+ All Categories
Home > Documents > B Z SOMMERSERIE Das Lachen von Anna Vetter steckt · PDF filedie Stiefel häufi g und auf...

B Z SOMMERSERIE Das Lachen von Anna Vetter steckt · PDF filedie Stiefel häufi g und auf...

Date post: 26-Feb-2018
Category:
Upload: lamtram
View: 216 times
Download: 2 times
Share this document with a friend
1
14 B AUERN Z EITUNG SOMME E s ist Dienstagmorgen, 7.50 Uhr. In der Tierarztpraxis Rösslimatte in Aarberg herrscht schon emsiges Treiben. Auch Tierärztin Anna Vetter, die vergan- gene Nacht Not- falldienst hatte, ist bereits gut gelaunt da. Sie streift durchs La- ger und sucht Medikamente und Hilfsmittel zusammen, um für den Einsatz alles ihm Auto zu ha- ben. Kurz nach 8 Uhr gibt Geschäftsführerin Sarah Balzli die eingegangenen Anmeldun- gen für den Morgen durch. Diese werden nun mit der zweiten diensthabenden Tierärztin, Ju- dith Ramseier, gut aufgeteilt. Ziel ist, dass die Betriebsbesuche nicht über den Mittag erfolgen. Dies gelingt nicht immer, denn Notfälle und Unvorhergesehe- nes können jederzeit das Pro- gramm durcheinander wirbeln. So auch heute. Der erste Notfall trifft noch vor der Abfahrt ein Gerade beim Losfahren wird noch ein akuter Viertel gemel- det. Anna Vetter nimmt es gelas- sen zur Kenntnis. Sie ist nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen, wie im Verlaufe des Tages öfters klar wird. Diesen Fall fährt sie als Erstes an. Während des ganzen Besuchs herrscht im Stall eine gelöste Atmosphäre, es wird ge- scherzt und gelacht. Dennoch ist die Tierärztin konzentriert bei der Sache. Während des Aufzie- hens der Medikamente spricht sie über die Hygiene. Die sei in ihrem Beruf enorm wich- tig. Dazu gehört auch, die Stiefel häufig und auf jedenfall vor dem Verlassen des Stalls gut zu reinigen, ei- ne Regel bei Tier- ärzten. «Ziel ist es, keinen Mist von einem Stall in den nächsten zu tragen», er- klärt Anna Vetter. Die Behandlung ist nun abge- schlossen, die Ar- beit aber noch nicht fertig. Nun folgt das Eintragen verabreichter Medikamente und einer all- fälligen Milchsperre in die Un- terlagen des Bauern, da sei sie konsequent, stellt Vetter klar. Die Notizen werden von Hand mit Stift und Papier gemacht. Später wird sie diese Daten für die Rechnungsstellung ins System eintragen. Die Büroarbeit mag die fröhliche Frau an ihrem Be- ruf gar nicht, gesteht sie schmun- zelnd. Das würde sie gerne auch mal abgeben. Nachdem auch das erledigt ist, schlägt die gesel- lige Frau die Einladung zum Kaf- fee bedauernd aus, da das Pro- gramm noch lange, der Morgen aber kurz ist. Auf dem Weg zum jeweils nächsten Hof erzählt An- na Vetter, die vor einem Jahr mit ihrem Partner und den drei Kin- dern von Bern ins Seeland gezo- gen ist, von ihrem Leben. Ge- meinsam mit ihrer Schwester und deren Ehemann hat die Fa- milie in Lobsigen ein grosses Haus mit viel Umschwung ge- kauft, wo sie neuerdings Ziegen hält. Hühner und Kaninchen sol- len folgen. Aufgewachsen ist die Tierärztin als Bauerntochter. Umweltingenieurin war doch nicht das richtige Mit 13 kam das erste Mal der Wunsch auf, Tierärztin zu wer- den, da sie den Kontakt zu Mensch und Tier gleichermas- sen liebt. Im Gymnasium rückte dieser Berufswunsch in den Hin- tergrund, und sie begann in Lau- sanne ein Studium zur Umwelt- ingenieurin. Zudem war ihr das Reisen