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Automatisierung, Ergonomie, Sensoren CareJack Πdie ... fileTitelthema ΠBericht 602 wt...

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Titelthema – Bericht Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf wt Werkstattstechnik online Jahrgang 108 (2018) H. 9 602 Automatisierung, Ergonomie, Sensoren CareJack – die intelligente Softorthese zur Ergonomieunterstützung Automatisierte Echtzeit-Ergonomieanalyse und -Feedback für Industriearbeitskräfte J. Kuschan, H. Schmidt, J. Krüger Belastende körperliche Tätigkeiten sind – besonders bei älteren Arbeitskräften – der Grund für Rückenschmerzen, Schulterläsionen und Bandscheibenschäden. Dies sind gleichzeitig die drei Hauptursachen für Arbeitsunfähigkeit. Die in diesem Artikel vorgestellte intelligente Softorthese „CareJack“ präsentiert einen neuen Lösungsansatz zur Verbesserung dieser Situa- tion auf Basis einer automatisierten Echtzeit-Ergonomieanalyse und -bewertung. Ziel ist es den Benutzer auf unergonomische Bewegungen und Körperhaltungen hinzuweisen. Das System basiert auf Orthesen-integrierten Bewegungssensoren, einer intelligenten Echtzeit- Bewegungsdatenanalyse und einem integrierten Vibrationsfeedback. 1 Einleitung Industrielle Fertigungsprozesse wer- den immer stärker automatisiert, den- noch gibt es häufig Situationen sowie Arbeitsabläufe, in denen der Mensch auf Grund seiner kognitiven sowie hapti- schen Fähigkeiten und Flexibilität nicht ersetzbar ist. Dazu zählen besonders Bereiche in denen hohe adaptive Fähig- keiten durch wechselnde Anforderungen an die Produktion oder Umgebung benö- tigt werden. Ein Problem ist hierbei, dass viele manuelle Tätigkeiten in der Produk- tion mit hohen körperlichen Belastungen verbunden sind und häufig eine Über- belastung des muskuloskelettalen Sys- tems auftreten, besonders bei längeren repetitiven Tätigkeiten. Um körperliche Belastungen zu minimieren, werden in bei Industriearbeitsplätzen häufig Ergo- nomiebewertungen, zum Beispiel mittels eines EAWS (Ergonomic Assessment Work- sheet), durchgeführt. Nach Möglichkeit werden die Arbeitsplätze anschließend nach ergonomischen Richtlinien umge- staltet. Auch nach einer Umgestaltung oder der Ausstattung mit Hilfsmitteln, kommt es häufig vor, dass die Hilfsmittel häufig nicht genutzt werden oder Tätig- keiten zum Beispiel wegen Stress oder fehlendem Bewusstsein unergonomisch ausgeführt werden. Darüber hinaus sind Verfahren wie EAWS sehr von der subjek- tiven Wahrnehmung der Ergonomiebewer- ter abhängig. Für die Verletzungspräven- tion ist es besonders im Hinblick auf den demographischen Wandel notwendig die Bewegungsabläufe am Arbeitsplatz für diese Bewertungen individuell zu erfas- sen und dem Werker ein System zur Ver- fügung zu stellen, welches ihn unter- stützt die Bewegungen ergonomisch aus- zuführen. Eine