Gynäkologe 2012 · 45:483–486DOI 10.1007/s00129-012-2981-1Online publiziert: 9. Mai 2012© Springer-Verlag 2012
P. StumpnerGynäkologisch Geburtshiliche Abteilung, Krankenhaus Rohrbach, Österreich
Ausgedehnter Abszess der MammaBesondere Genese
Bild und Fall
Anamnese
Eine 51-jährige Patientin wurde mit dem Bild eines Mammaabszesses in der gy-näkologischen Abteilung aufgenommen. Anamnestisch gab sie eine vor zehn Tagen gegen ihren Willen erfolgte Flüssigkeitsin-jektion in die linke Brust an.
Klinischer Befund und initialer Verlauf
Bei Aufnahme waren ein stark reduzier-ter Allgemeinzustand ohne Fieber, starke Schmerzen in der linken Körperhälfte und ein jauchiger Geruch vom Mammaabs-zess auffallend. Der Lokalbefund zeigte eine Rötung der gesamten linken Mam-ma und zwei Hautnekrosen, aus denen sich übel riechendes Sekret entleerte. Die axillären Lymphknoten waren vergrößert,
die Haut von Thorax und Abdomen war unauffällig (. Abb. 1).
Trotz antibiotischer Therapie mit Am-picillin/Sulbactam und Drainage des Ab-szess mit Lasche verschlechterte sich der Zustand der Patientin, und es entwickelte sich ein septisches Zustandsbild.
Diagnostik
LaborLeukozyten 13,3 G/l, stabkernige Granulo-zyten 34%, C-reaktives Protein 44,41 mg/dl, Hämoglobin 11,6; Natrium 136 mmol/l; Kreatinin 2,68 mg/dl; Glukose 111 mg/dl.
Bildgebung
Sonographie linke MammaEs zeigt sich eine ausgedehnte Infiltra-tion des subkutanen Fettgewebes, eine
Abszessformation lässt sich nicht ab-grenzen.
Röntgenuntersuchung des Thorax
Aufhellungen in der linken Mamma (Luft in den Weichteilen, Infekt mit Gasbild-nern?).
Computertomographie des ThoraxBeträchtlich geschwollene linke Mamma mit massiver Hautverdickung. In einer Tiefe von 4 bis 5 cm beginnt ein Areal mit Luftbläschen. Auf den axialen Auf-nahmen hat das Areal eine maximale Ausdehnung von 13 × 5 cm, die kranio-kaudale Ausdehnung beträgt etwa 8 cm. Einige Lufteinschlüsse finden sich auch innerhalb des verdickten M. pectoralis (. Abb. 2).
Abb. 2 8 Thorakale ComputertomographieAbb. 1 8 Lokalbefund bei Aufnahme
RedaktionW. Distler, DresdenR. Kreienberg, UlmB. Ramsauer, Berlin
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Therapie und Verlauf
Initiale Behandlung
Zwei Tage nach Aufnahme verschlechterte sich der Allgemeinzustand der Patientin zusehends. Es entwickelte sich eine Sepsis mit eingeschränkter Nierenfunktion und katecholaminpflichtigem Kreislaufversa-gen. Die Patientin wurde auf die Intensiv-station verlegt.
» Diagnose: Nekrotisierende Fasziitis von Thorax- und Bauchwand
Operative Behandlung
Aufgrund der submammären Gasent-wicklung und der sich entwickelten Sep-sis wurde ein operatives Debridement be-schlossen. Nach Eröffnung des submam-mären Raums zeigte sich ein ausgedehn-ter Entzündungsherd. Der M. pectora-lis major war fast zur Gänze in eine ne-krotische, schleimige Masse mit jauchi-gem Geruch zersetzt, das Mammagewebe war großteils putrid und nekrotisch (. Abb. 3).