sehr wichtig. Bald schon merkte die junge Frau, dass der eingeschlagene Berufsweg doch nicht ihrem Naturell entsprach. Der Bezug zu den Tieren fehlte. So nahm sie im Alter von 23 Jah- ren das fünf Jahre dauernde Tier- arztstudium auf. Lachend erzählt Vetter, dass andere da bereits ab- schliessen würden, aber sie neh- me häufig nicht den Weg, den die meisten Menschen wählen. In dieser Zeit brachte sie auch Tochter Rahel zur Welt. Und immer wieder klingelt das Telefon Ihre Ausführungen werden des Öfteren durch eingehen- de Anrufe unterbrochen, und auch während der Behandlun- gen klingelt es mehrfach. Anna Vetter bleibt die ganze Zeit die Ruhe selbst und verliert ihr La- chen nie. Selbst als eine Kuh zu Beginn der Untersuchung wild mit den Hinterbeinen zu hüpfen beginnt, lässt sich die Tierärztin nicht beirren. Nach kurzer Zeit hat sich ihre Ruhe merklich auf das Tier übertragen. Dies schät- zen auch die Bauern, wie der Re- daktorin der «BauernZeitung» mehrfach versichert wird. Der heutige Tag beinhaltet, bis auf das Enthornen zweier Kälber, ausschliesslich Kühe. Immer und immer wieder stülpt sich die Frohnatur den Untersuchungs- handschuh über und greift vor- sichtig, bis zur Schulter, in die Kuh. Das Rindvieh mache einen grossen Teil ihrer Arbeit aus, doch gebe es immer wieder Tage, wo sie auch zu Pferden, Schwei- nen, Schafen oder Ziegen geru- fen werde, erzählt sie nebenbei. Es ist diese Abwechslung, die ihr spürbar Spass macht. So schätzt sie auch die Mischung zwischen Routinefällen wie das Festliegen einer Kuh, und kranker Tiere, bei denen der Grund zunächst ein Rätsel ist, das gelöst werden muss. Zu Letzteren gehört der heutige Fall eines Verdachts auf eine Labmagenverlagerung. Die Symptome sind nicht ganz ein- deutig. Nun zeigt Anna Vetter auch ihre empathische Seite. Einfühlsam spricht sie mit dem betroffenen Bauern, denn dieser ist sichtlich verunsichert, da er bereits wenige Tage zuvor ein Tier mit derselben Diagnose schlachten musste. Der letzte Kunde wird auf den Nachmittag verschoben Oft erlebt die junge Tierärztin, dass ein Landwirt noch andere Tiere zu untersuchen wünscht, die er nicht angemeldet hat. «Ich verstehe die Bauern», meint sie dazu. Wenn sie ja schon mal da sei, heisse es oft. Doch das bringt den häufig engen Zeitplan gehö- rig durcheinander. So auch heu- te. Als Vetter sieht, dass die Zeit nicht für alle reicht, ruft sie einen Kunden auf der Liste an und ver- tröstet ihn auf den Nachmittag. Der letzte Hof des Morgens, den sie nach 12 Uhr anfährt, wurde vorgängig von der Tierärztin über die Verspätung informiert. Zu keinem Zeitpunkt lässt sie Tier oder Mensch merken, dass die Zeit drängt und auch die Un- tersuchungen laufen genauso ruhig ab, wie zuvor. «Es bringt nichts, zu juflen, man ist dadurch nicht schneller», stellt sie nüch- tern fest. Nach einer kurzen Mit- tagspause und einem Zwischen- stopp in der Praxis, um Infos über die Nachmittagspatienten zu holen und Medikamente auf- zufüllen, geht es weiter. Wieder stehen ausschliesslich Rindvie- cher auf dem Programm. Es macht den ganzen Tag den An- schein, dass nichts und niemand die liebenswerte und fröhliche Frau aus der Fassung bringen kann. Sie gibt jedoch zu, dass Fäl- le, die sie oft besuchte und die dann doch zum Metzger gehen müssten, sie auch nach Feier- abend