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Date post: 20-Jan-2020
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YUSRA MARDINI SCHWIMMT IMMER WEITER MEXIKANER MUSS MAN EINFACH LIEBEN MALLORCA MACHT MAL HALBLANG MARK FORSTER JULI 2017
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Verantwortlicher Redakteur:Dr. Alfons Kaiser

Redaktionelle Mitarbeit:Peter Badenhop, Leonie Feuerbach, Timo Frasch,Andrea Freund, David Klaubert, Frank Pergande,Hans-Christian Rößler, Julia Schaaf, Boris Schmidt,Peter-Philipp Schmitt, Bernd Steinle, Quynh Tran,Jennifer Wiebking, Maria Wiesner, Bettina Wohlfarth

Bildredaktion:Christian Matthias Pohlert

Art-Direction:Peter Breul

E-Mail Redaktion:[email protected]

Alle Artikel werden exklusiv für das „FrankfurterAllgemeine Magazin“ geschrieben. Alle Rechtevorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH,Frankfurt am Main.

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Sofern Sie Artikel dieses Magazins nachdrucken, inIhr Internet-Angebot oder in Ihr Intranet übernehmen,speichern oder per E-Mail versenden wollen, können Siedie erforderlichen Rechte bei der F.A.Z. GmbHerwerben unter www.faz-rechte.de. Auskunft erhaltenSie unter [email protected] oder telefonischunter (069)7591-2985.

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Geschäftsführung:Thomas Lindner (Vorsitzender)Burkhard Petzold

Verantwortlich für Anzeigen:Ingo Müller

Leitung Anzeigenverkauf Frankfurter Allgemeine Magazin:Kerry O’Donoghue, E-Mail: [email protected]

Produktionsleitung:Andreas Gierth

Layout:Verena Lindner

Einzelhefte können zum Preis von €5,– [email protected] bezogen werden.

Druck:Prinovis Ltd.&Co.KG – Betrieb NürnbergBreslauer Straße 300, 90471 Nürnberg

ch fahre, wenn Sie dieses Heft in der Hand halten, gerade mitKind und Kegel zum Hafen von Neßmersiel, um nach Baltrumüberzusetzen. Oder ich bin, am Samstagnachmittag, schon aufder Insel und lese im Strandkorb die Zeitung. Oder es ist Abend,

und es regnet, und wir sitzen im „Skippers’ Inn“, und Tüte erzähltvon Neuigkeiten aus dem Dorf, denn mehr als ein Dorf ist die kleinsteostfriesische Insel eigentlich nicht. Und ja, der Restaurantbesitzer heißtTüte, weil hier alle ziemlich locker drauf sind. Es ist ein anderes, altesDeutschland, das man hier erlebt, nur ein paar Kilometer vom Festlandentfernt. Es gibt sogar noch gelbe Telefonzellen. Und doch ist es, sieheTüte, ziemlich cool. Die Botschaft: Man muss nicht nach Sylt fahren,um in Deutschland glücklich zu werden. Und man muss nicht Holly-wood auf den Titel eines Magazins heben, um die Leser für sich ein-zunehmen. Schauen Sie sich den Mark Forster nur noch einmal an,wie verträumt er zur Seite schaut, das kann nicht jeder. „Und die Chöresingen für dich: oh, oh, oh, oh, oh, oh, o-ho“ – das Lied des Sängersschmettern Grundschulkinder wirklich in der Pause. Wie dieser MarkĆwiertnia in wenigen Jahren als Mark Forster zum deutschen Popstarwurde, das fasziniert mich, auch wenn mir einige Songs zu schmusigsind. So oder so: Wir haben in diesem Heft viele Geschichten davonzu erzählen, was unter den Bedingungen spätrömischer Dekadenz undspätkapitalistischer Ermüdung möglich ist in diesem Land. Das beginntmit Jeanne de Kroon, die aus New York nach Berlin gekommen ist,um eine Modemarke aufzubauen. Es geht weiter mit Shermine Shahrivar,die in unserer Fotostrecke in einer neuen Rolle erscheint. Und es hörtnicht auf mit Axel Heinz, der eines der besten italienischen Weingüterleitet. Sondern geht noch weiter mit Jennifer Sieglar, die uns die Welterklärt. Zu schweigen von den letzten Hummerfischern auf Helgoland,die ich mit Fernglas und Glück vielleicht sogar von Baltrum aus ent-decken könnte. Nicht dass wir provinziell wären, wir schweifen auchab nach Mexiko, Mallorca, Italien. Und was Deutschland alles zubieten hat, das sehen wir durch fremde Augen: zum Beispiel durch

die Mardini-Schwestern, die sich ihr Glück erarbeiten,oder die Flüchtlinge, die im Flirtkurs einen Crash-kurs in Landeskunde absolvieren. Ach, was redeich hier schon wieder, bin doch fast schon imUrlaub. Lesen Sie einfach los! Alfons Kaiser

SEE ICHRICHTIG I

Schöner baden gehen, jeden Tag: mit der neuen NOMOS-Serie Aqua. Uhren für dasganze bewegte Leben – elegant genug für die Oper, doch mit der Lizenz zum Tauchen.Ahoi neomatik signalblau und weitere Aqua-Modelle mit extraflachem Automatikkalibergibt es im besten Fachhandel. nomos-glashuette.com, nomos-store.com

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ANDREA FREUND (rechts)war für ihre Reportage über dieletzten Hummerfischer (Seite 38)zum ersten Mal auf Helgoland,obwohl die freie Journalistinin Hamburg lebt. Ihren erstenHummer aß sie aber nicht beider Recherche mit der auf derInsel lebenden Fotografin LILOTADDAY, sondern vor Jahrenauf Sansibar. Dort war erfangfrisch zu kaufen. Leiderwurde er dann verkocht – undschmeckte gummiartig.

FRANK PERGANDE berichtetseit 2003 für diese Zeitung ausMecklenburg-Vorpommern. DasStaatliche Museum in Schwerinund die Gedenkstätte in Hohen-zieritz für die dort gestorbenepreußische Königin Luise gehörenzu seinen Lieblingsorten. Dasser ausgerechnet in der Gemälde-sammlung einer inspirierendenAmtsanwältin begegnen undin Hohenzieritz mit seinen1,97 Metern zum Rekordhalterwürde, überraschte ihn aberdoch. Wie es dazu kam, stehtauf den Seiten 13 und 36.

JOHN VON DÜFFEL gilt als der„waterholic“ unter den Schriftstel-lern. Schwimmen und Schreibensind für den leidenschaftlichenLangstreckenschwimmer ver-wandte Tätigkeiten – das Ein-tauchen in eine andere Welt, dieReise, die man zurücklegt, dieüberraschenden Selbstbegeg-nungen und Erfahrungen unter-wegs (Seite 18). Das Wasser istfür ihn daher nicht nur sportlicheHerausforderung – sondern auchpoetisches Element.

SHERMINE SHAHRIVAR istfester Bestandteil des deutschenBoulevards. Das hat auch mit denMännern ihres Lebens zu tun,von Thomas Kretschmann bisLapo Elkann. Aber Shermine, diein Teheran geboren wurde, imAlter von einem Jahr mit ihrenEltern nach Aachen kam und2004 zur „Miss Deutschland“gewählt wurde, ist auch wirklichModel von Beruf. Unsere Mode-strecke vom Wannsee (Seite 20)ist dafür der Foto-Beweis. Die34 Jahre alte Mutter einer Tochterverkörpert den Athleisure-Trendunterkühlt bis cool.

MITAR

BEITERLEONIE FEUERBACH istgebürtige Berlinerin und freutsich immer, wenn sie beruflichin die Heimat fahren kann –vor allem für einen Termin wieden Flirtkursus für Flüchtlinge(Seite 30). Für die ThemenFlucht, Migration und Integra-tion interessiert sich die Redak-teurin aus dem FAZ.NET-RessortGesellschaft besonders. DieTeilnehmer des Kurses erlebtesie als zerrissen – wobei es den

Schülerinnen in der Will-kommensklasse offenbarleichter fiel als den Jungs,sich in Deutschlandeinzuleben.

9INHALT

ZUM TITELDer Sänger Mark Forster wurdeam 13. Juni von Gregor Hohenbergin Berlin fotografiert. MODE Zazi Vintage, das ist die

Entdeckung der Saison. Schönergeht es nicht in Berlin. Seite 14

POLITIK Mexiko mag einzerrüttetes Land sein – liebenmuss man es trotzdem. Seite 44

KIRCHE Nicht nur für Pilgerlohnt in Santiago de Compostelajeder Schritt. Seite 50

WEIN Axel Heinz führtals Deutscher das toskanischeTop-Weingut Ornellaia. Seite 51

REISE Mallorca kann sichkaum retten vor Besuchern.Das nervt viele. Seite 52

AUTO Der Rallye-StarChristian Geistdörfer trifft auch imOldtimer den rechten Ton. Seite 56

Die nächste Ausgabe des Magazins liegt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 12. August bei.Im Netz: www.faz.net/stil Facebook: Frankfurter Allgemeine Stil Instagram: @fazmagazin

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10 KARL LAGERFELD18 JOHN VON DÜFFEL42 ADAM ONDRA48 JUAN VILLORO58 JENNIFER SIEGLAR

Auch das noch: Aufder Herrenmodewochein Florenz sieht mandie Entwürfe fürFrühjahr und Sommer2018 – und einigeMänner, die es nunwirklich übertreiben.(Seite 32)

Freistil: Yusra Mardini(Seite 16) ist auf ihrerFlucht aus Syrien umihr Leben geschwom-men. Jetzt startet sie beider WM in Budapest.

In die Zangegenommen: AufHelgoland gibtes nur noch eineHandvoll Hummer-fischer (Seite 38).Wir waren mit einemvon ihnen auf See.

Wasser marsch: MitProdukten wie demSurf-Spray von Bumbleand bumble (Seite 57)lässt sich auch zuHause die Urlaubs-Welle reiten.

10 KARLIKATUR

Über die Irrungen und Wirrungen der britischen Politik kann man nurnoch lachen. Karl Lagerfeld schließt sich an und zeichnet Premierminis-terin Teresa May in schwieriger bis verzweifelter Lage. Er nennt die Zeich-nung, die er kurz vor Beginn der Couture-Woche in Paris fertigstellte, zuder er seine Kollektionen für Chanel und Fendi präsentierte, „meinen Bei-trag zum Brexit und dem dummen Referendum der Miss May“. Lagerfeld,ein Kenner der Historie, ein Freund der guten Staatskunst, ein Anhänger

des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron und ein echterEuropäer, der gleich mehrere Sprachen fließend beherrscht, kann sich denZustand der britischen Politik nicht so recht erklären. „Das Referendumvon David Cameron hätte doch genügen sollen“, sagt der Modeschöpfer.Es genügte offenbar nicht, und dafür hat Lagerfeld eigentlich nur eineErklärung: „Diese Leute werden größenwahnsinnig und halten sich fürunfehlbar.“ Da scheint keine Rettung in Sicht zu sein. (kai.)

KARL LAGERFELD SIEHT BRITANNIEN IN NOT

arteon.volkswagen.de

Abbildung zeigt Sonderausstattung gegen Mehrpreis.

Der neue Arteon.Der Arteon ist eine ganz neue Form von Volkswagen. Mit einem Design, das sofortdie Blicke auf sich zieht. Und sollten Sie beim Abbiegen mal etwas übersehen,kann Ihnen sein optionaler Spurwechselassistent „Side Assist“ behilflich sein.

Wir bringen die Zukunft in Serie.

Sorgt für Schulterblicke.Bei Fußgängern.

12 PRÊT-À-PARLER

PRÊT-À-PARLER

Wer einen ganzen Tag lang mit etlichen anderen Men-schen Freizeit genießen konnte und wie alle anderen das-selbe Ziel hatte, zum Beispiel die Spitze des Eiffelturms,einen Wahnsinns-Wasserfall oder, ja, den FrankfurterRömer, der wird am Ende des Tages nicht mehr ganz sogut Freund sein mit dem Rucksack. Schon klar, der Ruck-sack ist eine tolle Erfindung, etwa für Kinder, die auf garkeinen Fall Haltungsschäden bekommen sollen, oderwenn man als junger Mensch wochenlang nur allein mitihm unterwegs ist. Nicht umsonst heißt es backpacking.

Abgesehen davon aber ist das Teil überschätzt. Etwafür Sightseeing-Trips. Wenn Menschen irgendwohin wol-len oder müssen, tragen sie mit hoher Wahrscheinlichkeiteinen Rucksack auf dem Rücken, der vollgepackt ist mitallem, was sie für einen einzigen Tag nicht brauchen. Dasist der Rucksack, mit dem sie den Hintermann anrempelnund aus dem sie sich das Handy herausklauen lassen kön-nen. Denn auch Taschendiebe wissen: Griffbereit liegt esim Seitenfach.

Wenn viele Orte wie etwa Cinque Terre oder Venedigsommers unter den Touristenscharen leiden, dann solltensie dort dringend große Rucksäcke verbieten. Oder dasStadtmarketing sollte die Tagesclutch bewerben. Sie istschmal wie ein Umschlag und mit Leo-Muster von Long-champ (1) versehen, mit Wellensittich-Print von Furla (5)oder aus verspiegeltem Silber-Leder von PB 0110 (3). Vielmehr als ein kleiner Stadtführer, das Smartphone und dieHotelschlüssel werden auch nicht hineinpassen, aber wasgenau braucht man auch noch für einen Tag an einem tou-ristisch bestens erschlossenen Ort? Auch die große Geld-börse wird man in den Umschlägen von Dior (7) undLouis Vuitton (4) im Hotelsafe lassen müssen, aber das istan Orten mit erhöhtem Taschendiebstahlrisiko eine superKontrolle. In diese Taschen passt nur das Nötigste, alsokann man auch nicht viel mehr verlieren.

Klar, die Clutches selbst sind nicht wertlos, oft warensie sogar teurer als ein Riesen-Rucksack. Also immer gutim Griff behalten. Oder fest unter den Arm klemmen. Dasklappt auch mit den Stücken von Tod’s (6) oder vonStiebich & Rieth (2) mit Kroko-Prägung. Diese beidenModelle wären auf einer Abendveranstaltung nicht depla-ziert. Ebensogut eignen sie sich aber für die Besichtigungder Uffizien in Florenz. Gerade weil in ihrem Inneren einRiemen versteckt ist. Wenn einem alles zu viel wird, kannman die Clutch also zumindest gut über die Schulter hän-gen. (jwi.) Fotos Wonge Bergmann

CLUTCHT NICHT AN DENNÄCHSTEN RUCKSACK

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IN PARIS ZIEHT DIE LANDWIRTSCHAFT AUF DIE DÄCHER

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Der Blick ist phantastisch. Von den Dächern der GaleriesLafayette (siehe Bild) oder des Kaufhauses Bazar de l’Hôtelde Ville (BHV) am Pariser Rathaus fällt er auf die schöns-ten Monumente der Stadt, die aus dem mineralischenHäusermeer und den rauschenden Straßenschneisen auf-ragen. Das Grün der Zukunft wächst hier nicht in neuenParkanlagen, sondern auf bislang ungenutzten Dach-flächen: als vertikaler und nährender Garten Eden. Aufriesigen bepflanzten Membranwänden gedeihen Kräuter,Gemüse, Früchte und rankender Hopfen. Bienen, Käferund schillernde Libellen tummeln sich um Taglilien odertürkische Nelken. Hier oben schmecken die Himbeeren sogut wie zu Großmutters Zeiten, Rosmarin duftet wie inder Provence, und das sanfte Glucksen des Wassers gibt inder Sommerhitze das Gefühl eines frischen Zen-Gartens.

Oben auf dem Dach lässt sich alles anbauen, was untengegessen wird, wobei das Gebäude in einem ganzheitlichen

Zyklus jeweils mit seinem Grau- oder Regenwasser undseiner Komposterzeugung zum Wachstum der Pflanzenbeiträgt. „Sous les Fraises“ (Unter den Erdbeeren) heißtdas von dem Biologen Yohan Hubert gegründete Start-up,das ein Konzept des vertikalen Gemüse- und Früchte-anbaus für städtische Dächer und Wände entwickelt hat.Seit einem Jahr gedeihen die ersten Gärten auf PariserDächern, auf dem Gebäude des Senders CNN France unddes Immobilienunternehmens Nexity. An Stahlgerüstenwerden gut zwei Meter hohe Membranwände aus Schaf-wolle und Hanf aufgespannt und von einem integriertenBewässerungs- und Düngesystem berieselt. An diesen filz-artigenWänden können inTaschen alle kleinen und mittel-großen Pflanzen gedeihen. Nach dem Prinzip der Perma-kultur entsteht ein dauerhafter Kreislauf. Zum Beispielnähren die Küchenabfälle des Restaurants in den GaleriesLafayette den Nutzgarten auf dem Dach. Die Pflanzen

werden durchmischt angebaut, sodass sie sich gegenseitigstärken und vor Schädlingen schützen. Der platz- und res-sourcensparende Anbau zieht Insekten und Vögel an undbegründet ein funktionierendes Ökosystem ohne Pestizide.So bieten die 22.000 Pflanzen auf dem Dach des BHVeinen neuen Lebensraum für Bienen, die nun Honigproduzieren. Die Erträge von 1000 Quadratmetern habenim vergangenen Jahr durchschnittlich 40.000 Euro einge-bracht. In Paris interessieren sich vor allem Spitzen-restaurants für die frischen Produkte mit kurzem Transport-weg. Claude Colliot kauft für sein Restaurant im Maraiszwei Mal wöchentlich ein. Die Taglilie verfeinert die Speise-karte von Pascal Barbots Restaurant „Astrance“. DanielBaratier produziert Öl aus der Tagetes, der türkischen Nelke.„Sous les Fraises“ hat in Frankreich schon 10.000 Quadrat-meter vertikaler Nutzgärten installiert. Jetzt wollen sieauch im Ausland wachsen. Bettina Wohlfarth

In Schloss Hohenzieritz, wo Preußenkönigin Luise (1776-1810)starb, stehen die «Hohenzieritzer Autographentafeln». Auf denhölzernen Türteilen des Gartensaals verewigten sich viele Adlige,unter ihnen ihr Mann, Friedrich Wilhelm III. Nach derNeugestaltung ist die Gedenkstätte nun wieder geöffnet.

Georg machte den Anfang. Am 16. November 1795 wurdeder künftige Herzog von Mecklenburg-Strelitz, der Lieb-lingsbruder der preußischen Königin Luise, von seinemVater, Herzog Karl, im mecklenburgischen Schloss vonHohenzieritz an eine Tür gestellt, um seine Körpergrößezu messen. Es war die Tür zwischen Garten und Garten-saal, genauer gesagt: die Türlaibung. Damals war Georg16 Jahre alt und 1,71 Meter groß. Sechs Jahre später wurdeer abermals gemessen: 1,80 Meter. Ohne dass er es hätteahnen können, begründete er damit eine Tradition.

Fortan wurde die Gartentür nämlich eines der selt-samsten Gästebücher, die es je gegeben hat. Bis 1918 tru-gen sich dort etwa 80 Personen ein, alle aus dem europä-ischen Hochadel. Denn das kleine und unbedeutendeHerzogtum Mecklenburg-Strelitz war durch Heirat mitdem englischen Königshaus verbandelt wie auch mit dempreußischen. So waren die englische Königin Charlotteund die preußische Luise von Geburt Prinzessinnen ausdem Hause Strelitz. Die Sache mit der Tür fand späterbesondere Aufmerksamkeit, als im Schloss HohenzieritzLuise gestorben war, am 19. Juli 1810. Eigentlich hatte sienur ihre Sommerferien bei ihrem Vater verbringen wollen,doch lauerte schon die tödliche Krankheit. Seitdem erwar-teten die Strelitzer Herzöge von ihren hohen Gästen, dasssie auch nach Hohenzieritz kamen, Luise in ihrem Sterbe-zimmer die Ehre erwiesen und sich in das hölzerne Gäste-buch am Gartensaal eintrugen.

Die Türlaibungen haben sich wie durch ein Wundererhalten. Die letzten Eintragungen stammen allerdingsvon russischen Soldaten von 1945. Die Schlosseinrichtungging in den Wirren der Nachkriegszeit fast vollständig ver-loren. Immerhin wurde nach 1990 das Sterbezimmer wie-der zu einer kleinen Gedenkstätte, heute verwaltet von derSchlösserverwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpom-mern. Die drei Räume sind gerade neu gestaltet worden.Und nun spielen auch die Türen eine wichtige Rolle. 1910,ein Jahrhundert nach dem Tod der Königin, hatte manschon einmal herauszufinden versucht, wer an der Türverewigt ist. Diese Liste überarbeitete der in Mecklenburglebende Historiker Sebastian Joost zusammen mit Frie-derike Drinkuth und Jörg Meiner von der SchwerinerSchlösserverwaltung. Jetzt lassen sich alle Biografien perMedienstation in der Gedenkstätte nachlesen. Da kannman sich stundenlang in zum Teil seltsame Schicksalevertiefen. Karl zu Mecklenburg zum Beispiel musste sich

gleich dreimal an die Tür stellen, 1800, 1801 und 1808. Erwar eigentlich ein preußischer General, hatte aber Schau-spieltalent, arrangierte höfische Festspiele in Berlin undNeustrelitz, trat selbst dort auf und schrieb Stücke. OderMary von Cambridge, die für ihr Leben gern aß, ent-sprechend übergewichtig war, aber als leutselig galt, begabtmit common touch. Oder Friedrich Wilhelm, Großherzogvon Mecklenburg-Strelitz, der durch Aktiengeschäfte reichwurde. Oder Adolf Friedrich VI., der seltsame letzteGroßherzog von Mecklenburg-Strelitz, der sich im Feb-ruar 1918 aus bis heute ungeklärten Gründen das Lebennahm. Luise selbst hat sich nicht an die Tür gestellt, wohlaber ihr Gatte Friedrich Wilhelm III., 1,85 Meter groß.

Überhaupt die Größen. Den Rekord hält August vonWürttemberg mit 1,92 Metern. Friedrich III., der 99-Tage-Kaiser, war 1,90 Meter groß, Wilhelm II., der letzte Kaiser,1,85 Meter. Seit Wiedereröffnung der Gedenkstätte wurdensogar noch neue Namen entdeckt: Prinz und PrinzessinFriedrich Wilhelm von Preußen (die Damen hatten unterdem Namen des Mannes zu firmieren) waren 1918 da, umLuise zu ehren. Die heutigen Besucher wandelt natürlichdie Lust an, sich in der Gedenkstätte auf ähnliche Weiseverewigen zu wollen. Die Schlösserverwaltung hat es voraus-gesehen. Deshalb gibt es eine dritte Tafel, an der sich jederselbst messen kann. Mit einem goldenen Stift darf manseine Größe markieren, seinen Namen und das Datumseines Besuchs notieren. Frank Pergande

DAS SELTSAMSTE GÄSTEBUCH DER GESCHICHTE

BARACK OBAMAGEWINNT DIE WAHL

Würde es ein Mann werden oder eine Frau? Diane Krugeroder Barack Obama? Elyas M’Barek oder Lena Meyer-Landrut? Jessica Joffe oder will.i.am? Aus Anlass der50. Ausgabe des „Frankfurter Allgemeinen Magazins“ hat-ten wir im Juni auf FAZ.NET darum gebeten, das besteCover aus viereinhalb Jahren auszuwählen. An dem48-Stunden-Voting beteiligten sich 846 Leser. Und 36 Pro-zent von ihnen votierten für Barack Obama, der im Okto-ber 2016 auf unserem Titel zu sehen war, kurz bevorDonald Trump zu seinem Nachfolger gewählt wurde. DasFoto vom 23. Februar 2016, das erstmals bei uns veröffent-licht wurde, stammt von Pete Souza, dem damaligen „ChiefOfficial White House Photographer“. Der Präsident sitztauf dem „Resolute Desk“ im Oval Office und schautin Gedanken nach unten, vor einer Videokonferenz mitAngela Merkel, David Cameron und François Hollande.Das Foto lässt viele Deutungen zu: Denkt er nur nach?Hat er keine Lust mehr? Freut er sich über die geputztenSchuhe? Das Votum der Leser ist wohl auch als Kritikan seinem Nachfolger im Amt zu verstehen; da schwingtNostalgie mit. Eine Frau immerhin kommt mit elf Prozentauf den zweiten Rang: Model und Autorin Jessica Joffe.Das Motiv vom Februar 2013 wurde von dem FotografenJork Weismann aufgenommen. Es entstand in VeniceBeach, wo die Tochter des „Zeit“-Herausgebers Josef Joffedamals lebte. Mit sieben Prozent Leserzustimmung aufPlatz drei gelangt Barbara Klemm, die wohl bedeutendstedeutsche Fotografin, die mehr als 40 Jahre lang für dieseZeitung arbeitete. Im November 2013 hatte sie für unseine Strecke mit Fotos von Menschen in der Öffentlichkeitzusammengestellt. Das Titelfoto hatte sie 1995 aufgenom-men, aus Anlass der Feiern zum 50. Jahrestag des Kriegs-endes. Wie für Pete Souza gilt auch für Barbara Klemm:Die Zeitgeschichte packt in Form journalistischer Fotosauch Magazinleser. (kai.)

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„MEINE KLEIDERSOLLEN ETWASVERÄNDERN“

Jeanne de Kron, Sie sind Designerin des jungen BerlinerLabels Zazi Vintage und lassen alte Stoffe, die Sie zumBeispiel aus dem Grenzgebiet zwischen Afghanistan undUsbekistan beziehen, zu neuen Kleidern nähen, zusammenmit Hilfsorganisationen, die sich in Indien für die Rechtevon Frauen einsetzen. Die Idee scheint gut anzukommen.Die meisten Ihrer Kleider, die Sie von Berlin aus vertreiben,sind auf Ihrer Website schon ausverkauft.Ja, ich war darauf auch nicht vorbereitet. Die Nichtregie-rungsorganisation in Indien, mit der ich zusammenarbei-te, ist winzig. Die Frauen kommen mit der Produktionder Kleider gerade gar nicht hinterher. Das liegt aber auchdaran, dass sie nur zwei Kleider im Monat fertigen.

Zwei Kleider im Monat?Unser Projekt ist dort nur eines von vielen. Die Hilfsorga-nisation bietet alle möglichen Workshops an: Frauen-rechte, Menschenrechte, Kurse für die Hygiene währendder Periode, fürs Stillen, den ökologisch korrekten Anbauvon Gemüse und Gartenarbeit. Unser Kleider-Projekt istnur ein Teil dessen, was ihnen ein geregeltes Einkommenim Monat sichert.

Es ist jetzt oft die Rede von der Selbstermächtigung derFrauen, gerne auch unter dem englischen Begriff „womenempowerment“. Hilft es, wenn privilegierte Frauen sichdiesen Begriff auf die Fahne schreiben?Darüber habe ich schon oft nachgedacht. Ich habePhilosophie und Ethik studiert, mit etlichen Seminarenzum Feminismus. Auf der einen Seite ist es gut, dass esdafür jetzt mehr Bewusstsein gibt. Jeder Schritt in einepositive Richtung ist richtig. Wenn große Modehäusernun feministische Sprüche auf T-Shirts drucken, ist daspositiv. Aber es ist eben auch die Art von Ermächtigungder Frauen im Westen. Auf der anderen Seite, wenn mansich die Mode-Industrie anschaut, die eine der größtender Welt ist, und 80 Prozent der Beschäftigten in Textil-farbriken sind Frauen, dann kommt man schon insNachdenken, ob nicht die Ermächtigung der Frauenvielmehr dort ansetzen sollte. Bei Frauen, die 14 Stunden

am Tag arbeiten, um ihre Kinder zu ernähren, mit einemGehalt von zehn Euro im Monat. Da wäre es viel dring-licher, etwas für Frauen zu tun. Andererseits stehen großeModemarken dabei vor der Herausforderung, dass siees kaum ihren Investoren erklären können, wenn sie fairproduzieren und das T-Shirt zehn Cent mehr kostet.

Denken Sie, das Problem ist die mangelnde Akzeptanz derInvestoren oder der Kunden?Das System ist in sich gefestigt. Die 15 Jahre alte Jugend-liche irgendwo in Deutschland wird sich kaum mit der42 Jahre alten Textilarbeiterin in Bangladesch identifizie-

Jeanne de Kron, Designerin von Zazi Vintage, kommt ausHolland, lebt in Berlin und lässt ihre Kleider von einer Organisati-on in Indien fertigen. Dort entstanden auch die Kollektionsfotos.

ren können. Darum geht es zunächst: Ohne Identifikati-on kann es keine Empathie geben.

