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WZB www.wzb.eu Juni 2012 136 Mitteilungen Digitale Welt Arbeit, Politik und Alltag im Wandel Weitere Themen: Kritik und Kontrolle in China, Steffen Huck und David Brady neue Direktoren am WZB, Karl W. Deutsch 1912-2012
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WZB www.wzb.eu

Juni 2012

136Mitteilungen

Digitale Welt Arbeit, Politik und Alltag im Wandel

Weitere Themen: Kritik und Kontrolle in China, Steffen Huck und David Brady neue Direktoren am WZB, Karl W. Deutsch 1912-2012

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012 3

Aus dem WZB

33 Konferenzberichte

36 Leibniz-Forschung: Kampf um die Weltordnung

37 Die Erforschung des Wandels Steffen Huck wird neuer WZB-Direktor

38 Wie Politik Ungleichheit schafft David Brady kommt als neuer Direktor

ans WZB

39 Wirtschaft, Politik und Institutionen im Wandel

WZB-Forschung über Formen ökono-mischer Governance

Sigurt Vitols

42 Aufklärer, Initiator, Kämpfer Rolf Rosenbrock: eine persönliche

Würdigung zum Abschied vom WZB Ilona Kickbusch

44 Nachlese: Das WZB im Dialog46 Vorgestellt: Publikationen aus dem WZB48 Personen

51 Kompakt, schnell, elektronisch Eine Zwischenbilanz der WZBriefe Kerstin Schneider

52 Vorschau: Veranstaltungen

Zu guter Letzt

54 Seiner Zeit voraus Karl W. Deutsch prägte zehn Jahre lang

das Gesicht des WZB Andrei S. Markovits

Inhalt

Editorial

5 Gesellschaft Europa Jutta Allmendinger

Titelthema

7 Vom Haben zum Greifen Auf dem Weg in eine digitale Abruf-

gesellschaft Michael Hutter

11 Kollektive Kreativität Probleme des Urheberrechts aus

interdisziplinärer Perspektive Jeanette Hofmann

15 Auf der Suche nach Austausch Digitale Nomaden und Coworking

Spaces Janet Merkel

18 Digitalisieren und sparen Lichtkonzepte für Städte und

Kommunen gefragt Nona Schulte-Römer

22 Veränderung als Konstante Bibliotheken im digitalen Zeitalter Sebastian Nix 26 Discussing Europe Online debates on the Union are plural

and mostly civilized Pieter de Wilde

29 Tuning the people China’s delicate balance between digital

freedom and repression John Keane

WZBMitteilungenHeft 136Juni 2012

Titelfoto:Konferenzteilnehmer bei der Abschlussparty der Digital Life Design-Konferenz im P1 im Münchner Haus der Kunst im Januar 2011 [Foto: Süddeutsche Zeitung Photo / Stephan Rumpf]

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 20124

Im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) betreiben rund 160 deutsche und ausländische Wissenschaftler problemorientierte Grund­lagenforschung. Soziologen, Politologen, Ökonomen, Rechtswissenschaftler und Historiker erforschen Entwicklungstendenzen, Anpassungsprobleme und Innovations chancen moderner Gesellschaften. Gefragt wird vor allem nach den Problemlösungskapazitäten gesellschaftlicher und staatlicher Institutionen. Von besonderem Gewicht sind Fragen der Transnationalisierung und Globali­sierung. Die Forschungsfelder des WZB sind:

– Arbeit und Arbeitsmarkt– Bildung und Ausbildung– Sozialstaat und soziale Ungleichheit– Geschlecht und Familie– Industrielle Beziehungen und Globalisierung– Wettbewerb, Staat und Corporate Governance– Innovation, Wissen(schaft) und Kultur– Mobilität und Verkehr– Migration, Integration und interkulturelle Konflikte– Demokratie– Zivilgesellschaft– Internationale Beziehungen– Governance und Recht

Gegründet wurde das WZB 1969 auf Initiative von Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen. Es ist Mitglied der Leibniz­Gemeinschaft.

WZB-MitteilungenISSN 0174­3120

Heft 136, Juni 2012

HerausgeberinDie Präsidentin des WissenschaftszentrumsBerlin für SozialforschungProfessorin Jutta Allmendinger Ph.D.

10785 BerlinReichpietschufer 50

Telefon 030­25 491­0Telefax 030­25 49 16 84

Internet: www.wzb.eu

Die WZB­Mitteilungen erscheinen viermal im Jahr (März, Juni, September, Dezember)Bezug gemäß § 63, Abs. 3, Satz 2 BHOkostenlos

RedaktionDr. Paul Stoop (Leitung)Gabriele KammererClaudia RothKerstin Schneider

KorrektoratUdo BorchertMartina Sander­Blanck

DokumentationIngeborg Weik­Kornecki

Texte in Absprache mitder Redaktionfrei zum Nachdruck

Auflage10.500

Abonnements: [email protected]

Fotos S. 5 und S. 44: David Ausserhofer

GestaltungKognito Gestaltung, Berlin

Satz und DruckBonifatius GmbH, Druck · Buch · Verlag, Paderborn

Impressum WZB Aufgaben und Arbeiten

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012 5

Letztens war ich wieder in Brüssel für eine Sitzung der Kommission I4G – Innovation for Growth, ein Beratungsorgan, das der Forschungskom-missarin Geoghegan-Quinn direkt unterstellt ist. Als ich nach der Sit-zung ins Hotel wollte, war das weiträumig abgesperrt. Umgestürzte Au-tos, überall Polizei in Kampfuniform. Nur war ich die einzige, die da etwas Dramatisches vermutete. Die anderen Passanten ließen sich nichts anmerken. In Berlin wäre das undenkbar. TV-Teams wären da, Politiker würden beschwörend dies oder jenes fordern, Aufregung allerorten.

Woher kommen solche Unterschiede in der Wahrnehmung, im öffentli-chen Diskurs? Es wäre lohnend, solche Phänomene zu erforschen. Doch im ersten Entwurf des neuen EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation „Horizon 2020“ war kein Cent für die Sozial- und Geisteswis-senschaften eingeplant. Null Cent in einem 80 Milliarden Euro schweren Programm. Sozialstaat, Integration, Sicherheit, Kommunikation – nicht EU-relevant?

Ein Aufschrei der entrüsteten sozial- und geisteswissenschaftlichen Community, resultierend unter anderem in einem offenen Brief an die Forschungskommissarin, wirkte. Ende Mai gab die Kommissarin die Ein-führung eines neuen Förderschwerpunkts für die Sozial- und Geistes-wissenschaften bekannt. Diese Entwicklung hat gezeigt: Die Disziplinen müssen vereint auftreten und eine starke Lobby entwickeln.

Diese Erkenntnis führte im Dezember 2011 zur Gründung der European Alliance for Social Sciences and Humanities (EASH). Die Gesellschafts-wissenschaften haben nun eine Stimme und können auch künftig für einen festen Platz in der europäischen Forschung eintreten. Die I4G wird in diesem Sinne wirken. Und das WZB unterstützt die EASH nach Kräften.

Jutta Allmendinger

Gesellschaft Europa

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Digitale Welt. Ein Nachmittag im April. Das Hamburger Landgericht entscheidet zugunsten der GEMA im Streit mit Goog-le/youtube. Eine Studie der TU Berlin stellt fest: Social Media fördern das Ver-trauen unter Studenten. Oberpiratin Ma-rina Weisband bloggt gegen die Zaghaf-tigkeit gegenüber extremistischen Tendenzen in der Partei. In St. Gallen wird der „Social Media Activity Index“ über das digitale Verhalten von Bundes-tagsabgeordneten vorgestellt. Binnen Minuten gehen diese Meldungen ein, werden von anderen e-Medien aufge-nommen, erreichen Online-Plattformen klassischer Medien, werden von Lesern kommentiert, fließen in die Arbeit an den Printausgaben ein. Grenzen und Hierar chien lösen sich auf: zwischen Medien gattungen, zwischen Lesern und Kommentatoren, zwischen Ereignis, Be-wertung, Handeln.

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Der Anschluss informationsverarbeitender Geräte an digitale Netzwerke revolu-tioniert unsere Lebensgewohnheiten. Wie zuvor schon die Alphabetisierung und der Buchdruck wird jetzt die Digitalisierung als Befreiung und Katastrophe zu-gleich erlebt: eine Befreiung von für selbstverständlich gehaltenen Beschrän-kungen, eine Katastrophe für bestehende Macht- und Geschäftsmodelle. Wäh-rend bis vor kurzem nur dünne Textreihen billig produziert und kopiert werden konnten, sind inzwischen im Internet die Bildfolgen von Videospielen verfüg-bar, in denen sich bis zu hundert Millionen Teilnehmer gleichzeitig bewegen. Die Kosten der Herstellung, vor allem aber der Verbreitung und Weiterverwendung solcher Datenpakete und der Programme zu ihrer Generierung sind um Größen-ordnungen gefallen. Der Zugang zu digital formatierten Werken ist offen, Schutz-rechte der Autoren und Verwerter können nur mit großem Aufwand oder gar nicht durchgesetzt werden. Die Konsequenzen sind für viele der bisherigen Rechteinhaber desaströs. Entsprechend erbittert ist die Diskussion über den Umgang mit Rechten.

Der Streit bleibt nicht auf rechtspolitische Experten und einschlägige Lobbyis-ten beschränkt, sondern findet in aller Öffentlichkeit, insbesondere in den Mas-senmedien statt. Der Verlauf der Fronten in Diskussionen, Aktionen und Gegen-aktionen ist unübersichtlich. Vier Gruppen sind vom Umbruch in der Informationsbeherrschung betroffen: Produzenten, Urheber, Verwender und Verwertungsgesellschaften. Alle vier haben in sich widersprüchliche Interes-sen.

Bei den Produzenten verlieren die Hersteller von Werken, die in digitaler Form vertrieben werden, etwa Filme oder Videospiele, während die Hersteller der zum Aufnehmen und Abspielen benötigten Geräte Gewinne einstreichen. Aus diesen Gewinnen – nämlich über die Kopierabgabe – werden allein etwa 40 Prozent der Ausschüttungen der GEMA finanziert.

Bei den Schöpfern der Werke verlieren etablierte Ensembles und Studios, aber unabhängige, oft nichtprofessionelle Autoren, Musiker und Programmierer ge-winnen Aufmerksamkeit und Vermögen. Hier, bei den eigentlichen Urhebern, sind die Meinungen am stärksten gespalten. Viele optieren so wie der Musiker und Blogger Jonathan Coulton: „ I believe in copyright. I benefit from it. [...] But if I had to give up one thing, if I had to choose between copyright and the wild west, semi-lawless, innovation-fest that is the internet? I’ll take the internet every time“ (www.jonathancoulton.com/2012/01/21).

Bei den Verwendern verläuft die Interessenlinie zwischen den Generationen: Die Generation, die sich an den passiven Konsum durch Massenmedien versen-deter Inhalte gewöhnt hat, ist weniger betroffen von rigorosen Maßnahmen des Rechteschutzes als die junge Generation, die neu entdeckt, was sich aus den Relikten und Novitäten, die sie umgeben, an eigenen Werken gestalten und mit anderen teilen lässt.

Am einheitlichsten treten die Verwertungsgesellschaften auf. Sie bieten zumin-dest ein Modell, wie in selbstorganisierter Weise Pauschalzahlungen von den Gewinnern der digitalen Revolution an die Urheber verteilt werden können. Al-lerdings ist der Preis für diesen wichtigen Mechanismus der Umverteilung eine fast vollständige Monopolisierung nationaler Parafisken, also der Organisatio-nen, die öffentliche Aufgaben übernehmen und sich aus Zwangsabgaben finan-zieren. Gleichzeitig sind sie wegen ihrer einfachen, vereinsartigen Entschei-

Vom Haben zum Greifen Auf dem Weg in eine digitale AbrufgesellschaftMichael Hutter

Summary: Digitally available works are increasingly easy to access. Thus, the possibilities for controlling infor-mation goods shift. Practices of dealing with content and knowledge disengage from a private property culture and find new forms in a cul-ture of rights to access and grasp con-tent. This process, in its effects com-parable to the advent of the printing press, is reflected in the current deba-te on copyright law reforms.

Kurzgefasst: Der Aufwand für diejeni-gen, die auf digital verfügbare Werke zugreifen, ist gering und sinkt weiter. Dadurch verschieben sich die Mög-lichkeiten, Informationsgüter zu be-herrschen. Der Umgang mit Wissen und Inhalten löst sich von der Eigen-tumskultur und findet neue Formen in einer Kultur, in der Rechte auf Zu-gänge, Abrufe und deren Verbindun-gen relevanter sind als Exklusivrech-te. Dieser Vorgang, in seinen Aus-wirkungen schon jetzt mit denen des Buchdrucks vergleichbar, spiegelt sich in der Debatte um die Weiterentwick-lung des Urheberrechts.

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dungsstruktur anfällig für die faktische Übernahme durch die marktbeherrschenden Produktionsunternehmen. Es bleibt deshalb unklar, ob Verwertungsgesellschaften wie GEMA, VG Wort und VG Bildkunst, denen die technologische Entwicklung völlig neue Geschäftsfelder beschert, wegen des gestiegenen öffentlichen und privaten Interesses an den Verteilungsmechanis-men in ihrer heutigen Form überleben werden.

Alle diese Parteien engagieren sich, zum Teil mit beträchtlichen Mitteln, in der Auseinandersetzung um die Weiterentwicklung des Urheberrechts. Die Argu-mente werden mit allen juristisch verfügbaren Mitteln unterstützt, die Rechte sollen selbst mit Sanktionen in Form von Geld- und Freiheitsstrafen verteidigt werden. Aber letztlich laufen alle Abwehrmaßnahmen ins Leere: Während einige Rechteverletzer physisch dingfest gemacht werden, entstehen schon wieder neue Netzwerke und Abrufmöglichkeiten.

Die Richtung, in der sich die institutionelle Veränderung bewegt, ist klar und unvermeidlich: Auf Werke digital zuzugreifen wird immer einfacher, während der Aufwand zur Verteidigung bestehender Verwertungsrechte steigt. Also läuft die Entwicklung auf eine geringere Schutzhöhe zu. Der Druck in diese Richtung ist so stark, dass er in einigen europäischen Ländern politisch organisiert wird und – in Gestalt einer parlamentarischen Fraktion – direkt auf die Gesetzge-bung einwirkt. Verfahren der Finanzierung von Autoren und Produzentinnen, die stärker über kollektive Kassen oder über Grundgebühren als über Einzel-zahlungen organisiert sind, werden erprobt, lassen aber durchaus Szenarien zu, in denen die Zahl der Künstler, die vom Verkauf oder Verleih ihrer Werke leben können, sinkt.

Der Umbruch in der Definition der Rechte eines Urhebers an seinem Werk lässt sich auch im Sprachgebrauch ablesen. Drei verschiedene Perspektiven lassen sich dabei an drei Begriffsfeldern festmachen: Eigentum – Zugang – Zugriff.

Mit dem Begriff „geistiges Eigentum“ werden Schutzansprüche – von Patenten bis zu Geschmacksmustern – bezeichnet. Der Eigentumscharakter immateriel-ler Werke wird dabei behauptet, obwohl die Differenz zu Sachen offensichtlich ist: Materielle Güter sind private, also exklusive Güter. Ihre Nutzung muss rivali-sierend sein, weil physische Körper nur an einem Ort sein können. Informati-onsgüter dagegen sind öffentliche Güter, denn ihre Inhalte, etwa die Vorteile einer Erfindung, können gleichzeitig an vielen Orten sein. Das ist der Grund, warum individuelle Schutzrechte für derartige Informationsgüter immer einge-schränkt sind durch das Interesse der Allgemeinheit an der weitestgehenden Verbreitung und Nutzung der Information. Deshalb sind sie zeitlich befristet oder müssen zwangslizenziert werden, oder sie gelten nicht für bestimmte Nut-zergruppen.

Bei echten Eigentumsrechten ist das anders: Mit Sachen – früher auch Personen – kann der Eigentümer weitgehend tun und lassen, was er will. Dem dominium liegt eine Jahrtausende alte Rechtskultur zugrunde. In der Verbindung mit die-ser Rechtskultur ist im vergangenen Jahrhundert das Urheberrecht weiterent-wickelt worden, sowohl in der europäischen Version als Autorenrecht als auch in der angloamerikanischen Version als copyright oder Kopierschutz von Wer-ken. Mit der Ausweitung der Schutzfrist auf 70 Jahre nach dem Tod des Autors und dem Ausbau des Rechtemanagements für digitale Ton-, Bild- und Datenträ-ger schien die Angleichung an das Sacheigentum weitgehend vollzogen. Trotz der normativen Verschärfung hat aber die Anzahl der Zugriffe auf geschützte Werke zugenommen. Also werden mit dem Argument des Eigentums Verbote generiert, die das Kopieren von digitalen Dokumenten mit dem Diebstahl von Fahrrädern gleichsetzen oder die Aneignung von Firmenlogos für Handtaschen mit dem Raub von Schiffsladungen durch Piraten.

Während dieser Chor der Interessierten den möglichst vollständigen Schutz in-dividueller Rechte erreichen will, hat längst ein anderer Chor eingesetzt, der das Gegenteil fordert: eine Reduzierung der Schutzansprüche, differenzierte For-men der Leistungsförderung oder gar völlig freien Zugang zu Datenquellen. Alle diese Forderungen basieren auf der Sichtweise, dass Immaterialgüter aus Infor-

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mation bestehen, also „aus allem, was sich digitalisieren lässt“, um der Definiti-on von Hal Varian, vormals Wirtschaftsprofessor in Berkeley, heute Chefökonom bei Google, zu folgen. Die Verweigerung des Zugangs zu Information wird von den Aktivisten der Access to Knowledge-Bewegung in die Nähe der Einschrän-kung von demokratischer Meinungsfreiheit gerückt, die verstärkten Schutz-maßnahmen der privaten Verwerter werden als Kontrolle der öffentlichen Sphäre interpretiert.

Etwas anders setzt das Argument an, wenn für Einzelne, besonders für Amateu-re das Recht auf Zugang gefordert wird. Sie sollen den eigenen „Remix“ aus dem Pool vorhandener Informationsressourcen gestalten können. Abschreckende Beispiele sind dabei Fälle, in denen das Auftreten von geschützten Klängen oder Bildformen in privaten Aufnahmen strafrechtlich verfolgt wurde. Private, die ihren kreativen Neigungen nachgehen, geraten unvermeidlich bei ihren Streif-zügen an Datenkomplexe, deren Nutzungsbedingungen unklar sind. Lawrence Lessig fordert deshalb eine Senkung der Schutzansprüche gegenüber Amateu-ren und einen Wechsel der juristischen Einschätzung weg von der bloßen Zahl hin zum Verwendungszweck von Kopien. Lessig ist Initiator der Creative Com-mons-Bewegung, deren open content-Lizenzen eine freiwillige Alternative zu den gesetzlichen Schutzansprüchen geschaffen haben.

Die Rede vom Zugang zu Datenkomplexen stützt sich noch auf die Metapher ei-nes physischen Wegs und wird deshalb der Eigenart digitaler Kommunikations-formen nicht gerecht. Näher am Informationscharakter der Werke wäre die Rede von Abruf oder Zugriff. Sie taucht in den neueren Diskussionen auch auf, hat aber bislang kein einheitliches Profil. Ein solches Profil lässt sich einkrei-sen, wenn man das Wortfeld um das Greifen ausmisst.

Vom Er-greifen kann gesprochen werden, wenn es um die kommerzielle Werk-verwendung durch Dritte geht, für die mit einer Lizenzgebühr bezahlt wird. Ein Großteil der Erträge wird dabei in wenigen Jahren erzielt, also in einer Zeit-spanne, die weit unter den Schutzansprüchen des Urheberrechts liegt. Hier ent-spricht die Verwendung weitgehend der Miete oder Pacht von dinglichen Rech-ten. Das Ergriffene kann wieder zurückgegeben werden.

Dem Be-greifen entspricht die Erfahrung, die Verwender mit den Bedeutungsin-halten eines Werks erleben. Das macht ja die fundamentale Eigenart der geisti-gen Güter aus: Sie werden über die kognitive Wahrnehmung erfasst und in den Bedeutungs- und Gedächtnisstrukturen des individuellen Bewusstseins inter-pretiert. So entstehen Erfahrungen, die die Verwender in immer neuen Varian-ten erleben wollen. Im Überfluss der digitalen Angebote verhalten sie sich wie Flaneure, die Erfahrungen und Eindrücke vergleichend wertzuschätzen lernen. Viel stärker als in Branchen mit analogen Medien zeigt sich in den hochdigita-lisierten Branchen das Phänomen der asymmetrischen Aufmerksamkeit: Gerin-ge Informationsunterschiede genügen, um einige Werke aus völliger Anonymi-tät zum Bestseller-Produkt zu machen, weil nicht mehr professionelle Informationsmedien eine Vorauswahl treffen, sondern einzelne Aufrufe und Wertungen den Ausschlag geben. In diesen Märkten bildet sich zurzeit ein Spek-trum von Zahlungsformen, von micro-payments für singuläre Ereignisse bis zu flat rates, mit denen ähnlich wie bei einem Festival ein Bündel von Angeboten ausprobiert werden kann.

Dem Ein-greifen schließlich entspricht die Teilnahme an gemeinsamen Netz-werken. Die Teilnehmer greifen gegenseitig auf ihre accounts zu, sie kommen-tieren, kopieren und modifizieren das abrufbare Material. Die Netzwerke kön-nen aus Experten bestehen, wie die Netzwerke, die im open source-Modus Betriebssysteme und Programme weiterentwickeln, oder aus den Teilnehmern von social networks – mit einer Vielzahl von kleinen, wiederum miteinander vernetzten Gemeinden –, in denen digital aufgenommene Eindrücke und digital gespeicherte Funde einander mitgeteilt werden. Die Vielfalt und die Dichte der Netzwerke, die in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind, sind vielleicht das stärkste Anzeichen der medialen Veränderung, die die Digitalisierung mit sich bringt. In diesen Netzwerken wird der Austausch selten über Zahlungen koordiniert. Die Teilnehmer sind verbunden durch gegenseitige Verpflichtun-

[Foto: David Ausserhofer]

Michael Hutter, habilitierter Volkswirt, ist seit 2008 Direktor der WZB-Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit und Forschungsprofessor am Institut für So-ziologie der Technischen Universität Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Innovationen in der Kreativwirtschaft sowie historische Wechselwir-kungen zwischen Wirtschaft und [email protected]

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gen: Danksagungen, Quellenzitate, vor allem aber wertende Kommentare über-nehmen die Rolle der Schuldscheine. Hier entsteht eine Moral, die dem Problem der Schöpfung und Verwertung digitaler Inhalte angemessen ist. Die gesell-schaftliche Koordination durch Schuldverhältnisse war durch die Erfolge der Gütermärkte im vergangenen Jahrhundert eher in Vergessenheit geraten. Unter den Bedingungen digital vermittelter Kommunikation entfalten Bindungen wie Dankbarkeit und Schuld neue Möglichkeiten, kreative Prozesse gemeinschaft-lich zu organisieren.

„The internet“, schreibt der Pionierprogrammierer und Rechtsprofessor Eben Moglen, „is not a thing, but a social condition“. So löst sich der Umgang mit Wis-sen und Inhalten von der Eigentumskultur und findet neue Formen in einer Kultur, in der Rechte auf Zugänge, Abrufe und Zugriffe relevanter sind als exklu-sive Rechte.

LiteraturBaecker, Dirk: „Communication with Computers, or How Next Society Calls for an Understanding of Temporal Form“. In: Soziale Systeme, Jg. 13, H. 1+2, 2007, S. 407-418.

Lessig, Lawrence: Remix. Making Art and Commerce Thrive in the Hybrid Economy. New York: Bloomsbury Press 2011.

Moglen, Eben: „Anarchism Triumphant: Free Software and the Death of Copyright“. In: Neil W. Netanel/Niva Elkin-Koren (Eds.): The Commodification of Information. Den Haag/New York: Kluwer Law International 2002, S. 107-132.

Kapczynski, Amy/Krikorian, Gaëlle (Eds.): Access to Knowledge in the Age of Intel-lectual Property. Cambridge, MA: Zone Books 2010.

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Summary: Against the backdrop of the present controversy in Germany, this article portrays copyright law as a field of re-search. As contributions from various disciplines indicate, concepts such as the work, author, and also the metaphor of intellectual property, are social constructs whose meaning and impact evolve simultaneously with the law. Copyright law gen-eralizes assumptions about the creative process. As a result of digitization, problems embedded in the construction of copy-right law are now resurfacing.

Kurzgefasst: Über das Urheberrecht wird heftig öffentlich dis-kutiert. Welchen Beitrag liefert die Forschung zur Klärung grundsätzlicher Fragen? Die Betrachtung unterschiedlicher Disziplinen zeigt, dass Phänomene wie das Werk, der Autor, aber auch die Metapher des geistigen Eigentums durch das Ur-heberrecht zur gesellschaftlich-ästhetischen Norm erhoben worden sind. Das Urheberrecht reguliert nicht nur Märkte, es verallgemeinert auch Annahmen über den schöpferischen Prozess. Die Digitalisierung aktualisiert Probleme, die bereits in der Konzeption des Urheberrechts angelegt sind.

Die aktuelle Kontroverse über das Urheberrecht ist durch eine Frontstellung zwi-schen Autoren und Internetnutzern geprägt. Ein Blick auf die Beiträge verschie-dener wissenschaftlicher Disziplinen zu diesem Thema zeigt, dass weder Digitali-sierung noch Umsonstkultur allein Ursache sind für den Akzeptanzverlust des Urheberrechts. Das Internet hat vielmehr Dilemmata zum Vorschein gebracht, die schon in seiner Konstruktion angelegt sind. Es könnte die gegenwärtige Ausein-andersetzung bereichern und entspannen, wenn das Konstrukt des „geistigen Ei-gentums“ im Spiegel seiner historischen Entwicklung, der rechtswissenschaftli-chen Vorbehalte und der ökonomischen Wirkungsanalysen betrachtet wird.

Die Literatur- und die Musikwissenschaft haben sich mit dem Urheberrecht als Erzählung über den kreativen Schaffensprozess befasst. Studien über die litera-rische und musikalische Praxis des 17. und 18. Jahrhunderts zeigen, dass das heutige Verständnis eines abgeschlossenen und unveränderlichen Originals, dessen Schaffung einem Künstler zugeordnet werden kann, eine relativ junge Erfindung ist. Diese fasst erst allgemein Fuß mit der Diskussion über den ver-breiteten Büchernachdruck und die Anerkennung geistigen Eigentums Ende des 18. Jahrhunderts. In der Musik der frühen Neuzeit hat die Aufführungspraxis für eine ständige Weiterentwicklung musikalischer Werke gesorgt. Musikalische Schöpfungen wurden durch Aufführungen angetrieben, die sich wiederum an den jeweiligen Anlässen und deren Publikum ausrichteten. Weil die einzelne ein-malige Darbietung und der direkte Kontakt zwischen Künstlern und Publikum eine bestimmende Rolle spielten, befanden sich die Werke gewissermaßen im-mer im Fluss. So entstanden Kompositionen wie die „Zauberflöte“ durch eine Technik des adaptiven Rekombinierens. Alles in allem wurden 43 Melodien iden-tifiziert, die das Genie geliehen hat: 33 bei sich selbst und immerhin 10 bei Kol-legen. Ein prominentes Beispiel aus der Literaturgeschichte sind die Werke von William Shakespeare: Die Vielfalt der bekannten Versionen etwa der Tragödie „King Lear“ legt nahe, dass die Vervielfältigungen des Texts als Anlass für Anpas-sungen genutzt wurden und die heute rechtlich so wichtige Unterscheidung zwi-schen Original und Kopie in der frühen Neuzeit selbst dann noch keine entschei-dende Rolle spielte, als der Buchdruck identische Kopien möglich machte.

Parallel zur Verfestigung des Werksbegriffs durchlief auch die Rolle des Schöp-fers eine grundlegende Transformation. Bis zum Aufkommen des Geniekults in

Kollektive Kreativität Probleme des Urheberrechts aus interdisziplinärer PerspektiveJeanette Hofmann

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England und Deutschland Mitte des 18. Jahrhunderts, der nicht länger die kultu-relle Praxis, sondern die individuelle Leistung des Autors ins Zentrum rückte, gehörte die Nachahmung im Rahmen etablierter ästhetischer Regeln zum wich-tigsten Stilmittel in der Kulturproduktion. Bis dahin galt der nachahmende Schriftgelehrte als Handwerker, dessen Status sich nicht grundlegend von dem des Druckers unterschied. Erst die Epoche der Romantik verortete die Quelle kulturellen Schaffens in den besonderen Fähigkeiten des Individuums, das nun Besitzansprüche an sein Werk stellte.

