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Archivnachrichten Nr. 42 - landesarchiv-bw.de · Archivnachrichten 42 / 2011 3 Eine kleine Auswahl...

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Gezähmte Natur? Die Fränkische Sintflut Umweltprobleme im Stuttgarter Schlossgarten Fotografien zum Erdbeben auf der Zollernalb Späte Heimkehr von Kulturgut LANDESARCHIV BADEN-WÜRTTEMBERG Nr. 42 / März 2011 ARCHIVNACHRICHTEN
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Page 1: Archivnachrichten Nr. 42 - landesarchiv-bw.de · Archivnachrichten 42 / 2011 3 Eine kleine Auswahl aus der Vielfalt möglicher Themen aus acht Jahrhunder-ten möchten wir Ihnen in

Gezähmte Natur?

Die Fränkische Sintflut

Umweltprobleme imStuttgarter Schlossgarten

Fotografien zum Erdbeben auf der Zollernalb

Späte Heimkehr von Kulturgut

LANDESARCHIVBADEN-WÜRTTEMBERG

Nr. 42 / März 2011

ARCHIVNACHRICHTEN

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Carl-Jochen Müller39 || Wenn Beamte zu viel schreiben.Zum Abschluss der Erschließung desSchlossarchivs Hohenstadt

Eberhard Merk40 || Bisher unbekannte Ansichten desNeuen Lusthauses im HauptstaatsarchivStuttgart

KULTURGUT GESICHERT

Volker Trugenberger42 || Karte Oberschwabens von 1625 für das Staatsarchiv Sigmaringen erworben

Anna Haberditzl43 || Für den Fall der Fälle … Fortbildungsveranstaltung zur Notfall-vorsorge am Institut für Erhaltung

ARCHIVE GEÖFFNET

Nicole Bickhoff44 || 20 Jahre Deutsche Einheit. Schülerinnen und Schüler im Gesprächmit Marianne Birthler im Hauptstaats-archiv Stuttgart

Sibylle Brühl44 || Andere Zeiten. Dokumente desStadtarchivs Sigmaringen erzählen. Ausstellung im Staatsarchiv Sigmaringen

Peter Rückert45 || Von Mantua nach Württemberg.Barbara Gonzaga und ihr Hof. Eine deutsch-italienische Ausstellung imHauptstaatsarchiv Stuttgart

GESCHICHTE ORIGINAL: QUELLEN FÜR DEN UNTERRICHT 41

Gerhard Fritz46 || Wasserkraftnutzung als Thema fächerübergreifenden Unterrichts

Archivnachrichten 42 / 20112

Regina Keyler3 || Editorial

DER MENSCH UND SEINE UMWELT

Jörg-Wolfram Schindler4 || Mensch und Umwelt

Kurt Andermann6 || „… so lang und vil es der Waldt erleiden moge“. Waldnutzung in Spätmittelalter und Frühneuzeit

Peter Rückert8 || Urbare als Quellen zur mittel-alterlichen Umweltgeschichte

Konrad Krimm10 || Das geheime Gemach. Abwasser-probleme in der frühneuzeitlichen Stadt

Reinhold Schaal12 || Historische Waldbeschreibungenals Spiegel klimatischer Veränderungen

Peter Schiffer14 || Der „Gipsapostel“ aus Kupferzell.Pfarrer Johann Friedrich Mayer alsLandwirtschaftsreformer

Claudia Wieland16 || Die fränkische Sintflut. Naturereignis oder Strafe Gottes?

Wolfgang Zimmermann18 || „… der Blumen Glantz verewigt“.Die barocken „Tulpenbücher“ der badi-schen Markgrafen

Albrecht Ernst21 || „Der Gerechte erbarmt sich seinesViehs“. Zu den Anfängen des Tier-schutzes im Königreich Württemberg

Kai Naumann23 || Vom Umgang mit Partikelemissio-nen im Verkehr des 19. Jahrhunderts

Martina Heine24 || Zur Hebung der Landwirtschaft.Ein kostspieliger Versuch

Peter Müller26 || Umweltprobleme im StuttgarterSchlossgarten. Ein Dauerbrenner

Konrad Krimm28 || Rheinfelden rückwärts. Fotoserien zum ehemaligen Wasserkraft-werk, einmal umgedreht

Peter Müller30 || Fotografien zum Erdbeben auf derZollernalb 1911 entdeckt

ARCHIV AKTUELL

Robert Kretzschmar32 || Jahresbericht des LandesarchivsBaden-Württemberg für 2010

Michael Aumüller34 || „Grund währt ewig“. Das Landesarchiv richtet das Grund-buchzentralarchiv und das DigitaleGrundaktenarchiv ein

Kai Naumann35 || Eine neue Generation Karten. Das Landesarchiv sichert Geobasisdaten

Christian Keitel36 || In einer neuen Welt. Landes-archiv und Umweltverwaltung erarbeitenKonzepte zur Archivierung von Umwelt-daten

Jürgen Treffeisen37 || Von Bite und Bytes. Das elektroni-sche Altlastenkataster dauerhaft gesichert

QUELLEN GRIFFBEREIT

Volker Rödel38 || Späte Heimkehr von Kulturgut

Inhalt

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Archivnachrichten 42 / 2011 3

Eine kleine Auswahl aus der Vielfaltmöglicher Themen aus acht Jahrhunder-ten möchten wir Ihnen in der neuenAusgabe der Archivnachrichten mitihrem Schwerpunktthema GezähmteNatur? bieten. Wie immer finden Sie imzweiten Teil des Heftes Berichte über aktuelle Entwicklungen und Projekte ausdem Landesarchiv. Die Quellenbeilagedieses Heftes mit dem Thema Wasser-kraftnutzung ist wie geschaffen für denEinsatz in den Schulen an der Schnitt-stelle zwischen Naturwissenschaft undGeschichte.Sie haben es beim Lesen dieser Zeilen

vermutlich bereits bemerkt: Bei den Archivnachrichten hat es Veränderungengegeben. Dr. Wolfgang Zimmermannübernahm zum 1. Oktober 2010 die Leitung des Generallandesarchivs Karls-ruhe: den Archivnachrichten wird er als geschätzter Autor jedoch treu bleiben.Die Verantwortung für die Archivnach-richten habe ich mit diesem Heft über-nommen – in der umgekehrten Richtungführte mich der Weg aus dem Haupt-staatsarchiv Stuttgart in die AbteilungFachprogramme und Bildungsarbeitdes Landesarchivs und in die Redaktionunseres Publikationsorgans. Und mit derpersonellen Veränderung ist nun aucheine Veränderung im Erscheinungsbilddes Editorials verbunden, das Ihnen Lustzum Weiterblättern im Heft machen soll.Wie immer wünschen wir Ihnen viel

Freude bei der Lektüre der neuen Ar-chivnachrichten.

Ihre

Dr. Regina Keyler

Editorial

Seine Umwelt nimmt der Mensch im-mer dann besonders wahr, wenn sie ihnemotional bewegt oder wenn Unerwar-tetes geschieht. Stimmungsvolle Sonnen-untergänge und verstörende Naturereig-nisse – all das verbindet das Gedächtnisder Gesellschaft mit Natur und Umwelt.Der Mensch sieht sich ohnmächtig Veränderungen in der Umwelt und Kata-strophen ausgesetzt, die sich nicht be-herrschen lassen. Oft wird jedoch auchdurch – gutgemeinte – menschliche Eingriffe in die Umwelt ein sensibel aus-tariertes Gleichgewicht gestört. Eine höchst wechselhafte, vielfältige

Beziehung zwischen Mensch und Um-welt also.Auch wenn man auf den ersten Blick

meinen könnte, Umwelt sei ein neues,modernes Thema, das erst seit einigenJahrzehnten Konjunktur hat: Seitdemder Mensch dauerhafte Aufzeichnungenanlegen kann, hat er – sei es aus recht-lichen oder wirtschaftlichen Gründen –Interesse daran, Veränderungen in seinerUmwelt schriftlich festzuhalten. Unzäh-lige Geschichten über Konflikte zwischenMensch und Natur und über ihre gegen-seitige Beeinflussung lassen sich in denArchiven des Landes auffinden; dennwas darüber schriftlich oder bildlich fest-gehalten wurde, hat gute Chancen, aufDauer aufbewahrt zu werden. Mancheder Geschichten aus der Vergangenheitstecken voller überraschender Bezüge zu aktuellen Fragen: ob es nun um Parti-kelemissionen, die heute als Feinstaubbezeichnet werden, um Abwasserbeseiti-gung oder um den Schutz des StuttgarterSchlossgartens geht: Ein Blick in die Ar-chive könnte vielleicht heute noch man-chen kreativen Lösungsansatz bieten.

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Mensch und Umwelt

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Von Anfang an hatte das Handeln desMenschen Auswirkungen auf seine na-türliche Umwelt. Die oft erörterte Frage,ob er am Aussterben eiszeitlicher Groß-tierarten wie Mammut, Wollnashorn et cetera beteiligt war oder es gar verur-sacht hat, muss aber wohl eher negativbeantwortet werden. Vielmehr dürfte dienacheiszeitliche Erwärmung und diedamit einhergehende Ausdehnung derWaldgebiete das an Grasland gebundeneNahrungsangebot dieser Säuger zuneh-mend zum Verschwinden gebrachthaben. Ganz handfest zeigen sich aller-dings die Einwirkungen des Menschenauf die Natur seit der neolithischen Re-volution, seit dem Aufkommen des Ackerbaus. Die einsetzende Rodetätigkeitim weitgehend bewaldeten Mitteleuro-pa – anfangs auf leichten, kalkreichenBöden – legte die Grundlage zum heutenoch bestehenden vegetationsgeografi-schen Unterschied zwischen Alt- undJungsiedelland. Auch der heutige Nutz-pflanzen- und Haustierbestand, der sichja erst durch generationenlange Zucht so bildete, zeigt die Nachhaltigkeitmenschlicher Umweltveränderungen ge-nauso wie das Fehlen von Bär, Wolf,Luchs und Wildkatze in den WäldernMitteleuropas. Erst neuerdings wird ver-sucht, ihre Dezimierung oder gezielteAusrottung durch Neuauswilderung zukorrigieren und umzukehren.Mit wachsender Bevölkerung und stei-

gendem technischem Fortschritt wurdendiese Auswirkungen immer gravierender.So kann man sich heute kaum mehr vorstellen, welche landschaftlichen Fol-gen die intensive Nutzung der Wälder invorindustrieller Zeit gerade in Südwest-deutschland hatte. Der Wald war damalszentraler Rohstofflieferant für Bau- undBrennholz, die Basis für die Köhlerei und Glasbläserei und diente vor allem als Weideareal.Als Folge davon waren Ende des 18.

Jahrhunderts etwa der Schwarzwald odergar der Schönbuch weitgehend von nied-rigem Buschgehölz bedeckt. Nur an

schwer zugänglichen Stellen oder auf besonders geschützten Arealen bliebenInseln des Hochwalds erhalten. Erst seit1830 erfolgte die systematische Wieder-aufforstung, die etwa um 1900 zum Ab-schluss kam. Dass diese Aktion im Un-terschied etwa zum mediterranen Raumgelang, lag weniger am menschlichenKönnen als an den besseren klimatischenVoraussetzungen. Freilich unterschiedsich jetzt die Baumartengesellschaftdeutlich von der ursprünglichen, da beider Aufforstung rasch wachsende undökonomisch besser verwertbare Baum-arten wie die Fichte bevorzugt wurden.Die ursprünglichen Laubmischwälderder Mittelgebirge wandelten sich so zuden Hauptstandorten von Nadelhölzern.Erst dadurch wurde der Schwarzwaldweitflächig zum dunklen, schwarzenWald.Freilich wurde die Trendwende maß-

geblich durch veränderte Techniken unterstützt, wie der Stallfütterung, demAufkommen der Steinkohle als Energie-quelle oder – dank besserer Transport-möglichkeiten – der Verwendung vonNatur- und Ziegelstein beim Gebäude-bau. Dies nahm den Druck vom Wald.Auch ist schonende Waldnutzung nichtunbedingt negativ zu werten. So sind die Wachholderheiden etwa auf derSchwäbischen Alb ständiger Schafbewei-dung zu verdanken, wobei sie sich gegen-über der natürlichen Waldvegetationdurch eine hohe botanische Artenvielfaltauszeichnen. Daneben ist der landschaft-liche Reiz solcher Offenflächen un-bestritten.Tiefe Eingriffe in die Natur erfolgten

meist, um Gefahren zu reduzieren oderdie menschliche Lebenssituation zu ver-bessern. Ironischerweise wurden Erfolgeoft durch neue, andere Umweltschwierig-keiten erkauft, wie bei der seit 1810 einsetzenden Korrektion des Oberrheins.Ziel war es damals, die oft verheerendenErosionsschäden des stark verästelten, in einer weiten Talaue mäandrierendenStroms einzudämmen. Der Ingenieur

Johann Gottfried Tulla konnte dies durch Kanalisierung und Begradigungdes Stroms erreichen, wodurch auch die häufig zu Brutstätten von Krankheitenwerdenden schwach durchströmten Sei-tenarme des Flusses trocken fielen undzusätzliche landwirtschaftliche Nutzflä-che gewonnen wurde. Schließlich ließsich durch den nun einheitlichen Wasser-lauf die Rheinschifffahrt verbessern unddie Grenzlinie zu Frankreich eindeutigfestschreiben. Wohl nicht vorhersehbarwar die damit einhergehende wesentlichstärkere Tiefenerosion, die nicht nur denGrundwasserspiegel der Umgebung all-mählich absenkte, sondern auch zur jetztbedrohlichen Ausformung der IsteinerSchwellen führte. Letztere waren einGrund zum Bau des Rheinseitenkanalsauf französischer Seite seit 1928, der denSchiffsverkehr sichern und das Rhein-wasser zur Stromerzeugung nutzen sollte.Die Wasserkraftwerke mit Schleusenstu-fen bremsten zudem die Strömungskraft.Doch wirkte sich der nach unten abge-dichtete Kanal extrem negativ auf dasGrundwasser aus. Immer stärker trat ent-lang des Rheins die Wipfeldürre auf, weildie Baumkronen von der Spitze herwegen zunehmend schlechterer Wasser-versorgung ausdörrten. Erst die seit den1950er-Jahren vertraglich vereinbarteSchlingenlösung brachte eine Linderung.Sie erlaubt dem Strom, aus dem Rhein-seitenkanal immer wieder in sein altesBett zurückzukehren. Weitere Kultur-wehre und die Staustufen mussten auchhierbei zur Reduktion der Erosionskraftbeitragen. Dennoch ist es unterhalb der letzten Stufe Iffezheim notwendig,gegen die Sohlenerosion regelmäßig undkostenträchtig Geschiebe zuzuführen.Ökonomische Gründe verführten dazu,

die Landschaft am Kaiserstuhl in großemStil umzugestalten. Seit den 1950er-Jah-ren begann man, die ursprünglich klein-teiligen Rebterrassen zusammenzulegen,bis man in den 1970er-Jahren dazu überging, die Bereinigung auf große, imVergleich zu früher gigantische Flächen

1 | Kleinere Rebhänge am Kaiserstuhl im Schnee bei Ihringen-Wasenweiler, 1976.Vorlage: Landesarchiv StAF W 134 Nr. 093485

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auszudehnen. So ließ sich der Zeitauf-wand für die Rebbearbeitung nahezu umdie Hälfte reduzieren. Um einer vorher-sehbaren überstarken Bodenabtragungvorzubeugen, wurden die Terrassen-flächen anfangs gegen den Hang geneigt.Doch konnte damit die Kaltluft nichtmehr abfließen, sodass die Reben imWinter erfroren. Änderungen in der Nei-gungsrichtung korrigierten dies, freilichunter Inkaufnahme einer nicht unerheb-lichen Bodenabschwemmung vor allemnach längeren Niederschlagsperioden.Zu den Schönheitsfehlern der Großter-rassen zählt auch, dass die Sonnenstrah-lungsbilanz gegenüber den Altstandortenbisweilen geringer ausfällt und daher derÖchslegrad mancher Weine niedrigerbleibt. Mit einem die Monokultur beto-nenden Landschaftsbild scheint man sich dagegen abgefunden zu haben.Wie unerbittlich die Natur Fehlgriffe

ahndet, erfährt gerade die Stadt Staufenim Breisgau. Sie wollte für ihr Rathausdie Geothermik als Energie- und Wärme-quelle nutzen. Zum Anzapfen des imOberrheingraben leicht zugänglichen,stark aufgeheizten Tiefenwassers mussteeine Gipskeuperschicht durchbohrt werden, mit der das Wasser versehentlichdirekt in Verbindung kam. Das Anhydritquoll auf, und unter der Altstadt begannsich die Oberfläche ungleich zu heben,wodurch bereits viele Häuser einsturz-gefährdet beschädigt wurden. Ein Endedieses Spuks ist derzeit noch nicht zusehen. Die negativen Folgen unseresstürmischen Siedlungswachstums auf die Umwelt werden ebenfalls erst in An-sätzen erahnt. Selbst bei stagnierenderBevölkerung ist mit einer Ausdehnungder Verdichtungsräume in Baden-Würt-temberg und weiterem Flächenverbrauchzu rechnen. Hier gegenzusteuern dürfteäußerst schwierig werden, weil dazu langpraktizierte und zur Norm gewordeneWohnbedürfnisse grundsätzlich infragegestellt werden müssen.

Jörg-Wolfram Schindler

2 | Neue Großterrassen im Kaiserstuhl bei Bicken-sohl, Gemeinde Vogtsburg im Kaiserstuhl, 1973.Vorlage: Landesarchiv StAF W 134 Nr. 093446 a

3 | Rebumlegung im Kaiserstuhl bei Endingen-Kiechlingsbergen, 1979.Vorlage: Landesarchiv StAF W 134 Nr. 111422 c

Aufnahmen: Willy Pragher.

