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Archivar_2006-2

Date post: 01-Jan-2016
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Zeitschrift für Archivwesen
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Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 141 59. Jahrgang · Mai 2006 · Heft 2 INHALT Personenbezogene Unterlagen militärischer Prove- nienz im Bundesarchiv. Von Edgar Büttner ................... 143 Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustiz- verwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg: dauerhafte Sicherung und Nutzbarmachung durch das Bundesarchiv. Von Andreas Kunz ......................................................................... 146 Das Sächsische Staatsarchiv: Neuformierung des Staat- lichen Archivwesens in Sachsen. Von J. Rainer Wolf ....... 154 Moderieren in der Nische – Zur Situation der Univer- sitätsarchive in den „alten Bundesländern“. Von Wer- nerMoritz ................................................................................ 160 Geschichte von unten im Abseits. Plädoyer für die Stärkung freier Archive. Von Jürgen Bacia und Doro- thée Leidig ............................................................................... 166 Vergleich der Formalkatalogisierung in Bibliotheken mit der Verzeichnung in Archiven für ein gemeinsa- mes Datenangebot beider Sparten. Von Sabine Richter . 172 Archivbericht Niederlande 1995–2005: Zugänglich- keit und Publikumsorientierung als Paradigmen und die Entstehung der Regionale Historische Centra. Von Matthias Weber .............................................................. 176 Archivtheorie und -praxis Archive und Bestände:. Wechsel in der Leitung des Lan- desarchivs Baden-Württemberg: Dr. Robert Kretzsch- mar als neuer Präsident eingeführt (N. Bickhoff): 179. – Eröffnung des Technischen Zentrums des Landesar- chivs Nordrhein-Westfalen in Münster-Coerde: 180. – Das Archiv im Industrie- und Filmmuseum Wolfen (M. Gill): 182. Archivierung, Bewertung, Erschließung: Normung im Bereich Schriftgutverwaltung. DIN-Fachbericht ist erschienen (N. Bickhoff): 185. – Inventar der Reichs- kammergerichtsakten im Hauptstaatsarchiv Stuttgart vollständig erschienen (B. Theil): 185. EDV und Neue Medien: Das Online-Verzeichnis der pfälzischen und rheinhessischen Kirchenbücher (A. Kraft): 186. Aus- und Fortbildung, berufsständische Angelegenheiten: Praxisbezogene Lehrveranstaltung „Modernes Ar- chivwesen“ an der Universität Münster im Winterse- mester 2005/06 (W. Reininghaus): 188. Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen: Öffentliche Ar- beitssitzung des Projekts Nestor – Kompetenznetz- werk Langzeitarchivierung. Workshop im Bundesar- chiv Koblenz (W. Reininghaus): 188. – Kolloquium „10 Jahre Institut für Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut“ in Ludwigsburg (W. Mährle): 189. – 51. Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der Kreisarchive beim Landkreistag Baden-Württemberg in Esslingen am Neckar (A. Kayser): 191. Auslandsberichterstattung Internationales: Archiv der Norddeutschen Missions- gesellschaft an das Staatsarchiv Bremen übergeben (K. Elmshäuser): 192. – „Die Sorge für Archivalien - eine Herausforderung für die Kirche.“ Tagung von Kirchenarchivaren im August-Pieper-Haus in Aachen (K. Pabst): 195. – Das Archiv des Deutschen Historischen Instituts in Rom (K. Jedlitschka): 196. Großbritannien: „Keeping it simple“ - das englische Retrokonversionsprogramm A2A tritt in seine 4. Pro- jektphase. Arbeitsbesuch bei The National Archives, Kew (U. Fischer/W. Reininghaus): 198. Literaturbericht Die Ära Adenauer 1949–1963. Hrsg. von H.-D Kreikamp (M. Hollmann): 200. – Archivalische Zeitschrift. Hrsg. von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. 86. und 87. Band (E. Büttner): 201. – Archive auf dem Markt? Vermark- tung und Verwaltung archivischer Dienstleistungen. Vorträge im Rahmen des 63. Südwestdeutschen Archivtags am 17. Mai 2003 in Ludwigshafen am Rhein. Eine Publikation der Landesar- chivdirektion Baden-Württemberg. Hrsg. von N. Bickhoff (G. Bradler): 202. – Archives of members and parliamentary groups of the European Parliament in archives of member states. Inventory. Edited by G. Buchstab. Compiled by R. Schreiner (G. Bradler): 202. – „Bet Hachajim“ - Haus des Lebens. Die jüdi- schen Friedhöfe Bornheim, Hersel und Walberberg. Hrsg. von D. Brody und H. Heimig (T. P. Becker): 202. – Bergisch-Märki- sche Unternehmer der Frühindustrialisierung. Hrsg. von R. Stremmel und J. Weise (K. P. Wiemer): 203. – Biographische Enzyklopädie deutschsprachiger Unternehmer. Auf der Grund- lage der von Walther Killy (†) und Rudolf Vierhaus herausgege- benen Deutschen Biographischen Enzyklopädie hrsg. von W. F i s c h e r unter Mitarbeit von K. Fuchs und B. Jahn (O. Dascher): 204. – Church Archives & Libraries. International Experiences on Protection, Appraisal, Description and Presenta- tion of Cultural Heritage stored in these Institutions (H. Otte): 205. – W. Cortjaens, Kirchenschatz St. Peter zu Aachen. Sakrale Kunst aus vier Jahrhunderten im Spiegel der Pfarrgeschichte (J. Oepen): 205. – Roda Pastoralis. 900 Jahre Seelsorge in Ker- krade, Afden und Herzogenrath – die Abtei Klosterrath und ihre Patronatspfarreien. Hrsg. von F. P o h l e und L. Augustus (J. Oepen): 205. – „Daß Unsere Finanzen fortwährend in Ord- nung erhalten werden…“ Die staatliche Finanzkontrolle in Bay- ern vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Eine Ausstellung der Bayerischen Archivschule. Bearb. von D. Burger, U. Hof- mann, R. Jedlitschka, J. Kemper, V.Laube, G. Rausch, G. J. Wolf und S. Wolf (T. Paringer): 206. – Digitales Verwalten - Digitales Archivieren. 8. Tagung des Arbeitskreises „Archivie- rung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ am 27. und 28. April 2004 im Staatsarchiv Hamburg. Hrsg. von R. Hering und U. Schäfer (F. M. Bischoff): 207. – T. Fitschen, Das rechtli- che Schicksal von staatlichen Akten und Archiven bei einem Wechsel der Herrschaft über Staatsgebiet (W. H. Stein): 208. – Das Fürstentum der Oberen Pfalz. Ein wittelsbachisches Territo- rium im Alten Reich. Ausstellung des Staatsarchivs Amberg in Zusammenarbeit mit der Kommission für bayerische Landesge- schichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
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Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 141

59. Jahrgang · Mai 2006 · Heft 2INHALT

Personenbezogene Unterlagen militärischer Prove-nienz im Bundesarchiv. Von Edgar Büttner ... . . . . . . . . . . . . . . . . 143Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustiz-verwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischerVerbrechen in Ludwigsburg: dauerhafte Sicherungund Nutzbarmachung durch das Bundesarchiv. VonAndreas Kunz ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146Das Sächsische Staatsarchiv: Neuformierung des Staat-lichen Archivwesens in Sachsen. Von J. Rainer Wolf .. . . . . . 154Moderieren in der Nische – Zur Situation der Univer-sitätsarchive in den „alten Bundesländern“. Von Wer-ner Moritz ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160Geschichte von unten im Abseits. Plädoyer für dieStärkung freier Archive. Von Jürgen Bacia und Doro-thée Leidig ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166Vergleich der Formalkatalogisierung in Bibliothekenmit der Verzeichnung in Archiven für ein gemeinsa-mes Datenangebot beider Sparten. Von Sabine Richter . 172Archivbericht Niederlande 1995–2005: Zugänglich-keit und Publikumsorientierung als Paradigmen unddie Entstehung der Regionale Historische Centra.Von Matthias Weber ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

Archivtheorie und -praxisArchive und Bestände:. Wechsel in der Leitung des Lan-desarchivs Baden-Württemberg: Dr. Robert Kretzsch-mar als neuer Präsident eingeführt (N. Bickhoff): 179. –Eröffnung des Technischen Zentrums des Landesar-chivs Nordrhein-Westfalen in Münster-Coerde: 180. –Das Archiv im Industrie- und Filmmuseum Wolfen(M. Gill): 182.Archivierung, Bewertung, Erschließung: Normung imBereich Schriftgutverwaltung. DIN-Fachbericht isterschienen (N. Bickhoff): 185. – Inventar der Reichs-kammergerichtsakten im Hauptstaatsarchiv Stuttgartvollständig erschienen (B. Theil): 185.EDV und Neue Medien: Das Online-Verzeichnis derpfälzischen und rheinhessischen Kirchenbücher(A. Kraft): 186.Aus- und Fortbildung, berufsständische Angelegenheiten:Praxisbezogene Lehrveranstaltung „Modernes Ar-chivwesen“ an der Universität Münster im Winterse-mester 2005/06 (W. Reininghaus): 188.Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen: Öffentliche Ar-beitssitzung des Projekts Nestor – Kompetenznetz-werk Langzeitarchivierung. Workshop im Bundesar-chiv Koblenz (W. Reininghaus): 188. – Kolloquium„10 Jahre Institut für Erhaltung von Archiv- undBibliotheksgut“ in Ludwigsburg (W. Mährle): 189. –51. Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der Kreisarchive

beim Landkreistag Baden-Württemberg in Esslingenam Neckar (A. Kayser): 191.

AuslandsberichterstattungInternationales: Archiv der Norddeutschen Missions-gesellschaft an das Staatsarchiv Bremen übergeben(K. Elmshäuser): 192. – „Die Sorge für Archivalien -eine Herausforderung für die Kirche.“ Tagung vonKirchenarchivaren im August-Pieper-Haus inAachen (K. Pabst): 195. – Das Archiv des DeutschenHistorischen Instituts in Rom (K. Jedlitschka): 196.Großbritannien: „Keeping it simple“ - das englischeRetrokonversionsprogramm A2A tritt in seine 4. Pro-jektphase. Arbeitsbesuch bei The National Archives,Kew (U. Fischer/W. Reininghaus): 198.

LiteraturberichtDie Ära Adenauer 1949–1963. Hrsg. von H.-D Kreikamp(M. Hollmann): 200. – Archivalische Zeitschrift. Hrsg. von derGeneraldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. 86. und87. Band (E. Büttner): 201. – Archive auf dem Markt? Vermark-tung und Verwaltung archivischer Dienstleistungen. Vorträgeim Rahmen des 63. Südwestdeutschen Archivtags am 17. Mai2003 in Ludwigshafen am Rhein. Eine Publikation der Landesar-chivdirektion Baden-Württemberg. Hrsg. von N. Bickhoff(G. Bradler): 202. – Archives of members and parliamentarygroups of the European Parliament in archives of member states.Inventory. Edited by G. Buchstab. Compiled by R. Schreiner(G. Bradler): 202. – „Bet Hachajim“ - Haus des Lebens. Die jüdi-schen Friedhöfe Bornheim, Hersel und Walberberg. Hrsg. vonD. Brody und H. Heimig (T. P. Becker): 202. – Bergisch-Märki-sche Unternehmer der Frühindustrialisierung. Hrsg. vonR. Stremmel und J. Weise (K. P. Wiemer): 203. – BiographischeEnzyklopädie deutschsprachiger Unternehmer. Auf der Grund-lage der von Walther Killy (†) und Rudolf Vierhaus herausgege-benen Deutschen Biographischen Enzyklopädie hrsg. vonW. Fischer unter Mitarbeit von K. Fuchs und B. Jahn(O. Dascher): 204. – Church Archives & Libraries. InternationalExperiences on Protection, Appraisal, Description and Presenta-tion of Cultural Heritage stored in these Institutions (H. Otte):205. – W. Cortjaens, Kirchenschatz St. Peter zu Aachen. SakraleKunst aus vier Jahrhunderten im Spiegel der Pfarrgeschichte(J. Oepen): 205. – Roda Pastoralis. 900 Jahre Seelsorge in Ker-krade, Afden und Herzogenrath – die Abtei Klosterrath und ihrePatronatspfarreien. Hrsg. von F. Pohle und L. Augustus(J. Oepen): 205. – „Daß Unsere Finanzen fortwährend in Ord-nung erhalten werden…“ Die staatliche Finanzkontrolle in Bay-ern vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Eine Ausstellung derBayerischen Archivschule. Bearb. von D. Burger, U. Hof-mann, R. Jedlitschka, J. Kemper, V. Laube, G. Rausch,G. J. Wolf und S. Wolf (T. Paringer): 206. – Digitales Verwalten -Digitales Archivieren. 8. Tagung des Arbeitskreises „Archivie-rung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ am 27. und28. April 2004 im Staatsarchiv Hamburg. Hrsg. von R. Heringund U. Schäfer (F. M. Bischoff): 207. – T. Fitschen, Das rechtli-che Schicksal von staatlichen Akten und Archiven bei einemWechsel der Herrschaft über Staatsgebiet (W. H. Stein): 208. –Das Fürstentum der Oberen Pfalz. Ein wittelsbachisches Territo-rium im Alten Reich. Ausstellung des Staatsarchivs Amberg inZusammenarbeit mit der Kommission für bayerische Landesge-schichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2142

DER ARCHIVAR. Mitteilungsblatt für das deutsche ArchivwesenHerausgegeben vom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf. Schriftleitung: Peter Dohms in Verbindung mit RobertKretzschmar, Wilfried Reininghaus, Ulrich Soénius und Klaus Wisotzky. Verantwortlich: Peter Dohms, Mitarbeiter: Meinolf Woste, Landesarchiv Nord-rhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf, Tel. 02 11/15 92 38–800 (Redaktion), –802 (Meinolf Woste), –803 (Petra Daub), Fax 02 11 /15 92 38-888, E-Mail: [email protected]. Druck und Vertrieb: Franz Schmitt, Kaiserstraße 99–101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41/6 29 25, Fax 0 22 41/5 38 91, E-Mail:[email protected], Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500. Die Verlagsrechte liegen beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. AmtlicheBekanntmachungen sowie Manuskripte, Mitteilungen und Besprechungsexemplare bitten wir an die Schriftleitung zu senden. Zum Abdruck angenom-mene Arbeiten gehen in das unbeschränkte Verfügungsrecht des Herausgebers über. Dies schließt auch die Veröffentlichung im Internet ein(http://www.archive.nrw.de/archivar). Die Beiträge geben die Meinungen ihrer Verfasser, nicht die der Schriftleitung wieder. Bestellungen und Anzeigen-verwaltung (Preisliste 20, gültig ab 1. Januar 2006) beim Verlag F. Schmitt, Kaiserstraße 99–101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41/6 29 25, Fax 0 22 41/5 38 91,E-Mail: [email protected]. Zuständig für den Anzeigenteil: Sabine Prediger im Verlag F. Schmitt. – „Der Archivar“ erscheint viermal jährlich. Die Bei-hefte werden in zwangloser Reihenfolge herausgegeben. Der Bezugspreis beträgt für das Einzelheft einschl. Porto und Versand 8,– EUR im Inland, 9,– EUR imAusland, für das Jahresabonnement im Inland einschl. Porto und Versand 32,– EUR, im Ausland 36,– EUR. ISSN 0003-9500.

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Ausstellung und Katalog: K.-O. Ambronn und M. R. Sagstet-ter in Zusammenarbeit mit R. Fritsch, A. Fuchs, R. Heyden-reuther, E. Stoiber (H. E. Specker): 208. – Geschichte des Bis-tums Trier. Band I: Im Umbruch der Kulturen. Spätantike undFrühmittelalter. Hrsg. von H. Heinen, H. H. Anton undW. Weber. Red.: A. Binsfeld (I. Schnelling-Reinicke): 209. –Geschichte des Bistums Trier. Band V: Beharrung und Erneue-rung 1881–1981. Hrsg. von B. Schneider und M. Persch(I. Schnelling-Reinicke): 209. – B. Hey, M. Rickling, K. Stock-hecke und B. Thau, Alkohol – Sünde oder Sucht? Enthaltsam-keitsbewegung, Trinkerfürsorge und Suchtberatung im evange-lischen Westfalen (G. Stüber): 210. – G. Hirschfelder, Alkohol-konsum am Beginn des Industriezeitalters (1700–1850). Verglei-chende Studien zum gesellschaftlichen und kulturellen Wandel.Bd. 2: Die Region Aachen (U. Thoms): 211. – Kleve-Mark Urkun-den 1394– 1416. Regesten des Bestandes Kleve-Mark Urkundenim Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf.Bearb. von H. Preuß (D. Scheuler): 211. – Lorenz Fries. Chronikder Bischöfe von Würzburg 742–1495. Band V: Wappen undRegister. Hrsg. von U. Wagner und W. Ziegler. Bearb. vonH.-P. Baum, R. Leng, R. Schindler und F. Sepp (H. Flachen-ecker): 212. – Ministerium für Handel und Gewerbe. Spezialin-ventar. Bearb. von H. Buck (†). Nachtrag. Hrsg. von C. Brandt-Salloum (F. Schmidt): 212. – Das Philipperarchiv. Findbuch fürden Bestand 311/7 Philippina im Hessischen Staatsarchiv Mar-burg. Bearb. von H. Kleifeld (J. Burkardt): 213. – Quellen zurGeschichte der Stadt Brilon 1482–1578. Bearb. von Wilfried Rei-ninghaus (M. Gosmann): 213. – Reichskammergericht Köln.Bd. 4, Teil 1: Nr. 1678–1864 (T–Z). Bearb. von K. Nippert(M. Wittke): 214. – A. Schaller, Michael Tangl (1861–1921) undseine Schule. Forschung und Lehre in den Historischen Hilfswis-senschaften (M. Gussone): 215. – Das Stadtarchiv. Schatzkam-mer - Forschungsstätte - Erlebnisort. Beispiel: StadtarchivBochum. Hrsg. von J. V. Wagner (K. Wisotzky): 215. – Steineund Erde. Der jüdische Friedhof in Siegburg. Hrsg. vonA. Korte-Böger im Auftrag der Kreisstadt Siegburg(T. P. Becker): 216. – E. Stubenhöfer, Die Erkrather Bürger-meister 1898–1999. Stadtgeschichte im Spiegel von Biografien(J. Schulz-Hönerlage): 217. – Vorderösterreichische Regierungund Kammer 1753–1805. Oberämter Günzburg und Rothenfels.

Bearb. von M. Haggenmüller und P. Steuer (B. Theil): 217. –P. Worm, Karolingische Rekognitionszeichen. Die Kanzlerzeileund ihre graphische Ausgestaltung auf den Herrscherurkundendes achten und neunten Jahrhunderts. Band 1 und 2 (K. Her-bers): 218.

PersonalnachrichtenZusammengestellt von Meinolf Woste ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

NachrufeWolfgang Hassel † (C. Grunert): 221. – Walter Vogel †(F. P. Kahlenberg): 221.

Kurzinformationen, VerschiedenesMarianne Englert zum 80. Geburtstag (E. Lange): 223.– Veranstaltungstermine: 224.

Gesetzliche Bestimmungen und Verwaltungsvor-schriften für das staatliche Archivwesen und zurArchivpflege in der Bundesrepublik DeutschlandGesetzliche Bestimmungen und Verwaltungsvor-schriften für das staatliche Archivwesen und zurArchivpflege in der Bundesrepublik DeutschlandZusammengestellt mit Unterstützung der Landesar-chivverwaltungen von P. Dohms und M.Woste ... . . . . . . 229

Mitteilungen des Verbandes Deutscher Archivarin-nen und Archivare e. V.Aktuelle Mitteilungen (H. Schmitt): 230. – Die deut-schen Archive, der Föderalismus und die kommunaleSelbstverwaltung. Festvortrag anlässlich der Verlei-hung des Hessischen Archivpreises am 17. Novem-ber 2005 in der ehemaligen Synagoge in Pfungstadt(R. Kretzschmar): 231.

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Personenbezogene Unterlagen militärischer Provenienz im BundesarchivVon Edgar Büttner

1. Einleitung

Zum 31. Dezember 2005 wurde die Zentralnachweisstelledes Bundesarchivs in Aachen-Kornelimünster (ZNS) nachlängerem Vorlauf planmäßig aufgelöst. 60 Jahre nachKriegsende und 50 Jahre nach ihrer Integration in das Bun-desarchiv beendete damit eine Dienststelle ihre Tätigkeit,die für einen wesentlichen Teil der Überlieferung perso-nenbezogener Unterlagen militärischer Provenienz ver-antwortlich war. Ihre ursprüngliche Aufgabe bestanddarin, Beschäftigungs- und Versicherungsnachweise fürAngehörige von Wehrmacht und Waffen-SS, aber auchvon Reichsarbeitsdienst und Organisation Todt (bzw.deren Hinterbliebene) zu erstellen und sich bei Bedarfauch gutachtlich hierzu zu äußern1; neben dieser indivi-duelle Rechtsansprüche sichernden Aufgabe stellte dieZNS Informationen für die Strafverfolgung von NS-Täternzur Verfügung. Aufgrund ihrer besonderen Aufgabengehörte die ZNS organisatorisch zur zentralen Verwal-tungsabteilung (Z) des Bundesarchivs, war allerdings derFachaufsicht der Abteilung Militärarchiv (MA) unterstellt.In dem Maße, in dem mit zunehmender zeitlicher Distanzzum Kriegsende die rechtlich relevanten Aufgaben abnah-men, gewannen wissenschaftliche wie genealogischeBenutzungen an Gewicht. Vor dem Hintergrund diesesAufgabenwandels war bewusst, dass die Aufgaben derZNS auf Dauer keine eigene Außenstelle mehr rechtfertig-ten. Archivfachliche Gründe sprachen bereits für eine Auf-lösung, spätestens mit der vom Bundesrechnungshofdurchgeführten „Prüfung der organisatorischen Auswir-kungen der Deutschen Einheit“ auf die ZNS aus dem Jahr1994 wurde der Handlungsbedarf jedoch manifest. DieAuflösung der ZNS und die damit verbundenen Konse-quenzen2 geben Anlass, in diesem Beitrag auf die Vorge-schichte und bisherige „Verteilung“ der personenbezoge-nen Unterlagen militärischer Provenienz, auf die Erwar-tungen von Benutzern sowie auf den Quellenwert undBewertungsfragen einzugehen.

2. Vorgeschichte und Verteilung personenbezogenerUnterlagen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die aufdem Gebiet der damaligen Bundesrepublik erhaltengebliebenen Personalunterlagen der früheren Reichswehrund Wehrmacht zunächst in Dortmund, später im sog.Personenstandsarchiv II des Landes Nordrhein-Westfalenin Aachen-Kornelimünster zusammengetragen. Im Jahre1955 gingen die erhalten gebliebenen personenbezogenen

1 Siehe Rudolf Absolon. Sammlung wehrrechtlicher Gutachten und Vor-schriften. 22 Hefte, 1963–1984.

2 Die mit diesem Schritt verbundenen personalwirtschaftlichen Problemesollen hier nicht unerwähnt bleiben; aufgrund der Altersstruktur derBeschäftigten der ZNS und der relativen Nähe zum Standort Koblenzkonnten sie jedoch erfreulicherweise zügig gelöst werden.

Unterlagen der ehemaligen Angehörigen des deutschenHeeres und der Luftwaffe, der Waffen-SS, des Reichsar-beitsdienstes und anderer Organisationen (z. B. Organisa-tion Todt, Nachrichtenhelferinnen) sowie das überliefertewehrmachtgerichtliche Schriftgut aller Wehrmachtteile andas Bundesarchiv über, das damit jedoch nur über eine„Teilmenge“ der personenbezogenen Unterlagen militäri-scher Provenienz verfügte.

Die Unterlagen über Verwundung und Kriegsgefan-genschaft sowie die Graborte deutscher Kriegsteilnehmerverblieben in der Zuständigkeit der Deutschen Dienst-stelle (WASt).3 Darüber hinaus wurde die WASt verant-wortlich für die personenbezogenen Unterlagen vonAngehörigen der Marine – jedenfalls bis zum Rang einesKapitäns zur See, denn ab dem Dienstgrad der „Obristen“wurden die Personalakten ranghoher Offiziere aller Waf-fengattungen im Bundesarchiv-Militärarchiv unter derBestandsbezeichnung PERS 6 zusammengefasst.4 Einmaßgeblicher Grund für diese „Selektbildung“ war wohldas seinerzeitige biographische Interesse seitens der mili-tärgeschichtlichen Forschung. Schließlich wurden dieKrankenunterlagen von Angehörigen des preußischenHeeres wie der Wehrmacht im sog. Krankenbuchlagerzusammengefasst.5

Die in der ZNS zusammengeführten personenbezoge-nen Unterlagen waren überwiegend, jedoch nicht aus-schließlich militärischer Herkunft, wie die Überlieferun-gen des Reichsarbeitsdienstes und der Organisation Todtbelegen. Und es gehörte ebenfalls zu den Kriegsfolgen,dass auch die personenbezogenen Unterlagen ziviler Her-kunft nicht „vollständig“ vorlagen. Im früheren BerlinDocument Center, das im Jahre 1994 in das Bundesarchivintegriert wurde, waren v. a. personenbezogene Unterla-gen konzentriert, die über Zugehörigkeit von Personenzur NSDAP sowie zu ihren Gliederungen und angeschlos-senen Verbänden Auskunft geben.6 Schließlich gab es imMachtbereich des Ministeriums für Staatssicherheit einsog. NS-Archiv, das neben Sachakten auch umfangreichespersonenbezogenes Schriftgut ziviler, aber auch militäri-scher Herkunft enthielt.7

3 In der Abkürzung „WASt“ lebt die frühere Bezeichnung „Wehrmachts-auskunftsstelle für Kriegerverlust und Kriegsgefangene“ fort. Sie wurdegemäß einer Verwaltungsvereinbarung zwischen der BundesrepublikDeutschland und dem Land Berlin vom 9. Januar 1951 als Behörde desLandes Berlin geführt. Siehe http://www.dd-wast.de.