Wie sind Sie eigentlich von Philosophie und Ethik zur Modegekommen?Mode fand ich schon in der Schule toll. Mein Abiball-Kleid habe ich mir damals aus einem Ikea-Vorhanggeschneidert. Meine Mutter war früher Modejournalistinund hat mir immer von diesen glamourösen Zeitenerzählt, als Diana Vreeland noch dabei war. Nach derSchule wurde ich als Model entdeckt und bin für eineWeile nach New York gegangen. Das war schrecklich.Total traumatisch, ein Model-Apartment mit 20 Stock-betten, minderjährigen Russinnen ohne Arbeitserlaubnis,die ganz andere Seite der Mode. Das kam mir allessehr synthetisch vor. Ich habe mich da nicht mehr wieich selbst gefühlt und bin nach Berlin gezogen.

Warum Berlin?Ich hätte mir nicht vorstellen können, zurück in dieNiederlande zu gehen, und Berlin schien mir richtig. Einwichtiger Moment für mich: als ich eine junge Frau aufeiner Reise nach Nordindien traf, die 40 Fabrikarbeite-rinnen juristisch vertrat. Sie hat schlimme Geschichtenerzählt, von Frauen, die bei der Arbeit Windeln tragen,weil sie nicht zur Toilette gehen dürfen, verschlossenenGebäuden und Babys, die während der Arbeit nebenihnen liegen. Zum ersten Mal hat es da für mich Klickgemacht. So bin ich zum Studium an der Freien Universi-tät gekommen. Und dann habe ich vergangenes Jahrmit sieben Kleidern angefangen und recht vielen Idealen.

In Ihren Lookbooks tragen vor allem indische FrauenZazi Vintage. Aber die Kleider stehen auch Kaukasierinnen.Heike Makatsch hat eines in Cannes getragen.Ich wollte das Lookbook unbedingt in Indien produzie-ren, in der NGO. Ich habe dann angefangen, auf Insta-gram Models zu casten, und eine junge Frau, die ich tollfand, hat mir glücklicherweise vertraut. Sie ist jetzt imLookbook zu sehen. Die Bilder sollen auch die Geschich-ten der Kleider erzählen. Aber vor allem sollen sie Teildes Identifikationsprozesses sein, der so wichtig ist, damitsich etwas verändert.

Die Fragen stellte Jennifer Wiebking.

15PRÊT-À-PARLER

PRÊT-À-PARLER

Olperer Hütte im Zillertal, um 1885 In der Amberger Hütte, um 1910

Vor der Kieler Wetterhütte in der Verwall-Gruppe, um 1960 Brandenburger Haus im Ötzal, 2015

Skifahrer vor der Siegerlandhütte, 1938 Waltenberger Haus in den Allgäuer Alpen, 2016

Der Streit entzündete sich an höchster Stelle – am Gipfelder Zugspitze. Am 19. September 1897 wurde dort dasMünchner Haus eröffnet, ein Schutzhaus des DeutschenAlpenvereins, über dessen Bau sich die Sektion Münchenzuvor heillos zerstritten hatte. Die große Frage war: Musstedas sein? Gegner beklagten die Übervölkerung durch ein„Wirtshaus“ auf dem Gipfel, das eine „stumpfsinnige Menge“unerfahrener Touristen anlocke. Befürworter entgegneten,dass nur eine einfache Unterkunft vorgesehen sei, dass diegeplante Wetterstation die Wissenschaft voranbringe unddie Hütte Besuchern ein intensives Gipfelerlebnis ermög-liche, inklusive Sonnenuntergang. Am Ende wurde abge-stimmt: 146 Mitglieder sagten Nein. 337 Ja.

Die Geschichte der Berghütten ist untrennbar verbun-den mit der Geschichte der Erschließung der Alpen – undden Grenzen dieser Erschließung. Die Ausstellung „Hochhinaus“ im Alpinen Museum in München zeichnet dieseGeschichte nach. Begonnen hatte sie in den sechziger,siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts. „Davor gab es kaumInfrastruktur für Bergsteiger“, sagt Friederike Kaiser, Leite-rin des Alpinen Museums. Schon 1896 waren 300 Hüttenerbaut, der Bergtourismus boomte. Doch je mehr Städterin die Alpen zogen, desto dringlicher stellte sich dort dieFrage nach Luxus und Komfort. War anfangs die bloßeExistenz einer Hütte Luxus genug, wuchsen schnell dieAnsprüche – und nicht immer deckten sich kulinarischeund hygienische Vorstellungen städtischer Besucher mitdenen der Hüttenwirte. So entstanden bald komfortablereHäuser wie die Berliner Hütte in den Zillertaler Alpen, inder 1898 ein mehr als vier Meter hoher, reich geschmück-ter Speisesaal errichtet wurde, der „Damensalon“.

1923 wurde es dem Alpenverein zu bunt – und er ver-suchte, dem Massenandrang mittels Komfortverzicht Herrzu werden. Künftig galt: keine Reklame für Hütten, Woll-decken statt Federbetten, einfachste Mahlzeiten, Hütten-ruhe um 22 Uhr. Grammophone waren zu entfernen.Vieles davon wirkt bis heute nach. Mancherorts glaubtman, sogar die Wolldecken seien noch dieselben.

Neue Berghütten entstehen inzwischen nur noch alsErsatzbauten, ohne zusätzliche Schlafplätze. „Der Deut-sche Alpenverein hat sich selbst ein Erschließungsverbotauferlegt“, sagt Friederike Kaiser – aus Naturschutzgründen.Das Hütten- und Wegenetz gilt als abgeschlossen. Heutegeht es darum, die Berge zu bewahren, wie sie sind, auchdurch einen umweltgerechten Betrieb der Hütten, mitKläranlagen, Blockheizkraftwerken, Wind- und Sonnen-energie. Die Beschränkung führt dazu, dass es an beliebtenHütten-Standorten im Hochsommer eng werden kann.Aber: „Gäbe es noch mehr Betten, würden auch nochmehr Leute kommen“, sagt Kaiser. Wer Straßen sät, wirdVerkehr ernten, auch in den Bergen. Das ist ebenfallsauf der Zugspitze zu sehen: Heute drängen sich dort aufdem Gipfel bis zu 4000 Besucher am Tag. (nle.)

Die Ausstellung „Hoch hinaus! Wege und Hütten in den Alpen“ im AlpinenMuseum in München läuft bis 8. April 2018. Der zweibändige Katalog istim Böhlau-Verlag erschienen und kostet 49,90 Euro.

DIESES WASSER KANN – UND SOLLTE – MAN ESSEN

KOMM IN MEINE HÜTTE

Hitze verträgt der Mensch nicht gut. Temperaturen umdie 35 Grad und mehr, wie sie in Deutschland in diesemJahr schon mehrmals herrschten, belasten unseren Organis-mus und schädigen ihn sogar. Er funktioniert am besten,wenn die Körpertemperatur gleichbleibend bei 37 Gradliegt. Außentemperaturen von mehr als 38 Grad, beidenen unser Körper nicht mehr gegensteuern kann (zumBeispiel, indem er schwitzt), können sogar tödlich sein: ImSommer 2003 kamen mindestens 70.000 Menschen durcheine Hitzewelle in Europa ums Leben. Darum gibt derDeutsche Wetterdienst schon bei einer gefühlten Tempe-ratur von 32 Grad eine Hitzewarnung heraus. Wasser istdann lebensnotwendig. Wer zu viel schwitzt und damitdehydriert, bekommt Kreislaufprobleme. Der schwächerwerdende Blutdruck führt zu Durchblutungsstörungendes Gehirns, was einen Kollaps zur Folge haben kann.Mindestens zwei bis drei Liter Flüssigkeit sollte daher jedervon uns täglich zu sich nehmen. Denn der Körper bestehtzu einem großen Teil aus Wasser – bei einem Säugling sindes um die 80 Prozent, bei alten Menschen höchstens noch50, im Durchschnitt 70. Fehlen nur zwei Prozent Wasserim Körper, lassen unsere psychischen und physischen

Fähigkeiten schon merklich nach. Einen Teil seinesWasserreservoirs kann der Mensch auch mit fester Nah-rung auffüllen. Selbst Geflügel, Wurst und Käse bestehennoch zu 50 bis 75 Prozent aus Wasser. Einige Lebensmittelaber erreichen Werte von weit mehr als 90 Prozent undsind zudem besonders gesund. Hier die zehn wasserreichs-ten Lebensmittel:

1. Salatgurke: Sie ist einsame Spitze – mit einemWassergehalt von 97 Prozent. Daneben enthält sie nochgeringe Mengen an Kohlenhydraten sowie Eiweiße undFette, dazu – besonders in der Schale – Vitamin B, Cund E sowie Calcium, Zink, Eisen, Magnesium, Kaliumund Phosphor. Gurken sind kalorienarm und helfensogar äußerlich bei Sonnenbrand: Das Gemüse spendetder geröteten Haut Feuchtigkeit und kühlt gleichzeitig,wenn man die Gurke scheibchenweise auf die verbrannteStelle legt.2. Wassermelone: Schon die alten Ägypter ließen sichdas Obst an heißen Tagen schmecken. Ihren Namenhat sie, weil sie fast nur aus Wasser zu bestehen scheint,dabei kommt sie „nur“ auf 96 Prozent. Zudem punktet

sie mit viel Vitamin A und C, Eisen und auch einwenig Natrium. Selbst die Kerne sind gesund: Sie enthal-ten Vitamine, ungesättigte Fettsäuren, Mineralstoffe,Fett und Eiweiß.3. Salat: Kopfsalat, Chinakohl, Eisbergsalat – sie habeneinen Flüssigkeitsanteil von 95 Prozent. Salat ist – ohneSaucen! – kalorienarm, enthält allerlei Vitamine (vorallem der Gruppe C), Eisen und Folsäure, was Alters-erkrankungen wie Arteriosklerose vorbeugt.4. Tomate: Sie hat viel Lycopin, das vor Krebs schützt,und ebenfalls knapp 95 Prozent Flüssigkeit.5. Molke: Also kein Obst oder Gemüse, sondern dieFlüssigkeit, die bei der Käseherstellung übrigbleibt. WieMolke, so enthält auch Buttermilch, Nebenproduktbei der Butterherstellung, 94 Prozent Flüssigkeit.6. Radieschen: Von ihnen weiß man bis heute nicht,woher sie stammen. Sie enthalten Vitamin C, Selen,Folsäure, Phosphor und Eisen. Wassergehalt: 94 Prozent.7. Rhabarber: Viel Vitamin C, 93 Prozent.8. Spargel: Viele Ballaststoffe, 93 Prozent.9. Zucchini: Kalium, Magnesium, Eisen, 93 Prozent.10. Feldsalat: Sehr viel Vitamin C, 93 Prozent. (pps.)

16 PORTRÄT

as wäre schon ziemlich absurd gewesen, wenn wirertrunken wären. Schließlich sind wir Schwimme-rinnen“, sagt Yusra Mardini über ihre Fluchtaus Syrien. Sie sitzt mit ihrer Schwester Sara inder Gaststätte ihres Schwimmvereins im Berliner

Olympiapark. Es ist eine seltene Zusammenkunft, dennwährend die Schwimmbecken hier Yusras Lebensmittel-punkt geworden sind, hat es Sara als freiwillige Helferinzurück nach Griechenland gezogen.

Und es ist ein ironisches Bild, dass ausgerechnet hier,wo sich das „Dritte Reich“ bei den Olympischen Spielen1936 vor den Augen der Welt inszenierte, 80 Jahre spätereine der stärksten Geschichten der Flüchtlingskrise indie Welt hinausgetragen wurde – als Yusra Mardini alsMitglied des ersten Refugee Olympic Teams für die Spielein Rio de Janeiro 2016 bekannt wurde.

Sportlerinnen waren Yusra und Sara schon in Damas-kus. Die Töchter eines Schwimmlehrers und einer Physio-therapeutin wurden als Kleinkinder ins kalte Wassergeworfen und schwammen seit ihrer Kindheit für dassyrische Nationalteam. Nach Ausbruch des Bürgerkriegsging das Leben der Mädchen, die behütet aufgewachsenwaren, zunächst normal weiter. Noch im Jahr 2012 vertratYusra Mardini Syrien bei den Kurzbahn-Weltmeister-schaften in Istanbul und stellte einen Landesrekord über400 Meter Freistil auf.

Im gleichen Jahr begannen die Luftangriffe auf Damas-kus. Bomben rissen Löcher in das Dach ihrer Trainings-anlage, ihr Haus wurde zerstört. Die Mädchen konntennicht mehr geregelt in die Schule, nicht mehr an die Uni,nicht mehr zum Training. Als die ersten Bekannten umsLeben kamen, entschlossen sich Yusra und Sara, gerade17 und 19 Jahre alt, mit zwei männlichen Verwandtenim Sommer 2015 zu fliehen. „Wir mussten einfach gehen,weil wir nichts mehr hatten“, sagt Yusra Mardini.

Im Flugzeug ging es zunächst über den Libanon in dieTürkei. Dort nahmen sie Kontakt zu Schleppern auf, diesie an die griechische Küste bringen sollten. Mit einerGruppe von 20 Flüchtlingen, unter ihnen ein Kind undnur eine weitere Frau, bestiegen sie ein Schlauchboot, daseigentlich für sieben Personen gedacht war. Die Überfahrtsollte 45 Minuten dauern, aber nach 15 Minuten fiel derMotor aus, das Boot nahm Wasser auf.

Yusra, Sara und zwei Männer, von denen nur einerschwimmen konnte, sprangen ins Wasser. Sie zogen dasBoot und schnitten aus dem Wasser Grimassen, um dasverängstigte Kind aufzumuntern. Die Männer wechseltensich ab, Yusra und Sara hielten durch. Nach dreieinhalbStunden erreichten sie Lesbos und nach fast einem Monatüber die Balkanroute Deutschland.

Die Ankunft in Berlin war nicht gerade paradiesisch.„Die Leute, die es geschafft haben, haben immer so positivüber Deutschland gesprochen“, sagt Sara. „Aber es gabnicht mal Sonne. Und ich habe einfach alles vermisst,meine Eltern, meine kleinere Schwester, das Essen. Manhat uns gefragt, ob wir wirklich Flüchtlinge sind, weilwir Turnschuhe und Telefone hatten. Als seien alle Flücht-linge bettelarm! Wir sind vor einem Krieg geflohen. Wir

brauchen eine Zukunft, nicht euer Geld! Wenn man unslässt, dann finden wir schon unseren eigenen Weg.“

Wochenlang standen die Mädchen tagsüber vor demLandesamt für Gesundheit und Soziales Schlange, nachtsschliefen sie auf dem Boden der Flüchtlingsunterkunft.Dort erzählte ein Übersetzer ihnen von einem Schwimm-verein. Als Yusra und Sara bei den Wasserfreunden Span-dau 04 Probe schwammen, sah Trainer Sven Spannekrebsauf Anhieb, dass die beiden professionell trainiert hatten.Sara hatte sich in Syrien eine Schulterverletzung zuge-zogen, die sich durch die Flucht verschlimmert hatte undihre Leistung beeinträchtigte. Aber in Yusra erkannte Span-nekrebs das Potential für den Wettkampfsport. Er fing an,sie mit Blick auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio zutrainieren. Außerhalb der Sportanlage wurde er eine ArtZiehbruder – er half den Schwestern mit den Papieren, mitder Wohnungssuche, mit der Familienzusammenführungder Eltern und der jüngeren Schwester.

Doch dann kam auf einmal alles anders. Das Interna-tionale Olympische Komitee kündigte an, zum ersten Malin seiner Geschichte ein staatenloses Team aus Flüchtlingenbei den Spielen antreten zu lassen. Spannekrebs schriebden Verantwortlichen. Yusra wurde nominiert, und dieGeschichte vom Mädchen, das erst um ihr Leben unddann in Rio schwimmt, ging um die Welt. Gerade malein Jahr, nachdem sie durch das Mittelmeer nach Europageschwommen war, nahm sie 2016 an den OlympischenSpielen in Rio teil. Sie war weit weg von den Besten. Aberes war schon beachtlich, dass sie nur einige Monate, nach-dem sie das Training wieder aufgenommen hatte, über-haupt dabei war. „Nachdem wir Syrien verlassen hatten,dachten wir: Wie sollen wir bloß eine Zukunft aufbauen,wie sollen wir die Sprache lernen? Und wie aus dem Nichtskam diese Chance“, sagt Yusra.

Kaum zwei Jahre nach ihrer Flucht, mit gerade mal19 Jahren, war sie zu einem internationalen Gesicht derFlüchtlingskrise geworden. Sie traf den damaligen ameri-kanischen Präsidenten Barack Obama, Papst Franziskus,Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg. Sie sprachvor den Vereinten Nationen und dem World EconomicForum in Davos, und sie wurde zur jüngsten Sonderbot-schafterin des Flüchtlingshilfswerks UNHCR ernannt –die Rolle übernehmen sonst Hollywood-Stars.

Zugleich geht sie zur Schule, lernt deutsch und trainiert,um in wenigen Wochen, Ende Juli, bei den Schwimm-Weltmeisterschaften in Budapest anzutreten – dort, wosie im September 2015 mit ihrer Schwester zehn Tage langfestsaß, als der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbándie Grenzen schließen ließ. Und sie trainiert weiter fürOlympia 2020 in Tokio.

Vor einigen Monaten hat die britische Firma WorkingTitle Films, verantwortlich für Produktionen wie „BridgetJones“ und „Billy Elliot“, die Rechte für einen Film überYusra erstanden. Und ein Buch ist auch in Vorbereitung.Ob das alles nicht zu viel ist für eine Heranwachsende?„Es ist alles überwältigend“, sagt Yusra. „Aber ich bin aufeinem sinkenden Boot vor einem Krieg geflohen und habeüberlebt. Wenn ich das kann, dann kann ich alles schaffen.“

Yusra Mardini und ihre SchwesterSara sind nach ihrer Flucht über

das Mittelmeer zu Idolen geworden.Von Quynh Tran

In ihrem Element: YusraMardini (oben und untenlinks) und ihre SchwesterSara schwammen schonin ihrer Kindheit für dassyrische Nationalteam.Heute werden die beidenals Vorbilder geehrt – wieim November 2016, alssie den „Bambi“ erhielten.

17PORTRÄT

Sie hat nicht nur überlebt, sie hat sich innerhalb kürzesterZeit eine Karriere als Athletin und Aktivistin aufgebaut.Darin sieht sie vor allem eine Verantwortung. „Meine Ge-schichte zeigt, dass man es trotz aller Not schaffen kann.Deswegen will ich sie erzählen, um andere Flüchtlinge zuermutigen, Würde einzufordern.“

Ihre Route, sagt sie, sei noch eine der leichtesten gewe-sen. Ihr sei nichts passiert, weil die Gruppe zusammen-gehalten und sich gegenseitig beschützt habe. Sie kenntauch Leute, von denen man monatelang nichts gehört hat,von denen man nicht weiß, ob sie überhaupt noch amLeben sind. Sie weiß, dass sie privilegiert ist.

Es sind Privilegien, die auch ihre Eltern, die mit derneunjährigen Schwester mittlerweile in Deutschland sind,nicht haben. „Es ist unglaublich schwer für sie. Sie habenihre Heimat verloren, sie sprechen nicht mal Englisch,und jetzt müssen sie erst mal Deutsch lernen. Sie könnengerade gar nichts machen, außer zu warten.“

Wenn man Yusra mit ihrer Schwester erlebt, wie siestreiten, sich necken, wie sie kichern und sich umarmen,dann kann man ihre Geschichte leicht vergessen. In ihremVerhalten lässt sich nichts erahnen von den Schwierig-keiten auf ihrem Weg und von der Aufgabe, die sie sichnicht ausgesucht haben. Die Flucht hat nicht nur Yusras,sondern auch Saras Weg bestimmt.

Als die Geschichte der Schwestern bekannt wurde,schrieb Erik Gerhardsson, ein Freiwilliger, der für diegriechische Hilfsorganisation Emergency Response CenterInternational (ERCI) arbeitet, Sara über Facebook eineNachricht. Die Flüchtlingskinder auf Lesbos sprächenvon den Mädchen, die übers Meer geschwommen sind,wie von Idolen. „Ich komme“, antwortete Sara. Sie plante,am 18. August, dem Jahrestag ihrer eigenen Ankunft,

nach Lesbos zu reisen, aber genau zu dieser Zeit war sie mitYusra bei den Olympischen Spielen. Gleich danach flog sienach Lesbos. „Ich musste wahnsinnig weinen. Es war soseltsam, ein Jahr, nachdem ich mit dem Boot an die Küstegeschwommen war, mit dem Flugzeug anzukommen. Unddann habe ich die Boote im Meer gesehen, nur von deranderen Seite, und es kam alles wieder hoch.“ Sara bliebals freiwillige Rettungsschwimmerin für das ERCI, umdas Leben anderer Flüchtlinge zu retten.

Sie ist emotionaler als ihre Schwester, aber als Rettungs-schwimmerin musste sie lernen, ihre Gefühle zu kontrol-lieren. „Auf Lesbos zu sein ist wirklich schwer, das Wasserist eine ständige Erinnerung an die Nacht, in der wir überdas Meer geschwommen sind. Aber mein Teamleiter undmeine Freunde bei ERCI haben mir beigebracht, wachsamzu sein und immer Ausschau nach dem nächsten Boot zuhalten.“ Nach vorne schauen, in die Zukunft, das ist SarasCredo geworden.

Sie hilft nicht nur, wenn Boote in Seenot geraten. Inden Camps spricht sie auch mit Kindern und Jugend-lichen. Vor allem für die Mädchen sind sie und ihreSchwester Vorbilder. „Einer der Gründe, warum so wenigüber weibliche Flüchtlinge gesprochen wird, ist, dass sieoft selbst einfach nicht sprechen“, sagt Yusra. „In Syriensind es oft die Brüder und Väter, die für sie sprechen.“

Sara erklärt es so: „Im Mittleren Osten steht der Mannim Vordergrund. Manchmal wissen Frauen gar nicht, dasssie eine eigene Stimme haben können. Auch das zeigenwir. Ich habe mich in Syrien oft eingeengt gefühlt. Wennich in den Flüchtlingscamps bin, zeige ich den Kindern,dass ich zu ihnen gehöre, dass ich ein Flüchtling aus Syrienbin, und dass ich eine Frau bin, die arbeitet und redet. Dasist meine Art, Dinge zu ändern.“

Auch Sara unterstützt mittlerweile die Flüchtlings-arbeit der Vereinten Nationen. „Aber als ich von der letztenReise in die Vereinigten Staaten nach Lesbos zurückkam,hat sich etwas verändert. Weil ich reisen kann und dieseFreiheiten habe, denken viele Flüchtlinge, dass ich nichtmehr zu ihnen gehöre. Sie fragen mich, wer ich denn sei,ihnen etwas zu sagen. Das ist die Schattenseite der Be-kanntheit.“

Yusra sagt, bei den Vereinten Nationen gehe es oft steifund realitätsfremd zu. „Die Camps verändern sich kom-plett, wenn die UN zu Besuch kommt. Aber genau dasdarf nicht passieren. Sie sollen doch sehen, wie es wirklichist. Und sie sollen die Flüchtlinge einfach selbst sprechenlassen. Menschen interessieren sich nicht für Zahlen undFakten, sondern für andere Menschen.“ Als UN-Sonder-botschafterin will sie das so handhaben, wenn sie baldFlüchtlingscamps besucht. „Das Camp Moria auf Lesbosist das schlimmste Flüchtlingscamp in Griechenland“,sagt Sara. „Da dürfen wir Freiwillige nicht mal hin, weiles zu gefährlich ist, weil dort Menschen sterben. Das istwie ein Dschungel. Aber als Angelina Jolie zu Besuch kam,haben sie es in ein Paradies verwandelt.“

Sara beginnt im September am Berliner Bard Collegemit einem Stipendium, Politik-, Wirtschafts- und Sozial-wissenschaften zu studieren. Yusra trainiert weiter. Siespricht mittlerweile etwas Deutsch, hat Freunde in derSchule und im Verein gefunden. Von Berlin hat sie bisherwenig gesehen, aber das soll sich in Zukunft ändern.

Mit den anderen Flüchtlingen aus dem Boot sind Yusraund Sara weiter in Kontakt. Sie sind den ganzen Wegvon der Türkei nach Deutschland, manche bis nachSchweden, gemeinsam gegangen. Ihre Erlebnisse verbindensie noch immer.FO

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18 ESSAY

enn ich einen Schwim-mer sehe, male ich einen

Ertrinkenden.“ An diesenSatz von Jacques Prévert aus

„Le Quai de brumes“ muss ich diesen Som-mer oft denken. In Zeiten, in denen dieMeere wieder Grenzen oder gar Festungs-gräben bilden, hat er neben seiner ästhe-tisch-poetischen Bedeutung auch eine er-schreckend konkrete. Selten zuvor wardie Schönheit des Schwimmens so eng ver-bunden mit dem Gedanken an den Todim Wasser und der Frage des Überlebens.In dem Maße, in dem die Migration überdie Meere zugenommen hat (und die Be-richterstattung darüber), schwimmt dasschlechte Gewissen des Privilegiertseins beifast jedem Badeausflug mit.

Ich will nicht so tun, als gäbe es keineMomente sommerlicher Unbeschwertheitmehr im Freibad oder im Baggersee. Dochspätestens bei der Urlaubsplanung lässtsich die Weltlage nicht länger ausblenden.Und vielleicht zeigt sich beim Badetouris-mus mehr als bei manch anderer Ferien-vorliebe, dass viele Selbstverständlichkeitenvon einst fragwürdig geworden sind. DieBilder von gekenterten Flüchtlingsbootenstoßen sich hart im Raum mit den teutoni-schen Urlaubsträumen vom Mittelmeer.Die gesamte Sandstrand-Romantik scheintendgültig die Unschuld verloren zu haben,die sie vermutlich nie hatte.

Spricht das gegen das Schwimmen?Mal abgesehen von den politischen undmoralischen Fragen, die sich im Wassernicht lösen lassen, kann man nur sagen:im Gegenteil! Vielleicht steht beim Nach-denken über das Schwimmen heute weni-ger der Sport oder die Ästhetik im Vorder-grund, sondern seine Bedeutung als Sur-vival-Technik. Doch damit rückt ins Be-wusstsein, wie elementar das Erlernen desSchwimmens war und ist, menschheits-geschichtlich wie für jeden einzelnen. Wirsind Landwesen. Und bei aller Faszinationfür das andere Element ist uns eine gewisseScheu vor dem Wasser eigen, eine natürli-che Angst vor dem Unwägbaren, Fließen-den und vor der Tiefe.

Der Gang ins Wasser bedeutet auch füreinen routinierten Schwimmer eine gewis-se Überwindung. Gewohnheit hilft, dochman kann nie wirklich wissen, was einenerwartet. Denn Wasser ist immer anders.Schon ein kleiner Temperaturunterschied,eine stärkere Strömung, ein tieferer Son-nenstand, Wind, Wolken – und das Was-ser hat ein anderes Gesicht, bewegt und

schwimmt sich anders. Nicht selten ver-ändert es sich im Zuge eines Schwimmaus-flugs. Wasser ist das Element der Verwand-lung. Und bei aller Geborgenheit, dem Ge-tragenwerden und Umhülltsein im Som-mer bleibt ein Kriechstrom von Unheim-lichkeit in jedem offenen Gewässer.

Der Blick auf die Statistik der Deut-schen Lebens-Rettungs-Gesellschaft be-weist das. 2016 sind in Deutschland erst-mals wieder mehr als 500 Menschen er-trunken: 537. Hauptproblem sind die un-bewachten Binnengewässer, Flüsse, Seen,Teiche mit 406 Toten. An den Küsten vonNord- und Ostsee ertranken im Vergleichdazu lediglich 26 Menschen; der Wasser-rettungsdienst an den Stränden hat vielendas Leben gerettet. Im Geschlechterver-gleich trifft es nur 20 Prozent Frauen. DieHauptursachen – Leichtsinn, Selbstüber-schätzung, Übermut – sind offenbar domi-nant männliche Eigenschaften. Besondersbitter und tragisch ist der hohe Anteil von64 ertrunkenen Asylsuchenden in hiesigenSeen und Flüssen.