Solche Befunde rütteln am Urmythos des Urheberrechts, weil sie deutlich ma-chen, dass das neu geschaffene Original, das einem Genie-Autor zuordenbare Werk, lediglich eine von mehreren Erscheinungsformen kultureller Produktion ist. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung sind der Genie-Autor und sein Werk nicht zuletzt durch die urheberrechtliche Kodifizierung zum Normal- und Refe-renzfall geworden. Die kulturellen Praktiken der Nachahmung und Weiterent-wicklung hat das allerdings nicht verdrängen können. Augenfällig wird die heu-tige Bedeutung von Imitation und kumulativem Fortschritt in der Wissenschaft, aber auch in Bereichen wie Architektur, Design und Mode, die sich durch Imita-tion oder Zitat wechselseitig Reverenz erweisen. Die Rekombination und Vari-anz digitaler Video- und Musikrepertoires wie das remix oder mashup scheinen sich unmittelbar an Mozarts Arbeitsweise anzulehnen.

Die digitale Technik erleichtert kollektive Produktionsformen, und in ausge-wählten Bereichen wie der Online-Enzyklopädie Wikipedia oder der Entwick-lung quelloffener Software privilegiert sie das Werk gegenüber den beitragen-den Autoren. Die peer production (Yochai Benkler) versteht sich als Alternative zur rechtlichen und ästhetischen Norm des Genie-Autors. Wie das Kopieren und Imitieren im Internet handelt es sich nicht um neue Verfahren, sondern um den Rückgriff auf kulturgeschichtlich längst bekannte Schaffensformen.

Der Begriff des geistigen Eigentums ist vor allem in der deutschen Rechtswis-senschaft bis heute umstritten. Viele Experten ziehen den Ausdruck Immateri-algüterrecht vor – so auch das aus diesem Grund jüngst umbenannte Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht in München. Die Debatte über die Eigentumsfähigkeit kultureller Leistungen reicht bis in die Formierungsphase des Urheberrechts zurück. Im Kern dreht sie sich um die Frage, ob der Eigentumsbegriff, der ja einen exklusiven Nutzungsanspruch be-gründet, auch auf kulturelle Schöpfungen angewendet werden kann, die schwer abgrenz- und zuordenbar, aber auch leicht kopier- und modifizierbar sind. Ei-gentum an einer Sache setzt die Kontrolle darüber voraus – eine Anforderung, die für immaterielle Güter in digitalen Umgebungen schwerer denn je durchzu-setzen ist.

Die verbreitete Analogiebildung zwischen materiellem und immateriellem Eigen tum, die sich unter anderem in begrifflichen Neuschöpfungen wie der „Raubkopie“ niederschlägt, hat in der Rechtswissenschaft Kritik hervorgerufen. Beobachtet wird nämlich, dass rhetorische Figuren wie der „Diebstahl geisti-gen Eigentums“ eine Recht konstituierende Wirkung ausüben. Wenn der genuine Unterschied zwischen materiellem und immateriellem Eigentum rechtlich eingeebnet und das digitale Kopieren als Straftat geahndet wird, be-schneidet das nicht nur die Kommunikation im Internet, die ja auf fortwähren-den Kopiervorgängen beruht, sondern auch den Spielraum für kreative Aus-drucksformen.

Der Begriff des geistigen Eigentums wird aus juristischer Sicht aber auch kri-tisiert, weil er die komplexen Beziehungen, Regeln und Verfahren der wirt-schaftlichen Inwertsetzung von Informationsgütern nur unzureichend abbil-det. Aus einer Governance-Perspektive betrachtet, die alle relevanten Akteure und Koordinationsformen in den Blick zu nehmen versucht, erweisen sich die urheberrechtlich verbrieften Verwertungsansprüche lediglich als ein Baustein in einem umfassenden Arrangement von Verträgen, Organisationen und Ge-schäftsmodellen. Welche Rechte haben die Urheber an ihren Werken? Wie ver-teilen sich die Gewinne zwischen Urhebern und zwischen Urhebern und Ver-wertern? Wie steht es um die Nutzungsrechte für digitale Güter? Die

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gegenwärtigen Spielregeln, aber auch die Konzentration der Kulturgütermärkte erschließen sich nicht aus den exklusiven Rechten der einzelnen Urheber, sie reflektieren vielmehr den singulären Charakter von Informationsgütern und die durch lange Schutzfristen begünstigten Verwertungsmonopole.

Worin besteht nun das Problem des Urheberrechts im digitalen Zeitalter? Hier lohnt ein Blick auf die ökonomische Theorie. Information und Wissen gelten ihr als Inbegriff des öffentlichen Guts. Denn erstens nimmt Wissen durch Nutzung nicht ab, es ist also beliebig reproduzierbar. Zweitens ist es nahezu unmöglich, die Ausbreitung von Informationen zu verhindern, die einmal in Umlauf sind. Weil die Gewinnaussichten unter solchen Bedingungen unsicher sind, stellt der private Sektor öffentliche Güter nicht im gesellschaftlich wünschenswerten Umfang her. Diesem Marktversagen soll das Urheberrecht begegnen: Der Staat schafft damit rechtliche Rahmenbedingungen, die das öffentliche Gut Informa-tion in ein privates verwandeln, so dass eine kommerzielle Verwertung profita-bel wird. Kreative Leistungen werden mit eigentumsförmigen Ausschlussrech-ten versehen; ein temporäres Verwertungsmonopol sorgt dafür, dass die Vermarktung von kulturellen Gütern allein den Schöpfern bzw. den Verwertern ihrer Werke vorbehalten ist.

Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht zieht die Beschränkung des freien Zugangs zu öffentlichen Gütern allerdings Verschwendung nach sich, weil weniger Men-schen mit Informationsgütern versorgt werden, als unter gegebenen Kosten möglich wäre. Die durch Ausschlussrechte verursachte Unternutzung wird zu-sätzlich verstärkt durch den Umstand, dass Informationsgüter nicht nur Kon-sumobjekte sind, sondern auch Produktionsfaktoren, die die Grundlage für neu-es Wissen bilden. Wissen entwickelt sich kumulativ; wir stehen bekanntermaßen alle auf den Schultern von Riesen und erzeugen neues Wissen unter Rückgriff auf vorhandene Informationsquellen. In dem Maße, in dem das Urheberrecht vergangene kulturelle Leistungen schützt, erschwert es die Entstehung neuer Kulturgüter und behindert folglich Innovationen.

Genau darin besteht aus ökonomischer Sicht das Dilemma informationeller Schutzrechte: Zwar trägt es zur Schaffung von Informationsgütern bei, indem es Investitionen schützt und ihre Vermarktung absichert, jedoch um den Preis ei-ner ineffizienten Verteilung und der Verteuerung künftiger Innovationen. Be-sonders drastisch zeigt sich dieses Problem im Bereich der Softwareentwick-lung, wo die Nutzung eines prinzipiell begrenzten Repertoires technischer Lösungen durch ein Dickicht von sich überlappenden Schutzrechten geprägt ist. Ein vielzitiertes Beispiel ist das moderne Smartphone, das moderaten Schätzun-gen zufolge mindestens einige 10.000 Patente auf sich vereint.

Die neue Bedeutung des Urheberrechts als Regulierungsrahmen für die digita-le Welt fordert auch die sozialwissenschaftliche Forschung heraus. Aufbauend auf den wirtschafts-, literatur-, musik- und rechtswissenschaftlichen Erkennt-nissen zur Entwicklung und Wirkung des Urheberrechts, entstehen derzeit ver-mehrt Diskursanalysen, die die rhetorischen Strategien der beteiligten Akteure und ihren Einfluss auf den Politikverlauf beispielsweise im Zusammenhang mit Urheberrechtsreformen untersuchen. Im Bereich der internationalen Be-ziehungen richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Aushandlung grenzüber-schreitender Abkommen wie ACTA, die auf eine verbesserte Durchsetzung von Schutzrechten zielen. Dabei geht es um das Netzwerk der beteiligten Organisa-tionen und seine Ziele wie etwa die Privatisierung des Rechtsvollzugs.

Zugleich stoßen die staatlichen und privaten Reforminitiativen auf zunehmen-des sozialwissenschaftliches Interesse. Beispiele dafür sind das von den Wissen-schaftsorganisationen unterstützte Open Access-Publikationsverfahren für die akademische Literatur oder die internationale Creative Commons-Lizenz, die das Urheberrecht gewissermaßen aufschnürt, so dass Kreative einzelne Rechte an ihren Werken abzutreten können. Auch Google Books, das Projekt einer privat-wirtschaftlichen digitalen Bibliothek, das wissenschaftlichen Einrichtungen Zu-gang zur Literaturdatenbank verkaufen möchte, erfordert eine Modifikation des Urheberrechts. Allen drei Initiativen gemeinsam ist die zunehmende Be deutung privater technischer und vertragsförmiger Normen in der transnationalen Re-

[Foto: David Ausserhofer]

Jeanette Hofmann ist wissenschaftliche Mitarbeite-rin der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit und Direktorin am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Sie forscht zu den Themen Regulierung des Internet, Urheberrecht und digitale Gesellschaft. Sie ist Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestags Internet und digitale Gesellschaft. [email protected]

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gulierung digitaler Informationsflüsse. Die Regelungshoheit über diese Infor-mationsflüsse im Internet ist Gegenstand von Kooperation wie auch Konkurrenz zwischen privaten und staatlichen Akteuren, genauer: zwischen Internetwirt-schaft, Zivilgesellschaft, staatlichen und intergouvernementalen Organisatio-nen.

In der Wirtschaftsforschung schließlich wird die Bedeutung des Kopierens und Imitierens als Innovationstechnik entdeckt. Genauer besehen, lässt sich fast je-des erfolgreiche Produkt auf einen Vorläufer bzw. Ideengeber zurückführen. Deshalb gilt die public domain, das heißt die Werke und Verfahren, deren Ge-brauch nicht durch Urheber- oder Patentrecht geregelt ist, inzwischen als wich-tige Ressource für die Innovationsfähigkeit einer Branche. Ein offensichtliches Beispiel hierfür ist die Erfolgsgeschichte des Internet, dessen technische Stan-dards entwickelt und zur allgemeinen Nutzung freigegeben wurden, bevor der Trend zur Privatisierung der Informationstechnik einsetzte.

Literatur Dritter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesell-schaft“. Urheberrecht. Drucksache 17/7899, 23.11.2011. Berlin: Deutscher Bundes-tag, online: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/078/1707899.pdf (Stand: 15.05.2012).

Hofmann, Jeanette: „Private Ordering in the Shadow of Copyright Law: Google Books as a Blueprint“. In: Andreas Busch/Jeanette Hofmann (Hg.): Politik und die Regulie-rung von Information. Politische Vierteljahresschrift, Sonderband 46. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft (im Erscheinen).

Gehlen, Dirk von: Mashup – Lob der Kopie. Frankfurt a.M.: edition suhrkamp 2011.

Kawohl, Friedemann/Kretschmer, Martin: „Johann Gottlieb Fichte, and the Trap of Inhalt (Content) and Form. An Information Perspective on Music Copyright“. In: In-formation, Communication & Society, Vol. 12, No. 2, 2009, S. 205-228.

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Den „Tod der Distanz“ oder eine „flache Welt“, in der räumliche Nähe unwichtig werde, prognostizierten Wirtschaftsgeografen, seitdem neue Kommunikations- und Informationstechnologien wie das Internet Verbreitung fanden. Der digitale Nomade ist seither Sinnbild des neuen, ortsungebundenen Arbeiters. Nur mit Lap-top, Smartphone und WLAN-Stick ausgerüstet, kann er überall seiner Arbeit nach-gehen. In der Tat hat die Digitalisierung unsere Arbeitswelt tiefgreifend verändert.

„Revolution doesn’t happen when society adopts new technology, it happens when society adopts new behaviors.“ Wie der amerikanische Medienwissen-schaftler Clay Shirky bemerkt, ist das Internet dabei lediglich die Technologie. Erst die Anwendung durch die Nutzer schafft neue Berufsprofile, neue Formen der Arbeit und Arbeitsorganisation oder neue Kulturtechniken und verändert schließlich auch die Orte, an denen wir arbeiten. Dies verdeutlicht ein neues Phänomen, das gegenwärtig in Städten weltweit zu beobachten ist: Coworking und die rasante Zunahme von Coworking Spaces. Vor allem freiberufliche Er-werbstätige aus den verschiedenen Bereichen der Kultur- und Kreativwirt-schaft, die exemplarisch für die Entgrenzung von Arbeit stehen, arbeiten immer öfter in diesen Gemeinschaftsbüros. Coworking stellt einerseits eine Strategie im Umgang mit flexiblen, meist atypischen Erwerbsverhältnissen dar. Anderer-seits steht es für die Kehrseite der Digitalisierung, weil es den Wunsch der digi-talen Nomaden nach sozialer und räumlicher Nähe verdeutlicht.

Das gemeinsame Arbeiten an einem Ort oder in einem Raum ist nicht neu: Auch die klassische Bürogemeinschaft oder das Großraumbüro in einem Unterneh-men können als ein Coworking Space bezeichnet werden. In einem engeren Sinne steht Coworking jedoch für eine flexible, gemeinschaftliche Büroarbeits-weise und kann verschiedene Formen annehmen: Diese reichen von regelmäßi-gen, eintägigen Treffen an einem Ort (sogenannte Jellies) bis hin zu professio-nell organisierten Arbeitsplätzen in Coworking Spaces, wie dem Betahaus in Berlin oder The Hub in London, die temporär (tage-, wochen- oder monatsweise) gemietet werden können und mitunter bis zu 200 Coworkern Platz bieten. Wäh-rend Bürogemeinschaften früher vornehmlich selbstorganisiert waren, findet sich heute zunehmend ein professioneller Markt für Gemeinschaftsbüros. Allein in Berlin gibt es mittlerweile über 30 Coworking Spaces, weltweit ca. 1.300, wie das Online-Magazin Deskmag errechnet hat. Ihre Zahl wächst rapide, wenn man bedenkt, dass der erste sogenannte Coworking Space 2005 in San Francisco ge-gründet wurde.

Dem First Global Coworking Survey zufolge sind die Nutzer dieser Räume zu 54 Prozent Freiberufler, durchschnittlich 34 Jahre alt (jeder Zwölfte ist bereits über

Auf der Suche nach Austausch Digitale Nomaden und Coworking SpacesJanet Merkel

Summary: Digitalization has already profoundly altered our working environment. New professions have developed, work processes and even the places where we work have changed. Right now, a new phenomenon has emerged: coworking. Co-working spaces are sprouting up around the world; spaces where mobile workers from knowledge-intensive service sec-tors come together in a community to work in a cooperative atmosphere.

Kurzgefasst: Die Digitalisierung hat unsere Arbeitswelt bereits tiefgreifend verändert. Neue Berufsprofile sind entstanden, Arbeitsabläufe haben sich gewandelt und auch die Orte, an de-nen wir arbeiten. Gegenwärtig zeigt sich ein neues Phänomen: Coworking. Überall auf der Welt entstehen Coworking Spaces – Räume, in denen sich mobile Arbeitskräfte aus dem wis-sensintensiven Dienstleistungssektor zum gemeinschaftlichen Arbeiten in kooperativer Atmosphäre zusammenfinden.

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50), zu zwei Dritteln männlich, und vier von fünf besitzen einen Universitätsab-schluss. Vor allem Freiberufler aus der Kultur- und Kreativwirtschaft – ob Blog-ger, Designer, Grafiker, Redakteure, Programmierer oder Übersetzer – arbeiten in Coworking Spaces. Aus ihren Selbstbeschreibungen lassen sich drei zentrale Argumente für diese Gemeinschaftsbüros identifizieren. Die flexible Anmietung eines Arbeitsplatzes kommt der projektförmigen Arbeitsweise und einer unsi-cheren Auftragslage entgegen, vor allem in der Anfangsphase einer Freiberuf-lichkeit oder Selbstständigkeit, in der Fixkosten niedrig gehalten werden müs-sen. Diese Flexibilität führt wiederum zu einer hohen Fluktuation und einer ständig wechselnden Besetzung der Coworking Spaces.

Mit dem Arbeiten in Coworking Spaces verbinden die Akteure zweitens die Hoffnung, sich mit Gleichgesinnten austauschen zu können und eine direkte Form sozialer Bestätigung und Anerkennung der eigenen Fähigkeiten zu erfah-ren. Coworking ist damit eine Alternative zum Arbeiten am heimischen Schreib-tisch. Selbstdarstellungen von Coworking Spaces benutzen oft den Begriff des „dritten Ortes“, eines halböffentlichen Raums, der zufällige, informelle Begeg-nungen ermöglicht, ein Versprechen auf Austausch in sich birgt und Coworkern eine soziale Zugehörigkeit mit Gleichgesinnten vermittelt.

Ein drittes Motiv ist das selbstbestimmte Arbeiten in anregender, kooperativer Atmosphäre, bei dem ein wechselseitiges Lernen im Vordergrund steht. Auf-grund der räumlichen Verdichtung verschiedener, aber ähnlicher Tätigkeiten kann der Übergang von nebeneinander arbeiten zu miteinander arbeiten flie-ßend sein. Coworking Spaces sind also nicht nur als flexible, preiswerte Arbeits-orte, sondern auch als soziale Lern- und Integrationsorte für mobile Arbeits-kräfte zu verstehen.

Coworking wird mit gemeinschaftlich orientierten Werten wie Zusammenar-beit, Offenheit, Gemeinschaft, Zugänglichkeit und Nachhaltigkeit in Verbindung gebracht. Das Teilen von Informationen, Infrastrukturen, Wissen, Fähigkeiten und Ressourcen gehört zu einem immer wieder bemühten Motiv in Selbstbe-schreibungen von Betreibern und Nutzern dieser Gemeinschaftsbüros. Cowor-king kann aber auch auf andere (Lebens-)Bereiche übertragen werden. Soeben hat in London der erste Coworking Space mit integriertem Kindergarten (co-playing) eröffnet, und Daimler Chrysler entwickelt sein neues Carsharing-Pro-jekt (car2go) aus einem Gemeinschaftsbüro heraus.

Coworking Spaces werden von ihren Betreibern, den Hosts, materiell wie sozial kuratiert. Die ästhetische Gestaltung einer anregenden Arbeitsumgebung über die Einrichtung, die Farbgebung oder die Ausrichtung der Arbeitsplätze zuein-ander wird von ihnen ebenso sorgfältig organisiert wie regelmäßige Früh-stückstreffen, Vorträge oder Workshops, mit denen Coworkern das gegenseitige Kennenlernen erleichtert wird und in denen Projekte miteinander diskutiert werden. Zudem pflegen die Hosts einen regen Austausch mit anderen Betrei-bern von Coworking Spaces und binden darüber den einzelnen Coworker in eine globale Bewegung ein. Denn die Coworking-Szene hat mittlerweile eigene Festivals, Konferenzen und Journale. Auch wird gegenwärtig ein „Coworking Visa“ erprobt, mit dem Coworker weltweit in allen teilnehmenden Gemein-schaftsbüros arbeiten können.

Bereits die Namen von Coworking Spaces wie Betahaus, Cluboffice, Seats2Meet, Agora, Buero 2.0, ThinkSpace, Common Spaces, Camaraderie, The Hub, Toolbox spielen mit der Verknüpfung von Gemeinschaft, Raum und der Entstehung neu-er Ideen. Aufgrund der räumlichen Verdichtung verschiedener Arbeits-, Praxis- und Wissenskulturen könnten Coworking Spaces für ein neues Innovationsmo-dell durch inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit und kollaborative Problemlösungsansätze stehen. Sie könnten Orte sein, an denen radikale Pro-duktinnovationen entstehen, indem bislang nicht miteinander verknüpfte Wis-sensbereiche kombiniert werden, durch die gemeinsame kulturelle Fundierung neue Ideen schneller aufgegriffen und entwickelt werden und besonders in Grenzbereichen und Überlappungen Neues entstehen kann. Dass Coworking Spaces nicht nur geeignet für digitale Nomaden und Kreativschaffende sind, zei-gen immer mehr Beispiele von Unternehmen. So lassen Otto, Shell oder TUI

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einzelne Mitarbeiter oder Abteilungen zeitweise in einem Coworking Space ar-beiten. Volkswagen hat gar vor seinen Werkstoren in Wolfsburg einen eigenen Innovationscampus errichtet. Auch öffnen immer häufiger Unternehmen ihre Büroräume für externe Freelancer zum Coworking (Desksharing). Im Rahmen eines Open-Innovation-Ansatzes hoffen sie so, externes Wissen ins Unterneh-men einzubringen, ihre innovativen Ressourcen zu erhöhen wie auch geeignete, freiberufliche Fachkräfte für Projektarbeiten zu finden.

Welche positiven oder negativen Effekte das Coworking mit sich bringt, ist bis-lang kaum erforscht. Zu prüfen wäre beispielsweise, ob Coworker nur so lange in einem Gemeinschaftsbüro arbeiten, bis sie sich ein eigenes Büro leisten kön-nen. Damit wäre fraglich, ob der Coworking Space tatsächlich nachhaltig die Arbeitsweise verändert. Auch könnte die Kreativität in Coworking Spaces durch permanentes Hintergrundrauschen eher geschwächt als gestärkt werden. Ge-genwärtig zeigt sich jedoch, dass Coworking Spaces mehr sind als nur Orte, an denen gemeinsam nebeneinander her gearbeitet wird. Ob sich Coworking lang-fristig als ein Organisationsmodell für flexible Erwerbstätigkeiten im wis-sensintensiven Dienstleistungssektor etablieren wird, bleibt abzuwarten.

LiteraturDeskmag, das Onlinemagazin der Coworking Szene unter http://www.deskmag.com

Foertsch, Carsten: Die 1. weltweite Coworking Befragung. Deskmag 2011, online: http://www.deskmag.com/de/all-results-of-the-global-coworking-space-sur-vey-200 (Stand: 18.04.2012).

Pohler, Nina: „Neue Arbeitsräume für neue Arbeitsformen: Coworking Spaces“. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Jg. 37, H. 1, 2012, S. 65-78.

Shirky, Clay: Here Comes Everybody: The Power of Organizing without Organiza-tions. London: Penguin Books 2009.

[Foto: Mike Minehan]

Janet Merkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit und wurde 2012 mit einer Arbeit über neue städtische Gover-nanceformen in der Kultur- und Kreativwirtschaft promoviert. Sie arbeitet derzeit an einer Studie über Coworking Spaces und der Frage, wie deren Betreiber den Austausch zwischen den Coworkern stimulieren können. [email protected]

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„Die Digitalisierung der Beleuchtung schreitet voran“, so warb die Messe Frank-furt für den Themenschwerpunkt der diesjährigen Light+Building, der Weltleit-messe für Beleuchtungstechnik. Auch Städte und Kommunen testen sogenannte „intelligente“ Beleuchtung bereits in Pilotprojekten. Dort werden dann Straßen-züge oder Fußgängerwege so lange minimal beleuchtet, bis ein Fahrzeug oder Passant ein Sensorsignal auslöst, wodurch die Beleuchtung für kurze Zeit ihr volles Niveau erreicht. Die Bandbreite denkbarer Systemlösungen ist groß und reicht von Präsenzmeldern bis zu gekoppelten Beleuchtungs- und Energieinfra-strukturen, die Verkehrsaufkommen berücksichtigen oder Einspeisungen aus regenerativen Stromquellen zulassen. Energie zu sparen ist dabei stets ein vor-rangiges Ziel.

In der Diskussion um die Zukunft öffentlicher Beleuchtung kommt der Licht emittierenden Diode, kurz LED, eine zentrale Rolle zu. Mit der Halbleiter- Beleuchtungstechnologie wird elektrisches Licht elektronisch. Denn im Gegen-satz zu herkömmlichen Lichtquellen, in denen sich ein Gas entlädt oder ein Glühfaden Licht und Wärme abstrahlt, sind LED-Chips in komplexe elektronische Bauteile eingepasst. Für Lichtsteuerung und Systemlösungen eignen sich die Dioden deshalb besonders gut, weil sie stufenweise dimmbar sind und sich be-liebig schnell an- und ausschalten lassen. Mit Gasentladungslampen, die ihr vol-les Helligkeitsniveau erst Minuten nach dem Einschalten erreichen, sind rasche Schaltfrequenzen dagegen nicht zu realisieren.

Angesichts der neuen Potenziale wird die öffentliche Beleuchtung, bisher Sache von Ingenieuren und Elektroinstallateuren, auch zum politischen Thema. So för-dert die Europäische Kommission unter dem Dach ihrer „Digitalen Agenda für Europa“ zukunftsorientierte Beleuchtungslösungen und hat mit dem Grünbuch „Lighting the Future“ im Dezember 2011 eine breite öffentliche Debatte um künstliches Licht angestoßen. Erklärtes Ziel ist der verstärkte Einsatz von Halb-leiter-Beleuchtungstechnologien, also LEDs und organischen Dioden (OLED), der nächsten Innovation am Lichtmarkt. Neelie Kroes, die Vize-Präsidentin der Kommission, bezeichnet den Ausbau von LED-Beleuchtung als Selbstverständ-lichkeit, denn die Innovation bringe dank eines geringen Energieverbrauchs „mehr Geld ins Portemonnaie und einen gesünderen Planeten“. Damit verbindet die Agenda europäische Innovationspolitik mit Klimapolitik – und das im Ein-klang mit der europäischen Ökodesignrichtlinie, deren Effizienz-Mindestanfor-derungen an energiebetriebene Produkte das Aus nicht nur für Glühbirnen, sondern auch für Quecksilberdampf-Hochdrucklampen auf der Straße bedeuten.

Digitalisieren und sparen Lichtkonzepte für Städte und Kommunen gefragtNona Schulte-Römer

Summary: Recent technological developments are driving ad-vances in the digitalisation of public lighting. But in the shad-ow of technical innovation, socio-political challenges arise that exceed functional aspects like security, the demand for a cer-tain light colour or product design. With the demand for „intel-ligent“ control systems and a high quality of light more gener-al questions arise: on the basis of what criteria can public lighting be evaluated and what platforms exist to discuss and negotiate the multiple interests in the field?

Kurzgefasst: Aktuelle technologische Entwicklungen treiben die Digitalisierung der öffentlichen Beleuchtung voran. Dabei zeichnen sich im Schatten des technischen Innovationsge-schehens gesellschaftspolitische Fragestellungen ab, die weit über funktionale Anforderungen wie Sicherheit oder gestalte-rische Ansprüche an Lichtfarbe und Leuchtendesign hinausge-hen. Denn mit der Forderung nach „intelligenter“ Steuerung und Lichtqualität steht auch zur Debatte, nach welchen Kriteri-en bewertet und auf welcher Basis vielfältige Interessen ver-handelt oder vermittelt werden sollen.

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Der so aufgebaute Handlungsdruck wird von nationalen und europäischen För-derprogrammen begleitet, etwa dem EU-Programm ESOLi (Energy Saving Out-door Lighting). Dort verspricht man sich von der intelligenten Vernetzung einen um 64 Prozent gesenkten Stromverbrauch für die öffentliche Beleuchtung in der EU. Auch in Deutschland unterstützen Bundesministerien die kommunale Umrüstung veralteter Infrastrukturen auf LED-Technologie mit großzügigen Zu-schüssen und im Rahmen von Wettbewerben.

Doch die Digitalisierung der öffentlichen Beleuchtung ist trotz der politischen Unterstützung und der beeindruckenden Entwicklung im Bereich Halbleiter-technologie keine Selbstverständlichkeit. Abgesehen von Entwicklungsbedarf bei der Sensortechnik und fehlenden Standards für LED-Produkte, wird das In-novationsgeschehen von organisatorischen und strukturellen Hemmnissen be-einträchtigt. Unklar ist beispielsweise, wie der langfristige Einsatz digitaler elektronischer Systeme bei laufendem Betrieb und mit den gegebenen perso-nellen Ressourcen und Kompetenzen bewerkstelligt werden soll. Wo bereits pri-vate Betreiber für öffentliche Beleuchtung sorgen, können bestehende Verträge dazu führen, dass die öffentliche Hand zwar investiert, aber von den Energieein-sparungen finanziell nicht profitiert, weil sich Betriebs- und Instandhaltungs-kosten an der Zahl der Lichtpunkte bemessen und nicht am Stromverbrauch.

