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7 Relevanz is King: Content-Marketing-Strategien
B7 RELEVANZ IS KING: CONTENT-MARKETING- STRATEGIENUnternehmensfilme haben, wie jede Form der Unternehmenskommunika-
tion, oft das Problem, dass sie mit Werbung gleichgesetzt werden. Sehr
viele Unternehmen haben verstanden, dass sie mit schlichten Werbe-
botschaften die Aufmerksamkeit der Rezipienten kaum mehr erreichen
können. Eine seit einigen Jahren heiß diskutierte neue Strategie scheint
einen Ausweg aus diesem Dilemma zu bieten: Das sogenannte „Content
Marketing“. Damit ist gemeint, dass den Zielgruppen relevante und wert-
volle Inhalte angeboten werden, die zu ihrer Interessenslage passen und
ihnen einen Mehrwert bieten. Oder, wie es Klaus Eck und Doris Eichmeier
in ihrem Standardwerk „Die Content-Revolution im Unternehmen“ aus-
drücken: „Markeninhaber müssen künftig auch das publizistische und ver-
legerische Handwerkszeug exzellent beherrschen und es zu Gunsten ihrer
Marke einsetzen“ (Eck u. Eichmeier 2015, S. 9).
Der Vorteil von Content-Marketing: Die Ansprache der Nutzer läuft
über den Inhalt; dem Bedürfnis nach Orientierung werden inhaltsge-
triebene Botschaften in besonderer Weise gerecht. Menschen möchten
aus der Zeit, die sie medialen Botschaften widmen, den größtmöglichen
Nutzen für sich ziehen: Sie wollen sich gut unterhalten, Wissen gewin-
nen, Anregungen für ihr eigenes Handeln erhalten oder Fragen beant-
wortet bekommen, die sie schon lange beschäftigen. Letztlich bedeutet
das: Unternehmen dürfen in ihrer (Marketing-)Kommunikation nicht so
sehr als Werber denken, sondern als Redakteure, Journalisten, Autoren
und Kommunikateure, die auf die Zielgruppen zugeschnittene Inhalte –
Filme, Texte, Bilder, Geschichten – erstellen und diese Inhalte möglichst
geschickt mit dem Unternehmen verbinden. So können vor allem auch
neue Zielgruppen im Netz erreicht werden. Denn Menschen suchen in
aller Regel im Web nicht nach Unternehmen, sondern nach den Inhalten,
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die sie interessieren. Erfolg hat, wer als Anbieter über die Suchanfragen
gefunden wird und Antworten auf die Fragen der User liefern kann. Dabei
spielt es eine untergeordnete Rolle, ob der Content in Form von Web-
sites, Online-Reportagen oder Webvideos angezeigt wird. Hauptsache
der Nutzwert von Informationen stimmt. Nicht jeder Inhalt ist für jede Ziel-
gruppe gleich relevant. Mit redaktionell aufbereiteten Inhalten, verbreitet
via Facebook oder über YouTube-Channels, bietet Content-Marketing eine
Möglichkeit, gezielt jene Zielgruppen anzusprechen, die mit klassischen
Medienkanälen nur schwer zu erreichen sind. Will beispielsweise ein On-
linehändler dort präsent sein, wo sich die User mit einem Thema beschäf-
tigen, kann er diese mit YouTube-Videos sehr viel leichter erreichen als
über die klassischen Medienkanäle. Außerdem erzielt das Liken, Sharen
und Kommentieren der Bewegtbildinhalte einen positiven Imagetransfer.
Wenn der Nutzer in Folge auf der passenden Website landet oder Produk-
te direkt bestellt, hat Content-Marketing sein Ziel erreicht.
Abb. 31: Inhalte statt reiner Werbung. Content-Marketing setzt auf
redaktionelle Inhalte z.B. in „Wirktutorials“ von LR Health & Beauty Systems.
