattfindet.

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Qualifikationsniveau

Je niedriger die Qualifikation, desto höher das Risiko arbeitslos zu werden. Niedrig-

bzw. Geringqualifizierte verfügen in der Regel über weniger Bewältigungsfähigkeiten

und sind daher von höheren Belastungen in der Arbeitslosigkeit betroffen

Allgemeines Aktivitätsniveau

Bei Betroffenen, die bereits schon vor dem Arbeitsplatzverlust ein Problem mit der

Zeitstrukturierung haben und deren Aktivitätsniveau gering ist, ist der psychosoziale

Stress während der Arbeitslosigkeit besonders hoch.

Sozialer Rückhalt oder Unterstützung

Durch ein unterstützendes soziales Netz wird die Bewältigung kritischer Lebenser-

eignisse erleichtert, so haben bspw. Menschen, die sich durch Familie oder Freunde

unterstützt fühlen, bessere Voraussetzungen zur Bewältigung.

6.3. Gesundheitliche Folgewirkungen bei Erwachsenen

Hinsichtlich des individuellen Verhaltens Arbeitsloser ergeben sich unterschiedliche

Einflussfaktoren, welche verschiedenste Folgen auf gesundheitlicher Ebene zur Fol-

ge haben können (vgl. Kieselbach 2006).

6.3.1. Arbeitslosigkeit und Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes

Subjektiven Einschätzungen zufolge weisen Arbeitslose einen signifikant schlechte-

ren Gesundheitszustand. Während lediglich 11% der Erwerbstätigen ihren Gesund-

heitszustand als „weniger gut“ oder „schlecht“ bezeichnen, kommen auf der Seite der

Arbeitslosen immerhin 23% zu dieser Einschätzung (Fußnote vgl. Robert Koch Insti-

tut, 2003).

6.3.2. Gesundheitszustand hinsichtlich der Dauer der Arbeitslosigkeit

Hinsichtlich gesundheitsrelevanter Merkmale zeigten sich Unterschiede zwischen

Personen, die innerhalb der letzten fünf Jahre weniger als 12 Monate arbeitslos und

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Personen, die länger als 12 Monate arbeitslos waren. Des Weiteren lässt sich aus

den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys erkennen, dass der Gesundheitszu-

stand bei Männern in Zusammenhang mit der Haushaltssituation steht. Männer, die

angaben nicht Hauptverdiener zu sein, zeigen weniger gesundheitliche Einschrän-

kungen als die Hauptverdiener (vgl. Grobe & Schwartz, 2003).

Abb. 2: Gesundheitszustand in Abhängigkeit von Arbeitslosigkeitserfahrungen bei Männern

Quelle: Grobe & Schwartz, 2003

6.3.3. Physische und psychische Beschwerden

Körperliche Beschwerden zeigen sich im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen

und hinsichtlich psychosomatischer Gesichtspunkte, wie beispielsweise Antriebs-

schwäche, Magen-Darm Beschwerden oder Schlaflosigkeit (vgl. Borman 1992).

Häufiger als physische Symptome treten, besonders in der Anfangszeit, psychische

Beeinträchtigungen auf, hauptsächlich Depressionen. Hinsichtlich der psychischen

Gesundheit fanden sich in zahlreichen Studien gravierende Unterschiede zwischen

Arbeitslosen und Berufstätigen. Die Beschwerdeliste ist lang, die wichtigsten Sym-

ptome der schlechteren psychischen Gesundheit Arbeitsloser sind: Ängstlichkeit,

Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, geringes Selbstwertgefühl, depressive Verstimmun-

gen, Resignation, Apathie, sowie Schlafstörungen verbunden mit chronischer Müdig-

keit, Reizbarkeit und Aggressionen (vgl. Kieselbach / Beelmann 2006).

Aus psychischen, sowie physischen Beeinträchtigungen können auch starke Ein-

schränkungen sozialer Kontakte resultieren. So zeigten sich starke Kontaktein-

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schränkungen zu Familienangehörigen oder Freunden aufgrund psychischer und

physischer Störungen (siehe Abb. 3).