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wald – stritten jahrhundertelang dieStadt Mosbach und die Gemeinde(Mosbach-)Neckarelz einerseits sowiedie Inhaber von Burg Hornberg (beiNeckarzimmern) andererseits. Mosbachund (Mosbach-)Neckarelz beanspruch-ten die alleinige Nutzung und ließen zuBeginn des 15. Jahrhunderts ein Horn-berger Fuhrwerk beschlagnahmen, das,wie sie meinten, unberechtigterweiseHolz aus dem Wald abtransportierenwollte. Indes kann der Hornberger An-spruch auf Mitnutzung so unbegründetnicht gewesen sein, wurde doch 1540Götz von Berlichingen als dem Herrnder Burg in einem Urteil des PfälzerKurfürsten das Recht zugesprochen, ausder Michelherd jährlich kostenlos 400Reifstangen für den eigenen Bedarf zubeziehen, mit der vielsagenden Ein-schränkung so lang und vil es der Waldterleiden moge. Rund ein halbes Jahrhun-dert später wurde in einem weiteren

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schaften untereinander – gewöhnlich an der Frage der bloßen Waldnutzung;später ging es vielfach darum, wem derWald eigentlich gehörte, wer Eigentümerwar und wem die Befugnis zukam, diesbezügliche Gebote und Verbote zuerlassen. Diese Fragen waren umso kon-fliktträchtiger, als die natürliche Res-source Holz in der Regel knapp war,man eine planmäßige Forstwirtschaftnoch nicht kannte und durch unkon-trollierten Raubbau allenthalben großerSchaden entstand. Aus der administra-tiven und gerichtlichen Bewältigungderartiger Probleme erwuchs im Laufder Jahrhunderte eine reiche Urkunden-und Aktenüberlieferung, die heute so-wohl in staatlichen und kommunalen alsauch in privaten Archiven verwahrtwird.Um die Nutzung im einstigen Reichs-

forst Michelherd bei Mosbach – derName bedeutet soviel wie großer Weide-

„… so lang und vil es der Waldt erleiden moge“Waldnutzung in Spätmittelalter und Frühneuzeit

Als universell verwendbarer Rohstoffwar Holz in der Vormoderne ganz be-sonders kostbar – und die Nutzung desWalds dementsprechend oft und heftigumstritten. Holz benötigte man zumBau von Häusern, Scheunen und Stal-lungen, zum Heizen, zur Herstellungvon Betten, Tischen und Bänken, vonPflügen, Fässern und vielerlei sonstigemGerät des täglichen Bedarfs, für Zäuneund Gatter, für Wagen und Karren, zumBau von Schiffen, Kähnen und Nachen,seit dem 14. Jahrhundert überdies zurProduktion von Papier. Zur Zeit der Eicheln und Bucheckern weidete manim Wald außerdem die Schweine. Nichtselten hingen vom Waldbesitz und seinem Umfang Reichtum oder Armuteiner Gemeinde ab.Im Mittelalter entzündete sich der

Streit zwischen den jeweiligen Interes-senten – Herrschaften und Gemeinden,Gemeinden untereinander oder Herr-

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pfalzgräflichen Urteil auch der Hornber-ger Bauholzbezug aus der Michelherdausdrücklich als rechtmäßig anerkannt.Im Ganerbenflecken Hainstadt bei

Buchen im Odenwald war die Waldnut-zung um die Mitte des 15. Jahrhundertswie folgt geregelt: Wer zur Herstellungeines Pflugs oder Steckholzes Holz benötigte, musste dieses beim Schult-heißen erbitten und anschließend seinVorhaben dem Schützen anzeigen. Traf er den Schützen zuhause nicht an,schnitt er aus dem Türpfosten von des-sen Schuppen einen Span, den er beiseinem Gang in den Wald als Ausweisder Rechtmäßigkeit seines Tuns mit sichführte; versäumte er dieses, war einBußgeld fällig. Generell durften die Ge-meinsleute in (Buchen (Odenwald)-)Hainstadt nur minderwertiges Brenn-holz hauen; das Schlagen hochwertigenBauholzes – Eichen, Buchen oder Espen– bedurfte ausdrücklicher Genehmi-gung seitens der Herrschaft. Die Weidevon Vieh war nur in Walddistrikten zu-lässig, in denen die natürliche Verjün-gung dadurch keinen Schaden nahm.Im sogenannten Bannwald war jeglicheNutzung strengstens untersagt.In (Buchen (Odenwald)-)Bödigheim,

das noch heute von ausgedehnten Wäldern umgeben ist, lagen Gemeindeund Herrschaft viele Generationen langmiteinander im Streit, nicht alleinwegen der Bemessung der Frondienste,sondern auch und vor allem wegen derEigentums- und Nutzungsrechte amWald. Der Streit eskalierte 1602, als dieHerrschaft einseitig eine neue Forstord-nung erließ. Man prozessierte gegenein-ander vor dem Gericht des Bischofs von Würzburg und vor dem Reichskam-mergericht in Speyer. 1698 kam es zumoffenen Aufruhr, und in den folgendenJahrzehnten musste wiederholt Militärzur Befriedung ins Dorf gelegt werden.1765 schließlich einigten sich Herrschaftund Gemeinde vertraglich auf eine Tei-lung des Walds, und die solcherart erreichte Versöhnung beging man miteinem großen Fest. Aber schon 1798, imGefolge der Französischen Revolution,kam es im Dorf zu neuerlichen Unru-hen. Erst 1812 wurde der Streit miteinem Urteil des badischen Oberhof-gerichts endgültig beigelegt.

Kurt Andermann

1 | Bödigheim bei Buchen (Odenwald), umgebenvon den zwischen Herrschaft und Gemeinde strittigen Wäldern, kolorierte Jagdgrenzkarte, Ausschnitt, 1593.Vorlage: Landesarchiv GLAK H Buchen 1

2 | Versöhnungsfest in Bödigheim bei Buchen(Odenwald) 1765.Vorlage: Schloss Bödigheim in Buchen (Odenwald)

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Als Urbare bezeichnet man ein breitesund vielgestaltiges Spektrum schrift-licher Dokumente, die den Grundbesitzund die Rechte einer Herrschaft be-schreiben. Die zeitgenössischen Bezeich-nungen sind ebenso mannigfaltig undreichen im deutschen Südwesten etwavon Zinsrodel oder Register, Gült-,Haisch- oder Lagerbuch bis zu Berainund Inventar. Urbar bedeutet im Mittel-hochdeutschen den Ertrag eines Grund-stücks, und entsprechend verbindetdiese Quellenart ihre ökonomischeFunktion mit der Schriftform. Urbarezeigen die Sicht des Herrn auf seineGrundherrschaft, wobei natürlich derEinnahmeaspekt im Vordergrund steht.Sie sind die wichtigste Quellengruppe,die aus dem Bereich der mittelalter-lichen Agrarwirtschaft überliefert ist.Die Urbare bieten damit vor allem ein-

schlägige Informationen für die Wirt-schafts- und Sozialgeschichte bis hin zuaktuellen umweltgeschichtlichen Frage-stellungen um Landnutzung, Umwelt-gestaltung und Alltagsgeschichte. Siesind im deutschen Südwesten seit dem14. Jahrhundert als serielle Quellenüberliefert, das heißt es fanden nach ge-wissen Zeitabständen Erneuerungenoder Renovationen der Daten statt, neueBände wurden angelegt und aktualisier-ten den Besitzstand. Als ein relativ um-fassend erhaltenes Klosterarchiv bietetetwa die schriftliche Überlieferung des

ehemaligen Zisterzienserklosters Beben-hausen bei Tübingen einen guten Ein-druck von ihrem einstigen Reichtum.Neben über 2400 Urkunden beginnt dieUrbarserie Bebenhausens bereits 1304und umfasst bis zur Reformation im 16. Jahrhundert rund 100 Bände.Wie in anderen Klöstern, vor allem

des Zisterzienserordens, wurde um dieMitte des 14. Jahrhunderts auch in (Tü-bingen-)Bebenhausen ein Gesamturbarangelegt, ein repräsentativer Kodex alsÜbersicht über Besitz und Einkünfte desKlosters. Er wurde zusammengestellt aus einer Reihe weiterer Dokumente, vorallem kleineren Zinsrodeln, die jeweilsfür einzelne Teile der Grundherrschaftangelegt worden waren, sowie aus Ur-kunden aus dem Klosterarchiv. Entspre-chend wurde dieses Bebenhäuser Urbar1356 systematisch strukturiert: nach den Verwaltungsbezirken, den einzelnenKlosterpflegen und Grangien. Der Kodex,der in einer wenig späteren Abschrift er-halten ist, diente primär zur rechtsver-bindlichen Sicherung der Informationenüber die Besitzverhältnisse, ebenso alsInstrument zur zentralen Steuerung vonWirtschaft und Verwaltung.Der Text des Urbars, das hier als Re-gistrum bezeichnet wird, bietet eineÜbersicht über die Einnahmen des Klos-ters aus seinem Grundbesitz in über 150 Orten; bei einigen werden auch diedortigen Leibeigenen genannt. Als Ab-

gaben der Bauern und Bürger er-scheinen feste Geldzinsen aus Häusern, Gärten und Wiesen, Getreideabgaben,Hühner und Gänse, Eier und Käse, Erb-sen, Bohnen, Öl, Pfeffer oder Wachs. Sie stehen neben ertragsabhängigen An-teilen aus der Getreideernte oder Wein-lese, wie etwa den Zehntleistungen.Diese Abgaben bieten einen konkreten,vielgestaltigen und lebensnahen Ein-druck von der bäuerlichen Welt desMittelalters, von der Landnutzung undder agrarischen Produktion über dieTier- und Viehzucht bis hin zur Ver-marktung und Ernährung.Die mehr oder weniger umfassenden

und systematisch fortgeführten Be-schreibungen des Grundbesitzes einerHerrschaft, der Höfe, Äcker, Weinberge,Wiesen und Wald mitsamt ihren Erträ-gen und Abgaben, machen die Urbare zueiner herausragenden Quellengattungfür die mittelalterliche Umwelt- undWirtschaftsgeschichte. Ihre Informatio-nen erlauben eine intensive Annäherungan die zeitgenössische Kulturlandschaftund deren historische Entwicklung. Gerade für die aktuell brisanten um-weltgeschichtlichen Fragestellungen stel-len die Urbare eine Informationsdichtebereit, deren Aussagekraft es noch weit-gehend aufzudecken gilt.

Peter Rückert

Urbare als Quellen zur mittelalterlichenUmweltgeschichte

1 | Eingangsseite des Urbars von Kloster Beben-hausen bei Tübingen von 1356.Vorlage: Landesarchiv HStAS H 102/8 Bd. 3 Bl. 3r

2 | Kloster Bebenhausen bei Tübingen von Nord-westen aus dem Forstlagerbuch, kolorierte Zeichnungvon Andreas Kieser, 1583.Vorlage: Landesarchiv HStAS H 107/18 Nr. 52 Bl. 17

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Unsere Abbildung stammt aus einem solchen Prozess; 1600 stritt sich derPforzheimer Bürgermeister Peter Gösslinmit zwei Nachbarn, Hans Dietrich Not-haft von Hohenberg und Elisabeth Mah-ler, um den gemeinsamen Wasserabflussin der Nähe des Brötzinger Tors. Das geheime Gemach im Nothaft’schen Hausheißt hier Privet, wir sehen gleich vierdavon, sogar im ersten Speichergeschoss,wo vermutlich das Gesinde seine Kam-mern neben den Vorräten hatte.Solche Quellen lassen sich jetzt leichter

entdecken, weil die Neuinventarisierungdes Karlsruher Reichskammergerichtsbe-stands abgeschlossen ist. Neu zugänglichist aber auch der Fall aus Baden-Baden:Aus Mitteln der Deutschen Forschungs-gemeinschaft konnten die zentralen ba-dischen Urkundenbestände des General-landesarchivs, die Bestände 36–38, ausihrer handschriftlichen Fassung des 19. Jahrhunderts 2010 konvertiert undonline gestellt werden.

Konrad Krimm

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Hier geht es um Gestank – und wieNachbarschaft trotzdem funktioniert.1532 wollte der Baden-Badener BürgerGeorg Hose die Schlafkammer im Ober-geschoss seines Hauses vergrößern unddazu die Gartenmauer überbauen.Schwägerschaft und Freundschaft ver-banden ihn mit seinem Nachbarn – sobeteuert der Urkundentext –, aber eshatte auch schon einen Prozess gegeben,und vor allem hatte der Nachbar als Juristwohl die besseren Karten. Außerdemhandelte es sich dabei um den AltkanzlerDr. Jakob Kirser, noch immer angesehe-ner markgräflicher Rat und bereits aufdem Absprung aus der engen Bürgerstadtins fast-adlige Landleben – ein Jahr zuvorhatte er Schloss Waldsteg bei Bühl ge-kauft. So konnte Kirser offenbar die Bedingungen des Anbaus diktieren. Erbenutzte die Gelegenheit nicht nur, umsein Grundstück um einen Zipfel zu ver-größern, sondern auch, um endlich dasim Wortsinn offene Problem des nach-barlichen Abwassers zu regeln. Dass dieDohle fest zu verschließen war, war nochdas einfachste. Dazu hatte Georg Hose

eine Filteranlage mit kiesse und steyn-wacke einzurichten, damit sich abseygen,purgiren und lutern könne, was angeflos-sen kam. Und was kam außer Kot? Hewe(Heu), grasse, gethücht (Zeug, also Stoff),bapier oder anders, so man by heimlichengemachen pflegt zu gebrauchen. Damit er aber die unlust des Dr. Kirser so wenigwie möglich reizte, musste Hose auchversprechen, das heimliche Gemach, denAbort, überhaupt nur zu benutzen, wenngrosse schleg regen (Schlagregen) sind. Ob das wohl klappte? Die Sorge des Alt-kanzlers reichte im Übrigen nur bis zumgemeinsamen Abflussloch an der Mauer,es sollte eine Spanne groß sein. Dann lief alles die strassen herabe.Abwasserstreit gehörte zum Alltag der

Stadt in der frühen Neuzeit. Prozesse umden Verlauf von Dachrinnen konntensogar das Reichskammergericht erreichen;wir verdanken solchen Prozessaktennicht nur Aufschlüsse zu Haustechnikund Stadthygiene, sondern im Glücksfallauch Baupläne und Ansichten, die unsdie unbekannte Stadt erschließen, abseitsder öffentlichen Gebäude und Plätze.

Das geheime Gemach und die Nase des badischen KanzlersAbwasserprobleme in der frühneuzeitlichen Stadt

Haus des Hans Dietrich Nothaft von Hohenberg in Pforzheim, mit Aborten, Federzeichnung füreinen Prozess vor dem Reichskammergericht, 1600.Vorlage: Landesarchiv GLAK 71 Nr. 1023 nach Bl. 92

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Historische Waldbeschreibungen als Spiegel klimatischer Veränderungen

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Unsere Wälder erfüllen seit Jahrhun-derten eine ganze Reihe von Anforde-rungen, die von uns als Gesellschaft ansie gestellt werden. Sie dienen der Holz-produktion, bieten uns Erholungsräumeund schützen Flora und Fauna, aberauch Luft, Boden und Gewässer. UnsereWälder werden heute wie früher so be-wirtschaftet, dass sie unsere Ansprücheauch erfüllen können. Da diese aber imLauf der Jahrhunderte einem ständigenWandel unterliegen, wandelt sich dasErscheinungsbild der Wälder dement-sprechend.Bei Archivrecherchen im Rahmen

meiner Forschungen über die Entwick-lung von Wäldern auf der mittlerenSchwäbischen Alb und im nördlichenOberschwaben am Geographischen Ins-titut der Universität Tübingen stieß ich bei der Auswertung der Rechnungs-bücher des Klosters Blaubeuren zwi-schen dem 16. und 19. Jahrhundertimmer wieder darauf, dass Aspe (Zitter-pappel) als Bauholz abgegeben wurde.In einer Waldbeschreibung der Blau-beurer Klosterwälder von 1719 wird diesbestätigt: an Bauholtz allda zu habenseyn, ohngefähr Aychen 50 St., Aspen 100 St., Bürckhen 100 St. Heute ist dieAspe nahezu vollständig verschwunden,da ihr Holz nicht sehr haltbar ist und siein jungen Beständen dazu neigt, andereBaumarten zu überwachsen. In Fach-kreisen gilt ihr Vorkommen als Indiz füreinen degradierten Waldzustand. Da in den Archivalien des 17. und 18. Jahr-hunderts die Aspe für die SchwäbischeAlb sehr kontinuierlich als Bauholz genannt ist, suchte ich in zeitgenössi-scher Literatur nach weiteren Belegenund wurde schnell fündig. Nicht nur ein Standardwerk der Baukunst des 18. Jahrhunderts, sondern auch zahlrei-che forstliche Werke des 18. und frühen

19. Jahrhunderts erwähnen die Eignungder Aspe als Bauholz, wenn auch nur im trockenen Raum. Auch in den würt-tembergischen Forstordnungen von1540, 1552, 1567 und 1614 wurde hin-sichtlich der als Zukunftsbäume (Bann-reitel) zu erhaltenden Baumarten ver-fügt: vnd sollen vor allen dingen, vnndzuvorderst, sollich banreitel Eichin sein,wo aber nit Eichin vorhanden, alsdanngut Büchin, wo nit Eichins oder Büchins,alsdann Bürckin oder Äspin in massenwie oben begriffen, steen bleiben. Ähn-liche Bestimmungen gibt es auch in an-deren Forstordnungen.Der Vergleich der verschiedenen Wald-

beschreibungen für ein und denselbenWaldort im Gebiet des Klosters Blau-beuren vom 16. Jahrhundert bis heutebrachte interessante Ergebnisse. Sozeigte sich, dass sich die Eiche währendder Kleinen Eiszeit im 17. und 18. Jahr-hundert auf der Albhochfläche aus kli-matischen Gründen nicht mehr haltenkonnte. Ihre Rolle als Bauholzbaumübernahm dort die Aspe, oft zusammenmit der Birke. Wertet man die Waldbe-schreibungen für alle Baumarten aus, solässt sich erkennen, wie die klimatischenVeränderungen – insbesondere die derKleinen Eiszeit – die Siedlungsgebieteder einzelnen Baumarten veränderten.Für die Blaubeurer Alb lässt sich dies amBeispiel von Eiche und Buche, im an-grenzenden nördlichen Oberschwabenan der Ausbreitung der Fichte nachvoll-ziehen. Diese Erkenntnisse leisten einenwertvollen Beitrag zur Validierung derKlimaszenarien, die derzeit als Basis für die Entwicklung klimaangepassterBehandlungsmodelle für die künftigeBewirtschaftung unserer Wälder erstelltwerden.

Reinhold Schaal

1 | Eine Walbeschreibung von 1583.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 59 Bü. 13 a

2 | Bestandskarte des Forsts Blaubeuren, 1873.Vorlage: Landesarchiv StAL FL 605/10 Zugang 2010

Die Zitterpappel (Aspe oder Espe), ein wichtiger Bau-holzbaum während der „Kleinen Eiszeit“ im 17. und 18. Jahrhundert, heute eine Randerscheinungin unseren Wäldern.Aufnahme: Reinhold Schaal

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Die Zitterpappel (Aspe oder Espe), ein wichtiger Bauholzbaum während der „Kleinen Eiszeit“ im 17. und 18. Jahrhundert, heute eine Rand-erscheinung in unseren Wäldern.Aufnahme: Reinhold Schaal

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Der „Gipsapostel“ aus KupferzellPfarrer Johann Friedrich Mayer als Landwirtschaftsreformer

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Es ist erstaunlich, was manche Pfarrerneben den seelsorgerischen Aufgabenalles zuwege brachten. Johann FriedrichMayer (1719–1798), seit 1745 Pfarrer imhohenlohischen Kupferzell, ist ein gutesBeispiel. Er verfasste mehr als zwei Dut-zend Bücher und Schriften, mit denen er den Bauern in Hohenlohe praktischeRatschläge für eine effizientere Land-wirtschaft gab. Mayer selbst übrigens be-wirtschaftete ein kleines Pfarrgut, dasauch seinen landwirtschaftlichen Experi-menten diente. Als Gelehrter war eranerkannt, und von Obrigkeit und Wis-senschaft wurde er als Gesprächspartnergeschätzt. Durch sein umfangreichesSchrifttum konnte er aber vor allem dieeinheimischen Bauern für eine fort-schrittlichere Bewirtschaftung gewinnenund so zum Gedeihen der hohenlohi-schen Landwirtschaft insgesamt bei-tragen.Schon mit ihren Titeln lassen die

Schriften den Pfarrer und Prediger er-kennen, so der 1770 erschienene Katechis-mus des Feldbaues, Acker- und Wiesen-baues und Der sichere Nothelfer für alleStadtbewohner und Landleute von 1791.

Andere stellen den wissenschaftlichenAnspruch heraus: Lehrbuch für die Land-und Hauswirte in der pragmatischen Geschichte der gesamten Land- und Haus-wirtschaft von 1773 oder die zwölfbän-digen Beiträge und Abhandlungen zurAufnahme der Land- und Hauswirtschaftnach den Grundsätzen der Naturlehre undder Erfahrung entworfen von 1769 bis1784. Mayers in sechs Bänden erschiene-ner Ökonomischer Briefwechsel enthältKorrespondenzen mit Briefpartnern ausverschiedensten Territorien des AltenReichs. In der Titelei bezeichnet er sichals Pfarrer und verschiedener Kaiserlich,Königlicher, Churfürstlicher und Republi-kanischer respektive Akademien und Gesellschaften Mitglied. Darin wird seinEinfluss weit über Hohenlohe hinausdeutlich.Die bereits 1768 erschienene SchriftDie Lehre vom Gips als einem vorzüglichenDung zu allen Erdgewächsen auf Äckernund Wiesen, Hopfen- und Weinbergenbrachte Mayer den ehrenden BeinamenGipsapostel von Kupferzell ein. Er pre-digte den Landwirten, ihre Böden durchDüngung zu verbessern und ertragrei-

cher zu machen, wozu der in den Wal-denburger Bergen reichlich vorkommen-de Gips sehr gut geeignet war. Diese Ideezog sich durch seine Schriften, wobeiMayer auch den Nachweis zu erbringensuchte, dass die mineralische Düngungbereits in der Antike bekannt gewesenund von Varro propagiert worden sei.Als vermeintliche Tradition war eineNeuerung unter Bauern besser voranzu-bringen.Mayers Vorschläge beschränken sich

keineswegs auf die Düngung. Er entwarfetwa ein nach Nützlichkeitserwägungengestaltetes Modellbauernhaus, in demdie Wärme des Stalls im Erdgeschoss diedarüberliegenden Wohnräume heizte.Die Dreifelderwirtschaft lehnte er abund empfahl im Sommer die Brache mitKlee und Futtergewächsen zu bepflan-zen. Raine zwischen den Feldern solltenvermieden werden, da hier Unkraut und Schädlinge gedeihen würden. DenAnbau der Kartoffel empfahl er auch als Nahrungsmittel für die Menschen. Er propagierte eine hofeigene Wasser-versorgung zur Vermeidung aufwändi-gen Wassertragens, riet aber wegen

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der Brandgefahr von eigenen Backöfenin den Bauernhöfen ab. Das waren le-bensnahe Empfehlungen und praktischeRatschläge und keine abgehobene Wis-senschaft, die der Pfarrer den Bauernvermittelte und die er in zahlreichen Bü-chern und Schriften publik machte.Grundgedanke seines agrarreformeri-

schen Wirkens war, dass der Bauer dieEigenheiten der Natur verstehen unddiese Kenntnis für sein Wohl und dasWohl aller nutzen sollte. Teils durch An-passung an die natürlichen Gegebenhei-ten, teils durch bewusstes Einwirken –wie bei der Düngung – sollte sie für denMenschen nutzbar gemacht werden. Im Katechismus von 1770 formulierte er Was ist dann der Feldbau? Es ist dieKunst, durch welche man das Feld so zubearbeiten weiß, daß man von demselbi-gen dasjenige erhalten kann, was zurSpeise, zum Trank, zur Kleidung, Feue-rung und zum Bau eines Hauses nöthigist. Ein pragmatisches und an der Nütz-lichkeit orientiertes Verhältnis zur Um-welt also.

