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Atomwaffenarsenale - friedenskreis-castrop-rauxel.de file"Doktrin für vereinte Nuklearoperationen"...

Date post: 05-Aug-2019
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1 Atomwaffenarsenale Die USA haben die Atombombe als Erste bis zu Einsatzfähigkeit entwickelt. 1945 starben auf Befehl des amerikanischen Präsidenten Truman innerhalb von wenigen Minuten 86.000 Menschen und der größte Teil der Stadt Hiroshima wurde zerstört. In Kenntnis dieser furchtbaren Auswirkungen wurde drei Tage später eine zweite Atombombe auf Nagasaki geworfen. Auch danach wurde in vollem Bewusstsein der katastrophalen Auswirkungen dieser Waffe die Entwicklung von den USA nicht eingestellt. In Anbetracht der Erfahrung, dass die USA nicht gezögert hatten, auch die zweite Atombombe auf Nagasaki abzuwerfen, obwohl es dafür keine militärische Notwendigkeit gegeben hatte, reagierte die Sowjetunion mit der Entwicklung einer eigenen Atombombe, die vier Jahre später eingeführt wurde. Im Kalten Krieg erlebten wir dann eine gefährliche Eskalation des nuklearen Wettrüstens. Beide Seiten modernisierten ihre Atomwaffenarsenale, wobei eine genauere Betrachtung zeigt, dass die USA. Seitdem gehört der Kampf für die Abschaffung aller Atomwaffen zu den zentralen Zielen der Friedensbewegung in allen Ländern der Welt. Es konnten zumindest Abkommen zur Begrenzung atomarer Rüstung erzielt werden. Im Atomwaffensperrvertrag aus dem Jahr 1970 verpflichten sich die Vertragsstaaten „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.“ Wir sind Zeuge einer neuen Eskalationsspirale Das Gegenteil ist der Fall. Obwohl der Einsatz dieser Waffen die gesamte Existenz der Menschheit bedroht, werden wir heute wieder Zeuge einer neuen atomaren Eskalationsspirale. Dabei bekommt das Atomwaffenarsenal durch Modernisierung und Weiterentwicklung in Richtung auf kleinere und flexiblere Einheiten eine neue Qualität. Dies könnte die Hemmschwelle für ihren Einsatz senken und erhöht damit enorm die Gefahr eines tatsächlichen atomaren Krieges.
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Atomwaffenarsenale

Die USA haben die Atombombe als Erste bis zu Einsatzfähigkeit entwickelt. 1945 starben auf Befehl des

amerikanischen Präsidenten Truman innerhalb von wenigen Minuten 86.000 Menschen und der größte Teil der

Stadt Hiroshima wurde zerstört. In Kenntnis dieser furchtbaren Auswirkungen wurde drei Tage später eine

zweite Atombombe auf Nagasaki geworfen. Auch danach wurde in vollem Bewusstsein der katastrophalen

Auswirkungen dieser Waffe die Entwicklung von den USA nicht eingestellt. In Anbetracht der Erfahrung, dass

die USA nicht gezögert hatten, auch die zweite Atombombe auf Nagasaki abzuwerfen, obwohl es dafür keine

militärische Notwendigkeit gegeben hatte, reagierte die Sowjetunion mit der Entwicklung einer eigenen

Atombombe, die vier Jahre später eingeführt wurde. Im Kalten Krieg erlebten wir dann eine gefährliche

Eskalation des nuklearen Wettrüstens. Beide Seiten modernisierten ihre Atomwaffenarsenale, wobei eine

genauere Betrachtung zeigt, dass die USA.

Seitdem gehört der Kampf für die Abschaffung aller Atomwaffen zu den zentralen Zielen der Friedensbewegung

in allen Ländern der Welt. Es konnten zumindest Abkommen zur Begrenzung atomarer Rüstung erzielt werden.

Im Atomwaffensperrvertrag aus dem Jahr 1970 verpflichten sich die Vertragsstaaten „in redlicher Absicht

Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher

Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung

unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.“

Wir sind Zeuge einer neuen Eskalationsspirale

Das Gegenteil ist der Fall. Obwohl der Einsatz dieser Waffen die gesamte Existenz der Menschheit

bedroht, werden wir heute wieder Zeuge einer neuen atomaren Eskalationsspirale. Dabei bekommt das

Atomwaffenarsenal durch Modernisierung und Weiterentwicklung in Richtung auf kleinere und flexiblere

Einheiten eine neue Qualität. Dies könnte die Hemmschwelle für ihren Einsatz senken und erhöht damit enorm

die Gefahr eines tatsächlichen atomaren Krieges.

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Im Juli 2016 bestärkte der NATO-Gipfel in Warschau einmal mehr eine Politik der Konfrontation und der

militärischen Stärke an der russischen Westgrenze, die auch eine atomare Aufrüstung einschließt. In der

Warschauer Erklärung heißt es, vor allem die Atomwaffen der USA stellten die „wichtigste Garantie für die

Sicherheit der Verbündeten“ dar. Die verantwortlichen Politiker rechtfertigen dies mit notwendiger

Abschreckung gegen die atomare Aufrüstung in einem zum Atomkrieg bereiten Russland. Eine genauere

Betrachtung zeigt, dass wiederum die USA lange vor der Ukraine-Krise die ersten Schritte in das neue atomare

Wettrüsten getan haben. Denn bereist der Beschluss zur Stationierung des Raketenschirms von 1999 war die

Basis für eine neue Asymmetrie und damit der Beginn der neuen atomaren Aufrüstungsspirale. Die russische

Antwort wurde in Kauf genommen. Es ging dabei nicht mehr um Systemkonkurrenz, sondern um die

Absicherung der neuen globalen Vormachtstellung der USA mit allen Mitteln.

Die US-Strategien für ein atomares Inferno

„No-Rivals-Plan“ 1992

Schon 1992, kurz nach dem Untergang der Sowjetunion, veröffentlichte die New York Times Auszüge aus einer

neuen strategischen Leitlinie des Pentagon mit dem bezeichnenden Namen "No-Rivals-Plan": "Unser Ziel ist es,

den Aufstieg eines globalen Rivalen zu verhüten ... wir müssen unsere Strategie jetzt darauf konzentrieren, dem

Aufstieg jedes möglichen Konkurrenten globaler Dimension zuvorzukommen."