Abb. 3: Kontakteinschränkungen aufgrund psychischer / physischer Störungen

Quelle: Elekes 2007

Nach Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems wurden psychische Erkrankungen

und Verhaltensstörungen in den Gutachten des ärztlichen Dienstes der Bundesagen-

tur für Arbeit 2001 am häufigsten diagnostiziert (vgl. Hollederer 2002).

Die Metaanalyse von Paul und Moser ergab, dass Arbeitslose im Vergleich zu Er-

werbstätigen im Allgemeinen sowohl mehr psychische Symptome, also verstärkt De-

pressionen und Angst, sowie mehr psychosomatische Symptome und ein schlechte-

res emotionales Wohlbefinden aufweisen (vgl. Paul / Moser 2001).

Mit Hilfe des von von Zerssen entwickelten Instruments wurden körperliche und psy-

chische Beschwerden im Nationalen Gesundheitssurvey der Deutschen Herz-

Kreislauf-Präventionsstudie (DHP) und dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 er-

fasst. Die Auswertungen ergaben eine höhere Beschwerdehäufigkeit und -intensität

seitens der Arbeitslosen im Vergleich zu Berufstätigen. Zudem zeigte eine Differen-

zierung der physischen und psychischen Beschwerden einen Trend zu psychischen

Beschwerden (siehe Abb. 4).

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Abb. 4: ausgewählte starke psychische Beschwerden nach Erwerbsstatus

(anhand der von Zerssen-Liste)

Quelle: Elekes 2007

Darüber hinaus können ernste Störungen der psychischen Gesundheit neben dem

Auftreten von Depressionen und Angststörungen ebenfalls zur Suchtentwicklung,

sowie suizidalen Handlungen führen.

6.3.4. Suchtverhalten

Als Reaktion auf Depressionen und Ängste kann bei Arbeitslosen ein Substanzmit-

telmissbrauch resultieren. Es besteht die Hypothese, dass ein erhöhter Alkohol- bzw.

Drogenkonsum auf den Versuch Belastungssituationen zu bewältigen zurückzufüh-

ren ist und somit als Teil einer Coping Strategie verstanden werden kann. Aus die-

sem verstärkten Suchmittelkonsum können jedoch weitere oder neue gesundheitli-

che Beeinträchtigungen und suchtbedingte Erkrankungen entstehen. Allerdings lie-

gen in Deutschland bisher nur wenige Daten über Suchterkrankungen von Arbeitslo-

sen vor. Dies liegt zum einen daran, dass Arbeitslose in relevanten Statistiken, bspw.

der Krankheitsartenstatistik, nicht gesondert ausgewiesen werden und zum anderen

daran, dass Suchterkrankungen in der amtlichen Arbeitsmarktstatistik unter gesund-

heitliche Einschränkungen fallen (vgl. Hollederer, 2011).

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Während in den Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit,

speziell bei Männern, besonders häufig psychische Störungen durch psychotrope

Substanzen wie beispielsweise Alkohol attestiert wurden, war der Alkoholkonsum

von Arbeitslosen im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 und im telefonischen Gesund-

heitssurvey 2003 jedoch nicht höher als der von Erwerbstätigen (vgl. Hollederer,

2011). Ein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und steigendem Alkoholkon-

sum konnte auch durch wissenschaftliche Untersuchungen mit mehreren Messzeit-

punkten meist nicht belegt werden. Bisherige Längsschnittstudien zeigen, dass sich

die Alkoholkonsummuster in Arbeitslosigkeit bei den meisten Betroffenen nur gering

verändern. Allerdings scheint sich der Alkoholkonsum zu intensivieren, wenn vor der

Arbeitslosigkeit bereits schon ein Konsummuster bestand (vgl. Henkel/Zemlin, 2008).

Im Vergleich zu Alkohol- oder Opiatabhängigkeit fand der Aspekt Tabakkonsum bis-

her eher wenig Beachtung. In Deutschland gehört der Mikrozensus zu den wichtigs-

ten Datenquellen zum Tabakkonsum von Arbeitslosen. So ergaben die Auswertun-

gen der Mikrozensus-Befragungen der Jahre 1989, 1995, 1999 und 2003, das ar-

beitslose Personen häufiger und intensiver rauchten, als Erwerbstätige. Besonders

hohe Tabakprävalenzen bei Erwerbslosen belegten auch die Auswertungen des Mik-

rozensus 2005 durch das Statistische Bundesamt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass

der vermehrte Tabakkonsum kausal auf die Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist, da

oftmals im Jugendalter begonnen wird zu rauchen und dies dann in späteren Le-

bensphasen lediglich aufrechterhalten wird (vgl. Hollederer, 2011).