Peter Schiffer

1 | Ein säender und ein pflanzender Bauer unter derstrahlenden Sonne „Jahwe“ mit dem lateinischen„Durch die Hilfe Gottes werde ich gestärkt werden“darüber, Miniatur aus Johann Friedrich Mayers„Lehrbuch für die Land- und Hauswirthe“ von 1773.Vorlage 1–3: Landesarchiv HZAN Hohenlohe-Bibliothek 7a/33

2 | Riss einer Handputzmühle für Getreide aus Johann Friedrich Mayers „Lehrbuch für die Land-und Hauswirthe“ von 1773.

3 | Riss einer Mostkelter aus Johann Friedrich Mayers „Lehrbuch für die Land- und Hauswirthe“von 1773.

4 | Titelblatt der Schrift über das Düngen mit Gipsvon Johann Friedrich Mayer, 1768.Vorlage: Landesarchiv HZAN Hohenlohe-Bibliothek7a/50

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Katastrophenalarm im Taubertal – Dut-zende Orte überflutet –Todesopfer zu be-klagen. So würden heute die Schlagzeilenlauten, gäbe es ein vergleichbares Ereig-nis wie an Michaelis 1732. Am spätenNachmittag jenes 29. September gingnach vorausgegangenen Regentagen überFranken ein schweres Donner-Wetter miteinem gewaltsamen Platz-Regen nieder,das binnen kürzester Zeit Bäche undFlüsse über die Ufer treten ließ. Die Ge-walt der Regenmassen war immens, eswurden die von Quater-Steinen gebautenHäuser aus dem Grund weggerissen undumgestürzet, Bäume entwurzelt und Unmengen von Schlamm und Geröllverfrachtet. Ein zeitgenössischer Druckführt Verlauf und entstandene Schädenin der von Nürnberg bis zum hessischenOdenwald reichenden Unwetterfront detailliert auf und interpretiert die Ver-wüstungen als Strafgericht Gottes.Waren die meisten Todesopfer in denStädten Schwabach und Feucht zu be-klagen, riss die Wasserflut im Taubertalund in seinen Seitentälern fast alle Brü-cken und viele Mühlen nieder. In der amZusammenfluss von Main und Taubergelegenen Stadt Wertheim versankenunter dem Druck der mit Treibholz undSteinen angereicherten Wassermassen 20 Wohnhäuser, das Zunfthaus derSchiffer sowie ein Gebäudeflügel desHospitals samt Kirche in den Fluten.In den im Archivverbund Main-Tauber

verwahrten Archiven der betroffenenOrte ist diese Naturkatastrophe in unter-schiedlichsten Quellen dokumentiert.Der Verwalter des Hospitals in Tauber-bischofsheim listete auf, welchen finan-ziellen Schaden seine Einrichtung er-litten hatte. Allein der in den Kellern vernichtete Wein hatte einen Wert vonrund 1920 Gulden, was ungefähr denGeldeinnahmen eines Jahrs entsprach.Die Gemeinde (Werbach-)Gamburg,deren steinerne Tauberbrücke zerstörtwurde, musste für deren Wiederaufbausorgen. Und natürlich waren Verwal-tungskosten für Suppliken entstanden,

die wegen der Brückhen undt Wassers zuschreiben.Den Mönchen des Zisterzienserklosters

(Wertheim-)Bronnbach erging es dage-gen besser, ihre Tauberbrücke hielt stand.Die Erosionskraft der Wasserflut doku-mentiert jedoch ein Protokolleintragüber die Beseitigung des in der Kloster-mühle angeschwemmten Morasts, wo 3 Tag nacheinander 30 Unterthanen froh-nen müssen, biß solche wider geseübert.Insgesamt beliefen sich die Schäden amumliegenden Klostereigentum aber dochauf stolze 6000 Gulden. In (Wertheim-)Reicholzheim wurden die Ereignisse umdas erschröckliche grosse Wasser im Ge-richtsbuch vermerkt. Nur der Wachsam-keit einiger Einwohner war es zu ver-danken, dass keine Menschenleben zubeklagen waren. Es verendeten jedoch 25 Stück Rindvieh und viele Schweine.Für die Wertheimer Opfer der Flut-

katastrophe, meist Schiffer, die nicht nurihre Häuser, sondern auch ihre Arbeits-grundlage, die Schiffe, verloren hatten,wurden Spendensammlungen durch-geführt. Deren Auszahlung zog sich aberbis 1735 hin – hätte man anderes er-wartet? Erhalten haben sich die von denGeschädigten teils summarisch, teils detailliert erstellten Schadensinventaresowie die Auszahlungsliste; 10–30 Pro-zent der Schadenssummen konntendurch die Spenden ersetzt werden.Der Stadtverwaltung ging es vor allem

um eine schnelle Reparatur der zerstör-ten Brücke, um die Stadtquartiere linksund rechts der Tauber wieder zu verbin-den. Neben dem Wertverlust derschlecht erreichbaren Grundstücke jen-seits der Tauber, der befürchteten Ver-lagerung der Handelswege in das main-abwärts gelegene Miltenberg und demVerlust des Brückenzolls führten dieStadtväter als weiteres Problem an esmacht die Begräbnus kostbar und sehr be-schwerlich – der Friedhof lag nämlichebenfalls auf der anderen Tauberseite.

Claudia Wieland

Die fränkische SintflutNaturereignis oder Strafe Gottes?

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1 | Wassermarken an einem Wertheimer Garten-haus als Beleg dafür, dass das Hochwasser von 1732wohl das verheerendste, nicht jedoch das höchsteund schon gar nicht das letzte war.Aufnahme: Landesarchiv StAWt

2 | Titelblatt der 1733 bereits in zweiter Auflage erschienenen Druckschrift von Johann ChristianHeusson über die Fränkische Wasserflut von 1732.Vorlage: Bibliothek Historischer Verein WertheimLb 64 HV

3 | Auf der bekannten Merian-Ansicht basierendeDarstellung der Stadt Wertheim mit Einzeichnungder durch die Flut von 1732 eingerissenen Gebäude.Vorlage: Bibliothek Historischer Verein WertheimLb 64 HV

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Schwertlilien (Iris), Aquarell auf Pergament, vermut-lich spätes 17. Jahrhundert.Vorlage: Landesarchiv GLAK Hfk Hs. Bd. 269 Nr. 53

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1738 erschien zu Ehren des verstorbenenMarkgrafen Karl Wilhelm von Baden-Durlach – er regierte 1709–1738 – einUnverwelcklich-blühendes … Ehrenmahlfür den Gründer der ResidenzstadtKarlsruhe. Für den Autor Barthold Heinrich Brocke wurden die prächtig ge-stalteten Gartenanlagen vor dem neu errichteten Schloss zur Allegorie für dieglänzende Regierungszeit des eben ver-storbenen Regenten. Aus der Vielfalt derBlumen und Sträucher hob er mehr als 5000 Tulpensorten, 600 verschiedeneArten Nelken sowie große Mengen vonAnemonen, Ranunkeln, Narzissen undHyazinthen hervor.Die Kriegszeiten des späten 17. Jahr-

hunderts, die in besonderer Weise imOberrheingebiet Spuren der Zerstörunghinterlassen hatten, waren Vergangen-

heit. Die junge, erst 1715 begründete Re-sidenz und mit ihr das Herrscherhausstanden in Blüte – so wie die prächtigenGartenanlagen am Karlsruher Schloss.Minutiös verzeichneten die Hofgärtnerin regelmäßigen Abständen den Bestandan Bäumen und Blumen und notiertendie Kosten für den Ankauf von neuenBlumenzwiebeln, die man auch schondamals in Holland erwarb. GedruckteExemplare erreichten eine breite Öffent-lichkeit und dienten somit in besondererWeise dem barocken Repräsentations-bedürfnis des regierenden Markgrafen.Dabei wurde die Tulpe zur Modeblume

des Barock. Blumenzwiebeln wurden gehandelt und getauscht, neue Sortenpräzise in ihrer Farbe bestimmt und –gemalt. Das große Vorbild war – wie sooft im Barock – das Frankreich Ludwigs

XIV. Auch in der Markgrafschaft Badenlässt sich die Tradition der Blumenbilderbis in das frühe 17. Jahrhundert zurück-verfolgen. Im 18. Jahrhundert erreichtesie ihren Glanzpunkt. Markgraf KarlWilhelm besaß eine Sammlung von rund6000 Pflanzenaquarellen. Die Zeichnun-gen waren zumeist in Folianten einge-legt, die als Tulpenbücher berühmt werdensollten. Von den 20 Bänden, die zu Be-ginn des 20. Jahrhunderts in Karlsruheverwahrt wurden, besaß die BadischeLandesbibliothek 18, das Badische Gene-rallandesarchiv zwei Exemplare. 16 Bän-de wurden beim Brand der Landes-bibliothek 1942 vernichtet, sodass heutenur noch je zwei Bände in der Landes-bibliothek und im Generallandesarchivvorhanden sind. 2009 erwarb das LandBaden-Württemberg diese einzigartigen

Nelken, Aquarell auf Pergament, vermutlich spätes17. Jahrhundert.Vorlage: Landesarchiv GLAK Hfk Hs. Bd. 269 Nr. 58

Krokusse mit Feldmaus, Aquarell auf Pergament, ver-mutlich spätes 17. Jahrhundert.Vorlage: Landesarchiv GLAK Hfk Hs. Bd. 269 Nr. 4

… der Blumen Glantz verewigt“Die barocken „Tulpenbücher“ der badischen Markgrafen

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desarchivs lässt uns einen Blick in dieMalerwerkstatt werfen. Die kleinformati-gen Aquarelle zeigen Blüten von Auri-keln, zumeist datiert und bisweilen mitdem Namen des Künstlers versehen. Von besonderem Interesse sind aber dieStücke, die keinen Namen tragen: Es sindoffenbar Probearbeiten von Schülerinnenund Schülern, die als recht, mittel odernicht recht beurteilt wurden.Ganz im Sinn des Barock bewahrten

die Aquarelle die Schönheit der Blumenvor der Vergänglichkeit der Natur. Oderwie es der Barockdichter formulierthatte: Die Blüten wurden durch die Mah-lerey, zu ihr und ihres Schöpfers Ehren //Mit klugen Farben fast [sehr] verewigt, so,daß sie sonder Welcken währen.

Wolfgang Zimmermann

Kunstwerke aus dem Besitz der Markgra-fen von Baden. Zusammen mit den übri-gen Handschriften des badischen Hausfi-deikommisses im Generallandesarchivsind sie eine wichtige Quelle zur Kultur-geschichte des Barock.Unter den Aquarellen, die im General-

landesarchiv verwahrt werden, ragt eineGruppe von großformatigen Pergament-blättern heraus. In einem goldenen Rahmen sind zumeist mehrere Blumenabgebildet, die aus dem Boden wachsen.Libellen oder Schmetterlinge sind demRepertoire des Stilllebens entnommen.Diese Aquarelle könnten bereits im späten 17. Jahrhundert entstanden sein.Spätere Blätter lassen viel stärker das botanische Interesse erkennen, sind dieBlumen doch oft nach dem Standard-werk von Carl von Linné klassifiziert.Die zweite Handschrift des Generallan-

Aquarell einer Aurikelblüte als „Probearbeit“ mitder Beurteilung „recht“.Vorlage: Landesarchiv GLAK Hfk Hs. Bd. 263 Nr. 269

Aquarell einer Aurikelblüte als „Probearbeit“ mitder Beurteilung „recht“ und „mittel, zuviel gelb“. Vorlage: Landesarchiv GLAK Hfk Hs. Bd. 263 Nr. 274

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Schon lang lag mirs im Gemüthe, eineFürsprache für die Thiere, die unter unsleben, bey meinen Mitmenschen einzule-gen und gleichsam der Mund dieserstummen und doch empfindenden Ge-schöpfe zu seyn. Mit diesen Worten er-öffnete der Mössinger Pfarrer ChristianAdam Dann (1758–1837) seine pro-grammatische Schrift Bitte der armenThiere […] an die Menschen, die er 1822anonym in Tübingen erscheinen ließ.Veranlasst wurde deren Abfassungdurch die mutwillige Tötung einesStorchs, der auf Danns Pfarrkirche ge-brütet hatte. Anklagend erhob der bekannte Erweckungstheologe seineStimme zugunsten der geschundenen

Kreatur. Eindringlich schilderte er dievom Menschen verursachten Qualender Tiere, denen er ein Plädoyer für einechristlich fundierte Tierschutzethik ge-genüberstellte.Christian Adam Dann war ein Pionier

des Tierschutzes. Seine Predigten undSchriften entfalteten unter den Zuhörernund Lesern eine starke Wirkung. NochAlbert Schweitzer ließ sich von seinenGedanken inspirieren. Nur wenige Monate nach Danns Tod gründete seinSchüler und Freund, der StuttgarterPfarrer und Dichter Albert Knapp(1798–1864), im Winter 1837/38 denersten Tierschutzverein Deutschlands.Ziel der von angesehenen Bürgern ge-

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tragenen Vereinigung war, weitere Zu-sammenschlüsse auf örtlicher Ebene zuinitiieren, die Tierquälerei als Delikt indas Strafgesetzbuch aufzunehmen sowiein Schule und Kirche über die Belangedes Tierschutzes zu informieren. In derTat verabschiedete der Württembergi-sche Landtag 1839 im Polizei-Strafge-setz einen Artikel, der denjenigen, derdurch rohe Mißhandlung von Tieren Ärgernis gibt, mit einer Geldbuße oderArreststrafe bedrohte. Auch fanden seit1840 in allen Schulklassen des Landesmindestens zweimal jährlich Belehrun-gen über den Tierschutz statt. Trotzoder gerade auch wegen dieser Erfolgehatte Knapps Tierschutzverein nur

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1 | Mitgliedskarte König Wilhelms II. von Württem-berg im Bund für Vogelschutz, 1917.Vorlage: Landesarchiv HStAS E 14 Bü. 1388 Nr. 5

2 | Satzung des Bundes für Vogelschutz, um 1912.Vorlage: Landesarchiv HStAS E 40/55 Bü. 83Qu. 42

Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs“Zu den Anfängen des Tierschutzes im Königreich Württemberg

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hörten. Bereits 1865 erklärte sich Köni-gin Olga bereit, das Protektorat des Vereins zu übernehmen; 1894 folgte ihrKönigin Charlotte in diesem Ehrenamt.Die 1862 verfassten Statuten des Württembergischen Thier-Schutz-Vereinsbezeichneten die Verhinderung vonThierquälereien als dessen Hauptauf-gabe. Noch im Gründungsjahr prä-mierte der Vorstand Dienstknechte undFuhrleute, die sich durch gute Behand-lung der Pferde ausgezeichnet hatten.Schon im ersten 1863 veröffentlichtenRechenschaftsbericht finden sich aus-führliche Belege dafür, dass man sichmit dem Transport von Schlachttieren,

Statuten des Württembergischen Thier-Schutz-Vereins, Stuttgart 1862.Vorlage: Landesarchiv HStAS E 14 Bü. 1061 Qu. 7

kurzen Bestand; schon nach wenigenJahren stellte er seine Aktivitäten ein.Basierend auf Danns Leitgedanken

kam es zwei Jahrzehnte später, am 17. Juni 1862, zur Gründung des Würt-tembergischen Thierschutz-Vereins. Wiegroß das Interesse an einem solchenVorhaben war, zeigte sich bei der kon-stituierenden Versammlung, an dernicht nur der Stuttgarter Stadtschult-heiß, sondern auch der württembergi-sche Innenminister und der Chef desDepartements des Kirchen- und Schul-wesens teilnahmen. Binnen Jahresfriststieg die Zahl der Mitglieder auf 2000,die allen Klassen der Gesellschaft ange-

mit der Anschaffung geeigneter Eisen-bahnwaggons, mit dem Einsperren vonMasttieren, dem widernatürlichenStopfen von Gänsen, mit der qualvollenTötung von Fröschen, mit dem uner-laubten Fangen von Singvögeln intensivbeschäftigte. Selbst um die humaneTötung der allgemein als schädlichempfundenen Maikäfer bemühte mansich: Die aufgesammelten Krabbeltieresollten körbeweise in siedendes Wassergetaucht und später in getrocknetemZustand als Schweine- und Hühnerfut-ter verwendet werden.Gegen Ende des 19. Jahrhunderts

begann sich das ursprüngliche Anliegender Tierschutzvereine in verschiedeneSparten aufzufächern. Bei den Neu-gründungen spielten Frauen eine heraus-ragende Rolle, so etwa beim Württem-bergischen Frauen-Tierschutzverein,der seit 1916 ein eigenes Tierasyl imFeuerbacher Tal bei Stuttgart unterhielt.Dies gilt auch für den 1899 entstan-denen Bund für Vogelschutz, der seiner unermüdlichen Vorsitzenden LinaHähnle (1851–1941) eine rasante Ent-wicklung verdankte. Unter den mehr als41 000 Einzelmitgliedern, die der inStuttgart ansässige Verein 1914 zählte,befanden sich fast alle deutschen, aberauch zahlreiche europäische Fürsten-häuser.Der Erste Weltkrieg bedeutete für

die Arbeit der württembergischen Tier-schutzvereine einen gravierenden Ein-schnitt. Bis dahin hatten sie jedoch ein gesellschaftliches Umdenken bewirkt:bei der Gesetzgebung, beim Schutz heimischer und exotischer Tierarten,sowie bei der Erhaltung und Pflege natürlicher Lebensräume.

Albrecht Ernst

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Die Feinstaubbelastung in Stuttgart istkein ganz neues Thema, wie ein Blick in die Findmittelsysteme des Landes-archivs zeigt. Die Stadt war im 19. Jahr-hundert zwar spärlich industrialisiert,aber als Regierungssitz sehr verkehrs-reich. Straßen bestanden aus einer Mischung von Schotter und Erde, dieim Regen weich wurde und in der Sonneunter Hufen und Rädern zu Staub zer-fiel. Damals wie heute war besondersdie Neckarstraße für ihre Staubfrachtberüchtigt. Es ist nicht aktenkundig, obman beim Bau des Museums der bil-denden Künste, der heutigen Staatsgale-rie, an solche Einflüsse gedacht hat. Bezeugt ist jedoch, dass das Gebäudeund seine Kunstschätze nur fünf Tagenach der feierlichen Eröffnung am 1. Mai 1843 so von Straßenstaub besu-delt waren, dass die Stadtdirektion mit dem Vermerk pressant um täglicheBesprengung der Fahrbahn mit Wasserersuchte. Nicht überall hielt man dieSache für so dringlich. Das Schreibenging einen langen Instanzenweg, ehe am5. Juli 1843 das Königliche Ministeriumdes Innern bewilligte, dass einmal wö-chentlich der angesammelte Staub weg-geschaufelt werde – ein schwacherTrost, da allgemein das Besprengen derStraße als einzig wirksames Mittel galt.