Weitere atomare Aufrüstung gehörte allerdings zunächst nicht zu den Mitteln, mit denen die neu gewonnene

Vormachtstellung verteidigt und ausgebaut werden sollte. 1993 wurde unter der Clinton-Regierung die teure

Produktion von atomaren Sprengköpfen eingestellt und der US-Kongress hat Wünsche des Militärs nach

besonders kleinen Atomwaffen mit möglichst geringem Kollateralschaden in den nächsten Jahren wiederholt

gestoppt.

Die Nuklearstrategie der USA von 2002

Aber 10 Jahre später unter George Bush bekam dann auch die Atompolitik einen Platz in der Absicherung der

neuen Vormachtstellung. Eine neue Strategie für den Einsatz von Atomwaffen (Nuclear Posture Review) von

2002 bezog erstmals einen tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen ins Kalkül mit ein. Sie sah zwar vor, eine

große Zahl nuklearer strategischer Offensivwaffen mit großer Reichweite aus dem Verkehr zu ziehen (ohne sie

wirklich zu zerstören!), hob aber den zehn Jahre alten Bann zur Entwicklung und Produktion von kleineren,

zielgenaueren Waffen mit geringerer Reichweite auf. Mit diesen Mini-Nukes und bunkerbrechenden

Atombomben, die immer noch eine Sprengkraft bis zum 6fachen der Hiroshima-Bombe besitzen, sollten nach

der neuen Strategie "begrenzte Atomkriege" tatsächlich geführt und gewonnen werden können.

Prompt Global Strike (umgehender, weltweiter Schlag)

Dieses Rüstungsvorhaben der USA von 2003 sieht den Einsatz von unkonventionellen, nichtnuklearen

Hyperschall-Sprengköpfen vor, die vom US-Territorium aus jedes beliebige Ziel auf der Erde binnen einer

Stunde treffen sollen. Sie können dabei auch Raketenabwehrsysteme umgehen und Nuklearstreitkräfte

entwaffnen. Erste Tests mit diesen Hyperschall-Systemen verliefen zwar bisher nicht erfolgreich. Das Vorhaben

zeigt aber, dass die Orientierung auf militärische Überlegenheit weit älter ist als die wachsenden Spannungen

zwischen den USA und Russland und erst recht als die Ukrainekrise.

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"Doktrin für vereinte Nuklearoperationen" 2005

Ein weiteres Strategiepapier mit dem Titel "Doktrin für vereinte Nuklearoperationen" erlaubte 2005 dann sogar

den Ersteinsatz taktischer Atomwaffen selbst gegen Nicht-Atomwaffenstaaten. Dies sollte erlaubt sein z.B. bei

dem Verdacht, dass der Gegner biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen besitzt (der Irak-Krieg

zeigt, wie ein solcher Verdacht konstruiert werden kann), aber auch als letztes Mittel zur Bekämpfung

überlegener feindlicher konventioneller Streitkräfte. Der Entwurf war kurzfristig im Internet einzusehen, wurde

aber vom Pentagon schnell zurückgezogen.

Nuklearstrategie der USA "Nuclear Posture Review" 2010

Unter dem Friedens-Nobelpreisträger Obama wurde 2010 eine weitere Atomwaffenstrategie veröffentlicht, die

als Ziel eine nuklearwaffenfreie Welt angab, allerdings nur für eine ferne Zukunft. Für die Gegenwart wurde

auch in dieser Strategie an der Option eines Nuklearwaffeneinsatzes festgehalten, um "unter extremen

Umständen die vitalen Interessen der USA, ihrer Verbündeten und Partner zu verteidigen". Auch Obama war

nicht bereit zu garantieren, dass die USA niemals als erste Atomwaffen einsetzen. Die USA garantierten damals

lediglich Ländern, die keine Atomwaffen besitzen, Vertragsparteien im Atomwaffensperrvertrag sind und ihren

Vertragsverpflichtungen nachkommen, sie weder mit Atomwaffen zu bedrohen, noch welche gegen sie

einzusetzen.

NATO-Strategie für den Einsatz von Atomwaffen

Auch die NATO arbeitete 2008 in ihrem Strategiepapier „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World“

(etwa: Zu einer Gesamtstrategie für eine unsichere Welt) an Szenarios für den Ersteinsatz von

Atomwaffen. Das Papier sieht eine Eskalationsstrategie bis zum Äußersten vor. Selbst der Ersteinsatz von

Atomwaffen gegen Staaten, von denen keine entsprechende Bedrohung ausgeht, ist vorgesehen, wenn die

Interessen der NATO -Staaten anders nicht durchzusetzen sind. Nach Klaus Naumann, einem der 5 Autoren,

muss die NATO zeigen, „dass es einen großen Knüppel gibt, den wir eventuell benutzen müssen, wenn es keine

andere Option gibt.“ (The Guardian, 22.1.2008). Robert Cooper, Mitarbeiter von Javier Solana, dem Hohen

Beauftragten für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU, plauderte gegenüber dem Guardian aus, dass es sich

dabei nicht um bloße Gedankenspiele handelt: "Vielleicht werden wir eher als alle anderen Atomwaffen

einsetzen, aber ich würde mich hüten, das laut zu sagen."

Die US-Aufrüstungsprogramme

Entsprechend der erneuten Orientierung auf Atomwaffen als Mittel der Abschreckung wie auch als taktische

Einsatzwaffe wurde ein umfangreiches Modernisierungsprogramm des Atomwaffenarsenals eingeleitet. Es

besteht aus see-, land- und luftgestützten Systemen, welche aus den eigentlichen Atomsprengköpfen und den

erforderlichen Träger- und Abschuss-Systemen zusammengesetzt sind. Alle drei Systeme werden nun

„modernisiert“ und dabei in vielen Fällen mit vollständig neuen Teilen versehen oder durch zielgenauere Typen

ersetzt. Das Ergebnis ist eine neue Qualität von Atomwaffen.