Schwimmen ist eine Überlebenstech-nik. Und es zu erlernen ist so wichtig wieeine Sprache – eine zweite Sprache desKörpers. Im alten Rom mit seiner hochent-wickelten Bäderkultur gab es das geflügelteWort: „Er kann weder schwimmen nochlesen.“ Gemeint war: Er ist ein ungebildeterMensch. Die Fähigkeit zu schwimmenhatte nicht nur denselben Stellenwert wiedas Lesenkönnen. Beides gehörte im Den-ken der Antike zusammen und ergänztesich wie Lesen und Schreiben. Schwimmenwar ein elementarer Bestandteil dermenschlichen Bildung: der körperlichen

wie der geistigen. Aus dem panischen Ver-such, sich hundepaddelnd oder froschgrät-schend über Wasser zu halten, war eineKulturtechnik geworden.

Schwimmen und Lesen sind zutiefstverwandt: Wer sich im Wasser nicht nurgegen das Ertrinken wehrt, sondern seinGespür für das Element so weit entwickelthat, dass er weiß, wie man sich darinbewegt, der „liest“ das Wasser mit allenSinnen. Er „beherrscht“ es nicht – das zubehaupten, käme einer Selbstüberschät-zung gleich. Doch er beherrscht die Fähig-keit, ihm so nahe zu sein, wie es menschen-möglich ist. Und dazu braucht er ein hohesMaß an Kenntnis und Kontrolle über seineKräfte, seine Atmung, seine Ängste. Werschwimmt, liest seinen eigenen Körper imDialog mit dem Element. Je mehr die Kul-turtechniken des Schwimmens und Lesensverkümmern oder nur unzureichend wei-tergegeben werden, desto rückschrittlicherist eine Gesellschaft. Die vielbeklagte Bil-dungsmisere hierzulande zeigt sich nichtzuletzt darin, dass aufgrund der zahlrei-chen Bäderschließungen, aufgrund vonLehrermangel und knappen Kassen in vie-len Schulen kein Schwimmunterricht mehrangeboten wird. Damit gerät nicht nur dieFähigkeit, das Wasser zu lesen, zunehmendin Vergessenheit, es entstehen auch immermehr Analphabeten des eigenen Körpers.Um das Wort von Prévert zu travestieren:Wenn ich ein geschlossenes Schwimmbadsehe, sehe ich einen Ertrinkenden.

Die Bäder dagegen, die in jüngster Zeitgebaut und eröffnet werden, sind über-wiegend sogenannte Spaßbäder. Auch dasist bezeichnend. Ohne ein quietschfideles

„Fun“-Versprechen ist offenbar keine Fami-lie mehr ins Wasser zu locken. Dabei ist dasStandardargument, die jüngere Generationwerde über den Spaßfaktor mit dem Was-ser vertraut, äußerst fraglich.

Adipöse Kinder, die mit Hochgeschwin-digkeit durch verschlungene Tunnelröhrenrutschen, um in ein brusttiefes Wasser-becken zu klatschen, mutieren nicht zwangs-läufig zu Schwimmern. Und den Analpha-betismus der Körper überwindet mandamit auch nicht. Ein gut angeleiteterSchwimmunterricht ist durch nichts zuersetzen. Er legt – wie das Lesenlernen –Grundlagen fürs Leben. Im Übrigen ist dasbeste aller möglichen Spaßbäder immernoch der nächste See.

Grund für einen wasserflächendecken-den Kulturpessimismus ist das keineswegs.Denn mit seiner reichen Fluss- und Seen-landschaft und einer vergleichsweise hohenWasserqualität ist Deutschland immernoch ein Schwimmparadies. Im Gegensatzzu vielen anderen Regionen der Welt isthier fast überall ein schwimmbares Gewäs-ser ohne großen Aufwand erreichbar.

„Wenn nur das Wetter nicht wäre“, hal-ten Schwimmmuffel dagegen. Doch auchdas ist eine Ausrede. Das Mutterland derWiederentdeckung des Schwimmens nacheiner düsteren Zeit der Sinnenfeindlichkeitim Mittelalter war England, wo das Wetterbekanntlich noch schlechter ist. Die splee-nigen englischen Aristokraten des 19. Jahr-hunderts hat das nicht daran gehindert,sich über die kirchlich tabuisierte Nackt-heit hinwegzusetzen, in die Flüsse undTümpel zu springen und den Schwimm-sport salonfähig zu machen. Wetter istEinstellungssache. Und gerade die etwasdurchwachsenen deutschen Schwimmsom-mer sind eigentlich die schönsten. Die Uferquellen nicht über von Handtuchlagernund Einweg-Grills. Die Hundedichte hältsich in Grenzen. Das Wasser ist frisch undfordert zum Schwimmen heraus statt zumbloßen Dahindümpeln. Es liegt bei jedemselbst, sich den Ruck zu geben und seineLandexistenz für Momente hinter sich zulassen – für eine besondere, immer wiederwundersame Zeit der Verwandlung. Denndas Wasser ist da und wartet nur darauf,von uns gelesen zu werden.

John von Düffel ist Schriftsteller, Dramaturg undpassionierter Schwimmer. Neben den Wasser-Romanen„Vom Wasser” und „Houwelandt“ schrieb er denessayistischen Band „Schwimmen – Philosophie derPassionen“ und zuletzt eine „Gebrauchsanweisungfürs Schwimmen“.

Ein Plädoyer für das Schwimmenals Zweitsprache des Körpers. Von John von Düffel

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T H E L E A V E S C O L L E C T I O NW W W . O L E L Y N G G A A R D . C O M

Daunenjacke von Chanel, K-Way-Jacke in Schwarz von Nike, Sport-BH von Nike, Hose in Silber von Chanel, Sonnenbrille von Ray-Ban, Airpods und Uhr (Series 2 Nike+) von Apple

SHOWON THEWATERDer Wannsee, die Badewanne der Berliner, kannauch düster. Unsere Models Shermine Shahrivarund Sofya Titova trauen sich ans rauhe Gewässer.Fotos Alexey KiselevStyling Markus Ebner

Jacke von Dries van Noten, Cardigan von Missoni, Einteiler von Yeezy, Sweatshirt von MSGM

Strickpullover von Calvin Klein, Schwimmbrille von Arena

SHOWON THEWATER

Trenchcoat von Céline, roter Body von Wolford, Leggings von Nike

Daunenjacke von Miu Miu, Reißverschlussjacke von Adidas, Kleid von Sportmax,Badeanzug-Riemen von Calzedonia, Leggings von Puma, Stiefel und Kappe vonMSGM, Sonnenbrille von Miu Miu, Handtücher von Hermès und Arena

Bademantel, Schwimmkappe und Schwimmbrille von Arena, Badeanzüge in Schwarzund Weiß von Calzedonia

Mantel von Lutz Huelle, grünes Zipperkleid von Courrèges, burgunderfarbenerJumpsuit von Yeezy, Kappe von Canada Goose, Sonnenbrille von Emporio Armani,Tennistasche von Wilson

Grüner Cardigan aus Mohair mit Perlenbesatz von Prada, Badeanzug und Handtuch von Hermès, Tasche von Balenciaga

Orangefarbene Daunenjacke und Kapuzeneinteiler von Fenty x Puma, Daunenjacke von Philipp Plein, Top in Pink, Rock und Schuhe von Arthur Arbesser, Sonnenbrille von Emporio Armani, Uhren von Swatch

Transparente Jacke und Kleid von Dolce & Gabbana, Tuch von Hermès, Gürtel von Prada, Leggings vonPuma, Sonnenbrille von Oakley, Volleyball von Wilson

Grüner Mantel von Stella McCartney, schwarzes Mesh-Top von Ivy Park, Rock von Prada, Leggings vonPuma, Schuhe von Prada

Blazer und Einteiler von Gucci, Bandeau-Bikini von La Perla, Shorts von Puma, Schuhe von Miu Miu,Kappe von Y-3, Basketball von Wilson

SHOWON THEWATER

Fotos: Alexey KiselevStyling: Markus EbnerModels: Shermine Shahrivar und Sofya Titova (Iconic)Make-up: Ischrak Nitschke/Klaus StiegemeyerMode-Koordination: Emanuela PotortiStyling-Assistenz: Marvin Xin Ku und Antonia Faltermaier

Vielen Dank an die DLRG-Station Großes Fenster.Fotografiert am 12. Juni 2017 am Wannsee.

26 MUSIK

Graues Hemd aus Baumwoll-Leinen-Mischung von Closed

27MUSIK

ie zwölf Kappen hat er mitgebracht. EineHandvoll dunkelblaue, ein paar schwarzemit Aufdruck, feines Hellgrau. Micky-Maus-Emblem, der Stierkopf der ChicagoBulls. Keine Werbung. Bei einigen ist die

Unterseite des Schirms tannengrün. Mark Forster gibt esnicht ohne Kappe. Der Dreiunddreißigjährige hat schonoft erzählt, dass seine Haare allmählich grau und schütterwürden. Abends wechsle er gewissermaßen nahtlos vonder Cap zur Schlafmütze.

„Schon in der Schulband hatte ich immer so Kappenauf“, sagt Forster. „Irgendwie habe ich festgestellt, dass ichmit Kappen cooler aussehe. Und dann ist es so geblieben.“

Das Hitwunder des deutschen Pop steht in einem Foto-studio in Berlin-Kreuzberg, um für Porträtaufnahmen zuposieren. Mode ist nicht unbedingt sein Ding. Gerade ersthat ihn die Kollegin Lena Meyer-Landrut in der Vox-Fern-sehsendung „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“mit den Worten charakterisiert, Brille, Kappe, T-Shirt,Hose – bei Mark Forster wisse man immer sofort, woranman sei. Tatsächlich muss diese Authentizität, eine manch-mal fast naive, aber grundsympathische Eindeutigkeit,die auch seine Songtexte kennzeichnet, ein Grund fürden kometenhaften Aufstieg dieses Mannes zu einem dergerade erfolgreichsten deutschen Musiker sein. Drei Albenin fünf Jahren. Und jede Single ein Hit.

Sein Manager lässt den Blick über die Kleider an derStange schweifen. Da hängen modische Strickteile mithohem Kragen und psychedelischem Muster. Sofort schüt-telt er den Kopf: Das Zeug brauche man nicht. Wie vorherabgemacht, hat Forster neben den Kappen deshalb aucheigene Jacken und Hemden mitgebracht. Mark Forster istMark Forster ist Mark Forster.

Die Stylistin, englischsprachig, bügelt ein frisches weißesT-Shirt auf. Forster fragt: „Which cap?“ Dann stellt er sichvor die Leinwand. Schiebt die Hände in die Taschen.Winkelt das Bein an, dreht den Kopf und sieht ziemlichcool aus. Woran er denkt, wenn er vor der Kamera steht?„Ich versuche, cool auszusehen“, sagt Forster. Offenkundiggelingt ihm auch das.

„Super. Schön. Ja. Nice. Okay.“ Fotograf GregorHohenberg ist begeistert. Auf jedes Klacken des Auslösersfolgen zwei Pieptöne, wenn die Blitze sich wieder aufladen.Nach wenigen Minuten sagt er: „Eigentlich haben wir daserste schon im Kasten.“

Mark Forster lächelt entspannt und kräht wie eineFanfare: „Näääxt.“ Dann lässt er sich von der Stylistin einlöchriges T-Shirt mit Heavy-Metal-Aufdruck andrehen,das ziemlich lässig aussieht unter seiner eigenen blauenJeansjacke. Und weil das Shirt so eng sitzt, blödelt er dazu:„It’s spänning on the Bauch.“

Dieser Mann, der mit ironiefreien Texten über sichselbst zu Ohrwurm-Hymnen Zehntausende auf Festivalslockt und auch schon vor etwa einer Million Menschenzu Silvester am Brandenburger Tor gesungen hat, ist offen-sichtlich genau so natürlich und unkompliziert und nett,wie man ihn als Coach und Juror in den Kindermusik-sendungen „Dein Song“ und „The Voice Kids“ kennen-gelernt hat. Der Reggae-Musiker Gentleman brachte eskürzlich bei „Sing meinen Song“ auf den Punkt: „Bist echt’n nice dude.“ Netter Typ halt.

Es gibt nichts, was mich hält, au revoir! / Vergesst wer ichwar. / Vergesst meinen Namen / Es wird nie mehr sein wie eswar! / Ich bin weg! / oh, oh, au revoir!

Als Mark Forster mit dem Song „Au revoir“ und derUnterstützung des Rappers Sido 2014 die deutschsprachi-gen Charts stürmte, lag das Ereignis, das er da besang unddas sein gesamtes Leben veränderte, fünf Jahre zurück.Forster, der damals wie seine polnische Mutter Ćwiertniahieß, war in einem pfälzischen Dorf aufgewachsen, „wohalt nichts ist, wo man mit dem Fahrrad nur ein paarMinuten fahren muss, und dann ist man schon im Waldoder auf ’nem Feldweg“. Die Langeweile seiner Kindheitbetrachtet er rückblickend als Phantasietraining. Bis heutehabe er oft „Ideen und Flausen im Kopf“. Dabei habe erdas Gefühl, „dass das eigentlich funktionieren könnte,was ich mir vorstelle“.

Nun hat im Leben des Mark Ćwiertnia, seit er zu MarkForster wurde, tatsächlich viel Unvorstellbares funktioniert.Als Wendepunkt muss tatsächlich diese Wanderung aufdem Jakobsweg gelten. Der Mann aus der Pfalz war nachBerlin gezogen, hatte ein Jurastudium abgebrochen undeinen Master of Business Administration gemacht. Erarbeitete als Booker für andere Musiker, später als Runnerund Producer für Fernsehproduktionen, und trat als Side-kick des Comedian Kurt Krömer auf. 2009 allerdingshatte er das Gefühl, dass in seinem Leben etwas Krassespassieren müsste. Als Jugendlicher hatte er lieber eigeneMelodien geklimpert, als Klavier zu üben. Auf seinerPilgertour beschloss er, ernsthaft Musik zu machen.

Er blieb bei seinem Bart und fing an, in einem Studioan der Kreuzberger Forsterstraße vor sich hin zu werkeln.Eines Tages schickten ihm die wohlmeinenden Nachbarnder Band Seeed den Mitarbeiter eines Musiklabels vorbei.Zwei Minuten wollte sich der Mann nehmen. Er blieb denganzen Tag, hörte die Festplatte des unbekannten Song-schreibers durch und speicherte sich dessen Kontaktdatenanschließend unter dem Straßennamen, weil das einfacherschien als Polnisch. So kam Mark Forster zu seinem erstenPlattenvertrag – und zu seinem Namen.

Mark Forster tritt in vielen Rollen auf, und doch bleibt erimmer bei sich. Für uns sampelt der Sänger und Songwriter

seine Baseball-Kappen mit Shirts und Jacken.Von Julia Schaaf

Fotos Gregor Hohenberg

EGALWASKOMMT,

ESWIRDGUT,SOWIESO

Dunkelblaue Bomberjacke von Closed, leichtes Baumwoll-Leinen-Shirt von Samsøe & Samsøe

Grüne Bomberjacke von Wemoto, T-Shirt von Y-3

Schwarzer Wollpullover von Salvatore Ferragamo

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28 MUSIK

Inzwischen, so erzählt es sein Manager, arbeiten alleinfünf Leute im Management-Team des Sängers, dazu achtMusiker, 25 Mann in der Booking-Abteilung plus diegesamte Logistik. Der Manager schwärmt von ForstersBereitschaft und Fähigkeit, sich zu professionalisieren.Was er damit meint, wird deutlich, wenn er erzählt, dassForster den Rest des Tages nach strikt getaktetem ZeitplanOnline-Filmchen drehen und Interviews geben werde,um der neuen Single „Sowieso“, einer unerschütterlichoptimistischen Gute-Laune-Nummer, einen Schub zuverpassen. Und jetzt probiert Forster klaglos sogar einenschwarzen Rolli an, den der Manager zuvor für indisku-tabel erklärt hat, und während die Stylistin einmal mit derFusselbürste darüber rollt, hält er geduldig still.

Egal was kommt, es wird gut, sowieso / Immer geht ’neneue Tür auf, irgendwo / Auch wenn’s grad nicht so läuft,wie gewohnt / Egal, es wird gut, sowieso.

Frage an denManager:Was sind die drei größten Stärkendieses Sängers? „Die Dioptrienanzahl“, ruft der Musikergut gelaunt dazwischen. Er ist so stark kurzsichtig, dassseine Brille neben Käppi und Bart sein drittes Marken-zeichen ist. Der Manager redet lieber über Beobachtungs-und Reflexionsgabe und Empathie. Eine Schwäche?Ungeduld, sagt der Manager. Wenn Sachen nicht schnellgenug gingen oder nicht funktionierten.

Mark Forster hat eine mitgebrachte Sweatshirt-Jackeübergezogen, deren Kapuze von einem glänzenden Reiß-verschluss gesäumt ist. Die Stylistin rückt den Schirmder Kappe akkurat in die Horizontale und zieht die Kapu-zenbändel straff. „Because it’s a very structured look“,sagt sie, ein sehr strukturierter, gegliederter Look. Passtdas zu ihm? Forster grinst: „Auf jeden Fall! I am a verystructured dude.“

Tatsächlich, sagt er, sei er sehr diszipliniert, wenn esum seine Arbeit gehe. „Das fühlt sich ja selten an wieschlimme Arbeit. Ich frag mich manchmal, was das Bestedaran ist, was so in den letzten Jahren passiert ist. Undich glaub’, das Beste ist, dass ich mir jetzt eigentlich nurGedanken um die Musik machen muss und mir Sachenerfüllen kann, die ich mir gewünscht habe. So sehe ichnämlich diese Albummacherei.“

Für „Bauch und Kopf“ aus dem Jahr 2014 hat er miteinem großen Orchester zusammengearbeitet. Für „Tape“2016 ist er um die Welt gereist und hat unter anderen dieHarlem Gospel Singers engagiert.

Dabei gehe er zwar konzeptionell an die Alben heran,sagt er, und sorge mit seinen Produzenten auch dafür, dassjedes Mal garantiert ein oder zwei Stücke entstehen, diezum Radiohit taugten. Inhaltlich jedoch verfolge er keinProgramm. „Die Alben handeln immer von den Themen,die mir in den letzten zwei Jahren passiert sind. Das isttotal fremdgesteuert.“

Auch deshalb klingt das jüngste Album vermutlichsonniger und poppiger als das davor, das einen Song über„Königin Schwermut“ enthielt und im titelgebenden Stücküber die Zerrissenheit zwischen „Bauch und Kopf“ sin-nierte. Hat er Angst, dass ihm über den Erfolg die Ideenausgehen könnten? „Nee“, sagt Forster. „Sind ja keineIdeen, sind ja Geschichten, die passieren. Man hört nichtauf weiterzuleben.“

Dann erzählt der Musiker, wie er arbeitet. Über dieNotizfunktion seines Handys sammelt er im Alltag Worteund Begriffe, die ihm gefallen, und von denen er glaubt,

dass man etwas daraus machen könne wie eben damalsmit „au revoir“. Wenn er dann ins Studio geht, versucht erdiese Wörterliste mit den Themen zu verbinden, die ihn inseinem Leben gerade beschäftigten. Und das funktioniert?„Nö“, sagt Mark Forster mit unerschütterlicher Heiterkeit.„Meistens klappt das nicht. In den allermeisten Fällen istdas ganz schlimm. Aber manchmal kommt halt was Coo-les dabei raus.“

„Das ist gut. Sehr schön. Top. Guck mal nach da.“ DerFotograf hat offensichtlich beschlossen, den Sänger einbisschen aus der Reserve zu locken: „Bisschen ernst. Einbisschen böse.“ Und: „Bisschen mehr Attitude!“ Und:„Bisschen so ,what the fuck‘? Bisschen beasty! Manchmalist man ja auch so aggromäßig drauf.“

Und was sagt Mark Forster dazu, ganz lapidar? „Ichbin nicht so aggromäßig drauf.“

Selbst wenn der Fotograf ihm demonstriert, wie ersich mit breiten Beinen und Ellenbogen auf einen Stuhllümmeln könnte, zieht Mark Forster es vor, Arme undFüße lang nach vorne zu strecken, was ihn schmal wirkenlässt. Keine Mackerposen, auch nicht auf Bestellung. Seinevielen Teenie-Fans und ihre Eltern werden ihn dafürlieben. Mark Forster ist Mark Forster ist Mark Forster.

Was verrät dieser Mann über sein Privatleben? „Nichts“,sagt Forster. Dabei klingt er so natürlich und nett undunkompliziert wie immer. Sogar aus den Berufen seinerEltern macht er ein Geheimnis. Dann erklärt er, dass dieseDiskretion für ihn die Voraussetzung sei, um sein Privat-leben für seine Songs auszuweiden, ohne Rückschlüssezuzulassen, die unweigerlich zur Selbstzensur führenwürden. „Wenn ich in einem Bereich maximal offen binund in dem anderen Bereich maximal nicht-offen, dannbleib’ ich frei im Musikmachen“, sagt er. Auf dem aktu-ellen Album gibt es eine intime Ballade mit dem Titel„Flüsterton“. Darin singt er davon, dass er sich leichterauf der Bühne öffne als sich seinen nächsten Freundenanzuvertrauen.

Menschen, die ich mag / Lass ich an mich nicht ran /Ey, ich genieß’ das Tamtam / Ich nehm’ das volle Programm /Doch fühl mich verlor’n / Wird’s mal still dann und wann /Und wenn man glaubt, mich zu kenn’ / Dann bin icheinfach gegang’.

„Nice. Ja. Wieder so ein Coverblick“, sagt der Fotograf.„Die letzten machen wir nochmal freestyle. Worauf duBock hast.“ Forster wippt einen Moment auf seinen Turn-schuhen vor und zurück. Dann dreht er ab und deutet an,sich hinter die Leinwand zu verkrümeln. Er grinst. Allelachen. 514 Mal insgesamt drückt der Fotograf auf denAuslöser, 1028 Mal piept das Blitzlicht.

Und was passiert eigentlich, wenn ein Mann, den esnicht ohne Kappe gibt, zwischendrin fürs Foto die Kappewechseln muss?

Neben der Kleiderstange in dem Kreuzberger Foto-studio steht ein 1,85 Meter großer Mann mit kurzenHaaren, die tatsächlich ein bisschen grau und schütter wer-den. Hohe Geheimratsecken, am Hinterkopf eine dünneStelle, der rötliche Ton des Barts findet sich nirgendwosonst. Auch dieser Mann wirkt grundsympathisch, natür-lich und nett und unkompliziert. Aber er könnte auch IT-Spezialist, Physikstudent oder Kita-Erzieher sein.

Mark Forster greift nach einer Kappe. „Dankeschön“,sagt er artig, als das Shooting vorüber ist, und ruckelt sichden grünen Schirm vor der Stirn zurecht. Nice dude.

EGALWASKOMMT,

ESWIRDGUT,SOWIESO

Graue Bomberjacke von Brave Soul, T-Shirt von Weekday

Schwarzer Hoodie von Diesel, graues T-Shirt von A.P.C.

Jeansjacke von Closed, bedrucktes T-Shirt von Balmain

29MUSIK

Kamelfarbene Bomberjacke von Selected Homme, schwarzes T-Shirt von A.P.C. Moderedaktion Evelyn Tye, Fotoassistenz Alexandra Meister

30 GESELLSCHAFT

eutschland wäre auch ohnedie Frauen schon kompliziertgenug: Asylrecht, Genitiv, Job-suche. Aber wie sich verhaltengegenüber Frauen, die selbst-bewusst sind, Hotpants tragen,in der Öffentlichkeit Männerküssen, mit denen sie nicht

mal verheiratet sind? Das sollen ein paarDutzend junge Männer zwischen 17 und22 Jahren aus Syrien, Afghanistan undIran an einem heißen Tag im Frühsommerlernen. Sie alle besuchen Willkommens-klassen an einem Oberstufenzentrum inBerlin-Neukölln; fünf junge Frauen sindauch dabei. Ihr Lehrer an diesem Tag istHorst Wenzel, hauptberuflicher Flirtcoach.Er redet mit ihnen über Liebe, Sex undRollenbilder –Themen, zu denen die jungenMänner und ihre Klassenkameradinnen sehrverschiedene Ansichten haben.

Wenzel hat blonde Locken und helleHaut, die nie rot wird, auch nicht beisolchen expliziten Anweisungen: „Schickterst mal euer Knie vor, bevor ihr der Frauin den Intimbereich fasst.“ – „Küsst erstmal ihren Hals, bevor ihr ihre Brüste be-rührt.“ – „Eine Beziehung ist dann gut,wenn der Sex gut ist.“ An dieser Stelleschauen seine Zuhörer hoch konzentriert.Manchmal geben sie auch an, ein Jungeetwa, der aufspringt, tänzelnde Bewegun-gen mit den Füßen macht und sagt, Sexsei wie Fußball: Man solle den Ball nichtdirekt ins Tor schießen, sondern erst einwenig mit ihm spielen. Als Wenzel jedochfragt, wer von ihnen schon mal einKondom gekauft habe, brechen viele inhysterisches Gekicher aus, einer zieht sichdas T-Shirt vors Gesicht. Was kann voraus-gesetzt werden, was nicht, was hilft, wasverstört eher? Gar nicht so leicht.

Viele der Männer, die mit Sportschuhen,bunten T-Shirts und gegelten Haaren ineinem Stuhlkreis um Wenzel herumsitzen– die wenigen Frauen sitzen etwas abseits–, sind ohne Eltern, Geschwister und Part-nerin nach Deutschland gekommen. Undwie könnte Integration besser gelingen alsmit einer deutschen Freundin?

Das hat sich Horst Wenzel eines Tagesgefragt und beschlossen, seine Dienste kos-tenfrei zur Verfügung zu stellen. Wie andiesem Tag. Zum Einstieg will er von allenwissen, wie sie heißen und was Liebe für siebedeutet. „Ich bin Abdullah, und ich liebeAutos.“ – „Ich bin Abdul und liebe mein

Handy.“ – „Ich bin Ali, und ich will heira-ten.“ Eine junge Frau mit pinkfarbenenTurnschuhen und schwarzem Kopftuch,das den Haaransatz frei lässt, sagt: „Ich binFatima und habe mich in meinem Lebenzwei Mal verliebt: einmal in meinen Mannund einmal in meine zweijährige Tochter.Diese Liebe macht mich stark.“ Die Unter-schiede zwischen den jungen Frauen, man-che schon Mütter, und den jungen Män-nern, viele fast noch Kinder, sind groß.