Nach ausgedehnter Nekrektomie er-folgte schließlich die Ablatio mammae. Auffallend war, dass sich die Faszienne-krose sowohl nach kranial als auch nach kaudal fortsetzte. Kranial wurden der Raum zwischen Faszie und Subkutis bis
zur Klavikula, medial bis zum Sternum und lateral bis zum hinteren Axillarlinie freigelegt und dabei das nekrotische Fas-ziengewebe entfernt. Nach kaudal waren zwei quere Erweiterungsschnitte notwen-dig, damit die Faszie der Bauchwand frei-gelegt werden konnte. Hier wurde eine Höhle bis zum Leistenband geschaffen. Die seitlichen Begrenzungen der abdo-minalen Fasziitis waren wie im Thorax-bereich beschrieben.
Intraoperativ wurde die Diagnose ne-krotisierende Fasziitis augenscheinlich, somit war ein Wundverschluss nicht rat-sam. Wir legten feuchte Tücher in die Wundhöhle und ließen die Hautschnitte offen.
Postoperativer Verlauf
Postoperativ stabilisierte sich der Zustand der Patientin, es bestand aber das Vollbild einer Sepsis. Die antibiotische Therapie erfolgte nun mit Imipenem/Cilastatin. Es erfolgte eine Respiratortherapie und eine Kreislaufstützung mit Katecholaminen.
Am ersten postoperativen Tag wurde eine Wundrevision durchgeführt. Es zeigte sich ein deutlicher Rückgang der Entzündung. Es mussten nur kleine nek-rotische Gewebsanteile entfernt werden. Die offene Wundbehandlung mit Tüchern in den Wundtaschen und täglichen Revi-sionen erfolgte über vier Tage (. Abb. 4).
Am fünften postoperativen Tag began-nen wir mit einer VAC(„vacuum assisted
closure“)-Behandlung. Die Drainage war über 14 Tage angelegt und wurde fünfmal gewechselt (. Abb. 5). Der endgültige Wundverschluss konnte am 19. postope-rativen Tag durchgeführt werden.
Die intensivmedizinische Behandlung erfolgte folgendermaßen: Respiratorthe-rapie über sieben Tage, Kreislaufunter-stützung mit Katecholaminen über sechs Tage, Gabe von Hydrocortison über fünf Tage, antibiotische Therapie mit Imipe-nem/Cilastatin, Erythrozytenkonzen trate, Humanalbumin und Flüssigkeitsersatz.
Am 16. postoperativen Tag wurde die Patientin auf eine Normalstation ver-legt. Sie erholte sich gut und konnte nach 46 Tagen Aufenthalt entlassen werden.
Mikrobiologischer Befund
Bakteriologische Abstriche, intraoperativ entnommen: aerob: Enterococcus faecalis, anaerob: Peptostreptococcus anaerobius.
Ursache der Infektion
Wie eingangs erwähnt, hatte die Patien-tin bei Aufnahme eine Flüssigkeitsinjek-tion in die Brust durch eine fremde Person angegeben. Es erfolgte daher eine Anzeige bei der Polizei. Die Erhebungen der Kri-minalpolizei ergaben wiederholte Selbst-injektionen von Kochsalzlösung im Rah-men sadomasochistischer Handlungen. Diese Praktik sei auf einer einschlägigen Internetseite beschrieben.
D Wie lautet ihre Diagnose?
Abb. 3 8Nekrotischer M. pectoralis major Abb. 4 8 Wundverhältnisse am ersten postoperativen Tag. Das Pfeilbild links unten zeigt die Tiefe der Wundtaschen
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Bild und Fall
Diskussion
Definition nekrotisierende Fasziitis
Die nekrotisierende Fasziitis (NF) ist eine lebensbedrohliche, bakterielle Weichteil-infektion, die sich durch eine foudroyant ausbreitende Nekrose der betroffenen Fas-zien kennzeichnet (ICD10-Code M72.6). Unterschieden werden: F Typ 1: Mischinfektion mit mindestens
einem anaeroben Keim (meist Bac-teroides oder Peptostreptococcus). Unseren Fall ordnen wir diesem Typ zu.
F Typ 2: Infektion mit Gruppe-A-Strep-tokokken („haemolytic streptococ-cal gangrene“). Als Sonderform wird das STS(„streptococcal toxic shock“)-Syndrom beschrieben.
