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Ausweisung von Lawinenschutzwald mittels GIS und einfachen ...

Date post: 01-Mar-2022
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Ausweisung von Lawinenschutzwald mittels GIS und einfachen Modellrechnungen Klaus KLEBINDER, Reinhard FROMM und Frank PERZL Dieser Beitrag wurde nach Begutachtung durch das Programmkomitee als „reviewed paper“ angenommen. Zusammenfassung Zur Beurteilung der Schutzfunktion des Waldes vor Lawinen muss in einem ersten Schritt der Lawinenschutzwald definiert und abgegrenzt, sowie das Gefahrenpotenzial beschrieben werden. Im Rahmen des internationalen Projektes ProAlp wurde ein Verfahren zur großflä- chigen Kartierung des Lawinen-Objektschutzwaldes mittels GIS und einfachen Reichwei- tenberechnungen entwickelt. Mit der Methode werden jene Flächen im Wald bestimmt, von denen aus Lawinen anbrechen können, welche auch Schutzgüter, wie Siedlungsflächen und Infrastrukturanlagen, erreichen. Das Verfahren geht von einer minimalen Datenbasis aus und wurde im Hinblick auf einen geringen Rechenaufwand und eine einfache Umsetzung durch Nutzung von Standard GIS-Funktionen entwickelt. Die Methode hat zwei Kernkom- ponenten: i) ein Dispositionsmodell zur Ermittlung und Klassifikation der potenziellen Anbruchsflächen und ii) ein topographisches Modell zur Ermittlung der Reichweite (Pau- schalgefällemethode) und der Sturzbahn der Lawine. Trotz einfachem Modellansatz ist das Verfahren für eine rasche und nachvollziehbare regionale Übersicht über den Lawinen- schutzwald geeignet. 1 Ausgangslage und Zielsetzung Die Kartierung der Schutzwald-Kulisse durch die forstliche Raumplanung erfolgt in den Alpenländern zumeist gutachtlich und grobmaßstäblich (SCHADAUER et al. 2008). In der Schweiz hat man sich aufgrund der großen regionalen Unterschiede bei der Schutz- wald-Kartierung entschlossen, die Schutzwaldfläche mit Hilfe von GIS-Techniken und Simulationsmodellen zu bestimmen. Bereits 1996 wurde für den Kanton Bern eine digitale Gefahrenhinweis- und Schutzwaldkarte auf der Grundlage von GIS-Technologie erstellt (BOLLINGER et al. 2000). Zur Bestimmung der Gefahrenhinweiskarte für Lawinen haben HEGG et al. (1996) das Voellmy-Salm Modell (SALM et al. 1990) mit dem Modell Vektor- baum (HEGG & KIENHOLZ 1992, 1995) erweitert. Im Projekt SilvaProtect-CH wurde nach einheitlicher Methodik eine Schutzwaldkarte für die gesamte Schweiz erstellt (GIAMBONI & WEHRLI 2008). Zur Simulation von Lawinen wurde dabei das zweidimensionale physikalische Voellmy-Salm-Modell (SALM et al. 1990) eingesetzt. Die Identifikation der potenziellen Anbruchsflächen erfolgte automatisch mit einer von GRUBER (2001) entwickelten GIS-Applikation. SilvaProtect-CH zielt auf die
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Ausweisung von Lawinenschutzwald mittels GIS und einfachen Modellrechnungen

Klaus KLEBINDER, Reinhard FROMM und Frank PERZL

Dieser Beitrag wurde nach Begutachtung durch das Programmkomitee als „reviewed paper“ angenommen.

Zusammenfassung

Zur Beurteilung der Schutzfunktion des Waldes vor Lawinen muss in einem ersten Schritt der Lawinenschutzwald definiert und abgegrenzt, sowie das Gefahrenpotenzial beschrieben werden. Im Rahmen des internationalen Projektes ProAlp wurde ein Verfahren zur großflä-chigen Kartierung des Lawinen-Objektschutzwaldes mittels GIS und einfachen Reichwei-tenberechnungen entwickelt. Mit der Methode werden jene Flächen im Wald bestimmt, von denen aus Lawinen anbrechen können, welche auch Schutzgüter, wie Siedlungsflächen und Infrastrukturanlagen, erreichen. Das Verfahren geht von einer minimalen Datenbasis aus und wurde im Hinblick auf einen geringen Rechenaufwand und eine einfache Umsetzung durch Nutzung von Standard GIS-Funktionen entwickelt. Die Methode hat zwei Kernkom-ponenten: i) ein Dispositionsmodell zur Ermittlung und Klassifikation der potenziellen Anbruchsflächen und ii) ein topographisches Modell zur Ermittlung der Reichweite (Pau-schalgefällemethode) und der Sturzbahn der Lawine. Trotz einfachem Modellansatz ist das Verfahren für eine rasche und nachvollziehbare regionale Übersicht über den Lawinen-schutzwald geeignet.