Wenzel versucht der Frage nach derLiebe näherzukommen. „Wenn sich inAfghanistan ein Junge und ein Mädchentreffen und verlieben, was passiert dann?“Einer der Jungen sagt: „Dann müssen sieschnell heiraten.“ Fatima wirft ein: „Dannwird die Frau mit Steinen beworfen.“ IhreFreundin Doaa lacht bitter. Beiden scheintetwas nicht zu passen. „Die Jungen denken,dass es schlecht ist, wenn ich über meineBeziehung rede“, sagt Doaa. In arabischenLändern gehöre es sich nicht, dass Frauenüber Liebe und Sex sprechen. Ihr Lehrerwiderspricht: „Genau deshalb machen wirdas doch hier. Damit die sehen: Hier redenwir über solche Dinge.“

Doaa überzeugt das nicht. Sie kommtaus As-Suwaida, einer liberalen Stadt imSüdwesten Syriens. Ihr lockiges rötlichesHaar trägt sie offen. Die Eltern sind Dru-sen, sie selbst bezeichnet sich als Atheistin– und fühlt sich im Flirtkurs und in derWillkommensklasse im Allgemeinen nichtbesonders wohl: „Bei deutschen Frauenfinden die arabischen Jungs freizügigeKleidung gut. Wenn ich mich als Araberinso anziehe, haben sie ein Problem damit.“Sie glaubt, dass die jungen Männer diedeutschen Sitten gerne für sich selbstannähmen, aber sie bei ihren Schwesternnicht gerne sähen. Und dass viele ihrerMitschüler zwar eine deutsche Freundinsuchten, für ein oder zwei Jahre. Heiratenwollten sie aber nur eine muslimischeJungfrau aus dem Heimatland. Deshalbhalte sie sich in Berlin von Arabern fern.Ihre Freundin Fatima stimmt zu, meintaber: „Sag nicht immer: Alle Flüchtlingeaußer mir sind schlecht. Nicht alle vonihnen sind gleich. Wenn du anders bist,können andere das auch sein.“

Horst Wenzel will sich in diese Dis-kussion eigentlich nicht einmischen. Wennachtzehnjährige Jungs in Deutschland erstmal Freundinnen finden wollen und nichtgleich heiraten, sei das vielleicht bloß ein

Zeichen dafür, dass sich ihre Prioritätenim Vergleich zu denen im Heimatland ver-schieben. Ein bisschen geht er dann aberdoch auf Geschlechterrollen und Vorurteileein. Manche Leute beschimpften Frauen,die mit vielen Männern schliefen oderwechselnde Freunde hätten, als Schlampen,erzählt er den Schülern der Willkommens-klasse. Das sei nicht richtig. „Es gibt auch

Schlampenmänner“, wirft ein Junge ein.„Nein“, entgegnet Wenzel. „Es gibt beidesnicht. Das haben sich Loser ausgedacht,um sich besser zu fühlen.“

Er fragt einen der Teilnehmer, ob es inseinem Heimatland Syrien Dating gebe.Eher nicht, antwortet der, es komme aberdarauf an, wie religiös die Familie sei. InDeutschland, sagtWenzel, seien Dates ganz

Ein Flirtcoach will Flüchtlingen helfen, deutscheFreundinnen zu finden. Das ist gar nicht so leicht.Von Leonie Feuerbach, Foto Andreas Pein

„Der Kontakt ist wichtig für die Integration“Sexualität, Gleichberechtigung undder Umgang zwischen den Geschlech-tern sind die größten Unterschiedezwischen der westlichen und derarabischen Kultur und zentral fürdie Integration. Das sagt AhmadMansour, und er muss es wissen:Der israelisch-arabische Psychologeund Autor engagiert sich gegen dieUnterdrückung von Frauen imNamen der Ehre. Sexualität sei in derarabischen und muslimischen Weltaußerhalb der Ehe Sünde. Dabei gehees auch um den Umgang von Frauenund Männern miteinander, umKleidung und Sprache. Im Zentrumstehe die Jungfräulichkeit der Frau,von der die Ehre ihrer Väter undBrüder abhänge. Flüchtlinge müsstendeshalb nicht nur Deutsch lernenund eine Arbeit finden, sondern auchvon Anfang an und immer wieder

Werte vermittelt bekommen – inDiskussionen in der Schule, amAusbildungsplatz, in den Unterkünf-ten und Integrationskursen. Für vielejunge Männer sei die Integration einegewaltige Herausforderung, denn diedeutsche Lebensweise anzuerkennenbedeute den Verlust eines Teils ihrerIdentität. Kurse und Infobroschürenallein könnten keinen Wertewandelherbeiführen, sagt Mansour. Integrationfunktioniere nur über den emotionalenZugang zur Mehrheitsgesellschaft.„Flüchtlinge und Migranten müssenden Deutschen als Nachbarn, Freundeund Partner begegnen.“ Nach Meinungvon Mansour ist die Schwierigkeit,Deutsche kennenzulernen, einetypische Erfahrung von Flüchtlingenhier – und, weil der persönlicheKontakt so wichtig für die Integrationist, auch eine gefährliche. (lfe.)

31GESELLSCHAFT

normal. „Was denkt ihr, wenn man sichregelmäßig trifft, ab wann ist man einPaar?“, fragt Wenzel. Einer sagt: „Nacheiner Woche?“ Wenzel entgegnet: „Manchetreffen sich über Jahre, haben Sex, sind aberkein Paar. Das nennt man Affäre oderFreundschaft plus.“ Ratlose Gesichter.

Dann fragt Wenzel, wie es mit Schwu-len aussehe. „Ein Mann und ein Mann:Geht das in Syrien?“ Die Antwort lautet:„Nein.“ Homosexualität ist in Syriengesetzlich verboten. „Und in Berlin?“ Einersagt: „Ja, klar, hier geht alles.“ Wenzelwirkt zufrieden.

Mahmud, ein 22 Jahre alter Afghane,findet: In Deutschland trenne man sichschnell, sobald es Probleme gebe oder einBesserer vorbeikomme. In Afghanistan hin-gegen sei Liebe für immer. Das ist nicht daseinzige Problem, das Mahmud mit der Liebein Deutschland hat. Er habe schon einpaar Mal deutschen Frauen auf Dating-Apps geschrieben oder sich im Park mitihnen unterhalten, erzählt er. Wenn er abersage, dass er aus Afghanistan kommt, endedas Gespräch immer recht unvermittelt.Was könne er da tun?

Natürlich weiß Wenzel: Seit der Silves-ternacht in Köln vor eineinhalb Jahrenist das Thema Flüchtlinge und deutscheFrauen schwierig. Bei den Flirtkursen, dieer ein paar Monate nach der Silvesternachtgab, sprachen viele Flüchtlinge das ThemaKöln an. Sie fühlten sich beobachtet undunwohl, sie schämten sich. Dann verge-

waltigte und ermordete in Freiburg einafghanischer Asylbewerber eine junge Stu-dentin, und Wenzel wurde von rechtsradi-kalen Gruppen bedroht: Er bringe Flücht-lingen bei, sich an deutschen Frauen zuvergehen. Ob diese Stimmung die Frauenbeeinflusst? Oder ob sie vielleicht bloßüberfordert davon sind, dass ihr Gesprächs-partner aus einem Kriegsgebiet kommt?Er weiß es nicht. Und auch nicht, was erMahmud raten soll. Am Ende, sagt Wen-zel, gelte für Flüchtlinge wie auch fürDeutsche: Ein Korb gehört zur Liebe dazu.Mahmud wirkt nicht überzeugt.

Nach dem Kursus fährt er zu der ein-zigen deutschen Freundin, die er bisher ge-funden hat: einer ergrauten Dame, die inBerlin-Friedenau in einer großzügigen Alt-bauwohnung lebt und sich für Flüchtlingeengagiert. Bei Cola und Sonnenblumen-kernen in ihrem Wohnzimmer erzählt er:Sein Asylantrag wurde genehmigt, nachAfghanistan will er nicht zurück, sondernsein Leben in Deutschland verbringen.Gerne mit einer deutschen Frau. MahmudsHaltung ist widersprüchlich. Die deutscheFrau, die er zu finden hofft, müsste nichtunbedingt Muslimin sein, auch wenn erselbst fastet und versucht, so oft wie möglichzu beten. Aber er würde sich wünschen,dass sie noch Jungfrau ist. In Deutschlandsei so eine Frau aber wahrscheinlich schwerzu finden, sagt er schüchtern.

Mahmud lacht oft verlegen. In Afgha-nistan rede man nicht über solche Dinge.

Seine Eltern haben ihn nie aufgeklärt,selbst mit seinen Freunden hat er nie überSex gesprochen. Einmal hatte er eineFreundin in Afghanistan, weder seine nochihre Eltern wussten davon. Miteinandergeschlafen haben die beiden nicht. Daswäre „haram“ gewesen, also tabu, sagtMahmud, denn durch seine Flucht konnteer sie nicht heiraten, und sie hätte nichtmehr als Jungfrau in die Ehe gehen kön-nen. Warum das so wichtig ist, kann ernicht recht erklären.

Er selbst ist keine Jungfrau mehr, hat miteinigen Frauen gegen Bezahlung geschlafen.Ob das nicht „haram“ sei? Mahmud zucktmit den Achseln. Irgendwie schon. Abernicht so schlimm, wie mit einer Frau zuschlafen, die er liebt, aber nicht geheiratethat? Er nickt zögerlich.

Hat die Syrerin Doaa mit ihren Vor-würfen also Recht? Sind ihre Klassenkame-raden religiös-konservativ bis frauenfeind-lich? Religiös und konservativ ist Mahmudsicher, frauenfeindlich aber nicht. Dass ersich eine Frau wünscht, die ihn und seineKultur und Religion versteht, ist verständ-lich. Fragt man nach seinen Vorstellungenvon einer Frau, sagt er aber auch: „EineFrau ist ja kein Spielzeug, wo ich sagenkönnte: Ich will genau so eins.“ Seine Wert-vorstellungen entsprechen denen seinerEltern, Mitglieder der ländlichen afghani-schen Gesellschaft. Trotzdem ist er offenfür die deutsche Gesellschaft und will un-bedingt Deutsche kennenlernen.

Doch auch jenseits von Liebesdingenist es wie verhext. An der Schule ist erimmer mit den anderen aus der Willkom-mensklasse zusammen, er traut sich nichtso recht, mit anderen Schülern zu reden,die sich immer nur in Gruppen bewegen.Im Fitnessstudio trainiert jeder allein, diemeisten mit Kopfhörern in den Ohren.Einmal hat er ein Praktikum in einemComputerladen gemacht und seinen Kol-legen gefragt, ob er nicht mal etwas mitihm unternehmen wolle. Der habe geant-wortet, er habe wenig Zeit und schongenug Freunde. „Das war interessant“, sagtMahmud, „und enttäuschend.“

Seine Klassenkameradin Doaa hin-gegen lebt mit ihrem Mann am Müggelseeund hat sich schnell mit ihren deutschenNachbarn angefreundet. Ihr Lehrer undihre Freundin hatten ihr gesagt, die Einstel-lung der Jungs würde sich sicher ändern,je mehr Kontakt mit Deutschen sie hätten.Mahmuds Erfahrungen zeigen, wie schwerdas ist.

Mahmud ist ein nachdenklicher Typ.Der Zweiundzwanzigjährige überlegt, ob eranders über Frauen und Männer denkenwürde, wenn er nicht in Afghanistan großgeworden wäre. Und er sagt, dass sich seineEinstellung mit der Zeit in Deutschlandwomöglich ändern werde. Zugleich ist erenttäuscht von der Zurückweisung, die ererlebt. Die Idee, eine deutsche Frau zufinden, hat er so gut wie aufgegeben. DieFlirt-Apps hat er gelöscht.

„Hier reden wir über solche Dinge“: Flirtcoach Horst Wenzel berät junge Flüchtlinge in Sachen Liebe, Sex und Rollenbilder.

32 STREET-STYLE

Beim Pitti Uomo in Florenz,der großen Herrenmodemesse,

sieht man die am bestengekleideten Männer der Welt.Aber leider auch die, die es

wirklich übertreiben.Fotos Helmut FrickeTexte Alfons Kaiser

LINO IELUZZIVielleicht ist Lino an allem schuld,vielleicht ist er die Symbolfigur fürAufstieg und Verfall des Street-Styles.Der freundliche Herr, Besitzer derBoutique „Al Bazar“ in Mailand,wurde seit 2007 oft von Fotograf ScottSchuman aufgenommen – und ist zueiner Ikone für viele Männer geworden,die auch mal gut angezogen sein wollen.Lino hat, das muss man ihm lassen, eineklare stilistische Sprache entwickelt,die viele Menschen verstehen. Aber:Leider klingt sie allzu geölt. Undplötzlich steht Lino Ieluzzi für eine zuangestrengte Sprezzatura. Es muss leichterscheinen und mühelos. Vollkommen-heit kann nicht das Ziel sein.

MEIR COHEN„Für uns Männer ist es nicht so einfach,Follower zu finden“, meint Meir Cohen.„Wir können uns nicht einfach aus-ziehen, und dann läuft’s.“ Damit spieltder Modeblogger aus Tel Aviv aufdie Frauen an, die mit viel Haut vieleFollower auf Instagram erobern.„Daher muss man sich umso besseranziehen.“ Jetzt ist es also raus: Dieneuen Dandys sind nicht nur Dandys.Sie optimieren ihre Social-Media-Auftritte. Und weil man die heute aufkleinen Bildschirmen wahrnimmt,müssen Farben und Formen krachen.

IMAN ALIZADEHDas mal vorweg: Dieser Iman ist einherzlicher Typ. Und ihn anzuschauenbereitet einfach Vergnügen. Grund-sätzlich ist also nichts gegen den gutenMann aus Zürich zu sagen, dem seinepersische Herkunft zu einem imposan-ten schwarzen Bart verholfen hat. ImDetail hätten wir aber doch eine Frage

an Iman und seine Freunde VijithanThevarajah und Roger Lüssi, diesich „Gents of Switzerland“ nennen:Muss man sich alle Absurditäten ausdem Kleiderschrank auf einmalüberhängen? Iman kommt es daraufan, authentisch und individuell zu sein.Uns scheint: Bei zuviel Individualitätleidet das Authentische.

DIE PEINLICHSTENPEA COC K S

33

LÁSZLÓ NAGYEr ist, wie sein Name schon verrät,ungarischer Abstammung, lebt aber inCluj-Napoca in Rumänien. Dasentschuldigt vielleicht die Farbe desAnzugs. Aber was soll man zu derGesamtkomposition sagen? Wir wollenhier niemandem seinen Modemutnehmen. Und in der Diaspora muss manseine Botschaften klar rüberbringen.Daher erklären wir das alles für okayund in Ordnung. Aber was dieSpiegelbrille angeht – da lassen wirnun wirklich keine Gnade walten.

VITO MUTOEr ist Influencer, da muss man beideAugen zudrücken. Andererseits kommter aus Reggio Emilia, da trägt manwomöglich wirklich Blockstreifen, wennsie mal auf ein paar Laufstegen zu sehensind. Und wer weiß, was für eineKooperation dahintersteckt! Jedenfallsfreut sich der Dreißigjährige, der mehrals 20.000 Follower auf Instagram hat,über seine Kooperationen mit Mode-und Luxusmarken. Er trägt es, und erwird dafür bezahlt. Stilvoll sind abervor allem die Sandalen von Birkenstock.Er hat vier Paar davon!

NICCOLÒ CESARIDieser Mann ist von Kopf bis Fuß in Marken eingekleidet. Wirtun ihm jetzt einfach nicht den Gefallen, sie zu nennen, auchwenn es unwahrscheinlich ist, dass sich ein Leser zum Kaufähnlicher Produkte verleiten ließe. Wir wollen nur einfach nicht

das Geschäft des „Brand Ambassadors“ betreiben, der für jedeErwähnung einer Marke Kasse macht. Und schon haben wir nochein Detail entschlüsselt: Influencer stellen pro Look möglichstviele Marken zur Schau. Viel hilft viel. Oder, wie der Italienersagt: più è meglio. Dabei gilt doch heute: meno è meglio.

STREET-STYLE

34 STREET-STYLE

DIE PEINLICHSTENPEACOCKS

NASARIO GIUBERGIAEr schreibt über Mode für die Websited-art.it. Und er hat mehr als 12.000Follower bei Instagram. Nasario, der aufden Philippinen geboren wurde und inTurin lebt, ist also eine Stilinstanz. Mussman das so raushängen lassen? Raucht erwirklich Zigarren? „Ja, das tue ich“, sagtder Dreiunddreißigjährige. „Und ichmag’s wirklich bunt.“ Sicherheitshalberhat er sich auf die Brust einen vielsagen-den Satz tätowieren lassen: „Haters makeme famous.“ Ihn macht alles berühmt.

FADI KOTEICHEEiner seiner Leitsätze: „Es ist zukompliziert, zurückhaltend zu sein.“Fadi macht es sich also leicht. Der jungeMann ist in Florenz auf Einkaufstourfür seinen Männermodeladen imLibanon. In den Pausen vergnügt er sichvor der Tür der Messehalle mit einerZigarre. Und weil sich Eleganz nichtmit Geschwindigkeit verträgt, geht ergemessenen Schrittes. Sein karierterAnzug ist übrigens tadellos. Nur mitdem Rest macht er es sich allzu leicht.

FRANCESCO GAETAMan könnte es ja auch mal so sehen: An diesem Mann gibt esviel zu gucken. Die Schuhe aus Flechtleder haben weiße Sohlen.Über dem Knöchel windet sich ein Tattoo ums Bein. Der Anzugspringt ins Auge. Ringe, Uhrenkette und Armbänder stechenprominent hervor. Die Krawatte ist extrabreit; das Einstecktuch

ist auf die Farbe abgestimmt. Eine Clutch für Männer ist immerein Hingucker. Die Brille ist groß, sehr groß, aber das machtdann auch nichts mehr. Man kann Francesco Gaeta so sehen.Aber man könnte den Modeblogger aus Neapel auch ganz anderssehen. Nur: wie? Das überlassen wir jetzt einfach mal derPhantasie des Lesers.

JAKE MCCABEEr kommt aus Dublin. Könnte das als Entschuldigungdienen? Er ist Fotograf und Grafikdesigner. Ist es das?Er arbeitet in der Werbebranche. Liegt’s womöglichdaran? Und er ist zum ersten Mal auf dem Pitti, dergrößten Herrenmodemesse der Welt. Sollte das der

Grund für diesen Auftritt sein? Wir vermuten: Alldiese Punkte, bitte den Bart nicht vergessen, addierensich zu einem komplexen Systemversagen. In diesemFall trägt vermutlich sogar eine Frau die Mitschuld,seine Frau. Niamh O’Donoghue ist ähnlich drauf.Aber ihre Pfauenfeder am Hut ist gefärbt.

Origins | Opal

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Die Schweriner Oberamtsanwältin Ulrike Tabbertgeht auf Tätersuche ins Museum.

Von Frank Pergande

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Ulrike Tabbert (links) undKatharina Uhl im Museum

Drei Jahre Haft für Lot?Peter Paul Rubens: Lot undseine Töchter, um 1610

Es geht um eine biblische Szene.Nach dem Untergang Sodomsziehen Lot und seine beidenTöchter auf ihrer Flucht in eineHöhle. Die Töchter befürchten,es gebe nun keinen Mann mehr,der Nachkommen ermögliche.Sie machen ihren Vater betrun-ken, schlafen mit ihm undbekommen Kinder. Derklassische Inzest also. LautStrafgesetzbuch wird er heutemit bis zu drei Jahren Haft odereiner Geldstrafe geahndet. Auskriminologischer Sicht mussgesagt werden, dass Inzest eineKernstraftat ist. Inzest in auf-und absteigender Linie, alsoGroßeltern, Eltern, Kinder,Enkel, war über Jahrhunderteund Kulturen hinweg immerstrafbar, genau wie Mord. Beianderen Delikten wandelt sichdas Bild in der Gesellschaft,worauf zuerst der französischeSoziologe Émile Durkheimhingewiesen hat. Beispiele sindder Abtreibungsparagraph unddas Ende der Strafbarkeit vonHomosexualität. Auch wenn essich bei Lot um den klassischenInzest handelt, könnte dierechtliche Bewertung schwierigwerden. Bei jedem Delikt habenwir es grundsätzlich mit dreiFragen zu tun: Was ist derTatbestand? Ist die Tat rechts-widrig? Ist der Täter schuld-

fähig, und handelt er schuld-haft? Den Tatbestand habensowohl Lot als auch seineTöchter erfüllt. Die Motive derTöchter rechtfertigen die Tatnicht. Ein Rechtfertigungs-grund für Lot ist nicht gegeben,allerdings könnte er durch denAlkohol schuldunfähig gewesensein. Alkohol wie auch Drogenkönnen zu verminderterSchuldfähigkeit führen,mitunter zur Aufhebung derSchuld. In solchen Fällenkommt jedoch eine Bestrafungwegen Vollrauschs in Betracht,nämlich dann, wenn sich derTäter selbst in diesen Rausch-zustand versetzt hat. Bei Lot istdas nicht der Fall. Das MotivLot und seine Töchter findetsich oft in der Malerei, allein imSchweriner Museum drei Mal.Es lohnt sich für den Betrachter,nebenbei für sich Lots Schuld-fähigkeit zu prüfen. Bei Rubensist zu sehen, dass Lot sehr wohlweiß, was er tut. Er schautausgesprochen lüstern. So stelltsich die Frage: Wer ist hierTäter und wer Opfer? Rubenslädt den Betrachter ein, selbstzu entscheiden.

lrike Tabbert kann Kunsthistorikern dieSchau stehlen. Denn ein in Ketten gehal-tener Petrus auf einem niederländischenGemälde aus dem frühen 17. Jahrhundert– der muss doch kriminologisch ent-

schlüsselt werden. Es geht um Schuld, Strafe,Haftbedingungen. Die Sicht auf Täter, den mit-unter fließenden Übergang zwischen Tätern undOpfern oder die Gründe dafür, dass eine Personzum Täter wird. Und ein Satyr, der einer Nymphenachstellt, also ein böser Täter, der auch nochhässlich aussieht und auf das unschuldige, schöneOpfer trifft – ist das ein Fall für Kunsthistorikeroder nicht vielmehr für Kriminologen?

Ulrike Tabbert, Oberamtsanwältin aus Schwe-rin, kam zu ihren kriminologischen Bildinterpre-tationen durch eine Kunsthistorikerin. Ein Zufallführte sie zu Katharina Uhl ins Schweriner Muse-um mit der herausragenden Niederländer-Samm-lung. Beide blickten neugierig auf das Fach deranderen und entdeckten Synergien. Wenn Tabbertetwa in dem niederländischen Gemälde „JosephsTraumdeutung im Gefängnis“ den Stammvaterschon als rehabilitierten Gefängnisinsassen sieht,weil er im schrecklichen Verlies würdig und präch-tig dasteht, bestätigt das Uhl aus kunsthistorischerSicht: Man sehe sich nur die leuch-tend roten Schuhe an – ein roter Ab-satz war ursprünglich unter LudwigXIV. nur dem König oder hochge-stellten Adligen erlaubt.

Seitdem veranstalten die beidenDoppel-Führungen durch die Be-stände des Schweriner Museums. Imwirklichen Leben haben sie andereszu tun. Uhl sitzt an einem Buch überMarcel Duchamp, der in Schwerin

mit einer bedeutenden Sammlung vertreten ist.Tabbert arbeitet für die Schweriner Staatsanwalt-schaft. Verkehrs- und Vermögensdelikte sind ihrAlltag, auch Körperverletzungen oder Streitigkei-ten zwischen Nachbarn. In ihrer juristischen Aus-bildung hat sie sich auf das Strafrecht konzentriert,hat zusätzlich Sprachwissenschaft studiert undsich in ihrer Doktorarbeit an der englischen Uni-versität Huddersfield mit Presseberichten überKriminalität in deutschen und englischen Zeitun-gen beschäftigt. „Die Presseberichterstattung istein Spiegelbild der Gesellschaft“, sagt sie. „Wennein Täter beispielsweise als Monster bezeichnetwird, dürfte seine Rehabilitation schwierig bis un-möglich sein.“

Umgekehrt zeige sich der Wandel des gesell-schaftlichen Blicks auf Täter, Verbrechen undStrafe zuerst in den Medien – sichtbar etwa beimUmgang mit Homosexualität, die in Deutschlandeinst schwer geahndet wurde und heute auf demWeg zur „Ehe für alle“ ist. In einer zweiten Studiehat sich Tabbert den linksliberalen „Guardian“vorgenommen. Ihre Hypothese: Ein so modernesBlatt dürfte den progressiven kriminologischenIdeen über den Umgang mit Tätern – nicht derTäter ist schlecht, nur die Tat – aufgeschlossen ge-

genüberstehen. Das sei aber nicht so,stellte Tabbert fest. Der „Guardian“berichte wie andere Zeitungen auch.„Mainstream“, urteilt sie, etwas ent-täuscht.

Und wie sieht das nun bei Kunst-werken aus? Wir haben Ulrike Tab-bert gebeten, für uns drei Gemäldeihrer Wahl aus der Sammlung desSchweriner Museums kriminologisch-juristisch zu interpretieren.

37KUNST

Der Rehabilitierte in denroten SchuhenFerdinand Bol:Josephs Traumdeutung imGefängnis, 17. Jahrhundert

Vordergründig erzählt dasGemälde die biblische Ge-schichte aus dem Alten Testa-ment. Joseph sitzt unschuldigim Gefängnis in Ägypten undbewährt sich dort als rechteHand des Gefängnisaufsehersund als Traumdeuter unter denGefangenen. Er deutet demMundschenk des Pharao, dasser in drei Tagen wieder frei seinwerde. Dem Bäcker aber deuteter, dass er hingerichtet werde.Und genau so kommt es. Auskriminologischer Sicht ist dieGefängnisszene interessant,weil die drei Gefangenen nichtso aussehen, wie Gefangene im17. Jahrhundert aussahen. InGefängnissen konnte damalsvon menschenwürdigenBedingungen keine Rede sein.Täter galten als grundsätzlichschlecht, gehörten drakonischbestraft und in lichtlose Verlieseweggesperrt. Entsprechendverwahrlost sahen sie aus.Im „Graf von Monte Christo“beschreibt Alexandre Dumasdas drastisch. Aus der schlim-men Tat wurde auf denschlimmen Täter geschlossen.Niemand machte sich Gedan-ken über das, was den Straf-vollzug heute bestimmt: dieAngemessenheit der Strafe,

die Resozialisierung undRehabilitation der Täter. Erstmit Jean-Jacques Rousseau,der das Gefängnis von innenkennenlernen musste, ändertesich der Blick. 1764 sagteder Begründer der klassischenKriminologie, Cesare Beccaria,in seiner wegweisendenAbhandlung „Dei delitti edella pene“: Die Strafe soll derbegangenen Verfehlungangemessen sein. Als Bol seinBild malte, glaubte man, denStraftätern das Übel an ihremÄußeren ansehen zu können.Cesare Lombroso hat Ende des19. Jahrhunderts sogar versucht,das wissenschaftlich zuuntermauern, indem er Schädelvon Straftätern vermaß – seineÜberlegungen dienten denNationalsozialisten als Vorlagefür ihre rassenbiologischenTheorien. Nichts von alledemaber sehen wir bei dem geradezustaatsmännisch auftretenden,prächtig gekleideten, schönenJoseph – der dann ja auchStaatsmann wird. Wir sehenschon den rehabilitiertenJoseph. Oft genug ist die Kunstder gesellschaftlichen Wirklich-keit voraus. Das gilt auch fürdie Sicht auf Täter. Der Malermag selbst gar nicht darangedacht haben – sein Bildaber ist ein wundervollesBeispiel dafür.

Jeder Nagel erinnert an ein OpferGünther Uecker: „Weißer Schrei“, 1961

Der „Weiße Schrei“ ist eines der vielenNagelbilder des Künstlers GüntherUecker, der an der mecklenburgischenOstseeküste aufgewachsen ist. AlsFünfzehnjähriger musste er im Sommer1945 tagelang angeschwemmte Leichenauf der Halbinsel Wustrow verscharren– Opfer des von britischen Bombenversenkten Häftlingsschiffs „KapArkona“. Uecker kam später in seinemWerk immer wieder auf das traumatischeErlebnis zurück. Auch hier. Das Bild istzwar den anonymen Opfern gewidmet,aber wir denken bei Opfern beinahezwangsläufig auch immer an die Täter.In diesem Fall geht es um die anonymenTäter des Nationalsozialismus. Daswirft die kriminologische Frage auf: Wiekonnte es dazu kommen, dass einzelneMenschen oder Gruppen solche Tatenbegehen konnten? Woher kommt derGruppenzwang selbst bei Verbrechen?1971 gab es an der Universität Stanfordein Experiment dazu. Studenten wurdenwillkürlich durch Hölzchenziehen inAufseher und Gefangene eingeteilt. DasExperiment musste bald abgebrochenwerden, weil sich die „Aufseher“ an-schickten, Greueltaten an ihren Mitstu-denten zu verüben. Das in der Wissen-schaft umstrittene Experiment boteine erste Erklärung dafür, wie solcheStraftaten in der Zeit des Nationalsozia-lismus möglich waren. Dazu kommt, dassdie Rechtsordnung solche Verbrechenmöglich machte. Die Strafnormenändern sich mit der Gesellschaftsord-nung. Der Soziologe Émile Durkheimsagt, dass Straftaten nun einmal zueiner Gesellschaft gehörten. Durch ihreSanktionierung werden der Gesellschaftdie geltenden Normen vor Augen geführt– und durchgesetzt. Ueckers Bild bringt

zudem ein Thema auf, über das derKriminologe Nils Christie 1986 nach-dachte, als er vom „idealen Opfer“sprach. Darunter verstand er etwa einealte Frau, die von einem Krankenbesuchkommt, von einem Mann angegriffenund ihrer Handtasche beraubt wird. DasOpfer gilt als moralisch unangreifbar,und so wird ihm von der Gesellschaftder Status eines Opfers uneingeschränktzugebilligt. Auch „Rotkäppchen“ istso ein ideales Opfer, dem der idealböse Täter gegenübersteht, der Wolf.Opfer von Genoziden wird solch einuneingeschränkter Opferstatus ebenfallsvorbehaltlos zuerkannt. Allerdingsmachte Christie auch klar, dass wir dieWelt gerne so einfach hätten – gerechtund schwarz-weiß. Sie ist aber anders.Jüngst hat das der Fall der angeblichvergewaltigten Gina-Lisa Lohfinkvor Augen geführt. Der von Lohfinkangestrengte Prozess endete damit,dass sie selbst wegen Falschaussageverurteilt wurde.