6.3.5. Krankenhausaufenthalte

In einer wissenschaftlichen Untersuchung wertete die GEK (Gmünder Ersatzkasse)

die Krankenhausbehandlungen von GEK-pflichtversicherten Erwerbstätigen aus und

verglich diese mit den Daten der Auswertungen der GEK-pflichtversicherten Arbeits-

losen. Dies machte deutlich, dass signifikante Unterschiede bzgl. der Diagnosegrup-

pen und der Krankenhausaufenthalte bestehen. Einen Vergleich der erfassten Leis-

tungstage der GEK-Versicherten in Krankenhäusern zeigen die Abbildungen 5 und 6.

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Abb. 5: Krankenhaustage bei Männern nach ICD10-Diagnosekapiteln

Quelle: Grobe & Schwartz, 2003

Abb. 6: Krankenhaustage bei Frauen nach ICD10-Diagnosekapiteln

Quelle: Grobe & Schwartz, 2003

Die drastischsten Unterschiede zeigen sich hinsichtlich Psychischer- und Verhal-

tensstörungen, hier beträgt das Verhältnis arbeitsloser Männer zu Erwerbstätigen

7:1, bei Frauen 3:1. Bei Infektionserkrankungen, Krankheiten der Verdauungsorgane,

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Stoffwechselerkrankungen, sowie Vergiftungen und Verletzungen zeigt die Differenz

ebenfalls recht deutlich. Die geringsten Unterschiede finden sich im Bereich der Neu-

bildungen, der Krankheiten des Kreislaufsystems, des Urogenitalsystems sowie des

Muskel-Skelett-System und des Bindegewebes (vgl. Grobe & Schwartz, 2003).

6.3.6. Mortalität

Eine Reihe von Untersuchungen zeigen einen Zusammenhang von Arbeitslosigkeit

und Mortalität auf und machen deutlich, dass Arbeitslosigkeit zur Entstehung oder

Verstärkung von Krankheiten beitragen kann. Anhand von Sekundäranalysen regio-

naler AOK-Daten fand sich für die Bundesrepublik Deutschland (1980-1982) eine

Sterblichkeit, die in Arbeitslosigkeit um das 2,6-fache höher war als bei Erwerbstäti-

gen (vgl. Schach et al. 1994). Auf der Grundlage von Individualdaten der GEK ermit-

telte Grobe ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko in Abhängigkeit von der Dauer der Ar-

beitslosigkeit. Im Vergleich zu fortwährend Erwerbstätigen wiesen Versicherte die

weniger als 2 Jahre arbeitslos waren ein 1,6-fach erhöhtes, Versicherte die länger als

2 Jahre arbeitslos waren, ein 3,4-fach erhöhtes Risiko auf, siehe Abb. 7 (vgl. Grobe

& Schwatz, 2003).

Abb. 7: Sterblichkeit nach Dauer der vorausgehenden Arbeitslosigkeit

(Gesamtarbeitslosigkeitsdauer 1995-1997)

Quelle: Grobe & Schwartz, 2003

In der internationalen Forschung wird schon seit längerer Zeit ein erhöhtes Risiko für

vorzeitige Mortalität beobachtet, sowie ein Zusammenhang zwischen Wirtschaftsre-

zession und Arbeitslosigkeit mit einer erhöhten Suizidrate, bzw. mehr Suizidgedan-

ken und -versuchen, hergestellt. Die Studie von Stuckler et al. (2009) hat eine Ver-

knüpfung des signifikanten Anstiegs der Suizdrate und dem Anwachsen von Arbeits-

losigkeit gezeigt (vgl. Stuckler, Basu, Suhrcke, Coutts & McKee, 2009).

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7. Resümee

Das Anliegen der Arbeit war es, mögliche psychosoziale Auswirkungen von Arbeits-

losigkeit bei Erwachsenen mittels ausgewählter Theorien und Modelle zu skizzieren.