1 Ausgangslage und Zielsetzung

Die Kartierung der Schutzwald-Kulisse durch die forstliche Raumplanung erfolgt in den Alpenländern zumeist gutachtlich und grobmaßstäblich (SCHADAUER et al. 2008).

In der Schweiz hat man sich aufgrund der großen regionalen Unterschiede bei der Schutz-wald-Kartierung entschlossen, die Schutzwaldfläche mit Hilfe von GIS-Techniken und Simulationsmodellen zu bestimmen. Bereits 1996 wurde für den Kanton Bern eine digitale Gefahrenhinweis- und Schutzwaldkarte auf der Grundlage von GIS-Technologie erstellt (BOLLINGER et al. 2000). Zur Bestimmung der Gefahrenhinweiskarte für Lawinen haben HEGG et al. (1996) das Voellmy-Salm Modell (SALM et al. 1990) mit dem Modell Vektor-baum (HEGG & KIENHOLZ 1992, 1995) erweitert.

Im Projekt SilvaProtect-CH wurde nach einheitlicher Methodik eine Schutzwaldkarte für die gesamte Schweiz erstellt (GIAMBONI & WEHRLI 2008). Zur Simulation von Lawinen wurde dabei das zweidimensionale physikalische Voellmy-Salm-Modell (SALM et al. 1990) eingesetzt. Die Identifikation der potenziellen Anbruchsflächen erfolgte automatisch mit einer von GRUBER (2001) entwickelten GIS-Applikation. SilvaProtect-CH zielt auf die

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Berechnungen extremer Lawinen ab (GIAMBONI & WEHRLI 2008) und unterscheidet sich dadurch von der im Folgenden beschriebenen Methode, die jedes Schadenspotenzial, und somit auch kleine Lawinen, betrachtet.

Da es keine einheitliche und vergleichbare Vorgangsweise der Kartierung des Schutzwal-des im Alpenraum gibt, wurden im Rahmen des Projektes ProAlp im Auftrag des Joint Research Centre (JRS) der europäischen Kommission Wege gesucht, um die Schutzwald-fläche des Alpenraums einheitlich mit Fernerkundungsverfahren und GIS-Techniken in Kombination mit den terrestrischen Daten der nationalen Waldinventuren kartieren zu kön-nen (SCHADAUER et al. 2008).

Als Problem stellten sich dabei die unterschiedlichen und für diesen Zweck unvollständigen digitalen Datenbestände der einzelnen Länder, sowie der hohe Rechenaufwand von physi-kalischen Modellen zur Bestimmung von Naturgefahren-Prozessräumen heraus. Es mussten Methoden gefunden werden, die eine Kartierung des Schutzwaldes mit geringem Aufwand auf der Basis einer minimalen gemeinsamen Datengrundlage ermöglichen.

Am Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald (BFW) wurde eine Methodik zur Kartierung des Lawinenschutzwaldes mit Objektschutzfunktion entwickelt. Mit der Methodik wurden zu Testzwecken großräumig Gebiete in Bayern, in der Schweiz und in Slowenien sowie der Lawinenschutzwald Nordtirols modelliert.

2 Definition Wald und Lawinenschutzwald

Primäres Ziel des Schutzwald-Managements ist die Verhinderung von Lawinenanbrüchen auf Waldflächen.

Als Lawinenschutzwald werden potenzielle Anbruchsflächen (Nutzungsart Wald) von Lawinen mit einem Schadenspotenzial an Schutzobjekten (Gefährdung von Siedlungs-flächen, Infrastrukturanlagen) definiert. Potenzielle Anbruchsflächen sind Flächen mit einer Grunddisposition für einen Lawinenanbruch. Als Wald werden Flächen mit minimal 5.000 m² und 30 % Kronendeckung definiert.