Den Anwohnern blieb nichts anderesübrig, als sich zu arrangieren. Wer rei-sen wollte und es sich leisten konnte,stieg von der Kutsche auf die Eisenbahnum, deren Rauchwolke, verglichen mitdem Straßenstaub, nicht weiter störte.An der Wende zum 20. Jahrhundertkamen dann die Automobile, die denBesitzern schnelleres Reisen, den Stra-ßen aber neue Staubrekorde bescher-ten. Viele Ballungszentren behandeltendamals die Fahrbahnen bei Staubwet-terlage mit Antistaubit, einem Binde-mittel aus Magnesiumchlorid und Wasser, deren reinlicher Chlorgeruch in Werbebroschüren gerühmt wurde.Andere verwendeten Sulfitzellulose, die bei der Papierherstellung anfiel.Erst nach und nach wurden Verfahrenmarkttauglich, bei denen Teer undAsphalt den Abrieb dauerhaft verrin-gerten. Der Einsatz von Staubklebemit-teln kommt übrigens wieder in Mode,wie im vergangenen Winter in derPresse bekannt wurde. Verwendet wirdinzwischen Magnesiumazetat. Dasriecht nicht mehr nach Chlor, sondernnach Essig.

Kai Naumann

Moderne Technik im Einsatz gegen die Staubplage:Sprengautomobil Nr. 1 der Königlich Württember-gischen Straßenbahnverwaltung.Vorlage: Landesarchiv StAL EL 20/4 IIIa Nr. 337

Werbebroschüre von 1909 für Antistaubit, ein Ab-fallprodukt bei der Kaliherstellung zur Schaffungstaubfreier Straßen für die Dauer von zwei Wochen.Vorlage: Landesarchiv StAL E 166 Bü. 5781 Qu. 111

Staubige GeschichteVom Umgang mit Partikelemissionen im Verkehr des 19. Jahrhunderts

Die Bestände zum Straßenbau sind imStaatsarchiv Ludwigsburg weitgehendonline verfügbar:Bestand E 166 ff. unter http://www.landesarchiv-bw.de/plink/? f=2-6097und Bestand F 221 ff. unterhttp://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=2-12042.

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Eine Abtheilung des großen Treibhausesenthält Pflanzen vom Cap; sind diese indie freie Luft versetzt, so werden dieRäume zur Pflege von Seidenwürmern benutzt, von welchen in guten, nicht zu nassen Jahren, (denn Feuchtigkeit ist die größte Feindin der Seidenwürmer,) 12 bis 15 Pfund gelber und weißer Seidegewonnen werden. Sie wird an Seiden-fabriken verkauft. Eine große Anlage vonweißen Maulbeerbäumen liefert die Nah-rung für die Seidenwürmer; daß die ausihnen erzielte Seide für gut und fein gilt,geht daraus hervor, daß ein Stück schwar-zen aus ihr verfertigten Sammts den Bei-fall der Kenner gewonnen hat.Dies schreibt Georg Fürst zu Löwen-

stein-Wertheim-Freudenberg (1775–1855) in einem von ihm 1847 anonymveröffentlichten Reiseführer über dieStadt Wertheim und ihre Umgebung.Was dahinter steht, wird erst klar, wennman sich die Quellen dazu im Archiv-verbund Main-Tauber ansieht. DasTreibhaus, von dem er schreibt, stand imEichler Hofgarten beim Sommerschlossder Fürsten zu Löwenstein, das heute alsMuseumsdependance und Kulturzen-trum genutzt wird. Die Maulbeerbäumestanden auf Äckern neben dem Hofgar-ten, wo sich heute ein ausgedehntesWohnquartier von Wertheim befindet.Doch warum beschäftigte sich der Fürstmit der Seidenraupenzucht? Sie warkostspielig. Das geht aus den Rechnun-gen seiner Generalkasse hervor. Für diePflege der Tiere wurde eigens eine Frauaus Ludwigsburg in Dienst genommen,die mit ihrer Zucht und der Behandlungvertraut war. Die Ausbeute im ersten

Jahr war trotz widriger Wetterumständegar nicht mal so schlecht.Das Motiv der Fürsten wird klar, wenn

man sich mit seinem Umfeld und derZeit beschäftigt, in der er lebte. Durchdie neue Grenzziehung Napoleons undder zeitgleichen Mediatisierung der Fürsten zu Löwenstein Anfang des 19.Jahrhunderts war Wertheim an den nörd-lichsten Zipfel Badens gerückt. Um dieErtragslage der Bevölkerung zu verbes-sern, widmete sich der Fürst auch derFörderung der Landwirtschaft. Als Prä-sident des Landwirtschaftlichen Kreis-vereins Wertheim, dem er seit dessenGründung Anfang der 1830er-Jahre vor-stand, kannte er sicher die einschlägigeLiteratur. Dennoch schlief die Seiden-raupenzucht wegen Unrentabilität inWertheim wieder ein. Lediglich im so-genannten Dritten Reich erlebte sie einekurze Renaissance, als es darum ging,Fallschirmseide zu produzieren, unddafür die Schulen eingespannt wurden.Aus dem ersten Erzeugnis wurde üb-

rigens in einer Seidenfabrik in derSchweiz ein schwarzer Samtstoff produ-ziert. Um damit beim neuen SouveränGroßherzog Leopold Ehre einzulegen,schenkte Fürst Georg die Hälfte diesesStoffs Großherzogin Sophie von Baden.Den anderen Teil verehrte er seinerzweiten Gemahlin Fürstin Charlotte(1803–1874) zum Weihnachtsfest. Dieseließ sich davon ein Kleid anfertigen, das sie nur bei besonders festlichen Ge-legenheiten trug und in dem sie 1874auf eigenen Wunsch beigesetzt wurde.

Martina Heine

Zur Hebung der LandwirtschaftEin kostspieliger Versuch

Georg Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg,geboren am 15. November 1775 in Wertheim, dortgestorben am 26. Juli 1855.Vorlage: Landesarchiv StAWt R S 23 Nr. 305

Charlotte Fürstin zu Löwenstein-Wertheim-Freu-denberg geb. Gräfin zu Ysenburg und Büdingen in Philippseich, geboren am 25. Juni 1803 in (Drei-eich-)Philippseich, gestorben am 11. März 1874 inFrankfurt am Main.Vorlage: Landesarchiv StAWt R S 23 Nr. 307

Gestell für Seidenraupenhaltung aus Neue Seiden-Manufactur von Christoph Isnard, Kupferstich,Dresden 1693.Vorlage: Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Inventar-Nr.Technol.B.483 zwischen S. 78 und 79 / Deutsche Fotothek, Dresden

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entstehen soll, der Abriss von Teilen desalten denkmalgeschützten Hauptbahn-hofs und nicht zuletzt die Eingriffe inTeile des Stuttgarter Schlossgartens. Kritisiert wird vor allem, dass für denBahnhofsumbau zahlreiche Bäume ge-fällt werden müssen und in diesem Zusammenhang Bestände des seltenenJuchtenkäfers gefährdet werden.Es ist freilich nicht das erste Mal, dass

das Gelände des Stuttgarter Schloss-gartens umgestaltet wird, und es istebenfalls kein Novum, dass in diesemZusammenhang ökologische Fragen dis-kutiert werden. Wer sich für solche

Konflikte interessiert, kann in den Aktendes Landesarchivs, etwa im Schriftgutder Bahndirektion oder ehemaliger Hof-behörden wie der Bau- und Garten-direktion Stuttgart oder dem Obersthof-meisteramt, reichhaltiges Anschauungs-material finden.Tatsächlich war man sich schon vor

dem Bau des heutigen Bahnhofs be-wusst, dass der Baumbestand im Schloss-garten eines besonderen Schutzes be-darf. Als man Anfang des 20. Jahrhun-derts plante, im Unteren Schlossgarteneinen städtischen Tierpark einzurichten,sprach sich die Königliche Kronguts-

Kein Bauprojekt hat in den letzten Jah-ren für so viel Aufregung in der baden-württembergischen Landeshauptstadtgesorgt wie der Umbau des StuttgarterHauptbahnhofs zu einem unterirdi-schen Durchgangsbahnhof. Die Bevöl-kerung, die zu Zehntausenden gegen das Projekt auf die Straße geht, nimmtnicht nur an den hohen Baukosten, denRisiken der Tunnelbauarbeiten in derInnenstadt und den unzureichenden Ka-pazitätsberechnungen für den neuenBahnhof Anstoß. Für Streit sorgen auchdie Gestaltung des neuen Stadtviertels,das auf dem ehemaligen Gleisgelände

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Umweltprobleme im Stuttgarter SchlossgartenEin Dauerbrenner

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Archivnachrichten 42 / 2011 27

damals die Singvögel, für deren Bestandsich insbesondere der Verein der Vogel-freunde in Stuttgart einsetzte. Um dieSingvögelbrut zu schützen, wurden Be-dienstete der Bau- und Gartendirektionbeauftragt, Tiere abzuschießen, die demSingvogelbestand gefährlich werdenkonnten. Den halbjährlichen Abschuss-berichten ist zu entnehmen, dass damalsnicht nur Ratten, Katzen und Raben im Schlossgarten gejagt wurden, sondernauch Eichhörnchen und Wiesel sowieSperber und sogar Eulen. Anders alsheute war der Schlossgarten zu Beginndes 20. Jahrhunderts noch keine rein innerstädtische Grünfläche, sondernmarkierte die Grenze zur offenen Land-schaft. Die damals ergriffenen Maßnah-men zum Schutz bestimmter Vogelartenzeigen sehr anschaulich, wie sich im Bereich des Tierschutzes die Kriterienüber die Schutzwürdigkeit einzelnerTierarten verändert haben. Am Umgangmit Flora und Fauna in innerstädtischenGrünflächen lässt sich so sehr gut nach-vollziehen, welchen Wandlungen dasVerhältnis von Mensch und Umwelt imLauf der Jahrhunderte unterworfen war.Die Akten über den Stuttgarter Schloss-garten haben es auch deshalb verdient,für die Nachwelt erhalten zu werden.

Peter Müller

verwaltung, die bereits Teile des Rosen-steinparks und des Unteren Schloss-gartens an die Eisenbahnverwaltung fürden Bahnhofsneubau abgetreten hatte,mit Rücksicht auf den Baumbestand ve-hement dagegen aus, weiteres Geländefür einen solchen Zweck zur Verfügungzu stellen. Im Zusammenhang mit demNeubau des heutigen Bahnhofs und der zugehörigen Gleisanlagen hatte manüberdies Maßnahmen zum Schutz desParkgeländes und seiner Vegetation vorder zu erwartenden Rauchentwicklungverlangt. Welcher Stellenwert auch inder Folgezeit dem Schutz der Bäume imUmfeld des Bahnhofs beigemessenwurde, zeigte sich während des ZweitenWeltkriegs, als im Parkgelände vor demSüdeingang Löschteiche und Splitter-gräben angelegt wurden. Selbst unterKriegsbedingungen und angesichts dro-hender Luftangriffe musste sich dieReichsbahndirektion im Pachtvertragverpflichten, in diesem Zusammenhangkeine Baumfällungen vorzunehmen und etwaige durch die Baumaßnahmenverursachten Schäden am Baumbestandzu ersetzen.Aber nicht nur um die Flora, sondern

auch um die Fauna im Unteren Schloss-garten machte man sich schon vor 100Jahren Sorgen. Ist es heute vor allem der seltene Juchtenkäfer, der die Natur-schützer auf den Plan ruft, so waren es

1 | Lageplan von altem und neuem Bahnhof sowiedes Schlossgartens in Stuttgart, 1906.Vorlage: Landesarchiv StAL E 79 II Bü. 820

2 | Lageplan zweier Feuerlöschteiche im StuttgarterSchlossgarten, 1942.Vorlage: Landesarchiv StAL FL 405/5 Bü. 968 Qu.38 a

3 | Skizze über das Auftauchen von Nachtigallen imStuttgarter Schlossgarten, 1901.Vorlage: Landesarchiv StAL E 19 Bü. 676 Qu. 19

4 | Der Stuttgarter Hauptbahnhof von der Parkseite(Südwesten), um 1940.Vorlage: Landesarchiv StAL K 414 Nr. 106

4

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wirtschaftlichen Erfolg von Rheinfel-den nicht entstanden. Rheinfeldenverkörperte zugleich den Ertrag derlangen technischen Zusammenarbeitzwischen Baden und der Schweiz.Aus der Schweiz kamen auch die er-

sten Initiativen zum RheinfeldenerKraftwerksbau, und Schweizer Fotogra-fen waren es, die die Geschichte derGroßbaustelle in Bildserien festhielten.Ihre Detail- und Panoramaaufnahmenentsprachen der Technikbegeisterungdes ausgehenden 19. Jahrhunderts;immer waren die Fotos zugleich zurDokumentation wie zur Repräsenta-tion bestimmt. Der badische Staat, indiesem Fall die beteiligten Ministerienund die Großherzogliche Oberdirek-

tion des Wasser- und Straßenbaus, pro-duzierte daher nicht nur meterweiseAkten zum grenzüberschreitenden Projekt, sondern legte auch Fotosamm-lungen an, die die technische Groß-leistung ins rechte Licht rückten. Teiledavon haben den Zweiten Weltkriegüberdauert und sind heute Archiv-bestände. In Bestand GLAK 425 F fin-det sich vor allem die Fotoserie der medaillengesättigten Gebrüder Köllaaus den Ateliers in Brugg sowie Thunund Bern. Zwischen Juli 1895 und Juni1899 fotografierten sie – zum Teil inMonatsabständen, oft vom selbenStandpunkt aus – den unberührtenFluss mit seinen Stromschnellen unddie fertige Schlossarchitektur des Tur-

Rheinfelden rückwärtsFotoserien zum ehemaligen Wasserkraftwerk, einmal umgedreht

Am 3. November 2010 begann der Ab-bruch des Wasserkraftwerks Rhein-felden von 1899, ältestes großes Fluss-kraftwerk in Europa und ein Pionier-baus der nachhaltigen Stromgewinnung.Die Kennzeichnung als Denkmal be-sonderer Bedeutung war misslungen.Strom aus Wasserkraft wurde in Deutsch-land zwar nicht in Rheinfelden (Baden),sondern 1883 in Triberg im Schwarz-wald zum ersten Mal erzeugt. Für diebadische Elektrizitätsgeschichte bedeu-tete Rheinfelden aber den triumphalenAuftakt. Die großen Kraftwerke derZwischenkriegszeit, das Murgkraftwerkab 1914 mit der Schwarzenbachtal-sperre 1922–1935 und die Schluchsee-kraftwerke ab 1928 wären ohne den

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Generatorenhalle herstellte. Sprenghatte sich als Einwanderer in (Bad)Säckingen niedergelassen und den Titeleines badischen Hoffotografen erwor-ben. 1899 war er bereits in die Metro-pole Basel umgezogen; sein berühmtererSohn Robert übernahm das Atelier.Sprengs Aufnahmen bestechen durchLichtwirkung und Plastizität bei Raumund Maschinen, sie repräsentieren die Perfektion der Fotografie der Jahr-hundertwende.

Konrad Krimm

binengebäudes. Wie oft bei Industrie-aufnahmen dieser Zeit erstarrt die Bau-stelle im Moment der Aufnahme. Die Arbeiter müssen stillstehen, meistposieren sie auch in Reih und Glied,und da die Baustelle groß ist, haben wiruns wohl ein Hornsignal oder Ähnli-ches für den Fotoakt vorzustellen.Trotzdem bleibt noch genug Realitätübrig: die Gerüst- und Steintechnik, dieHandarbeit – außer Transportlokomo-tiven sind fast keine Maschinen zusehen –, das Stehen im Schlamm, dieKleidung der Arbeiter und der Inge-nieure, die Gesichtszüge.Auf Hochglanz getrimmt ist dagegen

die Serie, die der Deutschschweizer Robert Spreng 1899 von der fertigen

Fotografien aus der Mappe „Kraftübertragungs-werke Rheinfelden“.Aufnahmen: Robert Spreng 1899 (1), GebrüderKölla 1895–1898 (2–12). Vorlagen: LandesarchivGLAK 425 F Nr. B 422

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Als sich die Erde auftatFotografien zum Erdbeben auf der Zollernalb 1911 entdeckt

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Erdbeben gehören zu den Naturkatastro-phen, die die Menschen auf der ganzenWelt regelmäßig erschüttern und dieAufmerksamkeit der Medien auf sichziehen. Zuletzt waren es die Erdstöße auf Haiti, die mehrere HundertausendOpfer forderten und immense Sach-schäden verursachten. Unsere Region giltgemeinhin als relativ erdbebensicher. Ein Blick in die Geschichte lehrt aller-dings, dass es auch in Baden-Württem-berg bereits Erdbeben gab, die größereSchäden verursachten. Eines der stärks-ten Beben in der jüngeren Vergangenheitereignete sich am 16. November 1911.Sein Epizentrum lag bei (Albstadt-)Ebingen im Bereich der Zollernalb; miteinem gemessenen Wert von 6,1 auf derRichterskala gehörte es bereits zu denstärkeren Erdbeben. Todesopfer hat dieseNaturkatastrophe zwar nicht gefordert,

die Gebäudeschäden waren aber immens.Auswirkungen des Bebens waren nichtnur auf der Schwäbischen Alb, sondernauch weit darüber hinaus zu spüren.Selbst in Stuttgart wurden noch Schädenan Gebäuden registriert.In der amtlichen Überlieferung, die in

den staatlichen und kommunalen Archi-ven verwahrt wird, haben sich über diesesEreignis vielfältige Quellen erhalten.Staatliche und kommunale Stellen warenmit der Feststellung und Beseitigung derSchäden befasst, beschäftigten sich mitMaßnahmen zur Minimierung von Risi-ken bei künftigen Beben und bemühtensich um eine Unterstützung der Geschä-digten. In den Beständen des Staats-archivs Ludwigsburg findet sich unterden Akten der Königlichen Naturalien-sammlung beispielsweise ein Berichtüber die Schäden, die die Erschütterun-

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gen an Vitrinen und Schränken, aberauch an Ausstellungsobjekten verursachthatten. Die Zentralleitung des Wohltätig-keitsvereins zahlte Unterstützungen anGeschädigte im Bezirk Balingen; auchdiese sind in den Akten des Vereins minu-tiös dokumentiert. Und staatlicherseitsbeschäftigte man sich nach dem Erd-beben mit der Standfestigkeit verschiede-ner Gebäudetypen und der Beseitigungvon Schäden durch einen Erdrutsch bei (Albstadt-)Margrethausen. Bislangwar nicht bekannt, dass in diesem Zu-sammenhang auch eine ganze ReiheFotos von Erdbebenschäden angefertigtwurden. Erst im Zuge eines Forschungs-projekts des Deutschen Geoforschungs-zentrums in Potsdam wurden die damalsgemachten Aufnahmen wiederentdeckt.Es handelt sich zum einen um Fotogra-fien des Erdrutschs bei (Albstadt-)Mar-

grethausen in den Akten der Ministeri-alabteilung für den Straßen- und Wasser-bau (Bestand E 166) und zum anderenum Aufnahmen des Schulhauses in (Albstadt-)Lautlingen und der Kirche in (Balingen-)Dürrwangen, die einem Bericht des Oberamts Balingen an dieMinisterialabteilung für das Hochbau-wesen (Bestand E 165 II) beigefügt wur-den. Die Fotografien dokumentierennachdrücklicher als die zahlreichenschriftlichen Berichte das Ausmaß dieserNaturkatastrophe und belegen damitgleichzeitig, dass man sich auch bei unsfür solche Fälle wappnen sollte. Die be-merkenswerten Bilddokumente wurdenzwischenzeitlich digitalisiert und könnenim Internet über das Onlinefindbuch der beiden Bestände abgerufen werden.