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rühmorgens, wenn die roten Klippen langsamerst wieder Farbe bekommen, wollte uns Iglonicht mitnehmen: zu gefährlich! Mit all denSeilen und den Körben an Deck, die er undScholle aus bis zu 20 Metern Tiefe hochholen.

Womöglich dazu lange, glitschige Streifen Seetang, aufdenen die Fotografin und die Reporterin ausrutschen undüber Bord gehen könnten. 86 rechteckige Käfigkörbe mitMetallrahmen und Netzbespannung leeren sie bei jederFahrt, das muss schnell gehen: Hummer von hintenpacken, die breiten Scheren vorne mit Kabelbinder fesseln,ab in die Kiste. Das alles in einem offenen Boot, das aufden Nordseewellen schaukelt.

Vielleicht wollte er uns auch nur den Anblick ersparen,wie sie die gefangenen Taschenkrebse noch an Deck töten,ihre Körper zurück ins Meer werfen („fressen die Fische“),die abgedrehten Scheren in riesigen Plastikkörben sammeln.Vier davon, bis oben hin gefüllt, landen sie an diesemMorgen im Binnenhafen an, dazu nur ein paar Hummer.Das ist seit Jahren das Beute-Schema: viel Taschenkrebs,wenig Hummer. Homarus gammarus, der EuropäischeHummer, steht auf der Roten Liste, sein Bestand ist abernur gefährdet. Auch im einzigen deutschen Fanggebietrund um Helgoland. Vom Aussterben bedroht sind hin-gegen die, die ihm hier nachstellen. Die letzten Hummer-fischer auf der Insel, es sind nicht mal mehr eine Handvoll.Mit ihnen wird ihr Beruf verschwinden wie der des Fisch-beinausreißers und des Wasserstiefelmachers.

Iglo heißt eigentlich Detlef Nitze. So nennt ihn aberkaum jemand auf Deutschlands einziger Hochseeinsel,seit eine Besucherin vor Jahren miterlebte, wie der große,kräftige, bärtige Mann mit bloßen Händen beim Fischenmit Stellnetzen ackerte: „Klar, das ist Käpt’n Iglo“, soll siegerufen haben – und Nitze hatte einen neuen Namen.Weil sein Mitarbeiter Andreas Schulz als Kind auf SyltSchollen mit dem Dreizack fing, wird der Mann mit demgrauen Zopf „Scholle“ gerufen, so steht es auch in schwar-

zer Blockschrift auf dem Brustlatz seiner knallorange-farbenen Fischerhose. Acht Jahre schon fahren die beidengemeinsam zur See, beliefern aus Nitzes „Werkstatt“ imkleinen Industriegebiet am Hafen die örtlichen Restau-rants mit Hummern und den Scheren des Taschenkrebses,die im Helgoländer Friesisch, dem Halunder, „Knieper“genannt werden.

Von Mitte April bis Anfang Oktober ist es das liebsteFingerfood der 1500 Einheimischen, der rund 3000 Ur-lauber und der bis zu 3000 Tagesgäste, die von Hamburg,Cuxhaven, Büsum, Bremerhaven und Sylt für drei, vierStunden herbeischippern. Ein Wirt belegt sogar Pizza mitKnieperstückchen. „Die hohe Nachfrage können wir mitAch und Krach bedienen“, sagt Iglo. Das Fleisch derbraun-schwarzen Scheren kann für viele geschmacklichmit dem des Hummers mithalten.

Auch deshalb dümpelt der Hummer, obwohl selbst einGroßkrebs und sogar eine Delikatesse, in den kostspieli-gen Gefilden der Speisekarte. Mit rund 200 Euro für einganzes 1,5-Kilogramm-Tier, eine Portion für zwei, ist erden meisten aber vor allem zu teuer. Entsprechend wenigOrder gehen dafür bei Iglo ein. Er selbst verkauft dieHummer zum Großhandelspreis von gut 30 Euro dasKilo. Auch direkt an Touristen, die ihn sich in der Ferien-wohnung selbst zubereiten. Oder wie neulich diesen Vier-einhalb-Kilo-Kerl, „der passte kaum in die Kiste an Bord“,direkt beim Anlegen an einen Helgoländer, „der bevorzugtdie großen“. Den Zahlen nach ist Nitze ein Knieperfischer,aber sein Herz, das gehört dem Hummer.

Diesem urtümlichen Krustentier, das Kinderbuch-autor James Krüss, der wohl berühmteste Insulaner, wegenseines Panzers und seiner zwei großen und vier kleinerenZangen als „sechsfach bewaffneten Ritter“ bezeichnete. Erkann etwa 60 Jahre alt werden, mehr als einen halbenMeter lang und neun Kilogramm schwer, wenn er nichtvorher einem Fischer ins Netz geht. Der Schatz der rotenKlippen, die 61 Meter hoch aus den Wogen ragen, verbirgt

Hummer werden inDeutschland nur vorHelgoland gefangen.Die Krebstiere sindgefährdet – vomAussterben bedrohtsind die Hummerfischer.Von Andrea FreundFotos Lilo Tadday

Hält Kurs: Detlef Nitze ist einer der letzten Hummerfischer.

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Aus dem Meer auf den Teller: Damit das Fleisch zart bleibt, kocht frischer Hummer (oben rechts) nur zehn Minuten in heißem Wasser und zieht dann noch etwa eine Stunde. Dabei bekommt er seine rote Farbe.

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Stehen Spalier für Tagesgäste, die im Südhafen von Bord gehen: Die Hummerbuden auf Helgoland haben nach dem Krieg die Hütten der Hummerfischer ersetzt. Heute sind es Läden, Galerien, Gaststätten.

sich unterseeisch, im ausladenden Felssockel, der sich vonden Klippen über das bei Ebbe trockenfallende Felswatt bisweit in die Nordsee ausdehnt und seit 1981 auf 60 Quadrat-kilometern Naturschutzgebiet ist; Helgoland selbst misst,zusammen mit der benachbarten „Düne“, nur 1,7 Quadrat-kilometer. In den Spalten und Höhlen dieser Felsmassefindet der nachtaktive Hummer Schutz am Tag und beider Häutung. Mit den Jahren wachsen Hummer kaummehr in die Länge, sondern legen sich immer imposantereKnack- und Greifscheren zu: Weibchen wählen ihr Männ-chen nach der Größe dieser Werkzeuge aus, um sich dannin dessen Höhle befruchten zu lassen. Ob die Männchendafür ihre Scheren aus ihrer Bleibe hängen lassen, wäh-rend die Weibchen begutachtend vorbeikriechen?

Fängt Iglo außerhalb der Schon- weil Paarungszeitvom 15. Juli bis 31. August ein eiertragendes Weibchen,liefert er es zu Forschungszwecken bei der „Bio“ ab, derBiologischen Anstalt auf Helgoland. Sogar Weibchen ohneEier wirft er zurück ins Wasser, obwohl das nicht gefordertist. Angelandete Tiere müssen ansonsten mindestens elfZentimeter lang sein, vom Stirnhorn bis zum Ende ihresBrustpanzers, nicht bis zum Schwanzfächer, damit sienoch weiter wachsen, mit etwa sechs Jahren geschlechtsreifwerden und ihren Beitrag zur Erhaltung der Art leistenkönnen. Nitze nimmt grundsätzlich nur solche von13 Zentimetern an, beim Hochholen der Körbe gemessenmit schnellem Expertenblick.

Vor seiner Werkstatt flattert, neben einem schiffförmi-gen Blumenkasten aus Holz, sein Firmensymbol: einedreifarbige Helgolandflagge. „Grün ist das Land, rot istdie Kant, weiß ist der Sand, das sind die Farben vonHelgoland“ – darauf ein schwarzer Hummer, das Motivhat er selbst entworfen, „ist auch auf meinem Briefpapier“.Die Einfahrt ist gerade so breit, dass Iglo seinen E-Karrendort parken kann. Autos sind auf der Insel verboten, dafürsurren umso mehr Zehn-Stundenkilometer-Vehikel wieInsekten umher. Iglo und Scholle entladen ihre Fracht.Scholle kippt die Knieper in einen großen Bottich, indem schon das Wasser blubbert. Durch die aufsteigendenBlasen bewegen sich die Scheren im Dampf, als wollten sieein letztes Mal zuschnappen.

Sie werden vorgegart, denn die Restaurantküchen neh-men erst gegen elf Uhr ihre Arbeit auf. „Bis dahin ent-wickeln die Knieper sonst Ammoniak“, sagt Nitze. Siebestehen aus purem Eiweiß, und die Zersetzung beginntfrüh. Ein Kunde hat seine Lieferung mal bis nachmittagsin der Sonne liegen lassen, sie wurde ungenießbar: „Derhat von mir nichts mehr bekommen!“

Die Hummer wiegt er einzeln ab, an diesem Morgenhat er sechs Bestellungen. Auch vom Hotel Insulaner, woChefkoch Jens Ramke den besten Hummer weit und breitzubereitet: im Ganzen als Portion für zwei oder als Ragout– schwarze Sepia-Nudeln, dazu Queller (Seespargel, grün),Tomaten, einen gelben Safran-Anis-Schaum als Sauce unddarin Hummerfleisch-Stückchen. Bis zur Auslieferungversenkt Nitze die rotbläulich schimmernden Krustentierein einem Bassin, ein paar hocken hier schon. „Ich sehe aberimmer zu, dass ich sie nicht zu lange habe.“ Er will nicht,dass die Tiere unnötig leiden. Einmal hat Iglo miterlebt,wie sich ein Hummer in seinem Becken häutete: „Erstdachte ich, der sei krank.“ Aber dann sah er, wie das Tierseinen Panzer am Rücken regelrecht aufsprengte und sichselbst herauswand, erst den Schwanz, dann den Oberkör-per und die vorderen Gliedmaßen. Zuvor hungerte sichder Hummer Gewicht ab, damit das Fleisch seiner Scheren

bei diesem Rückzug durch die sehr viel kleineren Gelenkepasst. „Eine halbe Stunde lang habe ich einfach nur zuge-sehen“, staunt Iglo noch immer. „Das war phänomenal.“

Fast durchscheinend ist die neue Hummerhaut. IhrBesitzer ist ein gefundenes Fressen, wenn er keinen Schutzfindet. Es dauert fast einen Monat, bis die neue Schalewieder aushärtet. Auch deshalb geht es Nitze nah, wenner mitbekommt, dass seine Abnehmer die Hummer nichtwirklich würdigen, sondern nur das nach dem Kochenhellrote Fleisch verwerten: „Dabei könnte man aus denSchalen einen wunderbaren Fond herstellen.“

Der zugewanderte Insulaner liebt Fisch und gutesEssen. Das war schon „drüben“ so, wie sie das Festlandhier nennen. Er wuchs in Cuxhaven auf, 55 Kilometer ent-fernt, wo er als Jugendlicher immer mit dem Fahrrad zurFischhalle fuhr, um hinterher im Schrebergarten Fisch zugrillen. Sein Vater wollte, dass er Matrose wird. Er lernteMaurer und blieb an Land, weil er das Motorradfahrenliebte. Dann fand er einen Job ausgerechnet auf diesemFelsbrocken mitten im Meer, wo Autos verboten sind undErwachsene nicht mal Fahrrad fahren dürfen (nur Tret-roller, mit Scheibenbremse), damit im Schwarm der Tages-touristen, der mittags von halb eins an erst die Promenadeund dann die Insel flutet, niemand zu Schaden kommt.

An ein Motorrad war erst recht nicht zu denken.Anfangs fuhr er deshalb jedes Wochenende nach Hause,dann immer weniger. „Meine Familie, meine Freundewaren hier“, sagt er, „und meine Leidenschaft.“ Dieentdeckte er vor 30 Jahren, als ein alter Hummerfischerjemanden brauchte, der ihm zur Hand ging. Da war diegroße Ära der Hummer auf Helgoland schon lange vorbeiund ging ihrem historischen Tiefstand entgegen.

Als gelobtes Hummerland galt Helgoland bis zumZweiten Weltkrieg. An die 80.000 Tiere holten mehr als100 Fischer jährlich aus dem Meer, bei einem Bestand vongeschätzt mehr als einer Million Exemplare. Knieper gabes damals wenig, er war ungeliebter Beifang. Hummer gabes so viel, dass er auch in die Erbsensuppe kam. Vor allemaber verkauften die Fischer ihren Hummer, gebettet zwi-schen Schichten aus Seetang und Eis, damit er lebendankam, bis nach Hamburg und Berlin – die Städter

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Mögen Hummer: Forscherin Isabel Schmalenbach und Jens Ramke,der Chefkoch im Hotel Insulaner

Helgoländer Fischer gaben dem Hummer bis etwa 1920 einen Korb aus Treibholz, den sie mit einem Stein von der Insel beschwerten.

schwärmten von seinem zarten, nussigen und leicht süß-lichen Aroma. Im 19. Jahrhundert, als Helgoland englischwar, verschifften die Insulaner das Schalentier als „eng-lischen Hummer“ bis nach London.

Nach dem Krieg nahmen die Hummerfänge rapide ab.Vielleicht lag es am Bombardement, mit dem die Eng-länder die Insel bis 1945 und noch danach überzogen. Vor70 Jahren, am 18. April 1947, zündeten sie fast 7000 Ton-nen Sprengstoff in ihren Bunkerstollen, um sie endgültigzu zerstören. Die Rauch- und Aschesäule, Hunderte Meterhoch, sah man sogar von Cuxhaven aus, doch der Bunt-sandstein pufferte die größte nichtatomare Explosion derMenschheitsgeschichte ab. Heute erinnert noch der riesigeKrater an der Westseite daran, das „Mittelland“ zwischenOber- und Unterland. Man kann sich leicht vorstellen,dass bei dieser Verwüstung auch der Lebensraum derHummer stark beschädigt und Tiere getötet wurden.

Vielleicht waren es auch die Chemikalien, die in diesenJahren ins Meer gelangten. Vielleicht schlug die jahrelangeÜberfischung zu Buche. Und dass die Fischer, wie mansich erzählt, den Hummerweibchen ihren Laich noch anBord wie Kaviar vom Körper kratzten – und ganze Gene-rationen damit auf einen Schlag verputzten.

Vielleicht lag es aber auch an der generellen Meeres-verschmutzung, wie der 85 Jahre alte Erich NummelKrüss vermutet. Der einstige Hummerfischer hat als Kapi-tän die Weltmeere befahren und ist nur entfernt mit JamesKrüss verwandt. Nummel Krüss vertritt die These, dasses einen „Hummertreck“ gibt, dessen Route durch den„Dreck“ im Wasser beeinträchtigt wird: „Von Englandkamen im Frühjahr immer die Hummer, glatt und schier“,sagt er, also Exemplare mit glänzender und unverfälschterSchale. Die anderen, mit Seepocken und Seetangfetzenam Leib, seien die „setten Hummer“ gewesen, quasi die,die hocken geblieben waren.

Isabel Schmalenbach hingegen sagt: „Es gibt keinenHummertreck!“ Die „neuen“ Hummer seien schlichtwegjene, die sich vor kurzem gehäutet hätten. Die Forscherinan der Biologischen Anstalt Helgoland des Alfred-Wege-ner-Instituts (AWI) verweist zudem darauf, dass die Tierevor Helgoland eine genetisch eigene Population seien. Jahre-lang hat sie in einer Halle des Instituts am Binnenhafen,wo Iglo morgens immer anlegt, in einem Projekt gearbei-tet, mit dem das Leben der Hummer erforscht wurde. Seit1999 wurden dazu aus den Eiern der auch von Fischernabgegebenen Weibchen Junghummer gezogen, die imAlter von einem Jahr markiert ausgesetzt wurden – seiteinigen Jahren auch im Beisein von Hummerpaten. Sowurde die Öffentlichkeit eingebunden in eine Arbeit,die nicht vorrangig der Wiederaufstockung des Bestandsdiente, auch wenn es oft so wahrgenommen wurde. Zwarleistete das Programm einen „positiven Effekt“, die insge-samt rund 12.000 ausgesetzten Junghummer hätten aberbei weitem nicht ausgereicht, um die Population nachhal-tig zu stärken. Schmalenbach schätzt ihre Zahl auf etwa20.000, sie stagniere seit Jahrzehnten auf diesem niedrigenNiveau. Vor wenigen Tagen ist das Projekt der Umwelt-wissenschaftlerin zu Ende gegangen, die Aufzucht derHummer soll eine private Firma übernehmen. Mittelfris-tig soll es aber am AWI auch wieder Patenschaften geben.

Und der Hummer? Muss sich mit dem Knieper („Knei-fer“) um Höhlen kabbeln. Dessen Bestand legt schnellerzu, weil er wesentlich rascher wächst, zumal der Dorsch,des Kniepers größter Feind, seit den neunziger Jahren ausder sich erwärmenden Nordsee in kühlere Gewässer ab-gewandert ist. Dem Hummer, zumal, wenn er noch nichtso groß ist, kann der dicklippige Seeskorpion gefährlichwerden, im übrigen aber vor allem der Mensch. EineFangquote braucht er dennoch nicht, angesichts der gerin-gen Nachfrage und der wenigen Hummerfischer. NebenNitze sind das vor allem der 75 Jahre alte Klaus Köhn, deraus einer alten Helgoländer Hummerfischer-Sippe stammt,und sein Sohn Sven, 43 Jahre alt, der freimütig sagt, „dassich das nie machen wollte und mich inzwischen damitabgefunden habe, es ist ja doch ein guter Zusatzverdienst.“

Sie alle betreiben die Hummerfischerei nur neben-beruflich mit ihren Börtebooten – zehn Meter lang, dreiMeter breit, aus Eichenholz und mit Dieselmotor. Obwohlsie aussehen wie ein besseres Ruderboot, sind sie tatsäch-lich hochseetauglich. Damit werden tagsüber Touristenvon den Seebäderschiffen aus Büsum und Bremerhavenund im Sommer von den auf Reede liegenden Kreuzfahrt-schiffen zur Landungsbrücke und wieder zurück bugsiert.Noch. Denn das neue Schiff aus Cuxhaven, die „Helgo-land“, legt wie der Katamaran aus Hamburg direkt an der

Pier vorne im Südhafen an. Damit die „Dampferbörte“nicht eines Tages selbst ausgebootet wird – ihr Bestand istschon merklich geschrumpft –, hat die Gemeinde Helgo-land Anfang April die Aufnahme ins Unesco-Register desimmateriellen Weltkulturerbes beantragt. Was allerdingsdauern kann.

Detlef „Iglo“ Nitze hat seine eigenen Erfahrungendamit, Dinge bewegen zu wollen. Von der Qualität unddem Geschmack des Helgoländer Hummers ist er nichterst überzeugt, seit dieser bei einem Testessen internatio-naler Köche in einem Hamburger Luxushotel vor Jahrenam besten abschnitt – auch gegen Lobster aus Amerika.Mehrfach hat er deshalb versucht, seinen Hummer aufdem Festland zu vermarkten, allerdings vergeblich: „Diewollten nur die Hälfte vom Großhandelspreis zahlen.“ Daskonnte er nicht akzeptieren. Zumal einiges an Importwareaus Hummerfarmen komme, was nicht nachhaltig sei:„Da muss man mehr Fisch als Futter reinstecken, als manrausbekommt.“

Am Spätnachmittag fahren wir dann doch noch mitIglo hinaus. Fürs Foto einmal rund um Helgoland. DerWind weht nur sacht aus Südost, das Meer wogt sanft, alswir mit seinem Börteboot raus aus dem Binnenhafendüsen, links Helgoland, rechts die vorgelagerte „Düne“,

die bis 1721 mit der Hauptinsel verbunden war. Buchstäb-lich mit einer Pobacke steuert Iglo seine „Sellebrunn“.Rot leuchten die Lange Anna und der Lummenfelsen imSonnenlicht, obendrauf, wie in Stockwerken, Lummen,Basstölpel, Fotografen. Wir schauen hinab ins erstaunlichklare Wasser, wo uns Iglo die von oben olivgrünen Lami-naria-Tangwälder zeigt, wo die Weibchen nach acht biszehn Monaten Tragezeit ihren Laich ablegen.

Iglo, der so gut schweigen kann, kommt ins Plaudern.Dass es nur einen gibt, dem er Hummer aufs Festlandliefert, weil er „wirklich alles verwendet“: Oliver Schulz inHemer in Westfalen, der ehemalige Chefkoch im HotelAtoll, das inzwischen an Arbeiter im nahen Windparkvermietet ist. Und weil er den lebendigen Hummer direktin Cuxhaven am Schiff abholt, „abends ist der dannwieder im Wasser“. Schulz ist längst ein Freund. Von ihmhat er gelernt, wie man Hummersauce macht: Schalezerkleinern, in Öl rösten, dazu frische Tomatenstückchen,Weißwein, Wasser und mehrere Stunden sieden undziehen lassen. Dann abseihen, Rahm dazu, ein HauchTrüffelbutter und schaumig schlagen. Oder mit Apfel undBirne, ein Hauch Curry, „da verbindet sich die Süße derFrucht mit dem Salzigen des Hummers“. Zum Schlussdas vorgekochte Hummerfleisch hinein, ziehen lassen,fertig – „als Sößchen oder Suppe“.

Nitze ist jetzt 57. Wenn Sven mal aufhört, sagt er,wird’s keine Hummerfischer mehr geben. Aber bis dahinist noch Zeit. Und Iglo erfüllt sich vielleicht doch nocheinen Traum und eröffnet einen Imbiss. Am Binnenhafen,der teilweise baufällig ist und in den nächsten Monatenaufgehübscht werden soll. Vielleicht auch direkt in derReihe der bunten Hummerbuden, wo es bisher kaum Res-taurants gibt, in denen man bei schönem Wetter draußensitzen kann. Er würde morgens Hummer und Knieperfangen und mittags, wenn die Tagestouristen von Bordkommen, frische Scheren, Ragout, mit Dip, seine Sauceoder die süßsalzige Suppe auftischen. Und dazu Geschich-ten von den Hummerklippen. Wahre Geschichten.

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FlatangerEs sieht aus wie ein Code: 9b+. Es ist aber ein Kürzel fürden Schwierigkeitsgrad einer Kletterroute – einer extre-men Kletterroute. 9b+, das ist der höchste Schwierigkeits-grad, der jemals geklettert wurde. Adam Ondra hat dreisolcher 9b+-Routen als Erster durchstiegen. Routen, beidenen man sich kaum vorstellen kann, wie ein Menschsich dort überhaupt festkrallen oder gar fortbewegen kann.Im Jahr 2012 eröffnete er die 50 Meter lange Route „TheChange“, in einer Höhle in Norwegen, in der Nähe desOrts Flatanger. Ondra hatte als Jugendlicher Bilder derHöhle im Internet entdeckt, sie ließen ihn nicht mehr los,und als er die Schule endlich abgeschlossen hatte, machteer sich umgehend auf nach Norwegen. „Als ich zum erstenMal dort ankam, waren da vielleicht zwölf Routen.“ Erbegann, seine eigenen Linien zu suchen und sie als Kletter-routen zu eröffnen. Immer wieder fuhr er über die Jahrehin. „Dort sind einige der wichtigsten Routen, die ich jegeklettert bin.“ Wie etwa „The Change“. Monatelang hatteer sich an der Route abgearbeitet, sie immer wieder aufsNeue versucht, sie regelrecht belagert. Auch das machtfür ihn den Reiz des Lebens als Kletterer aus: sich überWochen in einen Ort wie Flatanger zu vertiefen, in einperfektes Klettergebiet in herrlicher Landschaft, ein ein-faches Leben auf dem Campingplatz, „nur mit ein paaranderen Kletterern, dem Besitzer des Campingplatzes undein paar Fischern“. Der 24 Jahre alte Ondra ist in einer ArtKletter-Biotop groß geworden. Eltern, Freunde, Bekannte– Klettern war allgegenwärtig in seiner Kindheit in dertschechischen Stadt Brünn. Doch Klettern, wie Ondra esbetreibt, bedeutet auch, Grenzen zu verschieben. Oder eszumindest zu versuchen. Deshalb ist die 9b+ längst nichtdas Ende aller Träume. Im Moment arbeitet er an zweiProjekten, einem in Flatanger und einem am Gardasee,die sich um den nächsten Schritt drehen: eine 9c-Routezu eröffnen. „Ich liebe die Herausforderung“, sagt Ondra.Aber es ist nicht nur das. „Wenn man weiß, wie es sichanfühlt, eine 9b zu klettern, macht eine 8c nicht mehrganz so viel Spaß. Und wenn ich in Flatanger ankommeund sehe eine 8a und eine 9c, dann sieht die 9c einfachschöner, beeindruckender und verlockender aus.“

ParisMünchen, Olympiastadion, 23. August 2014. An diesemTag wurde unter dem geschwungenen Zeltdach der Arenadie Weltmeisterschaft im Bouldern entschieden. Bouldernbedeutet Klettern in Absprunghöhe, es ist eine der dreiWettkampf-Disziplinen neben dem Speedklettern und demklassischen Lead- oder Vorstiegsklettern. In der Karrieredes Adam Ondra wurde es ein unvergesslicher Tag: Erwurde Boulder-Weltmeister, und das, nachdem er im selbenJahr schon den WM-Titel im Leadklettern gewonnenhatte – diese Kombination hatte noch keiner vor ihm ge-schafft. Für Ondra selbst war der Erfolg bei der WM 2016in Paris aber fast noch mehr wert: wieder Gold im Lead-klettern, dazu Zweiter im Bouldern – und das innerhalbvon nur fünf Tagen. Mit sechs Jahren schon hatte er seinenersten Wettkampf gewonnen, mit sieben hegte er denTraum, Profi zu werden. Mit 13 bewältigte er schwierigsteKletterrouten, mit 16 gewann er seinen ersten Weltcup.Heute ist er für viele der beste Kletterer der Welt. Weil erso vielseitig ist wie kein anderer. Die meisten Klettererspezialisieren sich inzwischen auf eine Wettkampf-Art.Dadurch wird das Niveau in den einzelnen Disziplinenimmer höher, und die Anforderungen dafür klaffen immerweiter auseinander. „Wegen der Attraktivität für die Zu-schauer erinnern Boulder-Wettkämpfe heute oft schon anParkour, was ich nicht wirklich toll finde“, sagt Ondra.„Beim Klettern sollte es ums Klettern gehen und nichtdarum, etwas einzuführen, was es am Fels gar nicht gibt.“Um so erstaunlicher ist, dass Ondra auf so viele Arten

YosemiteEs ist ein mythischer Ort für Kletterer. Ein Ort der Kletter-träume, der Kletterlegenden. An den monströsen Big Wallsder Granitriesen im Yosemite National Park, den einenKilometer hohen senkrechten Felswänden, treffen sich seitJahrzehnten die Besten der Welt. Berge wie der Half Domeund der El Capitan zählen zum Weltnaturerbe der Kletter-geschichte. Im Oktober 2016 war Adam Ondra zum erstenMal im Yosemite Park. Als Anfänger, gewissermaßen. „Eswar ziemlich spannend oder vielleicht auch bescheuert,dass ich als totaler Big-Wall-Amateur da war, auch meinKletterpartner nie an einer BigWall unterwegs gewesen war– und wir uns einfach mal die schwerste Big Wall der Weltausgesucht haben. Aber es hat geklappt.“ Ondra schafftedie zweite freie Begehung der „DawnWall“ am El Capitan,die als schwierigste Mehrseillängenroute der Welt gilt. AchtTage verbrachte er in der Wand – die Erstbegeher TommyCaldwell und Kevin Jorgeson hatten 16 Tage benötigt. DieKletterwelt war baff. „Der Stil des Big-Wall-Kletterns imYosemite ist ganz besonders“, sagt Ondra. Man ist extremausgesetzt, schläft im Hängebett, Hunderte Meter überdem Boden, ist zuweilen fragwürdig abgesichert, hat nurwinzigste Griffe und Tritte im glatten Granit. „Als ichankam, war ich wohl etwas zu ehrgeizig. Ich dachte: Es isteine Big Wall, okay, aber ich bin in der ganzen Welt geklet-tert, ich werde das lernen, ich habe keine Angst. Ich dachte,es würde kein allzu großes Problem werden. Da lag ich totalfalsch.“ Ondra hatte zu kämpfen. Der Optimismus war baldverdrängt von der Gewissheit: Es wird härter als erwartet.„Erst nach Wochen hatte ich mich so an den Kletterstilgewöhnt, dass Selbstvertrauen und Zuversicht zurückkehr-ten.“ Dazu kam das Glück: Als es ernst wurde, erwischte ereine Woche mit perfekten Wetterbedingungen. Am 21. No-vember 2016 hatte Ondra die Wand geschafft. Auf Face-book schrieb er: „Mission accomplished“.