3 Methodik

Die Ausweisung des Lawinenschutzwaldes im obigen Sinne erfordert einen mehrstufigen Arbeitsablauf und ist in folgende Arbeitsschritte gegliedert: 1. Bestimmung der Waldflächen mit Anbruchspotenzial (Dispositionsanalyse), sowie

deren Klassifikation 2. Berechnung der Lawinen-Trajektorien und deren potenzieller Reichweiten 3. Feststellung des Schadenspotenzials durch Verschneidung der Lawinen-Trajektorien

mit den Schutzobjekten 4. Selektion der Trajektorien mit Schadenspotenzial und Bestimmung der zugehörigen

Anbruchsflächen

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Der Ablauf ist schematisch in Abbildung 1 dargestellt und zeigt, dass sowohl das Prepro-cessing als auch die Visualisierung der Ergebnisse in einem GIS durchgeführt werden. Die Modellierung der Lawinentrajektorien und der Lawinenreichweite erfolgt GIS extern. Die Schnittstellen zwischen GIS und Lawinenmodell erfolgt über Standardformate (ASCII Grid und Koordinatentabelle im Textformat).

Abb. 1: Schematischer Ablauf zur Ausweisung von Lawinenschutzwald

Um einen standardisierten Ablauf der Schutzwaldkartierung zu gewährleisten, werden die einzelnen Arbeitsschritte in GIS-Programmabläufe integriert. Als Softwareumgebung dient dabei ESRI® ArcMap™ 9.2, die Module werden mittels ModelBuilder und Python Scripts gestaltet.

Die gemeinsame Datenbasis, welche in allen beteiligten Alpenländern vorhanden bzw. mit einfachen Mitteln generierbar ist, besteht aus folgenden Layern: • Digitale Höhenmodelle (DHM), Auflösung 25 m • Waldlayer im Rasterformat, Auflösung 25 m • Schutzobjekt-Layer im Vektorformat

Für die Testgebiete wurden Waldlayer durch automatische Klassifikation von Landsat Bil-dern mit der kNN-Methode erzeugt (SCHADAUER et al. 2008). Als Referenzdaten dienten terrestrische Stichproben der Waldinventuren.

Als Schutzgüter werden Gebäude, das höherrangige Straßen- und das Bahnnetz definiert. Weitere Infrastruktur kann nicht einbezogen werden, da keine geeigneten und vergleichba-ren digitalen Landschaftsmodelle flächendeckend verfügbar sind. Abgesehen vom Aktuali-tätsproblem sind die Attribute der Landschaftsmodelle für risikoanalytische Fragen oft nur bedingt geeignet.

3.1 Bestimmung der Waldflächen mit Potenzial für Lawinenanbrüche

Die Ausweisung der potenziellen Lawinenanbruchflächen erfolgt auf Basis topographischer Parameter, die aus dem DHM abgeleitet werden. Ähnliche Methoden wurden unter an- derem von GRUBER (2001), MAGGIONI & GRUBER (2003) und RAUTER et al. (2006) be-schrieben.

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Lawinen entstehen vor allem auf steilen Hängen in schneereichen Lagen. Die Schneehöhe nimmt je nach Klimaregion mit der Seehöhe zu, daher kann die Höhenlage als Indikator für das Auftreten von Lawinen herangezogen werden. Für den gesamten Alpenraum werden Klimaregionen mit entsprechenden Höhengrenzen ausgeschieden. Oberhalb des Grenzwer-tes S1 sind Lawinen zu erwarten, oberhalb der Seehöhe S2 sind auch große Lawinen mög-lich. Österreich wird durch die ISDW-Schneeregionen (Initiative Schutz durch Wald, PERZL 2008) gegliedert (Abb. 2). Durch die Anwendung eines Mittelwertfilters (Radius 10.000 m) werden Sprünge an den Grenzen vermieden.

Abb. 2: Schneeregionen: Grenzwerte für die Seehöhe in Österreich, ab der Lawinenan-

brüche auftreten können. Im Hintergrund: interpolierte Grenzwerte.

Bei der Bestimmung des Anbruchpotenzials wird davon ausgegangen, dass sich Lawinen ausschließlich in Zonen mit einer Hangneigung zwischen 28° und 55° lösen (MCCLUNG & SCHAERER 1999).

Als weiterer Indikator potenzieller Anbruchsflächen wird die planare Wölbung (= Horizon-talkrümmung) des Reliefs herangezogen. Dabei wird angenommen, dass sich Lawinen vorwiegend im Bereich von Mulden und ebenen Hanglagen lösen. Stark konvexe Gelände-abschnitte (Rücken) werden ausgeschlossen, da hier geringere Schneemächtigkeiten infolge von Winderosion zu erwarten sind. Ebenfalls ausgeschlossen werden stark konkave Gelän-deformen (deutliche Gräben – diese stellen meist Sturzbahnen aber keine Anbruchflächen dar).