Die in Aussicht gestellten Steuerungsmöglichkeiten werfen noch grundsätzli-chere gesellschaftspolitische Fragen auf, die weit mehr als technisches Ver-ständnis und Geschick erfordern. Das neue Maß an flexibler Steuerungsmöglich-keit macht neue Entscheidungen und Abwägungen erforderlich. Während sich das Ein- und Ausschalten öffentlicher Beleuchtung, beispielsweise durch Däm-merungsschalter, am Einbruch der Dunkelheit orientiert und damit objektiv zu bestimmen ist, versprechen „intelligente“ Systeme die Befriedigung heteroge-ner Bedürfnisse. Neben Kriterien wie Kosten- und Energieeffizienz gilt es, Si-cherheitsaspekte und Überwachungsmöglichkeiten, Aufenthaltsqualität und At-mosphäre, aber auch die Minimierung von Lichtverschmutzung gleichzeitig zu berücksichtigen. Allerdings lassen sich diese Aspekte nicht mit den gleichen Methoden bestimmen. So ist es schwierig, Werte wie individuelles Sicherheits-empfinden oder die Sichtbarkeit des Sternenhimmels zu bemessen oder gegen-einander aufzuwiegen.

Energieeffizienz allein reicht als Kriterium für angemessene öffentliche Be-leuchtungssysteme somit nicht aus, denn dann wäre Abschalten die effektivste Lösung, was unter Anhängern eines dunklen Nachthimmels zwar Befürworter fände, aber Sicherheitsaspekten, städtischen Lebensgewohnheiten und wirt-schaftlichen Präsentations- und Verkaufsinteressen entgegensteht.

Angesichts der neuen Möglichkeiten setzt sich ein Trend zur disziplinen- und ressortübergreifenden Kooperation fort, der schon älter ist als der Innovati-onsschub um die LED. In europäischen Städten und Kommunen hat die Lichtpla-nung in Form von Lichtkonzepten oder Masterplänen seit den 1990er Jahren stark zugenommen. Das zeigt auch eine WZB-Umfrage unter 38 deutschen Großstädten. Der Anteil integrierter Lichtplanung hat sich hier zwischen 2000 und 2010 etwa verdoppelt. Wo Stadtplanungsämter, Stadtmarketing oder Denk-malschutz mit Tiefbauämtern und Energieversorgern an einem Strang ziehen, wächst die öffentliche Beleuchtungsaufgabe über technische Anforderungen hinaus. Zur Debatte stehen sowohl Kriterien zur guten Gestaltung öffentlicher Räume als auch ihre kompetente Verwaltung und die Akzeptanz seitens der Bevölkerung.

Lichtqualität: ein Bewertungsproblem

„Das rechte Licht, zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort“, so lautet das Ziel, auf das sich Lichtgestalter, Stadtplaner, Hersteller und Politiker verständigen können. Offen bleibt dabei allerdings, wer darüber urteilen und entscheiden soll, welches Licht zu welcher Stunde an welcher Stelle das angemessene ist. Licht-empfinden ist nicht nur individuell, sondern auch kulturell verschieden. Mit welchen Methoden soll das „rechte Licht“ also ermittelt werden, wo darf es ge-

[Foto: David Ausserhofer]

Nona Schulte-Römer ist wissenschaftliche Mitarbei-terin der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit. Sie beschäftigt sich aus soziologischer Perspektive mit innovativer Lichtplanung und -gestaltung von städtischen Räumen. In ihrem Promotionsprojekt un-tersucht sie LED-Projekte im Bereich öffentlicher Be-leuchtung und fragt, welche Rolle lokale Akteure im Innovationsgeschehen [email protected]

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dimmt oder gar abgeschaltet werden? Je nachdem, wen man fragt, können Ant-worten auf diese Fragen unterschiedlich ausfallen. Gründe dafür sind nicht nur teils gegensätzliche Interessen von Stadtplanern, Herstellern oder Lichtdesig-nern, sondern auch deren unterschiedliche Arbeitsmethoden und Instrumente der Wissensproduktion.

Eine wichtige, wissenschaftlich fundierte Orientierung bietet die europäische Straßenbeleuchtungsnorm EN 13201. Dort sind Richtwerte zur Bemessung der Helligkeit öffentlicher Räume oder ihrer gleichmäßigen Beleuchtung für unter-schiedliche Straßentypen festgehalten. Die Empfehlungen basieren auf photo-metrischen Werten, in die nicht nur physikalische, sondern auch physiologische Erkenntnisse einfließen, zum Beispiel über das Helligkeitsempfinden des menschlichen Auges, das im grünen Spektralbereich am größten ist.

Während dieses Wissen über unser Sehvermögen durch Laborexperimente be-legt ist, lassen sich andere empirische Befunde weniger gut allgemein begrün-den, etwa die unter Nordeuropäern stark verbreitete Vorliebe für wärmere Lichtfarben. Auch in deutschen Breitengraden gehen regelmäßig Beschwerden bei Stadtverwaltungen ein, wenn dort effizientere, dafür „kalte“ Straßenbe-leuchtung eingesetzt wurde. Im Süden, so belegen die Verkaufszahlen von Leuchtenherstellern, stößt kaltweißes Licht auf größere Akzeptanz. Selbst wenn das Phänomen noch nicht abschließend erklärt ist, wird deutlich, dass sich die Lichtfarbe von Straßenbeleuchtung durchaus auf die wahrgenommene Aufent-haltsqualität öffentlicher Räume auswirkt. Das legen auch Bürgerinitiativen nahe, die mit Denkmalschutz-Argumenten für den Erhalt der Berliner oder Düs-seldorfer Gasbeleuchtung eintreten.

Aus den unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten fällt die Bewertung von angemessenem Licht auf lokaler Ebene also differenziert aus. Wie ein Experten-Workshop im WZB zeigte, greifen Lichtdesigner daher auf ein erweitertes Me-thodenrepertoire zurück, um die nächtlichen Gewohnheiten und Bedürfnisse von Anwohnern oder Touristen, Jugendlichen oder alten Menschen zu verste-hen. Als Ergänzung zu photometrischen Berechnungen dienen neben ausgiebi-gen Beobachtungen vor Ort auch nächtliche Rundgänge mit Anwohnergruppen. Zentral ist dabei, welchen Stellenwert potenzielle Beleuchtungsziele wie Plätze, Straßen, Unterführungen oder Parks im Alltag der Menschen einnehmen. Die Identifikation sogenannter Angstorte oder Treffpunkte, die mehr Licht verdie-nen, ist dabei ebenso wichtig wie Informationen über nächtlich ungenutzte oder überbeleuchtete Räume, wo Licht reduziert werden kann.

Eine dritte Position zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und weitgehend subjektiver Designpraxis bieten sozialwissenschaftliche Studien zur Bestimmung von guter Lichtqualität und angemessener Beleuchtung. So untersuchten französi-sche Forscher um den Geografen Jean-Michel Deleuil vom Institut National des Sciences Appliquées in Lyon in einem Quasi-Experiment, ob eine allein auf Ver-kehrszonen fokussierte Straßenbeleuchtung öffentliche Zustimmung findet. Die Studie zeigte, dass Probanden eine auf Straßen und Wege beschränkte Beleuchtung bei ansonsten dunkler Umgebung als unangenehm empfanden. Somit ist es zwar technisch möglich, den Lichtstrom von LED-Leuchten präzise und energieeffizient auf öffentliche Räume zu lenken, ohne Vorgärten und Fassaden mitzubeleuchten. Im Hinblick auf Sicherheitsgefühl und Aufenthaltsqualität erweist sich ein gewis-ses Maß an Umgebungshelligkeit aber als wünschenswert und ist damit relevant für die Frage nach einer angemessenen Beleuchtung.

Gesellschaftlich unproble matisch scheint es dagegen, das Helligkeitsniveau zu reduzieren, um Strom zu sparen. So ergab ein weiterer Feldversuch zur Akzep-tanz von gedimmter Straßenbeleuchtung, dass ein verringertes Beleuchtungsni-veau der Mehrheit der Versuchspersonen gar nicht auffiel. Diskussionsbedarf entsteht somit erst dort, wo wissenschaftlich ermittelte und in Gremien ver-handelte Werte der technischen Norm unterschritten werden. Doch wem ist dann Folge zu leisten? Den Wählern auf der Straße, die weniger Licht gar nicht bemerken und mehr Klimaschutz befürworten, oder den Experten, unter ihnen auch Hersteller, die normkonform Argumente wie Verkehrssicherheit und Seh-komfort anführen?

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Bewertungskonflikte und Methodendiskussionen um die gerechte und richtige Bewertung von Lichtqualität können auf dem Weg zur digitalen Beleuchtung durchaus als Chance verstanden werden. So erlaubt es die ressortübergreifende Entwicklung von Lichtkonzepten, unterschiedliche Anforderungen und Perspek-tiven bei der Planung öffentlicher Beleuchtung zu berücksichtigen. Auch neue Vernetzungsplattformen ermöglichen und fördern den produktiven Austausch: Ein solches Forum bietet etwa das 2002 gegründete internationale Städtenetz-werk LUCI, bei dessen regelmäßigen Treffen Städte ihre Beleuchtungsprojekte vor Ort vorstellen und mit Herstellern, Wissenschaftlern und Designern diskutieren.

Im konkreten Fall ist die Frage nach dem angemessenen Licht ebenso komplex wie die lokale Ausgangssituation. Intelligent lassen sich öffentliche Beleuch-tungsinfrastrukturen nur dann vernetzen und steuern, wenn neben organisato-rischen und technischen Hürden auch sozialräumliche Bedingungen mitbeach-tet werden. Angesichts dieser Herausforderung zeigen Planer und Entwickler Interesse an sozialwissenschaftlichen Studien, etwa zu nächtlichem Raumnut-zungsverhalten oder gruppenspezifischen Nachtaktivitäten. „Wir brauchen ge-sellschaftswissenschaftliche Forschung, um Skripte für digitale Lichtlösungen zu entwickeln“, so ein Entwickler von Beleuchtungssystemen auf der Light+Building. So bietet die Digitalisierung der öffentlichen Beleuchtung auch der sozialwissenschaftlichen Stadt- und Raumforschung ein neues und metho-disch anspruchsvolles Beschäftigungsfeld.

LiteraturDeleuil, Jean-Michel (Ed.): Eclairer la ville autrement. Innovations et expérimenta-tions en éclairage public. Lausanne/Lyon: Presses Polytechnique et Universitaires Romandes 2009.

Schulte-Römer, Nona: „Light for Remaking Cities. Trends and reflections on Urban Design“. In: PLDC 3rd Global Lighting Design Convention. Madrid: VIA-Verlag 2011, S. 60-63.

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Wissenschaft lebt von Information. Davon, dass kreative Ideen entwickelt, Daten erhoben, strukturiert und zueinander in Beziehung gesetzt werden – kurz: dass Wissen geschaffen wird. Die zugrundeliegenden Kommunikationsprozesse rei-chen weit in die Vergangenheit zurück.

Am Anfang der Wissenschaft stand eine Tradition mündlicher Überlieferung. Allerdings plädierte schon Aristoteles in Auseinandersetzung mit seinem Leh-rer Platon für eine Verschriftlichung wissenschaftlicher Erkenntnis. Noch in der Antike gewannen Bibliotheken als vermittelnde Instanzen der Wissenschafts-kommunikation an Bedeutung. Man denke nur an die heute noch bekannte Bib-liothek von Alexandria. Während des Mittelalters dienten Bibliotheken dann hauptsächlich religiösen Zwecken, spielten aber im Gefolge der Aufklärung vom 18. Jahrhundert an auch für die Wissenschaften wieder eine wichtige Rolle. Es entstanden eigenständige Universitätsbibliotheken und spezialisierte Fachbib-liotheken. Wissenschaftliche Bibliotheken hatten und haben seitdem die Aufga-be, jenes Wissen zu bewahren und zugänglich zu machen, das gleichermaßen Ergebnis wie Rohstoff wissenschaftlicher Arbeit ist.

Heute erleben wir einen atemberaubenden Wandel der Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Informationsversorgung. Gerade einmal 21 Jahre sind ver-gangen, seit Tim Berners-Lee das World Wide Web aus der Taufe hob. Sieben Jahre später, 1998, entstand Google – und schon 2004 fand das Verb „googeln“ Eingang in die 23. Auflage des Duden.

Heute sind das Internet oder Google nicht nur in aller Munde, sondern bereits in vielen Hosentaschen: Smartphones und immer leistungsfähigere Mobilfunk-standards ermöglichen fast überall den Zugriff auf die scheinbar unendliche, jedenfalls aber rasant wachsende Informationsfülle im Internet. Gleichzeitig er-lauben neue Technologien neue Formen der Informationsgenerierung und des Informationsaustauschs. Schlagworte wie „Web 2.0“ oder „Crowdsourcing“ be-schreiben die Möglichkeiten der kollaborativen Schaffung und Weiterentwick-lung von Wissen. Eines der bekanntesten Beispiele ist sicher die Online-Enzyk-lopädie Wikipedia.

Weitere Entwicklungen deuten sich bereits an. Mittlerweile ist die Rede von ei-nem „Web 3.0“ oder auch „semantischen Web“. Dessen Wesensmerkmal ist die Möglichkeit der maschinellen Herstellung inhaltlicher Zusammenhänge zwi-schen heterogenen Informationen unterschiedlichster Art. Damit würden Inter-netsuchen eine völlig neue Qualität erhalten, da „semantische Suchmaschinen“ der Zukunft in der Lage wären, die Bedeutung einer Suchanfrage zu „verstehen“ und dazu passende Informationen aus verschiedenen Quellen ad hoc und be-darfsgerecht miteinander zu verknüpfen. Man stelle sich beispielsweise eine Suchmaschine vor, die bei der Suche mit einem Buchtitel nicht nur sofort er-kennt, dass tatsächlich nach einem Buch gesucht wird, sondern die gleich noch eine Vielzahl passender Zusatzinformationen aus verschiedenen Quellen in übersichtlicher Form bereitstellt: Bibliotheken und Buchhandlungen in der Nähe des eigenen Standorts, bei denen der gesuchte Titel verfügbar ist; biogra-phische Informationen zum Autor; literarische Vorbilder; Literatur über das ge-suchte Werk.

Was bedeutet all dies für die Wissenschaftskommunikation – und damit auch für die wissenschaftlichen Bibliotheken? Gerade das Beispiel Wikipedia lässt erah-nen, wie sehr sich die Existenz des Internet auf gewachsene Strukturen im Wis-

Veränderung als Konstante Bibliotheken im digitalen ZeitalterSebastian Nix

Summary: The digital age means new challenges for academic research li-braries. The web has become an im-portant information resource for sci-entists. The Internet also offers new opportunities for the exchange of sci-entific information, for example when it comes to open access publishing or to interlinking research data. Aca-demic libraries, due to their know-how, may actively develop new, web-based services for researchers and thus contribute to countervailing the privatization and commercialization of scientifically relevant information resources.

Kurzgefasst: Das digitale Zeitalter stellt auch wissenschaftliche Biblio-theken vor neue Herausforderungen. Wissenschaftliche Infor mations re-cherche verlagert sich zunehmend ins Netz. Gleichzeitig bietet das Inter-net neue Möglichkeiten für die Wis-senschaftskommunikation, etwa im Bereich Open Access oder der Vernet-zung von Forschungsprimärdaten. Hier haben Bibliotheken die Chance, mit ihrem speziellen Know-how neue, internetbasierte Dienstleistungen für die Wissenschaft zu entwickeln und damit auch einer zunehmenden Pri-vatisierung und Kommerzialisierung wissenschaftlich relevanter Informa-tionen entgegenzuwirken.

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senschaftssystem auswirken kann: Spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts, also seit der Zeit der französischen Enzyklopädisten um Denis Diderot, gelten von Fachleuten verfasste Enzyklopädien als die Sammlungen des universellen Wissens der Menschheit oder zumindest eines Fachgebiets. Heute sind diese tra-ditionellen Enzyklopädien einem erheblichen Aktualitätsdruck ausgesetzt. Sichtbares Zeichen dieser Entwicklung: Im März 2012 wurde bekannt, dass die hoch renommierte „Encyclopaedia Britannica“ nach fast 250 Jahren zukünftig nur noch digital erscheint.

Auch an allen, die wissenschaftlich arbeiten, gehen diese Entwicklungen nicht spurlos vorüber. Die heute sozialisierte Wissenschaftlergeneration kann bereits zu den digital natives gezählt werden. Für sie ist der Umgang mit dem Internet eine Selbstverständlichkeit. Ihr Suchverhalten ist geprägt von der Erfahrung mit Universalsuchmaschinen wie Google: einfache Bedienbarkeit; große Ergeb-nismengen, von denen jedoch nur ein winziger Bruchteil – von der Suchma-schine als besonders „relevant“ eingestuft – beachtet wird; die Erwartung, mög-lichst am eigenen Arbeitsplatz direkt auf Ressourcen wie wissenschaftliche Zeitschriftenartikel in digitaler Form zugreifen zu können.

Nicht umsonst ist daher auch in wissenschaftlichen Bibliotheken seit einigen Jahren eine deutliche Umschichtung von Erwerbungsmitteln zugunsten elekt-ronischer Ressourcen zu beobachten: Gerade wissenschaftliche Zeitschriften werden immer seltener in gedruckter, stattdessen zunehmend in digitaler Form bezogen. Das bedeutet häufig auch, dass die Zeitschriften nicht mehr dauerhaft gekauft werden, sondern dass ein zeitlich befristetes Zugangsrecht erworben wird. In Großbritannien geht man im Rahmen des Programms UK Research Re-serve sogar so weit, die gedruckten Exemplare wenig genutzter wissenschaftli-cher Zeitschriften aus dem Bestand der meisten Universitätsbibliotheken zu entfernen; was bleibt, ist der Onlinezugriff, der allerdings zumeist über kom-merzielle Akteure (nämlich Verlage) bereitgestellt wird. Hier ist die Frage nach der Privatisierung wissenschaftlich relevanter Informationen angesprochen. Diese stellt sich auch deshalb mit besonderer Schärfe, weil solche Informatio-nen häufig an öffentlich finanzierten Einrichtungen entstehen. Ihre Vermark-tung durch private, kommerzielle Verlage wurde bereits angesprochen.

In eine etwas andere Richtung weist das bekannte Bücherdigitalisierungspro-jekt Google Books. Dafür sind schon Millionen Bücher digitalisiert und teilweise frei verfügbar gemacht worden – manchmal übrigens unter Missachtung des Urheberrechts. Und natürlich werden diese Inhalte von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gerne genutzt. Mehr noch: Google Books bietet ganz neue Möglichkeiten der maschinellen Textanalyse. So konnte beispielsweise der US-Historiker Dan Cohen unter Rückgriff auf 1,7 Mio. von Google digitalisierte Bü-cher aus der Zeit von 1789 bis 1914 zeigen, dass im Laufe des viktorianischen Zeitalters in Buchtiteln Begriffe wie „heilig“ oder „Religion“ immer seltener vor-kommen, während „Wissenschaft“ an Bedeutung gewinnt – was durchaus Rück-schlüsse auf den Zeitgeist zulässt.

Diese Entwicklung wirft auch Fragen auf, zum Beispiel: Wird wissenschaftliche Forschung so noch stärker von einem privaten, ökonomische Interessen verfol-genden Akteur abhängig? Wie kann gewährleistet werden, dass die heute mit privaten Mitteln digitalisierten Texte auch in Zukunft angesichts immer neuer technischer Entwicklungen noch lesbar und damit benutzbar sind? Nicht zuletzt deshalb plädierte Jean-Noël Jeanneney, von 2002 bis 2007 Direktor der Franzö-sischen Nationalbibliothek, schon 2005 in einer vielbeachteten Streitschrift für verstärkte Anstrengungen der EU-Staaten bei der nachhaltigen Digitalisierung ihres kulturellen Erbes – ein neues Betätigungsfeld auch für Bibliotheken.

Und was ist mit den Forscherinnen und Forschern? Sie rezipieren nicht nur digitale Inhalte via Internet, sondern sie bedienen sich ebenso neuer Formen der internetbasierten Kommunikation: E-Mails haben die Wissenschaftskom-munikation erheblich erleichtert und beschleunigt. Hinzu kommen Kommuni-kationsformen wie Weblogs oder der Kurznachrichtendienst Twitter, die auch den interaktiven, öffentlichen, wissenschaftlichen Diskurs beschleunigen und vereinfachen können. Bibliotheken stellt diese Entwicklung unter anderem vor

[Foto: Udo Borchert]

Sebastian Nix hat Kommunikationswissenschaft und Bibliotheks-/Informationswissenschaft studiert. Seit Juli 2009 leitet er den Bereich Bibliothek und wis-senschaftliche Information am WZB. [email protected]

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die Frage, welche Teile dieses dynamisierten, netzbasierten Wissenschaftsdis-kurses dauerhaft bewahrt, erschlossen und zugänglich gemacht werden sollten.

Zugleich belegen empirische Studien, dass Wissenschaftler mehrere Stunden pro Woche für die Suche nach Informationen aufwenden. Nach wie vor spielt aber der persönliche Austausch, zum Beispiel das Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen am eigenen Arbeitsplatz, eine wichtige Rolle. Andere Suchzugänge wie Fachbibliographien oder Bibliothekskataloge verlieren dagegen tendenziell an Bedeutung. Hier ist die Entwicklung neuer, zeitgemäßer Suchwerkzeuge für Bi-bliotheken das Gebot der Stunde.

Die neuen Technologien bergen viele, teilweise ungenutzte Potenziale. So wird unter der Überschrift „Open Access“ diskutiert, inwieweit auch die Endergebnis-se eines konkreten Forschungsvorhabens via Internet frei zugänglich gemacht werden können – und sollten. Einer der klassischen Publikationswege, gerade auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften, ist nach wie vor die (gedruckte oder digitale) Monografie, die bei einem wissenschaftlichen Verlag erscheint. Zumindest zahlenmäßig noch wichtiger sind Veröffentlichungen in renommier-ten Wissenschaftsjournalen. Diese Zeitschriften sind in der Regel in der Hand kommerzieller Anbieter, die zum Teil sogar über eine quasi-monopolistische Stellung verfügen. Ihre Journale sind eben diejenigen, in denen ein wissen-schaftlicher Beitrag erscheinen muss, um als exzellent und renommeeträchtig zu gelten. Diese Marktstruktur stellt übrigens gerade auch wissenschaftliche Bibliotheken vor Probleme, da die Verlage ihre Marktmacht für Preissteigerun-gen nutzen, die nicht einmal annähernd durch entsprechende Steigerungen des Erwerbungsetats der Bibliotheken aufgefangen werden. So erklärte im April 2012 selbst die renommierte und finanziell gut ausgestatte Harvard-Universität, sie stoße bei der Beschaffung wissenschaftlicher Fachzeitschriften an finanziel-le Grenzen. Und aus Protest gegen die Preispolitik des Elsevier-Verlags boykot-tiert eine kleine, aber wachsende Zahl von Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftlern weltweit die Zusammenarbeit mit diesem wirtschaftlich hochpotenten Wissenschaftsverlag.

Es gibt deshalb Versuche, Zeitschriften zu etablieren, die zum Teil nur online erscheinen und unentgeltlich zugänglich sind. Solche Entwicklungen sind je nach Disziplin unterschiedlich weit fortgeschritten. Zudem stellen sich auch hier Kostenfragen im Zusammenhang mit dem Betrieb der Infrastruktur für solche Open-Access-Zeitschriften, ihrer redaktionellen Betreuung sowie der Or-ganisation einer adäquaten Qualitätskontrolle. Bei der Beantwortung dieser Fra-gen können Bibliotheken helfen.

Umbrüche zeichnen sich ebenso bei den Forschungsprimärdaten ab. Das Spekt-rum reicht dabei von Daten aus astronomischen Beobachtungen bis hin zu den Ergebnissen sozialwissenschaftlicher Befragungen. Schon wegen des finanziel-len Aufwands für die Erzeugung solcher Daten wäre es ein Mehrwert, sie via Internet sichtbar und öffentlich zugänglich zu machen – beispielsweise um Doppelerhebungen zu vermeiden. Zugleich bestünde so eher die Möglichkeit, Forschungsergebnisse, die auf diesen Daten basieren, nachzuvollziehen und nachzuprüfen – angesichts mancher Fälschungsskandale in der jüngsten Ver-gangenheit ein nicht unwichtiger Aspekt. Schließlich könnte das semantische Web in Zukunft ganz neue Möglichkeiten bieten, Forschungsdaten inhaltlich neu zueinander in Beziehung zu setzen und neue Zusammenhänge aufzuspüren.

Wo bleiben bei alldem die wissenschaftlichen Bibliotheken? Sie haben die Chan-ce, den hier skizzierten rasanten Wandel der Wissenschaftskommunikation kre-ativ mitzugestalten, denn sie verfügen über gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Forschenden dabei helfen können, einen Weg durch den manchmal undurchdringlichen Dschungel der via Internet zugänglichen Infor-mationsressourcen zu finden. Sie haben über Jahre Expertise bei der maschi-nellen Verarbeitung großer, strukturierter Datenmengen aufgebaut. Bibliothe-ken nutzen mächtige Werkzeuge zur systematischen Beschreibung von wissenschaftlich relevanten Informationsressourcen, die zu einem „Sprung-brett“ in die Welt des semantischen Web werden können, wie Thesauri oder Normdateien für Personen und Institutionen. Sie wissen um die Notwendigkeit

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der nachhaltigen Sicherung wissenschaftlich relevanter Informationsressour-cen und arbeiten aktiv daran, dieses Wissen auch auf die Welt der elektronischen Ressourcen zu übertragen. Und schließlich sind Bibliotheken Dienstleister, de-ren primärer Daseinszweck nicht die Erzielung von Gewinnen ist, sondern eine optimale Informationsversorgung ihrer Nutzerinnen und Nutzer.

Damit können Bibliotheken wichtige Akteure in einer Gesellschaft sein, die ge-rade in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland auf die Ressource Wissen besonders angewiesen ist. Gleichzeitig stehen sie jedoch vor vielfältigen Her-ausforderungen. Diese reichen von urheberrechtlichen Restriktionen über die begrenzten finanziellen Mittel der öffentlichen Hand bis hin zur Heterogenität der Bibliothekslandschaft, die im föderalistischen System Deutschlands beson-ders stark ausgeprägt ist. Diese macht es nicht leicht, Synergien zu nutzen, die im Zeitalter weltweit vernetzter Kooperationsstrukturen notwendiger denn je erscheinen.

Doch die Probleme sind erkannt: Akteure wie der Wissenschaftsrat, die Gemein-same Wissenschaftskonferenz oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft und nicht zuletzt die Bibliotheken selbst befassen sich so intensiv wie seit Jahren nicht mehr mit der Neuausrichtung der wissenschaftlichen Informationsinfra-struktur in Deutschland. Es besteht also berechtigter Anlass zu der Hoffnung, dass wissenschaftliche Bibliotheken auch in Zukunft Treiber und nicht Getrie-bene des Internetzeitalters sein können.

LiteraturBall, Rafael: „Wissenschaftskommunikation im Wandel – Bibliotheken sind mitten drin“. In: Hohoff, Ulrich/Knudsen, Per (Hg.): Wissen bewegen – Bibliotheken in der Informationsgesellschaft. Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Son-derband 96. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann 2009, S. 39-54.

Kommission Zukunft der Informationsinfrastruktur: Gesamtkonzept für die Infor-mationsinfrastruktur in Deutschland. Berlin: Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V. 2011, online: http://www.leibniz-gemeinschaft.de/download.php?fileid=555 (Stand: 27.04.2012).

Wissenschaftsrat: Empfehlungen zu Forschungsinfrastrukturen. Köln: Wissen-schaftsrat 2011.

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The internet presents a revolution in communication. It allows instant commu-nication across the globe at low cost. It represents a change in political commu-nication from a ‘one-to-many’ logic where professional news corporations transmit news to the wider public to a ‘many–to-many’ logic in which everyone can easily communicate with everyone else.

People working in the field of political communication have spent considerable time debating what implications these new media have. Optimists consider it a major step towards more open or democratic political communication. They hail the opening up of the field and the decreasing monopoly of major news corpora-tions on political communication. Pessimists tend to think that the logic of news making does not change much and that the patterns of news making and politi-cal communication we know from traditional mass media such as newspapers, television and radio will simply be replicated on the internet. Furthermore, they fear the disappearance of quality investigative journalism, as fewer and fewer people are willing to pay for access to news. As professional journalists lose control over newsmaking, the quality of discussion may decline toward a stage of communication ‘sewage’. Finally, pessimists fear that – without professional journalists moderating the news – some loud voices may come to dominate less forceful ones and political actors will no longer be forced to provide adequate justifications for the policies they make.

