September 2015 Dr. med. Berthold Musselmann
Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung
Dank an meine MitforscherInnen
Prof. Dr. med. Stefanie Joos und PD Dr. Gunter Laux
Phytotherapie in der Hausarztpraxis Atemwege –
Teil 1: Versorgungssituation im Alltag
Abteilung Allgemeinmedizin und
Versorgungsforschung
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100
%
Bioresonanz
Anthrop. Med.
Ordnungstherapie
Entspannung
Orthomolekularth.
Eigenblut
Homöopathie
Manuelle Medizin
Akupunktur
Phytotherapie
Neuraltherapie (incl. "Quaddeln")
(sehr) häufig manchmal selten/nie
Anwendung von KM Methoden (n=3000)
Joos S, Musselmann B, Szecsenyi J. Integration of complementary and alternative medicine into family practices in Germany: results of a national survey. Evid Based Complement Alternat Med 2009; Mar 17
Ziele
• Ziel: Abbildung der Versorgungsrealität im Bereich Phytotherapie (Beratungsanlässe, Verordnungen etc., insbesondere Atemwegserkrankungen, Phytotherapeutika, Antibiotika)
• Vergleich Phyto-Vielverordner und –Wenigverordner
41 Praxen, davon 11 mit Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren
über 180.000 Patienten in der Datenbank
01.04.2009 bis 31.03.15 über 2,7Millionen Arzt/Patienten-Kontakte, knapp 3,2Millionen Verschreibungen
Aktueller Stand 04/2015
Häufigste Phyto-Anlässe („Top 25“) Verordnung von Phytopharmaka in Hausarztpraxen
(insgesamt 51.234 assoziierte ICD-10-Diagnosen)
0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000 10.000
Fieber sonstiger und unbekannter Ursache Übelkeit und Erbrechen
Sonstige nichtinfektiöse Gastroenteritis und Kolitis Hals- und Brustschmerzen
Kopfschmerz Akute Tonsillitis
Akute Laryngitis und Tracheitis Schlafstörungen
Sonstige Krankheiten des Harnsystems Grippe, Viren nicht nachgewiesen
Sonstige und nicht näher bezeichnete Infektionskrankheiten Sonstige Krankheiten der Atemwege
Bauch- und Beckenschmerzen Gastritis und Duodenitis
Depressive Episode Rückenschmerzen
Akute Rhinopharyngitis [Erkältungsschnupfen] Akute Sinusitis
Diarrhoe und Gastroenteritis, vermutlich infektiösen Ursprungs Akute Pharyngitis
Husten Akute Bronchitis
Chronische Sinusitis Bronchitis, nicht als akut oder chronisch bezeichnet
Akute Infektionen oberen Atemwege (nnb.)
0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 %
2011
1970
Patientensicht II Wobei Naturmittel geholfen haben
Allensbachstudie 2011
Erkältung
Schlaflosigkeit
Grippe
Kopfschmerzen
Nervosität
Kreislaufstörungen
Bronchitis
Erschöpfungszustände, Ermüdung
Hautkrankheiten
Verdauungs-/ Darmbeschwerden
Magenbeschwerden
6
Vgl. Folie Indikationen: (Rückenschmerzen fehlen), GI Allergie, Schlaf , Schlaf, Kreislauf, Nerv.
Anteil Verordnungen in % aller Diagnosen (n=133.218)
0
5
10
15
20
25
30
35
?
Akute Atemwegserkrankungen (obere und untere Atemwege, ohne Pneumonie)
Verordnungsdaten aus Phyto-CONTENT
Dr. B. Musselmann, Allgemeinmedizin & Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg
8
Geht‘s nicht auch natürlich?