4 Der Bestand PERS 6 umfasst ca. 14.640 Akten. Weitere bisher getrennteFreiburger Personalaktenbestände eher geringen Umfangs (Veterinäre,Beamte, zivile Bedienstete) werden im Rahmen der Aufarbeitung dervon der ZNS übernommenen Personalakten aufgelöst.

5 Das Krankenbuchlager ist wie die WASt eine Einrichtung des LandesBerlin, siehe http://www.berlin.de/sengessozv/lageso/kbl.html.

6 Siehe http://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/abtei-lungen/abtr/5.pdf. Auf die „Nachkriegsquellen“ – Spruchkammerak-ten in den Staatsarchiven, Spruchgerichte der Britischen Zone (Bundes-archiv Bestand Z 42), Karteien und Überlieferung der Zentralen StelleLudwigsburg –, die aus Rechercheperspektive ebenfalls mit heranzuzie-hen sind, sei an dieser Stelle nur kurz hingewiesen.

7 Siehe Sabine Dumschat: Aufarbeitung des „NS-Archivs“ des Ministe-riums für Staatssicherheit der DDR im Bundesarchiv. Vortrag auf dem75. Deutschen Archivtag in Stuttgart am 28. 9. 2005 auf der Sitzung derFachgruppe 1 (ergänzte Fassung): http://www.bundesarchiv.de/impe-ria/md/content/abteilungen/abtr/8.pdf. Auch personenbezogene Un-

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3. Aufteilung der ZNS-Bestände

Aus der Perspektive anfragender Bürgerinnen und Bürgerfehlte und fehlt immer noch die Transparenz, an welcherStelle welche Unterlagen vorhanden und benutzbar sind.8

Mit dem Zurücktreten des Aspekts der „Kriegsfolgen“bekommt das Bundesarchiv jedoch Gelegenheit undPflicht, die Transformation personenbezogener Unterla-gen, welche die längste Zeit für sekundäre Verwaltungs-zwecke benötigt bzw. aus politischen Gründen separiertwurden, zu Archivgut abzuschließen – nach der Integra-tion des BDC und der Aufarbeitung des ehem. NS-Archivsder Stasi markiert die Auflösung der ZNS einen weiterenwichtigen Schritt in diesem Prozess. Auf der Grundlagevorbereitender Überlegungen aus dem Jahr 2003 wurdedas in der ZNS befindliche personenbezogene Schriftgutauf die beiden Fachabteilungen Militärarchiv (MA) undReich (R) des Bundesarchivs sowie die Deutsche Dienst-stelle (WASt) gemäß den jeweiligen Zuständigkeiten auf-geteilt.9

a) Abteilung Reich (R) am Dienstort Berlin übernahm mitca. 150 lfm den quantitativ geringsten Anteil. Es handeltsich dabei um personenbezogene Unterlagen folgenderziviler Organisationen, deren Überlieferung – soweiterhalten – sich bereits in Obhut von Abteilung R befin-det :– Arbeits- und DAF-Mitgliedsbücher (58 lfm)– Tages-, Marsch- und Einsatzbefehle der SS-Helferin-

nenschule Oberehnheim/Elsass (1 lfm),– Organisation Todt und Transportgruppe Speer (41

lfm)– Reichsarbeitsdienst (10 lfm)– Personalakten der RAD-Führer (41 Kartons)

b) Der quantitativ größte Anteil der ehemaligen ZNS-Unterlagen mit ca. 8.300 lfm Umfang wurde der WAStin Berlin übergeben. Dabei bilden die Wehrstammbü-cher der Mannschaften und Unteroffiziere mit knapp7.100 lfm den stärksten Einzelposten, während weitereUnterlagen von Angestellten und Arbeitern ca. 530 lfmumfassen.

c) In die Abteilung MA am Dienstort Freiburg gelangteArchivgut im Umfang von insgesamt ca. 2.650 lfm.10

– Einen großen Komplex stellen die 222.280 Personal-akten der Offiziere von Heer und Luftwaffe sowieder Wehrmachtsbeamten dar (1.500 lfm).

terlagen militärischer Provenienz wurden aus diesem Komplex heraus-genommen und im Oktober 2005 an das Militärarchiv abgegeben. Dasich die Mehrzahl der ca. 2000 Personalunterlagen (z. T. auch Personal-akten) auf Unteroffiziere bezieht, werden diese nach entsprechenderSichtung an die WASt abgegeben.

8 Für Dienstzeitnachweise siehe Hinweise und Adressen in: GemeinsamesMinisterialblatt (GMBl.) 2000, S. 434. Das Bundesarchiv-Militärarchiv gibtAnfragenden seinerseits in einem Formschreiben Hinweise zu denjeweils zuständigen Stellen.

9 Die zugehörigen Karteien, die zum größeren Teil bereits bis 1945 entstan-den sind, sowie die aus der Anfragenbearbeitung entstandenen Altabla-gen werden im folgenden nicht spezifiziert.

10 Während der Transfer zu WASt und Abteilung R nach Berlin im Novem-ber 2005 erfolgte, fand der Transport des für Abteilung MA bestimmtenArchivgutes in zwei Abschnitten statt: Im März 2005 gelangten nachFreiburg die Personalakten der Offiziere von Heer und Luftwaffe sowieder Wehrmachtsbeamten, im Oktober folgten die wehrmachtgerichtli-che Überlieferung sowie die Unterlagen über die Verleihung von Ordenund Ehrenzeichen.

– Die ca. 180.000 wehrmachtgerichtlichen Akten bil-den mit 1.016 lfm den zweiten gewichtigen Posten.

– Die verschiedenen Unterlagen über die Verleihungvon Orden und Ehrenzeichen umfassen ca. 130 lfm.

Neben den Rationalisierungs- und Synergieeffekten fürdas Bundesarchiv insgesamt folgen aus der Verlagerungfachliche Konsequenzen, die derzeit v. a. in der AbteilungMA des Bundesarchivs zu bewältigen sind. Die beschrie-bene Aufteilung11 wird zu einer Konsolidierung für denBereich der eigentlichen Personalakten und der Wehr-machtgerichtsakten führen, eine „definitive Gesamtlö-sung“ für die personenbezogenen Unterlagen militäri-scher Provenienz wird damit aber nicht erreicht sein. DieTransformation von „Verwaltungsschriftgut“ zu Archiv-gut erfordert eine benutzerfreundliche Erschließung, diemit minimalem Aufwand raschen Zugang zu den ge-wünschten Informationen ermöglicht. Gerade hier liegennoch zu überwindende Defizite. Zwar war die ZNS Teildes Bundesarchivs, die üblichen archivfachlichen Stan-dards der Ordnung und Erschließung wurden infolge derBesonderheit der Aufgabe, d. h. letztlich in der Kontinui-tät des Verwaltungshandelns, jedoch nicht oder zumin-dest nicht konsequent angewandt. Im Wesentlichen sindimmer noch jene Karteien als Findmittel in Gebrauch, diebereits zu Wehrmachtszeiten angelegt wurden. Sie werdenergänzt durch weitere Karteien und sonstige Hilfsmittel,die in der ZNS angelegt wurden. Mit einer IT-gestütztenErschließung wurde in den neunziger Jahren begonnen,aber auch mit den beiden dabei entstandenen ACCESS-Datenbanken liegt kein fertiges Ergebnis vor, da sie jeweilsnur Teilmengen des Archivgutes betreffen12 und die Kar-teien weiterhin für die Beantwortung von Anfragenunentbehrlich sind.

Eine adäquate Erschließung der wehrmachtgerichtli-chen Überlieferung13 wie auch der Personalakten ist daherdringend erforderlich. Damit in absehbarer Zeit eine spür-bare Verbesserung für Benutzer erreicht werden kann,sind Haushaltsmittel für die Datenerfassung vorgesehen.Die Erfassung wird sich auf die Kernfelder beschränken,über die eine Person identifizierbar wird. Des Weiterenwird gewährleistet sein, dass die gewonnenen Daten auchunter anderen organisatorischen Bedingungen weiternutzbar sind.

11 V. a. aus Gründen des Überlieferungsumfanges wurde mit dem „Dienst-grad Leutnant“ eine pragmatische „Trennlinie“ zwischen Abteilung MAund der WASt gezogen, aus Perspektive anfragender Bürger, denen derDienstrang eines Angehörigen nicht selten unbekannt ist, macht siejedoch keinen Sinn.

12 Zunächst wurde für die wehrmachtgerichtlichen Akten sowie für dieOrdensverleihungen eine Datenbank mit nur wenigen Feldern (Name,Vorname, Geburtsdatum, Signatur) angelegt, die ca. 2.000.000 Daten-sätze umfasst. Die Ordensverleihungen sind darin jedoch nur auszugs-weise enthalten, so dass die Verleihungslisten selbst weiterhin für dieRecherche unentbehrlich sind. Neben dieser älteren Datenbank gibt eseine neuere ausschließlich für die wehrmachtgerichtlichen Akten, diejedoch nur knapp 80.000 der insgesamt 180.000 Akten repräsentiert. Demunvollständigen Erschließungszustand entspricht der unvollständigeOrdnungszustand: Allein die erwähnten 80.000 Akten sind entspre-chend dem Bundesarchivstandard signiert, nicht jedoch die restlichen100.000.

13 Siehe Manfred Messerschmidt: Die Wehrmachtjustiz 1933–1945.Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Paderborn, Mün-chen, Wien, Zürich 2005.

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4. Erwartungen von Benutzern

Personengeschichtliche Fragestellungen der historischenForschung wie auch die von der öffentlichen Erinnerungs-kultur beeinflusste private Spurensuche bestimmen dieQualität von Anfragen in den letzten Jahren. Die „Vertei-lung der Überlieferung“ machte und macht es Benutzerin-nen und Benutzern, seien es Familienforscher oder Wis-senschaftler, allerdings alles andere als leicht, wenn sienach der Spur eines Menschen in der Zeit des ZweitenWeltkrieges fragen. Wenn sie aus dem Ausland kommenoder dort bereits geforscht haben14, wundern sie sich nichtganz zu Unrecht über die Komplexität einer personenbe-zogenen Recherche in Deutschland, die in nicht wenigenFällen mit gut gemeinten „Verweisen“ begleitet wird, lei-der aber mit enttäuschendem Ergebnis enden kann.15

Benutzerinnen und Benutzer fragen häufig nach„Schicksal“ und „Funktion“ eines Angehörigen in derWehrmacht oder Waffen-SS, nach dem Einsatzort, nachden Umständen von Tod und Gefangenschaft, eventuellauch nach der Beteiligung an Kriegsverbrechen oder Ver-brechen gegen die Menschlichkeit. Mittlerweile geht eseher um die Generation der Großväter, ein quantitativgewichtiger Anteil betrifft aber immer noch die Väter undBrüder. Menschen suchen dabei Klarheit über ihre Her-kunft in umfassendem Sinn. Gelegentlich wird auch noch– nach Jahrzehnten des Schweigens und Verdrängens – derleibliche Vater gesucht, gerade von Anfragenden aus Län-dern, die während der Kriegszeit unter deutscher Besat-zung standen.16 Die geäußerten Erwartungen stehen dabeiin einem gesellschaftlichen Kontext, der v. a. von TV-Dokumentationen geprägt ist17 – sie gehen allerdingsmanchmal auch weit über das hinaus, was die bruchstück-haft erhaltenen Quellen hergeben können. Es ist danngerade Aufgabe des Archivs, die „Enttäuschung“ über dietatsächliche Quellenlage ins Positive zu wenden, denngerade das Verständnis personenbezogener Quellenbedarf des historischen Zusammenhangs18, den andereQuellen oder auch Publikationen vermitteln. In der Regelhilft der Verweis auf das „Kollektivschicksal“, wie es inhistorischen Darstellungen, v. a. auch in Divisionsge-

14 Siehe die benutzerfreundlichen Recherchemöglichkeiten des britischenNationalarchivs http://www.nationalarchives.gov.uk/militaryhis-tory/?homelink=main_military.

15 Nur klare Verweise entlang der bekannten Zuständigkeiten sind wirk-lich benutzerfreundlich; leider werden immer wieder falsche Hoffnun-gen geweckt, die dann enttäuscht werden müssen.

16 Diese Anfragen werden an die WASt verwiesen, siehe Deutsche Dienst-stelle. Arbeitsbericht 2002/2003/2004, S. 44.

17 Ein Film wie der „Soldat Ryan“, in dem Steven Spielberg das Kriegge-schehen gleichsam um eine einzelne Person herum konstruiert, könntedurchaus seinerseits Einfluss auf diese Erwartungshaltung genommenhaben.

18 Peter Müller: „War mein Opa eigentlich ein Nazi?“ Familienforschungals Vergangenheitsbewältigung. In: Archivnachrichten. Sondernummer.September 2005, S. 32–34, weist zurecht darauf hin, dass auch die Nut-zung der im Rahmen der Entnazifizierung entstandenen Einzelfallaktenfür familiengeschichtliche Zwecke „freilich nicht unproblematisch“ ist(S. 33); ohne den allgemeinen zeithistorischen Kontext könnten dieexkulpierenden Wertungen, die in den seinerzeit entstandenen „Persil-scheinen“ enthalten sind, unkritisch übernommen werden.

schichten19 beschrieben wird; das Einzelschicksal lässt sichdann entweder einordnen oder doch zumindest erahnen.Manchmal kann es auch hilfreich sein, wenigstens denOrt, an dem ein Angehöriger getötet wurde, anhand einesKartenausschnittes zu „identifizieren“.

5. Quellenwert und Bewertung

Die Aussagekraft personenbezogenen Schriftguts ist diffe-renziert zu betrachten. Grundsätzlich sind diese Unterla-gen aus der bürokratischen Aufgabe der „Personalverwal-tung“ entstanden, ein „umfassendes Bild“ von einemMenschen können sie im Nachhinein nicht geben. Regu-läre Personalakten von Offizieren besitzen vergleichs-weise die größte Aussagekraft: sie sind – soweit vollstän-dig erhalten – formal gleichartig aufgebaut und enthaltenLebenslauf, Zeugnisse, Beurteilungen und meist auch einPassbild. Sonstige personenbezogene Unterlagen überSoldaten sind eher spärlich in ihrem Informationsgehalt.In der Regel gilt: je höher der Dienstrang, umso vielfältigerund umfassender die erhaltenen Informationen. Gibt dieBegründung zur Verleihung eines Ritterkreuzes meistAngaben zum jeweiligen Kampfgeschehen wieder, bietenListen zur Verleihung „weit verbreiteter“ Orden wie desEisernen Kreuzes II. Klasse lediglich noch die Spur derNamensnennung.

Der Quellenwert wird jedoch nicht allein durch dieinnere Beschaffenheit des Schriftguts bestimmt. Die ver-heerende Zerstörung, die der Zweite Weltkrieg auslösteund die letztlich auf Deutschland als Verursacher zurück-schlug, ließ auch Kulturgut einschließlich seinerzeitigesArchiv- und Registraturgut unwiederbringlich verlorengehen. Selbstverständlich blieben personenbezogeneUnterlagen ebenfalls nicht verschont, zum Teil wurden sie– wie die Hauptmasse der Überlieferung des preußischenHeeres – durch Kriegseinwirkung zerstört, zum Teil wur-den sie bewusst vor Kriegsende noch vernichtet. Waserhalten ist, kann also grundsätzlich nicht als eine intakte„Grundgesamtheit“ betrachtet werden, aus der eineirgendwie definierbare „Auswahl“ zu treffen wäre.

Eine Bewertungsentscheidung ist bisher lediglich imFall des sog. Krankenbuchlagers getroffen worden, dasErgebnis war letztlich unbefriedigend.20 Eine generelle„archivfachliche Bewertungsdiskussion“ über personen-bezogene Unterlagen militärischer Provenienz aus der

19 Bei allen Vorbehalten gegenüber den historisch-politischen Wertungen,die in Divisionsgeschichten (geschrieben aus der Perspektive ehemali-ger Soldaten) enthalten sein können, sind die Darstellungen in allerRegel zuverlässig, soweit es um das operative Geschehen geht. „Kriti-sche Darstellungen“ gibt es hier vergleichsweise wenige.

20 Aufgrund des geringen Umfangs wurden die Krankenurkunden derGeburtsjahrgänge bis 1889 vollständig ins Bundesarchiv-Militärarchivübernommen (Bestand PERS 9). Für die Geburtsjahrgänge 1890 bis 1899wurde ganz offensichtlich aus Gründen der Raumknappheit eine „Aus-wahl“ festgelegt: archiviert wurden nur die Akten der in den MonatenJanuar und Juli geborenen Militärangehörigen. Eine solche Auswahlgenügt zweifellos für wehrmedizinische Fragestellungen (und in dieserHinsicht werden die Akten durchaus genutzt), nicht aber für personen-bezogene Nachweise. Akten „berühmter Persönlichkeiten“ – eineansonsten durchaus übliche Ergänzung beim Auswahlverfahren – fielendieser Auswahl ebenfalls zum Opfer mit der Konsequenz, dass z. B. dieKrankenakte Ernst Jüngers vernichtet wurde. Die Geburtsjahrgänge1900 bis 1905 werden in Kürze vom Krankenbuchlager an die WAStabgegeben mit dem Ziel, die Krankenunterlagen dort zusammenzufüh-ren.

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Weltkriegszeit hat im eigentlichen jedoch nie stattgefun-den.21 Abgesehen von einem möglicherweise fehlendenfachlichen Interesse gab es nie den „geeigneten Zeitpunkt“dafür, weil die „Freiheit“ dazu objektiv fehlte. Sie verspä-tet führen zu wollen, wäre zwecklos, denn durch dieBenutzungspraxis ist sie bereits entschieden. Die Siche-rung von Rechtsansprüchen ebenso wie die Strafverfol-gung standen einer frühzeitigen Vernichtung entgegen,die private Spurensuche im Kontext der Erinnerungskul-tur erübrigt eine solche Diskussion nunmehr endgültig.Die Realität ist somit über eine „fachliche Diskussion“ hin-weggegangen.

6. Erinnerungskultur und Perspektiven

Quellenwert definiert sich nicht als „absoluter Wert“, son-dern im vorliegenden Fall notwendigerweise auch überden „Marktwert“ aus Perspektive der Benutzung. Die per-sonenbezogenen Quellen, die gerade einer breiten interes-sierten Nutzerschicht zur Verfügung stehen, mögen imEinzelfall karg und spärlich erscheinen, sie stellen aber diewenigen Spuren einer großen Anzahl von Menschen inder Zeit des Zweiten Weltkrieges dar und sind somit Kris-tallisationspunkte für Erinnerungsarbeit. Daraus gewin-nen diese Quellen ihre besondere Bedeutung.

Der Trend hin zur subjektiven (Er)Lebensperspektiveeinzelner Personen und insbesondere der eigenen Vorfah-

21 In der Veröffentlichung „Archivischer Umgang mit Personalakten.“Ergebnisse eines spartenübergreifenden Fachgesprächs im Westfäli-schen Archivamt. Redaktion: Katharina Tiemann. Münster 2004 (Texteund Untersuchungen zur Archivpflege Band 16) bleiben die militärischenpersonenbezogenen Unterlagen gänzlich unerwähnt.

ren wurde in Veröffentlichungen der jüngsten Zeit immerwieder besprochen.22 Anders als in den Ländern der ehem.Alliierten, in denen Anteile von „Heldenverehrung“durchaus gegenwärtig sind23, geht es in der Bundesrepu-blik jedoch in der Regel um eine eher „kritische“ Familien-forschung, die gerade auch die mögliche Verstrickungeines Vorfahren in das NS-System klären will. Wie dieAnfragen im Bundesarchiv-Militärarchiv zeigen – und dassind allein ca. 3500 personenbezogene Anfragen im Jahr –ist ein „exkulpierendes“ oder gar „heroisierendes“ Inte-resse nur in absoluten Ausnahmefällen erkennbar.

Ob eine „Erinnerungsflaute“, wie sie von der FAZ fürdas „Centre Mondial de la Paix“ in Verdun beschriebenwurde24, oder gar ein Ende der Erinnerungskultur bevor-stehen könnte, bleibt natürlich offen. Der besondere Stel-lenwert von Zweitem Weltkrieg und Holocaust in derdeutschen Öffentlichkeit im Allgemeinen sowie derAspekt millionenfacher individueller Verstrickung ins NS-System im Besonderen sprechen dagegen.

22 Siehe z. B. Peter Müller (wie Anm. 18) sowie den Beitrag von Axel Rei-mann über die Tätigkeit der WASt: „Was hat Opa eigentlich im Krieggemacht?“ In: Chrismon 04/2005, S. 29–32. Mit möglichen Auswirkun-gen auf die Archive beschäftigt sich auch Brage bei der Wieden: DieWendung zum Subjekt und ihre Folgen für die Archive, in „ArchivischerUmgang mit Personalakten“ (wie Anm. 21), S. 117–119. Zwei der dreidort am Schluss formulierten Handlungsalternativen – temporäre Auf-bewahrung oder Aushändigung an Betroffene oder Erben – sind inak-zeptabel. Sie kommen einer Selbstaufgabe der Archive als Einrichtungenmit öffentlichem Auftrag gleich und konterkarieren im Übrigen denAnspruch, „neue Nutzerschichten anzusprechen“.

23 Heldenverehrung hat hierzulande eindeutig „rechtfertigende Mo-mente“, denn es gibt letztlich keine „wertfreie Erinnerung“ an „militäri-sche Leistungen“, siehe die Veröffentlichungen von Florian Berger überRitterkreuzträger, zuletzt: Ritterkreuzträger mit Nahkampfspange inGold, 2005.

24 FAZ vom 7. 10. 2005.

Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärungnationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg: dauerhafte Sicherung undNutzbarmachung durch das BundesarchivVon Andreas Kunz

Der am Rande der Ludwigsburger Innenstadt, in Sicht-weite des weltberühmten barocken Residenzschlossesgelegene Gebäudekomplex ist unscheinbar: ein Mitte des19. Jahrhunderts errichteter ehemaliger Gefängnisbau miteiner schmucklosen Erweiterung aus den 1960er Jahren.Unmittelbar daran grenzt das arkadengesäumte histori-sche Schorndorfer Torhaus, nach dessen aufwendigerSanierung im Jahr 2004 sich das Gebäudeensemble infreundlichem Erscheinungsbild präsentiert. Allein die indie hohe Mauer eingelassene, schwere Gittertür lässt diealte Gebäudefunktion erahnen und will so gar nicht zudem am ‚Zugang‘-Paradigma orientierten archivischenSelbstverständnis passen. Denn der Gebäudekomplexbeherbergt nicht nur die seit Jahrzehnten hier ansässigeZentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklä-rung nationalsozialistischer Verbrechen, sondern aucheine Außenstelle des Bundesarchivs.

Auf der Grundlage einer zwischen Bund und Ländernim Jahr 2000 getroffenen Vereinbarung, wonach die vonder Zentralen Stelle gesammelten Unterlagen „vongesamtstaatlicher und historischer Bedeutung“ sind und„daher an das Bundesarchiv abgegeben werden [sollen],soweit sie nicht mehr für Zwecke der Strafverfolgungbenötigt werden“, hat das Bundesarchiv eigens zu diesemZweck mit Wirkung zum 1. Januar 2000 eine Außenstelleam Sitz der Zentralen Stelle in Ludwigsburg eingerichtet.1

Den Archivmitarbeitern obliegt die dauerhafte Sicherung

1 Vereinbarung für die Übernahme der Unterlagen der Zentralen Stelleder Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischerVerbrechen in Ludwigsburg durch das Bundesarchiv (Eingang der letz-ten ausgefertigten Vertragsurkunde am 17. 4. 2000 gem. Schreiben desJustizministers des Landes Baden-Württemberg vom 28. 4. 2000, Az.:4110B/1063 an den Beauftragten der Bundesregierung für Angelegen-heiten der Kultur und der Medien).