In a recent study funded by the 6th framework program of the EU, Hans-Jörg Trenz (Copenhagen), Asimina Michailidou (Oslo) and Pieter de Wilde (WZB) ana-lyzed internet debates on European integration and the legitimacy of the Euro-pean Union. Debates about Europe on frequently visited websites in twelve EU member states were analyzed during the 2009 European parliamentary election campaigns. Professional journalism websites and independent blogs were sam-pled from Austria, Belgium, the Czech Republic, Finland, France, Germany, Greece, Hungary, the Netherlands, Poland, Sweden, and the UK. To illustrate, this sam-pling included the online portals of quality newspapers like Süddeutsche Zei-tung, Le Monde and The Guardian; of tabloids like Bild, Kronenzeitung and De Telegraaf; and blogs like Blogy iDnes, Le Blog Politique and Geen Stijl. All web-sites included in the study used interactive features known as Web 2.0 where readers are able to post comments in response to articles and other readers’ comments. We did not focus on how elections and political candidates were pre-sented, but rather on evaluations of the European Union as polity. That is, we investigated how actors in the news – politicians, EU institutions, individual

Kurzgefasst: Schon in der Zeit vor dem Ausbruch der Eurokri-se war die Europäische Union Gegenstand heftiger Internet-Debatten zwischen EU-Befürwortern und EU-Skeptikern, wie ein Blick auf viele interaktive Webseiten quer durch die Ge-meinschaft zeigt. Die skeptischen Stimmen sind dabei lauter. Vor allem steht dabei der Mangel demokratischer Kontrolle in der Kritik. Im Allgemeinen ist der Ton der Debatten konstruk-tiv. Die von traditionellen Printmedien betriebenen Webseiten sind die wichtigsten Diskussionsforen.

Summary: The EU is a widely contested issue on the internet, even before the Eurocrisis broke out in full force. We find live-ly debates between Europhiles and Eurosceptics on many in-teractive websites throughout Europe. The voice of Euroscep-tics is stronger, with particularly fierce criticism leveled at EU institutions and the lack of democratic accountability. Internet optimists are right in expecting pluralist debate of decent quality while pessimists are right in expecting the continued dominance of traditional news corporations in political com-munication.

Discussing Europe Online debates on the Union are plural and mostly civilizedPieter de Wilde

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citizens, civil society and others – evaluate the EU. We differentiated between three targets of evaluation: European integration as a core principle (in the sense of whether European countries should collaborate in some form or an-other); the EU as political system (as it now exists in terms of competencies, membership and institutions); and possible future steps in European integration towards a more federal union.

What we find is that both politicians making the news and readers responding to the news frequently engage in discussing European integration and the EU polity. In other words, even before the Eurocrisis truly broke out in late 2009, the EU was a widely contested subject. Particularly striking is the very similar balance of positive and negative evaluations across EU member states. There are many more negative opinions than positive ones in all EU member states stud-ied. Thus, the traditional assumption that some member states are more Euro-phile while others are more Eurosceptic should be reconsidered. In fact, citizens responding to news stories in online discussions across the EU are highly criti-cal. Though participants in the debates criticize the EU; they are supportive of the principle of integration. That is, citizens – more than politicians – support the idea of European integration, but are, at the same time, very dissatisfied with the result of the integration process. They strongly criticize the institutions that currently exist and their competencies.

A particular bone of contention is the level of democracy in the EU. Many com-plain that their voices aren’t heard, that they cannot influence what is being decided in the EU and that unelected bureaucrats within EU institutions have too much power. Yet, very few advocate a complete dissolution of the EU or even that their own country should give up membership. In that sense, the existence of the EU and our inclusion are taken for granted across Europe. So far, a re-markable consensus across EU member states is apparent. In short, European citizens and politicians alike agree in their arguments on the internet that we want Europe, but not this Europe.

These arguments clearly identify a problem, but not a solution. In effect, such arguments may best be labeled an expression of diffuse Euroscepticism con-taining a voiced grievance but no indication of what would alleviate the griev-ance. Few participants in online debates offer solutions, and the ones that do rarely agree with each other. While some advocate less Europe, others want more of it. Some see a solution in reverting back to the EU as a common market where we get rid of all the political integration and state-like symbolism. Others want to democratize Europe, for instance by directly electing the President of the European Commission or by making the Commission fully accountable to a majority in the European Parliament. The advocates of such changes accept that this democratization will probably come with a transfer of even more power to EU institutions.

The conclusion is that the internet is quite capable of hosting a lively and nu-anced debate about a complex issue, such as European integration and the le-gitimacy of the EU. Not only do many people participate in online discussions, but the arguments are generally fairly well presented in terms of decency and argumentation. Furthermore, most websites presented a space for both Euro-philes and Eurosceptics to voice their arguments. The debates were thus inclu-sive and of fairly good quality. This is a far cry from the characterization of po-litical communication on the internet as sewage. So far, our study supports the expectations of internet optimists rather than those of the pessimists.

Yet, the debates predominantly unfold on websites that belong to traditional news corporations. That is, the most frequently visited political news websites in Europe tend to be the online portals of traditional offline media, like newspa-pers and broadcasting companies. As a result, these companies continue to con-trol the flow of news and remain powerful agenda setters. To that extent, the internet pessimists are right to believe that the internet does not yet constitute a revolution in political communication. Instead, the political news as we al-ready knew it, is replicated onto a new platform. For discussions on topics like European integration , the innovation of the internet does not lie in the content

[Foto: Udo Borchert]

Pieter de Wilde is Senior Researcher at the WZB re-search unit Transnational Conflicts and International Institutions (TKI) and member of the bridging project The Political Sociology of Cosmopolitanism and Com-munitarianism. He earned his Ph.D. in political sci-ence at ARENA, Centre for European Studies, Univer-sity of Oslo on the politicization of European integration. [email protected]

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of news or the way it is presented. The innovation lies in the opportunity for readers to directly respond for all other readers to see. Through their public contributions, these readers contribute actively to the debate and become part of the news-making enterprise.

Although debates on the internet clearly identify the problem of an undemo-cratic yet powerful EU, they do not present us with a solution. In other words, there is no clear collective will presented in online debates on European inte-gration that could be translated into a political reality to satisfy everyone. In-stead, we are presented with a cacophony of different preferences. Given this dissensus and the recent history of European integration, we deem it likely that the EU will continue to evoke opposition as a simple result of its tremendous influence on the daily lives of EU citizens. Efforts by the political elite to publi-cally justify European integration simply provide fuel to the fire of online Eu-roscepticism. Euroscepticism may well be here to stay for as long as the EU exists and for as long as political elites try to justify it. Thus we will continue to observe a lively debate about the EU on the internet.

ReferencesMichailidou, A., Trenz, H.-J. and De Wilde, P. (2012) ‘W(e) the Peoples of Europe: Re-presentations of the European Union Polity during 2009 European Parliamentary Elections on the Internet’, in T. Evas, U. Liebert and C. Lord (eds) Multilayered Repre-sentation in the European Union. Parliaments, Courts and the Public Sphere, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, pp. 215-232.

De Wilde, P., Trenz, H.-J. and Michailidou, A. (2010) ‘Contesting EU Legitimacy: The Prominence, Content and Justification of Euroscepticism during 2009 EP Election Campaigns’, RECON Online Working Paper, 2010/22, ARENA, University of Oslo, http://www.reconproject.eu/main.php/RECON_wp_1022.pdf?fileitem=5456424

De Wilde, P. and Trenz, H.-J. (2012) ‘Denouncing European Integration: Euroscepti-cism as Polity Contestation’, European Journal of Social Theory. DOI: 10.1177/1368431011432968

De Wilde, P., Michailidou, A. and Trenz, H.-J. (Forthcoming) ‘Online Euroscepticism. Contesting Europe in European Parliament Election Campaigns. ECPR Press

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James Madison famously remarked that a popular government without popular information, or the means of acquiring it, is but a prologue to a farce or a trag-edy. Two decades ago, the government of the People’s Republic of China set out to disprove this rule. Rejecting talk of farce and tragedy, its rulers now claim their authority is rooted within a new and higher form of popular government, a “post-democratic” way of handling power which delivers goods and services, promotes social harmony and roots out “harmful behavior” using state-of-the-art information-control methods more complex and much craftier than Madi-son could ever have imagined.

In contrast to the period of Maoist totalitarianism, the new Chinese authoritari-anism does not demand total submission from its subjects. In such matters as the clothing they wear, where they work and which social company they keep, most citizens are mostly left alone by the authorities. Belief in communism is no longer compulsory; few people now believe its tenets and the ruling Party (as a popular joke has it) comes dressed in Nike trainers and a polo shirt topped with a Marxist hat. The regime officially welcomes intellectuals, foreign-trained pro-fessionals and private entrepreneurs (once denounced and banned as “capitalist roaders”) into its upper ranks.

The Party is everywhere. It prides itself on its active recruitment strategy and its organisations are rooted in all key business enterprises, including foreign companies. The methods of governing are clever. Ruling by means of gener-alised in-depth controls, or through widespread violence and fear, mostly be-long to the past. While the authorities reject both independent public monitor-ing of its power and free and fair general elections, they actively solicit the support of their subjects.

Protestors are crushed, but also bribed and consulted. Obsessive controls from above are matched by stated commitments to rooting out corruption and the rule of law. There is much talk of democracy with “Chinese characteristics.” Top-down bossing and bullying are measured. The regime seems calculating, flexible, dynamic, constantly willing to change its ways in order to remain the dominant guiding power.

Nowhere is this trend more strikingly evident than in the field of information. China first hitched itself to the Web in 1994; the country now has an estimated 500 million users, twice as many as in the United States. Two-thirds of them are under the age of thirty. The Chinese Academy of Sciences reports that in 2008-2009 alone 90 million Chinese citizens connected to the Internet for the first time. The overall size of Internet traffic is expected to double every 5.32 years. What is not officially reported is that the sphere of text messages, bulletin boards, blogs and other digital platforms nurtures the spirit of public resistance to arbitrary power, often with remarkable vigor. According to some estimates, 60 percent of Chinese netizens have used the Internet to express opinions aimed at scrutinising government activities.

Heavy-handed government censorship methods, popularly known as the “Great Firewall of China,” are still used frequently to suppress points of view that di-verge from the dominant positions formulated by the information office of the

Tuning the people China’s delicate balance between digital freedom and repressionJohn Keane

Kurzgefasst: In der Volksrepublik China sieht sich die Regierung mit den neuen Möglichkeiten der Mei-nungsäußerung konfrontiert, die die elektronische Kommunikation der Be-völkerung bietet. Diese bringt zuneh-mend ihre Auffassungen frei zum Ausdruck und findet viele Wege, Neu-igkeiten und Meinungen zu verbrei-ten. Spott, Satire und Verschlüsselung sind beliebt, um der staatlichen Kont-rolle auszuweichen. Repression gegen kritische Stimmen gibt es weiterhin, aber das Regime versucht auch, die interaktiven Medien zu nutzen für sanfte Formen der Beeinflussung.

Summary: The People’s Republic of China represents a frontal challenge to preconceived understandings of the multi-media communications revolution of our times. It resembles a giant political laboratory in which many crafty techniques are being de-veloped to harness the web-struc-tured media usage and digital resis-tance of citizens to the controlling dynamics of a new type of authoritar-ian regime.

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state council (the cabinet) and the propaganda departments of the ruling party. Yet information flows in China are not simply blocked, firewalled or censored. The productive channelling of dissenting opinions into government control mechanisms is a basic feature of the political order. Especially remarkable is the way the authorities treat unfettered online citizen communication as an instru-ment for improving the ability to govern, as an early warning device, even as a virtual steam valve for venting grievances in their favour.

The co-optation strategy draws upon the efforts of thousands of government employees who post anonymous online commentaries designed to support pol-icies favoured by the Party. There is also a vast labyrinth of surveillance that depends on a well-organised, reportedly 40,000-strong Internet police force. Skilled at snooping on Wi-Fi users in cyber cafés and hotels, it uses sophisti-cated data-mining software that tracks down keywords on social networking sites such as Xiaonei and search engines such as Baidu, along the way issuing warnings to Web hosts to amend or delete content considered unproductive of “harmony.” A combination of URL filtering with the blanking of keywords la-belled as “harmful” or “anti-social” is also a common strategy used to tamper with tens of thousands of websites.

Potentially embarrassing or confidential news is meanwhile filtered through the so-called neican system of internal reference reports provided on a strictly limited basis to high-ranking government officials by trustworthy official Party journalists from organs such as the People’s Daily and Xinhua News Agency. The reporting system is in effect an elaborate surveillance mechanism operated for Party members by Party members. Government officials working in “situation centres” meanwhile watch for signs of brewing unrest or angry public reactions. Reports are passed to local propaganda departments, where action is taken. The 2012 concerted campaign against Bo Xilai and his family shows that state media can be instructed to take a certain line on any particular issue; and that news websites can be told whether or how they should cover the matter, for instance by sensationalising reports in order to silence critics, or by keeping the cover-age short, so as to bury it down deep memory holes.

Calls for “discipline” and “self-regulation” are commonplace. So-called “rumor refutation” departments, staffed by censors, pitch in. They scan posts for forbid-den topics and issue knockdown rebuttals.

Within the China labyrinth, a pivotal role is played by licensed Internet compa-nies. Bound by constant reminders that safety valves can turn into explosive devices, they use filtering techniques to delete or amend “sensitive” content. Much cleverer tactics are also in use, including efforts by the authorities to draw citizens into a cat’s cradle of suspicion, praise, denunciation and control. The Party state is constantly on the lookout for new and improved ways of govern-ing its population, for instance by means of an elaborate system of government websites designed to interact with their subjects, many of whom have online access.

This makes them prime targets of government appeals. Citizens are encouraged to report anti-government conversations, or recruited as hirelings known as “50-cent bloggers.” They are routinely urged to become “Internet debaters.” There are experiments (as in Guangdong Province) with virtual petition offices, online Webcast forums where citizens can raise complaints and watch and hear officials handle them.

Organized “chats” between the authorities and citizens are flourishing. Such methods – “authoritarian deliberation” is the phrase used by some scholars – come packaged in official assurances about the need to encourage “transpar-ency” and to “balance” online opinions for the sake of harmoniously “guiding public opinion.”

What are we to make of these techniques of repressive tolerance? They cer-tainly confirm the paradoxical rule that the governments of authoritarian re-gimes are much more sensitive to popular resistance than those of democratic

[Foto: Udo Borchert]

John Keane is research professor at the WZB and pro-fessor of politics at the University of Sydney. Since 2011, he has been the founding director of the Syd-ney Democracy Initiative at the University of Sydney. In 2009, John Keane published the seminal biography of democracy: The Life and Death of [email protected]

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regimes. Looking from the top down, likening the Chinese authorities to skilled doctors of the body politic, some observers wax eloquently about the new sur-veillance tactics of “continuous tuning” (tiao) of the body politic. The simile un-derstates the ways in which the labyrinthine system of unusually well-coordi-nated do’s and don’ts is backed by pre-digital methods: fear served with cups of tea in the company of censors; reprimands, sackings and sideways promotions; early-morning swoops by plainclothes police known as “interceptors;” illegal detentions; violent beatings by unidentified thugs; disappearances and impris-onment, sometimes (reports suggest) in “black jails” operated by outsourced ma-fia gangs employed by the authorities.

Proponents of the Communist Party’s Web-monitoring tactics are typically si-lent about such institutionalised violence. They also overstate the efficiency, effectiveness, and legitimacy of the China labyrinth; the new democratic prin-ciple that complex systems of power are prone to failure, “normal accidents” and outright breakdown unless they are subject to mechanisms of open public scru-tiny remains a forbidden topic in China. Champions of the China labyrinth also ignore the popular resentments sparked by a regulatory system that treats more than a few subjects as ticklish, or taboo. To put things simply, the Party authorities are opposed to monitory democracy (jiandushi minzhu), in the richest sense of free and fair general elections combined with ongoing public monitor-ing of their power by independent watchdogs.

It is true that many things are permitted: finance, housing markets, sports, and light entertainment inoffensive to the Party leadership’s morals. Yet other sub-jects are less straightforward. Blanket public criticism of the leading role of the Party and its leading figures is not permitted. Equally taboo is fair-minded anal-ysis of “sensitive” regions such as Tibet and Xinjiang, or “sensitive” topics, such as religion and the past crimes committed by the Party.

Such restrictions breed public resentment and resistance, which (unsurpris-ingly) is most pronounced within the world of on-line communications. The range and depth of resistance to unaccountable power are astonishing. The re-

Repression. Die Polizei in der Stadt Foshan (Proving Guangdong) lässt Computer illegaler Internet-Bars zerstören (aufgenommen am 19. August 2010). [Foto: Xie Zhibiao / ChinaFotoPress /Xie Zhibiao/MaxPPP]

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gime comes wrapped in propaganda, but counter-publics flourish. Helped by sophisticated proxies and other methods of avoiding censorship, salacious tales of official malfeasance circulate fast, and in huge numbers, fuelled by online jokes, songs, satire, mockery and code words that develop meme-like qualities and function as attacks on government talk of the “harmonious society.” An early sensational example was the “mud-grass horse” mascot, a mythical animal that fights against Party control of free expression and symbolizes a Web-savvy opponent of regime censorship. Digital media users commonly re-tweet their posts (a practice known as “knitting,” the word for which sounds like “wei bo”). Messages easily morph into conversations, illustrated with pictures. The conse-quence: instantly forwarded posts tend to keep ahead of the censors, whose ef-forts at removing online material are countered by such tactics as re-tweeted screenshots.

The aggregate effect is that conversations readily go viral, causing large-scale “mass Internet incidents,” as happened (during 2010) when a citizen nicknamed “Brother Banner,” a software engineer in Wuxi, was catapulted into online celeb-rity overnight after holding a banner that read “Not Serving the People” outside the gate of a local labour relations office to protest its failure to intervene in his pay dispute with his former employer. The banner challenged the Party’s slogan, “Serving the People.” Officials were deeply embarrassed by a one-person protest that won national prominence through the Internet and, eventually, coverage in official media.

The great significance of citizens’ initiatives of this kind is the way they put their finger on hypocrisy. Relying heavily upon networked media, they project locally specific goals that for the moment do not challenge the state’s legitimacy as such but instead call on the government to live up to its promises of “harmony,” to listen and respond to the concerns of citizens in matters of material and spiri-tual well-being. The upshot is that the authorities now find themselves trapped in a constant tug-of-war between their will to control, negotiated change, public resistance and unresolved confusion. They may pride themselves on building a “post-democratic” regime which seems calculating, flexible and dynamic, willing to change its ways in order to remain the dominant guiding power. Yet they also know well the new Chinese proverb: ruling used to be like hammering a nail into wood, now it is much more like balancing on a slippery egg.

Whether the authorities can sustain their present balancing act, so proving James Madison wrong, seems at least an open question. Within the China laby-rinth, the 21st-century spirit of monitory democracy is alive and well. Whether and how it will prevail, probably with Chinese characteristics, against the crafty forces of digital surveillance, is among the global political questions of our time.

LiteratureBandurski, David/Hala, Martin: Investigative Journalism in China. Eight Cases in Chinese Watchdog Journalism. Hong Kong: Hong Kong University Press 2010.

Brady, Anne-Marie: Marketing Dictatorship: Propaganda and Thought Work in Con-temporary China. New York: Rowman & Littlefield 2008.

MacKinnon, Rebecca: Consent of the Networked: The Worldwide Struggle for Internet Freedom. New York: Basic Books 2012.

Tong, Yanqi/Lei, Shaohua: Creating Public Opinion Pressure in China: Large-scale Internet Protest. Background Brief No. 534. Singapore: National University of Singa-pore, East Asian Institute 2010.

Yang, Guobin: The Power of the Internet in China: Citizen Activism Online. New York: Columbia University Press 2009.

Zhang, Xiaoling/Zheng, Yongnian (Eds.): China’s Information and Communications Technology Revolution: Social Changes and State Responses. London/New York: Routledge 2009.

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zen und Widersprüche stoßen. So wies Nick Kratzer (Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung, München) darauf hin, dass Partizi-pationsmöglichkeiten und Autonomie in der Arbeitswelt tatsächlich ausgeweitet wurden – allerdings mit ambivalenten Folgen für die Be-schäftigten. Denn das Zugeständnis erweiter-ter Entscheidungsspielräume in der Arbeit gehe mit immer extremeren (und tendenziell unrealistischen) Leistungsvorgaben einher, für deren Bewältigung die Beschäftigten nun zu-nehmend in Eigenregie zu sorgen hätten. Dies führe immer häufiger zu krankmachenden Überforderungen.

Anlass zu kontroversen Diskussionen gab der Vortrag von Bettina Schmidt (Evangelische FH Rheinland–Westfalen-Lippe), nach deren Auf-fassung das Dringen auf mehr Betroffenenpar-tizipation im Gesundheitswesen nicht immer angemessen und zielführend sei. Nicht wenige Menschen benötigten hier gerade eine Entlas-tung von eigener Entscheidung. Die – prinzipi-ell sicherlich unterstützenswerte – Forderung nach verstärkter Entscheidungsteilhabe drohe in diesen Fällen in eine Überforderung umzu-schlagen. Diese Sichtweise traf durchaus auf Zuspruch, während andere darauf insistierten, dass es alles in allem im Gesundheitssystem nach wie vor eher zu wenig als zu viel Partizi-pation gebe. Ilona Kickbusch (The Graduate In-stitute, Genf) etwa stellte fest, dass in den letz-ten 20 Jahren Forderungen nach mehr Teilhabe, Autonomie und Selbstbestimmung im Gesund-heitsbereich zwar zunehmend entsprochen worden sei, die sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen aber auf eine fortbe-stehende Kluft zwischen Anspruch und Wirk-lichkeit verweise. Die Notwendigkeit, den Par-tizipationsgedanken in einen Zusammenhang mit modernen Gesundheitskonzepten zu stel-len und Partizipationsmöglichkeiten auszubau-en, sei daher nicht geringer geworden.

Dass es hierfür vielfältige Ansatzpunkte gibt, das zuvor erwähnte „Partizipationsdilemma“ also keineswegs unentrinnbar ist, zeigte unter anderen Hella von Unger (WZB) anhand ihrer Erfahrungen im Rahmen des dreijährigen WZB-Projekts „Partizipation und Kooperation in der HIV-Prävention mit Migrant/innen“ (Pa-KoMi), über das sie im letzten Heft der WZB-Mitteilungen berichtete. „Es ist mehr Partizipa-tion möglich, als viele für denkbar halten“, betonte die Sozialwissenschaftlerin abschlie-ßend.

Partizipation und Gesundheit

Verena Mörath

Konferenz der Forschungsgruppe Public Health am 22. und 23. März 2012

Die Tagung war zugleich ein Abschied, denn die Forschungsgruppe Public Health hat im Mai 2012 ihre Arbeit im WZB beendet. Ziel der Ver-anstaltung war es, Raum für inspirierende und kontroverse Diskussionen zum Thema Partizi-pation und Gesundheit zu bieten – mit 12 Ein-zelvorträgen und zwei Podiumsgesprächen. „Wir haben diesen Gegenstand gewählt, weil es ein Querschnittsthema in allen Feldern ist, mit denen sich Public Health beschäftigt“, sagte Rolf Rosenbrock zum Auftakt der Konferenz, an der 100 Gäste teilnahmen.

Der Sozialphilosoph Oskar Negt (Leibniz Uni-versität Hannover) legte zu Beginn dar, wie wichtig Demokratie und Partizipation für die Kohäsion der Gesellschaft, für das Wohlbefin-den und die Gesundheit ihrer Mitglieder sind. Wie schwierig dieses Ziel, über dessen Bedeu-tung Konsens herrschte, zu erreichen ist, zeig-ten die Ausführungen von Michael Vester (Leibniz Universität Hannover). Er verwies auf ein viel diskutiertes Problem: Nicht nur Ge-sundheitschancen sind sozial ungleich verteilt, sondern auch die Voraussetzungen und Chan-cen für Partizipation. Dort, wo partizipative Ansätze wegen ihres gesundheitsförderlichen Potenzials am dringendsten gebraucht werden – in den unteren Sozialschichten –, sind sie folglich am schwersten zu realisieren.

Susanne Kümpers (WZB/Hochschule Fulda) ver-deutlichte dieses „Partizipationsdilemma“ am Beispiel der Lebenssituation alter und armer Menschen in ihrem Stadtteil. Ihre Forschungs-ergebnisse zeigten, wie gering die Entschei-dungsteilhabe und die Gestaltungsspielräume von sozial benachteiligten Älteren sind, wie sehr hier materielle und strukturelle Hinder-nisse einer selbstbestimmten Lebensführung – und damit auch den Gesundheitschancen – entgegenstehen.

Auch andere Vorträge zeigten, dass Entschei-dungsteilhabe und Gestaltungsspielräume für Betroffene – ob Patienten, sozial Benachteiligte oder Arbeitnehmer – immer wieder auf Gren-

KonferenzberichteAus dem WZB

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Konstitutionalisierung in einer entgrenzten WeltBenjamin Faude

Workshop des Netzwerkprojekts Constitutio-nalism Unbound: Developing Triangulation for International Relations am 9. März 2012, gefördert von der Forschungs- und Wissen-schaftsstiftung Hamburg

Konstitutionelle Qualität wird von den meisten Menschen eng mit dem Nationalstaat verbun-den. Dass dies keineswegs zwingend ist, the-matisiert das Netzwerkprojekt Constitutiona-lism Unbound. Die Leitidee ist die Überlegung, dass es konstitutionelle Qualität auch jenseits des Nationalstaats geben kann. An dem inter-disziplinär angelegten Forschungsprojekt be-teiligen sich Forscherinnen und Forscher aus der Politikwissenschaft, der Rechtswissen-schaft und der Soziologie aus Berlin, Hamburg, Flensburg und Bielefeld. Der Workshop be-schäftigte sich mit grundlegenden konzeptio-nellen Fragen des globalen Konstitutionalis-mus: Worin besteht konstitutionelle Qualität jenseits des Nationalstaats und wo können wir sie beobachten?

Die am Forschungsprojekt beteiligten Wissen-schaftler postulieren einen Wandel von globa-lisierten zu konstitutionalisierten internatio-nalen Beziehungen und analysieren diesen Wandel aus interdisziplinärer Perspektive. Der Wandel äußert sich darin, dass auch an interna-tionale Beziehungen zunehmend normative Fragen im Hinblick auf Fairness, Gerechtigkeit, Demokratie und Legitimität gestellt werden. Das Projekt unternimmt den Versuch, durch die Verknüpfung dreier heuristischer Ansätze – Global Governance, World Society und trans-nationales Recht – einen konzeptionellen Rah-men zur Erfassung des Phänomens des globa-len Konstitutionalismus zu entwickeln. Die empirische Untersuchung von Konstitutionali-sierungsprozessen jenseits des Nationalstaates ist dabei geographisch nicht auf Europa und die USA beschränkt, sondern schließt entspre-chende Entwicklungen (bzw. deren Ausbleiben) in anderen Weltregionen ein, beispielsweise in Asien. Darüber hinaus werden auch verschie-dene Regionen miteinander verglichen. Das WZB ist durch den Politologen Michael Zürn und den Rechtswissenschaftler Mattias Kumm (beide WZB Rule of Law Center) beteiligt.

Ein Paradoxon wurde eingehend erörtert: Der Wandel zu konstitutionalisierten internatio-nalen Beziehungen geht nicht einher mit ver-stärktem Respekt vor internationalen Regeln und Verfahren. Noch immer halten Staaten das internationale Recht bisweilen nicht ein,

Klar wurde auf jeden Fall: Das Partizipations-thema in der Public-Health-Forschung hält noch viele interessante Fragestellungen bereit. Leider steht die sozialwissenschaftliche Ge-sundheitsforschung derzeit auf wackligen Fü-ßen. Das zeigte auch die Podiumsdiskussion „Wie weiter mit Public Health (in Berlin)?“. Streitpunkt war hier insbesondere ein Kon-zept, das die institutionelle Anbindung von Pu-blic Health(-Forschung) an die Medizin vor-sieht. Dies laufe auf eine Unterordnung hinaus und sei deshalb strikt abzulehnen, sagte Rolf Rosenbrock. Bärbel Maria Kurth (Robert Koch Institut Berlin) plädierte für ein echtes multi-disziplinäres Miteinander und für eine enge Verknüpfung von Praxis und Forschung unter dem Dach von Public Health. Die Gesundheits-forschung brauche allerdings die Fürsorge der Politik, um aus ihrem Aschenputtel-Dasein he-rauszuwachsen, sagte Kurth. Immerhin sagte Knut Nevermann (SPD), Berliner Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, zu, dass Geld für die Förderung von Public Health kein Prob-lem sei, wenn ein überzeugendes Konzept in naher Zukunft vorgelegt werden könne.