Inzidenz der Erkrankung
Die Inzidenz liegt bei 0,4 bis 1 auf 100.000 Einwohner.
Genese und Lokalisation
Die Erreger treten meist über Wunden in das subkutane Gewebe ein, wobei dies auch Bagatellverletzungen oder, wie im hier vorgestellten Fall, Injektionen sein können. Die Lokalisation ist abhängig vom Ort der Verletzung, wobei beson-ders häufig Infektionen der Extremitäten beschrieben sind. NF der Brust sind sehr selten, und es sind nur wenige – wenn auch sehr spektakuläre Fälle – in der Li-teratur beschrieben.
Klinik
Charakteristisch für die NF ist der außer-ordentliche lokale Schmerz, der durch die Nekrose der Faszie verursacht wird. Die Haut ist zu Beginn gar nicht oder nur durch die primäre Verletzung verändert.
» Ein wesentlicher Hinweis für eine nekrotisierende Fasziitis ist die Gasentwicklung
Im fortgeschritten Fall kann die Infektion auf die Haut übergreifen und zu Nekrosen führen. Ein wichtiges diagnostisches Hin-weiszeichen ist eine Gasentwicklung, die nativradiologisch oder computertomo-graphisch gut nachweisbar ist. Charakte-ristisch ist der rasche und schwere Verlauf der Infektion, der zu Sepsis und Organ-versagen führt.
Behandlung
Die Behandlung erfordert eine rasche und radikale chirurgische Sanierung. Inzision und Drainage sind nicht ausreichend. Die infektiösen Bereiche sind freizulegen, die Nekrosen zu entfernen (Debridement). Es empfiehlt sich eine offene Wundbehand-lung mit engmaschigen Wundrevisionen und Redebridement.
Die weitere Wundbehandlung hängt von der Lokalisation und Ausdehnung der Entzündung ab. Bei uns hat sich die VAC-Therapie sehr bewährt.
Neben der chirurgischen Therapie sind die antibiotische Behandlung und die intensivmedizinische Behandlung des
Zusammenfassung · Abstract
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P. Stumpner
Ausgedehnter Abszess der Mamma. Besondere Genese
ZusammenfassungEine 51-jährige Frau wurde mit einem Mam-maabszess stationär aufgenommen. Trotz Drainage und antibiotischer Behandlung wurde die Patientin zunehmend septisch. Eine Röntgenaufnahme des Thorax zeigte submammär lokalisierte Luftblasen, die com-putertomographisch bestätigt wurden. Bei der operativen Sanierung wurden eine aus-gedehnte nekrotisierende Fasziits der Thorax und Bauchwand links festgestellt und saniert.
SchlüsselwörterMastitis · Nekrotisierende Fasziitis · Sepsis · Debridement · Masochismus
Extensive breast abscess. Exceptional genesis
AbstractA 51-year-old woman presented with an ab-scess of the left breast. Despite drainage and treatment with ampicillin and sulbactam the patient developed septic conditions. As the chest X-ray and computed tomography (CT) showed air entrapment, immediate surgical treatment was decided. Intraoperatively nec-rotizing fasciitis extending unilaterally from the clavicula to the pelvic ligament was diag-nosed and treated by vast debridement. Af-ter surgical redressing many times the pa-tient could finally be discharged after 46 days of hospitalization.
KeywordsNecrotizing fasciitis · Mastitis · Sepsis · Debridement · Masochism
septischen Zustandes essenziell. Zu Be-ginn ist der Flüssigkeitsverlust über die offene Wunde und die Flüssigkeitseinla-gerung durch die Sepsis beträchtlich.
Conclusio
Wir waren an unserer gynäkologischen Abteilung zum ersten Mal mit dieser Er-krankung konfrontiert. Wegweisend war die in der Röntgenaufnahme des Thorax entdeckte und mittels CT verifizierte Gas-entwicklung in der Thoraxwand, die zum
Abb. 5 7 VAC-Therapie
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raschen chirurgischen Eingreifen zwang. Trotzdem waren wir intraoperativ von der Ausdehnung der Infektion überrascht, die das Operationsgebiet weit über das ge-plante Ausmaß erweiterte.