Damit verbunden sollte der bisherige Forschungsstand der Arbeitslosenforschung

anhand ausgewählter Theorien und Modelle beschrieben und im Zusammenhang mit

der differentiellen Arbeitslosenforschung die Studie zu Identitätsprozessen und (psy-

chischer) Gesundheit von Dr. Benedikt Rogge, sowie deren Ergebnisse, vorgestellt

werden.

Unter welchen Bedingungen Arbeitslose stark belastet sind und wann sie sich kaum

beeinträchtigt fühlen ist unter anderem abhängig von der Varianz soziodemographi-

scher und kontextueller Merkmale, wie beispielsweise Geschlecht, sozialem Milieu

oder auch dynamischen Veränderungen im Verlauf der Arbeitslosigkeit.

Die so genannte differentielle Arbeitslosenforschung hat bereits in den 1980er Jah-

ren erkannt, dass eine Notwendigkeit in der Identifizierung einzelner Faktoren unter-

schiedlichster Bewältigungsstrategien, welche sowohl die Deutung als auch die Be-

wältigung von Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen Konsequenzen beeinflus-

sen, besteht. Ebenfalls von essenzieller Bedeutung ist ein adäquates, sozialwissen-

schaftliches Verständnis der Unterschiede innerhalb der Population der Arbeitslosen.

Rogge zieht in seiner Studie Wie uns Arbeitslosigkeit unter die Haut geht eine inte-

grative identitätstheoretische Heuristik heran, bei der „(...) das Bedürfnis eines Indivi-

duums nach Kongruenz- und Selbstwertempfinden im Vordergrund“ steht (Rogge

2013, S.321). Da hierdurch Handeln und Deuten der betroffenen Personen geprägt

wird, hängt es unmittelbar mit der (psychischen) Gesundheit zusammen.

Die Kernkategorie des biographischen Identitätsmodus ist die zentrale Entdeckung

der Datenauswertung. Rogge beschreibt diesen als „Schlüsselkonzept, mit dessen

Hilfe die Mikromechanismen des Zusammenhangs von Arbeitslosigkeit und psychi-

scher Gesundheit in ihren Sinnzusammenhängen verstehbar werden.“ (ebd.).

Interessant und von Bedeutung ist die Möglichkeit einer positiven Bewertung des

Wechsels in einen non-normativen Sozialstatus.

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Im Hinblick auf die fünf ermittelten Vergleichsdimensionen des Identitätsprozesses,

(1) das Sicherheitsempfinden, (2) das Sinnempfinden, (3) die Deutung der sozialen

Beziehungen, (4) die Deutung des Sozialstatus und (5) die psychische Gesundheit,

lassen sich zwischen den verschiedenen Modi systematische Unterschiede finden.

Betroffene im Befreiungs- und Transformationsmodus weisen eine Verbesserung der

psychischen Gesundheit auf, während Kampf- und Verfallsmodus von psychosozia-

len Symptomatiken von klinischer Relevanz geprägt sind. Im Umstellungsmodus sind

die Auswirkungen des Statuswechsels hingegen aufgehoben.

Die vorgestellten fünf Idealtypen biographischer Identitätsmodi, (1) die Umstellung

des Selbst (Statuswechsel als episodische, aber vertraute Beeinträchtigung), (2) die

Befreiung des Selbst (vorübergehende erwünschte Freistellung, episodische Verbes-

serung), (3) der Kampf um das Selbst (Arbeitslosigkeit als Drama von ungewisser

Dauer), (4) der Verfall des Selbst (schicksalhafte Katastrophe, dauerhafte Beein-

trächtigung) und (5) die Transformation des Selbst (als Bestandteil eines guten Le-

bens, dauerhafte Verbesserung), zeigen, dass Arbeitslosigkeit unterschiedliche Fol-

gen je nach Identitätsmodus haben kann.

Wie viele andere Studien ebenfalls belegen, kann der Eintritt der Arbeitslosigkeit als

grundlegende Erschütterung des Selbstbildes verstanden werden, verknüpft mit ei-

nem Inkongruenz- und Wertlosigkeitsgefühl.