beschäftigen. Da habe sie dann beim Schreiben der Rech- nung Mühe. Sie wisse ja von Zu- hause, was es für die Landwirte auch finanziell bedeute, ein Tier ungewollt zur Schlachtbank füh- ren zu müssen. Um den Ballast solcher Fälle abzuwerfen, telefo- niert die junge Frau fast täglich mit einer Freundin, die ebenfalls Tierärztin ist. Das hilft, zudem müsse man so den Partner weni- ger stark belasten, berichtet An- Redaktorin Andrea Wyss begleitet Tierärztin A ständiger Begleiter und eine gewisse Ordnung Das Lachen von Anna Vett Unterwegs mit . . . / Die «BauernZeitung» begleitet Persönlichkeiten in ihrem Alltag. Im letzten Teil unserer diesjährigen Sommerserie Zur Person Vorname/Name: Anna Vetter Jahrgang: 1979 Wohnort: Lobsigen Familie: Partner Tobias Preuss, Kinder: Rahel (12), Manuel (7) und Ilja (5). Beruf: Tierärztin Erstes verdientes Geld: Mithilfe Ernte bei den Eltern auf dem Hof Bevorzugte Feriendestination: Sardinien Das ist mein Lieblingsessen: Lasagne Die Büroarbeit ist nicht gerade Anna Vetters lie hierbei das Lachen nicht. Diese Arbeit gehöre h Windeln sind nicht nur für Babys zu gebrauchen. Die Klaue der Kuh wird nach der Behandlung mit einer Babywindel eingepackt. Die hält die Wunde trocken und lässt auch von aussen keine Nässe durch. ERSERIE 4. SEPTEMBER 2015 15 na Vetter. Wenn sie hingegen Tie- re retten kann, die dem Tod sehr nahe standen, fühlt sie Genugtu- ung, das erreicht und dem Besit- zer einen finanziellen Schaden erspart zu haben. Statt des Bauern steht der Stier im Stall Beim nächsten Fall ist der Landwirt nicht anwesend. Der Muni sieht es gar nicht gerne, dass der Laufstall seiner «Frau- en» von «Fremden» betreten wird und teilt dies bedrohlich mit. Glücklicherweise ist er an seinem Platz im Stall angebun- den. Anna Vetter gibt auf Nach- frage preis, dass sie von Natur aus kein ängstlicher Mensch sei und auch bei ihrer Arbeit keine Angst kenne. Respekt ja, das sei sehr wichtig. Zudem hat sie, zum Teil selbst auferlegte, Vorsichtsre- geln, um sich nicht in Gefahr zu bringen. So stellt sie sich seit ei- nem Vorfall, bei dem sie vom Tier ins Gitter gedrückt wurde, nie zwischen das Tier und die Ab- sperrung. Ein blutiger Abszess zum Tagesabschluss Mittlerweile ist es 17.15 Uhr. Anna Vetter fährt den letzten Fall für heute an und ahnt noch nicht, dass es der schwierigste und zeit- intensivste des heutigen Tages sein wird. Die Kuh leidet an einer grossen Ballenentzündung, de- ren Ursache unklar ist. Es sieht aus, als würde die Entzündung die ganze Klaue hochgehen. Nachdem die örtliche Betäu- bung wirkt, arbeitet sich die Tier- ärztin langsam zum Abszess vor, und es wird blutig. «Ich hoffe, dass wir nicht die halbe Klaue wegmachen müssen, bis wir alles haben», meint Vetter, während- dem zwischendurch das Blut mit Wasser abgespült werden muss. Doch genau danach sieht es aus. «Eine Kuh ist nicht einfach hei- kel. Wenn sie lahm geht, hat sie auch etwas», erläutert sie ener- gisch. Nachdem sich die Tierärz- tin gewissenhaft versichert hat, dass die Klaue nun sauber ist, bekommt die Kuh einen dicken Verband. Die Familienfrau braucht die Arbeit als Tierärztin Jetzt geht es Richtung Feier- abend. Auf der Rückfahrt zur Praxis hält Anna Vetter kurz bei sich Zuhause an, das in der Nähe liegt. Als sie das Haus erreicht, das etwas abseits vom Dorf