Ab 2003 wurde zunächst die atomare Infrastruktur (also Entwicklungslabors, Produktionsstätten und

Testanlagen) wieder ausgebaut und modernisiert. Beispielsweise wurde das Atomwaffen-Testgelände in Nevada

mit 25 Millionen Dollar auf den aktuellen technischen Standard nachgerüstet. Weitere Beispiele sind die

„Chemie und Metallurgie Forschung Replacement (CMRR) Plutonium-Anlage“ im Los Alamos National

Laboratory, New Mexico oder die Uran-Processing Facility (UPF) in Oak Ridge, Tennessee etc..

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Ab 2010 wurde dann auch unter Obama die mit Russland vertraglich vereinbarte Reduzierung des

Atomwaffenarsenals verlangsamt und stattdessen deutlich mehr Geld für die umfassende Modernisierung der

Atomwaffen zur Verfügung gestellt:

Schon für 2010 waren im US-Militärhaushalt 16,5 Milliarden US-Dollar für die Modernisierung der

Nuklearwaffen, u.a. für die Entwicklung von „Mini-Nukes“ vorgesehen.

2011 wurden 7 Milliarden Dollar in die technische Erneuerung der Sprengköpfe und in verschiedene

Trägersysteme von U-Booten bis zu landgestützten Raketen investiert.

Seitdem geben die USA jährlich mehr als 33 Milliarden Dollar für die Unterhaltung und

Modernisierung ihres Atomwaffenarsenals aus. Aktuelle Schätzungen für die Kosten der

Modernisierung innerhalb der nächsten 30 Jahre bewegen sich nach SIPRI-Angaben zwischen 355 Mrd.

und 1.000 Mrd. Dollar. SIPRI nennt allein 348 Milliarden Dollar für die Zeit von 2015 – 2024.

Landgestütztes System: Interkontinentalraketen und atomare Sprengköpfe

Die USA verfügen derzeit über 450 landgestützte Interkontinentalraketen vom Typ Minuteman III mit jeweils

einem Atomsprengkopf. Sie sollen aus finanziellen Gründen zunächst modernisiert und erst ab 2028 durch ein

Nachfolgemodell abgelöst werden. Eine Studie der RAND Corporation von 2014 bezifferte die Kosten für eine

Modernisierung der Minuteman-Raketen auf 60 bis 90 Milliarden Dollar, für die Entwicklung und Beschaffung

eines neuen Silo-gestützten Raketentyps dagegen auf 84 bis 125 Milliarden Dollar. Aber schon über die

Modernisierung wird die Minuteman 3 zielgenauer und Verbesserungen der Trägersysteme und

Flugeigenschaften machen sie auch „überlebensfähiger“ beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre.

Schritt für Schritt sollen auch die atomaren Sprengköpfe modernisiert werden. Drei Sprengkopftypen für

ballistische Raketen und zwei für luftgestützte Atomwaffen sollen langfristig alle bisherigen Kernwaffentypen

ersetzen.

Seegestütztes System: U-Boote, Trident-Raketen und atomare Sprengköpfe

Dieses System aus U-Booten, die nicht so leicht zerstört werden können wie landgestützte Silos, Raketen und

atomaren Sprengköpfen bildet die Hauptstütze der nuklearen Abschreckung der USA.

Die seegestützten Trident-Interkontinentalraketen werden von 12 U-Booten der USA und weiteren U-Booten

Großbritanniens aus eingesetzt. Die USA planen, für ca. 96 Mrd. US-Dollar bis 2035 jedes dieser U-Boote durch

eine Neu-Entwicklung zu ersetzen, die mit jeweils 16 Trident-Lenkwaffen bewaffnet werden kann. Eine der

ersten Abstimmungen im britischen Unterhaus unter der neuen britischen Premierministerin Theresa May betraf

die Modernisierung des britischen Anteils an diesem Atomwaffenarsenal. Mit 472 zu 117 Stimmen beschlossen

Großbritanniens Abgeordnete im Juli 2016 den Bau von neuen U-Booten für die Trident-Raketen für 31

Milliarden Pfund, obwohl noch im Februar 2016 in London 300.000 Menschen gegen dieses Vorhaben und für

die weltweite nukleare Abrüstung demonstriert hatten. Auf die Frage hin, ob sie denn bereit wäre, einen

nuklearen Angriff zu starten und 100.000 unschuldige Menschen zu töten, antwortete May mit einem „Yes“

https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/britisches-parlament-will-atomwaffenarsenal-

modernisieren/

Für die Bestückung der U-Boote besitzen die USA zurzeit 288 Trident-Raketen. Die maximale Reichweite der

älteren Trident-I-Raketen beträgt 7400 km. Eine neuere Trident-II-Rakete mit einer Reichweite von über 10.000

km wurde 1990 in Betrieb genommen. Eine im Jahr 2015 abgeschlossene Modernisierung der Trident-II-

Raketen, die noch bis 2042 weiter verwendet werden sollen, brachte vor allem eine verlängerte Einsatzfähigkeit.

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Die Modernisierung des Atomwaffenarsenals umfasst vor allem auch eine Verbesserung der Sprengköpfe für die

Trident-Raketen durch höhere Präzision und auch Sprengkraft. Insgesamt sollen bis 2019 davon für 3,7 Mrd.

US-Dollar 1.600 Stück produziert werden und nach und nach die alten ersetzen.

Luftgestütztes System: Bomben und Bomber

2015 begann der Umbau der 180 amerikanischen Atombomben B61, die auf 6 Stützpunkten in Europa gelagert

sind, u.a. in Büchel in der Eifel. Eine neue „All-in-one-Bombe“, die B61-12, soll alle bislang vorhandenen

strategischen und taktischen Atombomben der USA schrittweise ablösen. Sie kann sowohl strategische als auch

nicht-strategische Funktionen erfüllen und sowohl mit Jagdbombern als auch mit strategischen Bombern der US-

Luftstreitkräfte und der NATO-Verbündeten zum Einsatz kommen. Nur über das Trägerflugzeug kann noch

unterschieden werden, welchem Zweck die Waffe gerade dient. Diese Bombe kann auch nach dem Abwurf

elektronische Steuerbefehle umsetzen, ist dadurch viel zielgenauer und braucht deshalb keine so große

Sprengkraft mehr. Diese soll je nach Ziel flexibel auf 0,3, 1,5, 10 oder 50 Kilotonnen eingestellt werden können.