Die Behandlung ist natürlich interdis-ziplinär, deshalb gilt ein besonderer Dank den Radiologen, den Anästhesisten und dem Team der Intensivstation.
Fazit für die Praxis
F An eine nekrotisierende Fasziitis ist zu denken,
1 wenn die klinische Symptomatik wesentlich schwerer verläuft als es der Lokalbefund erwarten lässt und
1 bei Lufteinschlüssen im GewebeF Möglichst rasch und so radikal als
möglich sanieren.
Korrespondenzadresse
Dr. P. StumpnerGynäkologisch Geburts- hilfliche Abteilung, Krankenhaus RohrbachKrankenhausstr. 1, 4150 Rohrbach, Ö[email protected]
Interessenkonflikt. Der Autor gibt an, dass kein Inte-ressenkonflikt besteht.
Literatur. Beim Verfasser.
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Mikrooperationen an lebenden Zellen
Mikrochirurgische Eingriffe, beispielsweise
am Auge, sind seit Jahrzehnten Routine. Doch
wie steht es mit einer lebenden Zelle als Ope-
rationsgebiet?
Ansätze, die Prinzipien der klassischen Chirur-
gie auf Behandlungen an Zellmembranen zu
übertragen, werden derzeit von Wissenschaft-
lern aus Erlangen untersucht. Bei diesen chi-
rurgischen Eingriffen, auf zellulärer und sub-
zellulärer Ebene, ersetzen Nanopartikel und
Laser das Operationsbesteck beim Schneiden,
Greifen und Verschließen von Schnitten. Er-
kenntnisse der Molekularbiologie sollen dabei
praktisch und therapeutisch anwendbar wer-
den. Die Forscher verwenden Nanopartikel,
die in einer Art optischer Falle gefangen und
präzise über eine Oberfläche bewegt werden.
Lenkt man einen Laserstrahl auf einen sol-
chen Nanopartikel, dann wirkt das Teilchen,
sofern Wellenlänge und Partikelgröße zusam-
menpassen, wie eine Linse. Direkt hinter dem
Partikel erreicht der Strahl in einem kleinen
Bereich eine sehr hohe Intensität wodurch er
wie ein chirurgisches Skalpell wirkt.
Diese Methodik, die zunächst an nicht-biolo-
gischen Werkstoffen untersucht wurde, macht
durch präzise Positionierung und einen ext-
rem kleinen Durchmesser des Laserfokusses
das Verfahren interessant für die subzelluläre
Chirurgie. Durch die Entwicklung dieser be-
rührungslosen Nanoinstrumente wird es
ermöglicht, Schnitte in die Zellmembran zu
setzen, in das Zellinnere vorzudringen und
dort zu operieren. In einem weiteren Schritt
ist der Einsatz optischer Pinzetten geplant.
Sie sollen einzelne Mikro- und Nanopartikel
berührungslos bewegen und in die Zelle
schleusen. Durch die perforierte Membran
können so Partikel in die Zelle gebracht oder
einzelne Strukturen im Zellinneren, wie etwa
Mitochondrien gezielt bearbeitet, verändert
oder entfernt werden. Damit kann in Zukunft
untersucht werden, wie wichtige zelluläre
Kommunikationswege und Strukturen auf
solche Eingriffe reagieren und ob sich ihre
Fachnachrichten
Funktion verändert. Aufschlüsse werden
speziell über die Möglichkeiten erwartet, per
Nanochirurgie die molekularen Mechanismen
zu manipulieren, die den Zelltod steuern. Hier
zeigen sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten
vor allem in der Tumortherapie, der Nervrege-
neration oder der künstlichen Züchtung von
Gewebe, dem Tissue Engineering.
Quelle:
Universität Erlangen-Nürnberg,
www.uni-erlangen.de