Unterstützung kann hier- bei aktiv, zum Beispiel durch Exoskelette oder passiv, zum Beispiel durch Ergono- mieschulungen oder Kraftumleitungs- systemen erfolgen. Bisherige Exoskelett-Konzepte zur Kraftunterstützung weisen eine geringe Usability bei gleichzeitig hohem techni- schem Aufwand auf, unter anderem hin- sichtlich der großen Anzahl mit Antrie- ben zu unterstützender Bewegungsfrei- heitsgrade und hohem Energiebedarf mit mobilen Energiespeichern. Der „Body Extender“ [1] ist ein typischer Vertreter dieser Art und umgeht die schweren Energiespeicher, indem er an eine exter- ne Stromquelle angeschlossen wird. Im Gegensatz dazu verfolgen passive Systeme, wie das „Mate Exoskeleton“ [2] von Comau oder das „Ortas“-System von Otto Bock [3] einen Leichtbau-Ansatz, bei dem die Kraft über ein Federsystem vom Oberarm- und Schulterbereich in den Rücken geleitet wird. Andere Systeme wie „Cuela“ [4] beschränken sich auf das Erkennen von Rückenbelastungen für Schulungszwecke oder ähnlichem. Häufig sind kraftunterstützende Sys- teme jedoch eigentlich nicht notwendig, da Arbeitsplätze in der Regel nach ergo- nomischen Kriterien eingerichtet und entsprechende Schulungen durchgeführt wurden. Entsprechend ist es wichtig, dass die Menschen für ergonomische Bewe- gungsabläufe sensibilisiert werden. Hier setzt das CareJack-Konzept an, indem es eine Softorthesen-integrierte Echtzeit- Bewegungsmessung und intelligente Analyse mit Benutzer-Rückmeldung, mit einer ergänzenden passiven oder gerin- gen aktiven Oberkörper-Kraftunterstüt- zung kombiniert. CareJack, an intelligent soft orthosis für ergonomics support – Automated real-time ergonomics analysis and feedback for industrial workers Stressful physical activities are main reason for back pain, shoulder lesions and disc damage. These are the three main reasons for disability. „CareJack“, a smart soft orthosis presented in this article, represents a novel approach to improve the workplace situation through auto- mated real-time ergonomic analysis and assessment in order to indicate unergonomic move- ments or body poses to the user. The system is based on integrated movement measurement sensors, intelligent real-time movement data analysis algorithms and an embedded vibration feedback module. Jan Kuschan, M. Sc., Dipl.-Ing. Henning Schmidt, Prof. Jörg Krüger Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK Pascalstr. 8–9, D-10587 Berlin Tel. +49 (0)30 / 39006-205 oder -149 oder -184 Fax +49 (0)30 / 3911037 E-Mail: [email protected] (J. Kuschan); [email protected] (H. Schmidt); [email protected] (J. Krüger) Internet: www.ipk.fraunhofer.de
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Page 1: Automatisierung, Ergonomie, Sensoren CareJack Πdie ... fileTitelthema ΠBericht 602 wt Werkstattstechnik online Jahrgang 108 (2018) H. 9 Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co.