Sie kann mehrere Meter tief ins Erdreich eindringen und tief gelegene Bunker zerstören. Nach Angaben der US-

Verwaltung für atomare Sicherheit (NNSA) sind die ingenieurtechnischen Arbeiten für ihre Herstellung

abgeschlossen. Ab 2020 soll die Serienproduktion anlaufen. Die Kosten werden auf 350 bis 450 Milliarden US-

Dollar geschätzt.

Die digitale Steuerung der Bomben erfordert auch eine Digitalisierung der Trägerflugzeuge. Die USA besitzen

20 Tarnkappen- B2-Bomber, welche für ein gegnerisches Radar nur auf kurze Distanzen zu erfassen sind. Sie

dienen als Trägerflugzeug für die B61- und B83-Bomben. Sie sollen ab 2025 durch 80 bis 100 Exemplare eines

neuen B3-Bombers mit verbesserten noch geheimen Eigenschaften abgelöst werden, was Northrop Grumman

einen Auftragswert von 60 Milliarden Dollar beschert hat. Außerdem verfügt die Luftwaffe über 76 B-52-

Bomber, die konventionell und atomar bestückt werden können. Sie sollen noch bis zum Jahr 2040 im Dienst

bleiben, werden aber seit 2010 für 12 Mrd. Dollar modernisiert.

Das Raketenabwehrsystem

1983 forderte Ronald Reagan erstmals die Entwicklung des Raketenabwehrsystems SDI, um durch eigene

Unverwundbarkeit das "Gleichgewicht des Schreckens" zu seinen Gunsten zu verändern. Viele technische

Erwartungen an das teure Programm ließen sich zwar damals nicht realisieren, aber es zwang der Gegenseite

nach der Logik des Gleichgewichtes ebenfalls eine teure Weiterentwicklung der Atomwaffentechnologie auf und

trug so auf ökonomischem Weg zum Zusammenbruch der Sowjetunion bei. Ohne offensichtlichen Gegner war

das teure Pleitenprogramm politisch zunächst nicht mehr zu vermitteln und lief 1993 aus.

Aber schon 1999 wurde der aktuelle "atomare Raketenschirm" beschlossen. Dieses System aus Radaranlagen,

Satelliten sowie land- und seegestützten Raketen soll feindliche Interkontinentalraketen möglichst schon in der

Abschussphase erkennen und auf ihrer Laufbahn mit eigenen Abfangraketen zerstören.

Wie die NZZ am 22.3.2007 ausführt, handelt es sich dabei aber nicht um eine volle Flächendeckung "jedenfalls

nicht in absehbarer Zeit und nicht zu bezahlbaren Preisen. Es kann sich immer nur um bestimmte Bodenanlagen

wie Raketenstellungen, Großradare, Luftstützpunkte, Häfen oder Führungsanlagen handeln, außerdem nur um

eine Abwehr gegen eine geringe Zahl von Angriffsträgern."

Eine Pentagon-Strategie aus dem Jahr 2000 "Vision 2020" legte offen, dass die USA sich mit dem

"Raketenschild" nicht nur vor einem russischen Erstschlag schützen wollen. Es geht auch darum, der Gegenseite

mit einem eigenen Erstschlag drohen zu können, der nicht in gleicher Weise beantwortet werden kann: "Die

Kontrolle von Luft- und Weltraum ist entscheidend, da sie die US-Streitkräfte vor Angriffen schützt und

gleichzeitig die Möglichkeit zum Angriff offenhält [freedom from attack and freedom to attack]... Wir können es

nicht zulassen, dass der Weltraum von unseren Feinden kontrolliert wird."

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Die für diesen Raketenschild erforderlichen satellitengestützten Steuerungssysteme im Weltraum verstoßen

gegen den ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen von 1972. Deshalb kündigten die USA

2001 einseitig den ABM-Vertrag auf und begannen mit der Stationierung von Raketenabwehrsystemen in

Kalifornien und Alaska.

Im Januar 2007 gab das Pentagon dann die amerikanischen Pläne zur Stationierung eines Raketenabwehrsystems

in Europa bekannt, das bis 2020 einsatzfähig sein soll. Vorgeblich war es gegen atomare Bedrohung aus dem

Iran gerichtet. Nach dem Atomabkommen mit dem Iran, das zivile Nutzung der Atomtechnologie erlaubt, aber

die Entwicklung von Atomwaffen ausschließt, ist diese Begründung hinfällig geworden. Von Moskau geforderte

Garantien, dass das System nicht gegen das russische Atomarsenal gerichtet sei, lehnt das westliche

Verteidigungsbündnis ab und baut den Raketenschirm weiter aus:

2011 wurde als Teil des Raketenschirms ein erstes Schiff im Mittelmeer stationiert, das mit dem Aegis-

System zur Raketenabwehr ausgestattet war

In Rumänien wurde mit der Stationierung von 24 Abfangraketen begonnen

ein weiterer Stützpunkt soll in Polen folgen.

Diese Raketenabwehr lässt sich mit geringen technischen Veränderungen in ein nukleares Potenzial für den

Angriff umfunktionieren, wenn von den Basen Marschflugkörper vom Typ „Tomahawk“ abgefeuert werden.

Das sind Angriffswaffen mit einer Reichweite von bis zu 2.000 Kilometern, die wahlweise konventionell oder

atomar bestückt werden können und so tief fliegen, dass sie schwer zu entdecken sind.

Daraufhin brachte die russische Seite ihre Besorgnis über die Absicht der USA, eine Raketenabwehr in direkter

Nähe zu den Grenzen Russlands zu stationieren zum Ausdruck und erklärte: „Wir müssen diese zukünftigen

Einrichtungen bei weiteren militärisch-politischen Maßnahmen Russlands und bei der militärischen Planung

berücksichtigen. Solche Pläne widersprechen der durch die NATO zugesicherten Zurückhaltung bei der

Stationierung von Streitkräften, die in der Russland-NATO-Grundakte festgelegt wurde.“

Die neue Qualität der atomaren Bewaffnung

Durch die neuen Eigenschaften wie verbesserte Lenkbarkeit, Präzision, flexiblere Sprengkraft und größere

„Überlebensfähigkeit“ der Systeme kann die Gesamtzahl der Bomben, ihre Gesamtsprengkraft und die Menge

des verwendeten atomaren Waffenmaterials reduziert werden, ohne die nuklearen „Fähigkeiten“ zu

beeinträchtigen. Das hat verschiedene Konsequenzen:

Die Modernisierung lässt sich formal mit Abrüstungsschritten vereinbaren.