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der übernommenen Unterlagen und ihre Nutzbarma-chung, institutionell und funktional von der ZentralenStelle getrennt, aber ohne die gängige räumliche Trennungvon abgebender Behörde und übernehmendem Archiv.2

Das zwischen Bundesarchiv und der Justiz bestehendeKooperationsmodell wird ergänzt durch eine archivpäda-gogische Komponente: Die Teilabordnung eines erfahre-nen Lehrers ist eine wichtige Voraussetzung dafür, das inLudwigsburg verwahrte Archivgut auch im Bereich derhistorisch-politischen Bildungsarbeit einsetzen zu kön-nen. Schließlich beherbergt der Gebäudekomplex nocheine Forschungsstelle der Universität Stuttgart, deren Mit-arbeiter die archivierten Unterlagen wissenschaftlich aus-werten und weitere Forschungsarbeiten initiieren sollen.3

Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zurAufklärung nationalsozialistischer Verbrechen

Die Gründung der Zentralen Stelle geht zurück auf eineEntschließung der Justizminister und -senatoren der Län-der auf ihrer Tagung vom 1. bis 3. Oktober 1958 in BadHarzburg, gemeinsam für vorübergehende Dauer einezentrale Stelle zur Vorbereitung und Koordinierung derStrafverfolgung bei nationalsozialistischen Verbrecheneinzurichten. Der im Sommer des gleiches Jahres abge-schlossene Prozess am Landgericht Ulm gegen Angehö-rige des Einsatzkommandos Tilsit wegen Mordes anlitauischen Juden 1941/42, der sich zum seinerzeit

2 Derzeitiger Personalbestand der Außenstelle: Leiter (hD), 1 SB, 2 BSBsowie 2 MagArb.

3 Ein aus den institutionellen Vertretern des Kooperationsmodells sowieweiteren namhaften Hochschul- und Universitätsprofessoren bestehen-der Wissenschaftlicher Beirat bei der Außenstelle berät den Präsidentendes Bundesarchivs. Mit dem Förderverein der Zentralen Stelle e.V., dersich insbesondere für die Nutzbarmachung der Unterlagen im Rahmender historisch-politischen Bildungsarbeit einsetzt, besteht eine konstruk-tive Zusammenarbeit.

umfangreichsten und aufwendigsten diesbezüglichenStrafverfahren in der noch jungen bundesrepublikani-schen Justizgeschichte entwickelte, hatte deutlich werdenlassen, dass zahlreiche Verbrechen bis dahin strafrechtlichnoch gar nicht erkannt worden waren und die Komplexi-tät der nationalsozialistischen Massenverbrechen inten-sivste Verfahrensvorbereitung sowie ein erhebliches Maßan Koordinierung der daran beteiligten Stellen verlangten,die mit den herkömmlichen staatsanwaltschaftlichenErmittlungsstrukturen nicht zu leisten waren. Schließlichhatte auch die Erwartungshaltung des Auslandes gegen-über der jungen Bundesrepublik ihren Anteil bei der poli-tischen Willensklärung und Entscheidungsfindung.4

Die Errichtung der gemeinsam von allen Bundeslän-dern getragenen Zentralen Stelle tangierte nicht deren Jus-tizhoheit bzw. Autonomie; die Fachaufsicht über die neueBehörde wurde der Justizverwaltung des Landes Baden-Württemberg übertragen. Der Aufklärungsauftrag derZentralen Stelle bezieht sich auf Verbrechenstatbestände,die unter Berücksichtigung geltender Verjährungsfristenverfolgbar sind. Bereits seit 1955 war für alle Straftaten, diemit einer gesetzlichen Höchststrafe bis zu zehn Jahrebedroht waren, Verjährung eingetreten. Mit Ablauf des 8.Mai 1960 verjährten auch Totschlagsverbrechen, so dassvon diesem Zeitpunkt an nur noch als Mord und als Betei-ligungshandlung an diesem Verbrechen zu qualifizie-rende Tötungshandlungen strafrechtlich verfolgbar sind;im Jahr 1979 hat der Gesetzgeber die Verjährung von

4 Vgl. u. a. Rüdiger Fleiter: Die Ludwigsburger Zentrale Stelle und ihrpolitisches und gesellschaftliches Umfeld. In: GWU 53 (2002). S. 32–50;Michael Greve: Von Auschwitz nach Ludwigsburg. Zu den Ermittlun-gen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärungnationalsozialistischer Gewaltverbrechen in Ludwigsburg. In: FritzBauer Institut (Hrsg.): Im Labyrinth der Schuld. Täter, Opfer, Ankläger.Jahrbuch 2003 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust. Frankfurt a. M.2003. S. 41–63; Annette Weinke: Die Verfolgung von NS-Tätern imgeteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigungen 1949–1969, oder:Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg. Pader-born 2002. Insbes. S. 82 ff.

Dienst- bzw. Archivge-bäude von ZentralerStelle und der Außen-stelle des Bundesarchivsmit Schorndorfer Torhaus(Quelle: Bundesarchiv,ASt Ludwigsburg)

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Mordverbrechen generell ausgeschlossen.5 Den wegenNS-Verbrechen Beschuldigten wird zudem eine rassistischund weltanschaulich begründete Tatmotivation unter-stellt, die Taten werden im Zusammenhang mit der natio-nalsozialistischen Vernichtungsideologie gesehen. Damitist zugleich eine eindeutige Unterscheidung zu herkömm-lichen Kriegsverbrechen gegeben, deren Aufklärung nichtin der Zuständigkeit der Zentralen Stelle liegt.6

Der Ludwigsburger Justizbehörde wurden keine Exe-kutiv- bzw. staatsanwaltschaftlichen Befugnisse übertra-gen. Sie soll das gesamte erreichbare Material über NS-Verbrechen im In- und Ausland sammeln, sichten und mitdem Ziel auswerten, systematisch nach Ort, Zeit undTäterkreis abgrenzbare Tatkomplexe herauszuarbeitenund dabei festzustellen, welche an den Tatkomplexenbeteiligten Personen noch verfolgt werden können. Abge-schlossene Vorermittlungen gibt die Zentrale Stellesodann an die zuständige Staatsanwaltschaft ab; dieZuständigkeit kann auch durch Anrufung des Bundesge-richtshofs festgestellt werden. Die Staatsanwaltschaft istdann ihrerseits zur Einleitung eines förmlichen Ermitt-lungsverfahrens verpflichtet.7 Allumfassend war dieserAufklärungsauftrag am Anfang allerdings nicht, sondernbeschränkte sich zunächst auf Verbrechen, die außerhalbder Bundesrepublik an Zivilpersonen abseits von deneigentlichen Kriegshandlungen begangen wurden. Suk-

5 Willi Dreßen: Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zurAufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. In: Erinnern oder Ver-weigern. Dachauer Hefte 6. München 1994. S. 85–93, hier S. 88 f.

6 Zur Unterscheidung von NS-Gewaltverbrechen und Kriegsverbrechensiehe den instruktiven Beitrag von Ingo von Münch: Geschichte vorGericht. Der Fall Engel. Hamburg 2004.

7 Von der Ludwigsburger Behörde deutlich zu unterscheiden sind die alsSchwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichteten Zentralstellen inNordrhein-Westfalen. Vgl. dazu: Die Zentralstellen zur Verfolgungnationalsozialistischer Gewaltverbrechen – Versuch einer Bilanz. Düs-seldorf 2000 (Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen; 10).

zessive wurde dann aber die Zuständigkeit auch auf dasBundesgebiet erweitert, und schließlich wurde der Grund-satz durchbrochen, dass nur an Zivilisten verübte Verbre-chen durch die Zentrale Stelle aufgeklärt werden sollen.8

Die Einrichtung der Zentralen Stelle ist eine entschei-dende Zäsur in der Geschichte der Strafverfolgung vonNS-Verbrechen in der Bundesrepublik: „Auf eine Periodevergleichsweise leichter Ergreifung und Aburteilung pro-minenter und geringerer Diener des Dritten Reiches bis1951 und die Periode fast zufälliger Verfahren auf Strafan-zeige gegen einzelne Personen bis 1958 erfolgte nunmehrdie systematische Aufklärung von den Verbrechenskom-plexen her.“9 Mit ihren Vorermittlungen, durch Material-beschaffung und durch ihre Unterstützung der Strafver-folgungsbehörden in Rechtsprechungsfragen hat die Zen-trale Stelle einen fundamentalen Beitrag für die bundes-deutsche Strafverfolgung von NS-Verbrechen geleistet.10

Auch im Jahr 2006 setzt die Zentrale Stelle ihre Tätigkeitfort.11

8 Ausgenommen von der Zuständigkeit der Zentralen Stelle ist auch derTatkomplex Reichssicherheitshauptamt, seit die Generalstaatsanwalt-schaft Berlin 1963/64 den Entschluss fasste, ein Sammelverfahren gegendie Mitarbeiter aller Ämter der SD- und Sicherheitspolizei-Zentrale zueröffnen. Vgl. dazu Michael Wildt: Generation des Unbedingten. DasFührungskorps des Reichssicherheitshauptamtes. Hamburg 2002.S. 823 ff.

9 Richard Henkys: Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen –Geschichte und Gericht, 2. Aufl. Stuttgart 1965. S. 9 f.

10 Ausweislich der Unterlagen der Zentralen Stelle waren seit 1958 mehrals 17.500 Verfahren wegen NS-Verbrechen bei Staatsanwaltschaften undGerichten der Bundesrepublik anhängig, die entweder durch die Zen-trale Stelle selbst eingeleitet wurden oder zumeist mittelbar mit derenTätigkeit zusammenhingen.

11 Aktuelle Einblicke gewährt der Artikel „Ein Schleppnetz für die letztenFische“ in der Süddeutschen Zeitung vom 24./25. März 2005.

Begehbarer Glasboden inder Ausstellung über dieTätigkeit der ZentralenStelle(Quelle: Bundesarchiv,ASt Ludwigsburg)

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 149

Bestandsbeschreibung, Überlieferungswert und Nut-zungsmöglichkeiten

Vor 25 Jahren sprach sich Peter Steinbach für den blei-benden Wert der Unterlagen der Zentralen Stelle aus:„Unsere Kenntnis über die nationalsozialistischen Gewalt-verbrechen verdanken wir im Wesentlichen der Arbeit derZentralen Stelle und den in Ermittlungsverfahren wie vorallem in den verschiedenen NS-Prozessen tätig geworde-nen Gutachtern. Es ist sicherlich ein angemessenes Urteil,wenn wir betonen, dass die Geschichtswissenschaft alleinkaum das dunkelste der deutschen Geschichte [...] miteiner Radikalität aufgeklärt hätte, die dem staatlichenStrafverfolgungs- und Rechtssprechungsauftrag zwangs-läufig entspricht.“12

Tatsächlich waren die Ermittlungsakten bereits langevor ihrer Übernahme durch das Bundesarchiv ein von His-torikern geschätzter und intensiv genutzter Quellenbe-stand. Dabei verdient es besonderer Erwähnung, dass dieBehördenleiter der Zentralen Stelle selbst durch Veröffent-lichungen, die sich auf das in ihrer Behörde entstandenebzw. zusammengetragene Material abstützten, neben jus-tizgeschichtlichen auch historische Grundlagenbeiträgeverfassten oder Mitherausgeber von Veröffentlichungenwaren, welche die nationalsozialistische Barbarei inbesonders eindringlicher Weise einem breiten Lesepubli-

12 Peter Steinbach: Nationalsozialistische Gewaltverbrechen. Die Dis-kussion in der deutschen Öffentlichkeit nach 1945. Berlin 1981 (Beiträgezur Zeitgeschichte; 5). S. 49.

kum vor Augen führten und damit auch die Aussagekraftder Unterlagen demonstrierten.13

Das Spektrum der in Ludwigsburg dokumentiertennationalsozialistischen Gewaltverbrechen ist ebenso großwie monströs. Es umfasst die Ermordung politischer Geg-ner in der Frühphase der NS-Herrschaft, die sprachlich als„Euthanasie“ verschleierte Vernichtung kranker undbehinderter Menschen sowie die Untaten von Medizinern,die, allen überkommenen Normen und Wertvorstellungenentsagend, massenhaft Menschen zu Versuchszweckenmissbrauchten. Als eine wichtige Grundlage für die syste-matische Aufklärung diente das vom InternationalenSuchdienst des Roten Kreuzes in Bad Arolsen erstellte undmehrere hundert Seiten umfassende Verzeichnis der Haft-stätten unter dem Reichsführer SS, so dass nicht nur einoder mehrere Ermittlungsvorgänge zu den gut zwei Dut-zend Konzentrationslagern angelegt wurden. Hinzu kom-men Hunderte von Überprüfungsvorgängen zu denNeben- und Außenlagern des sich seit 1943 metastasenar-tig über das Reichsgebiet ausbreitenden Konzentrationsla-gersystems. Gleiches gilt für die im Reichsgebiet und imbesetzten Europa befindlichen Arbeitserziehungs-, Son-der-, Jugendschutz- oder Polizeihaftlager sowie für die inden Zwangsarbeiter- und Judenzwangsarbeiterlagernverübten Verbrechen. Systematisch überprüft wurde auchdie völkerrechtswidrige Behandlung der sowjetischenKriegsgefangenen, von denen mehr als schätzungsweisezwei Drittel ihr Leben in deutschem Gewahrsam verloren.

13 Adalbert Rückerl (Hrsg.): NS-Prozesse. Nach 25 Jahren Strafverfol-gung: Möglichkeiten, Grenzen, Ergebnisse. Karlsruhe 1971; AlfredStreim: Sowjetische Kriegsgefangene in Hitlers Vernichtungskrieg.Berichte und Dokumente 1941–1945. Heidelberg 1982; Ernst Klee, WilliDreßen, Volker Rieß (Hrsg.): „Schöne Zeiten.“ Judenmord aus derSicht der Täter und Gaffer. Frankfurt a. M. 1988.

Außerschulischer LernortArchiv(Quelle: Bundesarchiv,ASt Ludwigsburg)

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2150

Flächendeckend wurden die von Angehörigen der Sicher-heitspolizei, SS, Ordnungspolizei, Waffen-SS, Wehrmachtund anderen Dienstellen des Besatzungsapparates insbe-sondere in Polen und in den besetzten Gebieten der frühe-ren Sowjetunion verübten Einzel- und Massenverbrechenuntersucht. Dabei geht es in der Hauptsache um Vernich-tungsaktionen gegenüber der jüdischen Bevölkerungdurch die Einsatzgruppen und den ihnen nachgeordnetenEinsatzkommandos, um die als Bekämpfung von Partisa-nen bemäntelten Verbrechen an Zivilisten oder um Aktio-nen, die im Zusammenhang mit der gewaltsamen ‚Aus-siedlung‘ ganzer Bevölkerungsgruppen und der Deporta-tion in Ghettos standen. Der industriell organisierte Mas-senmord in den Vernichtungslagern der „Aktion Rein-hard“ (Belzec, Sobibor und Treblinka) sowie in Majdanekund Auschwitz spiegelt sich in umfangreichen Ermitt-lungskomplexen wieder. Und schließlich gerieten, um dieNennung von Beispielen hier zu beenden, die Angehöri-gen der im Reich befindlichen Gestapo-Dienststellenwegen der Ermordung von Zwangsarbeitern in den Fokusder Ermittler, weil diese aus der Sicht des Regimes und sei-ner Träger gegen die ihnen auferlegten Lebensführungsre-geln verstoßen hatten.

Bei den von der Zentralen Stelle übernommenenErmittlungsakten handelt es sich in erster Linie um Mehr-fertigungen, die vielfach durch sog. Legescheine vonSchriftstücken unwesentlichen Inhalts befreit sind unddenen nach Abgabe des Vorgangs an eine zuständigeStaatsanwaltschaft weitere Unterlagen, wie etwa staatsan-waltschaftliche Mehrfertigungen oder aus dem Auslandzugesandtes Belastungsmaterial, zugeordnet wurden. DieErfahrung zeigt, dass in den wenigsten Fällen die paralleleÜberlieferung von Zentraler Stelle und die der strafrecht-lich ermittelnden Staatsanwaltschaft identisch ist. Undwiederholt haben sich selbst ganz rudimentäre Vorgänge,die kaum mehr umfassen als einige ausgewählte Zeugen-und Beschuldigtenvernehmungen, als archivwürdigerwiesen, weil die staatsanwaltschaftliche Überlieferungnicht mehr auffindbar bzw. nicht erhalten ist.

Die Gesamtzahl der in den Unterlagen überliefertenProtokolle – Beschuldigten-, Zeugen- und, in deutlichgeringerer Zahl, Opfervernehmungen – geht in die Hun-derttausende. Die allgemein bekannten Veröffentlichun-gen von Christopher Browning und Daniel J. Goldha-gen, die sich auf Akten des Strafverfahrens der Staatsan-waltschaft Hamburg gegen Angehörige des Reserve-Poli-zeibataillons 101 sowie weitere Verfahrensunterlagen derZentralen Stelle stützen, veranschaulichen, welch weitrei-chende Möglichkeiten diese Unterlagen für die interdis-ziplinäre historische Forschung zur nationalsozialisti-schen Unrechtsherrschaft und der von ihr betriebenen Ver-nichtungspolitik bieten.14 Das Ermittlungsaktenschriftgutstellt eine wichtige Ergänzungsüberlieferung zu demohnehin von extensiven Aktenverlusten geprägten amtli-chen Schriftgut der NS-Zeit dar. Die im Zuge der straf-rechtlichen Aufarbeitung der NS-Verbrechen entstande-nen subjektiven Zeugnisse von Tätern, Opfern und Zeu-

14 Zum Stand der Forschung vgl. Dieter Pohl: Die Holocaust-Forschungund Goldhagens Thesen. In: VfZ 45 (1997), S. 1–48; Gerhard Paul: VonPsychopathen, Technokraten des Terrors und „ganz gewöhnlichen“Deutschen. Die Täter der Shoah im Spiegel der Forschung. In: Die Täterder Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?Hrsg. von Gerhard Paul. Göttingen 2002 (Dachauer Symposien zur Zeitge-schichte; 2). S. 13–90.

gen ermöglichen die Rekonstruktion von komplexenEreigniszusammenhängen, insbesondere unter Berück-sichtigung alltags- und mentalitätsgeschichtlicher Frage-stellungen. Sie erlauben bisweilen tiefgreifende Einblickein die Motivation der Täter und die Interaktion der an denVerbrechen beteiligten sozialen Gruppen, was wiederumHandlungsspielräume erkennbar macht. Eine unlängstveröffentlichte sozialpsychologische Studie, die sich aufdas in Ludwigsburg vorhandene Archivgut stützt, zeigt,dass die Nutzungsmöglichkeiten und das damit verbun-dene Erkenntnispotential noch lange nicht ausgeschöpftsind.15

Die Sammlung aller der Zentralen Stelle bekanntgewordenen bzw. ihr zugeleiteten Anklage- und Urteils-schriften, deren Umfang sich z. Zt. auf über 700 Archivein-heiten beläuft, dokumentiert die Ergebnisse der strafrecht-lichen Aufarbeitung durch die west- bzw. bundesdeutscheJustiz. Überlieferungswürdig ist ohne Zweifel auch einegrößere Zahl bisweilen wissenschaftlichen Ansprüchengenügender Ausarbeitungen und Gutachten, in denensowohl sachliche, d. h. historische, als auch fachjuristischeErmittlungserkenntnisse festgehalten und in dieser Formauch an andere Justizbehörden weitergereicht wurden.Als beispielhaft können in diesem Zusammenhang einemehr als 300 Seiten umfassende Gesamtdarstellung desKonzentrationslagers Ravensbrück oder eine nicht mindervoluminöse Rekonstruktion der Deportation der jüdi-schen Reichsbevölkerung mitsamt eines ebenso umfang-reichen Dokumentenbandes gelten. Eine rechtliche Ana-lyse des Partisanenkrieges der Wehrmacht in der Sowjet-union benannte bereits 1968 die engste Verknüpfung mitder NS-Vernichtungspolitik – lange bevor sich die histori-sche Forschung der Thematik annahm. Andere Dokumen-tationen und Ausarbeitungen setzen sich intensiv mit derjuristischen Beurteilung des von Beschuldigten gebets-mühlenartig vorgebrachten Rechtfertigungsargumentsdes Befehlsnotstandes auseinander. Diese Beispielemachen deutlich, dass die Unterlagen der Zentralen Stelleauch für den Versuch stehen, den nunmehr über sechzigJahre zurückliegenden, historisch beispiellosen Zivilisati-onsbruch im Einklang mit rechtsstaatlichen Prinzipienund Verfahrensweisen aufzuarbeiten. Es sei an dieserStelle die Wertung des Verfassers einer aktuellen justizge-schichtlichen Dissertation zur Thematik zitiert: „Wie keinanderer führt der immense Aktenbestand [der ZentralenStelle] vor Augen, dass die strafrechtliche Aufarbeitungund Verfolgung von NS-Verbrechen eines der aufwendigs-ten Unterfangen in der deutschen Justizgeschichte dar-stellt.“16

Schließlich hing die Arbeit der Zentralen Stelle vorallem vom Zugang zu Informationen ab, aus denen sichErkenntnisse, wenn nicht sogar Verdachtsmomente fürNS-Verbrechen ableiten ließen. Ein Großteil der amtlichenÜberlieferung des NS-Staates war nach dem deutschenZusammenbruch von den Alliierten ins Ausland ver-bracht worden. Im Rahmen von Recherche- und Auswer-tungsreisen sichteten die Mitarbeiter der Zentralen Stellein sowohl in- als auch ausländischen Archiven einschlägi-ges Material deutscher und anderer Provenienzen. Die in

15 Harald Welzer: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmör-der werden. Frankfurt a. M. 2005.

16 Marc von Miquel: Ahnden oder amnestieren. Westdeutsche Justiz undVergangenheitspolitik in den sechziger Jahren. Göttingen 2004. S. 7.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 151

diesem Zusammenhang erstellten Kopien wurden zusam-men mit solchen von Unterlagen ausländischer Strafver-fahren, die der Zentrale Stelle zugingen, in einer sog.Dokumentation abgelegt, deren Umfang bis heute aufetwa eine halbe Million Blatt Einzelkopien angewachsenist. Mag ein großer Teil der Originaldokumente inzwi-schen zurück ins Bundesarchiv und andere deutscheArchive gelangt sein, so besitzen diese Unterlagen docheinen bleibenden Wert. Denn ihr Inhalt spiegelt den Wis-senstand der Zentralen Stelle wieder und ist zudem aufsengste mit den Ermittlungsakten verzahnt.

Einzigartige Recherchemöglichkeiten

Zu den Unterlagen der Zentralen Stelle gehört ein komple-xes Informationssystem, welches das Ermittlungsakten-schriftgut quasi überwölbt und einzigartige Recherche-möglichkeiten bietet. Mag dieses als behördlichesRechercheinstrument und auch als vorarchivisches Find-mittel bei Archivbenutzungen genutzt werden, so handeltes sich dabei doch um Archivgut sui generis.

Dieses besteht zum einen aus einer ca. 1,6 MillionenKarteikarten umfassenden sog. Zentralkartei. Darin wur-den die im Zusammenhang mit der Ermittlungsarbeitbekannt gewordenen und als relevant für die aktuelle wiezukünftige Aufklärung von NS-Verbrechen gewertetenInformationen nach einheitlichen Auswertungs- undErfassungsmerkmalen registriert. Zu fast 700.000 Perso-nennamen sind neben biographischen Angaben, Ämtern

und Funktionen auch Nachweise eingetragen, welcheDokumente sich auf einen Beschuldigten beziehen oder anwelcher Stelle dieser selbst etwas zu Protokoll gegebenhat. Die Karteikarten enthalten Angaben zum Zeitpunktder Aussage und zum Verfahren (Aktenzeichen, Verfah-rensgegenstand sowie Band- und Blattzahl). Durchschlägedieser Personenkartei wurden in zusätzlichen Auswer-tungsschritten nach Ortsnamen und Einheiten bzw.Dienststellen geordnet. Die so entstandene ‚Ortskartei‘enthält Fundstellen zu mehr als 26.000 Orten und sonsti-gen geographischen Begriffen und kann mit einem denganzen damaligen deutschen Machtbereich überspannen-den, detailliert gearbeiteten Kataster für NS-Verbrechenverglichen werden. Die ‚Einheitenkartei‘ beinhaltet Ver-weise auf insgesamt mehr als 4.200 politische, verwal-tungsmäßige, parteiamtliche, sicherheitspolizeiliche, mili-tärische und andere Institutionen, Einrichtungen und Ein-heiten des NS-Staates, die in den Unterlagen der ZentralenStelle ‚aktenkundig‘ sind.

Des Weiteren wurden alle seit dem Jahr 1945 in denwestlichen Besatzungszonen und der späteren Bundesre-publik eingeleiteten NS-Verfahren in einer ebenfalls kar-teigebundenen Verfahrensübersicht (VÜS) erfasst, derenDaten in den 1990er Jahren zusätzlich in eine Access-Datenbank konvertiert wurden. Darin enthalten sind Kon-kordanzen der staatsanwaltschaftlichen und der mit die-sen korrespondierenden Aktenzeichen der ZentralenStelle, Verfahrensstände sowie dazugehörige juristischeDetailinformationen. Mehr als 100.000 Beschuldigte in NS-Verfahren können per Volltextsuche recherchiert werden,ebenso Tatvorwürfe, Tatorte und der Beteiligung verdäch-tigte Institutionen oder Einheiten.

Pädagogisch-didaktischangeleitetes Lernen mitArchivgut(Quelle: Bundesarchiv,ASt Ludwigsburg)

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2152

Bewertung und Erschließung

Der Umfang der von der Zentralen Stelle übernommenenUnterlagen beläuft sich auf derzeit ca. 1.200 lfm.17 Diearchivische Bearbeitung folgt einem ganzheitlichenBewertungs- und Erschließungskonzept, dessen Grund-gedanke die dauerhafte Sicherung des aus Ermittlungsak-tenschriftgut und Karteisystemen bestehenden ebensofiligranen wie fragilen Informationsgefüges ist. Dabeiwird sowohl auf Kassationen unter bewusster Inkauf-nahme von Redundanzen verzichtet als auch die Kompa-bilität von archivischen Verzeichnungsstandards mit denin den Karteisystemen enthaltenen vorarchivischenZugangsinformationen sichergestellt.