Peter Müller

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1 | Erdrutsch bei (Albstadt-)Margrethausen, auf-genommen im Januar 1912.Vorlage: Landesarchiv StAL E 166 Bü. 8154

2 | Erdbebenschäden in der Kirche von Dürrwangenbei Balingen nach dem Erdbeben von 1911.Vorlage: Landesarchiv StAL E 165 II Bü. 156

3 | Mauerrisse im Schulhaus von (Albstadt-)Laut-lingen nach dem Erdbeben von 1911.Vorlage: Landesarchiv StAL E 165 II Bü. 156

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Kontinuität und AufbrauchJahresbericht des Landesarchivs Baden-Württemberg für 2010

lich auch im digitalen Zeitalter eine zen-trale Aufgabe des Landesarchivs. Die seitüber fünfzehn Jahren bestehende undseitdem kontinuierlich fortentwickelteNotfallvorsorge wurde 2010 weiter opti-miert. Bei zwei kleineren Wassereinbrü-chen im Generallandesarchiv Karlsruhe,die bestens bewältigt wurde, hat sich dieNotfallorganisation des Landesarchivsbewährt. In Karlsruhe haben sich 2010mehrere Institutionen, die schriftlichesKulturgut verwahren, zu einem Notfall-verbund zusammengeschlossen, inStuttgart wurde ein Arbeitskreis aus ver-schiedenen kulturellen Einrichtungengebildet. Bei den vielfältigen Aktivitäten des

Landesarchivs in der Bildungsarbeit istdie zunehmende Nachfrage nach Füh-rungen, insbesondere seitens der Schu-len, herauszuheben; sie hat sich in15.322 geführten Personen, von denen4.366 Schülerinnen und Schüler waren,niedergeschlagen. Letztmalig wurde inStuttgart die Wanderausstellung zu demFreiburger Bildjournalisten Willy Prag-her (Brechungen. Rumänische Bildräume1924–1944) eröffnet, die gemeinsam mitdem Institut für donauschwäbische Ge-schichte und Landeskunde in Tübingenerarbeitet worden war und seit 2007 aufinsgesamt 18 Stationen in Deutschland,Rumänien, Österreich und der Ukrainewie auch in der LandesvertretungBaden-Württemberg in Brüssel gezeigtwurde. Die fachliche Zusammenarbeitmit der rumänischen Archivverwaltungund dem Institut setzte sich fort mitdem Projekt Sicherung und Erschließungvon Unterlagen siebenbürgischer Archiv-

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der strategischen Ausrichtung des Lan-desarchivs zu berücksichtigen ist.Für den Aufbruch stehen drei neue Vor-haben, mit denen das Landesarchiv 2010von der Landesregierung beauftragtwurde. Zum einen hat der Ministerratgrünes Licht für den Aufbau des Digita-len Landesarchivs Baden-Württemberggegeben, damit es im Regelbetrieb ge-nuin digitale Unterlagen von bleiben-dem Wert sichern kann. Zum zweitenbaut das Landesarchiv gemeinsam mitdem Justizministerium ein Grundbuch-zentralarchiv auf, wozu auch ein elektro-nisches Grundaktenarchiv gehört. Undzum Dritten soll es bis zum Jahr 2012, indem das Land Baden-Württemberg sei-nen 60. Geburtstag feiert, ein landes-kundliches Informationsportal für denSüdweststaat präsentieren. Mit dem Pro-jekt LEO – Landeskunde entdecken, erle-ben, erforschen online entsteht ein ver-netztes Informationssystem, das imDauerbetrieb allen landes- und ortsge-schichtlich Interessierten eine zentraleRechercheplattform bieten wird. Staatliche Archive als landeskundlicheKompetenzzentren in Geschichte und Ge-genwart lautet der Titel einer Publika-tion, die Professor Dr. Volker Rödel, demlangjährigen Leiter des Generallandesar-chivs Karlsruhe in einer Feierstunde zuseiner Verabschiedung – Wissenschafts-minister Prof. Dr. Peter Frankenberg undviele andere würdigten seine Arbeit –überreicht wurde. Der Wandel, der sichfür das Landesarchiv im digitalen Zeital-ter ergibt, wird darin deutlich. Die Erhaltung seiner Bestände und ihrSchutz in sicheren Magazinen bleibt frei-

Das Jahr 2010 war einerseits von Konti-nuität, andererseits aber auch von einembesonderen Aufbruch geprägt, der mitneuen Vorhaben verbunden ist. Kontinuität wurde gewahrt, indem

mittelfristige Programme weiterhin um-gesetzt wurden, deren Zielsetzungen dasLandesarchiv seit Jahren konsequentverfolgt. Um systematisch Rückstände inder Erschließung und Erhaltung von Ar-chivgut abzubauen, wurde wiederumder Anteil der verzeichneten und kon-servatorisch behandelten Bestände deut-lich erhöht. Wie aus der nebenstehendenStatistik des Landesarchivs ersichtlich,stehen 1.542 laufenden Regalmetern, diedas Landesarchiv 2010 als Zugang neuübernommen hat, 3.290 fachgerecht ver-packte Regalmeter gegenüber. In nochstärkerem Maße konnte bei der Erschlie-ßung aufgeholt werden: 2010 wurden5.745 Regalmeter erschlossen. Erreichtwurde auch das Ziel, den Anteil der imNetz zugänglichen Findmittel zu stei-gern; lag er im Vorjahr noch bei 36,8 %,so konnte er – nicht zuletzt dank deslaufenden Förderprogramms der Deut-schen Forschungsgemeinschaft – zum31. Dezember 2010 auf 40,5 % erhöhtwerden. Diese Fortschritte spiegeln sichauch in den Zugriffen auf die Internet-Seiten des Landesarchivs: Hier wurdenbei den Informationsangeboten 28,4 Mil-lionen Aufrufe gezählt, davon 21 Millio-nen bei den Findmittelseiten. Markantist das nachhaltige Interesse an den digitalisierten südbadischen Standes-büchern, die 2009 in das Netz gestelltwurden; es belegt anschaulich die Nach-frage nach solchem Archivgut, was bei

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bestände mit deutschen Bezügen in derKreisdirektion Klausenburg des rumäni-schen Nationalarchivs. Einen würdigen Abschluss fand die

Kreisbeschreibung mit der Vorstellungder beiden Bände Der Landkreis Heil-bronn, die in gewohnter Weise auf großeNachfrage stießen. Daneben hat dasLandesarchiv 2010 sechs weitere Veröf-fentlichungen vorgelegt, mit denen essich vor allem an der archivischen Fach-diskussion beteiligt, aber auch histori-sche Überlieferung vermittelt. Zum Jahresende hat das Landesarchivdie Sparauflage erfüllt, die ihm mit derVerwaltungsstruktur-Reform von 2005auferlegt worden war, und insgesamt 33Stellen eingespart. Dass es trotz dieserRahmenbedingung in den letzten Jahrenseine Aufgaben und die neuen Heraus-forderungen erfolgreich bewältigt hat,ist vor allem dem hohen Einsatz allerseiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterzu verdanken. Dafür und für die erfreu-liche Gesamtbilanz 2010 sei ihnen noch-mals herzlich gedankt. Die eingangs be-schriebenen Fortschritte bei der Er-schließung und Verpackung konntenfreilich nur erzielt werden, indem wei-terhin in starkem Maße Möglichkeitenbefristeter Arbeitsverhältnisse genutztwurden. Nicht zuletzt sei hier auch dem Ministe-rium für Wissenschaft, Forschung undKunst Baden-Württemberg für vielfacheUnterstützung und die stets vertrauens-volle Zusammenarbeit im Alltag einherzlicher Dank ausgesprochen.

Robert Kretzschmar

Das Landesarchiv in Zahlen

Das Wesentliche auf einen BlickGesamtumfang des Archivguts am 31. Dezember 2010 (in Regalmetern) 143 143Urkunden (Stück) 311 518Karten, Pläne (Stück) 338 625Bilder (Stück) 1 098 499Gespeicherte elektronische Unterlagen (Datensätze) 77,7 MioAuslastung der Magazine (in Prozent) 93,2Zu betreuende Registraturen 2654Erschlossenes Archivgut (Findmittel leicht zugänglich) 86,7%In online verfügbaren Findmitteln erschlossenes Archivgut (in Prozent des Gesamtumfangs) 40,5Digitalisate von Archivgut im Internet (Images) 1 078 280Zahl der Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter (Stand: 31. Dezember 2010) 183

Unsere Leistungen im Jahr 2010Nutzungen 11 380Vorgelegte Archivalien 75 581Abgegebene Reproduktionen 340 129Schriftliche Auskünfte der Archivabteilungen 6572Online-Zugriffe auf Informationsangebote (in Millionen) 28,4davon Zugriffe auf Findmittelseiten (in Millionen) 21

Neu hinzugekommenes Archivgut (in Regalmetern) 1542Fachgerecht verpackte Archivalien (in Regalmetern) 3290Erschlossenes Archivgut (in Regalmetern) 5745Ausstellungen und Präsentationen 27Besucher bei Ausstellungen und Präsentationen 56 838Führungen 543Geführte Personen 15 322davon Schülerinnen und Schüler 4366

Der vollständige Jahresbericht mit den ausführlichen Berichten der einzelnenAbteilungen und weiteren statistischen Daten findet sich auf der Website des Landes-archivs (www.landesarchiv-bw.de) unter „Das Landesarchiv –> Jahresberichte“.

Prof. Rödel und Präsident Prof. Kretzschmar bei derÜbergabe der Publikation in der Feierstunde

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In Projekt Papier-Grundbuchzentral-archivmuss u.a. in relativ kurzer Zeit dieÜbernahme und Einlagerung der Grund-buchunterlagen in einem Gebäude bewerkstelligt werden, ein erheblicherlogistischer Aufwand. Dabei sind hoheSicherheitsbestimmungen zu erfüllen,liegen doch in den Grundakten die Dokumente, auf deren Basis die rechts-verbindlichen Einträge ins Grundbucherfolgen. Der elektronische Teil der Grundakte,

der künftig anfallen wird, muss ebenfallsdauerhaft gesichert werden. Dies erfolgtin einem gesonderten Bereich des Digi-talen Landesarchivs. Mit der seit Juli2006 im Echtbetrieb befindlichen Ent-wicklung DIMAG ist das Landesarchivbundesweit Vorreiter bei der Archivie-rung digitaler Unterlagen. Dieses Know-how kommt nun den Grundakten zuGute. Das Digitale Grundaktenarchivgewährleistet, dass elektronische Grund-akten auch in 50, 60 oder mehr Jahrennoch abruf- und vor allem lesbar seinwerden. Wer je versucht hat, ältere Da-teien von einem System auf ein andereszu übertragen, kann sich den enormenAufwand vorstellen, der dort anfallenwird.Grund währt ewig – so lautet ein altes

Sprichwort. Doch was wären Grund und Boden ohne die rechtsgültigenNachweise über deren Besitz? Das Lan-des archiv – vielen eher als kulturelleund historische Einrichtung bekannt –hält diese wichtige Überlieferung dauer-haft zugänglich und leistet damit einen Beitrag für die Rechtssicherheit imLand.

Michael Aumüller

Wer schon mal ein Haus gebaut odereine Wohnung gekauft hat, der kenntden Weg zum Notar, die Überprüfungder Grundakten und schließlich denEintrag ins Grundbuch. Künftig bleibtdas alles gleich und wird doch völlig an-ders. Im Rahmen einer Grundbuch- undNotariatsreform werden die zur Zeit 665baden-württembergischen Grundbuch-ämter und grundbuchführenden No-tariate bis Ende 2017 landesweit bei elfAmtsgerichten zusammengeführt.Mit der Auflösung der bisherigen

Standorte erfolgt gleichzeitig ein Me-dienbruch: Die Papiergrundakte wirdder Vergangenheit angehören, die Zu-kunft gehört der elektronischen Grund-akte. Damit wird gewährleistet, dasskünftig vor Ort überall im Land die Bürger die Möglichkeit haben, via Com-puter Einsicht in die Grundbücher undGrundakten zu erhalten. Der Vorteilliegt auf der Hand: Mussten Bürger zuweilen warten, bis die entsprechendenUnterlagen aus der Registratur geholtwurden, genügt nun ein Knopfdruck. Da eine Digitalisierung sämtlicher

Grundakten aber zu teuer kommenwürde, bleibt die bisherige Papierakte –u.a. zur Sicherung von Rechten – erhal-ten und wird elektronisch fortgeführt.Doch wohin mit dem Papier? Dass dieskeine banale Frage ist, zeigt allein dieMenge: Aneinander gereiht liegen der-zeit rund 180 Kilometer Unterlagen bei den Ämtern, die Wagenladung vonknapp 3.000 7,5-Tonnern. Es lag für dasLandesarchiv Baden-Württemberg aufder Hand, in diesem Großprojekt die ar-chivfachliche Einlagerung, den Erhaltund die Zugänglichmachung von analo-gem und digitalem Schriftgut zu über-nehmen.

„… Grund währt ewig“Das Landesarchiv richtet das Grundbuchzentralarchiv und das Digitale Grundaktenarchiv ein

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Das Vermessungswesen Baden-Würt-tembergs hat in den letzten 20 Jahreneinen fundamentalen Umbruch erlebt,an dessen Endpunkt inzwischen nahezualle kartografischen Informationen derGegenwart in digitaler Form vorliegen.Diese Entwicklung nutzt Wirtschaftund Privatleuten, aber auch den Behör-den, da diese Geobasisdaten vom Lie-genschaftskataster über digitale Luft-bilder bis hin zur topografischen Kartefür Geoinformationssysteme (GIS) stetsaktuell verfügbar sind. Ob ein Spielplatzgeplant wird oder eine Gewässerrena-turierung, ob die Polizei ein Täterprofilerstellt oder der Notar einen Haus-kauf abwickelt, überall sind Geobasis-daten im Spiel. Mit ihnen nimmt dasLand derzeit Lizenzgebühren in Höhevon 7,5 Millionen Euro ein.Für die staatlichen und kommunalen

Archive galt die Erhaltung von Geo-daten lange Zeit als besondere Heraus-forderung. Insbesondere der Speicher-

bedarf schien Dimensionen zu haben,die den Sachmitteletat sprengen wür-den. Die erfreuliche Entwicklung beiden Speicherkosten hat jedoch inzwi-schen manche Befürchtung zerstreut,und einige Archive können inzwischenauf mehrjährige Erfahrung mit digita-len Objekten von der Datentabelle biszur Webseite zurückblicken.Die Vermessungsverwaltung sieht

für die Archivierung Handlungsbedarf,weil derzeit nur ein Bruchteil der Datenhistorisiert ist. Wenn ein Waldstück gerodet oder eine Straße verlegt wird,wird diese Änderung und der vorigeZustand auf der Ebene der Systeme nurteilweise aufgezeichnet. Spätestens wenndie zugehörigen Akten nach einigenJahrzehnten zur Vernichtung freigege-ben sind, ist das damalige Verwaltungs-handeln schwer rekonstruierbar. AufWunsch des Landesamts für Geoinfor-mation und Landentwicklung (LGL)wurde deshalb zusammen mit dem

Landesarchiv eine Arbeitsgruppe einge-richtet, die den bleibenden Wert der digitalen Geodatenbestände bestimmenund den Turnus der Übernahme solcherBestände in das Landesarchiv festlegensoll. An pilothaften Datenbeständen soll zudem die Übernahme und Aufbe-reitung für die Lagerung und spätereNutzung erprobt werden.Auch mit Papier, Pergamin und foto-

grafischen Trägern wird sich die Ar-beitsgruppe beschäftigen. Durch dieausschließlich digitale Führung derFestpunkte, des Liegenschaftskatasters,der Luftbilder und der topografischenKarten entfällt in den Behörden der Rückgriff auf Karteien und Akten-bestände, die nun erfasst, eventuell restauriert und eingelagert werdenmüssen.

Kai Naumann

1 | Der Ortskern von Birkenfeld-Gräfenhausen als digitale Orthofotografie des Landesamts für Geo-information und Landentwicklung, www.lgl-bw.de.Aufnahme: Landesamts für Geoinformation undLandentwicklung Baden-Württemberg, Stuttgart

2 | Der Ortskern von Birkenfeld-Gräfenhausen als Katasterkarte im Format ESRI Shape, auf der mit den Umrissen der Wege, Grundstücke undHäuser Daten zu den Eigentümern und zur Funk-tion der Flächen verknüpft sind.Vorlage: Landesarchiv StAL EL 68 V Zugang 2010

Eine neue Generation KartenDas Landesarchiv sichert Geobasisdaten

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Ohren der Arbeitsgruppenmitgliedersehr verschieden klangen. Zunächst galtes daher, eine gemeinsame Terminologiezu erarbeiten als Grundlage für die wei-tere Verständigung. Bald konnten aucherste Objektarten übernommen werden.Heute liegt unter anderem mit dem Altlastenkataster ein Verzeichnis allerkontaminierten Böden im DIMAG.Auch die Hochwassergefahrenkarte, die Kartierung aller Biotope, die Nach-weise über alle Brunnen, Quellen, Wasserschutzgebiete, Abfallanlagen undkommunalen Kläranlagen sowie Ar-beitsdaten zum Arbeitsschutz und Immissionsschutz sind Archivalien ge-worden. Geworden sind sie dies abernicht von selbst. Vorausgegangen warenintensive Diskussionen über die unter-schiedlichen Möglichkeiten zur Bewer-tung, Aufbereitung, Erschließung undArchivierung dieser Objekte. Zu denzahlreichen Fragen kam auch die Über-legung, wie denn die übernommenenDaten mit den im Umweltinformations-

system befindlichen Ausgangsdaten ab-geglichen, also validiert werden können.Hier leistete das vom Landesarchiv entwickelte Programm IngestList guteDienste.Für die nächste Zeit hat sich die Ar-

beitsgruppe nun zwei Ziele gesetzt. Zunächst werden die erarbeiteten Be-wertungskriterien systematisch auf alleder über 100 Objektarten angewandt.Außerdem muss ein stabiles Verfahrengefunden werden, das die Anbietung,Bewertung und Übernahme dauerhaftsicherstellt. Dafür wird ein bereits ver-einbartes Set an geeigneten Metadaten-feldern in die zentralen Datenkatalogeder Umweltverwaltung eingearbeitet. Sie werden dieses Verfahren fest im Produktionsprozess der Landesanstaltfür Umwelt, Messungen und Natur-schutz verankern. Darüber hinaus sindweitere Absprachen und Konkretisie-rungen geplant.

Christian Keitel

Archivnachrichten 42 / 201136

In einer neuen WeltLandesarchiv und Umweltverwaltung erarbeiten Konzepte zur Archivierung von Umweltdaten

Entdeckt haben die Kolleginnen undKollegen aus der baden-württembergi-schen Archivverwaltung die neue Weltder digitalen Umweltdaten bereits Mitteder 1990er-Jahre. Schon damals warenerste Gespräche mit der Umweltverwal-tung geführt worden, und auch in denfolgenden Jahren riss der Gesprächs-faden nie ganz ab. Erst das Mitte 2006eingerichtete Digitale Magazin DIMAGmachte aber Übernahmen von Umwelt-daten und damit auch eine gemeinsameArbeitsgruppe möglich. Seitdem arbei-ten Vertreter beider Verwaltungen zu-sammen, um die in ihrer Größe schierunübersehbare Referenzdatenbank des Umweltinformationssystems Baden-Württemberg archivisch zu bewertenund in Auszügen auch zu archivieren.Zusammen arbeiten geht natürlich

nur, wenn sich die einzelnen Teilnehmerauch verstehen. Dabei hatte es zunächstzahlreiche Missverständnisse gegeben.Archivierung oder Objektart waren beispielsweise zwei Begriffe, die in den

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Archivnachrichten 42 / 2011 37

Seit 1988 werden verdächtige Grund-stücke, auf denen mit umweltgefährden-den Stoffen umgegangen wurde und vondenen Gefahren für Mensch oder Um-welt ausgehen könnten, systematisch aufSchadstoffe untersucht. Wie schlägt sichdieses Verwaltungshandeln in amtlichenUnterlagen nieder? Die wesentlicheÜberlieferung entsteht bei den Land-rats- sowie den Bürgermeisterämternder Stadtkreise. Dort werden Papier-akten zur Altlastensanierung geführt –zu jedem Grundstück eine Akte. Manfindet darin Fotografien zum Grund-stück, die einzelne Bearbeitungsschrittedokumentieren. Lagepläne, Gutachtenvon Sachverständigen zum Gefähr-dungsgrad sowie zur möglichen Be-hebung des Schadens sind darin ebensoenthalten wie Besprechungsnotizen mit zum Teil hochrangigen Gesprächs-partnern aus Politik und Wirtschaft.Zeitungsausschnitte und Messergebnisseerhöhen den Dokumentationswert dereinzelnen Akte.Neben diesen Einzelfallakten wird bei

der Landesanstalt für Umwelt, Messun-

gen und Naturschutz Baden-Württem-berg das elektronische Bodenschutz-und Altlastenkataster landesweit geführt.Welche Informationen, welche Datenwerden hier hinterlegt? Aufgeführt wer-den der Name der Gemeinde, zu der die Fläche gehört, eine automatisch vergebene Flurstücksnummer, die amts-gebräuchliche Bezeichnung der Fläche.In einem anderen Datenfeld ist eineSchlüsselliste für ehemalige Produktio-nen hinterlegt, die ursächlich für dieSchadstoffverschmutzung verantwort-lich sind – zum Beispiel Chemie, Holz,Metallverarbeitung, Militär. Der Wir-kungspfad der Altlast kann gleichfallseruiert werden. Wirkt diese beispiels-weise vom Boden ins Grundwasser odervom Boden in Pflanzen oder vom Bodendirekt auf den Menschen? Beweisniveaunennt sich ein Datenfeld, in dem derStand der Altlastenbearbeitung hinter-legt ist.Das Boden- und Altlastenkataster

ergänzt die Papierunterlagen sinnvoll, da in der Datenbank gezielte Abfragenund Auswertungen möglich sind.