liegt, entfährt der Tierärztin ein Seuf- zer, und man spürt, wie sich die Anspannung des Tages löst: «Das ist meine Entspannung hier oben.» Und weiter: «Ich bin ger- ne zu Hause.» Wenn man den Blick über die Weiten des See- lands schweifen lässt, das in friedlicher Abendstimmung liegt, versteht man, was sie damit meint. Anna Vetter ist ein Famili- enmensch, dennoch brauche sie das Arbeiten. Zudem sagt sie: «Ich bin gerne auf den Höfen.» Ihr Job mit den unregelmässi- gen Arbeitszeiten, den Nacht- und Wochenenddiensten bedin- ge aber ein gutes Sozialumfeld und einen Partner mit viel Ver- ständnis. Denn sie könne nie sa- gen, wann sie abends zu Hause sei. Diesen Partner hat sie mit Gitarrenlehrer Tobias Preuss ge- funden. Bei ihm und den mittler- weile drei Kindern holt sich die Tierärztin die Kraft für ihre Ar- beit, die manchmal auch körper- lich viel abverlangt. Zudem kom- me die Grossmutter – wenn es die Arbeit zulässt auch der Grossvater – einen Tag die Wo- che nach Lobsigen, um die Kin- der zu betreuen. Darüber ist sie sehr dankbar. Nach einem kur- zen Stopp in ihrem Garten kehrt sie zurück zur Praxis. Mittlerwei- le ist es 19.30 Uhr. Eigentlich müsste die Tierärztin nun noch rund eine Stunde die Notizen der Betriebsbesuche in den eher un- geliebten Computer eintragen. Doch für heute ist es genug. An- na Vetter macht Feierabend und steht dafür am nächsten Morgen früher in der Praxis. Andrea Wyss Anna Vetter einen Tag lang. Das Auto ist ihr darin immens wichtig. (Bild Julia Deplazes) Zu Hause bei Mann, Kindern und ihrem Garten tankt die Tierärztin Kraft für ihre Arbeitstage. Dieses Haus oberhalb Aarberg gefunden zu haben, das einen weiten Blick über das Seeland bietet, sei ein Glücksfall gewesen. ter steckt Mensch und Tier an e gewährt die fröhliche und beliebte Tierärztin, die sich durch rein gar nichts aus der Ruhe bringen lässt, einen Blick in ihren Arbeitsalltag. Liebe Leser- (innen), das war unser letzter Beitrag in der dies- jährigen Sommerserie. Wir bedanken uns für die positiven Reaktionen und freuen uns bereits, auch nächstes Jahr wieder für Sie «unterwegs» zu sein». «Vervollständigen Sie folgende Sätze» Wenn ich unterwegs bin, dann . . . . . . arbeite ich oder höre Radio im Auto. Ich würde gerne einmal essen gehen mit . . . . . . meinem Lebenspartner Tobias Preuss. Wenn ich mehr Freizeit hätte, würde ich . . . . . . mehr gärtnern, Freunde treffen und mit den Kin- dern basteln. Zu einem perfekten Sonntag gehört für mich . . . . . . Tobis Zopf. In meiner Branche gefällt mir . . . . . . die praktische Tätigkeit und die Zusammenarbeit mit den Tierbesitzern. Wenn ich mit anderen Menschen kommuniziere, benutze ich . . . . . . am liebsten den direkten Kontakt. In diesem Sommer hat . . . . . . meine Schwester geheiratet. ebste Beschäftigung, dennoch verliert sie auch halt einfach dazu, meint sie schulterzuckend. Der eine Arm vorsichtig in der Kuh, mit der anderen das Handy bedienen: Anna Vetter schafft auch das mit einem Lächeln. Zudem ist die Fröhlichkeit der Tierärztin offensichtlich ansteckend, wie Bauer Andreas Messer beweist. (Bilder Andrea Wyss)
Transcript
Page 1: B Z SOMMERSERIE Das Lachen von Anna Vetter steckt · PDF filedie Stiefel häufi g und auf jedenfall vor dem Verlassen des Stalls gut zu reinigen, ei ... dern von Bern ins Seeland gezo