Da nur potenzielle Lawinenanbrüche im Wald untersucht werden, wird das Ergebnis der Dispositionsanalyse auf das Gebiet der Waldmaske bezogen.

Die Indikatoren sind in einem Ausschnitt in Abbildung 3 dargestellt.

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Abb. 3: Ausschnitt: Bestimmung potenzieller Anbruchsflächen im Wald. Oben: links Höhenstufen, rechts Hangneigung. Unten: links Wölbung, rechts Wald.

Um neben einer räumlichen Abgrenzung der potenziellen Anbruchgebiete auch eine Be-schreibung des Anbruchpotenzials zu erhalten, werden alle verwendeten Indikatoren in einer Bewertungsmatrix zusammengefasst (Tabelle 1).

Tabelle 1: Kombinationsmatrix zur Bestimmung des Anbruchpotenzials

Horizontalwölbung Z Z ≤ -2 -2 < Z ≤ 0,2 Z > 0,2

Hangneigung Ψ in ° 0 < Ψ < 90 0 < Ψ ≤ 28 28 < Ψ ≤ 34 34 < Ψ ≤ 39 39 < Ψ ≤ 55 55 < Ψ < 90 0 < Ψ < 90

Höhenlage S

Anbruchspotenzial S < S1 0 0 0 0 0 0 0 S1 ≤ S < S2 0 0 0 1 1 0 0 S ≥ S2 0 0 2 3 3 0 0

Die zugewiesene Klasse beschreibt die Häufigkeit und Intensität von Lawinenereignissen (Tab. 2). Die Bewertung ist rein qualitativ und steht in keinem Zusammenhang mit der anschließenden Reichweitenmodellierung.

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Tabelle 2: Beschreibung des Lawinenanbruchpotenzials

Anbruchs-klasse Häufigkeit/Intensität Lawinenanbruch

0 Selten (kleine Schneerutschungen und Lockerschneelawinen möglich) 1 Möglich (Rutschungen – Kleinlawinen, größere Ereignisse selten) 2 Größere Lawinenanbrüche möglich 3 Größere Lawinenanbrüche möglich (häufiger)

Abbildung 4 zeigt ein Beispiel für klassifizierte Anbruchsflächen im Wald.

Abb. 4: Klassifizierte Lawinenanbruchdisposition

3.2 Bestimmung der potenziellen Lawinen-Trajektorien

Zur Bestimmung von Lawinen-Trajektorien und Auslauflängen stehen verschiedene Kon-zepte zur Verfügung. Anfänglich wurden konzeptuelle Modelle zur Bestimmung der Aus-lauflänge von LIED & BAKKEHØI (1980), LIED & TOPPE (1989) und MCCLUNG et al. (1989) eingesetzt. Mit zunehmend leistungsstärkeren Computern konnten auch physikalisch ba-sierte lawinendynamische Modelle entwickelt werden (z.B. SAMPL et al. 1999, SAMPL & ZWINGER 2004), womit auch komplexe Prozesse, wie die Interaktion mit Hindernissen, betrachtet werden konnten (z.B. NAAIM et al. 2004). Einen Überblick über lawinendynami-sche Modelle geben unter anderem NAAIM-BOUVET et al. (2003) und Pudasaini & HUTTER (2006).

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Viele Studien beschränkten sich auf die Berechnungen von Auslauflängen einzelner Sturz-bahnen. Je nach Modellkonzept werden dabei die statistischen bzw. physikalischen Mo-dellparameter an die Eigenschaften des Geländes und Art der Lawine angepasst. Beispiels-weise erfolgt bei SilvaProtect-CH (GIAMBONI & WEHRLI 2008) eine Parameteranpassung in Abhängigkeit von der Lawinengröße, der Form der Sturzbahn und der Schneehöhe.

Für sehr große Gebiete (etwa 10.000 km2) eignen sich physikalisch basierte Modelle auf-grund des hohen Rechenaufwandes nicht. Aus diesen Gründen wurde ein einfaches, mög-lichst allgemein gültiges, Modell zur Bestimmung der Auslauflänge verwendet.