Titelthema – Bericht

Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorfwt Werkstattstechnik online Jahrgang 108 (2018) H. 9602

Automatisierung, Ergonomie, Sensoren

CareJack – die intelligente Softorthese zur ErgonomieunterstützungAutomatisierte Echtzeit-Ergonomieanalyse und -Feedback für Industriearbeitskräfte

J. Kuschan, H. Schmidt, J. Krüger

Belastende körperliche Tätigkeiten sind – besonders bei älteren Arbeitskräften – der Grund für Rückenschmerzen, Schulterläsionen und Bandscheibenschäden. Dies sind gleichzeitig die drei Hauptursachen für Arbeitsunfähigkeit. Die in diesem Artikel vorgestellte intelligente Soft orthese „CareJack“ präsentiert einen neuen Lösungsansatz zur Verbesserung dieser Situa-tion auf Basis einer automatisierten Echtzeit-Ergonomieanalyse und -bewertung. Ziel ist es den Benutzer auf unergonomische Bewegungen und Körperhaltungen hinzuweisen. Das System basiert auf Orthesen-integrierten Bewegungssensoren, einer intelligenten Echtzeit- Bewegungsdatenanalyse und einem integrierten Vibrationsfeedback.

1 Einleitung

Industrielle Fertigungsprozesse wer-den immer stärker automatisiert, den-noch gibt es häufig Situationen sowie Arbeitsabläufe, in denen der Mensch auf Grund seiner kognitiven sowie hapti-schen Fähigkeiten und Flexibilität nicht ersetzbar ist. Dazu zählen besonders Bereiche in denen hohe adaptive Fähig-keiten durch wechselnde Anforderungen an die Produktion oder Umgebung benö-tigt werden. Ein Problem ist hierbei, dass viele manuelle Tätigkeiten in der Produk-tion mit hohen körperlichen Belastungen verbunden sind und häufig eine Über -belastung des muskuloskelettalen Sys-tems auftreten, besonders bei längeren repetitiven Tätigkeiten. Um körperliche Belastungen zu minimieren, werden in bei Industriearbeitsplätzen häufig Ergo-nomiebewertungen, zum Beispiel mittels eines EAWS (Ergonomic Assessment Work -sheet), durchgeführt. Nach Möglichkeit werden die Arbeitsplätze anschließend nach ergonomischen Richtlinien umge-staltet. Auch nach einer Umgestaltung oder der Ausstattung mit Hilfsmitteln, kommt es häufig vor, dass die Hilfsmittel häufig nicht genutzt werden oder Tätig-keiten zum Beispiel wegen Stress oder

fehlendem Bewusstsein unergonomisch ausgeführt werden. Darüber hinaus sind Verfahren wie EAWS sehr von der subjek-tiven Wahrnehmung der Ergonomiebewer-ter abhängig. Für die Verletzungspräven-tion ist es besonders im Hinblick auf den demographischen Wandel notwendig die Bewegungsabläufe am Arbeitsplatz für diese Bewertungen individuell zu erfas-sen und dem Werker ein System zur Ver-fügung zu stellen, welches ihn unter-stützt die Bewegungen ergonomisch aus-zuführen. Eine Unterstützung kann hier-bei aktiv, zum Beispiel durch Exoskelette oder passiv, zum Beispiel durch Ergono-mieschulungen oder Kraftumleitungs -systemen erfolgen.

Bisherige Exoskelett-Konzepte zur Kraftunterstützung weisen eine geringe Usability bei gleichzeitig hohem techni-schem Aufwand auf, unter anderem hin-sichtlich der großen Anzahl mit Antrie-ben zu unterstützender Bewegungsfrei-heitsgrade und hohem Energiebedarf mit mobilen Energiespeichern. Der „Body Extender“ [1] ist ein typischer Vertreter dieser Art und umgeht die schweren Energiespeicher, indem er an eine exter-ne Stromquelle angeschlossen wird.

Im Gegensatz dazu verfolgen passive Systeme, wie das „Mate Exoskeleton“ [2] von Comau oder das „Ortas“-System von Otto Bock [3] einen Leichtbau-Ansatz, bei dem die Kraft über ein Federsystem vom Oberarm- und Schulterbereich in den Rücken geleitet wird. Andere Systeme wie „Cuela“ [4] beschränken sich auf das Erkennen von Rückenbelastungen für Schulungszwecke oder ähnlichem.

Häufig sind kraftunterstützende Sys-teme jedoch eigentlich nicht notwendig, da Arbeitsplätze in der Regel nach ergo-nomischen Kriterien eingerichtet und entsprechende Schulungen durchgeführt wurden. Entsprechend ist es wichtig, dass die Menschen für ergonomische Bewe-gungsabläufe sensibilisiert werden. Hier setzt das CareJack-Konzept an, indem es eine Softorthesen-integrierte Echtzeit-Bewegungsmessung und intelligente Analyse mit Benutzer-Rückmeldung, mit einer ergänzenden passiven oder gerin-gen aktiven Oberkörper-Kraftunterstüt-zung kombiniert.

CareJack, an intelligent soft orthosis für ergonomics support – Automated real-time ergonomics analysis and feedback for industrial workers

Stressful physical activities are main reason for back pain, shoulder lesions and disc damage. These are the three main reasons for disability. „CareJack“, a smart soft orthosis presented in this article, represents a novel approach to improve the workplace situation through auto-mated real-time ergonomic analysis and assessment in order to indicate unergonomic move-ments or body poses to the user. The system is based on integrated movement measurement sensors, intelligent real-time movement data analysis algorithms and an embedded vibration feedback module.