14 BAUERNZEITUNG SOMMERSERIE 4. SEPTEMBER 2015 15

Es ist Dienstagmorgen, 7.50 Uhr. In der Tierarztpraxis Rösslimatte in Aarberg herrscht schon emsiges Treiben. Auch Tierärztin

Anna Vetter, die vergan­gene Nacht Not­

falldienst hatte, ist bereits gut gelaunt da. Sie streift durchs La­ger und sucht Medikamente und Hilfsmittel zusammen, um für den Einsatz alles ihm Auto zu ha­ben. Kurz nach 8 Uhr gibt Geschäftsführerin Sarah Balzli die eingegangenen Anmeldun­gen für den Morgen durch. Diese werden nun mit der zweiten diensthabenden Tierärztin, Ju­dith Ramseier, gut aufgeteilt. Ziel

ist, dass die Betriebsbesuche nicht über den Mittag erfolgen. Dies gelingt nicht immer, denn Notfälle und Unvorhergesehe­nes können jederzeit das Pro­gramm durcheinander wirbeln. So auch heute.

Der erste Notfall trifft noch vor der Abfahrt ein

Gerade beim Losfahren wird noch ein akuter Viertel gemel­det. Anna Vetter nimmt es gelas­sen zur Kenntnis. Sie ist nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen, wie im Verlaufe des Tages öfters klar wird. Diesen Fall fährt sie als Erstes an. Während des ganzen Besuchs herrscht im Stall eine gelöste Atmosphäre, es wird ge­scherzt und gelacht. Dennoch ist die Tierärztin konzentriert bei der Sache. Während des Aufzie­hens der Medikamente spricht

sie über die Hygiene. Die sei in ihrem Beruf enorm wich­

tig. Dazu gehört auch, die Stiefel häufi g und

auf jedenfall vor dem Verlassen des Stalls gut zu reinigen, ei­ne Regel bei Tier­ärzten. «Ziel ist es, keinen Mist von einem Stall in den nächsten zu tragen», er­ klärt Anna Vetter.

Die Behandlung ist nun abge­

schlossen, die Ar­beit aber noch nicht

fertig. Nun folgt das Eintragen verabreichter

Medikamente und einer all­fälligen Milchsperre in die Un­terlagen des Bauern, da sei sie konsequent, stellt Vetter klar. Die Notizen werden von Hand mit Stift und Papier gemacht. Später wird sie diese Daten für die Rechnungsstellung ins System eintragen. Die Büroarbeit mag die fröhliche Frau an ihrem Be­ruf gar nicht, gesteht sie schmun­zelnd. Das würde sie gerne auch mal abgeben. Nachdem auch das erledigt ist, schlägt die gesel­lige Frau die Einladung zum Kaf­

fee bedauernd aus, da das Pro­gramm noch lange, der Morgen aber kurz ist. Auf dem Weg zum jeweils nächsten Hof erzählt An­na Vetter, die vor einem Jahr mit ihrem Partner und den drei Kin­dern von Bern ins Seeland gezo­gen ist, von ihrem Leben. Ge­meinsam mit ihrer Schwester und deren Ehemann hat die Fa­milie in Lobsigen ein grosses Haus mit viel Umschwung ge­kauft, wo sie neuerdings Ziegen hält. Hühner und Kaninchen sol­len folgen. Aufgewachsen ist die Tierärztin als Bauerntochter.

Umweltingenieurin war doch nicht das richtige

Mit 13 kam das erste Mal der Wunsch auf, Tierärztin zu wer­den, da sie den Kontakt zu Mensch und Tier gleichermas­sen liebt. Im Gymnasium rückte dieser Berufswunsch in den Hin­tergrund, und sie begann in Lau­sanne ein Studium zur Umwelt­ingenieurin. Zudem war ihr das Reisen sehr wichtig. Bald schon merkte die junge Frau, dass der eingeschlagene Berufsweg doch nicht ihrem Naturell entsprach. Der Bezug zu den Tieren fehlte. So nahm sie im Alter von 23 Jah­ren das fünf Jahre dauernde Tier­arztstudium auf. Lachend erzählt Vetter, dass andere da bereits ab­schliessen würden, aber sie neh­me häufi g nicht den Weg, den die meisten Menschen wählen. In dieser Zeit brachte sie auch Tochter Rahel zur Welt.