Der Tscheche Adam Ondragilt als bester Klettererder Welt. Sechs Orte eineraußergewöhnlichen Karriere.Von Bernd Steinle

Weltspitze ist – am Fels und in der Halle, im Bouldern undim Lead-Klettern. Und seit der Durchsteigung der Extrem-Route „Dawn Wall“ am El Capitan im Yosemite NationalPark auch im Big-Wall-Klettern. „Ich wollte immer mög-lichst universell klettern, weil mir das am meisten Spaßmacht.“ Eine Disziplin helfe ihm bei der anderen weiter.Und welche ist ihm am liebsten? Zwei WM-Titel in einemJahr zu gewinnen, sei schon großartig gewesen, sagt er.Aber: „Kein Vergleich zu dem Gefühl, wenn man eineRoute am Fels wie ‚The Change‘ geschafft hat.“

ALLESIMGRIFF

43KLETTERN

GardaseeAn diesem Ort schlägt das Herz des Sportkletterns. In Arco,in der Nähe des Gardasees, treffen sich jedes Jahr Tausendezu einem der ältesten Kletterwettbewerbe: dem RockMaster,einemmehrtägigen Festival, das live im italienischen Fern-sehen übertragen wird, mit einer Million Zuschauern.Arco ist ein Zauberwort für Kletterer, und Adam Ondraist da keine Ausnahme. „Ich war schon als kleines Kindals Zuschauer hier und wollte unbedingt mal beim RockMaster mitmachen.“ Einmal wurde er als Junge gefragt,was sein Traum sei. „Ich antwortete: den Rock Mastergewinnen.“ 2011 war es so weit, zum ersten Mal. 2015 und2016 folgten die Siege zwei und drei. In diesem Jahr wirdder Rock Master in Arco vom 24. bis 27. August der ein-zige Weltcup-Wettbewerb sein, in dem Ondra antritt. Erist heute selbst ein Idol, die Region Garda-Trentino hat ihnals Botschafter verpflichtet. Ondra, der 2016 ein Bachelor-Studium der Wirtschaftswissenschaften in Brünn abge-

schlossen hat, kann es sich leisten, in Sachen Sponsorenwählerisch zu sein, er hat auch schon Angebote abgelehnt,wenn sie nicht zu seinen persönlichen Idealen passten. „Ichmuss dem Sponsor und der Idee, die hinter seinen Produk-ten steckt, vertrauen können.“ Bei Garda-Trentino hat erda kein Problem – an den Felsen dort ist er seit Jahrenselbst unterwegs. Vor kurzem schaffte er die erste 9b-Sportkletterroute in Arco, die „Queen Line“, und aucheine 9c-Route hat er in der Region schon im Auge. DerOrt hat auch deshalb besondere Bedeutung für ihn, weiler sich hier in seiner eigenen Welt bewegen kann. „Wennich eine wirklich harte Route klettere, kann ich das nichtwie sonst genießen. Das ist dann Autopilot.“ UnbewussteZüge, gesteuert von Intuition und Erfahrung. Bewegun-gen, an die er sich später oft nicht mal mehr erinnernkann. „Diesen psychologischen Zustand kann man,glaube ich, nur erreichen, wenn man etwas zu 100 Prozentbeherrscht.“ Wie Adam Ondra das Klettern.FO

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TokioKlettern boomt. Die Zahl der Kletterhallen in Deutschlandwächst, die der Kletterer sowieso. 500.000 sind es nachSchätzungen, unter ihnen viele junge Leute, die damitIndividualität, Freiheit, Unterwegssein, Gemeinschaftsge-fühl verbinden. Eine lukrative Zielgruppe, das haben auchdie Herren der Ringe erkannt. Deshalb soll der Klettersportnun helfen, der angeschlagenen Marke Olympia Auftriebzu verleihen: Bei den Sommerspielen 2020 in Tokio istSportklettern erstmals olympisch. Schon jetzt ist in derSzene aber ein heftiger Streit über die Olympia-Premiereentbrannt. Der Grund: Trotz der drei etablierten Kletter-disziplinen soll in Tokio nur ein Medaillensatz vergebenwerden. Aus diesem Grund wurde für die Spiele ein neuesWettkampfformat entwickelt, eine Kombinationswertungaus Speedklettern, Leadklettern und Bouldern, derenSieger in einer Punktewertung errechnet wird. Das bringtviele Kletterer auf die Palme – auch Adam Ondra. Er hältdie Kombination für Nonsens: weil das Speedklettern,bei dem eine vorgegebene Standardroute auf Zeit durch-stiegen wird, nichts mit dem kreativen Geist des Kletternszu tun habe; weil die Kombinationswertung eine fürZuschauer schwer durchschaubare artifizielle Wettkampf-form sei; und weil das Format eher Allroundqualitätenbelohne als individuelle Klasse in einer Disziplin undso nicht die ganze Attraktivität des Sports zeige. OndrasWiderwille geht so weit, dass er seine Teilnahme an denSpielen in Tokio schon in Frage stellte, was die Brancheumgehend in Wallung brachte: Was wäre eine Olympia-Premiere ohne den Star der Szenewert? Noch will Ondra sich nichtendgültig festlegen. „Ich würdegerne in Tokio teilnehmen“, sagter – in der Erwartung, dass dasletzte Wort in Sachen Olympia-Format noch nicht gesprochen ist.Und wenn doch: „Hoffen wir,dass Klettern auch 2024 beiOlympia dabei sein wird – dannmit einem neuen Format.“

HimalajaEs gibt kaum einen Kletterer, den sie kalt lassen: die höchstenBerge der Welt, die Gipfel des Himalaja. Doch die raunen-den Beschwörer düsterer Bergmythen, wie sie einst an denAchttausendern zu Werke gingen, die hartleibigen Eroberer-Typen, die den Schrecken der Todeszone mit eisernemWillen trotzen, scheinen auf den ersten Blick weit entferntvon der bunten, lebenslustigen Kletterszene, in der AdamOndra zu Hause ist. Und tatsächlich sind für Halle oderHimalaja, Sportklettern oder Höhenbergsteigen ganz unter-schiedliche Qualitäten gefragt. „Auf einem Achttausenderzu stehen war schon immer ein Traum von mir“, sagtOndra. Aber es soll schon der Richtige sein. Das heißt:„Ein Berg, an dem es vor allem ums Klettern geht.“ Alleinauf die Acht am Anfang kommt es für Ondra nicht an. „Esgibt Achttausender, da geht es eher ums Laufen, und wenndu tatsächlich mal klettern musst, dann nicht am Fels.“Nichts für ihn, denn: „Was das Laufen im Schnee angeht,gibt es Leute, die besser sind als ich.“ Für einen schwieri-gen Fünf- oder Sechstausender im Karakorum oder in Süd-amerika dagegen würde er sogar einen längeren Anmarschim Schnee in Kauf nehmen. „Klar, es ist kalt und alles.Aber dann kommst du am Fuß einer wunderschönenWand an und fängst an zu klettern.“ Diese greifbare Welt,die Welt der Linien, Kletterzüge und Bewegungsfolgen, istihm weit näher als die Planung wochenlanger Expeditionenin die höchsten Sphären des Alpinismus. Zumindest imMoment noch. „Am Ende ganz oben auf einem Achttausen-der zu stehen, muss schon ein großartiges Gefühl sein“,sagt er. „Aber du musst dafür auch viele Opfer bringen.Angefangen beim Hochlaufen.“

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Ana„Ich glaube, stattdie Welt zu teilensollte man integrierenund lieben“, sagt die33 Jahre alte AnaHolave, die Schmuckin Tulum verkauft.„Das ist doch dasWesentliche aufder Welt.“

Rafael„Es ist Trumps Recht,eine Mauer zu bauen“,sagt Rafael Sainz,53, Hotelbesitzer inTroncones. „DieRegierung von Mexikosollte sich um ihre Leutekümmern, dann müsstendie Menschen nichtwoanders hin, um einbesseres Leben undArbeit zu finden. Es istunsere Verantwortung.Die Regierung hier sollteeffizienter und ehrlicherarbeiten. Das müsstedoch möglich sein.“

Sian„Schlimme Idee“,meint Sian Macondo,23, von Kite Surf Proin Tulum. „Es solltekeine Mauern geben.Das wäre nur Zeit-verschwendung.“

45MEXIKO

MÉXICOMI AMOR

I

Von diesem Land machen sich viele ein simples Bild.Dabei hadert Mexiko schon genug mit sich selbst.Von Timo FraschPorträts Lottermann and Fuentes

Juan„Ich glaube, wir sindalle frei als Menschen“,sagt Juan Sanchez,40, Kellner im „ElRey de Suadero“ inMexiko-Stadt. „Wirsollten uns also auchfrei bewegen können.“

Antonio„Das ist alles ein großerFehler!“ Mehr willAntonio, 35 Jahre alt,Pferdebesitzer ausTroncones, nicht zudem Thema VereinigteStaaten sagen.

n den vergangenen Jahren habe ich nuraus der Ferne auf Mexiko geschaut:Drogenkrieg, bestialische Morde, Kor-ruption, wirtschaftliche Stagnation –das Land, in dessen Hauptstadt ich An-

fang des Jahrtausends für zehn Monatestudiert und eine großartige Zeit gehabthatte, schien sich in die Richtung entwickeltzu haben, aus der Kolumbien kam. Dasprägte dann auch die Vorbereitungen fürmeine jüngste Reise zurück in die Vergan-genheit. Ich kaufte mir zum Beispiel einendieser Geldbeutel, die man am Gürtelbefestigt und zwischen Unterwäsche undHose trägt. Vor 15 Jahren hatte ich dennoch nicht. Als ich damals mit meinenEltern, die mich besuchen kamen, mit derU-Bahn vom Flughafen zu ihrem Hotelfuhr, vor dem, wie sich später herausstellensollte, nachts auf der Straße der Müll ver-brannt wurde, da entstand im Waggon einkleiner Tumult ohne erkennbare Ursache.Ich sagte zu meinen besorgten Eltern, imguten Gefühl, selbst schon Halbmexikanerzu sein: So ist es hier, das pralle Leben!Wenig später griff ich nach meinem Porte-monnaie in der Hosentasche – weg. Bar-geld weg, Kreditkarte weg, Bustickets nachAcapulco weg. Schlechter hätte der Besuchnicht beginnen können. Klischeehafterauch nicht.

Das konnte mir mit dem neuen Geld-beutel nicht mehr passieren. In Mexikoangekommen, merkte ich aber schnell,dass man dafür einen Preis bezahlen muss:Wenn man etwa vor den Augen einesmexikanischen Kellners mühsam die Pesosaus dem Hoseninneren fischt, entsteht derfür beide Seiten schale Eindruck, manwähne sich hier unter Wölfen oder imDschungel. Davon ist Mexiko trotz allemein ganzes Stück entfernt. Man kann indem Land nicht nur einen wunderbarenUrlaub verbringen – Bacalar! Tulum! SanCristóbal de las Casas! –, sondern auch gutleben. Zumindest dann, wenn man dasnötige Geld hat und nicht gerade ein Inves-tigativjournalist ist mit dem SpezialgebietDrogenkriminalität. Selbst die U-Bahn vonMexiko-Stadt ist ein durchaus zu empfeh-

lendes, praktisches und preiswertes Fort-bewegungsmittel – man darf sich nurnicht so dumm anstellen wie ich.

Gut möglich jedoch, dass man sie niebenutzt – sofern man einen Mexikanerkennt, der ein Auto hat und dann mit ziem-licher Sicherheit Wert darauf legt, einemals Fahrer, Führer, Freund zur Verfügungzu stehen. So erging es mir bei meinemjüngsten Besuch. José Luis kümmerte sichnicht nur rührend um mich und meinePartnerin, er trug auch jeden Tag ein ande-res Trikot einer Bundesliga-Mannschaft –zu Ehren der Besucher und des deutschenFußballs. Dieser wird in Mexiko hochge-schätzt, spätestens seit die deutsche Natio-nalmannschaft mit Peter Alexander zurWeltmeisterschaft 1986 in Mexiko gesun-gen hatte: „México mi amor“.

Schon vor 15 Jahren trat folgender Fallöfter auf: Freunde aus dem Südosten vonMexiko-Stadt wollten eben dort feierngehen, zusammen mit Freundinnen ausdem Norden. Deutsche würden an dieserStelle erfahrungsgemäß sagen: Wir sehenuns im Club. Sprich: Jeder schaut, wie erdorthin kommt. Nicht so die Mexikaner.Die holen die Frauen ab und bringen siewieder nach Hause. Insgesamt zwei bisdrei Stunden Fahrt durch das nächtlicheMexiko-Stadt kamen da schon mal zusam-men. Entschädigt wurde man an einemder Taco-Stände, die zum Teil rund umdie Uhr geöffnet haben. An ihnen be-kommt man ausgezeichnetes Essen, dasfreilich so gut wie nichts mit dem zu tunhat, was in Deutschland als mexikanischverkauft wird. Trotzdem habe ich mich,wenn ich morgens um sechs Uhr über-nächtigt im Fond des Autos kauerte, öftergefragt: Warum machen die das? Dannhabe ich mich bestenfalls noch als Vier-telmexikaner gefühlt.

Das reichlich simple Bild, das man sichin Deutschland von den Mexikanernmacht – ein irgendwie possierliches Völk-chen mit großen Hüten, die aber in Mexi-ko kein Mensch trägt – steht im Gegensatzzu ihrer tatsächlichen Komplexität, Ge-heimnisfülle und Zerbrechlichkeit, an der

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Ana„Wir sind benachbartund sind voneinanderabhängig. Aber dieseIdee ist auch eineChance: Wir müssenaufhören, immer nurnach Norden zuschauen. Mexiko istwiderstandsfähig. Wirwerden stärker undvereinter sein als zuvor“,sagt Ana Castella,34 Jahre, Galeristinbei „joségarcía, mx“in Mexiko-Stadt.

Naomi„Alles nicht gut“, meintNaomi, 23, Angestelltebei einer Tankstellein Zihuatanejo. „MeinBruder lebt jenseits derGrenze. Er mussvielleicht zurück.“

Rodrigo„Alle Menschen auf derWelt sind verbunden,und alle sind gleich“,sagt Rodrigo Noriega,26, Industriedesigneraus Mexiko-Stadt. „DieMauer ist ein Fehler.“

MÉXICOMI AMOR

sich nicht ohne Grund schon einige großeDenker abgearbeitet haben. Der vielleichtgrößte unter ihnen, der mexikanische Lite-raturnobelpreisträger Octavio Paz, hat malgeschrieben, die jüngere Geschichte Mexi-kos, angefangen mit der Eroberung durchdie Spanier, könne man begreifen „als einSuchen nach uns selbst, die wir durchfremde Einflüsse entstellt oder maskiertwurden, sowie als ein Suchen nach einerForm, in der wir uns ausdrücken können“.1910, mit der ersten großen Revolution des20. Jahrhunderts, fand diese Suche eineneruptiven Höhepunkt. Mexiko, hin undher gerissen zwischen Europa, Latein-und Nordamerika, tauchte hinab in seineGeschichte, besann sich seiner indiani-schen Wurzeln, pochte auf seine eigeneIdentität. Aber der Versuch, die Vergan-genheit mit der Gegenwart zu versöhnen,misslang. Innere Unruhen mündeten 1929in der autoritären Herrschaft der PRI, derPartei der Institutionalisierten Revolution,die mit einer Unterbrechung von lediglichzwölf Jahren bis heute andauert und dasLand ruiniert.

Der mexikanische Philosoph SamuelRamos war 1934 der Erste, der sich aus-führlich mit der Frage beschäftigte, wasseine Landsleute ausmache. Ergebnis: DerMexikaner habe einen Minderwertigkeits-komplex. Dabei waren gerade die Jahr-zehnte nach 1910 von kulturellem undintellektuellem Reichtum geprägt. In derWandmalerei, dem Muralismo, fand diemexikanische Selbstbesinnung ihre eigeneAusdrucksform. Für die europäischen Sur-realisten war Mexiko, was der Nahe Ostenfür die Romantiker gewesen war: Inspira-tion, Heimat, Fetisch. Auf einer „subjek-tiven Weltkarte“, die sie 1929 veröffent-lichten, war Mexiko übergroß dargestellt,während etwa die Vereinigten Staatenganz fehlten. André Breton, der geistige

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Hermando„Ich glaube nicht, dasser es schafft, diesesProjekt zu realisieren“,sagt Hermando,17 Jahre alt undZigarettenverkäuferin Mexiko-Stadt.„Auf mich hat eskeinen Einfluss, zurZeit jedenfalls nicht.Aber wer weiß, wasnoch passiert.“

Nuno„Ich finde es nichtschlau, zehn Milliardenin etwas zu stecken,das nur dazu dient,der Beziehung zwischenzwei Ländern zuschaden“, meint NunoCarneiro, 30 Jahre alt,DJ aus Tulum. „Aberseit sie diesen Clownzu ihrem Führergewählt haben, istalles möglich.“

Vater des Surrealismus, wurde 1938 vonder mexikanischen Regierung in die Haupt-stadt eingeladen, um dort Vorträge überKunst zu halten. Als er in Veracruz dasSchiff verließ, erging es ihm ein bisschenwie meinen Eltern in ihren ersten Stundenin Mexiko: Chaos. Die Finanzierung desAufenthalts war unklar, die Unterbringungebenso, zur Begrüßung kam nicht der,der kommen sollte. Breton wollte schonwieder die Rückreise antreten, als über-raschend der Maler Diego Rivera auf-tauchte, der Ehemann von Frida Kahlo,und ihm Kost und Logis anbot. „MeinHaus ist dein Haus“, sagt man dazu inMexiko – und meint es auch so.

Diese Erfahrung hielt Breton nicht nurnicht davon ab, in Mexiko den „surrealis-tischen Ort par excellence“ zu sehen, son-dern bestärkte ihn sogar darin. Den Mexi-kanern passte das gar nicht. Sie wolltensich nicht mehr von Fremden sagen lassen,wie sie seien oder zu sein hätten. Bei Octa-vio Paz war das etwas anderes. Der im heu-tigen Mexiko-Stadt geborene Autor, derselbst eine surrealistische Schaffensphasehatte, veröffentlichte 1950 seinen zumKlassiker gewordenen Essayband „DasLabyrinth der Einsamkeit“. Darin versuchter, die mexicanidad zu ergründen, also wases bedeutet, ein Mexikaner zu sein, durch-aus auch in Abgrenzung zum Koloss imNorden. Paz selbst hatte zwei Jahre inAmerika verbracht, unter anderem in LosAngeles, wo damals schon sehr vieleMenschen mexikanischer Herkunft lebten.Ihn überraschte die Atmosphäre in derStadt: „So viel Mexikanität – Vorliebe fürSchmuck, Sorglosigkeit, Nachlässigkeit,Prachtliebe, Leidenschaft und Zurück-haltung – schwebt in der Luft.“ Aber sieschwebe eben nur, „denn sie vermischt undverbindet sich nicht mit der anderen Welt,der Nordamerikas, die aus Präzision und

Effizienz gemacht ist.“ In den VereinigtenStaaten, schreibt Paz im Jahr 1950, sei ervor allem über die Selbstsicherheit ihrerBewohner erstaunt gewesen, über ihreHeiterkeit und ihr „Vertrauen in das natür-liche Gutsein des Lebens“ sowie „in dieunbegrenzte Fülle seiner Möglichkeiten“.Die Mexikaner hingegen seien misstrau-isch, verschlossen, einsam. Die einzigeForm, sich der Welt zu öffnen, sei für siedie Fiesta. Die Nordamerikaner glaubten„an Hygiene, Gesundheit, Arbeit, Glück“.Dabei sei ihnen mit ihrer Vitalität, dieAlter und Tod ignoriere, die wahre Freudevielleicht unbekannt. Die, so Paz in wild-wuchernden Worten, sei „Rausch undWirbel, wenn im Jubel der nächtlichenFiesta unsere Stimme in Funken ausbrichtund Leben und Tod eins werden“.

Seit Octavio Paz das geschrieben hat,sind fast sieben Jahrzehnte vergangen,vieles ist anders geworden. Er selbst rückte1969 von der zu statischen Typologie desMexikaners ab – notwendigerweise, dennein so vielschichtiges Land von der Aus-dehnung Belfast – Istanbul kann man un-möglich auf einen Nenner bringen. Auchdie mexikanische Politik hat sich neuorientiert. Nach den bitteren Erfahrungendes 19. Jahrhunderts, als Amerika, wie Pazschreibt, „uns in einem der ungerechtestenKriege, die die Geschichte der imperialis-tischen Expansion kennt, mehr als dieHälfte unseres Territoriums entriss“, hat-ten sich mexikanische Regierungen im20. Jahrhundert lange in Abgrenzung zuden Vereinigten Staaten definiert. Das hatsich in den achtziger und neunziger Jahrengeändert. In diese Zeit fallen radikal-liberale Wirtschaftsreformen sowie derAbschluss des Nordamerikanischen Frei-handelsabkommens Nafta. Beides hattenach Ansicht des PolitikwissenschaftlersSamuel Huntington das Ziel, „aus dem

lateinamerikanischen Land Mexiko einnordamerikanisches Land zu machen“.Tatsächlich haben sich die Kulturen beiderLänder seither vielfach durchdrungen.Amerikanische Rentner haben sich zuhaufin hübschen Städtchen wie San Miguelde Allende niedergelassen, amerikanischeStudenten kommen zum spring break nachCancún. Ohne Mexikaner bräche in Ame-rika das Baugewerbe, der Weinanbau unddie Gastronomie zusammen, der Touris-mus würde leiden, und zwar auch deshalb,weil viele wohlhabende Mexikaner Urlaubin den Vereinigten Staaten machen.

Und dennoch: Zumindest auf mexika-nischer Seite ist ein Gefühl der Fremdheitund der Benachteiligung geblieben. Mankonnte das im September 2001 in Mexikofeststellen, als sich in die Erschütterungund Trauer nach den Terroranschlägen inNew York bald auch Häme mischte. Derjetzige amerikanische Präsident DonaldTrump verkörpert für viele Mexikaneralles Schlechte aus dem Norden. Schon alsKandidat war er ausfällig gegenüber demNachbarn geworden. Verschlimmert wurdedas Ganze aus Sicht der Mexikaner nochdadurch, dass ihr eigener Präsident EnriquePeña Nieto, der weithin für korrupt undunfähig gehalten wird, nichts Bessereswusste, als Trump auch noch nach Mexikoeinzuladen.

Der amerikanische Schriftsteller DonWinslow hat gerade im Magazin „Frank-furter Allgemeine Quarterly“ gesagt: „Ichliebe die Mexikaner, leider hatten sie nochnie eine Regierung, die ihrer wirklich wür-dig gewesen wäre.“ Winslow hat einerseitsganz Recht. Als im Jahr 2000 mal eineandere Partei als die weltanschaulich in-differente Machtmaschine PRI an dieRegierung kam, die konservative PAN,da keimte Hoffnung, dass die Politik vonder Selbstbedienung zur Problemlösung

Diego„Liebe ist der einzigeWeg, den Hass zubekämpfen“, sagt DiegoLuna, 38 Jahre alterSchauspieler ausMexiko-Stadt.

Gustavo„Das ist doch verrückt“,meint Gustavo, 47Jahre alt und Elektrikerin Mexiko-Stadt. „DieAmerikaner wollendoch nicht die Arbeitmachen, die jetzt dieMexikaner erledigen.“

Señor Villoro, Sie haben geschrieben, in Mexiko werde dieDemokratie bestimmt durch ein „Klima der falschen Teil-habe“. Was meinten Sie damit?Das Land ist 71 Jahre lang ununterbrochen von derselbenPartei regiert worden, der PRI. Als im Jahr 2000 dannder demokratische Wechsel gelang, glaubten viele Mexi-kaner, nun könnten sie stärker als bisher partizipieren.Was stattdessen passierte: Die politischen Parteien habendie Politik gekidnappt. Das heißt vor allem, dass sie sichgroßzügig finanzielle Mittel genehmigen. Wir haben eineder teuersten Demokratien der Welt, die Wahlkämpfedauern monatelang, alles durch den Staat finanziert.In diesem System haben sich die Parteien eingerichtet.Sie profitieren davon – alle.

Der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto hat sehrschlechte Beliebtheitswerte und ist in mehrere Skandaleverwickelt, angefangen von einer plagiierten Abschlussarbeitbis zu massiven Foltervorwürfen. Wie kann es sein, dasser immer noch im Amt ist?Die mexikanische Gesellschaft ist eine Gesellschaft desGehorsams, in der die Leute oft Angst haben, sich einzu-bringen oder aufzubegehren. Die mexikanische Schrift-stellerin Cristina Rivera Garza spricht von „militanterApathie“. Das heißt: Die Menschen bleiben apathisch,um keine Probleme zu bekommen, um sich vor dem Staatzu schützen. Bestenfalls schreiben sie mal einen Tweetoder einen Post auf Facebook. Dabei sollte ein Präsident,der für so viele Desaster verantwortlich ist wie PeñaNieto, tatsächlich nicht mehr im Amt sein. Man denkenur an den Empfang des damaligen amerikanischenPräsidentschaftskandidaten Donald Trump in Mexiko:ein schwerer Fehler.

Warum?Weil der Empfang dazu beitrug, dass Trump Präsidentwurde. Ich war damals in den Vereinigten Staaten. Die

Republikaner waren von Trump alles andere als begeis-tert. Aber nach seinem Mexiko-Besuch haben sie zu mirgesagt: „For the first time he looked presidential“ – zumersten Mal sah er aus wie ein Präsident. Diese Gelegenheithat ihm unser Präsident verschafft.

Peña Nieto gehört der PRI an. Hat die Partei durch denzwischenzeitlichen Regierungswechsel an Macht eingebüßt?Nein. Die Macht in Mexiko liegt in den Regionen: in denRathäusern, bei den Drogenbossen, mit denen sie koope-rieren, bei den Gouverneuren. Die meisten Gouverneurekommen nach wie vor von der PRI.

Bei der jüngsten Wahl im wichtigsten Staat des Landes, demEstado de México, hat der Kandidat der PRI Geldkartenan die Wähler verteilt, die sich im Fall seines Wahlsiegesaktivieren sollten.Die PRI hat ein korruptes, patrimoniales System geschaffen.Auch Peña Nieto hat in seinem Wahlkampf den Leutendirekte materielle Vorteile versprochen. Das wollen vieleMenschen. Denn in unserem hierarchischen System,das einer Pyramide gleicht, sind sie daran gewöhnt, dassdie Zuteilungen von oben kommen. Viele interessiertes dann nicht, ob der Zuteiler korrupt ist oder nicht.Deswegen genießt der Drogenhandel in Mexiko aucheine gewisse soziale Anerkennung. Die Narcos, wie wirdie Drogenbosse nennen, werden ja nicht überallverabscheut, sondern an manchen Orten sogar bewun-dert. Weil sie mit dem Drogengeld auch Krankenhäuserfinanzieren oder Straßen bauen. Octavio Paz hat dieFigur des helfenden Anti-Heros 1979 in einem Buchbeschrieben. Auf Deutsch heißt es: „Der menschen-freundliche Menschenfresser“.