Durch höhere Flexibilität in Sprengkraft und Trägersystemen lässt sich das Arsenal der NATO nicht

mehr in die bisherigen Kategorien der „taktischen“ bzw. „nicht-strategischen“ Nuklearwaffen einordnen.

Dies bedeutet komplexe Folgen und Komplikationen für Abrüstungsverhandlungen mit Russland.

Gleichzeitig kann die Kombination aus niedriger Sprengkraft, hoher Zielgenauigkeit und

vergleichsweise „geringem“ Kollateralschaden auch dazu führen, dass die Hemmschwelle zum Einsatz

einer solchen Waffe sinkt.

Vor allem der Aufbau eines sogenannten „Schutzschildes“ verändert die Qualität der atomaren

Bewaffnung auf Seiten und zugunsten der USA. Die Schaffung dieses einseitigen Schildes ist durch

keinerlei völkerrechtliche Verpflichtungen beschränkt und kann daher die strategische Stabilität in der

Welt grundlegend untergraben. Das Gleichgewicht des Schreckens wird verändert: Im ersten „kalten

Krieg“ wäre ein atomarer Erstschlag mit einem atomaren Gegenschlag des Gegners beantwortet worden

und hätte so die eigene Zerstörung zur Folge gehabt. Sobald eine Seite sich mit einem

Raketenschutzschirm schützen kann, gewinnt sie die Möglichkeit zu einem atomaren Angriff ohne eine

solche Antwort fürchten zu müssen. Eine substantielle Reduzierung der Atomwaffen auf beiden Seiten

und die Errichtung eines Schutzschildes auf nur einer Seite schafft die Erstschlagsfähigkeit dieser Seite,

sobald er so viele Abfangraketen umfasst, dass die verbliebenen Atomraketen der Gegenseite

abgefangen werden können.

Eine us-amerikanische Übersichtsstudie in „Foreign Affairs“ mit dem Titel „Der Aufstieg der USA zur

nuklearen Vorherrschaft“ stellte nach gründlicher Evaluation der us-amerikanischen Atompolitik fest, dass

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das atomare Potential der USA darauf ausgerichtet wird, einen entwaffnenden Erstschlag gegen Russland

oder China zu ermöglichen.

Verzicht auf weitere Abrüstungsmaßnahmen

Dieser langfristig geplante Aufbau des nuklearen Potentials bis zur Erstschlagsfähigkeit wird begleitet von der

Weigerung der USA, in neuen Abrüstungsverhandlungen zeitlich unbefristete Begrenzungen von

Offensivsystemen (nuklear wie konventionell) und Raketenabwehrsystemen vertraglich zu vereinbaren. Die

Abrüstungskonferenz, das weltweit einzige multilaterale Forum für Verhandlungen über Rüstungskontrolle und

Abrüstung, scheiterte erneut daran, sich auf ein Arbeitsprogramm zu einigen.

New START zur Reduzierung der strategischen Atomwaffen

Als gegenwärtig letzter Abrüstungsvertrag trat 2011 der Vertrag „New START“ zur Reduzierung der

strategischen Atomwaffen zwischen den USA und Russland in Kraft, er gilt aber nur bis 2020. Danach soll die

Anzahl der strategischen Nuklearwaffen bis 2018 um 30 Prozent auf 1550 für jede Seite reduziert werden, die

Anzahl der atomaren Trägersysteme auf 800 für jede Seite, von denen 700 aktiv sein dürfen. Der Vertrag macht

den Parteien keine Vorschriften darüber, wie viele inaktivierte Sprengköpfe sie für eine eventuelle Reaktivierung

in Reserve halten dürfen. Es geht also nicht einmal um die Verkleinerung des nuklearen Gesamtpotentials.

Damit wird im Vergleich zum ausgelaufenen START-Vertrag formal die Zahl der Trägersysteme um mehr als

die Hälfte und die Zahl der Sprengköpfe um 74% reduziert. Bei genauerer Betrachtung erweist sich der Vertrag

jedoch nicht nur als ein geschicktes Zahlenwerk, welches den Anschein echter Abrüstung nur vorgaukelt: so

zählen Langstreckenbomber mit Marschflugkörpern künftig nicht mehr als 10, sondern nur noch als eine (1)

stationierte Nuklearwaffe, obwohl sie bis zu 20 Atomwaffen tragen können. Wichtiger ist, dass dieser Vertrag

der NATO die atomare Überlegenheit gegenüber Russland bescherte, denn zusammen dürfen die NATO-Länder

über 2080 strategische Atomsprengköpfe verfügen (USA: 1550, Frankreich: 345, Großbritannien: 185),

Russland dagegen „nur“ über 1550.

Nach Angaben von SIPRI von 2015 hat seit dem New START-Vertrag keiner der Vertragsstaaten seine

strategischen Atomstreitkräfte substantiell verkleinert.

Das russische Nuklearpotential

Nach Nassauer (2014) unterscheidet sich die russische Nuklearwaffenstrategie aus historischen Gründen von der

us-amerikanischen. Das Ziel des Kalten Krieges auf amerikanischer Seite war zunehmend nicht so sehr die

Aufrüstung für einen tatsächlichen Nuklearschlag sondern die Schwächung der Sowjetunion durch kolossale

Militärausgaben, die dann auch erheblich zu ihrem Untergang beitrugen.