Und immer wieder klingelt das Telefon

Ihre Ausführungen werden des Öfteren durch eingehen­de Anrufe unterbrochen, und auch während der Behandlun­gen klingelt es mehrfach. Anna Vetter bleibt die ganze Zeit die Ruhe selbst und verliert ihr La­chen nie. Selbst als eine Kuh zu Beginn der Untersuchung wild mit den Hinterbeinen zu hüpfen beginnt, lässt sich die Tierärztin nicht beirren. Nach kurzer Zeit hat sich ihre Ruhe merklich auf das Tier übertragen. Dies schät­

zen auch die Bauern, wie der Re­daktorin der «BauernZeitung» mehrfach versichert wird. Der heutige Tag beinhaltet, bis auf das Enthornen zweier Kälber, ausschliesslich Kühe. Immer und immer wieder stülpt sich die Frohnatur den Untersuchungs­handschuh über und greift vor­sichtig, bis zur Schulter, in die Kuh. Das Rindvieh mache einen grossen Teil ihrer Arbeit aus, doch gebe es immer wieder Tage, wo sie auch zu Pferden, Schwei­nen, Schafen oder Ziegen geru­fen werde, erzählt sie nebenbei. Es ist diese Abwechslung, die ihr spürbar Spass macht. So schätzt sie auch die Mischung zwischen Routinefällen wie das Festliegen einer Kuh, und kranker Tiere, bei denen der Grund zunächst ein Rätsel ist, das gelöst werden muss. Zu Letzteren gehört der heutige Fall eines Verdachts auf eine Labmagenverlagerung. Die Symptome sind nicht ganz ein­deutig. Nun zeigt Anna Vetter auch ihre empathische Seite. Einfühlsam spricht sie mit dem betroff enen Bauern, denn dieser ist sichtlich verunsichert, da er bereits wenige Tage zuvor ein Tier mit derselben Diagnose schlachten musste.

Der letzte Kunde wird auf den Nachmittag verschoben

Oft erlebt die junge Tierärztin, dass ein Landwirt noch andere Tiere zu untersuchen wünscht, die er nicht angemeldet hat. «Ich verstehe die Bauern», meint sie dazu. Wenn sie ja schon mal da sei, heisse es oft. Doch das bringt den häufi g engen Zeitplan gehö­rig durcheinander. So auch heu­te. Als Vetter sieht, dass die Zeit nicht für alle reicht, ruft sie einen Kunden auf der Liste an und ver­tröstet ihn auf den Nachmittag. Der letzte Hof des Morgens, den sie nach 12 Uhr anfährt, wurde vorgängig von der Tierärztin über die Verspätung informiert. Zu keinem Zeitpunkt lässt sie Tier oder Mensch merken, dass die Zeit drängt und auch die Un­tersuchungen laufen genauso ruhig ab, wie zuvor. «Es bringt nichts, zu jufl en, man ist dadurch nicht schneller», stellt sie nüch­tern fest. Nach einer kurzen Mit­tagspause und einem Zwischen­stopp in der Praxis, um Infos über die Nachmittagspatienten zu holen und Medikamente auf­

zufüllen, geht es weiter. Wieder stehen ausschliesslich Rindvie­cher auf dem Programm. Es macht den ganzen Tag den An­schein, dass nichts und niemand die liebenswerte und fröhliche Frau aus der Fassung bringen kann. Sie gibt jedoch zu, dass Fäl­le, die sie oft besuchte und die dann doch zum Metzger gehen müssten, sie auch nach Feier­abend beschäftigen. Da habe sie dann beim Schreiben der Rech­nung Mühe. Sie wisse ja von Zu­hause, was es für die Landwirte auch fi nanziell bedeute, ein Tier ungewollt zur Schlachtbank füh­ren zu müssen. Um den Ballast solcher Fälle abzuwerfen, telefo­niert die junge Frau fast täglich mit einer Freundin, die ebenfalls Tierärztin ist. Das hilft, zudem müsse man so den Partner weni­ger stark belasten, berichtet An­

Redaktorin Andrea Wyss begleitet Tierärztin Anna Vetter einen Tag lang. Das Auto ist ihr ständiger Begleiter und eine gewisse Ordnung darin immens wichtig. (Bild Julia Deplazes)

Das Lachen von Anna Vetter steckt Mensch und Tier an Unterwegs mit . . . / Die «BauernZeitung» begleitet Persönlichkeiten in ihrem Alltag. Im letzten Teil unserer diesjährigen Sommerserie gewährt die fröhliche und beliebte Tierärztin, die sich durch rein gar nichts aus der Ruhe bringen lässt, einen Blick in ihren Arbeitsalltag.