Jan Kuschan, M. Sc., Dipl.-Ing. Henning Schmidt, Prof. Jörg Krüger Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK Pascalstr. 8–9, D-10587 Berlin Tel. +49 (0)30 / 39006-205 oder -149 oder -184 Fax +49 (0)30 / 3911037 E-Mail: [email protected] (J. Kuschan); [email protected] (H. Schmidt); [email protected] (J. Krüger) Internet: www.ipk.fraunhofer.de

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Fraunhofer-Gesellschaft

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2 Systementwurf „CareJack“

Die im Rahmen eines vom BMBF ge-förderten Verbundprojektes entwickelte intelligente Softorthese „CareJack“, hat das primäre Ziel den Benutzer zu motivie-ren, körperlich belastende Haltungen oder Bewegungsabläufen ergonomisch korrekt auszuführen. Dadurch werden Fehlhaltungen und unergonomische Bewegungen vermieden, der Bewegungs -apparat weniger belastet und auf Dauer sukzessive Schädigungen wie beispiels-weise vorzeitigem Gelenkverschleiß vor-gebeugt. Um menschliche Bewegungen zu erfassen, wird meist zwischen ortsge-bundener (zum Beispiel Kameras) und am Körper getragener Sensorik (zum Beispiel IMU Inertiale Messeinheiten) unterschie-den. Durch die industriellen Anforderun-gen, die an CareJack gestellt werden, ist eine kamera-basierte Lösung nicht um-setzbar, weshalb Softorthesen-integrierte IMU für das Bewegungsmonitoring ge-nutzt werden. Dafür wurden unterschied-liche Rücken-Bein-Systeme entwickelt, die mit Inertialsensoren ausgestattet, die Bewegung und Haltung des Trägers erfas-sen können. Alle Sensordaten werden in Echtzeit im 25 ms-Takt durch ein Embed-ded Controller modul erfasst und mittels einer intelligenten Bewegungsmusterer-

kennung ausgewertet. Die Mustererken-nung analysiert kontinuierlich, ob eine körperlich belastende Bewegungssituati-on oder Körperhaltung vorliegt und ob diese ergonomisch oder unergonomisch durchgeführt wird (siehe Bild 1). Dabei wird der Anwender über die fehlerhafte Ausführung informiert, bevor diese in ei-nen kritischen Bereich übergeht. Der Trä-ger wird auf eine ergonomische sowie physiologische Bewegung sensibilisiert. Er erlernt das korrekte, verletzungsrisiko-freie Tragen, Heben und Drehen.

In einem weiteren Modus wird die Pose des Arbeiters erfasst und ein Belas-tungsprofil über einen zeitlichen Verlauf erstellt. Die ausführende Kraft bekommt eine Rückmeldung über das Feedbackmo-dul, sobald er über einen langen Zeitraum in gebückter oder verdrehter Haltung ar-beitet. Diese Posen kommen häufig in Bereichen vor, bei denen Einzelstücke angefertigt und verschweißt werden und es ökonomisch nicht möglich ist durch-gehend einen ergonomischen Arbeits-platz zu designen. Als Beispiel kann hier der Formenbau in der Automobilindustrie genannt werden.

Die Rückmeldung an den CareJack-Be-nutzer kann wahlweise optisch über ein LED-Anzeigemodul, akustisch oder über ein Vibrationsmodul erfolgen. Nutzertests

in der Automobilindustrie haben erge-ben, dass eine Rückmeldung per Vibrati-on bevorzugt wird.

2.1 CareJack Soft

Die CareJack-Softorthese in der Vari-ante „CareJack Soft“ (siehe Bild 2) besteht aus einem flexiblem Anteil, zu-sammengesetzt aus rückenstützenden Materialien, wie einem Nierengurt und einem verstärkten Rückenteil. Durch die hohe Anzahl flexibler Materialien wird ein maximaler Tragekomfort und die prä-ziseste Bewegungsrekonstruktion er-reicht. Die Entlastungen der Schultern und des Rückens sind bei dieser Ausfüh-rung jedoch minimal.