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Inhalte findenEinen Unternehmensfilm im Rahmen einer Content-Management-Strategie
einzusetzen bedeutet damit, zunächst einmal die richtigen Inhalte für die
unterschiedlichen Zielgruppen des Unternehmens zu finden. In der klassi-
schen Werbung und im herkömmlichen Imagefilm war das relativ einfach:
Man stellte die Produktvorteile oder die Werte des Unternehmens in den
Mittelpunkt. Im Content-Marketing muss man weiterdenken. So könnte etwa
ein Unternehmen, das Sicherheitstechnik für Gebäude herstellt, das Thema
„Sicherheit“ zur Grundlage ihrer Content-Strategie machen und dieses
Thema in Filmen, Texten, Blogbeiträgen in all seinen Schattierungen be-
setzen: von Sicherheitstipps für Reisende über sicheres Autofahren bis hin
zu psychologischen Aspekten der Bedeutung von Sicherheitsgefühlen für
unser psychisches Wohlergehen. So kommuniziert sich das Unternehmen als
Es geht um den optimalen Einsatz der unterschiedlichen Kanäle, um Personalisierung der Inhalte, um Markenbotschaften, das gekonnte Nutzen von Social Media, um Storytelling und natürlich um jede Menge Kreativität.KLAUS ECK UND DORIS EICHMEIER, MARKETINGEXPERTEN
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„Kompetenzzentrum“ für alles rund um Sicherheit – und lädt natürlich auch
die eigenen Produkte mit dieser Kompetenz auf. Idealerweise taucht es dann
auch immer auf, wenn User im Web Fragen zum Thema Sicherheit stellen.
Ein gutes Beispiel aus dem Printbereich ist das Kundenmagazin „1890“
der Allianz Deutschland AG. In den vierteljährlich erscheinenden Heften steht
immer ein Thema im Mittelpunkt, das an der Oberfläche zunächst nichts
mit Versicherungen zu tun hat – Themen wie „Schmerz“, „Geschwindigkeit“
oder „Wendepunkte“. In journalistisch hervorragend aufbereiteten Reporta-
gen werden Geschichten über Protagonisten erzählt, Hintergründe geliefert,
Wissen vermittelt. Nur sehr indirekt und unaufdringlich wird dem Leser klar,
dass Schmerz natürlich irgendetwas mit Krankenversicherungen zu tun haben
könnte oder Wendepunkte etwas mit der Absicherung gegen die Wechsel-
spiele des Lebens. An den Texten dieses Magazins kann man lernen, wie man
solche Verbindungen dezent und keineswegs mit dem Holzhammer herstellt.
Content aufbereitenDieses Beispiel zeigt auch, dass man bei der Aufbereitung der Inhalte sehr
sensibel sein muss und in erster Linie aus der Perspektive des Rezipienten
und des Themas denken sollte, und nicht aus der des Unternehmens. Na-
türlich muss der Link zum Unternehmen funktionieren, sonst macht man
eine Publikumszeitschrift oder ein Fernseh-Wissensmagazin und kein Con-
tent-Marketing. Aber wie gesagt: dezent. Diesen Balanceakt hinzubekom-
men bedeutet, dass die Kommunikateure einerseits journalistische und
vom Inhalt herkommende Fähigkeiten besitzen (als Filmemacher, Autoren,
Redakteure), andererseits aber auch die Markenstrategie des Unterneh-
mens verinnerlicht haben. Das ist nicht einfach. Der Lohn für diese Mühe ist
jedoch, dass man über Themen und Inhalte Zielgruppen erreicht, die sonst
nie auf die Idee kämen, Kommunikationsmaßnahmen des Unternehmens
auch nur eines Blickes zu würdigen.
Mehrwert bietenDie Filme, die auf YouTube am meisten geklickt werden, sind diejenigen,
die entweder gute Unterhaltung und Humor versprechen oder bei denen
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der User etwas lernen, Tipps für seinen Alltag bekommen kann – die
Konjunktur der Schmink- und Style-Videos spricht Bände. Im Kontext der
Unternehmenskommunikation sind das also Filme, die dem User einen
Mehrwert bieten, der über die reine Information über ein Unternehmen
und dessen Produkte weit hinausgeht. Filme, die nicht nur versuchen, die
Unternehmensbotschaften an den Mann oder an die Frau zu bringen, son-
dern hinter denen man das Anliegen spürt: Was kann ich dem Zuschauer
zurückgeben für die Zeit, die er mit mir verbringt?
Um einen Unternehmensfilm mit Mehrwert zu konzipieren, sollte
man ein sehr gutes Gefühl für die Denkweise und die Anliegen der Kun-
den haben. Nicht umsonst sind die erfolgreichsten Produzentinnen von
Schmink-Videos und Modeblogs im selben Alter und damit auch in einer
ähnlichen Lebenssituation wie ihre Zuschauer- und Leserinnen. Es emp-
fiehlt sich also, in einen intensiven Dialog mit der Zielgruppe einzutreten,
sie genau kennenzulernen und nicht von oben herab wie ein ergrauter
Lehrer zu mutmaßen, was etwa junge Leute zu interessieren hat.