Zur PersonVorname/Name:Anna Vetter

Jahrgang:1979

Wohnort:Lobsigen

Familie:Partner Tobias Preuss, Kinder: Rahel (12), Manuel (7) und Ilja (5).

Beruf:Tierärztin

Erstes verdientes Geld:Mithilfe Ernte bei den Eltern auf dem Hof

Bevorzugte Feriendestination:Sardinien

Das ist mein Lieblingsessen:Lasagne Die Büroarbeit ist nicht gerade Anna Vetters liebste Beschäftigung, dennoch verliert sie auch

hierbei das Lachen nicht. Diese Arbeit gehöre halt einfach dazu, meint sie schulterzuckend. Windeln sind nicht nur für Babys zu gebrauchen. Die Klaue der Kuh wird nach der Behandlung mit einer Babywindel eingepackt. Die hält die Wunde trocken und lässt auch von aussen keine Nässe durch.

14 BAUERNZEITUNG SOMMERSERIE 4. SEPTEMBER 2015 15

na Vetter. Wenn sie hingegen Tie­re retten kann, die dem Tod sehr nahe standen, fühlt sie Genugtu­ung, das erreicht und dem Besit­zer einen finanziellen Schaden erspart zu haben.

Statt des Bauern steht der Stier im Stall

Beim nächsten Fall ist der Landwirt nicht anwesend. Der Muni sieht es gar nicht gerne, dass der Laufstall seiner «Frau­en» von «Fremden» betreten wird und teilt dies bedrohlich mit. Glücklicherweise ist er an seinem Platz im Stall angebun­den. Anna Vetter gibt auf Nach­frage preis, dass sie von Natur aus kein ängstlicher Mensch sei und auch bei ihrer Arbeit keine Angst kenne. Respekt ja, das sei sehr wichtig. Zudem hat sie, zum Teil selbst auferlegte, Vorsichtsre­

geln, um sich nicht in Gefahr zu bringen. So stellt sie sich seit ei­nem Vorfall, bei dem sie vom Tier ins Gitter gedrückt wurde, nie zwischen das Tier und die Ab­sperrung.

Ein blutiger Abszess zum Tagesabschluss

Mittlerweile ist es 17.15 Uhr. Anna Vetter fährt den letzten Fall für heute an und ahnt noch nicht, dass es der schwierigste und zeit­intensivste des heutigen Tages sein wird. Die Kuh leidet an einer grossen Ballenentzündung, de­ren Ursache unklar ist. Es sieht aus, als würde die Entzündung die ganze Klaue hochgehen. Nachdem die örtliche Betäu­bung wirkt, arbeitet sich die Tier­ärztin langsam zum Abszess vor, und es wird blutig. «Ich hoffe, dass wir nicht die halbe Klaue wegmachen müssen, bis wir alles haben», meint Vetter, während­dem zwischendurch das Blut mit Wasser abgespült werden muss. Doch genau danach sieht es aus. «Eine Kuh ist nicht einfach hei­kel. Wenn sie lahm geht, hat sie auch etwas», erläutert sie ener­gisch. Nachdem sich die Tierärz­tin gewissenhaft versichert hat, dass die Klaue nun sauber ist, bekommt die Kuh einen dicken Verband.