Rolf Rosenbrock spannte nach der eingehen-den Würdigung der Forschungsgruppe durch WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger noch ein-mal den großen Bogen: „Direkte Entschei-dungsteilhabe der Betroffenen ist sowohl in der Prävention und Gesundheitsförderung als auch in Krankenversorgung, Pflege und Reha-bilitation eine wichtige Voraussetzung für mehr Gesundheit. Das ist einer der Quer-schnittsbefunde aus mehr als drei Jahrzehnten Gesundheitsforschung am WZB, der auf der Konferenz eindrucksvoll illustriert wurde.“ Ro-senbrock befürchtete allerdings: „Da auch die anderen Orte sozialwissenschaftlicher Ge-sundheitsforschung in Berlin – also vor allem die FU und die Charité – derzeit keine Entwick-lungsperspektive haben, steht zu befürchten, dass die in konservativen Zeiten stets domi-nante Tendenz, Gesundheit auf medizinische Aspekte zu reduzieren, weiter voranschreitet.“ Dass nun die Arbeit für die Forschungsgruppe Public Health am WZB beendet werde, sei zwar das Ergebnis eines formal korrekten und transparenten Prozesses gewesen. „Aber aus Sicht des Problemfeldes und der Disziplin ist es auch ein schwerer strategischer Fehler, da-bei bleibe ich“, verabschiedete sich Rolf Rosen-brock unter großem Applaus.

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rechts. Über Verrechtlichung hinaus gehen Konstitutionalisten davon aus, dass jedwede politische Herrschaft durch das Medium des Rechts erfolgen muss, dass dieses Recht zum einen demokratisch legitimierbar sein muss und zum anderen Menschenrechte respek-tiert, wie Mattias Kumm zusammenfassend formulierte.

International Organizations: From the ACP Group to the WTOAutumn Lockwood Payton

The International Organizations Database Workshop, hosted by the Transnational Con-flicts and International Institutions (Trans-nationale Konflikte und internationale Ins-titutionen) research unit, February 24 and 25.

The workshop brought together scholars from the United States and Europe who are currently working on comprehensive data sets on different aspects and features of in-ternational organizations and international agreements. While there is a rich body of em-pirical research on a handful of common in-ternational organizations like the United Na-tions, the World Trade Organization, and the International Monetary Fund, there are com-paratively few comprehensive datasets that can facilitate comparison across the hun-

wenn dies ihren Interessen widerspricht. Zen-tral ist auch die Feststellung, dass wir es zu-nehmend mit einer Welt pluraler politischer Autoritäten und einem Neben- und Miteinan-der verschiedener normativer Ordnungen zu tun haben. Diese stehen nicht unabhängig ne-beneinander, sondern beeinflussen sich im Hinblick auf ihre normative Entwicklung und im Hinblick auf die Effektivität der von ihnen erlassenen Regelungen wechselseitig. Zu den-ken ist hier neben den nationalstaatlichen po-litischen Ordnungen beispielsweise an die supranationale Ordnung der Europäischen Union sowie an die internationale Ordnung der Vereinten Nationen und anderer interna-tionaler Institutionen. Daraus ergibt sich an Schnittstellen dieser politischen (Teil-)Ord-nungen Koordinationsbedarf, der jedoch nicht durch geltende hierarchische Regeln befrie-digt werden kann.

Auf der Grundlage dieser Überlegungen wurde im Workshop diskutiert, inwiefern institutio-nelle Prozesse jenseits des Nationalstaats pro-zedurale und substanzielle Werte bzw. Normen respektieren müssen, um als konstitutionali-siert zu gelten, und inwiefern sich konstitutio-nelle Qualität in der Praxis manifestiert. Einig war man sich darüber, dass Konstitutionalisie-rungsprozesse immer mit Kontestation zu-sammenhängen, also mit der öffentlichen Auseinandersetzung um strittige Fragen der guten politischen Ordnung. Einigkeit erzielt werden konnte ebenfalls darüber, dass Konsti-tutionalisierung mehr sein muss als die in der Fachliteratur bereits seit längerer Zeit disku-tierte Verrechtlichung internationaler Zusam-menarbeit in Form des klassischen Völker-

Internationalisierte Krisen. Schwere interne Konflikte for-dern häufig den Einsatz über-staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen heraus. Im li-berianischen Bürgerkrieg be-teiligten sich humanitäre Orga-nisationen wie das Rote Kreuz (hier beim Einsatz in Monrovia im Sommer 2003), die westaf-rikanische Staatengemeinschaft ECOWAS und die USA und die Vereinten Nationen. Auch Orga-nisationen wie die International Crisis Group waren über viele Jahre im liberianischen Konflikt engagiert. [Foto: picture alliance / dpa]

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na) and Kathy Powers’ (University of New Mex-ico) project on Regional Economic Institutions as well as contributions from the WZB re-searchers’ partners in the Leibniz Associations (the Peace Research Institute in Frankfurt and the German Institute of Global Area Studies, GIGA, in Hamburg). Contributors discussed the practical issues of data collection, proposed the adoption of common definitions for key con-cepts, and offered insights on theoretical and methodological topics. Overall, the workshop fostered a collaborative environment in which the participants discussed the possibility of combining efforts in data collection in the field of international organizations by creating a common data portal and future meetings. As a result of workshop synergies, the WZB re-search unit plans to collaborate on a shared data platform on the “Authority of Internation-al Institutions” with research groups from the University of North Carolina, Chapel Hill, the University of Amsterdam, and the University of Stockholm.

dreds of organizations. This new wave of data projects aims to address current relevant theories by paving the way for large-scale cross-organization comparison. The goal of the workshop was to introduce scholars to current data gathering efforts in the Interna-tional Relations subfield of international or-ganizations and to foster collaboration among researchers working on these data sets.

Presentations included newly completed data projects such as Barbara Koremenos’ (Univer-sity of Michigan) project “The Continent of In-ternational Law: Theoretical Development, Data Collection, and Empirical Analysis” and Jonas Tallberg and Thomas Sommerer’s (University of Stockholm) “TransAccess” project, which looks at the ability of and opportunities for nongovernmental organizations to participate in the activities of international organizations. Ongoing data collection efforts were intro-duced by a number of workshop participants and included Gary Goertz (University of Arizo-

Leibniz-Forschung: Kampf um die Weltordnung

Wer sich mit dem Wandel der Weltordnung be-schäftigt, kommt an zwei Phänomenen nicht vorbei: den aufstrebenden Schwellenländern (rising powers) China, Indien, Brasilien, Südafrika und Russland und der zunehmenden Be deutung von nicht-staatlichen, international arbeitenden zivilgesellschaftlichen Gruppierungen (NGOs). Doch was haben diese beiden parallel verlau-fenden Veränderungsprozesse eigentlich mitei-nander zu tun, die bislang getrennt betrachtet wurden? Wie hat sich die Weltordnung entwi-ckelt, seit neue, starke Akteure die Bühne betre-ten haben? Welche neuen Konflikte sind ent-standen – vor allem aus dem Wettbewerb der rising powers und der NGOs heraus?

Drei Leibniz-Institute wollen jetzt in dem For-schungsnetzwerk Contested World Orders (Kampf um die Weltordnung), das im April die-sen Jahres gestartet ist, gemeinsam Antworten

auf diese Machtverschiebungen geben: Michael Zürn, Leiter der WZB-Abteilung Transnationale Konflikte und internationale Institutionen, ar-beitet mit der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt und dem Leibniz Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg zusammen. Zudem plant das Netzwerk eine Zusammenarbeit mit internationalen Partnern.

In dem Projekt geht es darum, die Entwicklung der Weltordnung, die ihr zugrundeliegenden Differenzen und Konflikte sowie die Legitimie-rung internationaler Autorität zu analysieren. Unter anderem sollen Grundsätze einer Daten-bank erarbeitet werden, die systematisch For-men politischer Autorität jenseits des Natio-nalstaates und die darauf bezogenen Legitima-tionsanforderungen im zeitlichen Verlauf und über verschiedene Problemfelder hinweg er-fassen soll.

Das Projekt wird vom Senatsausschuss Wettbe-werb der Leibniz-Gemeinschaft gefördert.

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„Economies rarely rest in states of universal constancy, nor do societies.“ So leitet Steffen Huck die Erläuterung seiner Perspektive auf Wandel und Dynamik ein. Man könnte hinzufügen: „nor do professors rest in states of universal cons-tancy“. Der Ökonomie-Professor am University College London selbst jedenfalls hat sich mit seinem Wechsel verändert: Seit dem 1. April ist er Direktor der neuen Abteilung Ökonomik des Wandels. Damit arbeiten im WZB-Schwerpunkt Märkte und Politik, zu der auch die von Dorothea Kübler geleitete Abteilung Verhalten auf Märkten gehört, wieder zwei große wirtschaftswissenschaftlich ausgerichtete Forschungseinheiten zusammen. Seine Professur in London be-hält Steffen Huck mit geringerem Lehrdeputat bei.

Neuland ist Berlin für Steffen Huck nicht. Er studierte in Frankfurt am Main und wechselte dann an die Humboldt-Universität zu Berlin. Hier wurde er 1996 pro-moviert und habilitierte sich 2000. Seitdem lehrt und forscht Steffen Huck in London, zunächst am wirtschaftswissenschaftlichen Institut von Royal Holloway (University of London), seit 2002 am University College London. 2003 erhielt er eine Professur, von 2008 bis 2011 war er Chairman des Fachbereichs.

Die Erforschung des menschlichen Verhaltens ist das Gebiet, auf dem sich Stef-fen Huck ausgezeichnet hat. Er arbeitet häufig mit Experimenten. Wie handeln wir auf Märkten oder in sozialen Beziehungen? Was leitet unser Verhalten: selbst gemachte Erfahrungen, Vorbilder, Spekulationen über künftige Entwicklungen? Handelt der Mensch in Entscheidungssituationen strategisch und rational? Er-kenntnisse lassen sich in den verschiedensten Bereichen gewinnen. So veröf-fentlichte Steffen Huck Beiträge über so unterschiedliche Themen wie Spenden-verhalten (relevanter Stoff auch für Fundraiser) und Richard Wagners Tannhäu-ser („Eine kontrafaktische Analyse“).

Neben anderen Auszeichnungen wurde Steffen Huck für seine Forschungsarbeit 2004 der prestigeträchtige Philip Leverhulme Prize im Fach Wirtschaftswissen-schaften verliehen. Diesen Preis erhalten „scholars who have made substantial contribution to their particular field of study, recognised at an international level, and where the expectation is that their greatest achievement has yet to come“. Die Leverhulme-Stiftung unterstrich in der Preisbegründung Hucks Pro-duktivität und die Breite seines Ansatzes: „His astonishingly large output has been published in leading international journals of economics, political science and biology“. Hucks Arbeiten werden international viel zitiert. Ein wichtiger Indikator seiner Leistungen ist der „Hirsch-Index“, der Huck laut Research Papers in Economics weltweit unter die besten zwei Prozent seines Fachs bringt.

Bei der Analyse menschlicher Verhaltensweisen geht es Steffen Huck nicht nur um das Individuelle, sondern auch um das Verhalten im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext. Drei Kernthemen sollen die Forschung der neuen WZB-Abteilung prägen: 1. Wie funktioniert wirtschaftlicher Wandel? Wie ent-scheiden Akteure in einer neuen Situation? Wie entsteht eine Entwicklungsdy-namik? Welche sozialen und kulturellen Kräfte beeinflussen ökonomischen Wandel? 2. Wie lässt sich Wandel steuern? Wie kann Politik den Wandel voran-treiben? Wie lassen sich gemeinwohlorientiertes Sozialverhalten und Philan-thropie stimulieren? Was hilft Verbrauchern bei ihren Entscheidungen? 3. Wie bereitet man sich auf den Wandel vor? Welche Strategien erfordern die enormen Veränderungen, die Medizin und Biotechnologie zuwege bringen dürften, bei-spielsweise die Zunahme der Lebenserwartung? Wie stellen wir uns auf große Risiken ein? Wie stellen wir uns ein auf Masseneinwanderung nach Katastro-phen wie Überschwemmungen oder Dürre in der Welt? Fragen also, die am WZB auch aus der Perspektive anderer Disziplinen erforscht werden.

Die Erforschung des Wandels Steffen Huck wird neuer WZB-Direktor

[Foto: Udo Borchert]

Steffen Huck, Professor am University College Lon-don, leitet seit April 2012 die neue WZB-Abteilung Ökonomik des Wandels.

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Fragen der sozialen Ungleichheit gehören seit langem zu den Kernthemen der WZB-Forschung. Und sie werden es auch bleiben, nachdem Jens Alber, Direktor der Abteilung Ungleichheit und soziale Integration, im letzten Herbst emeritiert wurde. Vom 1. Juli an wird der amerikanische Soziologe David Brady die neue Abteilung Ungleichheit und Sozialpolitik leiten. Brady kommt aus Durham, North Carolina, wo er an der Duke University als Professor für Soziologie lehrt und forscht. Duke ist seit 2001 Bradys akademische Heimat. Unmittelbar nach seiner Promotion an der Indiana University wurde er von Duke als Assistant Professor berufen, seit 2007 ist er dort Associate Professor. Von 2008 an lehrte er zusätz-lich an der Terry Sandford School of Public Policy seiner Universität. Neben anderen Auszeichnungen – für seine Forschung wie für seine hervorragende Lehre – wurde Brady 2011 mit dem Early Career Award geehrt, den die Sektion Ungleichheit, Armut und Mobilität der American Sociological Association jähr-lich vergibt.

Zu Bradys wichtigsten Forschungsgebieten zählen Armut und Ungleichheit. Er untersucht deren Ursachen ebenso wie deren gesellschaftliche Folgen und die Methoden ihrer Messung. Seine Leitfrage lautet: Wie lassen sich die enormen Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern erklären, wenn es um soziale Ungleichheit geht? In seinem 2009 erschienenen Buch Rich Democracies, Poor People: How Politics Explain Poverty (Oxford University Press) analysiert er, dass die Sozialpolitik der entscheidende Grund für die in den USA sehr viel größere soziale Ungleichheit im Vergleich zu anderen wohlhabenden Demokratien ist. Am WZB wird er über Armut in unterschiedlichen ethnischen Gruppen forschen. Wie präzise lässt sich mit verschiedenen Arten der Messung des sozioökonomi-schen Status das Einkommen im weiteren Lebensverlauf vorhersagen? Wie be-einflussen Faktoren wie Rasse und Klassenzugehörigkeit die Lebenschancen? Das sind einige der Ausgangsfragen.

Im Kontext eines weiteren Arbeitsschwerpunkts, der Arbeits- und Wirtschafts-soziologie, untersucht David Brady den strukturellen Wandel von Institutionen und sozialen Beziehungen – und die Folgen für die Arbeitswelt. In den letzten Jahren hat er mehrere Studien über die Deindustrialisierung, die Entwicklung der Gewerkschaften und die Folgen der Globalisierung vorgelegt. Seit längeren arbeitet er in einem Projekt über die Sexarbeit von Frauen in Indien; gemein-sam mit Kim Blankenship untersucht er zum Beispiel, wie die soziale Lage die Zahl der Kunden und den Verdienst weiblicher Sexarbeiter beeinflusst.

Ein dritter Schwerpunkt von David Bradys Forschung ist politische Ökonomie und Sozialpolitik, mit besonderem Augenmerk für die Wirkungen sozialpoliti-scher Maßnahmen. In einem aktuellen Projekt untersucht er, ob zunehmende Einwanderung in reichen Demokratien die sozialpolitischen Einstellungen be-einflusst. Im Dezember-Heft der WZB-Mitteilungen erläuterte er, dass in Zeiten verstärkter Zuwanderung die Unterstützung für den Sozialstaat nicht abnimmt – zumindest nicht im Fall der 17 wohlhabenden Demokratien, die er untersucht hat.

Der transatlantische Umzug, den David Brady jetzt mit seiner Familie unter-nimmt, führt ihn auf einen Kontinent, der ihm aus seiner Forschung gut bekannt ist. Von Europa aus wird er nun bald die Präsidentschaftswahlen in den USA be-obachten – als Bürger und als Forscher, der gerade an einem Artikel arbeitet (gemeinsam mit Benjamin Sosnaud und Steven Frenk) über subjektive Klasseni-dentität, objektive Klassenlage und Wahlverhalten in US-Präsidentschaftswahlen.

Wie Politik Ungleichheit schafft David Brady kommt als neuer Direktor ans WZB

[Foto: Udo Borchert]

David Brady leitet vom 1. Juli an die neue WZB-Abtei-lung Ungleichheit und Sozialpolitik.

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Die Welt befindet sich im Umbruch. Eine Antwort auf gegenwärtige Krisen sind Ansätze zur Entwicklung einer „Grünen Ökonomie“. Diese könnte soziale und ökonomische Transformationen mit sich bringen, die denen beim Übergang zur Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert oder zum modernen Wohlfahrtsstaat im 20. Jahrhundert in nichts nachstehen. Der Gesellschaft wie der Wissenschaft stellt sich die grundlegende Frage: Ist es möglich, unser Wirtschaftssystem auf lange Sicht ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltig zu gestalten? Welche alternativen Möglichkeiten werden in unterschiedlichen Regionen verfolgt? Und welche Konfliktkonstellationen, Einflussfaktoren und Voraussetzungen er-klären die eingeschlagenen Wege? Dies sind die Leitfragen der WZB-Projekt-gruppe Modes of Economic Governance, deren Arbeit an die langjährige verglei-chende Kapitalismus- und Internationalisierungsforschung des WZB anschließt.

Im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesse stehen drei benachbarte For-schungsfelder: die Rolle von Experten-, Beratungs- und Advocacy- bzw. Lobby-Netzwerken im gegenwärtigen Transformationsprozess (Think-Tank-Netzwerke und nachhaltige Entwicklung), Veränderung (umwelt)politischer Regime durch den Einsatz von marktbasierten Instrumenten in der Klimapolitik sowie die Auswirkungen dieser Regime auf Unternehmen und Branchen und der Einfluss von Kapitalmarktakteuren auf diese Politikinstrumente.

Transformationskonflikte: Problemdefinitionen

Die Berichte des Weltklimarats der Vereinten Nationen (IPPC), in dem tausende Wissenschaftler ehrenamtlich mitarbeiten, haben wesentlich dazu beigetragen, dass selbst drastische Klimawandel-Szenarien heute als wissenschaftlich fun-diert gelten. Andererseits verbreiten zahlreiche Think Tanks Unsicherheit dar-über, ob der Klimawandel überhaupt existiert, wie schwerwiegend das Problem tatsächlich ist, inwieweit es das Ergebnis menschlichen Handelns in Vergangen-heit und Gegenwart ist und ob die Instrumente der Klimawandelpolitik Lösungs-ansätze bieten. Dies hat dazu geführt, dass Meinungsumfragen zufolge heute eine Mehrheit der US-Bürger nicht überzeugt ist von der Notwendigkeit, einer Erderwärmung entgegenzuwirken. In Europa und anderen Weltregionen sind vergleichbare Netzwerke von Klimawandelskeptikern aktiv. Bislang sind solche, häufig grenzüberschreitend wirkenden Organisationsverbünde und Netzwerke

Wirtschaft, Politik und Institutionen im Wandel WZB-Forschung über Formen ökonomischer GovernanceSigurt Vitols

Summary: The Project Group Modes of Economic Governance, which was established in the summer of 2011, focuses on the political economy of the ecological, social and economic crises at the beginning of the 21st century. The main research topics include the little-researched role of think tanks in influencing public debates and decision-making processes, the governance of financial capital and multinational enterprises, and the in-creasing importance of sustainability in the economy.

Kurzgefasst: Die im Sommer 2011 eingesetzte Projektgruppe Modes of Economic Governance widmet sich Fragen der politi-schen Ökonomie im Spannungsfeld von ökologischen, sozialen und ökonomischen Krisen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Schwerpunkte der Forschung sind die noch wenig erforschte Arbeit von Think Tanks in Meinungsbildungs- und Entschei-dungsprozessen, die Steuerung des Finanzkapitals und multi-nationaler Unternehmen, und die zunehmende Bedeutung der Nachhaltigkeit in der Wirtschaft.

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heit und Gegenwart ist und ob die Instrumente der Klimawandelpolitik Lösungs-ansätze bieten. Dies hat dazu geführt, dass Meinungsumfragen zufolge heute eine Mehrheit der US-Bürger nicht überzeugt ist von der Notwendigkeit, einer Erderwärmung entgegenzuwirken. In Europa und anderen Weltregionen sind vergleichbare Netzwerke von Klimawandelskeptikern aktiv. Bislang sind solche, häufig grenzüberschreitend wirkenden Organisationsverbünde und Netzwerke kaum Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Forschung. Wir wissen noch zu wenig über die mittel- und langfristige Rolle von Experten-, Beratungs- und Advocacy- bzw. Lobby-Netzwerken und über deren politischen Einfluss. Die Un-tersuchung von politisch, ideologisch und thematisch ausgerichteten Think Tanks ermöglicht es, nationale und transnationale Verbindungen zu erforschen und die Zusammenhänge zwischen Interessen und Ideen, Wissenschaft und Po-litik zu analysieren.

Transnationale Probleme und supranationale Steuerung

Probleme der Nachhaltigkeit überschreiten nationale Grenzen. Am deutlichsten wird dies im Fall der globalen Erderwärmung oder bei der Ausbreitung der Fi-nanzkrise infolge miteinander verflochtener Finanzmärkte. Aber auch im Hin-blick auf soziale Nachhaltigkeit, etwa beim Thema grenzüberschreitende Mobili-tät von Arbeitskräften, wird deutlich, dass die Lösungen dieser Probleme Grenzen überwinden müssen. Diese Situation verlangt nach supranationalen Steuerungsmechanismen. Dazu zählt zwar nach wie vor die Kooperation von Nationalstaaten, die sich ihrerseits durch unterschiedliche nationale Varianten des Kapitalismus auszeichnen, doch unterliegen diese Mechanismen nicht mehr allein staatlicher Kontrolle.

Ein Beispiel für supranationale ökonomische Steuerung ist der EU-Emissions-handel, mit dem Europa seine Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll erfüllen will. Die Europäische Kommission hat ein Cap-and-Trade-System aufgebaut, das einerseits politisch definierte nationale Obergrenzen für CO2-Emissionen vor-sieht, andererseits der Privatwirtschaft einigen Spielraum bei der Entscheidung einräumt, wo und wie der Ausstoß von Treibhausgasen am effizientesten zu reduzieren ist. Eckpfeiler dieses Systems ist ein marktbasierter Emissionshan-del, der seit seiner Einführung stark gewachsen und zum integralen Bestandteil der globalen Finanzmärkte geworden ist.

Solche neuen und innovativen Politikinstrumente sind für konventionelle, ins-titutionelle Forschungsansätze – gleich, ob national oder europäisch – eine He-rausforderung, weil das ursprüngliche Handelsregime mit der Zeit sein Wesen verändert und immer stärker von Marktakteuren mit finanziellen Interessen dominiert wird. Diese neue Form ökonomischer Governance zeigt die Dynamik supra- und transnationaler Regulierung – eine Dynamik, die es unumgänglich macht, die Gräben zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen zu überwinden. Die Projektgruppe tut dies mit einer prozessorientierten Perspektive, die es er-möglicht, den sich wandelnden Einfluss des Staates, die Legitimationsbasis pri-vater Akteure und die Transformation institutioneller Logik zu erklären. Eine solche Perspektive ist angemessen, um Framing, Interaktion und Aufbau trans-nationaler Institutionen zu verstehen und so den Einfluss von Finanzmarktak-teuren bei der Politikgestaltung aufzuzeigen.

Alternative Steuerungsmechanismen

In einer Situation ohne einen Konsens über das zentrale Problem (Klimawandel) und angesichts der enormen Herausforderung, ein koordiniertes Handeln zwi-schen höchst unterschiedlichen nationalen Systemen zu entwickeln, haben sich unterschiedliche Ansätze zur politischen Steuerung des Übergangs in ein nach-haltiges Wirtschaftssystem herausgebildet. Der derzeit vorherrschende Ansatz knüpft an die Entwicklungen der vergangenen beiden Jahrzehnte zu mehr frei-williger Selbstverpflichtung an und setzt folglich vor allem auf soft law und marktbasierte Instrumente. Dazu gehören zum Beispiel Initiativen zur freiwilli-gen Berichterstattung von Unternehmen zur Umwelt- und Sozialverträglichkeit

[Foto: David Ausserhofer]

Sigurt Vitols leitet die Projektgruppe Modes of Eco-nomic [email protected]

Die Senior Fellows der Gruppe sind Dieter Plehwe und Sebastian Botzem.

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ihres Handelns, Verhaltenskodizes in der Wirtschaft sowie der Handel mit Emis-sionszertifikaten. Die zweite, bisher schwächer entwickelte Variante ist die Re-gulierung ökonomischer Aktivitäten auf supranationaler Ebene mit Hilfe ver-pflichtender Rechtsvorschriften (hard law). In der Praxis lassen sich zudem viele Kombinationsformen der verschiedenen Ansätze finden.

Ein Schwerpunkt der Projektgruppe sind die Formen der Steuerung und Kont-rolle von Unternehmen (corporate governance), die im Hinblick auf das Kriterium der Nachhaltigkeit als besonders problematisch gelten. Dazu gehört die Bereit-stellung von Informationen seitens der Unternehmen zu den Auswirkungen ih-res Wirkens auf Umwelt und Gesellschaft. Von wenigen Ausnahmen abgesehen werden diese Informationen zumeist in Form freiwilliger Corporate Responsibi-lity Reports oder Nachhaltigkeitsberichte zur Verfügung gestellt. Meist basieren diese auf freiwilligen Standards, die von der Global Reporting Initiative (GRI) entwickelt wurden, einer in Amsterdam ansässigen Organisation, an deren Ar-beit sich viele Stakeholder beteiligen.

Damit verbunden sind die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Aktivi-täten von Finanzinvestoren, darunter Pensionsfonds, Private-Equity-Firmen und Hedgefonds. Die bedeutendste Entwicklung auf diesem Gebiet ist die Erar-beitung der Principles of Responsible Investments (PRI) durch die Vereinten Na-tionen. Finanzinvestoren weltweit sind eingeladen, sich diese Grundsätze zu eigen zu machen. Eine wachsende Zahl von Interessengruppen, darunter zahl-reiche Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, ist jedoch unzu-frieden mit dem Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung und verlangt statt-dessen verbindliche Rechtsnormen auf europäischer Ebene, die Unternehmen und Investoren dazu verpflichten, ihre Aktivitäten im Hinblick auf ökologische und soziale Themen offenzulegen.

Forschungsansatz

Die Projektgruppe widmet sich diesen Problemen unter Bezugnahme auf polito-logische, soziologische und ökonomische Fragestellungen sowie anhand einer Vielzahl an methodischen Vorgehensweisen, darunter vergleichend angelegte Fallstudien auf Unternehmens- und Branchenebene, soziale Netzwerkanalyse, quantitative und historische Analysen. Im Vordergrund der Untersuchungen stehen dynamische Veränderungen und konfliktreiche Innovationsprozesse, in deren Verlauf die bisherigen „Varieties of Capitalism“ auf nationaler und inter-nationaler Ebene nachhaltig transformiert werden. Zur Beantwortung der Frage, ob und inwiefern neue Formen ökonomischer Governance geeignet sind, die gravierenden ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme der Gegen-wart zu lösen, will die Projektgruppe einen Beitrag leisten.

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Public Health ist eine entscheidende Schnittstelle zwischen Politik und Wissen­schaft. Rolf Rosenbrock hat dies immer mit Leidenschaft vertreten – im Rück­blick wird deutlich, dass er einer der bedeutendsten Fürsprecher für Public Health in Deutschland war. Man muss mit ihm nicht immer einer Meinung ge­wesen sein, um mit ihm doch einig zu sein in dem Bedauern, dass Public Health in Deutschland wie international nicht die Würdigung erfährt, die es verdient. Wir machen es unseren herausragenden Köpfen nicht leicht. Aber auch Rolf Ro­senbrock hat es uns nicht immer leicht gemacht.

Als soziale Wissenschaft muss Public Health sich mit den sozialen Determinan­ten der Gesundheit auseinandersetzen und Evidenz für Kausalitäten und Zusam­menhänge vorlegen, auch wenn die politisch nicht genehm sind. Sie steht in der Verantwortung, Probleme aufzuzeigen und ihre theoretische Lösung vorzu­schlagen, wie Rudolf Virchow formulierte. Dabei verankert sie sich häufig im linken Spektrum der Politik; es geht um Armut, Ungleichheit, Benachtei­ligung sowie Diskriminierung und ihren Bezug zur Gesundheit. In der inter­nationalen Diskussion ist diese Betrachtungsweise durch die Finanzkrise und durch die Arbeit der WHO­Kommission zu den sozialen Determinanten der Ge­sundheit (2009) wieder stark ins Blickfeld geraten – „social injustice kills“.