Aufgrund des Bedarfs an großräumiger, rasch und kostengünstig erstellter Information über Gefahren- und Schutzwaldflächen werden wieder vermehrt topographische Modelle zur Bestimmung von Naturgefahren-Prozessräumen herangezogen (vgl. dazu beispielsweise STAFFLER et al. 2008).

In der vorliegenden Arbeit wurde ein Pauschalgefällemodell, welches auf HEIM (1932) zurückgeht, eingesetzt. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich eine Lawine solange entlang der Fließlinie fortbewegt, bis sie eine Gerade schneidet, die durch die Zelle der Anbruchsfläche geht und einen Winkel α mit der Horizontalen einschließt (Abb. 5). Einen Überblick über mögliche Wertebereiche und die Streuung des Winkels α gibt beispielswei-se ZENKE (1985).

Abb. 5: Schematische Darstellung der Pauschal- gefällemethode

Ausgehend von jeder Zelle, die als Anbruchsfläche definiert wurde, wird jeweils jener der acht benachbarten Zellen gefolgt, die am tiefsten liegt. Weisen zwei benachbarte Zellen die gleiche Höhe auf, so wird die Zelle gewählt, die am nächsten in Richtung der Bewegung der Lawine liegt. Der Abbruch erfolgt, wenn der Winkel zwischen der Geraden von der jeweiligen Zelle zur Anbruchsfläche und der Horizontalen den Winkel α unterschreitet oder alle benachbarten Zellen eine größere Seehöhe aufweisen (Abb. 5). Es werden alle Trajektorien sowie deren Startposition ausgegeben, welche Schutzobjekte erreichen. Die Rechenzeit beträgt auf einem Standard PC (2,1 GHz; 3 GB RAM) für ein Gebiet von rund 10.000 km2 etwa 3 Minuten.

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4 Ergebnisse

Die Modellierung mit einem Pauschalgefälle von 28° ergab für das Teilgebiet Nordtirol einen Anteil des Lawinen-Objektschutzwaldes an der Waldfläche von 5,5 %.

Eine systematische Evaluierung des Ergebnisses war nicht möglich, weil dazu eine ausrei-chende Menge an Daten über Lawinenereignisse fehlt. Vor allem mangelt es an Informatio-nen zu kleineren Waldlawinen. Daher konnte eine Überprüfung nur stichprobenartig und gutachterlich erfolgen. Unterschieden werden muss zwischen dem Ergebnis des Dispositi-onsmodells und der Trajektorien- und Reichweitenmodellierung:

Mit dem Dispositionsmodell konnten bekannte und zum Teil auch bereits verbaute An-bruchsflächen von Lawinen gut erfasst werden.

Zur Zuverlässigkeit der modellierten potenziellen Reichweite ist nur eine beschränkte Aus-sage möglich. Es konnten einige Fälle identifiziert werden, bei denen die modellierten Waldlawinen tatsächlich Schutzobjekte erreicht haben (Abb. 6).

Abb. 6: Potenzielle Anbruchsflächen im Wald (dunkelgrau), ihre Sturzbahnen (weiß) und Schutzobjekte (schwarz); α = 28°

Beispielsweise wurde am 04.02.1981 um 11:20 die Straße zwischen Stans und Jenbach (1) und am 31.01.2000 die Zufahrtsstraße zum Schloss Tratzberg in Tirol verschüttet (2).

5 Schlussfolgerungen

Zur Ausweisung von Lawinenschutzwald wurde ein Verfahren entwickelt, welches auf einer Dispositionsanalyse und einer Reichweitenberechnung beruht.

Mit einem einfachen Modell, basierend auf dem Pauschalgefälleansatz, ist eine überblicks-mäßige Beurteilung der Gefahrensituation möglich, das konnte an einzelnen Beispielen verifiziert werden. Für eine umfassende Validierung fehlen Daten von Waldlawinen. Im Gegensatz zu bisherigen Arbeiten wurden nicht nur extreme Lawinenereignisse betrachtet, sondern das Potenzial aller Waldlawinen berücksichtigt.

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Das Pauschalgefällemodell mit nur einem Parameter α kann nicht alle topographischen Gegebenheiten, Schneemengen und -eigenschaften sowie lawinendynamischen Faktoren (wie die Widerstandswirkung von Wald) einbeziehen.

Zukünftiges Entwicklungspotenzial besteht in der Einbeziehung der Streuung des Winkels α. Dazu ist neben einer gezielten Aufnahme von Waldlawinenereignissen eine umfangrei-che Sensitivitätsanalyse erforderlich.

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