Beispielsweise können Daten nach denUrsachen von Altlasten separiert werden.Des Weiteren eröffnen sich zahlreichestatistische Auswertungsmöglichkeiten.Die Übernahme der kompletten Daten-bank bietet zudem eine Grundsicherungaus der Gesamtheit zur Darstellungpraktisch aller Altlastenfälle in Baden-Württemberg sowie die Darstellung des Bearbeitungsstands zu bestimmtenZeitpunkten.

Jürgen Treffeisen

Von Bite und BytesDas elektronische Altlastenkataster dauerhaft gesichert

1 2

1 | In einem GIS-Programm erzeugte Karte mitpunktförmigen Altlasten- und Verdachtsobjekten im Stadtgebiet Karlsruhe 2007, zu jedem Punkt sindin der archivierten Datenbank textliche Angabenabrufbar, Kartenhintergrund NASA, NGA, USGS.Vorlage: Landesarchiv GLAK 518-1 Nr. 2

2 | Auswertung der Datenbankinhalte nach beliebi-gen Gesichtspunkten in handelsüblichen Office-Pro-grammen, geschwärzte personenbezogene Angaben.Vorlage: Landesarchiv GLAK 518-1 Nr. 2

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Späte Heimkehr von Kulturgut

bieten bei seiner Realisierung nicht nochHindernisse in den Weg legen wollte,wurde schließlich die Übergabe an dieDeutsche Botschaft in Paris vereinbart.Dies war möglich dank der bereitwilliggewährten wertvollen Vermittlung desPolitischen Archivs des AuswärtigenAmts. Das Bundesarchiv, das für die Au-ßenbeziehungen der Bundesrepublik inarchivischen Belangen zuständig ist, warinformiert. Nachdem die Übergabe andie Botschaft im Juni 2010 erfolgt war,fügte es ein günstiger Zufall, dass das ge-wichtige Päckchen Ende Juli vor Ortpersönlich abgeholt werden konnte. Der Typarsammlung sind nun wieder 22 Stücke eingefügt – ein unspektakulä-res happy end, über das man sich nichtnur im Generallandesarchiv freuen sollte!

Volker Rödel

Im November 2009 erreichte das General-landesarchiv Karlsruhe per E-Mail dieAnfrage eines Herrn aus dem GroßraumParis, ob man nicht Typare, also metal-lene Prägestöcke zum Herstellen vonSiegelabdrücken, vermisse. Es müsse sichdabei um Exemplare aus Baden handelnund er wolle sich von diesen Dingentrennen. Das Badische Landesmuseum,dem nichts dergleichen fehlte, hattediese Anfrage dankenswerterweise wei-tergeleitet. Da ihr Fotografien beigefügtwaren, konnte leicht festgestellt werden,dass es sich um in Verlust geratene Exemplare aus der Stempelsammlung U Sphragistik 1 handelte. Sie gehörtenzu deren älterem, 1908 verzeichnetenTeil mit mehr als 1000 Nummern, derTypare badischer Behörden nicht nurdes 19. Jahrhunderts, sondern auch ältere und solche von Regierungsstellen

von Territorien enthält, die 1803/1806 inBaden aufgegangenen sind. Für die beiRevisionen in jüngerer Zeit festgestelltenzahlreichen Verluste fand sich nun eineErklärung. Sie müssen mindestens teil-weise auf 1945 zurückgehen, als nachder Eroberung Karlsruhes durch franzö-sische Truppen bis zur Übergabe derStadt an die amerikanische Besatzungs-verwaltung Anfang Juli ein französischerMilitärstab im Dienstgebäude unterge-bracht war und dort kein ArchivbeamterZutritt hatte. Diese jenem Herrn mit-geteilte Vermutung fand sich durch An-gaben aus seiner Familie bestätigt, under war erfreulicherweise spontan zurRückgabe ohne weitere Bedingungenbereit.Da das Gewicht der vorwiegend aus

Stahl bestehenden Typare beträchtlichwar und man dem großzügigen Aner-

Archivnachrichten 42 / 201138

Aufnahme: Landesarchiv GLAK

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Archivnachrichten 42 / 2011 39

Wer schreibt, der bleibt, das ist altbekannt.Manchmal freilich mag diese Alltags-weisheit des Guten zu viel bewirken, bishin zu dem Punkt, wo es in ein Übel, indie förmliche Notierwut umschlägt. Geradezu epidemisch grassierte dieseSeuche im Dunstkreis des viel geschäfti-gen Freiherrn und nachmaligen GrafenJoseph Anselm von Adelmann (1728–1805). Einer seiner Kanzlisten musste sichdenn auch von einem Untertanen, demsogenannten Buttbauern, sagen lassen, er solle sich ein wenig in acht nehmen, dieBeamten thäten zu viel schreiben. Der Federfuchser freilich lachte nur über dieseMahnung des gesunden Menschenver-stands – und schrieb weiter, ungerührtund unermüdlich. Ebenso handeltenseine Kollegen, Vorgänger und Nachfol-ger. Das Ergebnis: 44 Regalmeter Schrift-gut, überliefert in einer Form, die einemUrteil aus dem Jahr 1746 überzeitlicheGültigkeit verlieh. Damals hatte es gehei-ßen, das adelmännische Archiv sei überalle massen confus und in der grösten Un-ordnung, es brauche erkleckliche Zeit,damit es der ohnumbgänglichen Noth-durfft nach registrirt, ein vollständiges Re-pertorium darüber begriffen, und in seinegehörige Ordnung und Richtigkeit gebrachtwerden könne.Dass der ohnumbgänglichen Nothdurfft

endlich doch noch genügt werden konnte,ist zum einen der 1993 erfolgten Hinter-legung des Archivs im Staatsarchiv Lud-wigsburg zu verdanken, zum andereneinem Erschließungsprojekt am zentralenBestand der bis ins frühe 16. Jahrhundertzurückreichenden Akten und Amtsbücher(PL 12 II), das nunmehr mit der Vorlageeines Onlinefindbuchs über 2000 Ein-heiten seinen Abschluss gefunden hat. Einfruchtbares Terrain für sozial- und kul-turhistorische Untersuchungen eröffnetsich damit vor allem der Regional-geschichte der Ostalb und der Adelsfor-schung – vor allem, aber nicht nur. Beachtliche Relevanz weit über die Regionhinaus besitzt besonders die schriftlicheProduktion des erwähnten Joseph An-selm, ein monströser, verschiedene Ak-tengruppen überwuchernder Nachlass, indem sich zentrale Persönlichkeitsmerk-male dieses wohl bedeutendsten Trägers

des Namens Adelmann widerspiegeln. Allein schon quantitativ: Wie wird wohlein Individuum beschaffen gewesen sein,dessen schriftliche Hinterlassenschaft zu gut drei Vierteln aus Prozess-, Anwalts-und sonstiger Streitkorrespondenz be-steht? Dass mit dem Grafen nicht gut Kir-schen essen war, bestätigt sich beim Blickin die Akten. Eine Fülle einschlägigerSelbstaussagen lässt an seiner mentalenDisposition keinen Zweifel. So erklärt ereinmal rundheraus, er wolle eher aufdenen Gräbern meiner Vor-Eltern sterben,als von meinen wohlhergebrachten Ge-rechtsamen nur ein Haar abzuweichen.Von da ist es nicht weit zu Verlautbarun-gen wie Bey mir trifft das Sprichwort ein,para bellum, ut habeas pacem. Den Ernstdieser Lebensanschauung besiegelte ermehrfach mit Blut, dem seiner Gegnerund seiner Milizionäre. Zum Verhängniswurde ihm schließlich ein Konflikt mitseinen Untertanen, der sich an der Ein-quartierung preußischer Truppen im Ge-folge des Basler Friedens entzündet hatte– ein farcenhaftes, gewissermaßen dersüdwestdeutschen Kleinwelt angepasstesSeitenstück zur großen Französischen Revolution. Nach neun Jahren heftigsterZankteufeleien vor dem Reichshofratwurden dem Grafen 1804 von der kaiser-lichen Kommission, die zur Beilegung der Streitigkeiten eingesetzt worden war,seine herrschaftlichen Befugnisse ent-zogen, um des lieben Friedens willen, der,das hatten die Kommissare inzwischenbegriffen, mit einem wie ihm nicht wirk-lich zu machen war.Aber auch jenseits von Joseph Anselm

hat der neu erschlossene Bestand einigeszu bieten. Mit Informationen über Fett-leibigkeit im Frühbarock – ein Adelmannbrachte es seinerzeit auf sieben Zentner! –wartet er etwa ebenso auf wie mit solchenüber die Wunderkuren des TeufelsbannersJohann Joseph Gaßner, mit detailliertenAuskünften über den von Nachwuchs-agrariern im Wintersemester 1833/34 an der Hohenheimer Hochschule zu pau-kenden Stoff ebenso wie mit liebesbrief-lichem Getändel zwischen Angehörigender administrativen und der industriellenElite des wilhelminischen Deutschland.

Carl-Jochen Müller

Joseph Anselm Graf Adelmann von Adelmanns-felden, geboren am 3. Juni 1728 in Abtsgmünd-Hohenstadt, gestorben am 25. Februar 1805 inAugsburg.Vorlage: privat

Akrostichon (Gedicht) zum Namenstag von JosephAnselm Graf Adelmann von Adelmannsfelden,1753.Vorlage: Landesarchiv StAL PL 12 II Bü. 1438

Wenn Beamte zu viel schreibenZum Abschluss der Erschließung des Schlossarchivs Hohenstadt

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Eine der Schmalseiten des Neuen Lusthauses, Feder-zeichnung von Carl Friedrich Beisbarth im Maßstab1 : 265, 1845.Vorlage: Landesarchiv HStAS GU 97 Nr. 136 No. 11

Markgraf Georg der Fromme von Brandenburg-Ansbach, geboren am 4. März 1484 in Ansbach,dort gestorben am 27. Dezember 1543, Großvatermütterlicherseits von Herzog Ludwig von Württem-berg, Bleistiftzeichnung von Carl Friedrich Beis-barth, 1845.Vorlage: Landesarchiv HStAS GU 97 Nr. 136 No. 18

Wilhelm (I.) Herzog von Urach Graf von Württem-berg, geboren am 6. Juli 1810 in Stuttgart, gestorbenam 16. Juli 1869 in Lichtenstein, mit dem von ihmerbauten Schloss Lichtenstein im Hintergrund, Stichvon Erich Correns, 1848.Vorlage: Landesarchiv HStAS M 703 Reihe 106 Nr. 1

Archivnachrichten 42 / 201140

Bisher unbekannte Ansichten des Neuen Lusthauses im Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Einst war es eines der bedeutendstenBauwerke der Renaissance in Deutsch-land, das 1584–1593 von Georg Beerunter Mitwirkung von Heinrich Schick-hardt erbaute Neue Lusthaus in Stutt-gart. Das Neue Lusthaus – in Abgren-zung zum Alten Lusthaus Herzog Christophs – enthielt im Inneren untereinem 14 Meter hohen Tonnengewölbeeinen großen Saal für Festlichkeiten,Opern- und Theateraufführungen. Heutekünden nur noch Fragmente und Ansichten vom inzwischen zerstörtenprachtvollen Bauwerk.Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart wur-

den nun bei der Erschließung des Ar-chivs des Hauses Urach (GU-Bestände),das dort als Depositum verwahrt wird,bisher unbekannte Ansichten undZeichnungen des Neuen Lusthauses ge-funden. Diese stammen vom Stutt-garter Architekten Carl Friedrich Beis-barth. Letzterer hatte 1845 vor demUmbau des Lusthauses zum König-lichen Hoftheater und der damit ver-bundenen Zerstörung eines Teils derBausubstanz das Bauwerk in sorgfältigausgeführten kolorierten Federzeich-

nungen aufgenommen, die jetzt in derUniversitätsbibliothek Stuttgart unterder Signatur Inv. Z. 102t liegen.Von diesen Zeichnungen fertigte Beis-

barth im Auftrag von Wilhelm (I.) Her-zog von Urach Graf von WürttembergKopien an, die in Bestand GU 97 Pläne,Risse und Zeichnungen zu Schloss Lich-tenstein im Hauptstaatsarchiv verwahrtwerden. Herzog Wilhelm (1810–1869),der Erbauer von Schloss Lichtenstein,war an Geschichte und KunstgeschichteWürttembergs sehr interessiert undhatte einige der Lusthausskulpturen,die Vorfahren von Herzog Ludwigs vonWürttemberg darstellen, vor demUmbau nach Schloss Lichtenstein ver-bringen lassen. Dort können sie nochheute bewundert werden. Die Anferti-gung der Kopien durch Beisbarth stehtsicher auch im Zusammenhang mitdieser Aktion Herzog Wilhelms. Mögli-cherweise ließ er die genannten Kopiendurch Beisbarth zeichnen, um rekons-truieren zu können, wo die Skulpturenangebracht waren.Unter den rund 25 Zeichnungen Beis-

barths in Bestand GU 97 finden sich

Grundrisse von Erd- und Obergeschossdes Lusthauses, Außenansichten desBaus, Ansichten der Giebel mit Stein-einteilung, ein Querschnitt durch dasLusthausgebäude, detaillierte Darstel-lungen von Ornamenten und Posta-menten der Säulen und Zeichnungenvon Skulpturen, die Vorfahren HerzogLudwigs zeigen. Sie geben einen Ein-druck von Bedeutung und Schönheitdes Neuen Lusthauses.Das umgebaute Lusthaus diente

1845–1902 als Hoftheater. 1902 wurdeder Bau bei einem Brand zerstört. Ge-bäudeteile des Neuen Lusthauses stehenheute im Städtischen Lapidarium. Beider Errichtung der Villa Berg um 1845wurden, einem Brief des ArchitektenChristian Friedrich Leins in BestandGU 20 Schloss Lichtenstein: Bau, Nut-zung und Verwaltung zufolge, ebenfallsFragmente des Lusthauses verwendet.Reste des Treppenaufgangs sind heuteim Stuttgarter Schlossgarten aufgestellt,wo sie derzeit einer Renovierung unter-zogen werden.

Eberhard Merk

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Archivnachrichten 42 / 2011 41

Unvollständiger Erdgeschoss Grundriss des Lust-hauses mit den drei Wasserbassins und zweien dervier Ecktürme, aber ohne die beiden Ecktürme im oberen Bereich, kolorierte Bleistiftzeichnung vonCarl Friedrich Beisbarth, 1845.Vorlage: Landesarchiv HStAS GU 97 Nr. 136 No. 4

Baluster der Balkonbalustrade, Profil des Kranz-gesimses und Ornament des Fußbodens auf einemBlatt, Bleistiftzeichnung von Carl Friedrich Beis-barth.Vorlage: Landesarchiv HStAS GU 97 Nr. 136 No. 9

Der Brand des Königlichen Hoftheaters in Stuttgartam 19./20. Januar 1902, Druck.Vorlage: Landesarchiv HStAS M 703 Reihe 343 Nr. 2

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Archivnachrichten 42 / 201142

stanz–Überlingen–Meßkirch im Westen.Für die Burgen Wildenstein bei Leiber-tingen und Werenwag bei Beuron imDonautal sprengte der Kupferstecher ei-gens den von ihm gezogenen Rahmen.Im Süden sind die Alpen und der Bre-genzer Wald bis Oberstorf, Bludenz undVaduz sowie der Oberlauf der Thur ab-gebildet. Im Norden bildet eigentlich dieDonau die Grenze Oberschwabens, dochzum Leidwesen des Kartografen fließtdie Donau nicht genau von West nachOst sondern bis zur Einmündung desLech bei Donauwörth in nordwestlicherRichtung. Was tun? Hurter löste diesesProblem dadurch, dass er nördlich derDonau zwischen Sigmaringen undMunderkingen die Titelkartusche unter-brachte, für die der ehemalige Rektordes Ulmer Gymnasiums Johann BaptistHebenstreit ein lateinisches Gedicht inacht Verspaaren beisteuerte.Für die Darstellung der Orte verwen-

dete Hurter symbolhafte standardisierte

Ansichten für Reichsstädte, Städte mitSchlössern, Herrschaftssitze, Klöster,Marktflecken, Weiler und Burgruinen. Berge und Gebirge sind angedeutet,beim Bodenbewuchs finden sich Anga-ben zur Bewaldung, zu Riedgebieten und zum Weinbau.Hurter war ein großer Wurf gelungen,

wie die Wirkungsgeschichte seiner Kartezeigt. So bekannte Kartografen wie Mercator, Hondius, Jansson, Blaeu undde Wit fertigten Nachstiche oder ver-wendeten sie als Vorlage für die Darstel-lung Oberschwabens bei ihren KartenGesamtschwabens.

Volker Trugenberger

Karte Oberschwabens von 1625 für das Staatsarchiv Sigmaringen erworben Eine bedeutende frühneuzeitliche ge-druckte Karte Oberschwabens konnte dasStaatsarchiv Sigmaringen für seine Be-stände im Antiquariatshandel erwerben.Das Ministerium für Wissenschaft, For-schung und Kunst stellte hierfür eigensMittel aus seinem Zentralfonds zum An-kauf von wertvollem Museums-, Archiv-und Bibliotheksgut zur Verfügung.Die 57 auf 74 Zentimeter große, aus vier

zusammengeklebten Blättern bestehendeKarte trägt den lateinischen Titel Alema-niae Sive Sveviae Superioris ChorographjaNova – neue Beschreibung Alemanniensoder des oberen Schwabens – und wurdevom Memminger Stadtbaumeister Chris-toph Hurter entworfen und vom Augs-burger Kupferstecher Raphael Custodis(Custos) 1625 in Kupfer gestochen.Wie viele Karten aus dieser Zeit ist die

Karte nicht genordet, sondern gewestet,das heißt: Westen befindet sich oben.Für Hurter reichte Oberschwaben vomLech im Osten bis auf die Linie Kon-

Eine bedeutende gedruckte Karte Oberschwabens,entworfen von Stadtbaumeister Christoph Hurter in Memmingen, in Kupfer gestochen von RaphaelCustodis/Custos in Augsburg, 1625.Vorlage: Landesarchiv StAS K III a Nr. 39

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Archivnachrichten 42 / 2011 43

Eine alte These hat sich leider wiedereinmal bewahrheitet: Erst wenn manetwas verloren hat, wird einem bewusst,wie wertvoll es war. Der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln hatdie Öffentlichkeit aufgerüttelt, und die Archive müssen sich der berechtig-ten Frage stellen, ob sie alles dafür getan haben und tun, um in einem Notfall Schäden an den von ihnen verwahrtenUnterlagen ganz zu verhindern oder zu-mindest so gering wie möglich zu halten.Ein Notfallkonzept wurde von derbaden-württembergischen Archivverwal-tung bereits vor 15 Jahren erarbeitet.So war es nur konsequent, dass das

Institut für Erhaltung von Archiv- undBibliotheksgut seine zentrale Fortbil-dungsveranstaltung am 13. und 14.Ok-tober 2010 im Rahmen des Landes-restaurierungsprogramms unter dasMotto Notfallvorsorge für Archive und Bibliotheken stellte. Das Publikum nahm das Spektrum

hochkarätiger Beiträge mit großem In-teresse und Diskussionsfreude auf: Anfang und Schluss bildeten Berichtevon Notfällen aus eigener Anschauung,und zwar sowohl von einer bisher un-vorstellbaren Katastrophe, dem KölnerArchiveinsturz 2009, als auch von einerüberschaubaren Havarie, dem Wasser-einbruch im Generallandesarchiv Karls-ruhe im Sommer 2010.Dazwischen wurden verschiedene

Themenblöcke behandelt: Organisations-instrumente zur Notfallvorsorge kamenebenso zur Sprache wie die Durchfüh-rung praktischer Notfallübungen, diezwar aufwendig vorzubereiten sind, aberein unverzichtbares Element der Notfall-vorsorge sind.Seit einiger Zeit schließen sich Archive,

Bibliotheken und auch Museen in Städ-ten oder auch Regionen zu sogenanntenNotfallverbünden zusammen. Bei derVorstellung des Weimarer Notfallver-bunds kamen auch rechtliche Aspektezur Sprache kamen. In Baden-Württem-

berg gibt es in Karlsruhe eine entspre-chende Vereinbarung und in StuttgartBestrebungen, entsprechende Verbündeeinzurichten.Fazit der abwechslungsreichen Veranstal-tung war die Erkenntnis, dass Notfall-vorsorge eine stetige und nur spezifisch(in jeder Einrichtung selbst) zu bearbei-tende Aufgabe ist, die viel Koordinierungverlangt und daher auf der Führungs-ebene besonders berücksichtigt werdenmuss. Im Vergleich zum technischenKnow-How werden die Management-Aspekte häufig unterschätzt. Auch aufdem Gebiet der Dokumentation undKommunikation gibt es Optimierungs-bedarf. Die lebhafte Schlussdiskussionzeigte, dass die Teilnehmer auf jeden Fall ein geschärftes Bewusstsein, aberauch viele praktische Hinweise mit nachHause nehmen konnten.