Genau dafür steht die Arbeit von Rolf Rosenbrock, in dieser Tradition hat er ge­wirkt und ist als Kritiker der Verhältnisse, die krank machen, immer wieder ange­eckt – mehr als manche seiner Kollegen. Ich habe ihn stets um seine brillante Formulierungskraft, seinen Humor und manchmal auch um seine Radikalität be­neidet – und sehr gerne mit ihm gestritten. Er zeigte Mut. Auch habe ich bewun­dert, wie sehr er bei aller Verankerung in einer deutlich linken Position in Deutsch­land immer wieder zur praktischen Politik beigetragen hat. Das spricht für beide Seiten. Er hat mit vielen staatlichen Institutionen und Krankenkassen produktiv zusammengearbeitet, so im Wissenschaftlichen Beirat der Bundeszentrale für ge­sundheitliche Aufklärung, so beim Verhandeln der Formulierung, die im Jahre 2000 mit dem GKV Gesundheitsreformgesetz in Kraft trat. Die gesetzlichen Kran­kenkassen in Deutschland haben nun zur Verminderung der sozialen Ungleichheit der Gesundheitschancen beizutragen. Ganz klar: Nicht nur Public Health, auch die deutsche Gesetzgebung sähe ohne ihn anders aus. Der Kampf um ein Präventions­gesetz – auch darüber haben wir gestritten – wurde jedoch verloren, kann aber durchaus in einer neuen Konstellation wieder aufgenommen werden.

Public Health ist in Deutschland erst sehr spät – in den 1980er Jahren – ange­kommen und ist auch heute noch nicht wirklich tief verankert. Deshalb kamen viele von uns – in der Generation von Rolf Rosenbrock – eher zufällig zu Public Health, und am Anfang wussten wir noch gar nicht, dass unsere Lebensaufgabe diesen Namen trägt. Interessanterweise teile ich vier Bestimmungsmomente mit Rolf Rosenbrock:

– Den Einfluss von Frieder Naschold, der die Bedeutung der Gesundheit und des Gesundheitswesens für den modernen Wohlfahrtsstaat früh erkannt hat. Rolf Rosenbrock arbeitete mit ihm am WZB zu Fragen von Arbeitsplatz und Ge­sundheit im Schwerpunkt Arbeitspolitik, und schon hier wurden einige para­digmatische Grundlagen für die spätere Arbeit zum zentralen Setting Betrieb und die neuen Aufgaben der Krankenkassen gelegt.

Aufklärer, Initiator, Kämpfer Rolf Rosenbrock: eine persönliche Würdigung zum Abschied vom WZBIlona Kickbusch

Ilona Kickbusch ist Direktorin des Global Health Pro­gram am Graduate Institute of International and De­velopment Studies in Genf. Die promovierte Politolo­gin hat unter anderem für die Weltgesundheitsorga­nisation (WHO) gearbeitet und an der Yale School of Public Health gelehrt.

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– Den Einfluss der sozialen Bewegungen – bei mir der Frauenbewegung, bei Rolf Rosenbrock der AIDS­ und Schwulenbewegung – auf die Erkenntnisse über den Umgang mit Gesundheit und Krankheit. In den 1970er und 1980er Jahren wurde deutlich, wie verwoben Gesundheitspolitik mit persönlichen Lebensmodellen, gesellschaftlichen Vorurteilen und emanzipativem Aufbruch sein kann. Er war einer der wichtigsten Fürsprecher einer Aidspolitik, die auf Prävention und die Partizipation der Betroffenen setzt – bedeutsam festge­halten in seinen Publikationen zum Thema, aber besonders im Bericht der Enquete­Kommission „Aids“ (1986/7). Ein Klassiker!

– Den Einfluss des sozialwissenschaftlichen Denkens: ein Interesse an Struktu­ren und Institutionen, nicht nur an individuellen Verhaltensweisen. Bei Rolf Rosenbrock fand dies Ausdruck in seinen einflussreichen Konzepten zur Pri­märprävention und seinem Eintreten für „new public health“. Ich spreche ja lieber von Gesundheitsförderung als von Primärprävention – aber es gab si­cherlich keinen dezidierteren Vertreter des Gedankenguts von Ottawa und dem organisationsbezogenen Setting­Ansatz in Deutschland als Rolf Rosen­brock.

– Den Einfluss des angelsächsischen Public­Health­Denkens – Rolf Rosenbrock hat eine prägende Zeit an der Universität von Kalifornien in Berkeley ver­bracht und die Tradition und Position der von den medizinischen Fakultäten unabhängigen Schools of Public Health sehr genau studiert. Bis zuletzt hat er versucht, diese Form der Organisation von Forschung und Lehre in Public Health auch in Deutschland zu verankern.

Rolf Rosenbrock vertritt wie wenige andere eine neue Art von Gesundheitspo­litik: Sie muss an den Lebensbedingungen der Menschen ansetzen und präven­tiv ausgerichtet sein; sie muss Ungleichheiten bekämpfen; sie muss Gesundheit im Alltag möglich machen; sie muss partizipativ sein. Entsprechend hat er im Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen gewirkt. Prävention hieß für ihn stets „gesundheitsfördernde Gesamtpolitik“ – oder wie es sich im Englischen griffig ausdrücken lässt: Health in all Policies. Ich meine, er wird diese Ausrichtung auch in seiner neuen Funktion als Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes voranbringen, denn auch hier steht die sozi­ale Ungleichheit (und damit die Gesundheit) im Brennpunkt.

Die 1995 gegründete Forschungsgruppe Public Health am WZB (deren Leiter er wurde) war ein Modell, das leider wenig Nachahmung gefunden hat, aber doch die Gesundheitswissenschaft und Public­Health­Forschung in Deutschland stark geprägt hat. Die sozialwissenschaftliche und die politische Gesundheitsfor­schung gilt es in Deutschland zu stärken, nicht nur im Rahmen von separaten Gesundheitsfakultäten, sondern mittendrin, dort wo Wissenschaft die Probleme der Gesellschaft aufnimmt. Die Rolle der Gesundheit als treibende politische, soziale und persönliche Triebkraft muss erst noch besser verstanden werden – in vielen Disziplinen. Wenn ich an mein Bücherregal gehe und die Vielzahl der Lehr­ und Handbücher ansehe, die Rolf Rosenbrock mit verfasst hat und die ei­nigen Generationen von Studenten die Bedeutung von Public Health als sozialer Wissenschaft vermittelt haben, so müsste man eigentlich optimistisch sein für die Zukunft von Public Health in Deutschland. Ich danke ihm jedenfalls – und freue mich auf den nächsten Streit.

[Foto: David Ausserhofer]

Rolf Rosenbrock verabschiedet sich vom WZB, aber nicht vom Thema Gesundheit und soziale Ungleich­heit: Ende April wurde er zum Vorsitzenden des Pari­tätischen Wohlfahrtsverbandes gewählt.

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 201244

Im WZB tut sich viel: öffentlich durch Publikationen, Vorträge und Diskussionen, auf wissenschaftlichen Fachkonferenzen und in kleinen Workshops, durch persönlichen Austausch. WZB-Forscherinnen und -Forscher bringen auf vielfältige Weise ihre Expertise ein. Wir lassen einige Begegnungen, Stellungnahmen und Reaktionen darauf Revue passieren.

Eurokrise = Demokratiekrise

Mattias Kumm, geschäftsführender Leiter des WZB Rule of Law Center, hatte Mitte Mai die Gelegenheit, Fragen einer demokra-tischen Gestaltung der Europäischen Union mit EU-Kommissi-onspräsident José Manuel Barroso zu diskutieren. Gemeinsam mit seinen Koautoren Miguel Poiares Maduro und Bruno de Witte (beide Florenz) stellte er am Europäischen Hochschulins-titut Florenz einen Policy Report über rechtliche und politische Aspekte der Eurokrise und speziell des Europäischen Stabi-litätsmechanismus vor. In dem Bericht, zu dem auch weitere internationale Experten wie Harold James (Princeton), Christian Joerges (Bremen) und Roland Bieber (Lausanne) beigetragen ha-ben, wird die Währungskrise als Demokratiekrise eingeordnet. Diese sei nicht durch Ratsbeschlüsse oder finanztechnische Konstruktionen zu lösen, sondern nur durch eine Stärkung der Legitimität der Euro-Governance. Die Autoren schlagen vor, im Rahmen der bestehenden EU-Verträge die demokratischen Grundlagen der Union zu stärken. So müssten zum Beispiel die Wahlen zum Europa-Parlament die Basis sein für die Wahl ei-nes Kommissionspräsidenten. Die Bürger der Union müssten die Kommission, die bisher als administrativ-technokratisches Organ gesehen wird, als demokratisch legitimiertes Gremium betrachten können. Nur dann wäre die Einflussnahme der Eu-ropäischen Kommission auf nationalstaatliche Politik nachvoll-ziehbar.

Auch Offenheit und Transparenz ist den Autoren, die aus der rechts-, wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Forschung kommen, ein wichtiges Anliegen. Die EU müsse rechtliche und wirtschaftliche Daten und politische Stellungnahmen auf einer elektronischen Plattform, einem „Euro Governance Forum“, prä-sentieren. Und die für die Euro-Governance verantwortlichen Politiker und Beamten müssten sich regelmäßig der Diskussion mit Vertretern nationaler Parlamente und der Zivilgesellschaft stellen, etwa wenn es um Fragen wie Eurobonds oder einer Fi-nanztransaktionssteuer gehe. Kurzum: Die Union brauche mehr

Europa, ein demokratischeres Europa und ein Europa, an dem die Bürger teilnehmen und das sie als ihre Sache betrachten können.

Vorlese

Das Schwerpunktthema der nächsten WZB-Mitteilungen, die Anfang September erscheinen, ist „Krise“.

Kindheit

Während seines mehrmonatigen Aufenthalts am WZB als Jour-nalist in Residence im Jahr 2010 hat Felix Berth an seinem Buch „Die Verschwendung der Kindheit“ gearbeitet. Der dama-lige Redakteur der Süddeutschen Zeitung analysiert in dem Buch, das 2011 bei Beltz erschien, die Situation von Kindern aus armen Familien, denen unser Schulsystem eine angemessene Förderung – und damit Lebenschancen – vorenthält. Nun ist das Buch als Band 1253 in der Schriftenreihe der Bundeszent-rale für politische Bildung nachgedruckt worden. Der Autor hat unterdessen seine langjährige publizistische Heimat verlassen und ist von der SZ an das Deutsche Jugendinstitut in München gewechselt, wo er seit dem vergangenen Winter als Referent arbeitet.

Studiengebühren I

Die Untersuchung von Marcel Helbig und Tina Baier über die Auswirkungen von Studiengebühren auf die Studierbereit-schaft hat die öffentliche Diskussion über die Gebühren wieder aufleben lassen. Den Bundestagsausschuss für Wissenschaft, Forschung und Technikfolgenabschätzung veranlasste die Stu-die, am 25. Januar Experten zum Thema anzuhören, darunter die beiden WZB-Forscher, Vertreter von Studierenden, des Studentenwerks und der OECD sowie andere Hochschul- und Eliteforscher. Das zentrale Ergebnis der Studie, bei der aktu-ellen Höhe von 500 Euro Gebühren pro Semester gebe es kei-nen Abschreckungseffekt auf ärmere Studienberechtigte, blieb umstritten, die politischen Fronten erwiesen sich beim öffent-lichen Fachgespräch als verhärtet. Allzu sehr vertiefen in eine differenzierte Prüfung der Studie mochte sich mancher auch danach nicht. Der Tagesspiegel berichtete breit über die Anhö-

Nachlese Das WZB im Dialog: Medien Podien und BegegnungenPaul Stoop

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012 45

rung (26. Januar), gab das Wort in einem wichtigen Punkt aber nicht beiden Seiten. Die WZB-Forscher hätten „unseriös“ gear-beitet, wurde ein anderer Wissenschaftler in dem Bericht zi-tiert – kein geringer Vorwurf an die Autoren der Studie. Marcel Helbigs direkte Entgegnung über die solide und heute übliche Methodik blieb unerwähnt. Vielleicht doch noch mal nachfra-gen? Telefon: 030 – 25 491 0.

Studiengebühren II

Dass die Ergebnisse der Studie voreilig abgetan werden, är-gert taz-Autor Christian Füller. „Antigebührenlobbyisten von links bis grün ... drehorgelten“ das Argument der sozialen Un-gerechtigkeit von Gebühren. In seiner Zeitung vollzieht er die Erklärung der Forscher nach, es gebe offenbar eine höhere Rendite-Erwartung unter Studienberechtigten aus ärmeren Elternhäusern, wenn Studiengebühren erhoben werden (ta-geszeitung, 11. Mai). Gebühren abzulehnen sei ein Affront ge-gen alle Nichtabiturienten, die das Universitätsprivileg nicht in Anspruch nehmen: „Sie müssen ... mit Ihren Steuern jene Studienplätze finanzieren, die sie und ihre Kinder so gut wie nie einnehmen werden. [...] Der Staat benachteiligt die Kinder aus kulturell armen Familien und er bevorzugt die Kinder der – überspitzt gesagt – Schönen und Reichen.“

Twitter

Seit Januar verbreitet das WZB Informationen auch über den Kurznachrichtendienst Twitter. In den ersten vier Monaten ha-ben sich schon über 360 Follower angemeldet (Stand: Ende Mai 2012).

Wohlfeil?

Das Schöne am Internet können die zufälligen Funde sein. Das erfuhr auch Christoph Albrecht, Beauftragter für Forschungs-management im Schwerpunkt Bildung, Arbeit und Lebens-chancen. Über das Internet hatte er schon vor Jahren Akten des Reichsversicherungsamtes gefunden hatte, dessen ehemaliges Hauptgebäude Teil des WZB ist (WZB-Mitteilungen 104, Juni 2004). Beim Stöbern stieß er jetzt bei der Auktionsplattform ebay auf ein beachtliches Angebot an WZB-Veröffentlichungen. Einiges wurde zum Festpreis angeboten („Sofort kaufen“), für anderes kann der potenzielle Käufer auch einen eigenen Preis-vorschlag machen. Die verlangten Preise sind erstaunlich. WZB-Jahrbücher – umfangreiche Monografien zu Einzelthemen aus der Forschung des Instituts – sind vertretbar; die meisten sol-len 25 bis 35 Euro kosten. Zum Verkaufszeitpunkt waren sie im Buchhandel für rund 20 Euro zu haben. Verblüffend ist aber, dass ein Verkäufer Veröffentlichungen für gutes Geld anbietet, die das WZB unentgeltlich anbietet oder angeboten hat, wie ein kleines Buch zum 25-jährigen Jubiläum im Jahr 1994. Es soll 31,95 Euro kosten. Ganz frech wird es aber im Fall mehrer Dut-zend Ausgaben der WZB-Mitteilungen. Es sind keine Rarissima, es gibt hinreichend Exemplare auf Lager. 12 Euro sind ein stol-zer Preis, der zwar der Arbeit der Forscher und der Redaktion angemessen wäre, aber nicht fair ist: Jeder Interessierte be-kommt schon immer per Email oder als gedrucktes Exemplar jedes Heft unentgeltlich zugestellt. Die Auktionsplattform mit ihrem munteren Verkäufer ist aber kein Einzelfall. Auch ver-

schiedene elektronische Antiquariate bieten WZB-Mitteilungen an. Die Preise sind dort günstiger, oft zwischen 7 und 8 Euro. Si-cherheitshalber also noch mal in Worten: Die WZB-Mitteilungen können Sie unentgeltlich beziehen beim Herausgeber: [email protected]. Alle Exemplare sind garantiert ungelesen.

Teuer?

Unentgeltlich ist auch vieles im Internet nicht, an dem kein Preiskärtchen im herkömmlichen Sinne hängt. Man muss nur die Währung erkennen, in der die Ware bezahlt wird. Daran er-innerte Jeanette Hofmann, Internetforscherin am WZB und am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin. In einer Diskussion auf dem Hambacher Schloss über Internet und Demokratie wurde unter anderem nach der Rolle der digitalen Großanbieter gefragt, die ein Oligopol aus kommerziellen Anbietern bilden und primär eines anstreben: Gewinn. Das gelte auch für Firmen wie Google oder Facebook, sagte Hofmann: „Wir bezahlen für die Nutzung dieser Dienste mit der Preisgabe unserer persönlichen Daten“ (Rhein-Zeitung, 14. Mai 2012).

Forschermärchen

Im Stil der Gebrüder Grimm hat Michael T. Wright, bis 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Public Health am WZB, ein Märchen über das Werden eines Sozialwis-senschaftlers verfasst. Mit seiner Geschichte gewann Wright, Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin, den Sci-ence Slam beim 20-jährigen Jubiläum seiner Hochschule Ende 2011. Nun ist die Geschichte im Hochschuljournal Einblicke abgedruckt. Darin erzählt Grimm-Wright, wie ein Junge etwas lernen möchte, vor dem sich alle anderen gruseln: alles, was mit Daten, Zahlen und Empirie zu tun hat. Er nimmt alles auf sich, lernt über Positivismus und Konstruktivismus, über kritische, interpretative und partizipative Sozialforschung, eignet sich quantitative und qualitative Methoden an, vertieft sich in die Hermeneutik. Aber es gruselt ihm zu seinem Leidwesen immer noch nicht. Sogar eingeschlossen in einem verwunschenen Schloss gruselt es ihm nicht – er forscht mit der Gespenster-Community und befriedet das Schloss, zur Freude des Königs, der ihm aus Dankbarkeit einen Goldschatz und seine Tochter zur Frau gibt. Der Unerschrockene weiß nur eines immer noch nicht: was gruseln ist. Bis sein Kammermädchen heimlich ein Manuskript aus seiner Feder an ein Forschungsjournal schickt und nach Monaten der Umschlag mit der Begutachtung eintrifft. Da fühlt sich der junge Forscher endlich befreit: Nun wusste er, was Gruseln ist, denn es gruselte ihm bei der Lektüre mächtig.

Mitlese

Die März-Ausgabe der vom WZB mit herausgegebenen sozial-wissenschaftlichen Zeitschrift Leviathan widmet sich in der Juni-Ausgabe unter anderem einer gerechteren Verteilung der Lasten, die sich aus der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes er-geben (Günther Schmid) und der Dynamik des neuen chine-sischen Kapitalismus (Tobias ten Brink). Außerdem gibt Fried-helm Neidhardt Einblicke in die Funktionsbedingungen des Wissenschaftsrats, der in jüngster Zeit in die Kritik geraten ist.

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 201246

Vorgestellt Publikationen aus dem WZB

Chancen für Gewerkschaften Rebecca Kolins Givan, Lena Hipp Gewerkschaftsmitglieder betrachten die Leistungsfähigkeit von Gewerkschaften besonders kritisch, weil sie besonders hohe Erwartungen an ihre Organisationen haben. Diese An-nahme, die von manchen Forschern vertreten wird, widerlegen Rebecca Givan und Lena Hipp. Sie haben Umfragedaten von fast 15.000 Beschäftigten aus 24 Ländern in Europa, Amerika und Asien ausgewertet. Mitglieder und ehemalige Mitglieder beurteilen demnach das Vermögen der Gewerk-schaften, Arbeitsbedingungen und Jobsicherheit zu gewährleisten, höher als jene, die nie Mitglied waren. Für Gewerkschaften heißt das: Es könnte sich lohnen, ehemalige Mitglieder wiederzugewin-nen. Nach dem Gewerkschaftsbeitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen gefragt, haben Frauen, die nie Mitglied waren, eher ein positives Bild von Gewerkschaften als Männer. Rebecca Kolins Givan/Lena Hipp: „Public Perceptions of Labor Union Efficacy: A Twenty-Four Country-Study“. In: Labor Studies Journal, Vol. 37, No. 7, 2012, S. 7-32.

Islamophobie im Westen Marc Helbling Islamophobie ist ein öffentlich heftig diskutiertes Thema, aber wir wissen noch wenig Genaues über sie. Grundlegende Fragen sind kaum erforscht: Wie lässt sich Islamfeindschaft definieren? Wie kann man eine solche Einstellung messen? Wie grenzt sich Islamophobie von allge-meiner Fremdenfeindlichkeit ab? Marc Helbling gibt als Herausgeber dieses Bands einen Überblick über zentrale Forschungsfragen. Zum ersten Mal überhaupt versammelt dieser Sammelband führende Autoren dieses Forschungsfelds, die anhand von Einzel-studien aus europäischen Ländern und den USA Antworten geben. Neben Fallstudien, etwa zu Veränderungen nach dem 11. September 2001, untersucht der Band auch, wie Muslime ihre eigene Situation wahrnehmen. Die meisten Kapitel werten Umfragen aus, die speziell zur Erforschung von Islamophobie konzipiert wurden. Marc Helbling (Ed.): Islamophobia in the West. Measuring and Explaining Individual Attitudes. London/New York: Routledge 2012.

Islamophobie ist seit Jahren allgegenwärtig in Europa. In der Schweiz war eine Kampagne gegen den Bau von Minaretten im November 2009 erfolgreich: Die Mehrheit der abstim-menden Schweizer votierten für das Verbot, das maßgeblich von der Schweizerischen Volkspartei propagiert wurde, unter anderem durch eine Plakatkampagne (hier auf dem Genfer Bahnhof). [Foto: picture-alliance / dpa]

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012 47

Vorgestellt Publikationen aus dem WZB

Chancen für Gewerkschaften Rebecca Kolins Givan, Lena Hipp Gewerkschaftsmitglieder betrachten die Leistungsfähigkeit von Gewerkschaften besonders kritisch, weil sie besonders hohe Erwartungen an ihre Organisationen haben. Diese An-nahme, die von manchen Forschern vertreten wird, widerlegen Rebecca Givan und Lena Hipp. Sie haben Umfragedaten von fast 15.000 Beschäftigten aus 24 Ländern in Europa, Amerika und Asien ausgewertet. Mitglieder und ehemalige Mitglieder beurteilen demnach das Vermögen der Gewerk-schaften, Arbeitsbedingungen und Jobsicherheit zu gewährleisten, höher als jene, die nie Mitglied waren. Für Gewerkschaften heißt das: Es könnte sich lohnen, ehemalige Mitglieder wiederzugewin-nen. Nach dem Gewerkschaftsbeitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen gefragt, haben Frauen, die nie Mitglied waren, eher ein positives Bild von Gewerkschaften als Männer. Rebecca Kolins Givan/Lena Hipp: „Public Perceptions of Labor Union Efficacy: A Twenty-Four Country-Study“. In: Labor Studies Journal, Vol. 37, No. 7, 2012, S. 7-32.

Islamophobie im Westen Marc Helbling Islamophobie ist ein öffentlich heftig diskutiertes Thema, aber wir wissen noch wenig Genaues über sie. Grundlegende Fragen sind kaum erforscht: Wie lässt sich Islamfeindschaft definieren? Wie kann man eine solche Einstellung messen? Wie grenzt sich Islamophobie von allge-meiner Fremdenfeindlichkeit ab? Marc Helbling gibt als Herausgeber dieses Bands einen Überblick über zentrale Forschungsfragen. Zum ersten Mal überhaupt versammelt dieser Sammelband führende Autoren dieses Forschungsfelds, die anhand von Einzel-studien aus europäischen Ländern und den USA Antworten geben. Neben Fallstudien, etwa zu Veränderungen nach dem 11. September 2001, untersucht der Band auch, wie Muslime ihre eigene Situation wahrnehmen. Die meisten Kapitel werten Umfragen aus, die speziell zur Erforschung von Islamophobie konzipiert wurden. Marc Helbling (Ed.): Islamophobia in the West. Measuring and Explaining Individual Attitudes. London/New York: Routledge 2012.

Islamophobie ist seit Jahren allgegenwärtig in Europa. In der Schweiz war eine Kampagne gegen den Bau von Minaretten im November 2009 erfolgreich: Die Mehrheit der abstim-menden Schweizer votierten für das Verbot, das maßgeblich von der Schweizerischen Volkspartei propagiert wurde, unter anderem durch eine Plakatkampagne (hier auf dem Genfer Bahnhof). [Foto: picture-alliance / dpa]

Die Macht der Zahlen Sebastian Botzem Fragen der Rechnungslegung sind weit mehr als buchungstechnische Herausforde-rungen. Die Darstellung von unternehmerischen Gewinnen und Verlusten beeinflusst vielmehr direkt das weltweite Wirtschaftsgeschehen. WZB-Forscher Sebastian Botzem legt die politische Geschichte der Regulierung der internati-onalen Rechnungslegung vor. Im Zentrum seiner Analyse steht das Internatio-nal Accounting Standards Board, das im Laufe von vier Jahrzehnten von einer privaten Agentur zu der zentralen Regulierungsinstanz der internationalen Rechnungslegung aufgestiegen ist. Deren Standards haben mit zur Krise beige-tragen. Botzems Ausführungen über die Institutionalisierung einer transnatio-nalen Autorität münden in ein Plädoyer für Rechenschaft und Transparenz: „Die Finanzkrise hat gezeigt: Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass die Beschrei-bung und die Verteilung von Profiten den Insidern alleine überlassen bleiben könnte.“ Sebastian Botzem: The Politics of Accounting Regulation. Organizing Transnational Standard Setting in Financial Reporting. Cheltenham/ Northamp-ton: Edward Elgar 2012. Fachkräfte fürs Wachstum Yan Hao Der Ausbau des Systems beruflicher

Bildung hat zum starken Wirtschaftswachstum Chinas in den letzten Jahrzehnten beigetragen. Aber die Regierung der Volksrepublik sieht noch einen großen Konsolidierungs- und Reformbedarf angesichts der Herausforderungen der Zukunft: Demografischer Wandel und Fachkräftemangel sind schon jetzt spürbar. Die berufliche Aus- und Weiterbildung steht im Mittelpunkt der Mehrjahresplanung, die Ansät-ze einer dualen Ausbildung stärkt. Yan Hao, im letzten Sommer Gastwissenschaftler am WZB, skizziert die politischen, organisatorischen und sozialen Rahmenbedingungen der beruflichen Bildung in China auf allen Ebenen – in Schule, Hochschule und Unternehmen. Yan Hao: The Reform and Modernization of Vocational Education and Training in China. WZB-Discussion Paper SP III 2012-304. Berlin: WZB 2012.

Weitere Publikationen unter: www.wzb.eu/sites/default/files/publikation/pdf/wm136.pdf

Die EU-Kommission im Wandel Miriam Hartlapp, Yann Lorenz Die Zusammensetzung der Europäischen Kommission hat sich seit den 1950er Jahren stark verändert. Beruf, Nationalität und Parteizugehörigkeit der EU-Kommissare haben Einfluss auf politische Entscheidungen. Miriam Hartlapp und Yann Lorenz zeigen, dass viele Kommissare vor ihrer Ernennung ranghohe Positionen, zum Beispiel als Regierungschefs, inne hatten. Abgenommen hat der Anteil der Diplo-maten, Wissenschaftler und gesellschaftspolitischen Aktivisten. Parteipolitische Positio-nen sind relevanter geworden. Der Einfluss der großen Volksparteien ist dabei zurück-gegangen, da kleine Parteien mehr präsent sind. Die Kommission ist heute liberaler als früher, was dazu führt, dass ihre Gesetzesvorschläge nicht immer auf Gegenliebe bei den Mitgliedsstaaten treffen. Miriam Hartlapp/Yann Lorenz: Persönliche Merkmale von Führungspersonal als Politikdeterminante: Die Europäische Kommission im Wandel der Zeit. WZB-Discussion Paper SP IV 2012-501. Berlin: WZB 2012.

Pluralismus im EU-Diskurs Pieter de Wilde Werden Debatten über zentrale Fragen der EU-Politik durch einzelne Akteure monopolisiert? Wird in den Massenmedien und in Debatten nationaler Parlamente ein breites Interes-senspektrum repräsentiert? Pieter de Wilde hat für drei Budget-Entscheidungsprozesse in den letzten zwei Jahrzehnten gefragt, ob es einen wirklichen Pluralismus gibt, und dabei die Medien und die Parlamentsdiskurse in den Niederlanden, Irland und Dänemark untersucht. Seine Analyse der Debatten und der Mediendarstellungen ergeben: Forde-rungen einzelner Akteure beherrschen nicht einseitig die Debatte. Interessen anderer Länder, Anliegen von Verbrauchern und Forderungen von Bürgern finden ein öffentli-ches Forum. Auch Positionen von Nichtmitgliedern der EU werden in beiden Öffentlich-keiten zur Sprache gebracht. Medien und Parlamente haben sich nämlich zu Räumen entwickelt, in denen Vertreter verschiedener Interessen um Legitimität konkurrieren. Pieter de Wilde: „The Plural Representative Space: How Mass Media and National Parlia-ments Stimulate Pluralism through Competition“. In: Sandra Kröger/Dawid Friedrich: The Challenge of Democratic Representation in the European Union. Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, S. 117-134.