Die Unterlagen der Zentralen Stelle bilden den BestandB 162 des Bundesarchivs. Sie werden als Sachakten mit demim Bundesarchiv allgemein angewandten Archivverwal-tungsprogramm BASYS bearbeitet. Der Ansatz, die Unter-lagen als Sachakten zu erschließen, bietet die nötige Flexi-bilität angesichts der heterogenen Zusammensetzung derVorgänge. Die Serien- und Bandfolgenbildung ermöglichtdie Ausdifferenzierung beispielsweise in Hauptakten derZentralen Stelle, staatsanwaltschaftliche Mehrfertigun-gen, Dokumenten- und Anlagenbände, Lichtbildmappen,Urteilsschriften, Handkarteien, Sammlungen von Verneh-mungsniederschriften o. ä. Die Recherchierbarkeit desAktenzeichens wird in diesem Zusammenhang als ebensofundamentale wie selbstverständliche Erschließungsleis-tung betrachtet.18 Für die inhaltlich völlig heterogeneDokumentensammlung, deren Bände nach Herkunft und,in wesentlich geringerem Umfang, auch sachthematischgegliedert sind, liegen bereits von der Zentralen Stelleerstellte Findbücher mit Einzeldokumentverzeichnungvor, mit denen über drei Viertel der Dokumentensamm-lung für Benutzer selbständig benutzbar sind.

Für die dauerhafte Sicherung und Nutzbarmachungder Karteisysteme werden zusätzliche Konzepte entwi-ckelt. Dabei werden die im Falle einer digitalen Konvertie-rung entstehenden Folgeaufwendungen bereits in derkonzeptionellen Phase berücksichtigt. So könnten bei-spielsweise die bereits digital vorgehaltenen Daten derVerfahrensübersicht nicht isoliert überliefert, sondern ineine mittelfristig projektierte Version des Archivverwal-tungsprogramms BASYS importiert werden, der einerweitertes Datenmodell ohne die bislang übliche Unter-scheidung verschiedener Aktenstrukturtypen zugrundeliegt. Hinsichtlich der dauerhaften Sicherung und zukünf-tigen Nutzbarmachung der in der Zentralkartei enthalte-nen Informationen erscheint es bei genauerer Betrachtungals zweifelhaft, ob die vollständige Konversion in eineDatenbank mit einem Maximum von Abfrage- und Aus-wertemöglichkeiten technisch und finanziell realisierbarund unter dem Gesichtspunkt des Kosten-Nutzen-Ver-

17 Noch nicht übernommen wurden die General- bzw. Dienstakten derBehörde.

18 Dies gilt insbesondere auch für die große Zahl der sog. verbundenenVorgänge. Dabei handelt es sich um Vorgänge, die zu einem bestimmtenBetreff angelegt und als solche in den Karteien registriert, im Verlauf derErmittlungen jedoch mit anderen Vorgängen aufgrund des gleichenSachverhalts verknüpft und fortan nicht mehr eigenständig geführt wur-den. Voraussetzung für die vollständige Recherchierbarkeit dieserursprünglichen Aktenzeichen ist somit die Verzeichnung aller in denRegisterbüchern eingetragenen Vorgänge.

hältnisses überhaupt sinnvoll ist. Die schiere Masse derzum Teil mehrere Hundert Zeichen umfassenden Kartei-einträge bedeutet ein riesiges Datenvolumen, und dieHeterogenität der Karteieinträge lässt einen kaumabschätzbaren Nachbearbeitungsbedarf befürchten. Diekonzeptionellen Überlegungen zielen deshalb auchdarauf, die auf den Karteikarten enthaltenen Informatio-nen als Bilddateien oder auf Mikrofilm zu sichern unddiese über ausgewählte Metadaten (Aktenzeichen, Perso-nenname, Geburtsort, Geburtsdatum etc.) recherchierbarzu machen.

Abschließend sei erwähnt, dass die etwa 2.000 Fotos,die in den Ermittlungsakten in loser Form oder als Bild-mappen enthalten sind und schon aus konservatorischenGründen der separaten archivischen Bearbeitung bedür-fen, den Teilbestand B 162 Bild bilden. Es wird angestrebt,diesen mit Hilfe der vom Bildarchiv des Bundesarchivs(Referat B 6) in der Einführung befindlichen Bilddaten-bank zu erschließen. Ermöglicht würde dadurch dieOnline-Recherche und -benutzung von digitalisiertenFotos bei gleichzeitigem Verweis auf das dazugehörigeSchriftgut im Hauptbestand, welches die für die Quellen-interpretation der Fotos unumgänglichen Kontextinfor-mationen enthält.

Benutzung

Gemäß der zu Beginn zitierten Bund-Länder-Vereinba-rung findet auf die vom Bundesarchiv übernommenenUnterlagen das Bundesarchivgesetz mit der MaßgabeAnwendung, „dass die Schutzfristen nach § 5 Abs. 1 und 2BArchG für wissenschaftliche Forschungsvorhaben oderzur Wahrnehmung berechtigter persönlicher Belange zuverkürzen sind, sofern und soweit § 5 Abs. 6 BArchG demnicht entgegensteht.“19

Seit die Außenstelle des Bundesarchivs ihre Arbeit imJahr 2000 aufgenommen hat, ist das Benutzungsaufkom-men konstant und, gemessen an der mittleren Größe desBestandes, überdurchschnittlich hoch.20 Abgesehen vonden starken Aktenbewegungen im Rahmen der behördli-chen Benutzung durch die Zentrale Stelle lässt sich dasGros der Benutzungen dem wissenschaftlichen Bereichzuordnen. Einen gewichtigen und zudem wachsendenAnteil stellen aber auch Benutzer, deren Interesse persön-lich oder familiengeschichtlich motiviert ist. Die Nach-kommen der ‚Täter‘-Generation, vor allem deren Enkel-töchter und -söhne, wenden sich an die Außenstelle, umvon den Erlebnissen und vom Wirken der Väter und Groß-väter in der Zeit des ‚Dritten Reichs‘ zu erfahren. Nimmtman den archivischen Dienstleistungsgedanken ernst, sostellt sicherlich jede Benutzerbetreuung eine gewisse fach-liche wie persönliche Herausforderung dar. Die Mitarbei-

19 Abschnitt II Abs. 3. Des Weiteren garantiert Abschnitt II Abs. 4 der Ver-einbarung der abgebenden Behörde die Benutzung des Archivguts „vor-rangig vor anderen Benutzern“, sofern und soweit dies „für Zwecke derStrafverfolgung benötigt wird“ (vgl. Anm. 1).

20 Im Jahr 2004 besuchten 212 Benutzer an 715 Benutzungstagen dieAußenstelle, hinzu kamen 2.084 schriftliche Benutzungen. Über 31.000Archiveinheiten wurden für Benutzungen, eingeschlossen die behördli-che, ausgehoben und reponiert. Darüber hinaus fertigten die Mitarbeiterder Außenstelle über 67.000 Blatt Archivkopien für Benutzer an [Mittei-lungen aus dem Bundesarchiv 1/2005. S. 97 ff.].

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 153

ter der Außenstelle haben wiederholt die Erfahrunggemacht, dass die Auskunft darüber, in welchem Zusam-menhang ein Betroffener in den Unterlagen der ZentralenStelle ‚aktenkundig‘ geworden ist, wie auch die Einsicht-nahme in die Akten selbst eine bisweilen erhebliche per-sönliche Betroffenheit bei Anfragenden und Benutzernauslösen.21 Häufig bedarf es der Hilfestellung bei der kon-textualen Einordnung von Zeugen- und Beschuldigten-aussagen und bei der Verständlichmachung komplexerhistorischer Zusammenhänge wie auch juristischer Pro-blemlagen. Und wiederholt erwiesen sich emotional auf-gewühlte Benutzer dankbar für die Bereitschaft derArchivmitarbeiter, dass diese in bestimmten Momenteneinfach ‚nur‘ als dringend benötigter Gesprächspartnerzur Verfügung standen.22

Historisch-politische Bildungsarbeit mit Schulen

Die Bedeutung der juristischen Aufarbeitung der NS-Ver-brechen kann nicht allein an der Zahl der Verurteilungenoder an der Höhe des Strafmaßes bewertet werden. Viel-leicht sogar gewichtiger ist ihr Beitrag für die Fundierunggesellschaftlichen Wissens über die nationalsozialistischeBarbarei, sei es infolge öffentlicher Berichterstattung oderdurch Initiierung wissenschaftlicher Forschung.23 Im Rah-men der Auseinandersetzung mit der Gesamtthematikentwickeln sich „politisch-ethische Koordinaten der Mit-und Nachlebenden“.24 Dies unterstreicht die Zweckmä-ßigkeit, die archivische Kernaufgabe, die Unterlagen derZentralen Stelle Benutzern zugänglich zu machen, auchunter dem Blickwinkel der historisch-politischen Bil-dungsarbeit zu sehen. Zudem befindet sich das Archiv aneinem historisch bedeutsamen Ort, im Gebäude der Zen-tralen Stelle – einer Einrichtung, die man ungeachtet derkontroversen Bewertung des gesellschaftlichen Umgan-

21 So beispielsweise veröffentlicht von Claudia Brunner und Uwe vonSeltmann: Schweigen die Väter, reden die Enkel. Frankfurt a. M. 2004.S. 149 ff.

22 Der Artikel „Den charmanten Sadisten entlarven“ in der Frankfurter All-gemeinen Zeitung vom 24. März 2005 vermittelt Eindrücke von derArchivbenutzung durch die Tochter des 1946 in Polen hingerichtetenKommandanten des Konzentrationslagers Krakau-Plaszow, AmonGöth, öffentlich bekannt durch Steven Spielbergs Film „SchindlersListe“.

23 Vgl. Martin Broszat: Siegerjustiz oder strafrechtliche „Selbstreini-gung“. Aspekte der Vergangenheitsbewältigung der deutschen Justizwährend der Besatzungszeit 1945–1949. In: VfZ 29 (1981), S. 477–544.

24 Peter Steinbach: Wider das Vergessen und Verdrängen. Die Ludwigs-burger Zentrale Stelle und die deutsche Vergangenheitsbewältigung. In:Universitas 55 (2000). S. 1051–1068, Zitat S. 1068.

ges mit der nationalsozialistischen Vergangenheit als einSymbol bundesdeutscher Rechtsstaatlichkeit begreifenkann. All dies entspricht in besonderer Weise einer zentra-len methodisch-didaktischen Forderung des Lehr- bzw.Bildungsplans des Landes Baden-Württemberg, nämlichden Besuch außerschulischer Lernorte systematisch in dieUnterrichtsgestaltung einzubeziehen.

Seit mehreren Jahren bietet die Ludwigsburger Außen-stelle des Bundesarchivs eine zusammen mit dem zurUnterstützung abgeordneten Lehrer entwickelte pädago-gisch-didaktische Dienstleistung an, welche die ebensoeffektive wie effiziente Integration des Lernortes Archiv indie Unterrichtsgestaltung der Schulen zum Ziel hat. DasAngebot ist modular aufgebaut und beinhaltet mehrereThemen. Diese sind multiperspektivisch angelegt undweisen vielfältige Lehrplanbezüge auf, die über das FachGeschichte hinausreichen und einen für die Schülererkennbaren Gegenwarts- bzw. Alltagsbezug haben. ImMittelpunkt der pädagogisch-didaktischen Betreuung, dieim Vorfeld mit dem Klassen- bzw. Fachlehrer besprochenwird, steht die Arbeit mit aus dem Archivgut exempla-risch ausgewählten Quellen. Mittels detaillierter Arbeits-aufträge erreichen die Schüler zuvor festgelegte kognitiveund affektive Lernziele, die, ergänzt um den Erwerb vonMethodenkompetenz, nachhaltigere Lernerfolge erwartenlassen als der herkömmliche Schulunterricht.25 Unterstüt-zend wirken weitere Elemente, die, abhängig von der zurVerfügung stehenden Zeit, genutzt werden können: Eineim Jahr 2004 eröffnete ständige Ausstellung, die imbenachbarten historischen Schorndorfer Torhaus unterge-bracht ist, führt Besucher mit Hilfe von Dokumenten- undFotomaterial, eines nachempfundenen Arbeitsplatzes derZentralen Stelle, der von einem begehbaren Glasbodenaus betrachtet werden kann, sowie einer Falldokumenta-tion an die Aufgaben und Tätigkeit der Zentralen Stelleheran, dies unter Einbeziehung der übergeordneten politi-schen und gesellschaftlichen Zusammenhänge.26 Ein wei-teres Element ist die Besichtigung der Archiv- und Maga-zinräume. Dabei werden Schülern in anschaulicher Weisedie Aufgaben und die Arbeitsweise des Archivs vermitteltund ihnen in persönlich erlebbarer Weise die Funktion derArchive als gesellschaftliche Wissensspeicher und bürger-nahe Dienstleistungseinrichtung bekannt gemacht.

25 Vgl. dazu u. a. Horst Gies: Geschichtsunterricht. Ein Handbuch zurUnterrichtsplanung. Köln 2004. S. 90 ff.

26 Siehe dazu im Detail Andreas Kunz: „Die Ermittler von Ludwigsburg.“Ein Arbeitsbericht zum Ausstellungsprojekt und zur historischen Bil-dungsarbeit der Außenstelle Ludwigsburg. In: Mitteilungen aus dem Bun-desarchiv 2/2004. S. 14–22.

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Das Sächsische Staatsarchiv: Neuformierung des Staatlichen Archivwesens in SachsenVon Jürgen Rainer Wolf

Am 1. Januar 2005 wurde mit dem Inkrafttreten des Ver-waltungsmodernisierungsgesetzes1, das der SächsischeLandtag am 19. März 2004 verabschiedet hatte, das Sächsi-sche Staatsarchiv aus der Taufe gehoben. In einem Festaktim Staatsministerium des Innern am 4. Februar 2005 ver-band Staatsminister Dr. Thomas de Maizière die Würdi-gung der Aufgaben des Staatsarchivs und der Arbeit sei-ner Bediensteten mit der Einführung von MinisterialratDr. Jürgen Rainer Wolf als Leiter der neuen Landesober-behörde.2

Damit wurde ein Prozess abgeschlossen, der unmittel-bar nach der Wende 1990 begann und eigentlich schon imJahre 2000 beendet werden sollte.3 Die vor sechs Jahren inGang gebrachte notwendige Gesetzesänderung, in umfas-sendere Artikelgesetze verpackt, dauerte unter Wechselihrer Bezeichnung aber bis zum vorletzten Jahr. Zwischen-zeitlich hatte die Umstrukturierung staatlicher Archivver-waltungen in Sachsen-Anhalt4 sowie Nordrhein-Westfa-len bereits zu Ergebnissen geführt5, und auch für Baden-Württemberg6 und Niedersachsen zeichneten sich Lösun-gen wie für Sachsen ab. Bei aller Ähnlichkeit der Reform-prozesse und der entstandenen neuen Strukturen lassensich gleichwohl unterschiedliche verwaltungshistorischeKomponenten nicht einfach negieren. Gegenüber Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, deren Umstruk-turierungen zu umfangreichen Diskussionen bereits aufdem Archivtag in Chemnitz 2003 führten und den 65. Süd-westdeutschen Archivtag in Lindau dominierten7, warenund sind die Probleme fundamentaler. Aber auch der Blickder sächsischen Staatsregierung auf die Zukunftsfähigkeitdes Landes beginnt nicht beim Kostendruck aus deutscherEinheit und Globalisierung8, sondern bei den wirtschaftli-chen und mentalen Folgen des Zusammenbruchs derDDR bis hin zur absehbaren Entvölkerung ganzer Land-striche des Freistaates innerhalb der nächsten 20 Jahre in

1 Gesetz zur Modernisierung der Sächsischen Verwaltung und zur Verein-fachung von Verwaltungsgesetzen (Sächsisches Verwaltungsmoderni-sierungsgesetz – SächsVwModG) vom 5. Mai 2004, Artikel 2 Änderungdes Archivgesetzes für den Freistaat Sachsen, Sächsisches Gesetz- und Ver-ordnungsblatt Nr. 7 vom 22. Mai 2004, S. 148 ff; vgl. auch Archivgesetz fürden Freistaat Sachsen (SächsArchivG) vom 17. Mai 1993, rechtsbereinigtmit Stand vom 1. Januar 2005. In: Geltendes Recht Sachsen [290–1]. DerOrganisationserlass datiert vom 13. 12. 2004.

2 Sächsisches Archivblatt Heft 1, 2005 S. 3–5, mit Grußwort des Staatsminis-ters Thomas de Maizière.

3 Vgl. Jürgen Rainer Wolf, Das Archivwesen im Freistaat Sachsen seit1990 – eine vorläufige Bilanz. In: Comma. Internationale Archivzeitschrift2004. 3–4, Sonderheft: Archive in Mitteleuropa, S. 121–130.

4 Vgl. Ulrike Höroldt, Archive in Bewegung? Zur Strukturreform desstaatlichen Archivwesens in Sachsen-Anhalt. In: Der Archivar. Beiband 9:Archive im gesellschaftlichen Reformprozess. Referate des 74. Deut-schen Archivtags 2003 in Chemnitz, S. 159–180.

5 Wilfried Reininghaus, Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Ent-stehung, interne Organisation, Aufgaben und aktuelle Ziele. In: DerArchivar 57, 2004, S. 295–300 sowie Martina Wiech, Festakt zur Errich-tung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, ebd., S. 301–305.

6 Winfried Schöntag, Verwaltungsstrukturreform in Baden-Württem-berg. Auswirkungen auf die Überlieferungsbildung und auf die Archi-vorganisation. In: Der Archivar 58, 2005 S. 183–185 sowie Nicole Bick-hoff, Reform der baden-württembergischen Archivverwaltung. Strate-gisches Management als Steuerungsinstrument des Veränderungspro-zesses, ebd. S. 186–188.

7 Der Archivar 59, 2006, S. 3–18.8 So das Tagungspräsidium in Lindau, ebd. S. 3.

Folge fundamentaler Wandlungsprozesse des regenerati-ven Bevölkerungsverhaltens.

1. Ausgangslage: 40 Jahre DDR

Die 1990 dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beige-tretenen fünf „neuen“ oder „jungen“ Länder Branden-burg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bilden (zusammen mit dem Anteildes ehem. Ostsektors der Hauptstadt Berlin) eine eigeneGruppe von staatlichen Archivverwaltungen der Bundes-republik Deutschland. Abgesehen von der Auflösung desLandes Preußen und der Grenzziehung der Besatzungs-mächte haben politische Entwicklungen innerhalb derLänder der ehemaligen drei West-Zonen auf den Archiv-bereich kaum ausgestrahlt; er wurde von den Besatzungs-mächten nicht geformt, und nach Gründung der Bundes-republik gewann der Kulturföderalismus schnell eineeigene Dynamik. Dagegen wurde die Diktatur der KPdSUin der UdSSR zum verpflichtenden Vorbild für die Herr-schaft der SED in der zentralstaatlichen DDR und damitauch für das Archivwesen. Liest man die Begründung fürden Entwurf des Sächsischen Archivgesetzes9 , der 1992dem Landtag zugeleitet wurde, ist von dieser Vergangen-heit nichts zu erkennen:

„Es gilt, eine den historisch gewachsenen Gegebenhei-ten gerecht werdende Landesarchivorganisation aufzu-bauen. Dafür ist das wohlgeordnete, funktionsfähig vomFreistaat Sachsen übernommene staatliche ArchivwesenGrundlage. Dem Staatsarchiv Dresden ist nunmehr seineursprüngliche Bezeichnung ‚Sächsisches Hauptstaatsar-chiv‘ wieder zuzuerkennen. Für den RegierungsbezirkLeipzig existiert das Sächsische Staatsarchiv Leipzig. DieAußenstelle Chemnitz des Staatsarchivs Dresden soll baldals eigenständiges Sächsisches Staatsarchiv Chemnitz fürden Regierungsbezirk Chemnitz eingerichtet werden. Diebewährten Archivstandorte Bautzen, Freiberg, Glauchauund Kamenz sind auch aus Gründen der Bürgernähe bei-zubehalten.“

Nur implizit weist dieser Text darauf hin, dass die heu-tige sächsische Archivlandschaft nur vor dem Hinter-grund der 40-jährigen Geschichte der Archivverwaltungder DDR verständlich ist. Die Einschätzung der Autoren,das staatliche Archivwesen sei wohlgeordnet und funkti-onsfähig vom Freistaat übernommen worden, ist zugleichsymptomatisch für Problembewusstsein und Selbstver-ständnis. Dieses ergänzt sich durch die wiedererrungenelandesgeschichtliche Identität, die ganz unvermittelt imSchwenken grünweißer Fahnen bei dem berühmten Auf-tritt des Bundeskanzlers Kohl an der Ruine der Frauen-kirche in Dresden noch vor der Wiedervereinigung zumAusdruck gekommen war. Sachsen ist in seiner Anknüp-fung an eine vorrepublikanische Vergangenheit – wenigerdie staatliche Existenz zwischen 1919 und 1952 – zweifel-los der „historischste“ Teil der ehemaligen DDR.

9 Gesetzentwurf Ds. 1/2476 vom 1. 12. 1992, S. 19.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 155

Aus Platzgründen kann hier nur wieder einmal daranerinnert werden, dass die besonderen Bedingungen derStaatsarchive in den neuen Ländern nach wie vor beste-hen: lawinenartiger Zuwachs von Archivgut nach 1990,Modernisierungsrückstau in der Unterbringung, Schrift-gut der herrschenden Partei, der Massenorganisationen,der Wirtschaft und von Adelsarchiven als Strukturteile,Erschließungsrückstau in den zu DDR-Zeiten verpöntenUnterlagen vor 1800 und bei den Notübernahmen, erhöh-ter Rechercheaufwand durch Restitutionen, Rehabilitie-rungen und Aufarbeitung einer bewusst parteiisch wahr-genommenen Vergangenheit. Dabei hatte man auch nichtdavor zurückgeschreckt, der Forschung und den Betroffe-nen Unterlagen bewusst vorzuenthalten.10

Als nach dem Einigungsvertrag die staatlichen Archiv-einrichtungen auf den Freistaat Sachsen übertragen wur-den, waren ihre Bestandteile äußerst heterogen: das 1834gegründete Hauptstaatsarchiv Dresden umfasste alsAußenstellen das 1932 eingerichtete Archiv in Bautzen,das 1952 eröffnete Landesarchiv Glauchau, das 1967errichtete Bergarchiv Freiberg und das 1987 eingerichteteBezirksarchiv Karl-Marx-Stadt.11 Zum 1. Januar 1954 hatteder Bezirk Leipzig ein eigenes, selbständiges Staatsarchiverhalten.12 Daneben gab es seit 1967 in Leipzig die Zentral-stelle für Genealogie mit Zuständigkeit für die nach 1945auf dem Gebiet der DDR aufgefundenen Sammlungen desReichssippenamtes sowie das Schriftgut aufgelöstergenealogischer Vereine. Zum 1. März 1952 war die „Zen-tralstelle für Archivalienrestaurierung“ mit Zuständigkeitfür die gesamte Archivverwaltung der DDR eingerichtetworden, die im Gebäude des Hauptstaatsarchivs in Dres-den untergebracht war. Sie wurde nun als Restaurierungs-werkstatt in das Hauptstaatsarchiv eingegliedert.

Auch im Archivwesen wurden die Defizite schlagartigdeutlich, als durch den friedlichen Aufstand der Bewoh-ner der DDR der Staat kurz nach seinem 40. Jubiläumzusammenbrach. Am signifikantesten lagen sie im Bereichder baulichen Unterbringung vor Augen. Die Bauverwal-tung konstatierte rückschauend.13 „Die 1990 übernom-mene Gebäudesubstanz bzw. die Liegenschaften ... befan-den sich nicht in dem Zustand, dass die öffentliche Sicher-heit oder Ordnung, insbesondere Leben oder Gesundheitoder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdetwurden und sie ihrem Zweck entsprechend ohne Miss-stände zu benutzen waren.“ Dieser Befund hat freilichwenig bewirkt. Zur Sicherung der Unterlagen der zusam-mengebrochenen Partei-, Staats- und Wirtschaftsverwal-tung wurden Depots in Leipzig, Freiberg und Kamenz inprovisorisch hergerichteten Gebäuden eingerichtet. Bisheute gelang es aber lediglich in Leipzig in Zusammen-hang mit dem Paunsdorf-Projekt, das Staatsarchiv inmodernen und funktionsgerechten Räumen unterzubrin-

10 S. die Abgaben des sog. NS-Archivs des Ministeriums für Staatssicher-heit der DDR durch das Bundesarchiv nach der seit 1995 durchgeführtenErschließung sowie die angekündigte Übergabe von Erbgesundheitsak-ten.

11 Für Bürger, Staat und Forschung. 10 Jahre Sächsisches StaatsarchivChemnitz, Haus der Geschichte für die Region Südwestsachsen. Fachta-gung 29. Oktober 1997, Chemnitz 1998.

12 Archive und Gesellschaft – 50 Jahre Sächsisches Staatsarchiv Leipzig.Beiträge zum Festakt, zur archivischen und genealogischen Fachtagung,hrsg. vom Sächsischen Staatsministerium des Innern, Dresden 2004.