2.2. CareJack Spine

Die CareJack-Softorthese in der Vari-ante „CareJack Spine“ (siehe Bild 1) be-steht aus einem flexiblen Anteil, der zur Erhöhung des Tragekomforts dient, sowie einer weiteren Komponente, die den Rü-cken durch einen carbongedrucken Anteil stützt. Dabei weisen die Carbonanteile durch ihre dünnen Lagen eine Biegsam-keit und Federwirkung auf. Zum Messen der Biegung der Carbonsegmente sind in diesen Conformable Electronics Elemente

Bild 1. Ergonomische (links) und unergonomische (rechts) Hebebewegung mit der „CareJack-Spine“-Softrobotikorthese bei der Warenkommissionierung

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Titelthema – Aufsatz

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in Form von Folien-basierten Dehnungs-messstreifen-Sensoren sowie Verbin-dungstechnik strukturintegriert. Weiter-hin verfügt die CareJack auch über meh-rere integrierte Intertialsensormodule zur direkten Bewegungsmessung.

2.3. CareJack Spine and Hip

In einer weiteren Ausbaustufe ist CareJack zu einem Rücken/Hüft-Kom-plettsystem erweitert worden (siehe Bild 3). Dabei wurden gehärtete, federnde Kunststoffstäbe Stäbe dem Kör-per angepasst und mit einem Wellenrohr überzogen. Die Stabmaterial erzeugen eine Federwirkung, die den Benutzer beim Aufrichten unterstützt und einen Teil der Kräfte, die auf den unteren Len-denbereich wirken in die Beine ableitet. Beim Vorbeugen des Oberkörpers werden die Kräfte durch die Auflagebereiche im Brustraum in die Orthese aufgenommen, über die PVC-CAW Stabstruktur um den Rücken geleitet und am fixierbaren Ge-lenk im Hüftbereich auf die Beinteile übertragen. Die Wellenrohre vergrößern die Auflagefläche auf den Körper und sor-gen damit für ein angenehmes Trage -gefühl ohne Druck- oder Quetschpunkte. Des Weiteren wurde die vorherigen dis-kret aufgebauten 9DOF-Inertialsensoren durch hochintegrierte BNO055–9DOF-Inertialsensoren ersetzt sowie ein inte-griertes Rückenmodul für den Akku und das Embedded Controllermodul entwi-ckelt.

3 Bewegungserkennung

Die Verwendung von IMU zum Erken-nen von Bewegungen wurde bereits in verschiedenen Veröffentlichungen the-matisiert. Dabei sind Freizeit und Büro -aktivitäten das vorherrschende Aktivi-tätsfeld, die dann nach einer ausreichen-den Datenaufnahme offline aus gewertet werden. Ein Ansatz, der sich mit dem Überwachten Lernen von Bewegungen beschäftigt, verfolgten die Autoren Altun et al. [5]. Auch hier wurden Freizeit- und Büroaktivitäten untersucht. Die dort er-reichte korrekte Erkennungsrate beträgt bis zu 99,1 % bei 19 verschiedenen Akti-vitäten. Die verwendeten Merkmale be-schränken sich auf Sensorwerte von IMU und umfassen sowohl Beschleunigungs- und Drehratenattribute, als auch mittels Quaternion rekonstruierte Posen.

Im Gegensatz zu konventionellen IMU-Bewegungserkennungsverfahren be-nötigt das Konzept von CareJack eine

Echtzeiterkennung. Das System muss be-reits bei der Ausführung erfassen, dass der Werker eine unergonomische Bewe-gung ausführt und ihm genau dann das Feedback geben. Klassische Ansätze ana-lysieren hingegen offline auf Basis zuvor gemessener Bewegungsdatensätze, wäh-rend bei CareJack kontinuierlich mit den

aktuell eingehenden Bewegungssensor-daten gearbeitet werden muss.