Dabei gingen große Teile der Infrastruktur für Entwicklung, Bau und Betrieb atomarer Waffen verloren: so

wurde das verseuchte Atomtestgelände Semipalatinsk in Kasachstan geschlossen. Die Produktionsstätten von

Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen in der Ukraine gingen zunächst Lieferverträge mit Russland

ein, die aber aufgrund der Ukrainekrise eingestellt wurden. Wartung und relevante Ersatzteile für ältere Raketen

fielen damit aus oder wurden wesentlich erschwert. Das Nuklearpotential blieb jedoch auch für Russland eine

wesentliche Grundlage für die Aufrechterhaltung seiner internationalen Bedeutung als Großmacht. Es soll

deshalb ebenfalls aufrechterhalten und modernisiert werden, aber angesichts der negativen Erfahrungen der

Sowjetunion mit hohen Rüstungskosten möglichst kostengünstig. Die russische Regierung will in den nächsten

zehn Jahren jährlich 75 Milliarden US-Dollar für die Um- und Aufrüstung ausgeben. Die USA geben jährlich

fast doppelt soviel Geld für neue Waffen aus. Die gesamten NATO Rüstungsausgaben sind 13mal so hoch wie

die russischen.

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Nach aktuellen SIPRI-Angaben wird Russlands Modernisierung hauptsächlich angetrieben von einer

notwendigen Erneuerung der alten sowjetischen Modelle durch weniger, aber effizientere Modelle, um in etwa

eine nukleares Gleichgewicht mit den USA aufrechtzuerhalten, aber behindert durch finanzielle

Einschränkungen. Seit der Ankündigung der USA, Atomwaffen notfalls auch für einen Erstschlag einzusetzen

und sich mit einem Raketenabwehrschirm zu schützen, verfolgt Russland mit der Modernisierung des

Nuklearpotentials aber auch das Ziel, auch nach einem US-amerikanischen Erstangriff auf die russischen

Nuklearstreitkräfte noch über eine gesicherte Zweitschlagfähigkeit zu verfügen. Jeder Ausbau des US-

Raketenabwehrsystems führt deshalb auf russischer Seite zu Bemühungen um weitere Erhöhung und

Verbesserung der nuklearen Schlagkraft der land- luft- und seegestützten Funktionseinheiten.

Landgestütztes System: Abschussbasen, Interkontinentalraketen und atomare Sprengköpfe

Das landgestützte System besteht aus festen Raketensilos und mobilen Abschussrampen, von denen aus Raketen

mit nuklearen Sprengköpfen abgeschossen werden können.

Landgestützte Interkontinentalraketen bildeten den größten Teil der sowjetischen Nuklearwaffen, während die

USA als Seemacht schon lange die meisten ihrer atomaren Sprengköpfe weniger angreifbar und flexibler auf U-

Booten stationieren. Um die Flexibilität zu erhöhen, will Russland nun den Anteil von Atomraketen auf mobilen

Abschussrampen von fünfzehn auf 70 Prozent steigern. Dafür werden seit 2016 neue mobile Startrampen

eingeführt. Sie bestehen aus einer mobilen Kommandozentrale, Versorgungsfahrzeugen und mobilen Systemen

zur Tarnung und elektronischen Kriegsführung. Das System kann verdeckt operieren und einen Nuklearangriff

besser überstehen.

Die überalterten landgestützten schweren Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen aus der Sowjetzeit

mussten seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus technischen Gründen ersetzt werden. Wegen des

Verlustes an nuklearer Infrastruktur sollten sie durch eine größere Zahl von leichten Interkontinentalraketen mit

Einfachsprengkopf und den entsprechenden Trägersystemen ersetzt werden. Dies ist wesentlich teurer als der

Ersatz durch Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen und überstieg die finanziellen Möglichkeiten

Russlands. In den 1990er Jahren produzierte Russland deshalb als Trägersysteme nur ganz wenige leichte

Interkontinentalraketen wie die SS-25 oder später die SS-27:

Die SS-25 ist eine stationär aus Silos oder schwerer lokalisierbar aus mobilen Fahrzeugen

abzuschießende Interkontinentalrakete mit einem Nuklearsprengkopf. Im Dezember 2015 waren davon

noch 72 Raketen einsatzbereit, haben aber das Ende ihrer ursprünglich geplanten Dienstzeit bereits

überschritten und sollen bis 2019 ausgemustert werden.

Als Reaktion auf die ersten US-amerikanischen Pläne zum Aufbau eines Raketenabwehrschildes von

1983 begann man 1991 mit der Entwicklung eines Nachfolgesystems, der SS-27-Serie, auch Topol-M-

Raketen genannt. Die ersten zwei silogebundenen Raketen wurden 1997 eingeführt. Nach der

Ankündigung des neuen Raketenabwehrsystems durch die USA 1999 wurde eine neue, jetzt mobile

Variante entwickelt und 2006 eingeführt. 2007 wurde als weitere neue Variante die SS-27 Mod.2 oder

„Jars“ - Rakete mit einer Reichweite von 11.000 Kilometern getestet, die nun mit mehreren gelenkten

Atomsprengköpfen bestückt werden konnte. Nach SIPRI-Angaben waren die Langstreckenraketen aus

der sowjetischen Ära Ende 2015 zur Hälfte ersetzt, die restlichen müssen bis 2024 ausgemustert

werden. Um in etwa Parität mit der Überlegenheit der USA zu halten, sollen sie durch neue Yars-

Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen ersetzt werden.

Als neue schwere Interkontinentalrakete werden Sarmat-Raketen entwickelt, die bis zu zehn schwere

oder 15 leichtere unabhängig lenkbare Atomsprengköpfe tragen oder eine Kombination aus

Sprengköpfen und massiven Abwehrmaßnahmen zur Bekämpfung der Raketenabwehrschilde. Sie

sollen 2018 getestet und 2020 einsatzbereit sein. Rund um die Silos der Sarmat werden

Raketenabwehrkanonen stationiert, die Tausende von hochenergetischen Geschossen abgeben, um

angreifende Raketen noch im Flug zu treffen und zu vernichten.

Diese neuen Systeme werden aber aus finanziellen und technischen Gründen nur langsamer eingeführt werden

als alte (SS-19, SS-18 und SS-25) außer Dienst gestellt werden müssen. Vor allem für die Konstruktion der

Sarmat-Raketen ist anstelle der ukrainischen Entwickler der Vorgängermodelle nun ein russisches Unternehmen

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zuständig, woraus sich zeitliche Verzögerungen ergeben. Russlands Nuklearmacht schrumpfte deshalb

kontinuierlich: die Zahl der landgestützten russischen Interkontinentalraketen ging von etwa 1.300 im Jahr 1990

auf nur noch 313 Ende des Jahres 2013 zurück.