Procter & Gamble: „Always Being Girl“
Procter und Gamble hat für seine Marke „Always“ (Binden und Tampons)
in Amerika eine Filmreihe auf YouTube unter dem Titel „Being Girl“ ge-
startet, in der in kurzen Clips junge Mädchen über typische Mädchen-
probleme sprechen: Wie man damit umgeht, wenn der Freund einen
verlassen hat. Oder wie es ist, wenn man zum ersten Mal die Periode
hat. Manche dieser Filme gehen also direkt auf das Produkt ein, andere
nicht. Doch das Unternehmen präsentiert sich als kompetent mit allem,
was das Leben eines jungen Mädchens ausmacht – wozu natürlich auch
die Periode gehört.
Paradebeispiel „How-To-Filme“ Viele Menschen benutzen das Internet so: Sie haben eine Frage oder ein
Problem und geben Begriffe in das Eingabefeld einer Suchmaschine ein.
Blitzschnell erfolgen Angebote zur Lösung dieser Fragen; die Antworten
können natürlich auch Filme sein. Es gibt praktisch für alles Bedienungs-
anleitungen: wie man ein Ikea-Regal mühelos aufbaut, Autoreifen wechselt
oder als Selbsversorger über die Runden kommt. Solcher „User Generated
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Content“ ist der Renner auf den Videoplattformen. Glücklich kann sich
schätzen, wer als Unternehmen auf diese Weise vom Zuschauer „gefragt“
wird. How-to-Filme schaffen den perfekten Spagat zwischen dem Nutzen
des Zuschauers und dem des Unternehmens.
Content auf den richtigen Plattformen publizierenNatürlich hat man schon bei der Konzeption der Inhalte im Blick, auf wel-
cher Plattform man mit welchem Inhalt die richtigen Zielgruppen erreichen
kann. Im sogenannten „Influencer-Marketing“ spielt die Wahl der richtigen
Plattform eine entscheidende Rolle. Ist ein eigener YouTube-Channel der
richtige Ort für den Film oder ist es ein eigener Video-Blog oder doch
die eigene Website, auf der man genug Traffic hat, um seine Zielgruppen
anzusprechen? Auch die Frage, ob man Social Media eher als Veröffentli-
chungsplattform oder als Marketingplattform einsetzt, sollte geklärt wer-
den. Auch hier gibt es keine Standardlösungen. Man muss jeweils von Fall
zu Fall die richtigen Antworten unter Berücksichtigung der Marke und ihrer
Botschaften, der Zielgruppen und des Inhalts des konkreten Films finden.
OTTO’s Web-TV-Format: „Stylediaries“
OTTO gilt als Pionier und Trendsetter im Content-Marketing und hat mit
„Stylediaries“ einen Fashion- und Beauty-Channel auf YouTube betrieben,
der die junge Zielgruppe der 18- bis 35-jährigen ansprechen soll. Das
Gesicht des YouTube-Kanals ist Multitalent Bonnie Strange. Sie besucht in
regelmäßigen Abständen prominente Gäste aus der Fashion-, Musik- oder
Schauspielszene. Im Stil eines Fernseh-Boulevard-Beitrages gedreht unter-
halten sich Gast und Gastgeber in völlig ungezwungener und privater At-
mosphäre, etwa über die Frage, welche Bluse zu welcher Hose passt. Den
unterhaltsam gemachten Videos gelingt es, über die reine Sortiments-Prä-
sentation hinaus einen relevanten Mehrwert für die User herzustellen. Ein
Hinweis, dass alle gezeigten Outfits auf otto.de erhältlich sind, darf dabei
nicht fehlen. Die „Stylediaries“ führen vor Augen, dass Content-Marketing
eine sinnvolle und erfolgreiche Ergänzung im Marketing-Mix sein kann,
insbesondere bei komplexeren Kommunikationsinhalten.
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Abb. 32: OTTO betreibt einen eigenen YouTube-Channel und verleiht
auf diese Weise seiner Beratungs- und Trendkompetenz Ausdruck.
Abb. 33: „Zielgruppen-Fitting“. Jeden zweiten Mittwoch begrüßt Stil-Ikone
Bonnie Strange (links) Promi-Gäste, hier zum Beispiel Melissa Lee (rechts).