13 Vgl. Drucksache 3/6494 und Protokoll der 64. Sitzung des SächsischenLandtages, 3. Wahlperiode, zur Großen Anfrage der CDU-Fraktion„Stand der Neuordnung und Entwicklung der Sächsischen Archivver-waltung“ vom 17. Mai 2002, S. 4341–4347.

gen und mittelfristig angemessenen Magazinraum vorzu-halten. In dieses Staatsarchiv wurde Mitte 1995 durchKabinettsbeschluss die Deutsche Zentralstelle für Genea-logie als Abteilung eingegliedert und auch mit ihm räum-lich vereinigt. Dem Kamenzer Depotbereich hatte manschon 1993 die vom Bund finanzierte Sicherungsverfil-mungsstelle angegliedert, die zugleich für Thüringenarbeitete. In Chemnitz gelang es, durch Umzug in einanderes Mietobjekt eine wesentliche Verbesserung derRaumsituation herbeizuführen. Glauchau wurde 1994aufgegeben. Neben die archivfachliche Problematik trataber die ungelöste Frage der Strukturen der Verwaltung.14

2. Interne und externe Problemanalysen

Die Aufgaben der Archivverwaltung waren seit 1993 imSächsischen Archivgesetz (SächsArchivG) geregelt. Darinwar, deutlich beeinflusst von den Lösungen Süd- und Süd-westdeutschlands, die Errichtung einer Landesarchivdi-rektion vorgesehen, deren Aufgaben zunächst noch imzuständigen Fachministerium in einem eigenen Referatwahrgenommen werden sollten. Trotz der beruhigendklingenden Gesetzesbegründung von 1992 waren diestrukturellen Probleme des staatlichen Archivwesensunübersehbar: ungelöste Frage der Landesarchivdirek-tion, Ungleichgewicht zwischen Hauptstaatsarchiv Dres-den mit zunächst noch drei Außenstellen in Bautzen,Chemnitz und Freiberg sowie dem gleichrangigen Staats-archiv Leipzig, Unterbringungsbedarf, Bewertungs- undErschließungsdefizite und Bestandserhaltung. So beauf-tragte Staatsminister Heinz Eggert am 25. März 1993 dieErarbeitung einer Kabinettsvorlage sowie eines darausresultierenden „Personalbedarfs- und Funktionsstellen-plans“ auf der Grundlage des SächsArchivG, der dannkurz Archivkonzeption genannt wurde. Gleichzeitigsuchte die für das Fachreferat Archivwesen zuständigeAbteilung des Innenministeriums nach Wegen, angesichtsallgemeiner Restriktionen – in Hinblick auf die Zukunfts-fähigkeit des Freistaates war die Kreditaufnahme radikaleingeschränkt, was sich im heutigen geringen Schulden-stand niederschlägt – den Unterbringungsbedarf gleich-wohl zu decken. Die Nutzung historischer Bauten, für diezwar eine Erhaltungsnotwendigkeit, aber keine Chanceauf gewinnbringende Veräußerung oder sonstige Verwer-tung bestand, schien dafür ein Ansatz. Insbesondere betrafdies die Schlösser Freudenstein in Freiberg als Sitz für dasBergarchiv und Hubertusburg in Wermsdorf zur Unter-bringung einer Zentralwerkstatt und eines zeitlich auf 10Jahre zu befristenden Bewertungsprojektes nach nieder-ländischem Vorbild. Es gelang aber damals nicht, das Vor-haben Freiberg in den Haushalt einzuordnen. Der Hinweisauf die notwendige Kabinettsverabschiedung der Archiv-konzeption erlaubte dem Finanzministerium eine Ver-schleppungstaktik. Die 1996 vorgelegte Archivkonzep-tion, die einen Verzicht auf die Errichtung der Landesar-chivdirektion zugunsten des definitiven Verbleibs derAufgaben im Ministerium vorsah, verlor auf dem Weg ins

14 Vgl. Aufbruch im Umbruch – Die Sächsische Archivverwaltung auf demWeg ins 21. Jahrhundert. Hermann Bannasch zum 65. Geburtstag, Dres-den 2001.

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Kabinett bereits ihr umfangreiches Personaltableau, dasinsbesondere den Defiziten im Vollzug der Kernaufgabengalt.15 Sie wurde als Bericht zur Kenntnis genommen undan die Fachverwaltung zurückgereicht, um die Forderungdes Finanzministeriums nach Verlegung des StaatsarchivsChemnitz in das Schloss Hubertusburg einvernehmlich zuklären.16 Schließlich einigten sich die zuständigen Ministerauf die Überprüfung der Berechnungen der Fachverwal-tung für den gesamten Bedarf und ihrer Aussagen zurnachhaltigen Nutzung des Schlosses durch ein Unterneh-men. Kurzfristige und intensive Prüfungen insbesondereder Situation der Registraturen von Verwaltung und Justizdes Freistaates waren die Folge. Schon im Jahre 2000 aberhatte die politische Spitze des Innenministeriums verfügt,durch Zusammenführung der Staatsarchive mit der Auf-gabenwahrnehmung von Archivreferat und Landesar-chivdirektion in der Leitungsebene eines Landesarchivsdie Strukturfrage abschließend zu lösen. Dies erfolgte zueinem Zeitpunkt, als die gesamte Problematik Gegenstandeiner Großen Anfrage der Regierungsfraktion im Landtagwar.

Während des Stillstandes konnte nur eine Frage derLösung näher gebracht werden: die Unterbringung desArchivgutes der Oberlausitz, das kurz vor dem Ende derDDR aus der einsturzgefährdeten Ortenburg in Bautzen inzwei Objekte in der Stadt verlagert worden war. Als einesder Quartiere wegen umfangreicher Schimmelschädengeschlossen und das Archivgut unter Nutzung der Raum-reserven des Staatsarchivs Leipzig dorthin verlagertwurde, erwies sich das Regionalbewusstsein als starkgenug für eine örtliche Lösung. Das Archivgesetz wurdeam 25. Juni 1999 so geändert, dass bei bestimmten histori-schen Interessen die Übernahme der Archivierungsauf-gabe durch ein Archiv anderer öffentlich-rechtlicher Trä-gerschaft mit Hilfe öffentlich-rechtlicher Vereinbarungmöglich wurde. In der Folge wurde ein neues Magazinge-bäude für über 3 Millionen DM in Bautzen finanziert unddie Übernahme der Kosten für eine Fachkraft des gehobe-nen Dienstes durch den Freistaat vertraglich geregelt.Unter Leitung des Stadtarchivs Bautzen konnte derArchivverbund Bautzen 2001 seine Arbeit aufnehmen.17

Wenig später lag seit Mitte 2001 das Gutachten des Wirt-schaftsprüfungsunternehmens Artur Andersen zumUnterbringungskonzept der Archivverwaltung bis zumJahr 2020 vor. Es bestätigte nicht nur die Mengengerüste,sondern stellte darüber hinaus in den Registraturen einennoch höheren Schriftgutstand und damit verbundenenAbgabedruck fest. Kabinett und Landtag haben parallelzur Behandlung der Antwort auf die Große Anfrage imLandtag in der ersten Jahreshälfte 2002 den nunmehrunstrittigen Unterbringungsbedarf anerkannt und verab-

15 Lösungsansätze für einen Teil der Aufgaben wurden in Tagungen disku-tiert: Hermann Bannasch (Hrsg.), Magazin- und Bestandsmanagementbei knappen Ressourcen, und: Strategien und Methoden einer zeitgemä-ßen Bestandserhaltung in den sächsischen Staatsarchiven, beide Dres-den 1999.

16 Der Landesverband Sächsischer Archivarinnen und Archivare hat am 4.Januar 1999 gegen diese Pläne protestiert, vgl. Tagungsband 7. Sächsi-scher Archivtag Oktober 1998 in Kamenz: Informationsdynamik bei denBehörden – Überlieferungsbildung in den Archiven/8. SächsischerArchivtag Oktober 1999 in Oschatz: Bestandserhaltung heute – Einsatzmoderner Technik zur Pflege und Sicherung der Originale, Chemnitz2000, S. 127–130.

17 Grit Richter-Laugwitz, Eröffnung des Archivverbundes Bautzen,sowie Rede des Staatsministers Klaus Hardraht aus diesem Anlass. In:Sächsisches Archivblatt 2/2001, S. 1–3.

schiedet. Gleichzeitig wurde mit Einführung der zweijähr-lichen Berichtspflicht über die Umsetzung der notwendi-gen Maßnahmen die Bedeutung der Aufgabe für den Frei-staat unterstrichen.18 In den Beschlüssen wurde der Aus-bau der Standorte Freiberg, Hubertusburg und Dresdensowie eine mittelfristige Lösung für Chemnitz vorgese-hen. Das Ergebnis des Untersuchungsauftrags über dieNotwendigkeit eines Zwischenarchivs der Landesverwal-tung, das gegebenenfalls auch in Schloss Hubertusburgverwirklicht werden könnte, wird seit damals noch immerzwischen den Ressorts abgestimmt. Die Fachverwaltungzog mit der Verlagerung des den Chemnitzer Raum betref-fenden Archivgutes aus der Vorkriegszeit die Konse-quenz; im dortigen Staatsarchiv stehen der Forschung wiein Leipzig die regionalen Quellen zur Verfügung19.

3. Zahlen und Fakten

Die Einordnung von Planungsmitteln und ersten Bauratenin den Doppelhaushalt 2003/04 erfolgte Ende 2002.Unmittelbar nach der Pressekonferenz der Staatsregie-rung über dieses Konzept begann der Sächsische Rech-nungshof mit einer Prüfung der Archivverwaltung. Siesetzte bei den Kosten der Bestandserhaltung des Archiv-gutes, insbesondere durch die Unterbringung, und denvon der Archivverwaltung mehrfach gegenüber Kabinettund Landtag dargelegten Defiziten in der Aufgabenerfül-lung an. Durch die Wende und die damit verknüpftennach- und vorfristigen Abgaben hatten sich die Beständeder Staatsarchive in Sachsen mehr als verdoppelt. In denfolgenden Übersichten wurden die Zahlen gegenüberdem Untersuchungszeitraum beispielhaft fortgeschrie-ben:

Dabei sind die Zugänge aus Behörden und Wirtschafts-unternehmen ebenso berücksichtigt wie die Überlieferungder SED.20 In ähnlich besorgniserregender Weise wie dieBeständeumfänge hatten die Benutzungen und Anfragenzugenommen. Hier ist eine Rückkehr zu den Ausgangs-werten noch immer nicht in Sicht:

18 Vgl. dazu auch Abschnitt Archive. In: Landesentwicklungsbericht 2002,hrsg. v. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Dresden 2003,S. 202–204.

19 Barbara Schaller, Akten unterwegs in Sachsen: Archivalien vomHauptstaatsarchiv Dresden ins Staatsarchiv Chemnitz verlagert. In:Sächsisches Archivblatt 1/2004, S. 19–20.

20 Vgl. Bewertung, Erschließung und Benutzung von SED-Beständen inden Archiven der Neuen Bundesländer. Beiträge eines Workshops am7./8. November 2001 im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig, herausgege-ben vom Sächsischen Staatsministerium des Innern, Dresden 2002.

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Dabei sind neben den schon erwähnten Anfragen imRehabilitierungs- und Entschädigungsbereich ausdrück-lich die Zwangsarbeiternachweise zu nennen, deren Bear-beitung in Sachsen das Referat Archivwesen im Innenmi-nisterium koordiniert hat. Sie bestimmen insbesondere dieAnfragen-Zahlen des Jahres 2003.

Nicht Schritt gehalten hatte mit der Zunahme der Auf-gaben die Personalentwicklung. Der Rechnungshof hatbereits im Frühjahr 2000 gleichwohl den Personalbestandder Archivverwaltung als angemessen bezeichnet. Mit sei-ner Stellungnahme griff er im Jahr 2004 auch nicht etwaigeFehler bei Auftragsvergaben für Bestandserhaltungszwe-cke auf oder mahnte einen wirtschaftlicheren Vollzug an.Sein grundsätzlicher Ansatz war, den Umfang des Archiv-gutes durch Abgabe an andere Einrichtungen, durch Ver-nichtung und Ersatz auf anderen Medien radikal so zuvermindern, dass ein um zwei Drittel verringerter Unter-bringungsbedarf entsteht. Insbesondere dem Schriftgutder DDR einschließlich dem der volkseigenen Wirtschaftwurde damals noch der Erhaltungswert im Original abge-sprochen. In Digitalisaten sah man das zukunftsfähigereund kostengünstigere Speichermedium für Information.Eine zahlenmäßige Untersetzung für den behauptetengeringeren Aufwand wurde nicht vorgelegt. In letzterKonsequenz ging der Rechnungshof, durchaus seinemAuftrag zur Prüfung aller Einsparungsmöglichkeiten inder Verwaltung entsprechend, darauf aus, mit Hilfe derReduzierung der Überlieferung Standorte und wohl auchPersonal einzusparen.

4. Fachaufgaben und öffentliche Wahrnehmung

Die Archivverwaltung hat – unterstützt von Historikern21,dem Gutachter22 und dem VdA23 – darauf beharrt, dassArchivgut aus authentischen Originalen besteht und dassdieses Kulturgut nicht durch modische Nachbewertung jenach Zeitgeschmack verändert werden darf. Sie hat darge-legt, dass angesichts der Einheit von Partei, Wirtschaft undStaat in der totalitär strukturierten DDR ein Herausbre-chen von Überlieferungsteilen nicht verantwortet werdenkann. Vorstellungen, dass diese Überlieferung generellunbewertet in die Archive gelangt sei, werden den archiv-wissenschaftlichen Modellen der vertikalen und horizon-talen Bewertung in der DDR nicht gerecht. Gleichwohl

21 Gedankt sei an dieser Stelle insbesondere dem Leiter des Instituts fürSächsische Geschichte und Volkskunde e. V. Prof. Dr. Winfried Müller,Dresden.

22 Gerd Schneider, „Archivare aufgewacht!“ Anmerkungen eines Exter-nen zur gegenwärtigen Situation im deutschen Archivwesen, in: DerArchivar 57, 2004, S. 37–44.

23 Vgl. die „Fuldaer Erklärung“ des VdA vom 12. November 2003.

kann nicht bestritten werden, dass der Umfang der Über-lieferung durch verspätete, insbesondere aber vorfristigeÜbernahmen bei Zusammenbruch des Gesellschaftssys-tems schockartig einer sonst auf 30 Jahre oder mehrgestreckten Übergabe vorgegriffen hatte. Die von derArchivverwaltung in der Beantwortung der Landtagsan-frage aufgezeigten Erschließungsrückstände von damalsumgerechnet 171 Vollzeitäquivalent-Jahren umfasstenauch Defizite durch zu flache Erschließung, die bei denRückübereignungsrecherchen zu erhöhtem Aufwandführten. Als eine der Kernaufgaben des Staatsarchivs istder Nachweis des Abbaus der ErschließungsrückständeGegenstand der zweijährlichen Berichterstattung an Kabi-nett und Landtag. Bei Akten und buchmäßig gebundenenArchivalien konnte der Anteil von 9,3% im Jahre 2000 auf6,4% im Jahr 2004 gesenkt werden. Berichtet wird auchüber die Intensivierung der Bewertungsmodelle und dieErhöhung der Ausnahmen von der Anbietungspflicht fürganze Unterlagengruppen, die von 950 im Jahre 2003 auf1.100 im Vorjahr gesteigert werden konnten. Diese Seiteder Facharbeit, für die es starker Steuerungselementebedarf, wurde vom Rechnungshof gewürdigt und unter-stützt.

Nach der öffentlich geführten Diskussion über denUmfang des Archivgutes und seine Erhaltung hat derSächsische Landtag den Rechnungshofbericht zur Kennt-nis genommen, ist ihm aber nicht beigetreten. ZwischenInnenministerium und Rechnungshof konnte im Vorfelddieser Entscheidung Einvernehmen darüber erzielt wer-den, mit Blick auf die nicht abschätzbaren Auswirkungender Einführung der elektronischen Akte nur den derzeitfestgestellten Bedarf zu decken und Weiteres 2010 zu eva-luieren. Aber nicht erst seit dem Bericht ist bei Beobach-tung der öffentlichen Finanzen abzusehen, dass dieZuführung zusätzlichen Personals in einer grundsätzlichauf die Verwaltung wachsender Mengen von Unterlagenausgerichteten Einrichtung auf lange Jahre sehr unwahr-scheinlich geworden ist. Hoffnungen richten sich infolge-dessen auf den Ausbau des IT-Einsatzes in der ganzenBreite des Verwaltungshandelns. Seit den 90er Jahren warin den Staatsarchiven für Verzeichnungen das ProgrammAugias im Einsatz. Daneben bestehen Insellösungen imBereich der Genealogie, aber auch in unterschiedlichenDatenbanken der Verwaltung und der archivischenArbeitsbereiche. Eine stärkere Vernetzung ist unausweich-lich. Seit 5 Jahren sind ein Informatiker des höheren undzwei Informatiker des gehobenen Dienstes in der Archiv-verwaltung tätig. Eine Projektgruppe nahm zur Vorberei-tung eines Integrierten Archiv-Systems eine umfangreicheBestandsaufnahme von IT-Einsatz und Arbeitsabläufenvor. Dies ist die Voraussetzung für die Entscheidung überdie Zukunft eines Systems, das entwickelt oder gekauftwerden soll. Beispielsweise muss ähnlich wie seit Jahr-zehnten in den Bibliotheken auch in der Magazinverwal-tung des Archivs durch den Einsatz von Barcodes eine ent-sprechende Aufwandsverminderung möglich sein. Eineder Voraussetzungen dafür wurde in den letzten Jahrengeschaffen: die Einführung einheitlicher Beständesignatu-ren für das Sächsische Staatsarchiv. Ein besonders wichti-ger Aspekt in Hinblick auf Kundenorientierung und Ver-ringerung von Beratungsaufwand ist die verständlichere,leichtere Zugänglichkeit des Archivgutes für Benutzerüber das Internet, auch über einfachere Such- und Bestell-systeme. Der Begriff der „Kundenfreundlichkeit“ hat auch

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den Abbau von Verständlichkeitsschranken zum Inhalt.Der Archivverwaltung fehlen die Ressourcen für lange,zeitraubende Beratungsgespräche. Für die nächsten Jahreist Personalabbau angesagt: bis 2008 sind bereits kw-Ver-merke im Stellenplan angebracht, und eine Beschlussfas-sung des Kabinetts über die Zukunftsperspektiven stehtan. Die Auswirkungen von Kürzungen müssen mit Hilfeder Technik und einer arbeitsablaufgerechten Unterbrin-gung abgefedert werden.

Generell gilt es, die schon seit 1996 vorhandenen Füh-rungs-Instrumentarien der Statistik und der Mengenge-rüste durch eine noch systematischere Planung vonErschließungs- und Bestandserhaltungsprioritäten zuergänzen. In der nach 2006 erwarteten Einführung derKosten-Leistungs-Rechnung, deren Produktkatalog vonder Archivverwaltung bereits 2001–2002 erarbeitet wurde,als Bestandteil eines weitreichenderen Controlling sowiein der Budgetierung liegen Chancen für die eigenständigeFacharbeit, die sich gegenüber der Öffentlichkeit und ins-besondere dem Haushaltsgesetzgeber für den erheblichenKostenaufwand ihrer Aufgabenerledigung rechtfertigenkann. Denn die Konkurrenz schläft nicht: das Bewusstseinüber die Hoheitlichkeit der Aufgaben der Staatsarchive immodernen Rechtsstaat steht dem Verdikt von Reformerngegenüber, die ebendies generell in Frage stellen und aufdie angeblich kostengünstigere Aufgabenerledigungdurch private Anbieter pochen. Der Abfederung der ver-waltungsinternen Modernisierungsprozesse der Archiv-verwaltung war 2002 ein zeitaufwendiger Prozess der Mit-arbeiterbefragung zur Schwachstellenanalyse und Erar-beitung eines Leitbildes gewidmet, der in mehreren Work-shops erfolgreich zu Ende gebracht werden konnte.24 Die-ses verpflichtende Leitbild steht im Internet. Es ist Teileiner Strategie, die in der Kommunikation mit der Öffent-lichkeit eine Chance sieht, Fachaufgaben und Lösungsan-sätze transparent zu machen.

Nachdem angesichts der Fülle ungelöster Problemenach 1993 die Öffentlichkeitsarbeit und die Historisch-Politische Bildungsarbeit der Staatlichen Archivverwal-tung reduziert werden mussten, konnte 1998 zunächst dasSächsische Archivblatt eine Wiederbelebung erfahren. Eserscheint zweimal jährlich und war beispielsweise als Son-derheft zum 74. Deutschen Archivtag in Chemnitz the-menbezogen der Augustflut von 2002 gewidmet. Seit demJahr 2000 hat die Archivverwaltung die Veröffentlichungs-reihe mit Findbuch- und Ausstellungskatalog-Publikatio-nen, aber auch Workshop- und Archivtagsveröffentli-chungen reaktiviert. Nach den Beständeübersichten desHauptstaatsarchivs Dresden aus den Jahren 195525 und199426 liegen seit Ende 2003 in neuer Form und Funktiona-

24 Silke Birk, Wir über uns – Mitarbeiterbefragung und Erarbeitung einesLeitbildes in der Archivverwaltung. In: Sächsisches Archivblatt 1/2003,S. 2–4.

25 Übersicht über die Bestände des Sächsischen Landeshauptarchivs undseiner Landesarchive, herausgegeben unter Mitwirkung der Histori-schen Kommission bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften,Leipzig 1955 (= Schriftenreihe des Sächsischen Landeshauptarchivs Dresden,im Auftrag der Staatlichen Archivverwaltung im Ministerium desInnern herausgegeben von Hellmut Kretzschmar, Nr. 1).

26 Historische Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaftenzu Leipzig, Die Bestände des Sächsischen Hauptstaatsarchivs und seinerAußenstellen Bautzen, Chemnitz und Freiberg, Bd.I Die Bestände desSächsischen Hauptstaatsarchivs, bearbeitet von Bärbel Förster, ReinerGroß und Michael Merchel, Leipzig 1994 (= Quellen und Forschungenzur Sächsischen Geschichte, Herausgegeben von der Historischen Kom-mission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig,Band 12,2).

lität die des Bergarchivs Freiberg27, seit März 2004 zum50jährigen Jubiläum auch die des Staatsarchivs Leipzig28

vor. Damit verbunden war ein steigendes politisches Inte-resse an den Aufgaben und Problemen der Archive. Diejetzt noch kursorische Beständeübersicht im Internet mussaber kurzfristig wesentlich weiterentwickelt werden, umdem allgemeinen Informationsbedarf in der Wissensge-sellschaft gerecht zu werden. Dabei spielen interne undbundesweite Retrokonversionsprojekte eine gewichtigeRolle. Veröffentlichungen auf CD-Rom, so die SächsischenStaatshandbücher und die beim Deutschen Archivtag inChemnitz mitgeteilten Klassiker der Archiv-Literatur29,wurden in Pilotprojekten angegangen. Jüngstes Produktder Veröffentlichungsreihe sind ein Begleitband zur Aus-stellung „Autos aus Sachsen“ und die CD-Veröffentli-chung des Findbuchs der Börsenvereinsbestände imStaatsarchiv Leipzig.

5. Strukturreform und Aufgabenwahrnehmung

Mit der Zusammenführung der Zuständigkeiten des Refe-rates als Landesarchivdirektion und der bisher heterogengegliederten Staatsarchive im nunmehrigen SächsischenStaatsarchiv wurde dem zentralen Anliegen des Wechselsvom dreistufigen zum zweistufigen Verwaltungsaufbaumit Verzicht auf eine Aufsichtsebene Rechnung getra-gen.30 Die Frage des Umfangs der verbleibenden ministe-riellen Aufgaben, die auch eine Frage von Stellenplänenist, wurde pragmatisch gelöst. An der Einschätzung vonVerwaltungsreformern des Jahres 1995, dass bei bewussterRestriktion der ministeriellen Aufgaben nach der Umorga-nisation ½ Stelle des höheren Dienstes dort ausreichenwürde, hat sich auch heute nichts geändert. Noch stehtaber als im Koalitionsvertrag fixierte zusätzliche Aufgabebis zum Ende der Legislaturperiode die Novellierung desArchivgesetzes an, die nicht nur fehlende Anbietungs-pflichten im kommunalen Bereich ergänzen, sondern auchAnpassungen an E-Government enthalten und eine Basisfür Dokumentierung des Unrechts von Gewaltregimes mitHilfe personenbezogenen Archivgutes eröffnen muss.Dieser Tatsache wurde Rechnung getragen. Der Organisa-tionserlass mit Organigramm strukturiert das Staatsarchivwie folgt: Unter dem Leiter der von ihm in Personaluniongeführte Bereich Zentrale Aufgaben, Grundsatz mit denbeiden aus dem ehemaligen Referat gebildeten Abteilun-gen Personal, Haushalt, Organisation und IuK sowieGrundsatz, Recht, außerdem das Staatsarchiv Chemnitz,das Hauptstaatsarchiv Dresden, das Bergarchiv Freiberg

27 Die Bestände des Sächsischen Bergarchivs Freiberg, bearbeitet vonAndreas Erb unter Verwendung von Vorarbeiten von Uwe Grandke,Halle/Saale 2003 (= Veröffentlichungen der Sächsischen Archivverwaltung,Reihe A, Band 4).

28 Die Bestände des Sächsischen Staatsarchivs Leipzig, bearbeitet vonIngrid Grohmann, Michael Merchel und Birgit Richter, Halle/Saale2004 (= Veröffentlichungen der Sächsischen Archivverwaltung, Reihe A,Band 5.1–2).