Anna Haberditzl

Erstversorgung nach einem Wasserschaden im Generallandesarchiv Karlsruhe

1 | Trocknung von Einzelblättern

2 | Nur leicht befeuchtete Akten können luftgetrock-net werden.

3 | Vorbereitung nasser Archivalien für das Kühl-haus

Alle Bilder: Landesarchiv Baden-Württemberg

Für den Fall der Fälle … Fortbildungsveranstaltung zur Notfallvorsorge am Institut für Erhaltung

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Archivnachrichten 42 / 201144

Vom 22. Oktober bis 17. November 2010 präsentierte das HauptstaatsarchivStuttgart die Ausstellung Feind ist, weranders denkt (siehe auch Archivnach-richten Nr. 41). Die Wanderausstellungder Bundesbeauftragten für die Unter-lagen des Staatssicherheitsdienstes derDeutschen Demokratischen Republikwurde von der Bundesbeauftragten Marianne Birthler und dem Minister imStaatsministerium Baden-WürttembergHelmut Rau MdL vor zahlreichem Publikum eröffnet. Sie fand enormen Zuspruch – allein 50 Schulklassen be-suchten die Präsentation und konntensich anhand von Texten und Exponatenein anschauliches Bild über Methodenund Wirkungsweise der ehemaligenStaatssicherheit verschaffen.

1946 vertraute die Stadt Sigmaringenihr Archiv dem Staatsarchiv Sigmaringenals Depositum an. Nicht nur behörd-liche Überlieferung, auch Nachlässe,Vereinsarchive und Sammlungsgut zurStadtgeschichte wurden seither in dasstädtische Archiv integriert. Über dieInternetseite des Landesarchivs stehender Öffentlichkeit Findmittel zu diesenBeständen und digitale Abbildungender städtischen Urkunden zur Ver-fügung.In der Ausstellung führen nun rund

90 Originalquellen die Schätze desStadtarchivs direkt vor Augen. In zehnThemenbereichen erzählen sie diewechselvolle Geschichte Sigmaringensauf dem Weg vom Mittelalter bis in die 1920er-Jahre. Am Anfang stehendie Privilegien, die Sigmaringen seitdem Mittelalter als Stadt auszeichneten.Die Beziehungen zu den LandesherrenÖsterreich und Preußen, das Verhält-nis zum Fürstenhaus Hohenzollernund die mehrmalige Neuerbauung des

Rathauses werden genauso themati-siert wie der Schulalltag oder die Zeitder Zünfte. Aktivitäten des Gesang-vereins Frohsinn, die das städtischeKulturleben nachhaltig prägten, erwa-chen wieder zum Leben. Zur Sprachekommen Bürgerrechte und Bürger-engagement. Quellen zu Naturkatas-trophen, Hunger und Kriegen berich-ten von den dunklen Zeiten. Die Aus-stellung schließt mit den technischenModernisierungen, die seit der zweitenHälfte des 19. Jahrhunderts das Aus-sehen der Stadt genauso verändertenwie das alltägliche Leben. Hierzu gehören Eisenbahn, Elektrizität, Auto-mobil oder Kino.Jeder Themenbereich zeigt eine An-

sicht der Stadt Sigmaringen. Die Ent-wicklung der Stadt lässt sich so vom16. bis ins 19. Jahrhundert auch bild-lich nachvollziehen. Eine Filmsequenzaus den frühen 1920er-Jahren miteinem Blick auf die Stadt von obenrundet die Ansichtenreihe ab.

Dabei erweist der Rückblick in die ver-gangenen Jahrhunderte: Es waren andereZeiten, was äußere Lebensumstände, gesellschaftliche Normen oder Glaubens-inhalte anbelangt. In den Dokumentenwerden aber auch Charaktere und Ver-haltensweisen der Menschen sichtbar –und diese sind nicht anders als heute.Die Eröffnungsveranstaltung fand

wegen des großen Zuspruchs im Fürst-Leopold-Saal des Sparkassen-ForumsHofgarten statt. Die musikalische Um-rahmung brachte ausgestellte Noten aus dem Repertoire des GesangvereinsFrohsinn zum Klingen.Die Ausstellung ist bis zum 1. April

2011 in den Räumen des Staatsarchivs zu sehen. Als Finissage veranstaltet dasStaatsarchiv am 3. April 2011 eine Lesungaus Quellen des Stadtarchivs mit einerabschließenden Ausstellungsführung.

Sibylle Brühl

Marianne Birthler, die seit Mitte der1980er-Jahre in Opposition zum Staats-apparat der DDR stand und sich in derBürgerbewegung 1989/90 engagierthatte, berichtete nicht nur bei der Aus-stellungseröffnung eindrücklich vonihren eigenen Erlebnissen mit der Staats-sicherheit. Initiiert vom Stadtmedien-zentrum Stuttgart führte sie eine Schul-klasse des Stuttgarter Wilhelms-Gym-nasiums durch die Ausstellung undstellte sich anschließend den Fragen derSchülerinnen und Schüler als heraus-ragende Zeitzeugin der Ereignisse vorund nach 1989. Bereitwillig gab sie Aus-kunft über ihren Lebensweg, ihre illegaleTätigkeit in der Opposition, die Über-wachung durch die Staatssicherheit unddie Geschehnisse in den letzten Tagen

vor dem Zusammenbruch der DDR. Das Interview mit Marianne Birthler, dasvom Stadtmedienzentrum gefilmtwurde, ist im Internet zugänglich undkann im Unterricht eingesetzt werden(http://www. lmz-bw.de/medienzentren/stadtmedienzentrum-stuttgart.html).Auch über aktuelle Ausstellungen hinauserweitert das Hauptstaatsarchiv seine archivpädagogischen Angebote ständig,vor allem in Hinblick auf thematischeFührungen und die Quellenarbeit im Archiv. Die Zusammenarbeit mit Ein-richtungen wie dem Medienzentrum,dem Oberschulamt und in der Lehrer-ausbildung tätigen Institutionen bringtzu-sätzliche Synergien und stärkt denLernort Archiv.

Nicole Bickhoff

20 Jahre Deutsche EinheitSchülerinnen und Schüler im Gespräch mit Marianne Birthler im Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Andere ZeitenDokumente des Stadtarchivs Sigmaringen erzählenAusstellung im Staatsarchiv Sigmaringen

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der beiden Familien bereichern nun den politischen und kulturellen Aus-tausch. Barbaras Briefe offenbaren ihreEindrücke von ihrem neuen Umfeld im Schwabenland und bieten bishernicht gekannte Einblicke in die höfischeSzene. Malereien und Miniaturen inkostbaren Handschriften zeugen nebenPergamenturkunden und Bauplastikenvon ihren literarischen und geistigenAmbitionen und frommen Stiftungen.Diese begleiten Barbara und Eberhardvon (Bad) Urach an den Hof nach Stutt-gart, der nach der WiedervereinigungWürttembergs 1482 zur zentralen Resi-denz der Grafschaft wurde.Eberhards erfolgreiche Politik wurde1495 mit der Erhebung Württembergszum Herzogtum gekrönt; Barbara Gon-zaga wurde damit die erste Herzogindes Landes. Als Eberhard bereits im Jahrdarauf verstarb, hatte Barbara ihrenWitwensitz in Böblingen zu beziehen.Ihre Briefe sprechen nun vom dringen-den Wunsch, in ihre Heimat Mantuazurückzukehren, um dort im Schoßihrer Familie den Rest ihres Lebens zuverbringen – doch es sollte nicht so weit kommen. Barbara blieb in Württemberg und

starb am 30. Mai 1503 in Böblingen.Nicht an der Seite ihres Manns auf demEinsiedel bei Kirchentellinsfurt, son-dern im DominikanerinnenklosterKirchheim unter Teck fand sie ihreletzte Ruhe. Archäologische Funde vonder damaligen Klosterausstattung ver-mitteln noch letzte Eindrücke von ihrerbald zerstörten Ruhestätte.Schnell entwickelte sich ein Mythos

um Barbara Gonzaga, der vor allem vonihrer Menschenliebe und Naturverbun-denheit getragen wurde. Als historischeFigur gilt es Barbara anhand ihrer au-thentischen Zeugnisse in ihrem span-nungsreichen höfischen Umfeld neu zuentdecken, als eine bemerkenswerteFrauengestalt, deren bewegtes Schicksalnoch immer nachzuerleben ist.

Peter Rückert

Von Mantua nach WürttembergBarbara Gonzaga und ihr Hof

Eine Wanderausstellung des Landes-archivs Baden-Württemberg in Kooperation mit dem Italienischen Generalkonsulat/Consolato Generaled’Italia, Stuttgart, dem Italienischen Kul-turinstitut/Istituto Italiano di Cultura,Stuttgart, der Soprintendenza per i BeniStorici Artistici, Mantua/Mantova, demStaatsarchiv Mantua/Archivio di Stato di Mantova, dem Institut für Geschicht-liche Landeskunde und HistorischeHilfswissen-schaften der Universität Tübingen, den Staatlichen Schlössernund Gärten Baden-Württemberg, der Staatlichen Hochschule für Musikund Darstellende Kunst Stuttgart

Öffnungszeiten30. März – 29. Juli 2011Montag 10.00–17.00 UhrDienstag und Mittwoch 8.30–17.00 UhrDonnerstag 8.30–19.00 UhrFreitag 8.30–16.00 UhrFür Gruppen nach Vereinbarung

Informationen und Anmeldung zu FührungenLandesarchiv Baden-Württemberg– Hauptstaatsarchiv Stuttgart –Konrad-Adenauer-Straße 470173 StuttgartTelefon 0711/212-4335Telefax 0711/212-4360E-Mail: [email protected]: www.landesarchiv-bw.de/hsta

Von Mantua nach WürttembergBarbara Gonzaga und ihr HofEine deutsch-italienische Ausstellung im Hauptstaatsarchiv

Barbara Gonzaga auf dem Wandbild von Andrea Mantegna in der „Camera degli Sposi“,auch La Camera Picta, des Herzoglichen Palasts/Palazzo Ducale von Mantua/Mantova, um 1474.Vorlage: Palazzo Ducale, Mantua/Mantova

Barbara Gonzaga von Mantua (1455–1503) besitzt als erste Herzogin vonWürttemberg besondere Bedeutung fürdie württembergische Geschichte. Als Gemahlin Eberhards im Bart kam sievon Mantua über die Alpen, feierte 1474die berühmte Uracher Hochzeit und gestaltete das höfische Leben in ihren Re-sidenzen (Bad) Urach, Stuttgart undBöblingen. Die ihr gewidmete Ausstel-lung soll an ihren Lebens- und Erin-nerungsorten gezeigt werden – Stuttgart,Kirchheim unter Teck, Böblingen, BadUrach, Mantua/Mantova. Sie zeichnetentlang des Lebenswegs der BarbaraGonzaga von Mantua nach Württembergdas kulturelle und politische Umfeld der verschiedenen Fürstenhöfe nach undmacht Barbara Gonzaga vor allem an-hand ihrer persönlichen Zeugnisse –Briefe, Bilder, Preziosen – als beeindruck-ende Persönlichkeit ihrer Zeit bekannt.Zentrale Basis für die Geschichte um

Barbara Gonzaga sind ihre etwa 70 Briefe,die sie aus Württemberg nach Mantuaschrieb und die dort im Archiv der Gonzaga erhalten geblieben sind. Sie werden hier erstmals geschlossen aus-gewertet und beispielhaft vorgestellt – imOriginal wie im gesprochenen Text alsHörstationen.Zunächst entführt die Präsentation an

den glänzenden Fürstenhof der Gonzagaim Mantua der Renaissance. Im Herzog-lichen Palast/Palazzo Ducale haben sich die großartigen Gemälde AndreaMantegnas in der sogenannten Cameradegli Sposi – auch La Camera Picta – er-halten, die heute Weltruhm genießt. Hier ist auch die junge Barbara inmittenihrer Familie dargestellt, die damit re-präsentativ vorgestellt wird. Der Blick wendet sich mit Barbara

bald nach Norden. Durch ihre Ehe mitGraf Eberhard im Bart wurde eine neue dynastische Verbindung über dieAlpen geschlossen, die für Württembergbesondere Bedeutung gewinnen sollte.Nicht nur die ansehnliche Braut undihre reiche Mitgift, sondern vor allemdie intensiven persönlichen Kontakte

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Allgemeines

Die Beschäftigung mit Mühlen war lan-ge Zeit ein wenig beachtetes, von etlichenHistorikern fast abschätzig taxiertesRandgebiet der Geschichtswissenschaft.Ein 1935 erschienener, Maßstäbe setzen-der Beitrag des französischen HistorikersMarc Bloch leitete einen allmählichenWandel ein. Die Sozial- und Technik-geschichte hat dem Thema in den letztenJahrzehnten vermehrte Aufmerksamkeitgewidmet. Dabei nur von Mühlen zureden, ist im Grunde ungenau. BeimWort Mühle denkt man allzu sehr nur andie Getreidemühle und übersieht dabei,dass die Wasserkraftnutzung wesentlichumfassender war. Wasserkraft trieb inder vorindustriellen Zeit Maschinen allerArt an. Für Südwestdeutschland, wo eskaum Windkraftnutzung gab, war dieBedeutung der Wasserkraftnutzung nochweit größer als im norddeutschen undnord- und westeuropäischen Flachland.Wasserkraftnutzung war im Grunde die einzige Möglichkeit, auf eine andereEnergiequelle zurückzugreifen als aufmenschliche und tierische Muskelkraft.Wie wenige andere Themen berührt

die Wasserkraftnutzung nicht nur Berei-che der Geschichtswissenschaft und desGeschichtsunterrichts, sondern – Stich-wort saubere Energie – auch der Ökologieund Wirtschaft und ist somit in gleicherWeise von den Schulfächern Erdkundeund Wirtschaft her anzugehen. Dass da-rüber hinaus die Fächer Deutsch, Biolo-gie, Mathematik und Physik, um nur diewichtigsten zu nennen, in sinnvollerWeise und keineswegs nur als Hilfsdiszi-plinen des Fachs Geschichte sich mit der

Wasserkraftnutzung beschäftigen kön-nen, soll im Folgenden gezeigt werden.

Mühlentypen

Die Getreidemühle war für die Agrar-gesellschaft von zentraler Bedeutung.Der bäuerliche Wirtschaftskreislauf, so-weit er mit der Getreideproduktion zusammenhing, lief wie durch einen Fla-schenhals durch die Mühle hindurch, die beinahe am Ende der Getreidepro-duktion und -verarbeitung stand. DieserSachverhalt ist von elementarer Bedeu-tung. Ohne Mühle wäre bäuerlichesWirtschaften nicht vorstellbar gewesen.Neben der Getreidemühle am Ende

des bäuerlichen Getreide-Wirtschafts-kreislaufs als zweifellos häufigster Formder Wasserkraftnutzung gab es einegroße Zahl anderer Wirtschaftskreisläufe,die ebenfalls auf Wasserkraft angewiesenwaren. Sägemühlen verarbeiteten Holz.Sie ersetzten die Zweimannhandsägen,mit denen im Früh- und HochmittelalterBretter in unsäglicher Schinderei gesägtwerden mussten. Ölmühlen schlugenSpeise- und Brennöl aus Leinsamen,Bucheckern, Eicheln, Nüssen, Mohn etcetera und waren damit fast so wichtigwie die Getreidemühlen. Lohmühlenstampften Rinde zum Gerbmittel Lohe.Walkmühlen verarbeiteten als Rotgerber-walken grobes Leder zum Beispiel fürSchuhe, als Weißgerberwalken feinesLeder für Kleidungsstücke. Als Tucher-walken walkten sie raues Leinen und andere Tuche weich und machten sie da-mit überhaupt erst tragbar. Ohne Papier-mühlen hätte es kein Papier gegeben,

das nur einen Bruchteil des teuren Per-gaments kostete, und somit hätte die Bildungsrevolution der Renaissanceohne Wasserkraftnutzung nie stattfindenkönnen. Eisenschmieden und anderemetallverarbeitende Hämmer, die oft mitSchmelzöfen verbunden waren, sowieSchleifmühlen waren die Vorläufer derspäteren Schwerindustrie. In denSchmelzöfen sorgten wassergetriebeneBlasebälge für die nötige Hitze. Pulver-mühlen spielten für das Militär und die Rüstung eine zentrale Rolle, ebenso die Bohrmühlen, mit denen zum BeispielGewehrläufe gebohrt werden konnten.In nichtmilitärischer Nutzung wurdenBohrmühlen auch zur Herstellung höl-zerner Wasserleitungsrohre, sogenannterDeucheln verwendet. Keine Mühlen imengeren Sinn, aber eine wichtige Formder Wasserkraftnutzung waren wasser-getriebene Schöpfwerke, durch die Berg-werke entwässert und die Wasserver-sorgung so mancher Stadt überhaupterst möglich wurde. Man könnte dieReihe der unterschiedlichen Formen der Wasserkraftnutzung noch um Dutzendemehr oder weniger exotischer Mühlen-arten verlängern.

InnovationenWasserräder, Turbinen

Anders als es alte Lehrmeinungen wol-len, die eine jahrhundertelange, von erstarrten Zünften dominierte Stagnationsehen, gab es das gesamte Mittelalter und die gesamte Frühe Neuzeit überständig Verbesserungen in der Technik

Wasserkraftnutzungals Thema fachübergreifenden Unterrichts1

Quellen für den Unterricht 41 Gerhard Fritz

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der Wasserkraftnutzung, mithin alsoeinen ständigen technischen Fortschritt.Dennoch ist unbestritten, dass das 19.Jahrhundert einen tieferen Einschnitt inder Geschichte der Wasserkraftnutzungbrachte als alle Jahrhunderte zuvor.Diese Veränderungen betrafen zunächsteinmal den Antrieb. Die Energieausbeutedes Wasserrads konnte durch das Ponce-let- und das Zuppinger-Rad mit gebo-genen Schaufeln zu einem zuvor undenk-baren Optimum gesteigert werden.Neben das Wasserrad trat die Turbine.Diese war zwar schon im 16. Jahrhun-dert entwickelt worden, ihr massenhafterEinsatz und somit der Durchbruch zurInnovation erfolgte aber seit etwa 1830.Die Turbine ermöglichte eine größereEnergieausbeute als die älteren Wasser-räder; da sie außerdem ständig unterWasser lief, war sie auch weniger anfälliggegen das Einfrieren im Winter undhatte insofern auch gegenüber dem Pon-celet- und Zuppinger-Rad ihre Vorteile.Während der Wandel in den Antriebs-

systemen alle Arten der Wasserkraft-nutzung betraf – also Getreide-, Säge-,Loh-, Walkmühle und so weiter – warder Wandel im Inneren der Mühlen vonMühlenart zu Mühlenart höchst unter-schiedlich. Aus Platzgründen kann imFolgenden nur der Wandel im Innerender Getreidemühlen dargestellt werden.