Quelle: trends in world nuclear forces, SIPRI 2016

Auch Russland wird seine Atomsprengköpfe umrüsten. Sie sollen nicht nur möglichst leicht und zielgenau sein,

sondern auch gegen eine Raketenabwehr bestmöglich geschützt und manövrierbar, um eine künftige US-

Raketenabwehr durchdringen zu können. Neue Gefechtsköpfe sind in der Lage, nach dem Start von einer

ballistischen in eine semiballistische Flugbahn zu wechseln; dadurch ist es Raketenabwehrsystemen nur sehr

schwer möglich, den Flugkörper zu zerstören.

Luftgestütztes System

Das luftgestützte System besteht aus Bombern, die mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden können.

2015 beschloss auch Russland eine Modernisierung seiner Kampfbomber Tu-160 und Tu-95MS. Bereits die

alten Versionen können mit mehreren Atomsprengköpfen bestückt werden und sind geeignet für die Vernichtung

von besonders wichtigen Zielen im tiefen Hinterland des Gegners mit nuklearen und konventionellen Waffen.

Eine Modernisierung soll auch hier für die nächsten 15 bis 20 Jahre Versionen mit Verbesserungen aller

Funktionen schaffen, z.B. auch mit Systemen zur elektronischen Abwehr von Flugabwehrraketen versehen

werden.

Russlands Bomber können seit 2013 auch mit den ersten Marschflugkörpern ( Lenkflugkörper mit

einem Sprengkopf, der sich selbst ins Ziel steuert) aus russischer Produktion, den Ch-101 mit

Tarnkappentechnik und einer Reichweite von 4500 Kilometern bestückt werden. Als Reaktion auf das US-

Programm Prompt Global Strike soll dies Russland ermöglichen, ebenfalls innerhalb von einer Stunde nach dem

Treffen der Entscheidung Ziele an jedem Ort der Erde anzugreifen.

Langfristig will auch Russland einen neuen Langstreckenbomber PAK DA mit Tarnkappentechnik und

Überschallgeschwindigkeit entwickeln, der aus dem Weltraum Atomschläge ausführen kann. Solche Raketen mit

einer fünf- bis zehnfachen Schallgeschwindigkeit können mit herkömmlichen Abwehrwaffen und

Frühwarnsystemen nicht bekämpft werden.

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Seegestütztes System

Im Gegensatz zu früher verlegt Russland einen größeren Teil der Interkontinentalraketen auf das flexiblere U-

Bootsystem. Dazu wurde eine Erneuerung der U-Boot-Flotte eingeleitet:

In der Sowjetunion waren insgesamt sechs U-Boote der Akula-Klasse (Nato-Code Typhoon) gebaut

worden. Sie sollten der US-amerikanischen Ohio-Klasse Paroli bieten und der Sowjetunion im Falle

eines Atomkrieges die Zweitschlagfähigkeit sichern. Während die USA ihre Ohio-Klasse umrüstete und

mit Tomahawk- Marschflugkörpern bestückte, musste Russland in den 90er Jahren drei dieser Boote

aus finanziellen Gründen verschrotten. Zwei weitere wurden der Reserve zugeordnet, sollen jetzt aber

auch verschrottet werden. Nur eines dieser U-Boote wurde modernisiert und war 2003 mit dem neuen

Namen „Dmitri Donskoj“ einsatzbereit. Es kann 20 dreistufige Interkontinentalraketen aufnehmen.

Auch drei weitere Atom-U-Boote der Borej-Klasse („Juri Dolgoruki“, „Alexander Newski“ und

„Wladimir Monomach“) sind Modifizierungen aus der sowjetischen Zeit.

Bis 2020 sollen insgesamt acht U-Boote einer neuen Borei-A-Klasse mit hoher Tauchtiefe einsatzbereit

sein.

Alle diese U-Boote können mit den neusten Interkontinentalraketen Bulawa-M bestückt werden. Sie Bulava

entsprechen den SS-27, werden aber nicht von Silos oder Landfahrzeugen, sondern von U-Booten aus gestartet.

Diese Raketen haben weniger Sprengkraft, sind aber resistenter gegen „Vernichtungsfakoren“ durch

Atomexplosionen und Laserwaffen. Sie können mit Atomsprengköpfen gleichzeitig bis zu zehn Ziele in einer

Entfernung von 8.000 Kilometern angreifen.

Nicht-strategische Nuklearwaffen

Russland verfügt wie die USA über nicht-strategische Nuklearwaffen. Dazu gehören Sprengköpfe für die Luft-

und Raketenabwehr, für den Seekrieg, atomare Bomben für die Luftwaffe und möglicherweise auch noch

Waffen für Kurzstreckenraketen der Landstreitkräfte.

Auch deren Trägersysteme wurden und werden teilweise modernisiert (Su-34- Jagdbomber, Iskander-M-

Kurzstreckenraketensystem, bodengestützte Marschflugkörper vom Typ R-500). So wurden die Raketen des

„Iskander“-Systems so verändert, dass sie nicht abgefangen werden können. Sie sind im Flug manövrierbar und

sehr treffsicher und haben eine unberechenbare Flugbahn: Kurz nach dem Start wie kurz vor dem Ziel ändern sie

mehrmals abrupt ihre Flugbahn.

Aktuelle Bewaffnung mit atomaren Sprengköpfen 2016

In den Medien wird gerne eine atomare Bedrohung durch Russland nahegelegt, so z.B. durch die höhere

Gesamtzahl der atomaren Sprengköpfe im Vergleich Russland gegen USA, nämlich 7290 gegen 7000. Eine

genauere Betrachtung zeigt, dass die USA bei den stationierten einsatzfähigen Sprengköpfen bereits alleine eine

Überlegenheit von 1930 zu 1790 haben und erst Recht alle NATO-Atomstaaten zusammen mit 2330. (Aktuelle

SIPRI-Angaben). Bei der Verteilung auf strategische und taktische Sprengköpfe „in Reserve“ wird die

Überlegenheit des Gesamtpotentials der USA noch deutlicher. Strategische Atomwaffen sind weitreichende

Bomben mit großer Sprengkraft für den Einsatz im Hinterland des Gegners, taktische Waffen zur Bekämpfung

gegnerischer Streitkräfte haben weniger Reichweite und Sprengkraft.