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 201248

Tilman Börgers, Samuel Zell Professor of the Economics of Risk am Department of Econo-mics der University of Michi-gan, ist vom 15. Mai bis zum 30. Juni 2012 Gast der Abtei-lung Verhalten auf Märkten. Der renommierte Mikroöko-nom arbeitet zu Fragen des „Mechanism Design“, zu Auk-tionen und zu Abstimmungs-regeln.

Huon Curtis, University of Syd- ney, ist von Anfang Mai bis Ende Juli 2012 als WZB-Fel-low Gastwissenschaftler im Schwerpunkt Märkte und Poli- tik. Sein Forschungsinteresse gilt den Themen „Geschich-te und die Theorie ökonomi-schen Denkens“ sowie „Sozi-alstudien des Finanzwesens mit besonderem Augenmerk auf Derivate“. Während seiner Zeit am WZB wird er an seiner Dissertation arbeiten.

Professor Jan Delhey ist von Februar bis Juli 2012 Gastwis-senschaftler in der Abteilung Ungleichheit und soziale Inte-gration. Der Soziologieprofes-sor an der Jacobs University

Bremen forscht international vergleichend zu den gesell-schaftlichen Bedingungen von Vertrauen und subjektivem

der Freien Universität Berlin, ist seit dem 1. April 2012 für sechs Monate als WZB-Fellow und Karl W. Deutsch-Professor Gast im Präsidialbereich und in der Abteilung Ungleichheit und soziale Integration. Wäh-rend seines Aufenthalts arbei-tet er an zwei Buchprojekten zu den Themen „Wir, ein euro-päisches Volk? Sozialintegra-tion Europas und die Idee der Gleichheit aller europäischen Bürger“ (gemeinsam mit Hol-ger Lengfeld) und „Transnatio-nales Bildungskapital und so-ziale Ungleichheit“ (mit Silke Hans und Sören Carlson).

Yaman Kouli, wissenschaftli-cher Mitarbeiter am Institut für Europäische Geschichte der TU Chemnitz, ist für ein Jahr A.SK-Fellow und Gastwissen- schaftler der Projektgruppe Globalisierung, Arbeit und Produktion. Sein Ziel ist es, ein theoretisches Modell zu ent-wickeln, um die „Wissensinfra-strukturen“ unterschiedlicher Länder über verschiedene hi- storische Epochen hinweg ver- gleichbar zu machen. Darüber hinaus beschäftigt sich Yaman Kouli mit den europäischen „Wirtschaftswundern“ (1948-1973) und der Wirtschaftsge-schichte Polens im 20. Jahr-hundert.

Mirjam Künkler, Assistant Pro-fessor im Department of Near Eastern Studies der Princeton University, wird vom 1. August bis 31. Oktober 2012 am WZB Rule of Law Center forschen. Ihre Forschungsinteressen lie- gen auf dem Gebiet der verglei- chenden Politikwissenschaft und der politischen Theorie, im Speziellen forscht sie zum Verhältnis von Staat und Re-ligion sowie zum Islam in Indonesien und im Iran im 20. Jahrhundert. Ihr derzeiti-ges Forschungsprojekt befasst sich mit der Frage nach der Rolle des Rule of Law in den Transformationsprozessen im Rechtssystem der Islamischen Republik Iran (1979-2009).

Professor Trevor Pinch, Cor-nell University, Department

PersonenWohlbefinden sowie zur Euro- päisierung der Lebenswelten. Am WZB wird er an dem Buch „Is More Always Better? Hu-man Happiness and the Limits of the Maximization Princip-le“ (Springer-Verlag) arbeiten. Außerdem geht er zusammen mit Ulrich Kohler (WZB) der Frage nach, wie ungleich sub-jektives Wohlbefinden welt- weit verteilt ist und welchen Einfluss sozioökonomischer Fortschritt und objektive Un-gleichheiten auf die Vertei-lung des Wohlbefindens ha-ben.

Professor Duncan Gallie, So-ziologieprofessor am Nuffield College der Universität Oxford und Vize-Präsident der Bri-tish Academy, wird von Mit-te Juni bis Mitte Juli 2012 in der Abteilung Ausbildung und Arbeitsmarkt zu Gast sein. Er wird im WZB an der Auswer-tung von Daten der fünften Welle des European Social Survey zum Thema „Work, Fa-mily and Well-being: The Im-plications of Economic Reces-sion“ arbeiten.

John Gerring, Professor für Politikwissenschaften an der Boston University, wird von Anfang Juli bis Anfang August 2012 Gast der Abteilung Trans-nationale Konflikte und inter-nationale Institutionen sein. Während seines Aufenthalts wird er an seinem Langzeit-projekt „Varieties of Democra-cy“ und an einer Publikation zum Thema „Democracy and Development: A Historical Per- spective“ arbeiten.

John Hartley, Professor für Cultural Science und Direk-tor des Centre for Culture and Technology der Curtin Uni- versity, Western Australia, ist im Juli 2012 Gast der Abtei-lung Kulturelle Quellen von Neuheit. Er wird sich mit Aus-wirkungen der Digitalisierung auf die Kreativindustrien be-schäftigen.

Professor Jürgen Gerhards, geschäftsführender Direktor des Instituts für Soziologie

of Science and Technology Studies in Ithaca, New York, ist im Juni 2012 Gast der Ab- teilung Kulturelle Quellen von Neuheit. Während seines Auf-enthalts am WZB wird der So- ziologe sich mit Fragen der sozialen Konstruktion von In-novationen, insbesondere im Bereich der Musiktechnologie, beschäftigen.

Professor Robert Rohrschnei-der ist im Juni 2012 Gastwis-senschaftler in der Abteilung Demokratie: Strukturen, Leis-tungsprofil und Herausfor-derungen. Er ist Sir Robert Worcester Distinguished Pro-fessor of Political Science an der University of Kansas und forscht unter anderem über politische Repräsentation, Par- lament und Wahlen, die Euro-päische Union und politische Eliten.

Dr. Oriane Sarrasin, Research Centre for Methodology, In-equalities and Social Change an der Universität Lausanne, ist seit Juni 2012 für ein Jahr Gastwissenschaftlerin der Ab- teilung Migration, Integrati-on, Transnationalisierung. Sie forscht über die Ursachen feindlicher Einstellungen ge-genüber Immigranten und Im- migrantinnen und interes-siert sich insbesondere für die Beziehung zwischen Ge-schlecht und Immigration.

Professor Pascal Sciarini, Uni- versität Genf, ist im Mai und Ju- ni Gastwissenschaftler in der Abteilung Demokratie: Struk-turen, Leistungsprofil und He- rausforderungen. Er beschäf-tigt sich mit Wahlforschung im Allgemeinen sowie mit Gesetzgebungsverfahren, Euro-päisierung, politischer Ent-scheidungsfindung, Meinungs- bildung und politischem Han-deln bei Wahlen und Volksab-stimmungen.

Milan Svolik, Assistant Pro-fessor an der University of Chicago, ist von Mitte Mai bis Ende Juni 2012 Gast-wissenschaftler in der Ab-teilung Demokratie: Struk-

Gastwissenschaftler

[Foto: Udo Borchert]

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Tilman Börgers, Samuel Zell Professor of the Economics of Risk am Department of Econo-mics der University of Michi-gan, ist vom 15. Mai bis zum 30. Juni 2012 Gast der Abtei-lung Verhalten auf Märkten. Der renommierte Mikroöko-nom arbeitet zu Fragen des „Mechanism Design“, zu Auk-tionen und zu Abstimmungs-regeln.

Huon Curtis, University of Syd- ney, ist von Anfang Mai bis Ende Juli 2012 als WZB-Fel-low Gastwissenschaftler im Schwerpunkt Märkte und Poli- tik. Sein Forschungsinteresse gilt den Themen „Geschich-te und die Theorie ökonomi-schen Denkens“ sowie „Sozi-alstudien des Finanzwesens mit besonderem Augenmerk auf Derivate“. Während seiner Zeit am WZB wird er an seiner Dissertation arbeiten.

Professor Jan Delhey ist von Februar bis Juli 2012 Gastwis-senschaftler in der Abteilung Ungleichheit und soziale Inte-gration. Der Soziologieprofes-sor an der Jacobs University

Bremen forscht international vergleichend zu den gesell-schaftlichen Bedingungen von Vertrauen und subjektivem

der Freien Universität Berlin, ist seit dem 1. April 2012 für sechs Monate als WZB-Fellow und Karl W. Deutsch-Professor Gast im Präsidialbereich und in der Abteilung Ungleichheit und soziale Integration. Wäh-rend seines Aufenthalts arbei-tet er an zwei Buchprojekten zu den Themen „Wir, ein euro-päisches Volk? Sozialintegra-tion Europas und die Idee der Gleichheit aller europäischen Bürger“ (gemeinsam mit Hol-ger Lengfeld) und „Transnatio-nales Bildungskapital und so-ziale Ungleichheit“ (mit Silke Hans und Sören Carlson).

Yaman Kouli, wissenschaftli-cher Mitarbeiter am Institut für Europäische Geschichte der TU Chemnitz, ist für ein Jahr A.SK-Fellow und Gastwissen- schaftler der Projektgruppe Globalisierung, Arbeit und Produktion. Sein Ziel ist es, ein theoretisches Modell zu ent-wickeln, um die „Wissensinfra-strukturen“ unterschiedlicher Länder über verschiedene hi- storische Epochen hinweg ver- gleichbar zu machen. Darüber hinaus beschäftigt sich Yaman Kouli mit den europäischen „Wirtschaftswundern“ (1948-1973) und der Wirtschaftsge-schichte Polens im 20. Jahr-hundert.

Mirjam Künkler, Assistant Pro-fessor im Department of Near Eastern Studies der Princeton University, wird vom 1. August bis 31. Oktober 2012 am WZB Rule of Law Center forschen. Ihre Forschungsinteressen lie- gen auf dem Gebiet der verglei- chenden Politikwissenschaft und der politischen Theorie, im Speziellen forscht sie zum Verhältnis von Staat und Re-ligion sowie zum Islam in Indonesien und im Iran im 20. Jahrhundert. Ihr derzeiti-ges Forschungsprojekt befasst sich mit der Frage nach der Rolle des Rule of Law in den Transformationsprozessen im Rechtssystem der Islamischen Republik Iran (1979-2009).

Professor Trevor Pinch, Cor-nell University, Department

PersonenWohlbefinden sowie zur Euro- päisierung der Lebenswelten. Am WZB wird er an dem Buch „Is More Always Better? Hu-man Happiness and the Limits of the Maximization Princip-le“ (Springer-Verlag) arbeiten. Außerdem geht er zusammen mit Ulrich Kohler (WZB) der Frage nach, wie ungleich sub-jektives Wohlbefinden welt- weit verteilt ist und welchen Einfluss sozioökonomischer Fortschritt und objektive Un-gleichheiten auf die Vertei-lung des Wohlbefindens ha-ben.

Professor Duncan Gallie, So-ziologieprofessor am Nuffield College der Universität Oxford und Vize-Präsident der Bri-tish Academy, wird von Mit-te Juni bis Mitte Juli 2012 in der Abteilung Ausbildung und Arbeitsmarkt zu Gast sein. Er wird im WZB an der Auswer-tung von Daten der fünften Welle des European Social Survey zum Thema „Work, Fa-mily and Well-being: The Im-plications of Economic Reces-sion“ arbeiten.

John Gerring, Professor für Politikwissenschaften an der Boston University, wird von Anfang Juli bis Anfang August 2012 Gast der Abteilung Trans-nationale Konflikte und inter-nationale Institutionen sein. Während seines Aufenthalts wird er an seinem Langzeit-projekt „Varieties of Democra-cy“ und an einer Publikation zum Thema „Democracy and Development: A Historical Per- spective“ arbeiten.

John Hartley, Professor für Cultural Science und Direk-tor des Centre for Culture and Technology der Curtin Uni- versity, Western Australia, ist im Juli 2012 Gast der Abtei-lung Kulturelle Quellen von Neuheit. Er wird sich mit Aus-wirkungen der Digitalisierung auf die Kreativindustrien be-schäftigen.

Professor Jürgen Gerhards, geschäftsführender Direktor des Instituts für Soziologie

of Science and Technology Studies in Ithaca, New York, ist im Juni 2012 Gast der Ab- teilung Kulturelle Quellen von Neuheit. Während seines Auf-enthalts am WZB wird der So- ziologe sich mit Fragen der sozialen Konstruktion von In-novationen, insbesondere im Bereich der Musiktechnologie, beschäftigen.

Professor Robert Rohrschnei-der ist im Juni 2012 Gastwis-senschaftler in der Abteilung Demokratie: Strukturen, Leis-tungsprofil und Herausfor-derungen. Er ist Sir Robert Worcester Distinguished Pro-fessor of Political Science an der University of Kansas und forscht unter anderem über politische Repräsentation, Par- lament und Wahlen, die Euro-päische Union und politische Eliten.

Dr. Oriane Sarrasin, Research Centre for Methodology, In-equalities and Social Change an der Universität Lausanne, ist seit Juni 2012 für ein Jahr Gastwissenschaftlerin der Ab- teilung Migration, Integrati-on, Transnationalisierung. Sie forscht über die Ursachen feindlicher Einstellungen ge-genüber Immigranten und Im- migrantinnen und interes-siert sich insbesondere für die Beziehung zwischen Ge-schlecht und Immigration.

Professor Pascal Sciarini, Uni- versität Genf, ist im Mai und Ju- ni Gastwissenschaftler in der Abteilung Demokratie: Struk-turen, Leistungsprofil und He- rausforderungen. Er beschäf-tigt sich mit Wahlforschung im Allgemeinen sowie mit Gesetzgebungsverfahren, Euro-päisierung, politischer Ent-scheidungsfindung, Meinungs- bildung und politischem Han-deln bei Wahlen und Volksab-stimmungen.

Milan Svolik, Assistant Pro-fessor an der University of Chicago, ist von Mitte Mai bis Ende Juni 2012 Gast-wissenschaftler in der Ab-teilung Demokratie: Struk-

Gastwissenschaftler

[Foto: Udo Borchert]

turen, Leistungsprofil und Herausforderungen und wird insbesondere mit dem Pro-jekt „Critical Junctures and the Survival of Dictatorships. Explaining the Stability of Au-tocratic Regimes“ zusammen-arbeiten. Seine Forschungs-schwerpunkte liegen in den Bereichen Methodologie und politische Regime im Allge-meinen und Autokratie im Be-sonderen.

Jonas Tallberg, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Stockholm, ist von Mitte Juni bis Mitte Juli 2012 Gast der Abteilung Transna- tionale Konflikte und interna-tionale Institutionen. Er arbei-tet unter anderem an Veröf-fentlichungen zu den Themen „Explaining the Transnational Design of International Or-ganizations“, „The Social Le- gitimacy of International Or-ganizations: Interest Repre-sentation, Institutional Per-formance, and Cosmopolitan Identities“ und „International Organizations and Transnati-onal Actors“.

Berufungen

Professorin Eugénia da Con-ceição-Heldt, Heisenberg-Fel- low in der WZB-Abteilung Transnationale Konflikte und internationale Institutionen, hat einen Ruf an die TU Dres-den angenommen und lehrt dort seit März 2012 als Pro-fessorin für Internationale Politik.

Anke Geßner, Gleichstellungs-beauftragte des WZB, wurde im März 2012 für weitere zwei Jahre zur Sprecherin des Arbeitskreises Chancengleich-heit der Leibniz-Gemeinschaft gewählt. Der Arbeitskreis dient der fachlichen Vernetzung der Gleichstellungsbeauftragten der 86 Leibniz-Einrichtungen. Er berät darüber hinaus das Leibniz-Präsidium zu Fragen der Chancengleichheit und be- richtet jährlich zu den Aktivi-täten, konzipiert die Jahresta-

benslanges Lernen, gehört zu den Preisträgern der Ge-sellschaft für Hochschulfor-schung für herausragende Ab- schlussarbeiten auf dem Ge-biet der Hochschulforschung 2012.

Dr. Justin J.W. Powell ist für sein gemeinsam mit John G. Richardson verfasstes Buch Comparing Special Education. Origins to Contemporary Pa-radoxes mit dem Outstanding Book Award 2012 der Ameri-can Education Research As-sociation (Division B) ausge-zeichnet worden. Der Preis wurde beim AERA-Kongress in Vancouver verliehen. Die AERA ist eine interdiszipli-näre Organisation mit 30.000 Mitgliedern aus einem breiten Spektrum bildungsrelevanter Disziplinen.

Professor Günther Schmid wurde die Ehrendoktorwürde der Universität Aalborg, Ins-titut für Staatswissenschaft, verliehen. Seine Vorlesung zur feierlichen Verleihung des Ti- tels behandelte das Thema „Sharing Transition Risks: To- wards a System of Employ-ment Insurance“.

Professor Udo E. Simonis wird für seinen Artikel „GNP & Bey-ond: Searching for New Deve-lopment Indicators. A View in Retrospect” im International Journal of Social Economics mit einem der Outstanding Paper Awards geehrt. Der Ver-lag Emerald vergibt jedes Jahr Auszeichnungen an Autoren, die von der Redaktion der je-weiligen Emerald-Zeitschrift als herausragend eingestuft werden.

Promotionen

Mariya Chelova, Doktoran- din in der Abteilung Demo-kratie: Strukturen, Leistungs-profil und Herausforderun-gen, hat ihre Disputation mit dem Titel: „‚Divided We Stand‘. Emergence and Viability of Political Regimes in the For-

gung Chancengleichheit und ist mit den außeruniversitä-ren und universitären Gleich-stellungsgremien vernetzt.

Dr. Ulrich Kohler, geschäfts-führender wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Un- gleichheit und soziale Integra-tion, hat einen Ruf auf die Pro-fessur „Methoden der empiri-schen Sozialforschung“ in der Wirtschafts- und Sozialwis-senschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam erhalten.

Professor Friedhelm Neid-hardt, ehemaliger WZB-Präsi-dent, wurde auf Vorschlag des Präsidenten von den Gremi-en der Berlin-Brandenburgi-schen Akademie der Wissen-schaften für drei Jahre zum Ombudsmann der Akademie gewählt.

Dr. Thomas Rixen, wissen-schaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Transnationale Kon-flikte und internationale Insti-tutionen, hat einen Ruf auf die W2-Professur für Politikwis-senschaft, insbesondere int- ernational vergleichende Poli- tikfeldanalyse, an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg erhalten. Außerdem vertritt er diese Professur für das Som-mersemester.

Professor Rolf Rosenbrock, Leiter der zum 31. Mai 2012 beendeten Forschungsgruppe Public Health, wurde zum Vorsitzenden des Gesamtver- bands „Der Paritätische“ ge-wählt. „Der Paritätische“ ist einer der sechs Spitzenver-bände der Freien Wohlfahrts-pflege in Deutschland und Dachverband von über 10.000 eigenständigen Organisatio-nen, Einrichtungen und Grup-pierungen im Sozial- und Ge-sundheitsbereich.

Ehrungen / Preise

Claudia Finger, wissenschaftli-che Mitarbeiterin der Projekt-gruppe Nationales Bildungs- panel: Berufsbildung und le-

mer Soviet Union: The Case of Hybrid Regimes in Georgia, Moldova and Ukraine“ an der Humboldt-Universität zu Ber-lin, Philosophische Fakultät III, erfolgreich bestanden.

Christian Ebner, wissenschaft-licher Mitarbeiter der Projekt-gruppe bei der Präsidentin, hat mit seiner Disputation im März 2012 seine Promotion zum Thema „Unproblemati-sche Erwerbseinstiege? Zur Kopplung von dualer Beschäf-tigung und Arbeitsmarkt in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Dänemark“ er-folgreich an der Humboldt-Universität zu Berlin abge-schlossen.

Denis Hänzi, wissenschaftli-cher Mitarbeiter in der For- schungsgruppe Wissenschafts- politik, Projekt „Exzellenz und Geschlecht in Führungsposi-

tionen der Wissenschaft und Wirtschaft“, hat im März 2012 seine Dissertation über „Die Ordnung des Theaters. Eine kultursoziologische Studie zum Regieberuf“ an der Universität Bern mit dem Prädikat summa cum laude abgeschlossen.

Julia Metz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Schumpe-ter-Nachwuchsgruppe Positi- onsbildung in der EU-Kom-mission, hat im April 2012 an der FU Berlin ihre Dissertati-on zum Thema „The European Commission’s Expert Groups and their Use in Policy Ma-king“ erfolgreich verteidigt.

Christian Rauh, Diplom-Ver-waltungswissenschaftler in der Schumpeter-Nachwuchsgruppe Positionsbildung in der EU-

[Foto: Inge Weik-Kornecki]

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 201250

Kommission, hat seine Dis-sertation mit dem Titel „Poli-ticisation, Issue Salience, and Consumer Policies of the Eu-ropean Commission: Does Pu-blic Awareness and Contesta-tion of Supranational Matters Increase the Responsiveness of Europe’s Central Agenda-setter?“ abgeschlossen. Nach der Verteidigung im Januar 2012 an der FU Berlin wurde er mit summa cum laude pro-moviert.

Merlin Schaeffer, wissenschaft- licher Mitarbeiter in der Ab-teilung Migration, Integration, Transnationalisierung, hat im April 2012 seine Promotion zum Thema „Ethnic Fractiona-lisation and Social Cohesion“ erfolgreich an der Universiteit van Amsterdam verteidigt.

Aiko Wagner, wissenschaftli-cher Mitarbeiter der Abteilung Demokratie: Strukturen, Leis-tungsprofil und Herausforde-rungen, hat im Februar 2012 seine Promotion mit dem Titel „Die Mikrofundierung von Du-vergers Gesetz. Strategisches Wahlverhalten als Wirkungs-weise politischer Institutio-nen“ verteidigt.

Personalien

Tina Baier ist seit März 2012 wissenschaftliche Mitarbeite- rin im Präsidialbereich. Bis Ende 2011 war sie wissen-schaftliche Assistentin im Pro- jekt „Studienberechtigte und Studienanfänger in NRW: Ent-wicklungen und Herausforde- rungen 2000 bis 2010“. Zu ihren Aufgaben am WZB ge-hörten die wissenschaftliche Mitarbeit an verschiedenen Studien der Präsidentin, die Vorbereitung von Vorträgen der Präsidentin sowie die Ko-ordination ihrer Tätigkeit als Mitglied des Sozialbeirats und des Mindestlohn-Hauptaus-schusses.

Marvin Gamisch ist seit April wissenschaftlicher Mitarbei-ter bei der Projektgruppe der

Präsidentin. Er hat an der Uni-versität Göttingen, dem King’s College London und der Freien Universität Berlin ein Studium der Politikwissenschaft absol-viert. Er arbeitet an einem Projekt, das die Berechtigung der institutionellen Trennung von universitärer und außer- universitärer Forschung in Deutschland anhand eines Ver- gleichs von Forschungsleis-tungen hinterfragt und Sze-narien zur Neujustierung des Verhältnisses der beiden in-stitutionellen Blöcke entwi-ckelt. Darüber hinaus soll eine Forschungslandkarte erstellt werden, die über Potenziale der Kooperation von außer- universitären Einrichtungen und Hochschulen in Deutsch-land informiert.

Jana Girlich, seit März 2012 wissenschaftliche Mitarbeite-rin im Präsidialbereich, ist zu-ständig für die konzeptionelle Weiterentwicklung des Audit berufundfamilie. Zuvor war sie im Kompetenzzentrum Frau- en in Wissenschaft und For-schung (CEWS) am GESIS – Leib- niz-Institut für Sozialwissen-schaften in Bonn tätig.

Roni Mann, S.J.D., ist seit An-fang 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am WZB Rule of Law Center. Ihren Doktorgrad erhielt sie von der Harvard Law School und arbeitete als Fellow am Harvard Weather-

head Center for International Affairs, wo sie sich mit der Geschichte der Finanzregu-lierung in den USA auseinan-dersetzte. Gegenwärtig arbei- tet sie zu theoretischen und institutionellen Herausforde-rungen globaler Finanzregu-

lierung, insbesondere zu dem Begriff des „Systemischen Ri- sikos“. Ihre weiteren For-schungsinteressen liegen in der Verbindung der Analyse von Rechtsinstitutionen mit Sozialtheorien und politischer Philosophie.

Dr. Geny Piotti betreut seit Mai 2012 als Mitarbeiterin im Präsidialstab die wissen-schaftliche Karriereförderung am WZB. Bis April 2012 war sie als Science Officer im eu-ropäischen Forschungsmana- gement bei COST (European Cooperation in Science and Technology) in Brüssel tätig. Zuvor war die Wirtschafts-soziologin Visiting Scholar am Europäischen Hochschu-linstitut (EUI) in Florenz und wissenschaftliche Mitarbeite- rin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Darüber hinaus war sie als wissenschaftliche Berate-rin der Deutschen Asia Pacific Gesellschaft e.V. in Köln und als Koordinatorin des Netz-werks F „Knowledge, Techno-logy and Innovation“ bei der Konferenz der Society for the Advancement of Socio-Econo-mics (SASE) tätig.

Dr. Christian Rauh ist seit April 2012 wissenschaftlicher Mit-arbeiter der Abteilung Trans-nationale Konflikte und in-ternationale Institutionen. Er wird eine quantitative Indika-torenbasis aufbauen, die Aus-sagen zur gesellschaftlichen Politisierung internationaler Steuerung im systematischen Vergleich über Zeit und Insti-tutionen ermöglicht.

Dirk Reimann, M.A. Neuere Geschichte, arbeitet seit März 2012 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Bibliothek am Aufbau eines Archivs für das WZB. Ziel ist es, abge-schlossene Forschungsfelder des WZB mit einschlägigen Materialien zu dokumentieren, um nach entsprechender Auf-bereitung auch externen Wis-senschaftlern den Zugang für eigene Forschungen zu diesen Gebieten zu ermöglichen.

Dr. Theresa Reinold, wissen-schaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Transnationale Kon- flikte und internationale Ins-titutionen, forscht als Stipen-diatin vom 1. April bis zum 30. Juni 2012 am Center for European Studies der Harvard University. Dort arbeitet sie unter anderem an einer Buch-publikation mit dem Titel „So-vereignty and the Responsi-bility to Protect: The Power of Norms and the Norms of the Powerful“ sowie an einer Fall-studie zum Thema „IWF und Menschenrechtsschutz“.

Andreas Schäfer arbeitet seit Februar 2012 im Präsidialbe-reich als Programmkoordi-nator für die Berlin Summer School in Social Sciences, die als Gemeinschaftsprojekt des WZB und der Berlin Gradua-te School of Social Sciences (BGSS) in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindet. Er hat Politikwissenschaft und Ger-manistik in Leipzig, Dublin und an der Freien Universität Berlin studiert. Seit 2008 ist er Doktorand an der BGSS der Humboldt-Universität zu Ber-lin und forscht zur Rolle von Deliberationsprozessen in der parlamentarischen Entschei-dungsfindung

Aiko Wagner, Abteilung De-mokratie: Strukturen, Leis-tungsprofil und Herausforde-rungen, forscht von März bis Juni 2012 an der Universität Nottingham, finanziert durch ein Postdoc-Stipendium des DAAD. Als Gast von Professor Cees van der Eijk am Social Sciences Methods and Data Institute beschäftigt er sich in dieser Zeit vor allem mit „Choice Sets“ im Kontext von Wahlentscheidungsmodellen.

[Foto: Udo Borchert]

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012 51

Es kann viel Zeit vergehen, bis Forschungsergebnisse in den einschlägigen Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Die Begutachtungsprozesse können mehr als ein Jahr dauern. Um die Fachöffentlichkeit ohne diese lange Verzöge-rung von der Forschung profitieren zu lassen, wurde vor vier Jahren im WZB das Konzept der WZBriefe entwickelt, mit dem WZBrief Bildung als Pilotprojekt. Seit-dem ergänzt um die WZBriefe Arbeit und Zivilengagement, hat die Publikations-reihe inzwischen eine große Leserschaft gefunden – mit bis zu 7.000 Abrufen pro Brief. Verschickt werden sie mehrmals im Jahr, und zwar ausschließlich elektronisch. Interessierte können sie abonnieren, werden aber auch über die Homepage des WZB oder den Newsletter auf sie aufmerksam.In den WZBriefen geht es um die Folgen sozialer Ungleichheit, sowohl auf dem Arbeitsmarkt wie in der Bildung, aber ebenso um Innovationshemmnisse in der Wissenschaft oder das gesellschaftliche Engagement älterer Menschen. Auch aktuelle Debatten werden aufgegriffen. Das breite Spektrum macht die WZBriefe für Abonnenten aus vielen Arbeitsbereichen interessant, für Experten und inte-ressierte Praktiker von Forschungsinstitutionen und Universitäten, aus Politik, Verwaltung und Medien, Stiftungen, Schulen und anderen Bildungseinrichtun-gen. Aber auch Privatpersonen, die sich dafür interessieren, mit welchen For-schungsthemen sich ein öffentlich finanziertes Institut wie das WZB unter an-derem beschäftigt, gehören zu den Lesern.Die Darstellung der Themen hilft auch beim Blick über den Tellerrand, wenn zum Beispiel Informationen aus Schule und Hochschule Forschungsergebnisse verdeutlichen: So wird in Claudia Fingers WZBrief Bildung zur Mobilität von Stu-denten nicht nur deutlich, dass Akademikerkinder häufiger ein Auslandsstudi-um aufnehmen. Die Forscherin zeigt, dass die Weichen dafür schon in der Schu-le gestellt werden, denn wer als Schulkind eine Zeitlang im Ausland lebte, geht als Studierender eher in ein anderes Land. Themen der nächsten Ausgaben sind „Migrantenkinder und ihre Übergangsempfehlungen nach der Grundschule“ und „Profilbildung von Hochschulen“.Breit angelegt ist auch das Forschungsinteresse der Arbeitsmarktforscher, die sich in den nächsten Ausgaben des WZBrief Arbeit unter anderem mit den The-men „Folgen der Arbeitslosigkeit“, „Übergänge von der Ausbildung in den Ar-beitsmarkt“ und „Teilzeitarbeit bei Männern“ beschäftigen werden. Im WZBrief Zivilengagement wird es in diesem Jahr beispielsweise um das Thema Organi-sationswandel im Dritten Sektor gehen.Wer sich für ein regelmäßiges Abonnement der WZBriefe interessiert, kann sich unter dem Link www.wzb.eu/de/presse/presseverteiler im Internet für unser Angebot anmelden.