Die CareJack-Bewegungserkennung setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Für eine robuste Erkennung wird ein Score ermittelt, der sich zusam-mensetzt aus der aktuellen Pose, einem DTW (Dynamic Time Warping) Wert, dem Korrelationswert zwischen einem Refe-

Bild 2. „CareJack Soft“ mit fünf Inertialsensoren (zwei auf der Schulter, zwei über der Hüfte und einer am Brustbein), Feedback-Vibrationsmodul über der rechten Hüfte, Akku sowie embedded Controllermodul am unteren Rücken

Bild 3. Intelligente „CareJack Spine and Hip“ mit Bewegungserkennung, Echtzeitfeedback und Kraftübertragung (Bild 1–3: FhG IPK, Berlin)

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Titelthema – Aufsatz

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renzpolynom und dem eingehenden Be-schleunigungsprofil [6, 7] und einem SVM (Support Vector Machine) Klassifika-tor mit unterschiedlichen Merkmalen [8]. Die Bewegungserkennung ist bei CareJack sehr konservativ umgesetzt und hat eine korrekte Erkennungsrate von mehr als 93 % der unergonomischen Bewegungen, dafür aber eine Fehlalarm Rate von weniger als 0,4 %. Damit wird sichergestellt, dass durch die Fehlalarm-rate kein „cry-wolf effect“ (ignorieren von Warnmeldungen durch unnötige In-formationen oder häufigen Fehlalarm) ausgelöst wird. Die korrekte Erkennungs-rate ist somit etwas geringer als bei-spielsweise bei Altun et al. [5], löst aber die Herausforderung, dass die Auswer-tung in Echtzeit vorgenommen werden muss und es sich zudem um industriell relevante Tätigkeiten handelt.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Das vorgestellte intelligente Soft -orthesen-System bietet eine Lösung für die Herausforderungen, mit denen Unter-nehmen im Zuge der alternden Beleg-schaft konfrontiert sind. Durch die intel-ligente Echtzeit-Bewegungserkennung und Feedbackmodule ist es erstmals mög-

lich, den Arbeitern während der Bewe-gungsausführung eine Information über aktuelle Pose oder Bewegung zu geben und somit für ergonomische Abläufe zu sensibilisieren. Durch die verschiedenen Softorthesen-Varianten können die An-wender flexibel zwischen maximalem Tra-

gekomfort und Unterstützung wählen. Aktuell wird eine automatisierte Arbeits-platz-Ergonomiebewertung auf dem Sys-tem umgesetzt. Dafür werden die realen Körperwinkel und deren Dauer erfasst um somit ein Bewertungssystem wie EAWS zu unterstützen.

Literatur

[1] Marcheschi, S.; Salsedo, F.; Fontana, M.; Bergamasco, M.: Body Extender: Who-le body exoskeleton for human power augmentation. IEEE International Confe-rence on Robotics and Automation, 2011, Shanghai/CHN, S. 611–616

[2] N.N.: Mate Muscular Aiding Tech Exo-skeleton. Comau, Grugliasco/Italy. Inter-net: www.comau.com/Download/our-competences/robotics/Automation_Products/Comau_Mate_Brochure_DE.pdf. Zugriff am 16. August 2018

[3] Bornmann, J.; Kurzweg, A.; Heinrich, K.: Tragbare Assistenzsysteme in der Au-tomobilmontage. Technische Unterstüt-zungssysteme, die die Menschen wirklich wollen, 2016, S. 507

[4] Ellegast R.; Hermanns, I.; Schiefer, C.: Workload Assessment in Field Using the Ambulatory CUELA System, Duffy V.G. (eds) Digital Human Modeling. ICDHM 2009. Lecture Notes in Computer Science,

vol 5620. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag

[5] Altun, K.; Barshan, B.; Tunçel, O.: Comparative study on classifying human activities with miniature inertial and magnetic sensors. Pattern Recognition, vol. 43, No. 10, pp. 3605–3620, 2010

[6] Kuschan, J. et. al.: Verbesserung der Ergonomie am Arbeitsplatz mittels einer intelligenten Orthesen-Weste, Zukunft Lebensräume Kongress, Frankfurt, 2016

[7] Kuschan, J.; Schmidt, H.; Krüger, J.: Improved Ergonomics via an Intelligent Movement and Gesture Detection Jacket. Proceedings of ISR 2016: 47st Internatio-nal Symposium on Robotics, Munich/Ger-many, 2016, pp. 1–6

[8] Kuschan, J.; Schmidt, H.; Krüger, J.: Analysis of ergonomic and unergonomic human lifting behaviors by using Inertial Measurement Units. Current Directions in Biomedical Engineering, 3 (2017) 1, pp. 7–10


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