29 Volker Jäger, Neue digitale Publikationen der Archivverwaltung. In:Sächsisches Archivblatt 1/2003, S. 26.

30 S. Carsten Brenski (Hrsg.) im Auftrag des Unterausschusses Allge-meine Verwaltungsorganisation des Arbeitskreises VI der Innenminis-terkonferenz, Aktivitäten auf dem Gebiet der Staats- und Verwaltungs-modernisierung in den Ländern und beim Bund 2003/2004 (= SpeyererForschungsberichte 233), Speyer 2004.

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und das Staatsarchiv Leipzig als „gleichgeordnete, nicht-selbständige Dienststellen“. Gleiches gilt für die Zentral-werkstatt in Schloss Hubertusburg/Wermsdorf, sobald sieihren Betrieb aufnehmen kann. Nachdem die neue Dienst-ordnung für die Behörden des Freistaates am 18. Mai 2005veröffentlich war, konnten die Geschäftsordnung, dieSchreibordnung und die Zeichnungsregelung sowie einneuer Geschäftsverteilungsplan in Kraft gesetzt werden.

Für die Mitarbeiter des Staatsarchivs waren die Ände-rungen im Bereich der Personal- und Haushaltsverwal-tung neben der Arbeitsaufnahme eines Gesamtpersonal-rates die signifikantesten Zeichen der Neuorganisation.Die bisher im Ministerium wahrgenommenen Aufgabender Stellenbewirtschaftung des gehobenen und mittlerenArchivdienstes wurden mit der Personalverwaltung ausden Dienststellen Dresden und Leipzig zusammenge-führt. Am Standort Dresden wurden zudem die Verwal-tungsaufgaben des Hauptstaatsarchivs und des BereichsZentrale Aufgaben weitestgehend verschmolzen. DieserProzess, der insbesondere auch die IT-Aufgaben integrie-ren wird, ist noch nicht abgeschlossen. Umfang und Wer-tigkeit der Verwaltungsaufgaben müssen nach einemknappen Jahr Praxis evaluiert werden. Im Bereich derGrundsatzangelegenheiten ist die seit Jahren von der Lan-desarchivdirektion im Ministerium unter Nutzung derdortigen direkten Ansprechmöglichkeiten aufgebauteKompetenz im Verkehr mit den übrigen Ministerienunumstritten. Im Sommer 1993 hatten die zunächst „Chef-gespräche“, dann „Archivleiterkonferenzen“ genanntenBesprechungen zwischen Referatsleiter und den Leiterin-nen und Leitern der örtlichen Dienststellen begonnen. Siewurden durch kontinuierliche Aussprachen der Fachrefe-renten unter Leitung des Ministeriums ergänzt. Eine Fort-setzung dieser erprobten Praxis in der neuen Strukturformdes Sächsischen Staatsarchivs gebot sich von selbst. Aller-dings soll nicht verschwiegen werden, dass es – ähnlichden in Lindau berichteten Entwicklungen in Baden-Würt-temberg und Nordrhein-Westfalen – trotzdem Kollegengab, die das Jahr 2005 als den Beginn einer neuen Ärabetrachteten, in der der Grundsatzbereich sich auf Koordi-nation und Unterstützung beschränken sollte. Dem stehenfreilich gemäß Dienstordnung, wie immer wieder zu erin-nern, originäre Kompetenzen gegenüber. Die fachlicheAbstimmung in Referentenrunden gewinnt aber mit derNotwendigkeit eines noch größeren zeitlichen Vorlaufszur Vorbereitung und Durchführung der einheitlichenFach- und Finanzplanung immer stärker an Gewicht.Zahlreicher wurden auch die aus den Archivleiterkonfe-renzen hervorgegangenen Leitungsbesprechungen, diezur Diskussion von Fachproblemen und zur vertieftenAbstimmung von Positionen dienen. Innerhalb der örtli-chen Dienststellen wurden die im Jahre 2000 geschaffenenAbteilungsstrukturen, insbesondere unter Hinblick aufdie durch Kabinettsbeschluss 1995 „als Abteilung“

erfolgte Eingliederung der im Archivgesetz ausdrücklichauf Wunsch des Landtages weiterhin genannten Deut-schen Zentralstelle für Genealogie, beibehalten. ImGeschäftsverteilungsplan des Sächsischen Staatsarchivfungieren die Leiter der Dienststellen in Personalunion alsLeiter der Abteilungen Zentrale Dienste.

Parallel zur Umorganisation hat in der Verwaltung desFreistaates das Thema E-Government mit dem Übergangzur elektronischen Akte rasant an Fahrt gewonnen. DasStaatsarchiv ist in die Erarbeitung von Lösungen umfas-send einbezogen. Immer wieder kann und muss dabeidaran erinnert werden, dass es noch keine Lösung für dasProblem der Langzeitarchivierung gibt. Das immer höherwerdende Tempo von Prozessen in der Verwaltung gehtnicht synchron mit einer Stärkung des Bewusstseins, wel-che Zeiträume beim „Archivieren“ gemeint sind und wel-che Funktion Archive im Rechtsstaat einnehmen.

6. Ausblick

Mit der Vorlage eines Expertengutachtens zur Verwal-tungsreform am 18. Oktober 2005 ist die junge organisato-rische Umformung des staatlichen Archivwesens in Sach-sen erneut auf den Prüfstand gestellt. Diesmal geht esunter dem Stichwort OPH, Organisation, Personal, Haus-halt, um angeblich zu erzielende Effizienzrenditen von biszu 20% bei Eingliederung des Sächsischen Staatsarchivsals eigenständiger Abteilung in eine größere kulturelleEinrichtung oder ein Regierungspräsidium. Diese wohlauf dem Beispiel Baden-Württembergs fußende Rechnungkann nicht nachvollzogen werden. Die Bildung der Ein-heitsbehörde Sächsisches Staatsarchiv, der Verzicht aufeine Landesarchivdirektion und der gleichgewichtige Ver-waltungsaufbau mit Zentralbereich sowie den örtlichenDienststellen Staatsarchiv Chemnitz, HauptstaatsarchivDresden, Bergarchiv Freiberg und Staatsarchiv Leipzigwaren in der Gesetzesbegründung mit der Einsparungeiner Verwaltungsebene begründet worden. Diese neuenStrukturen sollten die Gelegenheit zur Bewährung bekom-men. Baustelle bleibt das Sächsische Staatsarchiv auch imWortsinn: ab 2006 werden die Unterbringung des Bergar-chivs im Schloss Freudenstein/Freiberg in einem mit Mit-teln des Europäischen Strukturfonds geförderten Projektder Stadt, der Ausbau von Seitenflügeln des SchlossesHubertusburg/Wermsdorf für die Zentralwerkstatt sowieNeubau und Sanierung des Hauptstaatsarchivs Dresdengleichzeitig in Angriff genommen. Nach nahezu 15-jähri-ger Planung unter immer wieder veränderten Vorzeichenist nun mit einer Lösung der Raumprobleme in Freibergund der Arbeitsaufnahme der Zentralwerkstatt im Jahr2008 zu rechnen.

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Moderieren in der Nische –Zur Situation der Universitätsarchive in den „alten Bundesländern“Von Werner Moritz

Als Franz Gall vor rund fünfzig Jahren in der Archivali-schen Zeitschrift einen Beitrag über die Universitätsar-chive im deutschsprachigen Raum veröffentlichte1, galtsein hauptsächliches Interesse ihrer Erfassung. Mit einerDaten-Zusammenstellung unter Einschluss auch ältererArchive inzwischen vergangener Hochschulen wollte ereine Lücke schließen; denn von den Beiträgen in denMinerva-Handbüchern2 abgesehen lag seinerzeit (1955),so Gall, ein „halbwegs vollständiges und brauchbares Ver-zeichnis der deutschen Universitätsarchive“ nicht vor.Gall bot deshalb, alphabetisch geordnet und knapp in derForm, sämtliche Archivstandorte und machte Angabenüber die Bestände und die Benutzungsmodalitäten; Litera-turhinweise rundeten sein Schema3 ab. Das Verzeichniswäre sicher noch mehr in Vergessenheit geraten, hätte derAutor zehn Jahre nach Kriegsende mit einem kurzenBegleittext darüber hinaus nicht auch ein Bild von derdamaligen Situation der Universitätsarchive gezeichnet.Ein einziger Satz aus diesem Text sollte später wieder undwieder zitiert werden: „Das Bild, welches die Archive derdeutschen Universitäten heute bieten, ist erschütternd.“

Was Galls Erschütterung begründete, waren nicht ein-mal so sehr die bedauerlichen Verluste, die die Archivedurch Kriege und Katastrophen erlitten hatten. Als„Ungunst der Zeitläufe“ kritisierte er insbesondere „denMangel an Verständnis bei den vorgesetzten akademi-schen und staatlichen Behörden“. In der gebotenen „Ehr-furcht vor den historischen Dokumenten“ hätten sehrlange „fast alle Universitäten“ versagt. Verlorenes habeerst die moderne Geschichtswissenschaft durch „eineüberaus reichhaltige Publikations- und Editionstätigkeit“seit der Mitte des 19. Jahrhunderts einigermaßen ausglei-chen können, und „in jüngerer Zeit“ positiv zu Bucheschlagend seien einige Neu- und Wiederbegründungenbzw. Neuorganisationen sowie die „vermehrte wissen-schaftliche Betreuung“ von Universitätsarchiven zubemerken. Gall vermutete hier ein „amtliches Interesse“der vorgesetzten Behörden.

Fünfzig Jahre sind seither vergangen. Fragen wir also,wie es heute um die deutschen Universitätsarchive bestelltist, wobei auf Wunsch der Redaktion dieser Zeitschrift mitdiesem Beitrag zunächst die Archive in den „alten Bundes-ländern“ betrachtet werden sollen. Methodisch wärendafür verschiedene Wege gangbar. Vor dem Hintergrundder beiden archivarischen Grundthemen – 1) Überliefe-rungsbildung und Bestandserhaltung, 2) Erschließungund Nutzung – erschiene es womöglich naheliegend, „vorOrt“ anzutreffende Organisationsstrukturen und Ausstat-tungen in Auswahl und beispielgebend zu erörtern; denndie Bedingungen der Archivarbeit können, vom „perso-nellen Element“ abgesehen, nun einmal nicht besser sein

1 Franz Gall, Die Archive der deutschen Universitäten in Deutschland,Österreich und der Schweiz, in: Archivalische Zeitschrift 50/51 (1955),S. 141–151; die nachfolgenden Zitate ebd. S. 141 f.

2 Minerva-Handbücher, Die Archive 1 (1932); später (und bisher nur) in2. Auflage: Archive. Die Archive im deutschsprachigen Raum, 2 Bde.,Berlin/New York 1974.

3 Wie Anm. 1, S. 143 ff.

als die Qualität der Ausstattungen und der sie tragendenStrukturen. Die folgende Betrachtung ist jedoch eher umeine solche Erhebungen resümierende, allgemeine Cha-rakterisierung der Situation der Universitätsarchive undihrer aktuellen Kernprobleme bemüht. Das Ergebnis mei-ner Nachfragen bei zahlreichen Kolleginnen und Kollegenist ein uneinheitliches Stimmungsbild.4 Ein verbreiteter,von der Empfindung der Auswirkungen des Staatsbank-rotts getragener Pessimismus scheint das Gall erschüt-ternde Bild in fünfzig Jahren vielerorts lediglich mit ande-ren Inhalten bestückt oder um neue Desaster bereichert zuhaben. Andererseits wird gerne und mit Berechtigung aufInvestitionen der letzten fünfzehn bis zwanzig Jahre ver-wiesen, die bei den Betroffenen weitergehende Hoffnun-gen wecken.

Präsentation einer eigenständigen Archivsparte

Ein neues Verzeichnis der Archive der deutschen Hoch-schulen legte der VdA nach der deutschen Einigung rela-tiv rasch vor.5 Inzwischen sind bereits wieder zehn Jahrevergangen, und die Frage nach dem Bedarf einer zweiten,aktualisierten Auflage wurde in der Fachgruppe 8 deshalbschon gestellt. Angesichts des mit einem solchen Buch zuerwartenden, nicht nur finanziellen Aufwands – beigleichfalls absehbarer Kurzlebigkeit – drängen sich jedochZweifel am Sinn eines solchen Vorhabens auf. Waren esZweifel, die aus fehlendem Mut zu notwendigen Abgren-zungen entstanden und eine Zeitlang irritierend wirkten,so dürften sie mit der jüngsten (18.) Ausgabe des VdA-Ver-zeichnisses aller deutschen Archive6 zwar zufriedenstel-lend und auch für einen neuen „Kurzführer“ beispielge-bend behoben sein. Auf Initiative des derzeitigen Vorsit-zenden der Fachgruppe 8 im VdA, Dieter Speck, wurdendie Universitäts- und Hochschularchive vom problemati-schen mixtum compositum „weiterer Archive“, anders alsin vorausgegangenen Auflagen, nun wenigstens durchUnterabschnitte wieder voneinander getrennt. Maßgeb-lich gegen einen neuen „Kurzführer“ sprechen aber natür-lich die heute mit dem Internet verbundenen Möglichkei-ten. Listen mit Web-Links, wie sie z. B. zum ausgezeichne-ten Service-Angebot der Archivschule Marburg gehören,liefern zur Zeit zwar noch keine vollständige Zusammen-schau. Doch es präsentieren sich die Universitätsarchivehier in stetig wachsender Zahl und mit einem vielfach so

4 Mein herzlicher Dank gilt zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, diemich mit ihrer Zustimmung bestätigt, Kritisches eingewandt und mitergänzenden Hinweisen bei der Arbeit an diesem Beitrag im Frühjahr/Sommer 2005 unterstützt haben.

5 Christian Renger und Dieter Speck, Die Archive der Hochschulen undwissenschaftlichen Institutionen. Ein Kurzführer, Weimar: Verlag Her-mann Böhlaus Nachfolger, 1995.

6 Archive in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und derSchweiz. Ein Adressenverzeichnis, 18. Auflage, hrsg. vom Ardey-Verlagin Zusammenarbeit mit dem VdA – Verband deutscher Archivarinnenund Archivare e. V., Münster: Ardey-Verlag, 2004.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 161

ansprechenden Auftritt, dass der große Vorteil dieser„Visitenkarten“, ihre permanent gegebene Möglichkeitzur Ergänzung und Verbesserung, einen neuen (alten)„Kurzführer“ in einer „Off-Line-Version“ wohl entbehr-lich machen wird. Der Wert solcher Verzeichnisse stehtund fällt nun einmal mit der Aktualität der vermitteltenDaten. In einer sich weiter verändernden Hochschulland-schaft7, in der nicht zuletzt die zahlreichen, mittlerweileeingerichteten Fachhochschulen wohl alsbald erhöhteAufmerksamkeit auch aus archivischer Sicht beanspru-chen dürften, können Buchseiten mit Internet-Pages beider Vermittlung aktueller Gebrauchsdaten nicht mehrkonkurrieren – es sei denn man beabsichtigt, einerMomentaufnahme ein dauerhaftes, aber teures Andenkenzu bescheren.

Rechtsgrundlagen, Grundausstattung und archivischesSelbstverständnis

Waren die Veränderungen der Hochschullandschaft, die inden sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einsetzten,mit der Gründung neuer Universitäten auch für dieArchive bedeutsam, so gilt dies nicht minder für die Aus-formungen der archivischen Rechtsgrundlagen seit denachtziger Jahren. Die Archivgesetze der Länder gestattenden Hochschulen nicht nur eigene, fachlich geleiteteArchive; aus dem einen oder anderen Gesetz möchte manmit wohlwollender Interpretation sogar eine Ermunte-rung zu deren Einrichtung herauslesen.8 Dass einige Uni-versitäten ihren eigenen Weg gehen, indem sie ein Univer-sitätsarchiv offenbar „jetzt noch nicht“ einrichten wollen,ist daher höchst befremdlich. Andere Universitäten habennoch in jüngster Zeit in ihre Archive investiert, sei es durchderen Umsetzung in geeignetere Räumlichkeiten, Reno-vierungen oder gar Neueinrichtungen (Saarbrücken 1991,Stuttgart 1995, Augsburg und Bremen 2000, Frankfurt2002). Erfreuliche Einschätzungen, wenn auch nicht unge-teilt, betreffen die Situation in Nordrhein-Westfalen, wodie Universitätsarchive während des letzten Jahrzehntsinsbesondere aufgrund der Besetzung von Leitungsposi-tionen mit Archivar(inn)en des höheren Dienstes „einenBekanntheitsgrad erreicht haben, wie noch nie in ihrerGeschichte“.9

Auch in Bayern, wo die universitäre Archivlandschaft –so eine Insider-Einschätzung – vor wenigen Jahren nochals „die reinste Diaspora“ bewertet wurde, haben sich dieVerhältnisse in breitem Umfang gewandelt. Nachdemzunächst nur die Ludwig-Maximilians-Universität inMünchen über ein eigenes Archiv verfügte, wurden Endeder neunziger Jahre die Archive der TU München und derUniversität Erlangen-Nürnberg erstmals hauptamtlich

7 Vgl. Handbuch der Universitäten und Fachhochschulen. Deutschland,Österreich, Schweiz. 11. Ausgabe, München: K. G. Saur, 2001. – Funktio-nierende Archive wurden z. B. an den Fachhochschulen in Aachen undKöln eingerichtet.

8 Zur Lage der Universitätsarchive in Deutschland. Beiträge eines Syposi-ums [am 22. 10. 2002 im Hessischen Staatsarchiv Marburg], hrsg. vonNils Brübach und Karl Murk. Marburg 2003 (Veröffentlichungen derArchivschule Marburg 37); darin S. 17–27: Rainer Polley, Über die rechtli-che Verankerung der Universitätsarchive in den deutschen Archivgeset-zen. Fundstellennachweise der Landesarchivgesetze (Stand 2003), ebd.S. 17 f. Anm. 1.

9 So Thomas Becker, Bonn.

besetzt. Augsburg, eine Gründung des Jahres 1970, folgteim Sommer 2000. An der Katholischen Universität Eich-stätt-Ingolstadt wurden ebenfalls die Grundlagen für einUniversitätsarchiv geschaffen, und auch für die zweitäl-teste Universität in Bayern, Würzburg, scheinen die Dingenun endlich auf einem guten Weg. An anderen bayerisch-universitären Archivstandorten (Bamberg, Regensburg,München-Neubiberg) wird „Bewegung“ verspürt, ledig-lich für Bayreuth und Passau wird noch ein wirklichgrundlegender Nachholbedarf gesehen.

Für ausgesprochen innovativ wird man die bayerischeEntwicklung (noch) nicht halten können, hat sie docheigentlich nur auf bedrückende Versäumnisse der Vergan-genheit reagiert. An anderer Stelle wurde mit einer Ver-bundlösung mehrerer Archive unter einem Dach (Darm-stadt) ein interessanter Weg beschritten, der sich cumgrano salis wohl in ähnlicher Weise bewährt haben wirdwie die engere organisatorische oder auch nur räumlicheVerbindung des Archivs mit der örtlichen Universitätsbi-bliothek (Düsseldorf, Gießen, Freiburg, Köln, Tübingen).Andererseits wird die Arbeit von Universitätsarchivenauch am Beginn des 21. Jahrhunderts vielfach noch immerdurch ungeeignete Räumlichkeiten erschwert, die oben-drein eine konservatorische Rücksichtnahme auf dasArchivgut nicht selten vermissen lassen. Auch Depot-Lösungen wie z. B. in Marburg, wo das Universitätsarchivräumlich und organisatorisch ein Teil des Staatsarchivs ist,stoßen nach langen Jahren des Bestände-Wachstums imHause des „Gastgebers“ auf Probleme einer besonderenArt10; Probleme, die bei fehlender Observanz schließlichhier und da auch in unerfreulichen Benutzungsbedingun-gen ihren traurigen Endpunkt finden.11 Dass dennochgerade Depot-Lösungen von Landesrechnungshöfen, dieüber die Berechnung der Rentabilität von Betriebsgrößenhinaus nicht zu emotionalisieren sind, empfohlen werden,kann nicht verwundern. Der Vorstoß des baden-württem-bergischen Landesrechnungshofes, der zum Ende desvorigen Jahrhunderts die Bestände der im Lande vorge-fundenen Universitätsarchive nur allzu gerne den regio-nal dafür in Frage kommenden Staatsarchiven zugewie-sen hätte12, scheiterte (bisher) aber nicht nur, weil dieSachargumente und Berechnungen des Hofes nicht über-zeugen konnten; er scheiterte mehr noch am Widerstandder im doppelten Sinn betroffenen Universitäten und ins-besondere an den Einlassungen der ältesten deutschenUniversität Heidelberg, die die Grundlagen ihrer Tradi-tion und ihres kulturellen Selbstverständnisses nicht ein-fach fiskalistischen Erwägungen opfern wollte.

Der sehr weitgehend eigenständige Charakter der Uni-versitätsarchive innerhalb der Archivlandschaft ist kaummehr ernsthaft zu bestreiten; ihr Selbstverständnis istgefestigt. Universitätsarchive verstehen sich als das kol-lektive Gedächtnis einer Universität. Tatsächlich könnennur sie die Basis sein für die Pflege des Traditionsbewusst-seins und für eine nicht nur zu Jubiläen aufscheinende(Erinnerungs-)Kultur einer Hochschule. Wissenschaftsge-schichte wird an allen Fakultäten betrieben; in Lehre undForschung kommt den Universitätsarchiven daher eine

10 Andreas Hedwig in: Brübach/Murk (wie Anm. 8), S. 11.11 So z. B., laut mündlichem Bericht einer Heidelberger Wissenschaftlerin,

in Hamburg.12 Werner Moritz, Aufgaben und Perspektiven des Archivs an einer alten

Universität – Das Beispiel Heidelberg, in: Brübach/Murk (wieAnm. 8), S. 73–83, hier S. 73 f.

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besondere Bedeutung zu. An zahlreichen Universitätensind die Archive (und ihre Leiter) folglich auch in dieLehre an der Universität eingebunden. Das Archiv dientals Lehrstätte vor allem, wenn auch keineswegs aus-schließlich, für Studierende der Historischen Hilfswissen-schaften sowie der Mittleren und Neueren Geschichte.Unverzichtbar sind die Archive schließlich für die Öffent-lichkeitsarbeit einer Universität, auch wenn dies vielleichtnoch nicht überall im selben Maße erkannt wurde.

Doch wie sehr im einzelnen die Angebote mittlerweileüber die gängigen Arrangements von bzw. die Mitwir-kung an Führungen, Vorträgen und Ausstellungenhinausgehen, belegen die Web-Seiten vieler Archive inbeeindruckender Weise. Möglich ist dies aufgrund derPositionierung der Archive in einem Beziehungsgeflechtmit anderen örtlichen, kulturelles Leben einer Stadt tra-genden Einrichtungen. Die gelegentlich festzustellende,organisatorisch wie personell unterschiedlich ausfallendeVerknüpfung eines Universitätsmuseums mit dem Uni-versitätsarchiv rundet dieses Bild ab.13

Schriftgutübernahme und Beständebildung

In den vergangenen Jahrzehnten haben die deutschenUniversitätsarchive die mit wachsenden Aufgaben ver-bundenen Herausforderungen angenommen und,betrachtet man die vielfach sehr bescheidenen Ausstattun-gen, im ganzen in einer Weise bewältigt, die großen Res-pekt verdient. Das gewachsene Aufgabenspektrum unter-scheidet sich in den allgemeinen Grundzügen (Erfassung,Bewertung, Übernahme, Erschließung und Auswertungvon Schrift- und sonstigem Dokumentationsgut) beim ers-ten Hinsehen anscheinend nur wenig vom üblichen Bildder Archivarbeit. Doch bei näherer Betrachtung wirdrasch klar, dass – kaum anders als z. B. in kleineren Stadt-archiven – die Betreuung eines Universitätsarchivs überdie fachliche und die (früher oft vermeintlich hinrei-chende) wissenschaftliche Qualifikation hinaus heutzu-tage und mehr denn je nach dem Managertyp des fachlichgut ausgebildeten Allround-Archivars verlangt. Denn im„Workflow“ steht Archivarbeit in kleinen Archiven über-all in der Abhängigkeit von sehr „eigenen“ Gesetzmäßig-keiten.

Aufgrund der gegebenen Personalprobleme und derstrukturellen Voraussetzungen ist es unterhalb der Ebeneder zentralen Verwaltung, deren Registratur nach Akten-plan geführt wird, kaum möglich, ein geordnetes Verfah-ren der Schriftguterfassung und -übernahme einzurich-ten. Dies erfolgt gewissermaßen, wie z. B. mit einem Anrufeiner Dekanatssekretärin („Mein Schrank ist voll“), aufBestellung. Es würde den einzelnen Archivar in jedemFalle überlasten, wollte er zu allen Schriftgutbildnerneiner Universität, etwa auch um „wilde Kassationen“ zuverhindern, regelmäßig Kontakt halten und womöglichdarüber hinaus auch sämtliche Emeriti in ihrer Eigen-schaft als potentielle Nachlassgeber betreuen. Die Folgensind überall dieselben: Unter den herrschenden Bedingun-

13 Zu dem im Juli 2004 eröffneten Universitätsmuseum („Uniseum“) inFreiburg/Br. vgl. den Bericht in: Museumsblatt. Mitteilungen aus demMuseumswesen Baden-Württembergs, Heft 38 (April 2005), S. 50 f.

gen der Aktenerfassung und -übernahme sind ad hoc„endgültige“ Bewertungsentscheidungen nur selten mög-lich. Auch die bunte Vielfalt der Schriftgutorganisationbeim Produzenten verweigert sich einem solchen Verfah-ren recht häufig. Es fehlt allenthalben insbesondere in denInstitutssekretariaten an Unterweisungen des Büroperso-nals in Registraturkunde. Wer von einer (selbstverständ-lich überlasteten) Sekretärin auf entsprechende Bitte hindennoch eine Abgabeliste erhält, mag sich glücklich schät-zen; noch mehr, wenn die Liste brauchbar ist. Im Endar-chiv entstehen so ungewollt Zwischenarchive, deren Volu-men schneller wächst als andererseits die endarchivischeBearbeitung für eine Reduzierung der Lagerflächen sor-gen könnte. Die Schere öffnet sich immer weiter. Unddabei kann es kein Trost sein, dass nicht selten (abseits derLegalität) historisch wertvolles Material in dem einen oderanderen Institut, ja selbst in Rektoraten für besondereZwecke oder für „künftige Forschungen“ zurückgehaltenwird und überhaupt nicht ins Archiv gelangt.