Der Journalist Javier Valdes Cárdenas, der vor kurzemermordet worden ist, bezeichnete Mexiko als „Narco-Staat“.Hatte er recht?Je nach Bundesstaat trifft das mal mehr, mal weniger zu.Aber im Grunde stimmt seine Einschätzung. Zum Bei-spiel die Golfregion: Seit 15, 20 Jahren sind alle Parteien,die dort Politik machen, mit dem Drogenhandel verban-delt. Auch Sinaloa, Javiers Heimat, ist von der Drogen-kriminalität total infiltriert. Ich habe mit ihm mehrmalsüber diese Dinge gesprochen.

Sahen die Drogenbosse in ihm eine Gefahr fürs Geschäft?Die Bosse kümmert es wenig, wie sie von Journalistengesehen werden. Wer aber sehr wohl Angst vor Journa-listen hat, sind Unternehmer, Soldaten, Polizisten,Politiker. Sie fürchten, dass ihre Beziehungen zu den

Der mexikanische SchriftstellerJuan Villoro über korruptePolitiker, beliebte Drogenbosse,heuchlerische Amerikanerund den richtigen Weg im Kampfgegen die Narcos

KARNEVALIN DERAPOKALYPSE

MÉXICOMI AMOR

übergehen könnte – aber sie wurde bitterenttäuscht. 2006 brach der frisch gewähltePräsident Felipe Calderón einen Krieggegen die Drogenbanden vom Zaun, deralles noch viel schlimmer machte und diePRI zurück an die Macht brachte.

Andererseits hat Winslow aber nur be-dingt Recht. Denn die mexikanischen Re-gierungen sind nicht wie ein Gottesurteilüber das Land gekommen, sondern fandendort gute Bedingungen vor. Die mexikani-sche Gesellschaft war immer schon sehrhierarchisch strukturiert. Angefangen beiden Azteken über die Kolonialzeit bis hinzur Herrschaft der PRI sind die Leutedaran gewöhnt worden, Entscheidungenvon oben hinzunehmen, statt sich selbst zubeteiligen. Auch das irritierende Neben-einander von brutaler Gewalt und exzessi-vem Lebenshunger, das der SchriftstellerJuan Villoro „Karneval in der Apokalypse“nennt, hat in Mexiko eine gewisse Tradi-tion. Wie schrieb Paz über die Fiesta?Sie sei ein wahnsinniges Spiel, bei dem„die Seelen knallen wie Farben, Stimmen,Gefühle“, das aber auch böse ausgehenkönne. Es gebe Beleidigungen, Streit, Mes-serstiche, Schießereien. Hatte Breton viel-leicht doch recht, als er Mexiko „das sur-realistische Land par excellence“ nannte?

Darauf antwortet Villoro trocken: „Ichbevorzuge bei der Beschreibung des Lan-des die Mittel der Rationalität, Max Weberzum Beispiel. Er hat die Unterscheidungzwischen Gemeinschaft und Gesellschaftgetroffen. Die Gesellschaft in Mexiko istein Desaster. Eine Gesellschaft lebt vonder Einhaltung von Gesetzen, von der

Neutralität der Justiz, von der Ehrlichkeitder öffentlich Bediensteten. Das funktio-niert in Mexiko überhaupt nicht. Aber dieGemeinschaft, die von der Kultur lebt,den Gefühlen, den familiären Bindungen,den Zeremonien, die ist in Mexiko außer-ordentlich.“

Das kann ich, als Landsmann von MaxWeber, nur bestätigen. Wie schön siewaren, die drei Wochen Reise zurück indie Vergangenheit, an der traumhaftenRiviera Maya und im bescheidenen Heimvon José Luis in Mexiko-Stadt. Das Lebenhat es unserem Freund in den vergangenen15 Jahren nicht immer leicht gemacht,sein Land auch nicht. Aber wenn dieMexikaner etwas können, dann dulden undtrotzen. An einem unserer letzten gemein-samen Abende gingen wir zusammen ins„Tenampa“, ein legendäres Mariachi-Lokalan der Plaza Garibaldi. Eine deutsche Reise-gruppe kam herein und ging nach demoffenbar im Reisepreis enthaltenen GlasTequila wieder hinaus. José Luis wollte,dass die Mariachi für mich und meinePartnerin spielen. Er werde uns einladen,sagte er. Er hätte es bei einem Lied be-wenden lassen können, zumal er zur Zeitknapp bei Kasse ist. Aber er zahlte nocheins. Es war schön, mit den Mariachi, aberzwei Lieder hätten gereicht. Trotzdemzahlte er, sichtlich stolz auf die Traditionseines Landes, noch eins. Und, weil manja nicht wisse, wann man sich wieder sehe,noch eins. Und dann noch das letzte: „Laúltima y nos vamos.“

Man muss sie nicht verstehen, die Mexi-kaner, aber lieben schon.

49MEXIKO

PabloZur Mauer hat PabloGermenos Martinez,25 Jahre, Architektur-student aus Mexiko-Stadt, eine klareMeinung: „Das sinddoch alles Fake News!“

Juana„Die Mauer? Ach,die interessiert michnicht“, sagt Juana,75 Jahre alt, Rentnerinaus Tulum. „Nein,nein, das ist mir egal,ich lebe mein Leben.“

Narcos auffliegen. Ich glaube deshalb, dass die, die Javiertöten ließen, Leute der Regierung sind.

Wenn Sie so etwas öffentlich sagen: Haben Sie da nicht auchAngst um Ihr Leben?Javier sagte mal: Du musst nicht bedroht werden, um zuwissen, dass sie dich töten wollen. Tatsächlich leben vielevon uns mit Drohungen, auch ich. Das betraf bisher aberstärker die Journalisten, die in der Provinz arbeiten, vorallem die unbekannten. Der Mord an Javier, der ein in-ternational bekannter Journalist war, markiert so geseheneine neue Eskalation. Er war übrigens kein Verrückter,kein Draufgänger. Er passte sehr gut auf, was er sagte.

Kann man etwas tun, um den Kampf gegen die Narcos dochnoch zu gewinnen?Wir müssen die Geldflüsse besser erforschen, um zuerfahren, wer wie tief mit im Sumpf steckt. Kolumbienhat das gemacht. In der Folge wurde dort ein Drittelder Abgeordneten verhaftet. Das war hart. Aber nochhärter ist es, wenn man nicht weiß, wer mit den Narcoszusammenarbeitet. Das ist die Situation in Mexiko.

Was halten Sie davon, den Drogenhandel mit dem Militärzu bekämpfen?Der frühere Präsident Felipe Calderón von der ParteiPAN hat 2006 zwei Wochen nach seiner Wahl den Krieggegen den Drogenhandel erklärt. Das war ein riesigerFehler. Er hatte diesen Krieg im Wahlkampf nicht ange-kündigt, er hatte über ihn nicht mit seiner Partei beraten,er hatte ihn nicht vor den Kongress zur Abstimmunggebracht. Das war ein Ein-Personen-Krieg, mit demZweck, die damaligen Debatten über einen möglichenWahlbetrug in den Hintergrund zu drängen.

Wie ist die Bilanz dieser Politik?Mehr als 100.000 Tote, mehr als 30.000 Verschleppte in

sechs Jahren – und die Rauschgift-Syndikate sind stärkerdenn je. Calderón wollte eine militärische Lösung für einkomplexes soziales Problem. Das konnte nicht gutgehen.Er selbst hat in einer Rede mal gesagt, es gebe in Mexikomehr als sieben Millionen „Ninis“, das sind Jugend-liche, die weder arbeiten noch studieren, die keinerleiPerspektiven haben. Und was hat er dagegen gemacht?

Nichts. Man muss diesen Kindern Alternativen bieten:berufliche, sportliche, kulturelle, religiöse. Wenn mandas nicht tut, ist die nächstliegende Quelle für Geld undPrestige eben der Drogenhandel.

Donald Trump sagte über die Mexikaner, sie brächtenDrogen und Kriminalität nach Amerika.Das sagt der Präsident des Landes, das der größteWaffenproduzent und der größte Drogenkonsument derWelt ist. Wir Mexikaner kennen unsere Narcos mitVor- und Zunamen, in den Vereinigten Staaten bleibendie Profiteure des Drogenhandels im Verborgenen.Auch auf anderen Feldern ist die Politik der Amerikanerheuchlerisch. Sie wissen, sie brauchen mexikanischeArbeitskräfte, und gleichzeitig verhindern sie, dass dieMexikaner auf legale und regulierte Weise in ihr Landkommen können. Barack Obama hat mehr Mexikanerdeportiert als jeder andere amerikanische Präsident.Er machte das freundlich, wie er alles freundlichmachte, aber am Ende war er das lächelnde Gesichtder Deportation. Trump hat sich auf diese Situationdraufgesetzt und eine schreckliche Rhetorik begonnen,die er bis heute nicht aufgegeben hat, rassistisch unddiskriminierend gegenüber Mexiko.

Was wir bisher besprochen haben, klingt alles ziemlichdramatisch. Wie passt dazu, dass man in Mexiko trotz allemein schönes Leben und viel Spaß haben kann?Mexiko ist ein schizophrenes Land. In bestimmtenRegionen des Landes, die etwa vom Drogenhandel nichtso betroffen sind, kann man gut leben. Aber auch dieseZonen sind fragil. Man weiß nie, wann das Mexiko derApokalypse dem Mexiko des Karnevals in die Querekommt. Oft leben wir beides zur selben Zeit: den Karne-val in der Apokalypse. Lange kann das nicht gutgehen.

Die Fragen stellte Timo Frasch.

Der Autor Juan Villoro, geboren am 8. September 1956, ist einerder wichtigsten Intellektuellen Mexikos. Er hat Soziologie studiertund war DJ, Journalist und Kulturattaché in der DDR. Foto AFP

50 REISE

Grüßeaus

Nicht der ApostelJakobus, sondern Martinvon Tours wacht überder beliebtesten Pilger-Herberge in Santiagode Compostela. DerHeilige, der einst seinenMantel mit einem Bettlerteilte, ist Schutzpatronder Hospedería SanMartín Pinario. Die Lagedes Benediktinerklostersist ideal: genau gegen-über der Kathedrale.

Im Mercado de Abastosgibt es galicischen Käse,Queixo Tetilla, und LacónGallego (Schinken). AuchJakobsmuscheln dürfenin Santiago nicht fehlen.Sie sind seit dem elftenJahrhundert als Pilger-zeichen belegt und werdenan Hüten und Wander-stöcken getragen. Manchernimmt die Pilgermuschelsogar mit in sein Grab.

Die Pilger kommen aus aller Welt,einige mit Kreuz, fast alle mitSmartphone. Die Compostela,die Pilgerurkunde, steht jedemzu, der die letzten 100 Kilometerdes Jakobswegs zu Fuß oder dieletzten 200 Kilometer per Fahrradoder Pferd zurückgelegt hat. Belegsind Stempel im Pilgerausweis,die es entlang der Route gibt.

Auf dem Dach der Kathedrale reicht der Blicküber die Altstadt, die 1985 zum Unesco-Welt-kulturerbe erklärt wurde. Bis zum einstigen„Ende der Welt“ kann man nicht sehen.Allerdings lohnt sich der Weg zum 90 Kilometerentfernten Kap Finisterre, wo Pilger früher ihreabgetragenen Schuhe in den Atlantik warfen.

Spaniens Nationaldichter ist kein Sohnder Stadt, trotzdem wird der Autordes „Don Quijote“ besonders geehrt.Die Cervantes-Büste auf einer Säuleüberragt einen Brunnen, an dem sichdie Bewohner früher erfrischten undPilger ihre Füße kühlten. Währendder Inquisition stand hier ein Galgen.

Die galicische Küche gilt als einfachund ist besonders vomMeer geprägt.Krabben und Garnelen, Austernund Muscheln sind überall in denGassen des Pilgerstädtchens zuhaben. Und natürlich Pulpo a lagallega, gekochter Oktopus, der mitKartoffeln und auf einem schlichtenHolzteller serviert wird.

Pilgern kann so schön sein. Auch ohneWanderschuhe und Wanderstab.

Von Peter-Philipp SchmittFotos Norbert Franchini

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Wer es als Pilger bis in dieKathedrale geschafft hat, derbesucht als erstes die Gebeinevon Jakobus dem Älteren. Schonim ersten Jahrhundert sollen sienach Spanien gelangt sein. Dafürsteigt man über eine Treppe inden prachtvollen Hauptaltar,um dort von hinten „Sant Jago“zu umarmen. Die Figur birgtangeblich die Apostel-Reliquie.za

51WEIN

Herr Heinz, Ornellaia gilt als Kultwein. Was heißt Kult?Na ja, mit manchem Etikett, das wir verpasst bekommen,können wir als Weingut nicht unbedingt etwas anfangen,und dieses Schlagwort ist heute sehr verbreitet.

Nehmen wir an, Kult sei etwas, das hohes Ansehen genießt.Das könnte zutreffen. Ein Gradmesser dafür: dass einsolcher Wein von Sammlern gesucht wird, und das trifftauf Ornellaia zu. Außerdem spielt der Seltenheitswert eineRolle, wobei das Etikett Kult sowohl Weine bekommen,von denen nur ein paar tausend Flaschen produziertwerden, als auch solche, von denen es jedes Jahr Hundert-tausende gibt. Der Begriff ist dehnbar.

Was sind denn die wegweisenden Qualitäten von Ornellaia?Die Toskana war in den siebziger und achtziger Jahren ineinem großen Umbruch. Es wurde die Idee geboren,dort nicht nur eingängige Alltagsweine zu produzieren,sondern auch hochwertige Weine, die mit den damalsübermächtigen großen französischen Weinen konkurrie-ren konnten. In dem Zusammenhang war Ornellaia nichtdas einzige, aber eines der wegweisenden Weingüter.

Diese Weine, wie zum Beispiel der Sassicaia, der Luce undder Tignanello, werden als „Supertoskaner“ oder „Super-tuscans“ bezeichnet. Was ist so super an diesen Tropfen?Der Begriff ist entstanden, weil man damals nicht wusste,in welche Schublade man diese neuen Weine steckensollte. Viele dieser Tropfen wurden außerhalb derbestehenden Richtlinien für verschiedene Herkunfts-bezeichnungen hergestellt. Die Winzer empfanden dieVorgaben als nicht qualitätsfördernd. Sie wollten experi-mentieren und sich keine Regel aufdrücken lassen.

Ging es nicht auch um die Rebsorten?Ja, viele dieser Weine wurden nicht aus den in derToskana üblichen Traubensorten wie Sangiovese gekeltert,sondern aus ursprünglich französischen Sorten wieCabernet Sauvignon und Merlot. Aber auch reinsortigerSangiovese war unüblich und bekam keine Herkunfts-

bezeichnung. So konnten all diese Weine nur als einfacheTafelweine etikettiert werden – was bald dazu führte, dasseinige der berühmtesten Weine der Toskana unter eineräußerst schlichten Bezeichnung angeboten wurden.Deshalb hat dann die angelsächsische Presse die Kategorieder „Supertuscans“ erfunden, um zu verdeutlichen, dass essich nicht um Allerweltsweine, sondern um die exklusivs-ten Weine der Toskana handelte. Heute klingt das schonwieder historisch. Denn schon bald gab es eine regelrechte„Supertuscan“-Mode, ohne dass man definieren konnte,was einen solchen Wein nun tatsächlich ausmacht. DerTerminus bezieht sich heute eher auf die Gruppe derPionier-Weine, die die Entwicklung angestoßen haben.

Ist ein solcher Erfolg planbar?Man kann es nicht vollständig beeinflussen. Natürlichwollte man mit diesen Weinen etwas Besonderes erschaf-fen. Aber das kann nur dort entstehen, wo die Grund-voraussetzungen vorhanden sind. Und es braucht beson-dere Momente: dass man das Glück hat, zur richtigenZeit am richtigen Ort die richtige Idee zu haben.

Und wer hatte die Idee, mit französischen Rebsorten unddem Bordeaux-Blend Toskana-Weine zu machen? Weinbera-ter Michel Rolland, der auch für Ornellaia tätig ist?Nein, er ist später dazugestoßen. Diese Rebsorten warenin der Toskana nicht so unbekannt, wie man heute denkt.Es gab sie durchaus, aber am Rande. Die Grundidee,aus ihnen einen großen Wein zu machen, kann man demGründer von Sassicaia, Mario Incisa della Rocchetta,zuschreiben, der Ende der vierziger Jahre in der Nähevon Bolgheri in der Maremma Cabernet Sauvignon undCabernet Franc angepflanzt hat. Das Gut Ornellaiawurde in direkter Nachbarschaft 1980 gegründet undkam 1988 mit dem 1985er als erstem Jahrgang heraus.Dann erst kam Michel Rolland hinzu.

Der Ornellaia ist sofort ein riesiger Erfolg gewesen.Ja, eine gewisse Pionierarbeit hat das Gut vor allem mitder Einführung des Merlot als Ergänzung zum Cabernet

„Handarbeit undIndividualität“

Sauvignon geleistet, an den damals in der Toskanapraktisch niemand gedacht hat. Inzwischen werden ineinigen Teilen der Toskana vielleicht die einzigen ganzgroßen Merlots außerhalb von Bordeaux erzeugt.

Mit dem 1998er Ornellaia kam dann der Durchbruch. Der„Wine Spectator“ feierte ihn als besten Rotwein der Welt.Ein wichtiger Moment, aber nicht der entscheidende. DerRuf des Weins hatte sich schon etwas früher etabliert, aberder internationale Blick hat sich dann natürlich besondersauf Ornellaia und die Toskana gerichtet.

Wie wird man als Weinmacher, der Sie seit 2005 sind, einemsolchen Anspruch gerecht?Glücklicherweise hat man selten Zeit, sich über so etwasGedanken zu machen. Es gibt einen gewissen Erwar-tungsdruck, aber wir wollen in erster Linie unseremeigenen Anspruch gerecht werden.

Wie ergeht es Ihnen denn als Deutscher mit französischerMutter und Weinausbildung im Bordeaux in Italien?Wenn die Italiener die Wahl haben, ob lieber ein Deut-scher oder ein Franzose als Direktor für das Weingutverantwortlich sein soll, dann ist doch der Deutsche dieerste Wahl, das hört sich für sie solider an. Mit denFranzosen gibt es immer diese alte Konkurrenz. Für meineMitarbeiter bin ich also eher der Deutsche, persönlichfühle ich mich aber auch als Franzose.

Jetzt müssen wir dringend über Geld sprechen: Eine FlascheOrnellaia kostet etwa 150 Euro. Ist das gerechtfertigt?Es ist wie bei jedem anderen teuren Produkt auch:Gerechtfertigt ist der Preis, den der Konsument zu zahlenbereit ist. Natürlich gibt es vor allem beim Wein dieseNeigung zu glauben, dass ein Tropfen desto besser seinmuss, je teurer er ist. Aber das ist natürlich nicht so.Selbstverständlich geht es um handwerkliche Qualität,also Handarbeit im Weinberg, Handlese, Handarbeit imKeller, Ausbau in hochwertigen Fässern und diese Dinge.Aber das ist nicht alles. Den Unterschied macht dann aus,ob der Wein am Ende einen ganz eigenen, individuellenCharakter hat, der den Geschmack des Publikums trifft.

Aber Ihr Masseto, der nur aus Merlot gekeltert wird undeinen unglaublichen Ruf genießt, kostet sogar mehr als600 Euro je Flasche.Ein Element ist natürlich auch die Rarheit. Gäbe es denMasseto in der gleichen Auflage wie den Ornellaia, wärees sicher etwas schwieriger, dafür einen solchen Preis zuerzielen. Aber es gibt auch noch andere wichtige Attribute,zum Beispiel die Geschichte des Weinguts und des Weins.Vor allem aber zählt die Individualität eines Tropfens.

Und was macht jemand, der sich Ihren Wein nicht leistenkann oder nicht leisten will?Wir haben einen wunderbaren Zweitwein, „Le SerreNuove“, er kostet weniger als 40 Euro, als preisgünstigereund zugänglichere Ergänzung zum Ornellaia. Dem ister unter anderem in Sachen Tiefgründigkeit und Kom-plexität natürlich unterlegen. Aber er spiegelt die Stilistikund die Grundphilosophie des Weinguts wieder.

Und was ist Ihr Lieblingsgericht zum Ornellaia?Zum 1998er habe ich einmal Tournedos Rossini gegessen,also Rinderfilet mit Gänsestopfleber und Trüffeln – einetolle Paarung, weil das Gericht viel von der Üppigkeit hat,die auch den Ornellaia auszeichnet.

Die Fragen stellte Peter Badenhop.

Axel Heinz, 1971 als Sohn einesdeutschen Vaters und einer französischenMutter geboren, absolvierte seineWeinausbildung im Bordeaux. Danachwar er als Weinberater in Macau undspäter als Önologe für Château FourcasLoubaney, Château La Dominiqueund Château La Commanderie deMazeyres Pomerol tätig. Seit 2005ist er Weinmacher für Ornellaia, seit2015 auch Gutsdirektor.

Foto Wonge Bergmann

Axel Heinz, der deutsche Direktor des toskanischen Weinguts Ornellaia,über Experimentierdrang, Erfolgsrezepte – und hohe Preise

52 REISE

langen Theke ist für örtliche Verhältnissegedämpft. Neben deutschen Mallorca-Schlagern wird auch Latino-Musik ge-spielt. Sangria gibt es nur aus Gläsern undnicht aus Kübeln wie früher. Das minima-listische Design und der Sonnenschutz ausNaturholz veranlassten die deutschspra-chige „Mallorca-Zeitung“ dazu, die reno-vierte Bude als „Reformhäuschen“ zu be-zeichnen. Hinter der verkehrsberuhigtenStrandpromenade, die mittlerweile aucheinen Fahrradweg hat, wachsen neben derBier- und Schinkenstraße immer mehrverglaste Vier- und Fünf-Sterne-Hotelsin die Höhe, umgeben von riesigen Pool-Landschaften.

Bisher können sich viele deutsche Be-sucher den Ballermann ohne „Bierkönig“oder „Oberbayern“ nicht vorstellen. Dochnicht nur an der Playa de Palma machtman sich Gedanken, wie es mit dem Tou-rismus weitergehen soll, von dem die Insellebt. Jedes Jahr wächst die Zahl der Urlau-ber. Mittlerweile sind es so viele, dass sichimmer mehr Einheimische in die Enge ge-drängt fühlen. 2016 kamen 15,4 MillionenTouristen auf die vier Balearischen Inselnmit ihren 1,1 Millionen Einwohnern. Von2010 bis 2016 verdoppelte sich die Zahlder Urlauber alleine auf Mallorca vonknapp sechs auf rund elf Millionen. Imlaufenden Jahr steuert ganz Spanien aufeinen neuen Touristenrekord zu: Bis Aprilreisten knapp 20 Millionen ins Land – ein

Fünftel mehr als im selben Zeitraum desVorjahres. Nach 75 Millionen auslän-dischen Besuchern im vergangenen Jahrkönnten es 2017 mehr als 80 Millionenwerden – in einem Staat, der selbst nur46 Millionen Einwohner hat.

Der Segen droht sich für manche ineinen Fluch zu verwandeln. Das Wort, dassie dafür verwenden, lässt sich nur schwerins Deutsche übersetzen. Von „Massifizie-rung“ sprechen Kritiker wie Xavier Mas.„Die Inseln verkraften nicht jedes Jahreinen neuen Touristenrekord. Wir brau-chen wenigstens ein Moratorium“, sagt derVorsitzende von Terraferida, einer Gruppevon Umweltaktivisten auf Mallorca, diebesonders in den sozialen Netzwerkenaktiv ist. Im Mai zogen knapp 200 einhei-mische Demonstranten mit Rollkoffern,weißen Socken und Sandalen als Urlauberverkleidet durch Palma, um gegen denMassentourismus zu protestieren.

In den engen Gassen der Altstadt ist anmanchen Tagen kein Durchkommenmehr, wenn im Hafen wieder ein halbesDutzend Kreuzfahrtschiffe anlegt und biszu 20.000 Passagiere an Land gehen. „Imvergangenen August gab es Tage, an denenwaren eine Million Bewohner und eineMillion Gäste gleichzeitig auf den Inseln“,sagt Mas. Das hat Folgen für Umwelt undVerkehr. Hätte es im Winter nicht so aus-giebig geregnet, wäre nach zwei trockenenJahren die Wasserversorgung akut gefähr-

Jahr für Jahr kommen mehr Touristen nach Mallorca.Nun ist die Insel am Ende des Machbaren angekommen– und steuert gegen. Von Hans-Christian Rößler

Zum Kübeln: Der Sauf-tourismus am Ballermannprägt seit Jahrzehnten dasImage der größten der vierBalearischen Inseln. DenMallorquinern passt dasschon lange nicht mehr. Sierufen zum Widerstand auf.

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det gewesen. Die drei Meerwasserentsal-zungsanlagen liefen monatelang auf Hoch-touren. Während der Saison sind bis zu100.000 Mietwagen auf den Straßen un-terwegs, auf denen es ähnlich eng wird wieauf dem Wohnungsmarkt.

Besonders in der Altstadt von Palma istimmer weniger Platz für die alteingesesse-nen Bewohner. Mit Ferienwohnungenlässt sich mehr Geld verdienen als mitnormalen Mietern. Terraferida zählte indiesem Jahr alleine auf der Buchungsplatt-form Airbnb fast 79.000 Übernachtungs-plätze in mehr als 11.000 Unterkünftenauf den Balearen. Knapp 300 MillionenEuro seien zwischen Januar 2016 undMärz 2017 verdient worden – und Airbnbist nicht der einzige Anbieter solcherPrivatunterkünfte. Bisher taten Stadt- undRegionalverwaltung wenig, um diese Ent-wicklung zu stoppen. Dabei finden dieMallorquiner, die für die Touristen arbei-ten, kaum bezahlbare Wohnungen.

Umso aufmerksamer beobachtet manauf der Insel, was seit Jahresbeginn aufdem Festland in Barcelona geschieht. Dortzog die Stadtverwaltung die Notbremse,nachdem im Jahr davor 32 MillionenBesucher in die Stadt mit 1,6 MillionenEinwohnern gekommen waren. Die Bür-ger wollen nicht, dass Barcelona sich in einzweites Venedig verwandelt. Im Januarverbot der Stadtrat den Bau neuer Hotelsim Zentrum. Für neue Ferienwohnungengibt es schon länger keine Lizenzen mehr.Tausende Vermieter kümmerte es nicht.Daher verhängte Bürgermeisterin AdaColau gegen die Portale Airbnb undHomeaway Geldbußen von mehr als einerMillion Euro. Auch auf Mallorca vermie-ten Tausende ohne die nötige Lizenz.

Vor allem die schnell wachsende Zahlder privat vermieteten Ferienwohnungenführt dazu, dass in ganz Spanien derWiderstand zunimmt – selbst im viel klei-neren San Sebastián an der Atlantikküste.Wo an den Hauswänden in dem Badeortnoch vor wenigen Jahren Graffiti der bas-kischen Terrororganisation Eta prangten,heißt es heute „Tourists go home“ odersogar „Tourists are terrorists“. ÄhnlicheInschriften kann man inzwischen auchan Hauswänden in Palma lesen.

ie Schuhsohlen kleben amBetonboden. Bier undWodka fließen so reich-lich, dass einiges daneben-geht. Aber das merkt beim

„Bierkönig“ niemand. Wenn Ikke Hüft-gold im gestreiften Trainingsanzug auf dieBühne stürmt, tanzen die meisten auf denrunden Tischen, und die Bierhalle an derPlaya de Palma tobt. Die Fans begrüßenden Sänger, der eigentlich Matthias Distelheißt und aus Limburg stammt, mit erho-benem Zeigefinger. Das gehört zum Ritual.Ohne Lieder wie „Dicke Titten, Kartoffel-salat“ und „Saufen ist Scheiße (wirmachen’s trotzdem)“ verlässt der König desBallerpunk nie die Bühne. Am Höhe-punkt seiner Show reißt der Vierzigjährigedann das Oberteil seines Trainingsanzugsauf. Bauch und Haare quellen hervor.