Land/Macht Stationierte

Sprengköpfe

Sprengköpfe

in Reserve

Andere Sprengköpfe Gesamtbestand

USA 1,930 2570 2500 7000

USA + NATO-

Atommächte

2330 2675 2510 7515

Russland 1790 2700 2800 7,290

Die 1930 „stationierten Sprengköpfe“ der USA verteilen sich auf 1750 strategische und 180 nicht-strategische

(taktische) Sprengköpfe. Die Sprengköpfe der Reserve der USA verteilen sich auf 2270 strategische und 300

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taktische Sprengköpfe. Die „anderen Sprengköpfe“ sind für die Zerstörung und die Rückgewinnung des

nuklearen Materials vorgesehen.

Über die Zusammensetzung der von Russland stationierten 1790 Sprengköpfe macht SIPRI keine Angaben, die

2700 in Reserve bestehen aus 700 strategischen und 2000 taktischen Waffen. Die „anderen Sprengköpfe“ sind

für die Zerstörung und die Rückgewinnung des nuklearen Materials vorgesehen.

Russlands Reaktion auf den us-amerikanischen Raketenschirm

Als Reaktion auf den amerikanischen Plan, ein Raketenabwehrsystem in Europa aufzubauen, kündigte Russland

an:

Ausbau der strategischen Nuklearkräfte mit ballistischen Raketen und neuesten Sprengköpfen , die den

Raketenschirm durchbrechen können.

Aufstellung dieser modernen Waffen, welche den europäischen Raketenschild zerstören können, im

Westen und im Süden des Landes, so z.B. die Stationierung von Iskander-Raketen in Kaliningrad

Verstärkter Schutz der Atomwaffenanlagen und Aufbau von Verteidigungsanlagen mit einem

Raketenfrühwarnradar und Errichtung eines eigenen Abwehrsystems zunächst um Moskau und das

zentrale Industriegebiet. Später soll es als Grundlage für einen Schild über ganz Russland dienen. Dafür

werden Abfangraketen entwickelt, die ballistische Langstreckenraketen möglichst präzise und bei

Bedarf schon im Weltraum zerstören können.

Hinweis an alle Länder wie Dänemark, die sich unter den Schutzschirm der USA stellen wollen, dass

sie damit zu „Ziele russischer Atomraketen" werden.

Notfalls Verzicht auf die Abrüstungspolitik und der Ausstieg aus den Abrüstungsverträgen, so z.B. aus

dem Vertrag über nukleare Mittelstreckensystem von 1987.

Senkung der atomaren Schwelle. Russland hat in seiner Militärdoktrin offen erklärt, dass es sich eine

nukleare Antwort auch auf einen konventionellen Angriff vorbehält.

Mehr Sicherheit durch Atomwaffen?

Das Gegenteil ist der Fall: Wie aus den oben genannten Plänen hervorgeht, wächst mit zunehmender Aufrüstung

auf beiden Seiten die sogenannte „atomare Hemmschwelle“, eine beschönigende Bezeichnung für die

Bereitschaft, diese Waffen auch tatsächlich einzusetzen, um gefährdete Machtpositionen zu behaupten. Sobald

die amerikanische Raketenabwehr um Russland herum errichtet und einsatzfähig ist, steigt die Versuchung,

einen atomaren Erstschlag gegen das russische Atomwaffenarsenal zu richten. Trump persönlich machte mit

seiner Bereitschaft für den Einsatz einer Atombombe deutlich, dass eine Bewerbung um das Präsidentenamt

keine Garantie für Besonnenheit ist. Dies wird auf der Gegenseite zu ähnlichen präventiven Plänen führen. Die

neue Phase des Kalten Krieges kann also sehr schnell in einen „heißen Krieg“ umschlagen.

Auch ein „Krieg durch Versehen“ wird mit zunehmender Aufrüstung immer wahrscheinlicher. In den

vergangenen 60 Jahren gab es zumindest zwanzig äußerst kritischer Situationen - sowohl im Osten als auch im

Westen. Letztlich hat nur die Reaktion von Offizieren Schlimmeres verhindert hat. Vor allem Überlegungen in

den USA, Interkontinentalraketen auf U-Booten nicht nur mit nuklearen, sondern auch mit konventionellen

Gefechtsköpfen auszurüsten, beispielsweise um terroristische Zellen über Tausende von Kilometern zu

bekämpfen, birgt große Gefahren. Solch ein Abschuss einer konventionellen Rakete würde z.B. Russland vor die

Frage stellen, ob es sich dabei wirklich „nur“ um einen konventionellen Schlag gegen ein Ziel in einem Drittland

oder um den Beginn einer nuklearen Attacke gegen Russland handelt.

Soziale Unsicherheit wächst

Auf jeden Fall wird schon ohne tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen die soziale Sicherheit weiter abnehmen,

weil noch mehr Mittel in den Rüstungshaushalt fließen sollen. In der Bundesrepublik soll der Rüstungshaushalt

von derzeit 35 Milliarden Euro innerhalb von acht Jahren auf etwa 60 Milliarden Euro erhöht und damit fast

verdoppelt werden.

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Forderungen: Die Konfrontation mit Russland und die dadurch ausgelöste neue Rüstungsspirale muss beendet werden.

Statt Konfrontation brauchen wir endlich wieder Schritte der Deeskalation gegenüber Russland, d.h.

Kooperation und Dialog statt Sanktionen und militärischem Aufmarsch vor seinen Grenzen.

Statt weiterer atomarer Hochrüstung muss der völlige Stillstand bei der Rüstungskontrolle überwunden

werden und die Abrüstungsverhandlungen müssen wieder aufgenommen werden.

Wir brauchen ein gemeinsames, kooperatives Sicherheitssystem, das allen Staaten die Sicherheit gibt,

nicht angegriffen zu werden.


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