Auch der einfache Tatbestand, dass Schriftgutbildnereine Abgabepflicht haben, nicht aber das Archiv eineAbholpflicht, stellt die Archive mancherorts angesichtsfehlender Fahrdienste bzw. verlässlicher Regelungenimmer wieder vor neue und nur mit Improvisation zulösende Herausforderungen. Gravierend an solchenZuständen ist, dass auch der verhältnismäßig teuerbezahlte Archivleiter in erklecklichen Arbeitstunden mitTätigkeiten belastet wird, die in seiner Eingruppierungwirklich nichts zu suchen haben: Auch archivtechnischeArbeiten und Magazinarbeiten, Post- und Telefondiensteu. ä. nachrangige Tätigkeiten gehören heutzutage beinaheselbstverständlich zum Aufgabenbereich des Universi-tätsarchivars im gehobenen oder höheren Dienst, undzwar durchaus nicht nur in den Fällen, in denen er seinPersonal wegen Erkrankung oder Urlaub vertritt. Immerhäufiger sind die Universitätsarchive in jüngster Vergan-genheit damit unter die Linie geraten, die ihre Funktionsfä-higkeit markiert; dies erst recht dort, wo das Personal demLeiter nach und nach nahezu vollständig entzogen wurde(Göttingen).

Dass die regulären Geschäfte jedes an einer Universitätbeschäftigten Archivars nirgends noch Belastungen mit„Sonstigem“ vertragen, sollte sich eigentlich durch dieLogik einfacher Tatbestände von selbst ergeben. Die Ver-antwortung für den Aufbau und die Organisation einesArchivs an einer Universität mit durchschnittlich 10 bis 12Fakultäten und unter Umständen (wie in Heidelberg)mehr als 7000 Beschäftigten beansprucht den Archivar, soer dies allein überhaupt in vollem Umfang leisten kannoder könnte, beständig mit Arbeiten der Materialbewer-tung, Beständebildung und -organisation, mit Arbeiten anschwierigen wissenschaftlichen Erschließungen und mitarchivbezogenen Publikationen, die von ihm verlangtwerden dürfen. Hinzu kommen die Anforderungen derDienststellenverwaltung und Betriebsorganisation,Recherchen und Benutzerbetreuung.14 Seine wissenschaft-liche Ausbildung kann der Archivar nur noch in Bruchtei-len seiner Arbeitszeit für wissenschaftschaftliche Arbeitenan Quellen seines Archivs verwenden; die administrati-

14 Ob Auskünfte und Beratungen in Universitätsarchiven – im persönli-chen Gespräch wie auch bei schriftlichen Bescheiden – nicht sogar inten-siver vonstatten gehen als etwa in staatlichen Archiven, wäre eine Unter-suchung wert.

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ven Tätigkeiten, die Dienststellenverwaltung und dasBemühen um Drittmittel, schließlich die unverzichtbarePflege der Außenkontakte zehren sein Zeitkontingentüberall weitgehend auf. Die Arbeit an Publikationen istüberwiegend in die „Freizeit“ verwiesen.

Operative Hilfsmittel haben sich die Universitätsarchi-vare insbesondere für die Aussonderungen an Massenak-ten (Krankenakten15) erarbeitet; es fehlt jedoch an weiterenModellen für Bewertungen und Aussonderungen speziel-len Schriftgutes16 und somit erst recht an einer einheitli-chen Bewertungspraxis17, falls Grundlagen hierfür nicht inallgemeinen Landesregelungen gefunden werden kön-nen. Auch „Arbeitskreise“ wie z. B. der des VdA zur archi-vischen Bewertung, die Arbeitsgemeinschaft der Hoch-schularchive in Nordrhein-Westfalen oder der 2002 einge-richtete Arbeitskreis der bayerischen Universitätsar-chive18 haben nur eine begrenzte „Strahlkraft“. So voll-zieht sich auch der EDV-Einsatz in den Universitätsarchi-ven meist in freier Selbstbestimmung, weitgehend ohneErfahrungsaustausch und ohne Abstimmung. Koopera-tionen mit anderen Archiven vor Ort (Bielefeld) sind ehereine Ausnahme.

Beständestrukturen und -erhaltung

Eine intensivere Kooperation würde sich andererseitsanbieten, weisen doch die Universitätsarchive, was nichtüberraschen kann, in ihrem Beständeaufbau eine weitrei-chende strukturelle Deckungsgleichheit auf. Auch wenneinzelne Archive ihr Material noch stärker gliedern19, las-sen sich die Material-Hauptgruppen beinahe an einerHand abzählen. Für die Archive der älteren Universitätenbildet das historische Altarchiv mit (erwünscht) möglichstvielen abgeschlossenen Verzeichnungen und einem mit-hin relativ hohen Erschließungsgrad das Rückgrat derTektonik. Ein archivarisch definiertes Grenzjahr, das sichaus der jüngeren Geschichte der Universität (z. B. wegeneinschneidender Veränderungen der Grundordnung undeiner Neugliederung der Fakultäten) nicht selten fast vonselbst ergibt, trennt die Altbestände vom neueren (vor Ortallerdings eher selten so bezeichneten) „Verwaltungsar-chiv“, dessen Organisation und Bearbeitung (Erfassung,Bewertung, Übernahme, Integration, Erschließung) denmit Abstand größten Teil der archivischen Arbeit abver-langt. Vom Rektorat über die Universitätsverwaltung, diezentralen Einrichtungen und die Fakultäten mit ihrenDekanaten bis hin zu den einzelnen Instituten sind Schrift-

15 Empfehlungen für die Schriftgutverwaltung der Kliniken und Institutemit Aufgaben der Krankenversorgung, in: Der Archivar (1997),Sp. 563–570; Michael Wischnath, Einführung zu den Bewertungs- undErschließungsempfehlungen für Krankenakten, in: Der Archivar (1998),Sp. 234–244.

16 Wertvolle Anregungen liefert Wolfgang Müller, Bewertungen im Uni-versitätsarchiv, in: Unsere Archive. Mitteilungen aus rheinlandpfälzischenund saarländischen Archiven Nr. 47 (April 2002), S. 4–11.

17 Freilich wurde gerade auch die uneinheitliche, variantenreiche Überlie-ferungsbildung schon als Wert und Chance für Archive gesehen; vgl.Ulrich Fellmeth, Das Problem der Auswahl überlieferungswürdigenSchriftguts und die „Bewertungsdiskussion in der Archivwissenschaft“,in: Hohenheimer Themen 5 (1996), S. 58.

18 Laut freundlicher Mitteilung aus München beschäftigt sich dieserArbeitskreis auch mit den Problemen der Aussonderung von Massenak-ten.

19 Über eine breitere, beispielgebende Systematik verfügt Tübingen.

gutabgaben aus allen Ebenen zu erwarten. Dabei bildetder kontinuierliche Beständeaufbau aus mehr oder min-der umfangreichen Teilakzessionen von Sachaktenregis-traturen den einen, die logistische Bewältigung der mas-senhaften Parallelakten den anderen Teil der Herausforde-rung. Manche Universitätsarchive haben auf den zweitenPunkt in ihrer Beständesystematik mit einer HauptgruppeSelekte o. ä. reagiert; hier finden sich dann z. B. (je prove-nienzgerecht gesondert) die Studentenakten der Verwal-tung, Prüfungsakten aus verschiedenen Fakultäten undausgewählte Patientenakten der Kliniken neben den Per-sonalakten, die gelegentlich auch mit einem (archivischgebildeten) Mischfonds zusammengeführt werden.

Der auch in den Universitätsarchiven insoweit durchgesetzliche Regelungen, Verordnungen, Aufbewahrungs-richtlinien für Schriftgut, Archivsatzungen usw. theore-tisch gesteuerte Materialzulauf wird im modernen Archivdurch die Pflege der Sammlungen abgerundet. Auf die-sem Feld kommt den Gelehrten-Handakten als zunächstpotentiellen, dann tatsächlichen Nachlässen eine heraus-gehobene Bedeutung zu, weshalb ihnen in der Bestände-übersicht eines Universitätsarchivs nicht selten eineeigene Gruppe eingeräumt wird. Schließlich sind beim„klassischen“ Sammlungsgut deutliche Akzentbildungenin den Bereichen der zeitgeschichtlichen Bild- und Textdo-kumentation durchgängig anzutreffen: Fotos, Plakate, stu-dentische Zeitungen und Flugblätter usw. Das in derArchivtheorie (mit einer nicht gerade beglückendenBezeichnung) hiervon abgegrenzte „archivische“ Samm-lungsgut (im engeren Sinne), also Handschriftenreste, Sie-gel, Extradenda (darunter u. U. Karten und Pläne) etc., fälltquantitativ gegenüber diesem Material weit weniger insGewicht. Einzige und wichtigste Ausnahme bilden an denUniversitäten mit weit zurückreichender Geschichte diewertvollen Pergamenturkunden, denen – wo vorhanden –in der Beständesystematik dann als dem ältesten Schrift-gut gewöhnlich auch die erste Position zugewiesen wird.

Ihre in den siebziger und achtziger Jahren des vorigenJahrhunderts gewöhnlich vernächlässigten Sammlungenund zeitgeschichtlichen Dokumentationen haben diemeisten Universitätsarchive inzwischen zum unverzicht-baren Bestandteil des Archivguts ausgebaut, auch wennsich an einigen Stellen Schnittmengen zu anderen univer-sitären Einrichtungen bis heute gehalten haben. So ver-wahrt z. B. die Heidelberger Universitätsbibliothek auchPergamenturkunden und ältere Nachlässe, und die aktu-elle Campus-Dokumentation verlangt überall nachAbstimmungen zwischen Archiv und Pressestelle. Rivali-täten der Vergangenheit auf dem Feld der Erwerbungkonnten zwar inzwischen recht häufig durch vernünftigeKooperation ersetzt werden, doch ganz und gar von„Erwerbs-Rivalen“ verschont bleiben die Universitätsar-chive wohl nie.

Große Fortschritte haben die letzten fünfzig Jahre fürdie Bestandserhaltung gebracht. Die Verwendung säure-freier Kartonagen ist mittlerweile überall selbstverständ-lich, auch wenn häufig immer noch ein Nachholbedarfbeim Umbetten gegeben ist. Denn die mit umfangreiche-ren konservatorischen Maßnahmen verbundenen Kostenlassen nur mühsam Veränderungen festgefahrener Ver-hältnisse zu; die notwendigen Mittel stehen im regulärenHaushalt, wenn es denn einen gibt, nicht zur Verfügung.Dass eine Universität sich der massenhaften Konvertie-rung von Archivbeständen auf Mikrofilm oder Digitalisie-

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rungen im großen Stil annähme, gilt mittlerweile als illuso-risch. Flankierend können hier (außer Sponsoren) nurnoch Landesrestaurierungsprogramme helfen, auch wennderen Bürokratie für manch einen Archivar eine beson-dere, zermürbende Hürde darstellen kann. Allgemeinwerden die modernen technischen Möglichkeiten in denUniversitätsarchiven nicht zufriedenstellend ausge-schöpft, obwohl allenthalben klar ist, dass die Archiveeigentlich mehr und mehr auf die automatisierte Informa-tionsvermittlung angewiesen sind. Dass die heranrü-ckende Philosophie der papierlosen Registratur die Uni-versitätsarchive bisher noch nicht bzw. erst in Rander-scheinungen erreicht hat, wird eher mit Erleichterung ver-merkt; denn technisch und personell wären die Archivedafür derzeit nicht ausgestattet. Einstweilen bleiben diePapierarchive wohl noch solange erhalten, wie die mitdem elektronischen Speicher verbundenen Probleme derLangzeitarchivierung bestehen und Mittel für Digitalie-rungen und Konvertierungen fehlen.

Erschließung und Nutzung

Auf dem Feld der Erschließungen ist die zu Zeiten Gallsnoch herrschende bunte Vielfalt in der Anwendungmethodischer Überlegungen und technischer Möglichkei-ten inzwischen gottlob längst überwunden. Archivspezifi-sche Erschließungsprogramme sind auch in den Universi-tätsarchiven auf dem Vormarsch. Dabei hat die Schnellig-keit, mit der die Programme veralten bzw. durch „bessere“ersetzt werden könnten, allerdings auch empfindlicheNachteile im Bemühen um Kontinuität in ihrer prakti-schen Handhabung – Nachteile, die vom vorhandenenPersonal nur dort bewältigt werden können, wo sich ent-weder der Archivar selbst in der EDV-Anwendung gründ-liche Kenntnisse und Fertigkeiten angeeignet hat oder einversierter „EDV-Kollege“ ständig „bei der Hand“ ist.Auch ältere Karteien und Findbücher werden den Univer-sitätsarchiven daher wohl noch geraume Zeit als wichtigeFindmittel erhalten bleiben. Die damit verbundenenTempo-Verluste treffen allerdings eher den Archivar; demArchivbenutzer bleiben sie meist verborgen. Was er oftvermisst, sind sachsystematische Findmittel zu seinen Fra-gestellungen.

Wenn in Universitätsarchiven erschlossen wird, liegtein Schwerpunkt verbreitet und „naturgemäß“ auf derErschließung des personenbezogenen Schriftgutes. Hierbietet es sich mittlerweile an, einfache Erschließungsarbei-ten auf Praktikanten, ehrenamtliche oder studentischeHilfskräfte und (vorübergehend) Arbeitslose im soge-nannten „Zusatz-Job“ auf „Hartz-IV-Basis“ zu verlagern;Abstriche bei der formalen und inhaltlichen Qualität derso erstellten Verzeichnungs-Produkte werden in Kaufgenommen. Der mit anspruchsvoller Erschließungsarbeitverbundene (Zeit-)Aufwand ist universitären Leitungsor-ganen kaum zu vermitteln, oder er wird nicht zur Kennt-nis genommen. Die wirklich wichtigen Erschließungsar-beiten ziehen sich häufig über Jahre hin. Auch deshalb fälltdas Beispiel Tübingen, wo lange Zeit zwei fachlich ausge-bildete, wissenschaftliche Archivare mit gutem „Unter-bau“ tätig waren, so positiv auf: Es hat gezeigt, was mög-lich ist. Die in Tübingen produzierten Online-Repertorien

haben Vorbild-Charakter, und auch andere, ins Netzgestellte Finddateien (Freiburg) verdienen Beachtung. Der„gewöhnliche“ Weg zum anspruchsvollen Verzeich-nungserfolg verlangt heute indessen immer häufiger nachder Segmentierung einer ganz bestimmten Aufgabe undderen Bewältigung durch ein Drittmittelprojekt.

Moderne Archive sind Dienstleistungsbetriebe – odersollten es sein. Für die am Nutzer orientierten ersten Infor-mationsangebote bietet sich das Internet an, und deshalbvermitteln die Archive auch ihre Basisinformationen, wiebereits angesprochen wurde, über dieses Medium. SolcheBasisinformationen sind die Angaben zu den Nutzungs-modalitäten (Standort, Öffnungszeiten, Ausstattung derLeseplätze), Beständesystematik, Texte zu den Rechts-grundlagen der Archivbenutzung (Auszüge aus dem Lan-desarchivgesetz und der Benutzungsordnung), Gebüh-renordnung. Ergänzt werden diese Informationen häufigdurch einen Abriss der Geschichte der Universität, gele-gentlich (Augsburg) sogar durch eine längere historischeAbhandlung. Wo eigene Publikationsreihen bestehen,werden die bisher erschienenen Veröffentlichungen min-destens mit einer Liste aufgezeigt.

Die Qualität der Ausstattung der Nutzerplätze „vorOrt“ zeigt eine Bandbreite, die es noch immer schwer mög-lich macht, von allgemeinen „Standards“ zu sprechen.Einzelne Archive haben hier einen deutlichen Nachholbe-darf. Die Glasscheibe zwischen Leseraum und Sekretariat,wo eine Sekretärin am Rande ihrer Tätigkeit auch als „Auf-sicht“ fungieren soll, wurde auch ins 21. Jahrhunderthinübergerettet. Demgegenüber sind mittlerweile techni-sche Errungenschaften in manchen Lesesaal eingekehrt,an die vor fünfzig Jahren noch niemand denken konnte.Dazu zählen insbesondere die Möglichkeiten zur Nutzungdes eigenen Lap-Tops, eines Reader-Printers und desInternet-Zugangs am Arbeitsplatz (Heidelberg). Für dieHerstellung von Digitalisaten, die auf der Palette der Nut-zerwünsche stetig zunehmen, steht dem Archiv vereinzeltsogar ein die Objekte schonender Bookeye-Scanner zurVerfügung. Der Zugang zum Online-Katalog zum Nach-weis der Buchbestände der Dienstbibliothek rundet diesesService-Angebot ab.

Die Zahl der pro Öffnungstag persönlich im Archiverscheinenden Nutzer wird in der Regel mit Jahres-Statis-tiken festgestellt; sie ist in Hinsicht auf die rein wissen-schaftliche Nutzung durchschnittlich im unteren einstelli-gen Bereich zu suchen. Da Archivnutzung heute aber brei-ter verstanden wird, werden überall dort, wo auch Vor-träge, Führungen, Tagungen, Seminare, Ausstellungsbe-sucher usw. in die Statistik eingehen, recht beachtlicheNutzerzahlen erreicht. Ein gewachsenes Leistungsspek-trum bei der Erledigung schriftlicher Anfragen prägt die-ses Bild entscheidend mit, wobei generell auch für die Uni-versitätsarchive gilt, dass die elektronischen Medien,anfänglichem Irrglauben zum Trotz, die Informations-dienstleistungen vielleicht gerade in dem Maße rationali-sieren konnten, wie sie sie in ihrem Volumen potenzierthaben. Denn klar ist, dass jede nach außen wirkende Leis-tung eines Archivs, jedes neue Online-Findbuch, jeder derArchivnutzung dienende Hinweis „im Netz“ die Zahl derAnfragen automatisch erhöht, und die Frage, ob dies ange-sichts eines fortschreitenden Personalabbaus für dasArchiv selbst noch wünschenswert erscheint, will abge-wogen sein. Allerdings deutet einiges darauf hin, dass dieVermittlung z. B. von älteren Matrikeldaten und Adress-

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buch-Eintragungen im Internet (Heidelberg) spezielle, ste-reotype Anfragen von Familienkundlern tatsächlich zureduzieren vermag. Gleiches gilt für die Web-Seiten mitsogenannten „FAQ“ (frequently asked questions), vonderen Möglichkeiten bisher allerdings nur wenige Univer-sitätsarchive Gebrauch machen. Eine den „Endverbrau-cher“ zufriedenstellene, automatiserte Informationsver-mittlung bleibt summa summarum gerade in den kleine-ren Archiven die Herausforderung der Stunde. Gestei-gerte Nutzer-Ansprüche zielen vor allem auf die rascheBereitstellung von (analog und digital gefertigten) Repro-duktionen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Umfang und Cha-rakter der Informationsdienstleistungen der deutschenUniversitätsarchive haben sich in den letzten Jahrzehntenrecht dramatisch verändert. Ein besonderes, „nebenbei“nicht leicht zu lösendes Problem stellt die zeitgeschichtli-che Dokumentation dar. Nur wenige Archive haben sichder Mühe unterzogen, ein Kalendarium zur jüngsten Uni-versitätsgeschichte fortzuführen oder kontinuierlich ausder Arbeit des Archivs (Bonn, Tübingen) zu berichten. Wodies mit Fragen der Zuständigkeitsabgrenzung einher-geht, ist in der Regel eine gute Zusammenarbeit zwischenArchiv und Universitätspressestelle die Lösung.

Quo vadis?

Es ist anzuerkennen, und niemand wird dies ernsthaft inZweifel ziehen wollen, dass seit den Tagen der Franz Gallerschütternden Beobachtungen erhebliche finanzielle Mit-tel auch in die Ausstattung der (hier diskutierten west-)deutschen Universitätsarchive geflossen sind. In zahlrei-chen Fällen ist das Bemühen um Stabiliserung und Verbes-serung auch der personellen Situation unübersehbar. Diefortschreitende Professionalisierung der Archivarsausbil-dung, die rasante Entwicklung der Informationstechnolo-gien und eine erstaunliche Marktentwicklung bei archiv-technischen Produkten lieferten in den für die Archivar-beit wichtigsten Bereichen Angebote und Voraussetzun-gen, die, beflügelt durch die Eigendynamik vergleichen-der Konkurrenz, auch für die Universitätsarchive von gro-ßem Nutzen waren und noch immer sind.

Die Position der Universitätsarchive im Verwaltungs-aufbau der Universitäten – so wie sie sich in den allermeis-ten Fällen darstellt – könnte durchaus geeignet sein, derRolle der Archive und ihren vielschichtigen, in vielemzunächst vor allem auf die Universität selbst abzielendenZweckbestimmungen zu entsprechen. Gewöhnlich istdiese Positionierung durch eine Satzung geregelt, die aufden engen Bezug des Archivs zum Rektorat/Präsidiumund/oder Kanzler abhebt. Die demgegenüber faktischeRandposition der Archive ist deshalb nicht allein eineFolge schwacher Ausstattungen; sie erklärt sich, woArchive ins Abseits geraten sind, viel mehr aus dem (sichleider permanent wandelnden) Grad des Willens zurWahrnehmung und aus einer in diesem Wandel sehr fragi-len Rollenbewertung der Archivarbeit „von außen“. Überwichtige Grundsatzangelegenheiten hinaus befassen sichuniversitäre Leitungsorgane verständlicherweise höchstungern mit den Alltagsproblemen des Archivs, und dasschon gar nicht in zu kurzen Intervallen. Aus der Sicht der

zentralen Verwaltungen stehen die Archive noch hinterden Registraturen am Ende des Verwaltungshandelns; siesind (und waren) so betrachtet buchstäblich und leider zuhäufig „das Letzte“. Brüche im Verständnis der Funktionder Universitätsarchive, unterschiedliche Auffassungenbeim Kostenträger auf der einen und beim Archivar aufder anderen Seite sind anscheinend unvermeidlich. Doches bewahrheitet sich schließlich auch hier die alte Weisheit,dass zwei Drittel eines Problems nicht aus einer Sacheselbst entstehen, sondern aus dem Mangel an Kommuni-kation und gegenseitigem Verständnis. Lösungen undFortschritte erwachsen an deutschen Universitätsarchivenam Beginn des neuen Jahrhunderts noch immer sehr vielseltener aus Zielvereinbarungen mit den Lenkungsorga-nen und deren Umsetzung; sie werden weitaus häufigerder Phantasie des in der Regel auf sich allein gestelltenArchivars überlassen. Die dienstliche Unterstellung desArchivars unter die Leitungsfunktion z. B. des Biblio-theksdirektors (Göttingen) oder die Leitung der Presse-stelle (Bielefeld, Karlsruhe) wird nicht einvernehmlich alshinreichendes Mittel zur Lösung derartiger Problemegesehen, sie schafft eher neue.

Wenn an den Hochschulen unserer Zeit ganze Fakultä-ten zur Disposition stehen, ein „Solidarpakt“ (wie inBaden-Württemberg) einen gnadenlosen Personalabbaunach sich zieht, Studienangebote reduziert und Studienge-bühren (demnächst) in breiter Front erhoben werden, wirdzwar niemand annehmen dürfen, die Universitätsarchi-vare seien auf einer Insel der Glückseligen untergebracht.Doch die Frage stellt sich mittlerweile anders: Wie könnendie Archive überleben, und welche Rolle wird ihnen künf-tig zugedacht? Wenn nicht alles täuscht, hat die Investiti-onsbereitschaft für die Archive der Hochschulen in denletzten Jahren doch sehr verbreitet erheblich nachgelassen.Der bayerische „Silberstreif am Horizont“ mag zur Zeitgewisse Zweifel an der Allgemeingültigkeit dieser Fest-stellung herausfordern; doch: Kosten vermeiden – das istheutzutage überall das vorrangige Ziel.