Die Menge tut alles, was der Sängerwill, der von sich sagt, er habe „das gnaden-lose Talent, alles zu wollen und nichts zukönnen“. Alle recken auf sein Kommandodie Hände in die Höhe oder wiederholenbegeistert seinen Ruf „Donald Trump istein Hurensohn“. Auf den Partys am Bal-lermann geht es politisch nicht immerallzu korrekt zu. Anfang Juni ertönte inder „Bierkönig“-Halle dann der Ruf „Aus-länder raus“. Ein Dutzend deutscheRechtsradikale entrollte während einesKonzerts der Sängerin Mia Julia dieReichskriegsflagge. Doch das Geschrei derMänner, die vergessen hatten, dass sie alsDeutsche auf der spanischen Insel selbstAusländer sind, ging bald in dem nochlauteren Ruf „Nazis raus“ unter. Die Poli-zei hatte am Tag darauf wenig Schwierig-keiten, die Männer am Strand zu finden –sie trugen Tätowierungen mit Nazi-Sym-bolen. Solche Vorfälle sind selten, aber siegehören zur „Malle“-Saison wie die jungenBriten im Nachbarort Magaluf, die nacktdie Strandpromenade entlangrennen.

„Palma, ein Zusammenleben in Har-monie“, heißt es auf den gelben Schildernam Strand. Große Piktogramme weisendarauf hin, dass in der „speziellen Ein-greifzone“ kollektive Besäufnisse und lauteMusik verboten sind – andernfalls drohenStrafen von bis zu 3000 Euro. Am Baller-mann will man weg vom Sauf- und hinzum Qualitätstourismus. „500 Meterschlechter Geschmack haben eine sehrschlechte Resonanz in ganz Europa“, sagtder Restaurantbetreiber Juan Miguel Ferrer,der mit mehreren Gastronomen und Hote-liers die Initiative „Palma Beach“ gegrün-det hat. Sie haben nichts gegen Partys.Aber sie sollen nicht ausufern und nichtmehr das Bild des kilometerlangen Sand-strands von El Arenal prägen.

Davon blieb auch die legendäre Strand-bude „Ballermann 6“ nicht verschont. Seitdem Beginn dieser Saison trägt sie denNamen „Beach Club Six“. Auf dem Dachprangt groß in Leuchtschrift die Abkür-zung „B06“, die eher an die Nummer einesFlugsteigs erinnert. Der Musikpegel an der

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Aphid bezeichnet auf Englisch die Blattlaus,könnte aber bald auch für dieses junge Label ausLondon stehen. Es bedient schon jetzt Kundenmit nicht so gefälligen Ansichten.

Popcorn istlängst zum Snackernährungs-wie stilbewussterMenschen geworden.Dieses hier(von Peppycorn)schmeckt nach Zimt.

Auf den Schaukeln vonHutschn haben nicht nurKinder das Gefühl, als würdeihnen die Welt gehören – siesind auch für Erwachsene.

Beim Trinken dieserFrank-Juice-Limonadebloß nicht an Schlumpf-eis denken, sondern andie köstlichen blauenFrüchte, die es so gibt,wie zum BeispielBlaubeeren.

Nein, hier zu sehen sind nicht die Requisiten für das Schönheitsregime eines 39 Jahre altenSingle-Mannes, der sich selbst als Kontrollfreak bezeichnet, sondern alle Produkte, die es von demHamburger Beauty-Label Less gibt. Selbstverständlich sind es nicht allzu viele.

Dieses Poster (Juniqe) hängtman am besten gut sichtbarin der Nähe der Wohnungstürauf, damit Gäste – inklusivealler Tinder-Bekanntschaften– gleich wissen, mit wemsie es zu tun haben.

Henry Poole ist mit seiner Arbeit an derLondoner Savile Row ungefähr so weit entferntvon digitalen Bodyscannern wie von Discounter-Praktiken. Zum Glück!

Alter VW-Bus, große Liebe: Es stört einen nicht, wenn er 40 Kilometer pro Stunde fährt, wo auch70 gingen. Und mit der Konzernkrise hat der Bulli natürlich nichts zu tun. Taugt also auch alsPuzzle. (Ravensburger)

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Bedeutende Dinge,Menschen, Ideen,Orte und weitere

Kuriositäten,zusammengestellt vonJennifer Wiebking

CHEERS VOMFINANZAMT... zumindest vom britischen, dennlaut Wein- und Spirituosenverband(WSTA) haben der Gin-Durst, diediversen Gin-Tastings, die vielenkleinen Trend-Gin-Labels ordentlichSteuern in die Staatskassen gespült.2016 waren es 250 Millionen Pfundmehr als im Jahr zuvor.

Bei Kleine Feine Leute dürften selbst KinderSpaß am Onlineshopping haben. Umso mehr,wenn sie auf Hemden wie dieses stoßen.

Im Jahr 1950 widmete der Juwelier HansStern dem ersten Satelliten im All eineSchmucklinie. Sputnik gibt es bis heute,jedenfalls in Privatsammlungen und beiausgesuchten Vintage-Schmuckhändlernwie Die Halsbandaffaire.

Mit der Biobrush aus Berlin putzt es sich nichtnur umweltfreundlicher. Die Teile weisen nebenbeiauch darauf hin, dass eine schicke Zahnbürsteweder bi- noch tricolor gehalten sein muss.

54 KUNST

m glücklichsten Fall haben Architekturund Design eine Schnittmenge mit derKunst. Bei Ettore Sottsass sind es dieselten gezeigten Werke und Skulpturenaus Glas, Kristall und Keramik, die den

Architekten und Designer als Künstler aus-weisen. Sottsass wurde vor bald 100 Jahren,am 14. September 1917, in Innsbruck ge-boren. Eigentlich wollte er Maler werden.Sein Vater, italienischer Abstammung undselbst Architekt, überzeugte ihn jedochdavon, Baukunst zu studieren.

Vielleicht ist von dieser ursprünglichenVorliebe für die Malerei der für Sottsassso bezeichnende lustvolle Umgang mit derFarbe geblieben. Farbe hatte für ihn fastden Rang der Form. Farben- und Formen-sprache ergänzen sich bei den mit buntengeometrischen Volumina gestalteten Häu-sern wie der Casa Wolf in Colorado (1985),der Casa Olabuenaga auf der Hawaii-InselMaui (1989) und der Bushaltestelle amKönigsworther Platz in Hannover mit demleuchtend gelben monumentalen X-Kreuz-gitter. Die effizient konzipierte Schreib-maschine Valentine, die er 1969 in knalli-gem Rot für Olivetti entwarf, wurde nichtnur wegen ihres cleveren Kompaktdesigns,sondern auch wegen ihrer Farbe zu einerDesign-Ikone.

Glas hat Sottsass von früh an fasziniert,weil man es gut gestalten und färben kann.Von 1947 bis zum Ende seines langenLebens – er starb am 31. Dezember 2007im Alter von 90 Jahren – kam er immerwieder mit Einzelstücken oder Serien aufdieses Material zurück. Er zeichnete dieEntwürfe und arbeitete für die Fertigungmit den besten Glasbläsereien zusammen.Mit Glasarbeiten wollte er Abstand vomAlltagsgegenstand nehmen. So entstandenin sechs Jahrzehnten neben frei konzipier-ten Vasen oder dekorativen Gegenständenzunehmend Glasarbeiten als reine Skulp-turen, bis hin zu Werken, die für ihndie symbolische Bedeutung von Fetischenund Totems annahmen. Die auf Glaskunstspezialisierte Einrichtung „Le Stanze del

AUS GLASGEBAUTZum 100. Geburtstagvon Ettore Sottsass:Zwei Ausstellungenin Venedig zeigen Werkedes Designkünstlersaus Glas und Keramik.Von Bettina Wohlfarth

Vetro“ auf der kleinen Insel San Giorgio,die dem Markusplatz in Venedig gegen-überliegt, zeigt zum Jahrestag erstmalseine umfassende Ausstellung mit mehrals 200 Werken, die vor allem aus Privat-sammlungen stammen. Angefangen beider ersten rundbäuchigen Vase von 1947,zeigt sie das erstaunliche Spektrum seinerBeschäftigung mit Glas.

Für die Serie „Memphis“ aus den Acht-zigern – eine Reihe vasenähnlicher Glas-skulpturen mit aufeinandergesetzten Reifen,Kegeln, Röhren, Dreiecks- oder Tulpen-formen in leuchtenden Farben – experimen-tierte Sottsass gemeinsam mit Glaskünst-lern aus Murano. Erstmalig verwendeteer chemischen Klebstoff (eine Häresie fürdie Murano-Tradition), um seine Freiheitbeim Kombinieren geometrischer Volumennicht aufgeben zu müssen. Und er hängtemit Silberdraht gläserne Formen an dieSkulpturenkörper. Sie tragen Namen wieLidia, Aristea, Eloride und scheinen einemganz persönlichen Pantheon mythischerFiguren anzugehören.

Das schwierige Material hat der Krea-tivität des Designers in sechs Jahrzehntenkeine Grenzen gesetzt. Oder vielleicht sindes gerade dieWiderstände, die ihn zu immerweiteren Überschreitungen beflügelten. Die

Keramik aus der „Dialogo“-Ausstellung Ettore Sottsass im Jahr 2006

Mehr als ein Hobby: Jahrzehntelang arbeitete Ettore Sottsass mit Glas – jetzt sind die Arbeiten endlich gesammelt zu sehen.

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bauchigen Kachina-Figuren, deren Faszina-tionskraft im fetischartigen Ausdruck undim phantasievollen Design liegen, tragenrunde Augen und längliche Auswüchse,sind transparent oder farbig, geringelt oderglänzend schwarz. Ganz anders die knapp20 Glasskulpturen, die Ettore Sottsasszwischen 1999 und 2005 für das Millenni-um House in Doha entwarf: Die graziösenSkulpturen aus durchsichtigen Farbglas-röhren, Plättchen, Stangen und Kuben,montiert auf Marmorsockel, zeigen seinVergnügen am Spiel mit Form und Farbe,mit Gleichgewicht und Material. Für Sott-sass war Glas „geheimnisvoll, transparentund zerbrechlich zugleich“.

Auch die Keramik reizte den Design-künstler jahrzehntelang. Die Ausstellungzu den Keramikarbeiten zwischen 1957und 1970 lässt sich im ehemaligen Show-room von Olivetti – für die Firma hatteSottsass bis in die achtziger Jahre entwor-fen – in den Prokuratien an der Piazza SanMarco besichtigen. 1957 hatte sein vene-zianischer Architektenkollege Carlo Scarpadas Innendesign für die etwas düsterenRäume des „Negozio Olivetti“ entworfen.Erst vor einigen Jahren wurden sie restau-riert, und der Mosaikboden leuchtet mitvier verschiedenen Farbbereichen um daszentrale Element der wie im Raum schwe-benden Treppe in hellem Marmor.

Der Ausstellungstitel „Dialogo“ ver-weist auf ein ästhetisches Zwiegesprächder beiden Architekten, die der Kurator,der Architekt Charles Zana, inszenierthat. Die Vasen aus der Serie „Ceramichedelle Tenebre“, die Skulpturen mit ihrenaufeinandergetürmten Form- und Farb-elementen oder die Teller der Serie „Cera-miche de Shiva“ mit Kreisen, Punkten undFarbfeldern – sie sind für diese Räume wiegeschaffen.

„Ettore Sottsass: The Glass“: Le Stanze del Vetro,Insel San Giorgio Maggiore, Venedig, bis zum 30. Juli.

„Dialogo“: Negozio Olivetti, Piazza San Marco 101,Venedig, bis zum 20. August

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och nie war das alte Auto sojung wie heute. Das Interesse amBlech von gestern wächst stän-

dig. Viele wissen nicht, wohin mit ihremGeld, und erhoffen sich vom neuen Schatzauf vier Rädern eine veritable Wertstei-gerung. Doch der wahre Oldtimer-Freundhat andere Beweggründe. Er liebt einfachdie alte Technik, die anderen Formenaus vergangenen Zeiten, das unmittelbareFahren ohne die elektrischen und elektro-nischen Helfer des 21. Jahrhunderts. Undjeder Oldtimer bringt als Zeitmaschine dieVergangenheit zurück. Es ist fast so, alssäße man in seinem alten Wohnzimmer.

Unser Wohnzimmer ist für einWochen-ende ein Ford Capri RS 2600 von 1971im Renn-Trimm. Knallorange mit dickenZusatzscheinwerfern, einem spartanischenInnenraum ohne dämmende Verkleidun-gen und Rückbank, dafür aber mit Über-rollbügel, Notaus-Schalter zwischen denSitzen, dickem Feuerlöscher und zweiSchalensitzen mit Hosenträgergurten.Außer dem herkömmlichen Cockpit hatder Ford noch drei Rundinstrumente(Voltmeter, Öldruck, Öltemperatur) undeine Batterie Schalter in der zusätzlichenMittelkonsole. Ein Startknopf, heute hyper-modern, und daneben heißt es „Benzin“,„Zündung“, „Lüfter“.

Darunter nochmal zwölf Knöpfe:„Pumpe 1“, „Pumpe 2“, „Stand R“, „Licht“und so weiter. Ein Gruppe-2-Auto der da-maligen Zeit eben. Der 2,6-Liter-V6-Mo-tor von Ford ist auf 2,8 Liter aufgebohrt,die Maschine leistet 235 PS. Mit solcheinem Capri hat Walter Röhrl 1972 seineKarriere begonnen. DenWagen übernahmdann das Team Jägermeister, lackierte ihnum auf die Team-Farbe Orange. EckhardSchimpf fuhr damit 1973 die RallyeMonte Carlo. Allerdings ist unser Caprinicht das Original-Auto, sondern eineidentische Replika. Tatsächlich echt sinddie Schilder der 73er-Monte-Carlo-Rallye.

Den eher kleinen Kofferraum belegenein Reserverad, die Starter-Batterie und

der Tank. Alles ist fest verschraubt. DerOriginal-Tank ist ausgebaut, die Renn-Auspuffanlage machte Arbeiten am Unter-boden notwendig, der Boden im Fond isterhöht. Und wir hatten uns schon gefragt,wie bei so wenig Platz da hinten nochjemand sitzen sollte. Der Füllstand desTanks ist nur hinten im Kofferraum aneinem Fallröhrchen abzulesen, die Tank-uhr in den Armaturen ist tot. Während derRallye müssen wir mittags nachfüllen, derVerbrauch dürfte so bei 25 bis 30 Liternauf 100 Kilometern liegen. Und der Tankfasst nur rund 40 Liter.

Wir fahren mit dem Capri die „PaulPietsch Classic“, die gut 570 Kilometerüber Straßen und Sträßchen im Schwarz-wald führt. Paul Pietsch (1911 bis 2012)war Rennfahrer und Verleger. Zu seinem100. Geburtstag wurde die Rallye vorsechs Jahren ins Leben gerufen. UnserBeifahrer ist kein Geringerer als ChristianGeistdörfer, der als Copilot von WalterRöhrl zwei Mal Rallye-Weltmeister warund zusammen mit Röhrl vier Mal –davon drei Mal nacheinander – die be-rühmteste und vielleicht wichtigste Rallyeder Welt, die von Monte Carlo, gewonnenhat. Und das mit vier verschiedenen Mar-

ken: Fiat, Opel, Lancia und Audi. Das istbis heute einmalig.

„Ich bin der Christian!“ Dann kann’sja losgehen. Doch zunächst werfen dievielen Knöpfe Fragen auf. „Die tun nichtszur Sache. Die unteren sind nur Sicherun-gen. Zündung und Benzin können wirgezogen lassen, den Lüfter brauchen wirvielleicht im Stau.“ Und der Drehknopfan der Handbremse? „Den brauchen wirauch nicht.“ Damit könne man die Brems-kraft zwischen der Vorder- und der Hin-terachse variieren, je nachdem, ob man aufSchotter oder Asphalt fährt. Geistdörferstellt mit dem Notaus-Schalter den Wagenscharf. Also Startknopf, und der Capribrüllt los. Laut, wirklich laut, wie einRennwagen eben. Später fragen viele, obnicht ein Achtzylinder unter der Haubesei. Ist es nicht. Wir gehören zum Teamder Autostadt in Wolfsburg, die zwar denFokus auf den VW-Konzern hat, in ihremAutomuseum „Zeithaus“ aber durchausRaum und Platz für andere Marken undHersteller hat. Der Capri ist das einzigeNicht-VW-Auto in dem Zehner-Team.

Mit Nummer 10 sind wir im Hunder-ter-Feld gleich dran. Wir fahren die erstenMeter. Überraschung: Der Capri kuppeltsich ganz leicht, wie ein Allerweltswagen.Aber der Lärm! Das Renngetriebe ist direktverzahnt, es macht so einen Krach, dasses gar den Motor übertönt. Nur im viertenGang, bei einer Übersetzung von 1:1,herrscht einigermaßen Ruhe. Schnell stel-len wir fest, dass der Capri viel zu kurzübersetzt ist, also doch nicht ganz detail-getreu. „So hätten wir keine Rallye gewin-nen können“, sagt Geistdörfer. Unter oh-renbetäubendem Lärm fährt die Replikahöchstens 120 Kilometer in der Stunde.Möglich wären eigentlich weit über 200.Wir können das Tempo nur abschätzen,weil der Tacho wegen der geänderten Über-setzung viel zu viel anzeigt. Die kleineMeilen-Skala kommt aber ungefähr hin.

Bei den allermeisten Oldtimer-Rallyesgeht es ohnehin ums gleichmäßige, nicht

ums schnelle Fahren. Ja, es gibt Sollzeitenauf den verschiedenen Etappen, aber dieverpasst man eigentlich nur, wenn maneine Panne hat oder sich verfährt. DieRoadbooks bei den von der MotorpresseStuttgart veranstalteten Fahrten – außerder „Paul-Pietsch-Classic“ gibt es noch die„Silvretta“ und die „Sachsen-Classic“ –sind aber immer fast perfekt. Und wennGeistdörfer, der für viele als bester Bei-fahrer der Welt gilt, das Sagen hat, kannsowieso nichts schief gehen.

Die Sieger werden wie auf einer Tem-po-Rallye bei den Wertungsprüfungen(WP) gekürt. 13 gab es bei der „PaulPietsch“, so wunderbare Aufgaben wie 200Meter in 28 Sekunden oder 30 Meterrückwärts in 15 Sekunden. Wer das genautrifft, hat die WP gewonnen. Gemessenwird mit Schlauch oder Lichtschranke.Der Beifahrer zählt die Zeit herunter. Vorallem bei Prüfungen, die ineinander ver-schachtelt sind, ist das anspruchsvoll,wenn es gilt, mit zwei Stoppuhren zuhantieren. Nach dem ersten Tag sindwir 41. Der Beifahrer ist anderes gewohnt.Immerhin gelingt einmal in einer WP einachter Platz. Am zweiten Tag nachmittagswechseln wir. Geistdörfer zeigt dem Rallye-Novizen sofort, dass er auch ein hervor-ragender Fahrer ist. Mit ihm am Steuergelingen ein zweiter und ein fünfter Platzin den Einzelprüfungen. Es reicht den-noch am Ende nur für Rang 40.

Der Rallye-Weltmeister nimmt es mitHumor. Er habe in seinem Leben schongenug gewonnen und fahre hier nur zumSpaß mit. Zwar gibt es auf diesen Rallyesimmer Ehrgeizlinge, die alles bierernstnehmen – wir haben sogar am Vortag einTeam mit eigenen Lichtschranken aufeinem großen Parkplatz trainieren sehen.Doch die Freude am Oldtimer steht imVordergrund. Christian Geistdörfer istübrigens selbst ein Fan. Der Original-Capri, mit dem Röhrl 1972 fuhr, ist inseinem Besitz. Er ist aber nicht orange,sondern wieder blau.

Der Ford Capri RS 2600 von 1971 macht viel Krach. Eine Oldtimer-Rallye mitChristian Geistdörfer, dem besten Beifahrer der Welt, ist nicht nur deswegen ein Knaller. Von Boris Schmidt

IN DER ZEITMASCHINE

Christian Geistdörfer, 64 Jahre alt, ist nicht nurein guter Copilot – die Fahrt wird es zeigen.

Capri in der Sonne: Der RS 2600 bringt Farbe in den Schwarzwald.

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57SCHÖNHEIT

Toll, wenn man gerade Ferien hatte. DieGesichtszüge sind entspannt, der Teint

gebräunt. Aber was, wenn man nicht in denSommer fährt? Mit diesen Produkten ist

man wie weggewesen.Illustrationen Jan-Hendrik Holst

LOOKSLIKE

SOMMER

Haarduft istsommers leichter alsParfum. Dieser vonOribe riecht nachCôte d’Azur.

After-Sun-Ölbraucht niemand,der den ganzen Tagam Schreibtischsitzt. Es sei denn, eshandelt sich um dasvon Clarins mitShimmer-Partikeln.

Den Urlaubern, diejetzt heimkehren,fehlen die dunklenRinge unter denAugen. Zaubert derConcealer von UndGretel auch weg.

Nach einem Tagam Meer sind dieHaare griffiger.Das Surf-Spray vonBumble and bumblekümmert sichdarum zu Hause.

Der Santorin-Blickauf dem Duschgelvon Korres tut aneinem November-morgen gut, kannaber auch im Julinicht schaden.

Das Bronze-Goddess-Puder von Estée Lauderhat verschieden dunkleTöne im Programm –zum Variieren nachStimmung, nicht nachBräune. (jwi.)Der Bronzer-Stick

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Dieser Lippenstiftin Fuchsia vonLipstick Queenträgt den schönstenNamen überhaupt:Endless Summer.

Jil Sanders Sunist eine Option,Bobbi BrownsBeach die andere füreinen alltäglichenSommerduft.

In schwerenMomenten muss esder Selbstbräunersein, zum Beispielder vom Tanning-Profi James Read.

FRAGEBOGEN58

Was essen Sie zum Frühstück?Ich trinke nur einen Kaffee aus einer Siebträger-Kaffee-maschine, nicht mit Kapseln. Mit Milch, ohne Zucker.Weil ich bis abends arbeite und also auch spät esse,brauche ich morgens nicht mehr.

Wo kaufen Sie Ihre Kleidung ein?Oft auf Reisen, weil man da mal was Neues sieht. Oderin kleineren Boutiquen. In Frankfurt gerne auch beiPfüller, wegen der großen Auswahl.

Hebt es Ihre Stimmung, wenn Sie einkaufen?Ja, sehr, ich gebe es zu. Man hat sich etwas Gutes getan,fühlt sich darin schön, dann geht es einem besser.

Was ist das älteste Kleidungsstück in Ihrem Schrank?Ein Mantel von Acne Studios, den ich mir vor acht Jahrengekauft habe: dunkelblau, maskulin, mit Schulterklappen.Ich werde jeden Winter darauf angesprochen. Er wirktdauernd so, als wäre er aus der neuesten Kollektion.

Was war Ihre größte Modesünde?Ich hatte Skaterschuhe mit fat laces, also dicken Schnür-senkeln. Und ich trug damals zwei verschiedene Chucks.

Tragen Sie zu Hause Jogginghosen?Ja, sehr gern.

Haben Sie Stil-Vorbilder?Ja. Auf Instagram folge ich vielen Frauen, die ich coolfinde, zum Beispiel der Dänin Pernille Teisbæk.

Haben Sie jemals ein Kleidungs- oder Möbelstück selbstgemacht?Nein, da bin ich unbegabt. Ich kann nicht mal dreiKerzenständer so auf den Tisch stellen, dass es gutaussieht.

Besitzen Sie ein komplettes Service?Ja, ich habe eins von meiner Oma geschenkt bekommen,von Hutschenreuther, mit Blümchenmuster. Sie hat sichdamals in den fünfziger Jahren sogar dafür verschuldet.

Mit welchem selbst zubereiteten Essen konnten Sie schonFreunde beeindrucken?Ich mache ein sehr gutes Risotto. Aber mein Lieblings-gericht: Grüne Soße mit Schnitzel. Schließlich bin icheine echte Frankfurterin, in Höchst geboren.

Welche Zeitungen und Magazine lesen Sie?Ich habe den „Spiegel“ abonniert. Und in der Redaktionlese ich viele Zeitungen von der F.A.Z. bis zur „taz“.

Welche Websites und Blogs lesen Sie?Da ich beruflich viel Aktuelles lese, bin ich privat gerneauf Instagram unterwegs und folge Landschafts- undNaturfotografen wie Alex Strohl. Oder zum BeispielNadia Meli aus Brighton. Wegen ihrer tollen Bilder willich unbedingt mal nach Brighton.

Wann haben Sie zuletzt handschriftlich einen Brief verfasst?Zum Geburtstag meines Freundes habe ich ihm einenlangen Brief geschrieben.

Welches Buch hat Sie am meisten beeindruckt?Benedict Wells: „Vom Ende der Einsamkeit“. Es geht umdrei Geschwister, die ihre Eltern bei einem Unfall ver-

lieren und unterschiedlich mit dem Verlust umgehen. Esist spannend, wie verschiedene Leser dieses Buch sehen.

Ihre Lieblingsvornamen?Wahrscheinlich Annemarie. Das ist aus Familientraditionmein zweiter Vorname. Wenn ich mal eine Tochterbekäme, würde ich sie so nennen.

Ihr Lieblingsfilm?„Garden State“, auch wegen des grandiosen Soundtracks.

Fühlen Sie sich mit oder ohne Auto freier?Mit. Ich bin in Bad Soden am Taunus groß geworden,und da ging mit 18 Jahren ohne Auto nichts. Fürdie Stadt habe ich aber jetzt immerhin ein Fahrrad.

Tragen Sie eine Uhr?Ja, immer meine Rolex Perpetual Datejust von 1974.

Tragen Sie Schmuck?Nur drei Eternity-Ringe an einem Finger: Einen habeich von meiner Familie bekommen, einen habe ichmir zur Scheidung gekauft, und einen hat mir meinFreund geschenkt.

Haben Sie einen Lieblingsduft?Ja. Schon seit Jahren ist das „Tobacco Vanille“ von TomFord. Bei Männern kommt mehr der Tabakduft durch,bei Frauen Vanille. Darauf werde ich viel angesprochen.

Was ist Ihr größtes Talent?Komplizierte Dinge in einfachen Worten erklären.

Was ist Ihre größte Schwäche?Ich bin besserwisserisch. Ich muss mich jeden Tag inRedaktionskonferenzen behaupten, und das färbt einbisschen auf mein Privatleben ab.

Womit kann man Ihnen eine Freude machen?Kleine Freuden können mir Hundebesitzer bereiten,wenn sie mich ihren Hund streicheln lassen.

Was ist Ihr bestes Smalltalk-Thema?Alles, was mit aktuellen Nachrichten zu tun hat.

Sind Sie abergläubisch?Unsere ganze Familie. Wenn einer von uns fliegt, müssendie anderen ihn anrufen und sagen: „Sag dem Flugzeug-fuzzi, er soll anständig fliegen.“ Wir haben auch eineWhatsapp-Gruppe. Da kann es schon mal passieren, dassjemand um sechs Uhr morgens schreibt: „Ist schonjemand wach? Ich brauche den Spruch!“

Wo haben Sie Ihren schönsten Urlaub verbracht?Zur Präsidentenwahl war ich im Herbst in Washington.Danach habe ich mit meinem Freund einen Road-Tripgemacht durch Städte wie Wilmington, Savannah oderCharleston. Generell gefallen mir Road-Trips, weil manso viel mitbekommt. Gerade waren wir in Norditalien.

Wo verbringen Sie Ihren nächsten Urlaub?Wir wollen nach Südafrika.

Was trinken Sie zum Abendessen?Wasser und Wein.

Aufgezeichnet von Alfons Kaiser.

Jedes Kind kennt sie, und immermehr Erwachsene kennen sie auch.Denn Jennifer Sieglar ist seit fünfJahren eine der Moderatorinnender Nachrichtensendung „logo!“ bei„KiKA“. Um 19.50 Uhr erklärt siedie großen Themen – und zwarso verständlich, lebensnah und trotzallem positiv, dass auch die Elternzuschauen. Die Vierunddreißig-jährige lebt in Frankfurt und istauch beim Hessischen Rundfunk imEinsatz. Mit ihrem „logo!“-Kollegenund Lebensgefährten Tim Schrederhat sie das Buch „Ich versteh dieWelt nicht mehr – Die wichtigstenNachrichten verständlich erklärt“geschrieben, das im Septembererscheint. Auch für Erwachsene.

Von Montag an bespielt Jennifer Sieglar unserenInstagram-Account: @fazmagazin

„SMALLTALK?NACHRICHTEN!“

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