Kompakt, schnell, elektronisch Eine Zwischenbilanz der WZBriefeKerstin Schneider

Zur WZB-Website: Hier können Sie sich in unseren Verteiler eintragen.Für Smartphone-Benutzer: Bildcode scannen, etwa mit der App „Scanlife“.

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 201252

Vorschau

Veranstaltungen

7. und 8. Juni 2012

Field Days: Experiments Outside the Laboratory Konferenz Die Konferenz beschäf-tigt sich mit neuen Ergebnissen von Feldexperimenten und beleuchtet dabei aus kritischer Sicht methodische Aspekte. Be-sonderes Augenmerk wird darauf gelegt, wie Erkenntnisse aus Feldexperimenten verwendet werden können, um Interventi-onen anzupassen und zu entwerfen, und wie Feldexperimente zur Evaluation von (Politik-)Interventionen eingesetzt werden können. Veranstalter: Dietmar Fehr, Dr. Julia Schmid, WZB-Abtei-lung Verhalten auf Märkten; Informationen bei Eva Kollecker, E-Mail: [email protected]

12. Juni 2012

The Freedom to Be Racist? Kolloquium We love freedom. We hate racism. But what do we do when these values collide? Erik Bleich, author of “The Freedom to be Racist? How the United States and Eu-rope Struggle to Preserve Freedom and Combat Racism” will explore policies that the United States, Britain, France, Germany, and other liberal democracies have implemented when forced to choose between preserving freedom and combating racism. Veranstalter: Abteilung Migration, Integration, Transnationalisie-rung und Dr. Marc Helbling, Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe Einwanderungspolitik im Vergleich; Informationen bei Dr. Marc Helbling, E-Mail: [email protected]

14. und 15. Juni 2012

Renten, Daten, Forschung

Workshop Der 9. Workshop des Forschungsdatenzent-rums der Rentenversicherung (FDZ-RV) bietet ein interdiszip-linäres Forum zur Präsentation und Diskussion von Befunden, die vor allem auf Daten des FDZ-RV basieren. Neben methodi-schen Fragestellungen, etwa zum Datenmatching, werden die Themen Gesundheit und Krankheit, Lebensarbeitseinkommen und deren Verteilung sowie Altersübergangsprozesse eine zentrale Rolle spielen. Der 9. Workshop des FDZ-RV findet zum vierten Mal in Kooperation mit dem und am WZB statt. Veran-stalter: Dr. Roland Habich, Zentrales Datenmanagement am WZB; Informationen bei Dr. Roland Habich, E-Mail: [email protected]

19. Juni 2012

Lokale Strukturen zivilgesellschaft-lichen Engagements Vortrag von Profes-sor Thomas Freitag. Es ist unbestritten, dass freiwillige Tätig-keiten gesellschaftlich positiv wirken und auf lokaler Ebene Gemeinschaften festigen. Aber wir wissen nicht, was zivilge-sellschaftliches Engagement fördert und was es hemmt: Be-einflusst die sozioökonomische, soziokulturelle oder ethnische Heterogenität der Bevölkerung einer Gemeinde das persönliche freiwillige Engagement? Welche lokalen Förderinstrumente führen zum Erfolg, welche sind wirkungslos, wenn es um die Ausschöpfung des Engagementpotentials geht? Beeinflussen lokale politische Faktoren oder stärker kulturell verankerte Traditionen die Ausübung freiwilliger Tätigkeit? Diesen Fragen widmet sich der Vortrag, der Ergebnisse eines aktuellen Pro-jekts zum zivilgesellschaftlichen Engagement in der Schweiz vorstellt. Veranstalter: Dr. Eckhard Priller, Projektgruppe Zivilen-gagement am WZB; Informationen bei Marie Unger, E-Mail: [email protected]

Bürgerschaftliches Engagement: Direkte Hilfe auf lokaler Ebene, hier in der Suppenküche der Franziskaner in Berlin-Pankow. [Foto: Picture alliance / dpa]

Rassismus bleibt auch in den USA virulent. Heftige Proteste lösten die tödlichen Schüsse eines Bürgerwehr-Mitglieds auf den jungen, unbewaffneten Afroamerikaner Travyon Martin aus – hier eine Demonstration in Miami, Florida, am 1. April 2012. [Foto: Picture alliance / landov]

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012 53

Vorschau

Veranstaltungen

7. und 8. Juni 2012

Field Days: Experiments Outside the Laboratory Konferenz Die Konferenz beschäf-tigt sich mit neuen Ergebnissen von Feldexperimenten und beleuchtet dabei aus kritischer Sicht methodische Aspekte. Be-sonderes Augenmerk wird darauf gelegt, wie Erkenntnisse aus Feldexperimenten verwendet werden können, um Interventi-onen anzupassen und zu entwerfen, und wie Feldexperimente zur Evaluation von (Politik-)Interventionen eingesetzt werden können. Veranstalter: Dietmar Fehr, Dr. Julia Schmid, WZB-Abtei-lung Verhalten auf Märkten; Informationen bei Eva Kollecker, E-Mail: [email protected]

12. Juni 2012

The Freedom to Be Racist? Kolloquium We love freedom. We hate racism. But what do we do when these values collide? Erik Bleich, author of “The Freedom to be Racist? How the United States and Eu-rope Struggle to Preserve Freedom and Combat Racism” will explore policies that the United States, Britain, France, Germany, and other liberal democracies have implemented when forced to choose between preserving freedom and combating racism. Veranstalter: Abteilung Migration, Integration, Transnationalisie-rung und Dr. Marc Helbling, Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe Einwanderungspolitik im Vergleich; Informationen bei Dr. Marc Helbling, E-Mail: [email protected]

14. und 15. Juni 2012

Renten, Daten, Forschung

Workshop Der 9. Workshop des Forschungsdatenzent-rums der Rentenversicherung (FDZ-RV) bietet ein interdiszip-linäres Forum zur Präsentation und Diskussion von Befunden, die vor allem auf Daten des FDZ-RV basieren. Neben methodi-schen Fragestellungen, etwa zum Datenmatching, werden die Themen Gesundheit und Krankheit, Lebensarbeitseinkommen und deren Verteilung sowie Altersübergangsprozesse eine zentrale Rolle spielen. Der 9. Workshop des FDZ-RV findet zum vierten Mal in Kooperation mit dem und am WZB statt. Veran-stalter: Dr. Roland Habich, Zentrales Datenmanagement am WZB; Informationen bei Dr. Roland Habich, E-Mail: [email protected]

19. Juni 2012

Lokale Strukturen zivilgesellschaft-lichen Engagements Vortrag von Profes-sor Thomas Freitag. Es ist unbestritten, dass freiwillige Tätig-keiten gesellschaftlich positiv wirken und auf lokaler Ebene Gemeinschaften festigen. Aber wir wissen nicht, was zivilge-sellschaftliches Engagement fördert und was es hemmt: Be-einflusst die sozioökonomische, soziokulturelle oder ethnische Heterogenität der Bevölkerung einer Gemeinde das persönliche freiwillige Engagement? Welche lokalen Förderinstrumente führen zum Erfolg, welche sind wirkungslos, wenn es um die Ausschöpfung des Engagementpotentials geht? Beeinflussen lokale politische Faktoren oder stärker kulturell verankerte Traditionen die Ausübung freiwilliger Tätigkeit? Diesen Fragen widmet sich der Vortrag, der Ergebnisse eines aktuellen Pro-jekts zum zivilgesellschaftlichen Engagement in der Schweiz vorstellt. Veranstalter: Dr. Eckhard Priller, Projektgruppe Zivilen-gagement am WZB; Informationen bei Marie Unger, E-Mail: [email protected]

Bürgerschaftliches Engagement: Direkte Hilfe auf lokaler Ebene, hier in der Suppenküche der Franziskaner in Berlin-Pankow. [Foto: Picture alliance / dpa]

Rassismus bleibt auch in den USA virulent. Heftige Proteste lösten die tödlichen Schüsse eines Bürgerwehr-Mitglieds auf den jungen, unbewaffneten Afroamerikaner Travyon Martin aus – hier eine Demonstration in Miami, Florida, am 1. April 2012. [Foto: Picture alliance / landov]

20. Juni 2012

Data Linkages in Cross-National Electoral Research Workshop Der Work-shop widmet sich primär der Frage, wie sich aus theoretischer und methodologischer Perspektive Daten auf unterschiedli-chen analytischen Ebenen und zu unterschiedlichen relevanten Akteuren oder Institutionen in der vergleichenden Wahlfor-schung verbinden lassen. International renommierte Forscher wie auch Nachwuchwissenschaftler stellen ihre Arbeiten zur Diskussion. Die Veranstaltung wird durch den British Economic & Social Research Council finanziert. Veranstalter: Comparative Cross National Electoral Research (CCNER) und Abteilung Demokra-tie: Strukturen, Leistungsprofil und Herausforderungen; Informa-tionen: Auf Anfrage ist eine Teilnahme möglich, wenden Sie sich bitte an Heiko Giebler, E-Mail: [email protected]

3. Juli 2012

Luhmann und aktuelle Sozialtheo-rien II Workshop Mit einem Paradigmenwechsel von einer Identitätslogik zu einer Differenzlogik behauptet Luhmann, die Probleme alteuropäischer Gesellschaftstheorien überwunden zu haben. Obwohl diese Rhetorik für die Sichtbar-keit der Theorie von Nutzen war, hatte sie nicht gewollte Kon-sequenzen für ihre Rezeption. Während die Systemtheorie dazu neigt, sich fremde Perspektiven ohne Rücksicht auf Verzerrun-gen in die eigene Logik einzuverleiben, wird sie überwiegend als Theorie betrachtet, die nicht mit den eigenen Grundannah-men kompatibel ist. Die Fortsetzung des Workshops im Okto-ber 2011 eröffnet eine ganz andere Grundlage für einen The-orievergleich, indem nicht von einer Zäsur ausgegangen wird. Veranstalter: Dr. Ignacio Farías und Dr. Arlena Jung, WZB, Abtei-lung Kulturelle Quellen von Neuheit; Informationen bei Dr. Ignacio Farías und Dr. Arlena Jung, WZB, [email protected]; [email protected]

15. bis 27. Juli 2012

Linking Theory and Empirical Re-search Summer School The second Berlin Summer School in Social Sciences seeks to promote young researchers by strengthening their methodological understan-ding in linking theory and empirical research. It takes up ques-tions concerning the nature of explanation in social sciences, the use and construction of theoretical concepts, and the res-pective values of micro- and macro-perspectives on social rea-lity including the potentials and pitfalls of their combination. In addition, the summer school aims at applying these reflections to exemplary empirical fields in political science and sociology in order to translate the general methodological considerations into the concrete research practices of the participants. For detailed information on the program please visit www.berlin-summerschool.de. Veranstalter: WZB und Berlin Graduate School of Social Sciences; Informationen bei Andreas Schäfer, E-Mail: [email protected], und Johannes Gerschewski, [email protected]

5. bis 7. September 2012

Culture, Community and CreativityKonferenz The aims of the conference will be to en-courage reflection on general theoretical and cultural aspects of creativity, to discuss general recent theories of culture from different cultural backgrounds, and to relate both these issu-es to the changing role of communication, which is rarely re-spected within the study of culture and creativity. The focus here lies on the ways in which communication is transformed by the new media and created a new “communication culture”. Communication shall, therefore, function as a link between the notion of culture and creativity. Among the keynote speakers are Karin Knorr-Cetina, Celia Lury, Tia de Nora, Andy Pratt and Andreas Reckwitz. Veranstalter: Professor Hubert Knoblauch, TU Berlin, und Professor Michael Hutter, WZB, in Kooperation mit dem Research Network „Sociology of Culture“ der European Sociological Association; Hinweise zur Anmeldung unter http://culture-com-munication-creativity.eu/

Auch Blogger reden manchmal von Angesicht zu Angesicht – etwa bei Blogger-Konferenzen, hier während der re:publica 2011 in Berlin. [Foto: Picture alliance / dpa]

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 201254

Bevölkerungsexplosion. Deshalb habe ich nach mehr Wissen gestrebt, für mehr Kompetenz und mehr Mitgefühl.“

Nach Kriegsende lehrte Deutsch am Massachu­setts Institute of Technology (MIT), während er an der benachbarten Universität Harvard Poli­tik studierte. Dort schloss er seine zweite Pro­motion 1951 glanzvoll ab. „Nationalism and Social Communication“ war eine wegweisende Studie über die integrativen wie die entfrem­denden Dimensionen des modernen Nationa­lismus und seiner politischen Ausdrucksfor­men. Fesselnd in ihren theoretischen Ambitio­nen wie in ihrer empirischen Reichweite, betrat Deutsch auch in methodischer Hinsicht Neuland: Er nutzte komplizierte quantitative Analysen, um das Verhältnis zwischen Politik und Gesellschaft in seinen diachronen wie synchronen Dimensionen zu illustrieren. Das unter dem gleichen Titel 1953 veröffentlichte Buch ist meines Erachtens bis heute ein Klas­siker der politikwissenschaftlichen Literatur über Nationalismus. Leider aber wurde es ein Opfer der Moden, die die Politikwissenschaft genauso beherrschen wie jedes andere Fach, und wird heute viel zu wenig gelesen. An sei­ner analytischen Relevanz hat es nichts ein­gebüßt.

Es war der Beginn einer glänzenden wissen­schaftlichen Laufbahn. Die besten Universitäten und Institute wurden Deutschs Wirkungsstätten: das MIT (1945 bis 1956), die Universitäten Yale (1957 bis 1967) und Harvard (1967 bis 1983). Deutsch war ein eifriger Schüler des MIT­For­schers Norbert Wiener, einem der maßgeblichen Verfechter der Kybernetik und ihrer An wen­dung in den Sozialwissenschaften. Im Laufe der 1950er Jahre begann Deutsch, diese naturwis­senschaftlich grundierte Perspektive in seine Studien einzuarbeiten. „The Nerves of Govern­ment“ von 1963 revolutionierte das Fach: Die Anwendung kybernetischer Konzepte ermög­lichte eine genauere Analyse elementarer politi­scher Mechanismen wie Macht, Autorität, Regie­rung, Kohäsion, Konflikt, Führung und Zusam­menbruch.

So berühmt Karl W. Deutsch als Forscher war, so bewundert wurde er als Lehrer, dessen Vor­

Er war zeitweise einer der international meist­zitierten Politikwissenschaftler, ein begnade­ter akademischer Lehrer, hoch geachteter Prä­sident akademischer Fachverbände, globaler wissenschaftlicher Netzwerker – und er war in der Aufbauphase der 1970er und 1980er Jahre Direktor am WZB. Vor einem Jahrhundert, am 21. Juli 1912, wurde Karl W. Deutsch in Prag ge­boren. Deutsch gilt es nicht nur wegen seiner Bedeutung für die Sozialwissenschaften zu würdigen. Er war eine Persönlichkeit, die je­den, der das Privileg hatte, mit ihm zu arbeiten und ihn näher kennenzulernen, beeindruckte und intellektuell wie menschlich inspirierte.

Das familiäre Umfeld von Karl Wolfgang Deutsch war gekennzeichnet vom aktiven Bürgersinn und politischen Engagement in der Auflösungs­phase der Habsburger Monarchie und den frü­hen Jahren der tschechoslowakischen Republik. Er sprach neben seiner deutschen Mutterspra­che auch perfekt Tschechisch – eine Seltenheit unter den deutschsprachigen Bürgern dieser Republik, die sich als kulturell höher einstuften, und vielsagend über Karl W. Deutschs intellek­tuelles Talent und sein persönliches Wertesys­tem. Prag aber war ihm nicht länger eine siche­re Heimat. Als er mit dem frisch erworbenen Titel eines Dr. jur. an der Karls­Universität mit seiner Frau Ruth 1938 in die USA reiste, wurde angesichts der Zerschlagung der Tschechoslo­wakei aus dem Studienaufenthalt eine Ausreise auf Dauer.

Amerikas Kriegseintritt brachte ihn dazu, der amerikanischen Regierung seine Dienste als Analytiker autoritärer und totalitärer politi­scher Systeme anzubieten; er trug entschei­dend zum berühmten „Blaubuch“ über Juan Domingo Perons Versuche bei, die Demokratie in Argentinien zu beseitigen. Später arbeitete Deutsch im internationalen Sekretariat der San­Francisco­Konferenz von 1945, auf der die Vereinten Nationen aus der Taufe gehoben wurden. Diese Erfahrungen schärften seinen Blick auf Gesellschaft, Politik und Verantwor­tung; in der Rückschau umschrieb er sein per­sönliches Credo so: „Mein Lebensziel bestand darin, Politik zu studieren, um den Menschen zu helfen, die vier größten Gefahren unserer Zeit zu besiegen: Krieg, Hunger, Armut und die

Zu guter Letzt

Seiner Zeit voraus Karl W. Deutsch prägte zehn Jahre lang das Gesicht des WZBAndrei S. Markovits

Andrei S. Markovits ist Arthur F. Thurnau Professor und Karl W. Deutsch Collegiate Professor of Comparative Politics and German Studies an der University of Mi­chigan, Ann Arbor. Er ist ein guter Freund mehrerer Deutsch­Genera­tionen und arbeitete seit Mitte der 1970er Jahre eng mit Karl W. Deutsch zusammen. Gemeinsam veröffentlichten sie drei Sammel­bände. In den 1970er und 1980er Jahren war Markovits regelmäßig zu Gast am Internationalen Institut für Vergleichende Gesellschafts­forschung des WZB.

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WZB Mitteilungen Heft 136 Juni 2012 55

1980er Jahre, der Prominenz post­struktura­listischer Epistemologien und der politischen Ökonomie als Hauptachse der Konzeptualisie­rung internationaler Beziehungen wurde der auf komparativer Empirie basierende Ansatz, den Deutsch sein Leben lang vertrat, verdrängt, ja vereinzelt sogar als eine prowestliche Herr­schaftsideologie angegriffen und verhöhnt.

Heute wird Deutsch fast nicht mehr zitiert oder gelesen. Das zeigt sich auch in der Lehre. Die Literaturlisten für Comparative Politics und Internationale Beziehungen von zehn führen­den amerikanischen Universitäten enthalten praktisch keine Deutsch­Schriften, nicht ein­mal seine bereits erwähnten bahnbrechenden Arbeiten über Nationalismus, Kybernetik oder die mathematischen Ansätze zum Studium po­litischer Konflikte oder sozialer Integration. Nur an zwei Instituten taucht das bahnbre­chende „Social Mobilization and Political Deve­lopment“ (1961) noch auf.

Trotzdem: Deutschs Vermächtnis wirkt in der Politikwissenschaft und generell in den Sozial­wissenschaften nach. Er gehörte zu den Pio­nieren einer systematischen Nutzung quanti­tativer Methoden. Er schärfte die begriffliche Konzeptionalisierung empirisch gestützter Theorien zu Themen wie Nationenbildung, Staatsbildung, soziale Mobilisierung, nationale und internationale Integration, zu den Bezie­hungen zwischen Zentrum und Peripherie und zur Machtverteilung zwischen Staaten und im Staat. Mit Hilfe der Kommunikationstheorie führte Deutsch einige Aspekte der Spieltheorie in die Sozialwissenschaften ein, die der Politik­wissenschaft in den 1980er Jahren entschei­dende Impulse gaben. Ironischerweise schuf dieses die Grundlage der seit gut 30 Jahren do­minanten Rational Choice­Epistemologie und ermöglichte die weitere Legitimierung der He­gemonie quantitativer Untersuchungsmetho­den in der Politikwissenschaft.

Bis zu seinem Tod vor 20 Jahren, am 1. Novem­ber 1992, blieb Karl W. Deutsch Optimist. In der Einführung zu seiner letzten Veröffentlichung „Perilous Passages: Conflict in World Politics in the Next Half Century“ sprachen Deutsch und sein ebenfalls in Prag geborener Ko­Autor Bru­no Fritsch von den „massiven Gefahren der Zu­kunft“. Aber sie fügten gleich hinzu: „Wir haben volles Vertrauen in die menschliche Überle­benskunst und auch in den menschlichen Überlebenswillen.“ Wie Deutschs weltberühm­te Harvard­Kollegen Samuel Beer, Stanley H. Hoffmann, Samuel P. Huntington, Robert O. Ke­ohane, Sidney Verba und Jorge I. Dominguez es in einer Gedenkfeier für Karl W. Deutsch an der Universität Harvard am 14. Februar 1995 so treffend festhielten: „Karl Deutsch, der ewige Optimist, war niemals pünktlich, aber stets seiner Zeit voraus.“

lesungen meist überfüllt waren und nicht sel­ten mit stehend dargebrachten Ovationen sei­ner jungen Zuhörerschaft endeten. Der syste­matische Vergleich beherrschte sein Denken. Deutsch wurde niemals müde zu wiederholen, dass nur Vergleiche – je mehr, desto besser – es der Wissenschaft ermöglichten, Schlüsse zu ziehen und zu fundierten Analysen zu kom­men, die dann zu aussagekräftigen Theoriebil­dungen führen könnten.

Karl W. Deutsch war universell gebildet und umfassend neugierig. Er veröffentlichte und arbeitete eng zusammen mit französischen Mathematikern und indischen Anthropologen, brasilianischen Ethnologen, nobelpreisgekrön­ten Ökonomen und Psycholinguisten, mit His­torikern, Biophysikern und Spieltheoretikern. Seine Arbeiten erschienen in den besten poli­tologischen Journalen, aber auch in Zeitschrif­ten der Ökonometrie, der Orthopsychologie, der Psychiatrie, der Philosophie und der Phä­nomenologie. Deutsch schrieb die Einführun­gen zu allen in Amerika erscheinenden Bü­chern Karl Jaspers. Er verfasste wichtige Stu­dien über die militärische Bewährung der Schweizer Eidgenossenschaft im 14. Jahrhun­dert und zur Zweisprachigkeit des Schweizer Kantons Wallis. Nicht weniger Energie widmete er dem Verfassen wunderbarer Einführungen in die Politikwissenschaft und in die internati­onalen Beziehungen.

Wissenschaftler dieses Kalibers wurden Mitte der 1970er Jahre für das im Aufbau befindli­che Wissenschaftszentrum Berlin gesucht: in­ternational vernetzt, multidisziplinär ausge­richtet, methodisch innovativ. Deutsch war ein Grundlagenforscher mit großem Interesse an akuten gesellschaftlichen Problemen, gleicher­maßen an Theoriebildung und Empirie interes­siert. Er wurde, zunächst unter Beibehaltung seiner Harvard­Professur für Friedensfor­schung, 1976 Direktor des Forschungsschwer­punkts Globale Entwicklungen am Internatio­nalen Institut für Vergleichende Gesellschafts­forschung des WZB, das er gemeinsam mit Frieder Naschold leitete. Zehn Jahre lang, zu­letzt als Forschungsprofessor, prägte er das Gesicht des WZB entscheidend mit.

Mit seinem internationalen Forscherteam ar­beitete Karl W. Deutsch unter anderem am Glo­bus­Projekt, einem von Stuart Bremer entwi­ckelten Versuch, künftige politische und öko­nomische Entwicklungen durch empirisch be­gründete Modellrechnungen zu bestimmen. Damals wurde Deutschs WZB­Gruppe auch be­kannt unter dem Namen „Michigan East“, weil er dort so viele Forscher von der University of Michigan beschäftigte. Der vorausschauenden Analyse nach Globus­Art war keine Zukunft beschieden. Mit der Wende der Disziplin hin zur Rational Choice­Theorie zu Anfang der

Das WZB ehrt Karl W. Deutsch, der vor 100 Jahren geboren wurde, seit 1993 mit einer nach ihm be­nannten Gastprofessur. K.W. Deutsch­Professor 2011/2012 ist Andreas Schedler (Mexiko City), 2012 wurde Jürgen Gerhards (FU Berlin) ins WZB eingeladen. [Foto: WZB]

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Deutschland Großbritannien

Abhängige Beschäftigung (Vollzeit)

Abhängige Beschäftigung (Teilzeit)

Selbständigkeit

Arbeitslosengeld/−hilfe (D); Income−Support (GB)

Kein eigenes Einkommen

Staatliches Altersruhegeld

Betriebs−/Witwen−/private ZusatzrentenQuelle: eigene Berechnungen nach Daten des Deutschen Sozioökonomischen Panels und des British Household Panel Survey

Abhängige Beschäftigung (Vollzeit)

Abhängige Beschäftigung (Teilzeit)

Selbständigkeit

Arbeitslosengeld/−hilfe (D); Income−Support (GB)

Kein eigenes Einkommen

Staatliches Altersruhegeld

Betriebs−/Witwen−/private ZusatzrentenQuelle: eigene Berechnungen nach Daten des Deutschen Sozioökonomischen Panels und des British Household Panel Survey

Abhängige Beschäftigung (Vollzeit)

Abhängige Beschäftigung (Teilzeit)

Selbständigkeit

Arbeitslosengeld/−hilfe (D); Income−Support (GB)

Kein eigenes Einkommen

Staatliches Altersruhegeld

Betriebs−/Witwen−/private ZusatzrentenQuelle: eigene Berechnungen nach Daten des Deutschen Sozioökonomischen Panels und des British Household Panel Survey

Die Schönheit der Forschung Was wie ein persischer Teppich wirkt, ist die grafische Darstellung von 1.500 Lebensläufen. WZB-Forscherin Anette Fasang hat das deutsche und das britische Rentensystem verglichen. Sie wollte wissen, wie staatliche Rentenpo-litik den Austritt aus dem Erwerbsleben bestimmt. Ihre Ergebnisse hat sie mit Hilfe einer von Ulrich Kohler und Christian Brzins-ky-Fay am WZB entwickelten Stata-Software ins Bild gesetzt. Jede horizontale Linie zeichnet eine Biografie zwischen dem 58. und dem 66. Lebensjahr nach. Dunkelblau steht für die staatliche Rente, die Hellblau-, Gelb- und Rottöne für verschiedene andere Ein-kommensquellen.Der Unterschied springt ins Auge: Deutschland zeigt sich einheitlicher, es dominiert Blau für staatliche Rentenzahlungen. Die engli-schen Verhältnisse sind bunter und kleinteiliger. In Worten: Die Rentenübergänge in Deutschland sind stabiler. Wer im Ruhestand angekommen ist, bleibt in Rente. Das liberale System Großbritanniens setzt Menschen stärker den Schwankungen des Arbeitsmark-tes aus, und auch im Alter sind die Einkommensformen vielfältiger. Für eine genuin sozialwissenschaftliche Fragestellung wurden Instrumente aus der Biologie entlehnt: Die Sequenzanalyse ist aus der Erforschung von DNA-Strukturen bekannt. Die Digitalisie-rung schließlich macht aus den Ergebnissen das vorliegende Geschenk: ein beeindruckend schönes Bild, das den Betrachter zu-gleich informiert.

Fasang, Anette Eva: „Retirement Patterns and Income Inequality“. In: Social Forces, advance access, 05.05.2012, online: http://sf.oxfordjournals.org/content/early/2012/05/04/sf.sor015.full. Kohler, Ulrich/Luniak, Magdalena/Brzinsky-Fay, Christian: SQ: Stata Module for Sequence Analysis. Econ Papers, 2012, online: http://EconPapers.repec.org/RePEc:boc:bocode:s456755 (Stand: 22.05.2012).


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