Inkongruenz- und Wertlosigkeitsempfindungen in hohem Maße beeinträchtigen die

psychische Gesundheit massiv und können mit gravierenden psychischen Belastun-

gen einhergehen. Wenn Arbeitslosigkeit als Angriff auf die bisherige Lebenssituation

der Betroffenen und als Bedrohung für das eigene Selbst empfunden wird, kann dies

schwerwiegende Konsequenzen zur Folge haben, wie etwa Angstgedanken in Ver-

bindung mit Schlafstörungen, ein ausgeprägtes Angstempfinden, zukunftsbezogene

Abstiegs- und Existenzängste – ein Teufelskreis der Ängste. Hinzu kommen diverse

weitere negative Emotionen, wie Minderwertigkeitsgefühle, Niedergeschlagenheit,

Antriebslosigkeit, sogar manifeste Suizidalität.

Da sowohl das Verlustempfinden als auch die Depressivität auf Dauer nicht aus-

gehalten werden kann, versuchen die Betroffenen oftmals die Beschwerden zu redu-

zieren bzw. zu unterdrücken und entwickeln Strategien der Symptomlinderung. Hier-

zu gehört auch der missbräuchliche Konsum psychotroper Substanzen wie bei-

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spielsweise Tabletten und Alkohol, sowie Zwangshandlungen und weitere Begleiter-

scheinungen. Auf das erhöhte Risiko einer Alkoholabhängigkeit wurde bereits hinge-

wiesen, eine weitere Strategie ist bspw. auch die Flucht in Fiktion, welche eine Phan-

tasie eines besseren Lebens darstellt, Snow & Anderson (1987) bezeichnen es als

fictive storytelling. Durch phantasierende Deutungen wird das Empfinden von Inkon-

gruenz und Wertlosigkeit aus dem bewussten Erleben abgedrängt.

Jedoch können solche Strategien der Symptomlinderung psychische Erkrankungen

zur Folge haben.

Dass sich die psychische Gesundheit sowohl bei Eintritt in die Arbeitslosigkeit bei

vielen Betroffenen verbessert, als auch bei Wiedereintritt in die Erwerbstätigkeit ver-

schlechtert haben bisher nur einige wenige Studien gezeigt (vgl. bspw. Ahn et al.

2004). Rogge zeigt auf, dass hierfür die individuellen Bedingungen der letzten Er-

werbstätigkeit enorm von Bedeutung sind. Assoziiert man die eigene Erwerbstätigkeit

beispielsweise mit einem Inkongruenz- und Wertlosigkeitsgefühl, sowie psychischer

und physischer Belastung, so wird die Arbeitslosigkeit als Erleichterung empfunden.

Auslöser hierfür ist oftmals eine Gratifikationskrise, sprich ein Missverhältnis von An-

strengung und Entspannung, bzw. Anstrengung und „Lohn“. Besonders hoch ist die

Wahrscheinlichkeit auf ein solches Missverhältnis in Berufen, in denen von vornher-

ein schlechte Arbeitsbedingungen herrschen, wie beispielsweise bei Schicht- bzw.

Nachtarbeit. Oder etwa in belastenden Berufen, welche mit einem hohen psychi-

schen Druck verbunden sind wie beispielsweise Therapeuten, Sozialarbeiter o.ä.

Wird die letzte Erwerbstätigkeit wie bereits erwähnt als Störfaktor im eigenen Identi-

tätsprozess betrachtet, so kann der Statuswechsel also als Entlastung erlebt werden,

durch den sich der psychische Druck reduziert und somit zu einem Gewinn an Le-

bensqualität beiträgt, da nun das eigene Kongruenz- und Selbstwertgefühl wieder-

hergestellt werden kann.

In dieser Phase weisen die Betroffenen ein hohes Kohärenzempfinden im Sinne An-

tonovskys (1988) auf. Arbeitslose mit einem hohen Kohärenzempfinden sind zufrie-

dener als Arbeitslose mit einem niedrigeren Kohärenzempfinden, dies bestätigen ei-

nige Studien, hauptsächlich aus Skandinavien (vgl. Rogge, 2011).