Die Familienfrau braucht die Arbeit als Tierärztin

Jetzt geht es Richtung Feier­abend. Auf der Rückfahrt zur Praxis hält Anna Vetter kurz bei sich Zuhause an, das in der Nähe liegt. Als sie das Haus erreicht, das etwas abseits vom Dorf liegt, entfährt der Tierärztin ein Seuf­zer, und man spürt, wie sich die Anspannung des Tages löst: «Das ist meine Entspannung hier oben.» Und weiter: «Ich bin ger­ne zu Hause.» Wenn man den Blick über die Weiten des See­lands schweifen lässt, das in friedlicher Abendstimmung liegt, versteht man, was sie damit meint. Anna Vetter ist ein Famili­enmensch, dennoch brauche sie das Arbeiten. Zudem sagt sie: «Ich bin gerne auf den Höfen.» Ihr Job mit den unregelmässi­ gen Arbeitszeiten, den Nacht­ und Wochenenddiensten bedin­ge aber ein gutes Sozialumfeld und einen Partner mit viel Ver­ständnis. Denn sie könne nie sa­gen, wann sie abends zu Hause sei. Diesen Partner hat sie mit Gitarrenlehrer Tobias Preuss ge­funden. Bei ihm und den mittler­weile drei Kindern holt sich die Tierärztin die Kraft für ihre Ar­beit, die manchmal auch körper­lich viel abverlangt. Zudem kom­me die Grossmutter – wenn es die Arbeit zulässt auch der Grossvater – einen Tag die Wo­che nach Lobsigen, um die Kin­der zu betreuen. Darüber ist sie sehr dankbar. Nach einem kur­zen Stopp in ihrem Garten kehrt

sie zurück zur Praxis. Mittlerwei­le ist es 19.30 Uhr. Eigentlich müsste die Tierärztin nun noch rund eine Stunde die Notizen der Betriebsbesuche in den eher un­geliebten Computer eintragen. Doch für heute ist es genug. An­na Vetter macht Feierabend und steht dafür am nächsten Morgen früher in der Praxis.

Andrea Wyss

Redaktorin Andrea Wyss begleitet Tierärztin Anna Vetter einen Tag lang. Das Auto ist ihr ständiger Begleiter und eine gewisse Ordnung darin immens wichtig. (Bild Julia Deplazes)

Zu Hause bei Mann, Kindern und ihrem Garten tankt die Tierärztin Kraft für ihre Arbeitstage. Dieses Haus oberhalb Aarberg gefunden zu haben, das einen weiten Blick über das Seeland bietet, sei ein Glücksfall gewesen.

Das Lachen von Anna Vetter steckt Mensch und Tier an Unterwegs mit . . . / Die «BauernZeitung» begleitet Persönlichkeiten in ihrem Alltag. Im letzten Teil unserer diesjährigen Sommerserie gewährt die fröhliche und beliebte Tierärztin, die sich durch rein gar nichts aus der Ruhe bringen lässt, einen Blick in ihren Arbeitsalltag.

Liebe Leser- (innen), das war

unser letzter Beitrag in der dies-

jährigen Sommerserie. Wir bedanken uns für die

positiven Reaktionen und freuen uns bereits, auch nächstes Jahr wieder für Sie «unterwegs» zu sein».

«Vervollständigen Sie folgende Sätze»Wenn ich unterwegs bin, dann . . .. . . arbeite ich oder höre Radio im Auto.

Ich würde gerne einmal essen gehen mit . . .. . . meinem Lebenspartner Tobias Preuss.

Wenn ich mehr Freizeit hätte, würde ich . . .. . . mehr gärtnern, Freunde treffen und mit den Kin-dern basteln.

Zu einem perfekten Sonntag gehört für mich . . .. . . Tobis Zopf.

In meiner Branche gefällt mir . . .. . . die praktische Tätigkeit und die Zusammenarbeit mit den Tierbesitzern.

Wenn ich mit anderen Menschen kommuniziere, benutze ich . . .. . . am liebsten den direkten Kontakt.

In diesem Sommer hat . . .. . . meine Schwester geheiratet. Die Büroarbeit ist nicht gerade Anna Vetters liebste Beschäftigung, dennoch verliert sie auch

hierbei das Lachen nicht. Diese Arbeit gehöre halt einfach dazu, meint sie schulterzuckend.

Der eine Arm vorsichtig in der Kuh, mit der anderen das Handy bedienen: Anna Vetter schafft auch das mit einem Lächeln. Zudem ist die Fröhlichkeit der Tierärztin offensichtlich ansteckend, wie Bauer Andreas Messer beweist. (Bilder Andrea Wyss)

Recommended