Aufteilung der pflanzlichen Mittel
0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000
Thymiankraut
Efeublätter
Pelargoniumwurzel
Cineol
Thymiankraut, Kombinationen
Ambroxol
Myrtol
Acetylcystein
8
7
6
5
4
3
2
1
chemische Mukolytika und pflanzliche Expektoranzien
8 Thymiankraut
7 Efeublätter
6 Pelargoniumwurzel
5 Cineol
4 Thymiankraut, Kombinationen
3 Ambroxol
2 Myrtol
1 Acetylcystein
Ergebnisse III - Atemwege
Dr. Eicher & Dr.
Musselmann,
Abt. Allgemeinmedizin &
Versorgungsforschung
11
Akute Atemwegsinfekte in der Praxis
AllgMed BM
Echinacea purpurea (Asteraceae)
Evidenzlage - Atemwegsinfekte allgemein
• Evidenzlage bei Atemwegsinfekten sehr unüberschaubar
– Common cold/Einzelsymptome
– Einzelpflanzen/Kombipräparat
– therapeutisch/prophylaktisch
• Die meisten RCTs existieren für die beiden Einzelpflanzen Echinacea (Sonnenhut) und Pelargonium (Kap-Geranie)
• Weitere einzelne RCTs/Beobachtungsstudien für Salbei, Gelomyrtol, Sinupret, Bronchipret, Thymian, Isla Moos u.a. (teilweise keine unabhängigen Studien) Seminar Phytotherapie – Teil 2
Fall Kind mit Otitis media und mehrfacher Antibiotikatherapie
• Die 5jährige E. hatte 7x Otitis im letzten Jahr, Kinderarzt gab 6x Antibiose, zuletzt nicht genommen, Kind dauernd krank
• Lit.: >90% der Otitiden viral bedingt! Keine Antibiotika, dafür Nasentropfen (2x), NaCl-Spülung Ohr, Sinupret
Otovowen, Kaugummi, Immun- und Darmtherapie, Druckausgleich, s. ½ Jahr kein Rezidiv mehr, kaum krank, Polypen- und Paukenröhrchen-OP abgesetzt. Kind gedeiht merklich besser.
Mögliche Angriffspunkte bei Akuten Atemwegsinfekten
1. Verbesserung der mukoziliären Clearence
2. Schleimverflüssigung und –lösung
3. Antimikrobielle Wirkung
4. Antioxidative/antientzündliche Wirkung
5. Bronchospasmolyse
6. Steigerung der körpereigenen Abwehr
Seminar Phytotherapie – Teil 2
Heilpflanzen – Jahrtausende im Einsatz
Dr. med. Wolfgang Bühmann
Antivirale Wirkung von Pflanzenextrakten Virus Plaque Reduktionstest
nach Prof. André Gessner, Uni Regensburg
Beispiel: Halsschmerzen
In über 90% Viren als Ursache und dann...?
Mann, 20a, Azubi
• Seit 3 Tagen zunehmendes Halsweh, abgeschlagen, dicke Lymphknoten, T bis 39.5˚
• Lokalbefund: beg.fibrinöse Tonsillitis, Urin: Urobilinogen (passt nicht zur Krankheit!)
• Tags darauf Nachfrage (von uns!): Geht schlechter, WV noch am selbem Tag
• Leichter Ikterus jetzt sichtbar, SONO, BE, nach genauer U: ?
Frau, 41a: mit Angina ins Bett
• multiple Tonsillitiden, öfters Antibiotika, Wunsch nach KM-Therapie
• Rachenabstrich Str. Gr. C
• Leicht vergrößerte Lymphknoten
• Kein Fieber
• Leicht krank
• Alter über 20 und unter 50
Zusammenfassung • Naturheilverfahren: Sicht der Patienten:
hohe Popularität (70% Inanspruchnahme), bei allen Erkrankungen eingesetzt.
• Naturheilverfahren/Phytotherapie hoher Stellenwert in der ambulanten Versorgung, bei Hausärzten 60% Anwendung, aber zu wenig grüne Rezepte, dringend wieder in Ärztehand/GKV-Erstattung!
• Bei Atemwegserkrankungen gibt es qualitativ hochwertige RCTs, die die Wirkung einiger Phytopharmaka belegen