Weiterhin sind für den Identitätsprozess arbeitsloser Personen, sowie deren (psychi-

sche) Gesundheit, die Normen in ihren sozialen Netzwerken in ihrer Bedeutsamkeit

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gewichtig, da normative Gegensätze oft zu einer Spaltung der sozialen Netzwerke

führen.

Auch die Lebensweise strukturiert den Identitätsprozess. Eltern und speziell Alleiner-

ziehende geraten gegenüber ihren Kindern in ein ausgeprägtes Ambivalenzempfin-

den und entwickeln häufig ein Gefühl der dauerhaften Erschöpfung. Kinderlose Paa-

re hingegen sind am wenigsten vulnerabel (vgl. Rogge 2013).

Aus der Verinnerlichung geschlechtsspezifischer Familien- und Arbeitsnormen der

betroffenen Personen, sowie deren Rollenverständnis innerhalb der Gruppe ihrer

Bezugspersonen, ergibt sich der Einfluss des Geschlechts. Dieser ist somit kontext-

abhängig. Beispielsweise leiden Frauen mit emanzipatorischem Selbstbild mehr un-

ter der Arbeitslosigkeit als Frauen mit traditionellem / konservativem Rollenverständ-

nis, was zu einer tiefer gehenden psychischen Belastung führt als bei Männern (vgl.

ebd.).

Anders als andere vorangegangen Studien umfasst Rogges Typologie neben den

Typen Kampf und Verfall auch Umstellung, Befreiung und Transformation nach einer

Krise. Während diese Typen in der bisherigen einschlägigen Forschung jedoch nur

wenig bis keine Beachtung fanden, gilt die Transformation nach einer Krise in der

Gesundheits- und Trauerforschung hingegen bereits seit langem als wesentlicher

Bestandteil des Identitäsprozesses.

Festzuhalten bleibt, dass die Kategorien Statusperspektive und Bedeutung des Sta-

tuswechsels, welche für die Bildung der Typologie von Rogge herangezogen wurden,

im Allgemeinen relevant sind für Statuswechsel, da sie einen Wechsel des biogra-

phischen Identitätsmodus begünstigen:

„Das zentrale Konstrukt der Theorie, der biographische Identitäts-

modus, ermöglicht ein holistisches Verständnis der Auswirkungen

von Statuswechseln. Dabei wird davon ausgegangen, dass

Statuswechsel eine Person als Ganze betreffen, das heißt zu

signifikanten Änderungen in ihrem Deuten und Handeln führen,

die unmittelbar relevant für die psychische Gesundheit sind.“

(Rogge 2011, S.325)

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Die meisten der bisherigen Studien, mit wenigen Ausnahmen, beschreiben den

Übergang aus der Erwerbstätigkeit in die Arbeitslosigkeit ausschließlich als psychi-

sche Bürde und schlussfolgern, dass Erwerbsarbeit zwingend mit Ent- und Arbeitslo-

sigkeit mit Belastung zusammenhängt. Die Studie Rogges bringt hingegen eine

grundlegende Unterscheidung der Auswirkungen von Statuswechseln zum Ausdruck

und zeigt, dass die eben erwähnte Annahme eine starke Vereinfachung der Thema-

tik darstellt.

Es besteht zwar absolut kein Zweifel daran, dass eine exorbitante Zahl an Menschen

in Deutschland daran leidet arbeitslos zu werden bzw. zu sein, jedoch ist es von

essenzieller Bedeutung, dass dies nicht pauschal für alle Betroffenen gilt.

In einer Zeit geprägt von der Zunahme belastender, diskontinuierlicher Arbeitsbedin-

gungen und des Prekariats ist die Kategorisierung von Arbeitslosigkeit als schlecht

und Erwerbstätigkeit als gut schlicht und ergreifend nicht haltbar, erforderlich sind

eine Normalisierung der Thematik und eine Destigmatisierung der Betroffenen.

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Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit an Eides Statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und

ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Die aus

fremden Quellen (einschließlich elektronischer Quellen) direkt oder indirekt über-

nommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit wurde bisher

weder im In- noch im Ausland einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und ist auch

noch nicht veröffentlicht.

Neubrandenburg, 05.08.2014 Simone Rechkemmer


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