Die „deutsche“ Mühle

Nicht nur neue Antriebssysteme tauch-ten im 19. Jahrhundert auf, auch das Innere der Mühlen wandelte sich völlig.Die typische Getreidemühle ist aus Wil-helm Buschs Max und Moritz bekannt.Die bösen Buben werden am Ende ihrerKarriere bekanntlich vom Müller er-wischt und in einen Trichter gekippt,von wo aus sie zwischen die Mühlsteinegeraten und fein geschroten und in Stücken unten wieder herauskommen.Diese sogenannte deutscheMühle

wurde vom Wasserrad getrieben, dessenEnergie aus der horizontalen Achse überdas Kammrad um 90 Grad gedrehtwurde und nun den oberen Mühlsteinaus einem Paar von Mühlsteinen drehte.Der untere Mühlstein war der festlie-gende Bodenstein, der obere rotierendeder Läuferstein. Dieser schwebte, ge-halten durch das Mühleisen, in geringer Distanz über dem Bodenstein. Ein sol-ches Mühlsteinpaar wird als Mahlgang

misierung und Kapitalisierung verbun-den war.Viele Mühlen konnten den Wandel

zur Kunstmühle nicht mehr mitmachen. Seit 1860 ging die Mühlenzahl zurück.Im Preiskampf gegen die billiger produ-zierenden Kunstmühlen unterlagen diealten Mühlen, und das Kapital, die ei-gene Mühle nachzurüsten, fehlte häufig.Als seltsame Zwischenformen zwischender alten deutschen Mühle und derKunstmühle findet man gelegentlichnoch heute halb in Kunstmühlen umge-baute Anlagen, in denen die Müller überJahrzehnte hinweg die eine oder andereNeuerung einbauten – um schließlichdoch nicht konkurrenzfähig werden zukönnen. Das um 1860 begonnene Müh-lensterben beschleunigte sich. Seit den1950er-Jahren nahm es gewaltige Dimen-sionen an, sodass heute von den altenMühlen kaum noch eine vorhanden ist.

Wasserkraftnutzung, Industrialisierung undEnergiegewinnung

Die beginnende Industrialisierung unddie Wasserkraftnutzung hängen eng zusammen. Die frühe Industrie siedeltesich im 19. Jahrhundert fast immer anFlussläufen an, wo auf Wasserkraft zu-rückgegriffen werden konnte. Dazu wan-delte man bestehende Anlagen einfachum. Das betraf anfangs vor allem Eisen-hämmer oder Walken, die die Vorläuferder metallverarbeitenden Industrie undder Textilindustrie waren. Die neuen Industrien kauften dann oft Getreide-mühlen auf, um deren Wasserkraft zunutzen. Erst als sich die Dampfkraft undnach ihr die Diesel- und Benzinmotorenausbreiteten, wurde die frühe Industrieallmählich von der Wasserkraftnutzungunabhängig.Als seit den 1890er-Jahren die Elektrizi-

tätsversorgung aufgebaut wurde, ergabensich für viele Mühlen neue Perspektiven.Es war kein Problem, an eine Mühleeinen Generator zu hängen und Stromzu erzeugen. Die Elektrifizierung gingfast überall von Mühlen aus, die anfangsder einzige Stromlieferant waren. Im so-genannten Inselbetrieb – ein Netz, dasdas ganze Land umspannte, gab es nochnicht – versorgten die Mühlen ganzeDörfer. Anfangs benötigte man nur Licht-und keinen Kraftstrom, sodass die Was-

bezeichnet. Der Mahlgang steckte in den Zargen, einer hölzernen Verkleidung.Auf dem Mahlgang obendrauf saß derEinfülltrichter. Über die Beutel oder denmoderneren Sechskanter wurden Mehlund Kleie getrennt und fielen in denMehl- oder Kleiekasten.

Die „amerikanische“ Mühle

Seit etwa 1820 wurde diese deutscheMühle allmählich durch die amerikani-scheMühle ersetzt, in der alle Arbeits-gänge in der Mühle technisiert und rationalisiert wurden. Die bisherige deut-scheMühle war ein Handwerksbetrieb,die amerikanischeMühle eine Art Fabrik.Zwar war auch sie zu Beginn von derWasserkraft getrieben, aber sie nahmdem Müller fast alle vorher manuellenArbeitsgänge ab. Spiralen und Elevatorentransportierten das angelieferte Getreidein den obersten Stock des nun stetsmehrstöckigen Mühlgebäudes, wo dasGetreide gelagert und auf die für denMahlvorgang optimale Feuchtigkeit ge-bracht wurde. Gebläseröhren oder er-neut Elevatoren transportierten dasMahlgut dann in Reinigungsanlagen, woes zunächst von Fremdkörpern gesäu-bert und dann gemahlen wurde. Diesesgeschah immer seltener mit den altenMühlsteinen und immer öfter durch sogenannte Walzenstühle. Das warenHartmetallwalzen, die effektiver arbeite-ten als die Mühlsteine. Dann erfolgte dieTrennung in Kleie und Mehl. Das mehr-fach zu vermahlende Mahlgut wurdedurch die Elevatoren erneut nach obentransportiert und lief so bis zu zehnmaldurch die Mühle hindurch. Erst dannwar der gewünschte Ausmahlungsgraderreicht. Durch ihre Technisierung konn-ten die Mühlen neuen Typs preiswerterarbeiten als die alten.AmerikanischeMühlen, die man auch

als Kunstmühlen bezeichnete, warenmehrstöckige Anlagen und deshalb im-mer wesentlich größer als die alten deutschenMühlen. Der Bau von Kunst-mühlen war auch viel teurer. Ein norma-ler Müller konnte die Investitionen zumBau einer Kunstmühle kaum aufbringen.Als neue Eigentümer und Bauherren findet man deshalb im 19. Jahrhundertimmer häufiger moderne Kaufleute undKapitaleigner. Das Betriebssystem Mühlewurde damit fundamental modernisiert,womit zugleich aber auch eine Anony-

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ökologische Aspekte auf. Die Fließ-geschwindigkeit der Bäche und Flüssewurde durch Wehre und Mühlkanäle beeinflusst. Ohne Wehre und Kanäle be-schleunigt sich die Fließgeschwindigkeitund nimmt durch Flusslaufbegradigun-gen weiter zu. Die Trinkwasser-Fernver-sorgung kompliziert die Situation weiter.Die Bodensee-Wasserversorgung und die Nordost-Wasserversorgung pumpengewaltige Wassermengen in den Bal-lungsraum Stuttgart. Deshalb führendort viele Flüsse mehr Wasser als früher,andere Flüsse, aus denen ebenfalls Trink-wasser gewonnen wird, führen wenigerWasser als früher. Wo es mehr Wasser als früher gibt, laufen alte Triebwerkenicht mehr wie gewohnt, wo es zu wenigWasser gibt, laufen sie gar nicht mehroder unrentabel. Der Wegfall der meistenMühlkanäle und Wehre und die Versie-gelung der Landschaft haben die Wasser-führung der Flüsse viel unregelmäßigergemacht als vor einem halben Jahrhun-dert. Heftiger Regen bringt schnellerHochwasser als früher. Diese schwan-kende Wasserführung ist ein nicht gerin-ges Problem für Wasserkleinkraftwerke.

Fachdidaktische Aspekte

Wasserkraftnutzung ist, das dürfte deutlich geworden sein, ein Thema, daszahlreiche, keineswegs nur auf das FachGeschichte bezogene Ansatzpunkte für den Unterricht liefert.3 Es handeltsich vor allem um die Fächer Geografie/Erdkunde, Biologie, Physik/Mathematik,Wirtschaft, Technik, Deutsch, ja sogarFremdsprachen. Frieder Stöckle hat ineinem vor wenigen Jahren erschienenenBeitrag gezeigt, wie solches fächerüber-greifende Arbeiten insbesondere mitHandlungsorientierung verbunden wer-den kann.4 In Geografie kann zum Bei-spiel Großwasserkraftnutzung – wie der Assuanstaudamm in Ägypten oderder Drei-Schluchten-Damm in China –mit Kleinwasserkraftnutzung, die in derNähe zu beobachten ist, verglichen werden oder man kann anhand der Kar-ten in den Triebwerksakten in die Pro-blematik der Landesvermessung undKartografie einführen. In Biologie kanngefragt werden, welchen Einfluss Kanäleund Stauseen und deren Beseitigung auf Flora und Fauna haben. In Physik/Mathematik kann man aus Gefälle, Was-sermenge und vorhandenem Triebwerk

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serkraft völlig ausreichte. Allerdingsschwand die exklusive Position der Müh-len als Stromlieferanten in demselbenMaß, wie die Energieversorger ihre Über-landnetze ausbauten.Zentrale Kraftwerke lieferten den

Strom kontinuierlicher als die aus denehemaligen Mühlen hervorgegangenenKleinstkraftwerke, deren Lieferkapazi-täten von der oft schwankenden Wasser-menge abhing. In dieser Situation entstand das bundesdeutsche Mühlen-stilllegungsgesetz der 1950er-Jahre.2

Offiziell hieß es, den armen, kaum nochexistenzfähigen Kleinmüllern solle derAbschied vom alten Gewerbe so an-genehm wie möglich gemacht werden. In der Sache wurde durch das Still-legungsgesetz die juristische Grundlagegeschaffen, den Mühlbesitzern ihre Wasserrechte abzukaufen. Das Gesetzwar ein voller Erfolg. Die Müller gabenin großer Zahl ihr Gewerbe und ihreRechte auf.Niemand redete damals davon, dass

hinter dem Mühlenstilllegungsgesetz dieInteressen der Energiewirtschaft standen.In den 1950er-Jahren setzte man nichtauf Klein-, sondern auf Großkraftwerke.Das konnten – etwa in den Alpen –durchaus Wassergroßkraftwerke sein, inder Hauptsache waren es aber Kohle-oder Ölkraftwerke und insbesondereAtomkraftwerke, die man in den 1950er-Jahren ohne weitere Überlegungen alsultimative Lösung aller künftigen Ener-gieprobleme ansah.Der damalige Optimismus hat sich

mittlerweile verflüchtigt. Angesichts derKlimakatastrophe beginnt man denCharme dezentraler, natürlicher Energie-quellen wieder zu entdecken. Nachdemes jahrzehntelang politisch gewollte,skandalös niedrige Preise für Strom ausWasserkraft gegeben hatte, wird heutewieder ein anständiger Preis für solchenStrom bezahlt, und es gibt eine gewisseRenaissance der Kleinwasserkraft. Da allerdings seit 1950/1960 massenhaft alteMühlkanale und Wehre beseitigt undFlüsse völlig verändert wurden, kannvielerorts der alte Zustand von Wasser-kraftnutzungsstellen nicht wiederherge-stellt werden.

Ökologische Folgeprobleme

Auch außerhalb der Energiegewinnungweist das Thema Wasserkraftnutzung

die erzeugte Energiemenge berechnen, in Wirtschaft eine Rentabilitätsberech-nung konkreter Triebwerke anstellen. In Technik lassen sich Wasserräder oderTurbinen bauen. In Deutsch sind nebenanspruchsvollen Bildbeschreibungen Re-cherchen möglich, wo in der Literatur –zum Beispiel bei Krabat, Max und Moritz, in Gedichten der Romantik von Eichendorff, Kerner oder anderen –Mühlen vorkommen. In den Fremd-sprachen können geeignete Texte zumBeispiel in Latein,5 Englisch6 oder Fran-zösisch7 gelesen werden, und so weiter.Am Beispiel des Fachs Geschichte soll

exemplarisch gezeigt werden, auf welcheWeise man das Thema Wasserkraftnut-zung angehen kann. Zunächst könntenPhasen der Wasserkraftnutzung – in Antike, Mittelalter, Früher Neuzeit undim 19./20. Jahrhundert – und deren je-weilige Charakteristika in diesen Epo-chen untersucht und sodann Typen derWasserkraftnutzung erarbeitet werden:Mahl-, Säge-, Öl-, Lohmühle und so weiter. Ein besonders wichtiger Aspektwäre die Frage des sozialen, technischenund wirtschaftlichen Wandels am Bei-spiel Wasserkraftnutzung; man könntehier Aspekte thematisieren wie zünfti-sche und angeblich fortschrittsfeindlicheGesellschaft versus innovative Gesell-schaft des 19./20. Jahrhunderts; Erfindungversus Innovation, zum Beispiel auf-gezeigt an der um Jahrhunderte ver-zögerten Einführung der Turbine; Rollenund Lebensbedingungen von Mühlen-eigentümern, Müllern und anderemMühlenpersonal in der vorindustriellenund in der industriellen Welt; die Mühleals der eigentliche Geburtsort der stän-deüberwindenden Demokratie – dennWer zuerst kommt, mahlt zuerst, wie es schon 1230 im Sachsenspiegel heißt –ohne Vorrechte für den Adel oder fürReiche? Ganz allgemein könnte man dievorindustrielle Agrargesellschaft, dieProtoindustrialisierung und die Indus-trialisierung an der Wasserkraftnutzungaufhängen und konkrete methodisch-inhaltliche Arbeit betreiben, etwa eineBildauswertung, wie sie anhand derwürttembergischen Triebwerksaktenmöglich ist.Die Triebwerksakten befinden sich

teils noch in den Landratsämtern, teils in den Kreisarchiven, teils aber auch imStaatsarchiv in Ludwigsburg. Die zahl-reichen in diesen Akten enthaltenen Lagepläne und technischen Konstrukti-

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onszeichnungen bieten vielfache tech-nik- und sozialgeschichtliche Ansätze: 1. etwa einfache Wasserräder, sodann 2. technisch anspruchsvolle Zuppinger-Wasserräder, die mit ihren gebogenenSchaufeln den unwirtschaftlichen Stoßvermeiden und Schwung und Gewichtdes ankommenden Wassers optimal aus-nutzen oder 3. Turbinen.Dabei sollte darauf geachtet werden,

die archivaliengestützte Quellenarbeit miteiner Exkursion zu Mühlen oder Wasser-kraftwerken zu verbinden, die es in fastganz Baden-Württemberg in nicht allzugroßer Entfernung zu besichtigen gibt.8

Anmerkungen

1 Zur Wasserkraftnutzung ist der landkreisweise erscheinende Mühlenatlas Baden-Württemberg zuvergleichen, Remshalden 1994 ff. Erschienen sindbisher die Bände Stadt Ulm, Rems-Murr-Kreis,Kreis Ludwigsburg, Stadt- und Landkreis Heil-bronn. Der Band für den Kreis Schwäbisch Hallsteht unmittelbar vor dem Erscheinen, an den Bänden zur Stadt Stuttgart, zum Hohenlohekreisund zum Kreis Konstanz wird gearbeitet. Außerdemarbeite ich an einer umfangreichen Geschichte derWasserkraftnutzung in Südwestdeutschland und seinen Nachbargebieten im Mittelalter. Für die fach-wissenschaftlichen Aspekte sei auf den Mühlenatlasund das Mittelalter-Buch verwiesen. Vgl. zu didak-tischen Aspekten auch – allerdings ohne Bezug aufbaden-württembergische Archivalien: GerhardFritz: Wasserkraftnutzung in fachdidaktischer undfachwissenschaftlicher Hinsicht. In: Landesge-schichte in Forschung und Unterricht 6 (2010) S. 9–20 und Gerhard Fritz: Wasserkraftnutzung.Ein aktuelles Thema im Geschichtsunterricht. In:Schulmagazin 5-10 1 (2010) S. 12–14.2 Dazu Adolf Laufs: Die Mühlen im alten deut-schen Recht – eine Skizze. In: Zeitschrift für die Ge-schichte des Oberrheins 147 Neue Folge 108 (1999)S. 439–448.3 Zur Didaktik der Wasserkraftnutzung PetraKlaus-Zenetti: Die Geschichte der Wasserkraft-nutzung. Zur Umsetzung des Themas in der Real-schule. In: LGFU 2 (2006) S. 101–110.4 Frieder Stöckle: Die Meuschenmühle – eineStation auf dem Mühlenwanderweg im Schwäbi-schen Wald. Ein handlungsorientiertes und fächer-übergreifendes Projekt der Realschule. In: Landes-geschichte und Geschichtsdidaktik. Festschrift für Rainer Jooß. Herausgegeben von GerhardFritz (Gmünder Hochschulschriften 24). Schwä-bisch Gmünd 2004. S. 173–190; zu vergleichen istauch Stöckles exzellenter Film zum Thema Mühlen.5 Vitruvii de architectura libri decem / Vitruv.Zehn Bücher über Architektur. Übersetzt und mitAnmerkungen versehen von Curt Fensterbusch.Darmstadt 51991.6 Richard Holt: The Mills of Medieval England.Oxford/New York 1988; John Langdon: Mills inMedieval Economy. England 1300–1540. Oxford2004.7 Marc Bloch: Avènement et conquètes du mou-lin à eau. In: Annales ESC 7 (1935) S. 538–563;deutsch: Antritt und Siegeszug der Wassermühle. In:Marc Bloch u. a.: Schrift und Materie in der Ge-schichte. Vorschläge zur systematischen Aneignunghistorischer Prozesse. Herausgegeben von ClaudiaHonegger (Edition Suhrkamp 814). Frankfurt amMain 1977. S. 171–197.8 Auskünfte außer beim Verfasser bei der Deut-schen Gesellschaft für Mühlenkunde, Landes-verband Baden-Württemberg, [email protected].

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Plan der Mühle in Kirchheim am Neckar von 1884 als Beispiel für die Landvermessung und die Karten 1 : 2000, insbesondere bezüglich Wasserlauf, Wehr und Mühle.Vorlage: Landesarchiv StAL F 154 II Bü. 4247

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Archivnachrichten 42 / 2011 51

Längenprofil und Grundriss der Neckarmühle in Besigheim von 1858 als Beispiel für eine Kunstmühle.Vorlage: Landesarchiv StAL F 154 II Bü. 4259

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Archivnachrichten 42 / 201152

Wasserradanlage der Oberen Mühle in Rosengarten-Rieden von 1913 aus den Triebwerksakten zu den Wasserbüchern.Vorlage: Landesarchiv StAL EL 20/6 II Bü. 63 Qu. 8

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Archivnachrichten 42 / 2011 53

Wassertriebwerk des Fabrikanten C. E. Seyfried am Kocher in Schwäbisch Hall von 1913 aus den Triebwerksakten zu den Wasserbüchern.Vorlage: Landesarchiv StAL EL 20/6 II Bü. 60 Qu. 12

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Archivnachrichten 42 / 201154

Zeichnungen zur Schärtlenssägemühle in Bühlerzell-Geifertshofen von 1912 aus den Triebwerksakten zu den Wasserbüchern.Vorlage: Landesarchiv StAL EL 20/6 II Bü. 63 Qu. 5

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Landesarchiv Baden-Württemberg,Eugenstraße 7, 70182 Stuttgart,Telefon 0711/212-4285,Telefax 0711/212-4283,E-Mail: [email protected],Internet: www.landesarchiv-bw.de.

Redaktion: Dr. Regina Keyler, Luise PfeifleGestaltung: agil > Visuelle Kommunikation, PforzheimDruck: Pfitzer GmbH & Co. KG, Renningen

Das Heft erscheint halbjährlich und wird kostenlos abgegeben.ISSN 1437-0018

Staatliche Archive als landeskundlicheKompetenzzentren in Geschichte undGegenwartZum 65. Geburtstag von Volker RödelHerausgegeben von Robert KretzschmarWerkhefte der Staatlichen Archiv-verwaltung Baden-Württemberg, Serie A Heft 22Verlag W. Kohlhammer Stuttgart 2010498 Seiten, 69 Abbildungen, fester Einband/Fadenheftung€ 50,—ISBN 978-3-17-021683-9

Rechtsfragen der Nutzung von ArchivgutVorträge der Frühjahrstagung der Fach-gruppe 1 – Staatliche Archive – im VdA –Verband deutscher Archivarinnen undArchivare e. V. am 29. April 2010 inStuttgartHerausgegeben von Clemens Rehm undNicole BickhoffVerlag W. Kohlhammer Stuttgart 201067 Seiten, sechs Abbildungen, kartoniert€ 7,–ISBN 978-3-17-021797-3

Neue Veröffentlichungen des Landesarchivs Baden-Württemberg

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Impressum

Der Landkreis HeilbronnBearbeitet von der Abteilung Fach-programme und Bildungsarbeit des Landesarchivs Baden-WürttembergBaden-Württemberg – Das Land in seinen Kreisen2 BändeJan Thorbecke Verlag Ostfildern 20101196 Seiten, zahlreiche Abbildungen, fester Einband/Fadenheftung€ 74,–ISBN 978-3-7995-6188-4

Titelfoto:Tulpen mit Schmetterling und Raupe,Aquarell auf Pergament, vermutlich spätes 17. Jahrhundert.Vorlage: Landesarchiv GLAK Hfk Hs. Bd. 269 Nr. 30

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Colombistraße 479098 Freiburg im BreisgauTelefon: 0761/38060-0Telefax: 0761/38060-13E-Mail: [email protected]

Nördliche Hildapromenade 276133 KarlsruheTelefon: 0721/926-2206Telefax: 0721/926-2231E-Mail: [email protected]

Arsenalplatz 371638 LudwigsburgTelefon: 07141/18-6310Telefax: 07141/18-6311E-Mail: [email protected]

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