Im Finanzhaushalt der Universitätsarchive werden mitdem Jahresaversum nur mehr die unbedingt notwendigenMittel für die im Magazin benötigten Kartonagen, für Tele-fon, Porto und Büromaterial bereitgestellt. Bei Beschaffun-gen, für Maßnahmen der Bestandserhaltung, Publikatio-nen und alle sonstigen unständigen Ausgaben sind diebürokratisch mitunter beschwerlichen Wege eines Antra-ges auf Bewilligung von Sondermitteln zu gehen. Lückensind aufgebrochen bei der Wahrnehmung alltäglicherPflichtaufgaben (Verzeichnung, Nutzer-Service). Der Lei-ter eines Universitätsarchivs wird so gezwungen, sichkontinuierlich Gedanken zu machen, wie er für welcheProjekte außerordentliche Mittel einwerben kann. Weilwohlhabende Menschen in einflussreicher Position mitihrer Bereitschaft zur Hilfe Chancen eröffnen, suchen dieUniversitätsarchivare ständig nach „potenten Fans“. Eineganze Reihe von Universitätsarchiven subventioniert sichdarüber hinaus längst auch durch einen eigenen Förder-verein. Selbst „Uni-Shops“ (Heidelberg, Marburg), vondenen die Archive allerdings kaum profitieren, wurdenins Leben gerufen und bekunden mit zum Teil für eineUniversität recht seltsamen Angeboten das verzweifelteVerlangen nach fehlendem Geld.

Die anhaltende Depression im staatlichen Finanzwesendrückt die Stimmung natürlich auch in den Archiven derHochschulen, und das Gefühl, ständig mit dem Rücken

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zur Wand zu stehen, das „eigentlich Notwendige“ nichtmehr leisten zu können, ermüdet und führt zu Motivati-onsverlusten. Schaut man auf die konkreten Bedingungender Aufgabenerledigung, so ist die Situation zwischenKiel und Konstanz nahezu überall die gleiche. Die Archivesind gewachsen, es liegt ja nun einmal in ihrer Natur. Beiden größeren, älteren Universitätsarchiven beläuft sich dieZahl der belegten Regalmeter grosso modo inzwischen aufeine Zahl um 4000; die jährlichen Wachstumsraten liegenzwischen 50 und 100 Metern. – Doch der mit einer solchenEntwicklung eigentlich zwingend notwendige Ausbauder Archive im Personalbereich blieb, von gewissen, hierangesprochenen Ausnahmen abgesehen, aus. Stattdessenwurde und wird Personal abgebaut – mehr noch: Einunheilvoller Trend geht neuerdings dahin, den Universi-tätsarchiven zusätzlich kurrente, nicht-archivische Ver-waltungsarbeiten (z. B. die Ausfertigung von Studienbe-scheinigungen) zuzuweisen, obwohl die rechtlicheGrundlage für eine solche Zweckentfremdung eigentlichnicht gegeben ist. Es fehlt an einem wirksamen Gegenmit-tel, das dem zerstörerischen Sparwahn entgegengestelltwerden könnte und das die verbreitete Wahrnehmungsre-sistenz, die das Schutzschild des leeren Geldsacks gegenjedes dem Archivar noch so zwingend erscheinende Argu-ment kompromisslos vor sich her trägt, durchbricht.

Bessere Perspektiven durch Verlagerung von Verantwor-tung?

Ein an sich zwingendes Argument könnte sein, dass keingewerblicher Betrieb in der Lage wäre, mit z. B. einemArchivar, einer halben Sekretärin und einer Magazinhilfs-

kraft ein Archiv einer ganzen Universität am Leben zuerhalten; wie solches gar ein Einzelner leisten soll, ist gänz-lich unerfindlich. Wenn aber Leitungsorgane an Universi-täten sich solchen Einsichten nicht stellen, wenn sich viel-mehr zeigt, dass die Archive im Vollzug der vermeintli-chen Zwänge bis in die Zerstörung ihrer Funktionsfähig-keit hinein überproportional benachteiligt werden, undwenn schließlich ein Interesse der Universitätsspitze ameigenen Archiv so gut wie gar nicht mehr erkennbar wird –dann muss sich wohl die „Universitas“, hier verstandenals die gesamte akademische Gemeinschaft, fragen lassen,ob nicht sie die Voraussetzungen für die Möglichkeit auchkünftiger Beschäftigung mit Universitätsgeschichte zuschaffen hat. Ein Umdenken ist erforderlich, damit ingespürter finanzieller Verantwortung für die Ausstattungder Archive die Fakultäten stärker als bisher in die Pflichtgenommen werden können20, unbeschadet der Leitungs-kompetenz, die notwendig bei den Rektoraten, Präsidienoder Verwaltungsspitzen verbleiben muss. Denn dieFakultäten und ihre Institute sind schließlich nicht nur diehauptsächlichen Schriftgut-Produzenten der Universitä-ten, sie sind auf dem Campus auch die potentiellenGewinner eines ordentlich geführten Archivs, das Wissen-schaftsgeschichte erst möglich macht. Wer als Angehöri-ger einer Universität darauf verweist, Aufgabe der Uni-versitäten sei ausschließlich Lehre und Forschung; Kulturdagegen sei, anders als in jeder Stadtverwaltung, keineuniversitäre Pflichtaufgabe, stiehlt sich aus der Verant-wortung für das kulturelle Erbe seiner Universität. – Fragtman nach, will niemand dieses Erbe heute preisgeben.Bezahlt werden soll aber erst übermorgen.

20 Mehrere Universitätsarchive haben diesen Gedanken allerdings skep-tisch bewertet.

Geschichte von unten im Abseits. Plädoyer für die Stärkung freier ArchiveVon Jürgen Bacia und Dorothée Leidig

Im Mai 1997 war an dieser Stelle ein Artikel unter demTitel „Plädoyer für die Bewahrung der Geschichte vonunten“ zu lesen. In dem Artikel ging es um die NeuenSozialen Bewegungen, die seit den 1960er Jahren überall inder Bundesrepublik entstanden sind, ihre Unübersicht-lichkeit und um die Überlieferungsgeschichte ihrer Doku-mente. Auf die Schwierigkeiten der staatlichen Archivebei der Beschaffung dieser Materialien hatte bereits Her-bert Obenaus in seiner Eröffnungsrede zum DeutschenArchivtag 1995 hingewiesen: „Ob angesichts einer sol-chen, völlig unübersichtlichen Überlieferung die Arbeits-weise der allgemein vorhandenen Abteilungen für dienichtstaatlichen Überlieferungen in den Archiven reicht,muss man wohl skeptisch beurteilen.“1 Diese Rede war

1 Herbert Obenaus: Archivische Überlieferung und gesellschaftlicheWirklichkeit. In: Archive und Gesellschaft. Referate des 66. DeutschenArchivtags. 25.-29. September 1995 (Der Archivar, Beiband 1). Siegburg1996. S. 29 (hier leicht veränderte Fassung gegenüber dem Redemanu-skript).

Ausdruck dafür, dass in den staatlichen Archiven über dieRolle der Neuen Sozialen Bewegungen nachgedachtwurde – und dass nach dem Verhältnis von „archivischerÜberlieferung und gesellschaftlicher Wirklichkeit“ gefragtwurde.2 1997 setzte sich auch Peter Dohms mit diesemThema auseinander. Auf dem Südwestdeutschen Archiv-tag berichtete er, dass die staatlichen Archive sich mit demSammeln von nicht-staatlichem Schriftgut, trotz einigerpositiver Ansätze, nach wie vor sehr schwer täten und„das Archivierungsgeschäft im nichtstaatlichen Bereichmeist dem Zufall überlassen“ bliebe.3 Dies gelte sogar fürdie Parteien und Verbände, erst recht aber für die NeuenSozialen Bewegungen mit ihren dezentralen und oft sehr

2 Obenaus, Archivische Überlieferung, S. 29.3 Peter Dohms: Staatliche Archive und nichtstaatliches Archivgut. Chan-

cen, Grenzen und Gefahren. In: Überlieferungssicherung in der pluralenGesellschaft: Verhandlungen des 57. Südwestdeutschen Archivtags am10. Mai 1997 in Aschaffenburg, hrsg. von Christoph Drüppel und Vol-ker Rödel, 1998, S. 45.

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kurzlebigen Strukturen. Er stellte das seit dem Ende des19. Jahrhunderts nachweisbare „Bewusstsein von der Not-wendigkeit, die historische Wirklichkeit vermittels zeitge-schichtlicher Sammlungen zu dokumentieren“4, derArchivwirklichkeit am Ende des 20. Jahrhunderts gegen-über und konstatierte dramatische Überlieferungslückenin fast allen Bereichen. Einige Wochen nach diesem Vor-trag ging Peter Dohms anlässlich der Eröffnung einer Aus-stellung des Archivs für alternatives Schrifttum in der Deut-schen Bücherei Leipzig ausführlicher auf die Neuen Sozia-len Bewegungen ein. Obwohl diese Bewegungen „dasGesicht unseres Staates entscheidend geprägt haben“,suche man ihre Dokumente in den staatlichen Archiven oftvergebens. Er sprach sich für „eine gewisse offizielle Aner-kennung“ und finanzielle Unterstützung der freienArchive aus.5

Das klang ermutigend. Doch was ist daraus geworden?Werfen wir nun, rund zehn Jahre später, erneut einen Blickauf die freien Archive, aber auch auf die staatlichen Ein-richtungen, die die Materialien der Neuen Sozialen Bewe-gungen sammeln bzw. gesammelt haben. Vereinfachendwird im folgenden von „etablierten“ und „freien“ Archi-ven gesprochen. „Etabliert“ meint alle staatlichen, kom-munalen und universitären Einrichtungen sowie solche,die bei Stiftungen, Forschungseinrichtungen etc. angesie-delt sind; „frei“ meint alle außerinstitutionellen Archiveaus dem weiten Feld der Neuen Sozialen Bewegungen,häufig auch Bewegungsarchive genannt. Daneben gibt eseinige Grenzgänger, die von ihrer Struktur etabliert sind,aber von ihrem Selbstverständnis zumindest eine gewisseAffinität zu den freien Archiven haben (z. B. das Archiv derdeutschen Frauenbewegung, das Archiv Grünes Gedächtnis,der FrauenMedia-Turm oder das Hamburger Institut für Sozi-alforschung).

Etablierte Archive auf dem Rückzug

Bei den etablierten Archiven hat sich die Situation drama-tisch verschlechtert. Fast keines dieser Archive für dieMaterialien der Neuen Sozialen Bewegungen hat dieStürme der Nachwendezeit, der Modernisierung undUmverteilung überlebt:

– Das Archiv APO und soziale Bewegungen, das in den1960er Jahren von Prof. Otto Stammer an der Freien Uni-versität Berlin gegründet wurde, ist in einem schleichen-den Prozess seit Mitte der 1980er Jahren ausgetrocknetworden, hat in den 1990er Jahren seine Sammeltätigkeitfast vollständig eingestellt und ist seit einigen Jahren nurnoch durch das ehrenamtliche Engagement seines pensio-nierten Leiters nach Absprache zugänglich.

– Die Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literaturder Bibliothek für Zeitgeschichte in Stuttgart, die seit den1970er Jahren auch Materialien der links-alternativenSzene gesammelt hatte, musste aufgrund von Mittelkür-zungen ihre Sammeltätigkeit immer weiter reduzierenund Ende 2005 ganz einstellen.

4 Dohms, Staatliche Archive, S. 42.5 Peter Dohms: Die Bedeutung freier Archive als Sammelstellen für

nichtstaatliches Schriftgut; in: Archiv für alternatives Schrifttum. Redenzur Ausstellungseröffnung in der Deutschen Bücherei Leipzig. Duisburg1997, S. 26 und 31.

– Archiv und Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, diesich eine zeitlang um das Sondersammelgebiet NeueSoziale Bewegungen gekümmert und phasenweise sogareinen Mitarbeiter für die Sammel- und Erschließungstätig-keit freigestellt hatten, haben ihr Engagement eingestellt.

– Sang- und klanglos hat im Jahr 2003 das ID-Archiv imInternationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam(IISG) seine Arbeit eingestellt. Dieses Archiv, lange Zeitdas größte seiner Art, erregte 1988 Aufsehen, weil es vonFrankfurt, wo es sich jahrelang vergeblich um eine Förde-rung bemüht hatte, nach Amsterdam umzog. Die Nieder-länder hatten die Bedeutung dieses Archivs für die sozial-geschichtliche Forschung und Überlieferung erkannt undden beiden Mitarbeitern feste Stellen angeboten. Leidergeben weder die ehemaligen Mitarbeiter des ID-Archivsnoch das IISG befriedigende Auskünfte über die Gründefür das Ende dieser Einrichtung.

Jedes dieser abgewickelten Archive bzw. stillgelegtenSondersammelgebiete war eng an eine große Institutionangebunden oder Teil von ihr. Hier zeigt sich, wie nahChance und Gefahr einer solchen institutionellen Anbin-dung beieinanderliegen. Die Chance besteht in der relati-ven Sicherheit durch unbefristete Stellen und einem festenEtat für Ankäufe etc. Die Gefahr liegt in der Abhängigkeitvon Entscheidungen auf höheren Ebenen, auf welche dieArchive keinen Einfluss haben. Ein Institutsrat kannbeschließen, dass Neue Soziale Bewegungen nicht mehrinteressant sind, eine Stiftung kann beschließen, dassFrauenforschung nicht mehr gefördert wird, oder dieDeutsche Forschungsgemeinschaft kann die Bedeutungund Effektivität einer Sammelstelle und einen Anschaf-fungsetat von 7.000,– Euro pro Jahr solange hinterfragen,bis das Projekt kaputtgespart worden ist – so geschehenbei der Stuttgarter Dokumentationsstelle für unkonven-tionelle Literatur.

Bei den wenigen anderen etablierten Archiven, dieaktuell Veröffentlichungen der Neuen Sozialen Bewegun-gen sammeln, sieht es ebenfalls nicht gut aus:

– Das Institut der Sozialen Bewegungen in Bochum, Teilder Bibliothek des Ruhrgebiets, beobachtet die graue Litera-tur nur am Rande und hat noch nicht einmal einen genü-gend großen Anschaffungsetat, um die relevanten Bücheraus den links-alternativen Verlagen zu erwerben. Materia-lien der freien Szene gelangen nur selten und nach demZufallsprinzip ins Institut. Von den rund 200 Abonne-ments des Instituts kommen geschätzte 20 aus den NeuenSozialen Bewegungen.

– Das Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftungführt zwar in seinem Bestandsprofil auch die „Verbändeund Initiativen der Neuen Sozialen Bewegungen“ auf,doch de facto werden nur die Kontakte zum „GrünenUmfeld“ gepflegt. Eine laufende Beobachtung der freienSzene findet nicht statt. Die insgesamt 1.300 Zeitschriften-titel des Archivs entstammen zum ganz überwiegendenTeil der Grünen Partei sowie den grün-alternativen Bewe-gungen.

– Selbst das Spezial-Archiv Protest, Widerstand und Uto-pie in der BRD des Hamburger Instituts für Sozialforschungbeschafft nicht systematisch die Publikationen der NeuenSozialen Bewegungen. Es weist 1.600 Zeitschriftentitelnach; lediglich 60 Zeitschriften aus dem linken und rech-ten Spektrum werden im Abonnement bezogen.

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Freie Archive: erfolgreich auf dünnem Eis

Das bunte und vielschichtige Spektrum der Neuen Sozia-len Bewegungen hat eine bunte und vielschichtige Archiv-landschaft hervorgebracht. Trotz aller Krisen und Verän-derungen gibt es nach wie vor überall in der Bundesrepu-blik ein breites Spektrum von freien Archiven zu den The-men politische Linke, Frauen, Männer, Eine Welt, Umwelt,Autonome, Antirassismus, Antimilitarismus, Jugendkul-tur, Stadt- oder Regionalgeschichte, DDR-Opposition etc.6

Es gibt große und kleine, thematisch eng oder breit ange-legte, kontinuierlich oder sporadisch arbeitende Archive,sogar etliche mit beinahe identischen Sammelprofilen.Bundesweit dürfte es rund 300 freie Archive geben, diesich vereinfachend in zwei Gruppen einteilen lassen:

Die erste und bei weitem größte Gruppe besteht aus deneigentlichen Bewegungsarchiven. Sie sind nicht eigenstän-dig, sondern verstehen sich als Teil von politisch, kulturelloder sozial arbeitenden Projekten. Entsprechend sind siein selbstverwalteten Zentren und Häusern, Beratungsstel-len und Infoläden oder bei Initiativen angesiedelt. DieArchivarbeit wird als ein Teil der politischen Arbeit gese-hen, der nebenbei und ehrenamtlich geleistet wird. Auchdie Archive von Zeitungsredaktionen oder Dokumentati-onsstellen sind nicht eigenständig und können deshalbdieser Gruppe zugeordnet werden.

Die zweite und viel kleinere Gruppe versteht sich alseigenständig und sieht ihre wichtigste Aufgabe in derArchivarbeit selbst, an die meist auch professionelleAnsprüche gestellt werden. Die Mehrzahl dieser Archiveist überregional auf bestimmte Themen wie Frauen, Anti-rassismus, Internationalismus oder Ökologie spezialisiertoder sammelt themenübergreifend die Materialien einerbegrenzten Region. Einige wenige Archive haben sichzum Ziel gesetzt, bundesweit themenübergreifend, alsoaus einem breiten Spektrum der Neuen Sozialen Bewe-gungen, möglichst alle Dokumente zu sammeln und zuerschließen. Die Archive der zweiten Gruppe verfügenmeist über große Sammlungen und verstehen sich alsHüter der Geschichte, man könnte sie als Gedächtnisar-chive bezeichnen.

Im folgenden geht es vor allem um die Archive dieserzweiten Gruppe, die von ihrem Umfang und der Verbind-lichkeit ihrer Arbeit so angelegt sind, dass sie nicht mehrausschließlich ehrenamtlich betrieben werden können. Siesind also auf Fördermittel, Projektgelder oder Spenden ingrößerem Umfang angewiesen. Die Situation der freienArchive ist durch die immer knapper werdenden Mittelsogar noch dramatischer als die der etablierten, dennöffentliche Fördermittel für freie Archivarbeit sind in derRegel Projektmittel und als solche recht einfach zu kürzenoder ganz zu streichen. Nur wenigen großen Archivengelingt es, sich über viele Jahre mit Projektmitteln überWasser zu halten, die sie etwa bei Städten, Frauenbeauf-tragten, Kultusministerien, Stasi-Beauftragten oder Stif-tungen einwerben. Die unvermeidlichen Finanzierungslü-cken überstehen diese Archive dank ihrer Unabhängig-keit, Flexibilität und Selbstverwaltung. Wer von Anfangan damit rechnet, improvisieren zu müssen und bereit ist,

6 Siehe dazu Bernd Hüttner: Archive von unten. Neu-Ulm 2003.

durch Enthusiasmus, ehrenamtliche Arbeit und Selbstaus-beutung ein für sinnvoll gehaltenes Projekt lebendig zuhalten, der kann gegen alle Marktgesetze erstaunlich langeüberleben.

Trotz der Zähigkeit, mit der die unabhängigen Archiva-rInnen ihre Projekte verfolgen, hat es auch in der freienArchivszene viele – oft aus der Not geborene – Verände-rungen gegeben. Hier nur einige Beispiele:

– Das Berliner Frauenarchiv FFBIZ ist 2003 in den Räu-men des Archivs Grünes Gedächtnis untergeschlüpft, weilder Trägerverein die Kosten für die Miete im Charlotten-burger Kiez nicht mehr aufbringen konnte.

– Große Teile des Archivs des Informationsbüros Nicara-gua sind an das ID-Archiv im Amsterdamer IISG abgege-ben worden, der Bibliotheksbestand ist in Wuppertalgeblieben.

– Das Bonner Frauenarchiv ist seit Jahren eingelagertund unbenutzbar.

– Das Frauenarchiv GrauZone hat in den Räumen derBerliner Robert-Havemann-Gesellschaft eine neue Heimatgefunden.

– Das Archiv der Bundesgeschäftsstelle der Anti-Apart-heid-Bewegung ist dem Archiv für alternatives Schrifttumübergeben worden.

– Das Köln-Archiv hat seine Sammeltätigkeit eingestelltund liegt, gut erschlossen zwar, im Historischen Archivder Stadt Köln. Der nicht auf Köln bezogene Teil derSammlung ist dem Archiv für alternatives Schrifttum über-lassen worden.

Etliche andere Archive sind stark gefährdet. So kämpftdas Freiburger Archiv soziale Bewegungen in Baden umsÜberleben, weil die sowieso schon spärlichen Zuschüsseder Stadt drastisch gekürzt worden sind, weitere Kürzun-gen drohen. Das seit 20 Jahren bestehende eco-Archiv inHofgeismar mit den Sammelschwerpunkten Naturschutz,Umwelt, Arbeiter-Ökologiebewegung und Natur-freunde(jugend) ist durch ausbleibende finanzielle Unter-stützung in seiner Existenz bedroht.

Es gibt also, trotz der vielen freien Archive, immer nochgroße Probleme mit der Sicherung von Dokumenten derNeuen Sozialen Bewegungen: Die Gefahr, dass sie imOrkus der Geschichte verschwinden, ist immer nocherschreckend groß. Ein weiteres Problem entsteht immerdann, wenn Infoläden oder Kulturzentren schließen,wenn politische Gruppen oder Zeitungsredaktionen sichauflösen, wenn Kampagnen beendet werden oder wennFrauengruppen zerbrechen, denn fast immer stehen dannauch deren Archive zur Disposition. Selbst aktive Grup-pen fühlen sich von der dauerhaften Archivierung ihrereigenen Geschichte überfordert und suchen nach sinnvol-len Unterbringungsmöglichkeiten für ihre Sammlungen.Staatliche oder kommunale Archive kommen meist nichtin Frage, weil die freie Szene sich dort politisch nichtzuhause fühlt. Wer sich lange mit den verantwortlichenPolitikern einer Stadt herumgeärgert hat, gibt nun malseine Dokumente nicht gerne ins Stadtarchiv.

Um der Gefahr des Überlieferungsverlustes und denschwierigen Überlebensbedingungen etwas entgegenzu-setzen, haben die freien Archive verschiedene Netzwerkegebildet. Schon seit 1994 gibt es den Dachverband deutsch-sprachiger Frauen-/Lesbenarchive, -bibliotheken und -dokumen-tationsstellen (i.d.a)7, der dem regelmäßigen fachlichen und

7 www.ida-dachverband.de

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persönlichen Austausch und gemeinsamen Projektendient. Außerdem bemüht sich i.d.a um politische undfinanzielle Unterstützung. Elf im Dritte-Welt-Bereicharbeitende Archive haben sich 1998 zum ArchivverbundArchiv hoch 3 zusammengeschlossen, werten arbeitsteiligdie einschlägige Presse aus und stellen die so entstandenegemeinsame Datenbank im Internet zur Verfügung.8 VieleInfoläden haben ein loses Netzwerk geknüpft und betrei-ben eine, seit längerer Zeit allerdings humpelnde, Internet-seite, auf der sie ihre Bestände zugänglich machen.9

Schließlich sei auf den seit 2003 im Zweijahresrhythmusstattfindenden bundesweiten Workshop der Archive vonunten hingewiesen. Er dient sowohl der persönlichenKommunikation als auch dem fachlichen Erfahrungsaus-tausch der ArchivarInnen untereinander. Ein Ergebnis die-ser Zusammenarbeit ist die Praktische Handreichung fürBewegungsarchive, die durch die Zusammenarbeit von fünfArchiven und einem Professor der Fachhochschule fürArchivwesen in Potsdam entstanden ist.10 Interessanter-weise kommen zu diesen Workshops auch einige Mitar-beiterInnen etablierter Archive.

20 Jahre afas – ein Lehrstück?

Spätestens mit dem Ende des Amsterdamer ID-Archivs istdas Archiv für alternatives Schrifttum (afas) das bei weitemgrößte freie Archiv für die Dokumente der Neuen SozialenBewegungen geworden. Das afas hat 1985 als Regionalar-chiv für Nordrhein-Westfalen begonnen, deshalb bildendie Materialien aus NRW immer noch einen gewichtigenSammel- und Erschließungsschwerpunkt. Aber schonlange hat es seine Sammeltätigkeit auf das gesamte Bun-desgebiet ausgedehnt und sammelt das gesamte Spek-trum der alternativen Gruppen und Initiativen. Es beob-achtet nicht nur aktuelle Entwicklungen, sondern nimmtauch systematische Rückergänzungen seiner Beständevor. Neben Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren, Doku-mentationen, Flugblättern, Plakaten, Buttons und Spuckiswerden auch Archivalien gesammelt, also Handakten,Vorstands- und Redaktionsordner, Manuskripte und Pro-tokolle, Korrespondenzen und interne Papiere/Zirkulare.Gleichzeitig gehört es zu den ältesten noch aktiven Archi-ven und hat als solches eine teils exemplarische, teils ein-zigartige Geschichte.

Im Laufe seiner Geschichte hat das afas Hunderte vonSammlungen und Archiven von Projekten, Zeitungsre-daktionen oder Privatpersonen übernommen. Über 450Initiativen, Redaktionen und Projekte unterstützen dasafas, indem sie regelmäßig ihre Publikationen kostenlos andas Archiv abgeben.

Mittlerweile haben sich hier rund 900 Regalmeter Mate-rialien der Neuen Sozialen Bewegungen angesammelt,darunter 7.000 Periodika mit rund 150.000 Einzelheften,knapp 8.000 Broschüren und Dokumentationen, 40.000Flugblätter, über 10.000 Bücher, 8.000 Plakate und unzäh-

8 www.internet-peter.de/archiv39 www.ildb.nadir.org/index.php

10 Die Handreichungen sind auf den Internetseiten der beteiligten Archiveverfügbar, z. B. unter ww.boell.de; www.havemann-gesellschaft.de/handreichung/home.html oder www.ffbiz.de/htdocs/bewegungs-archiv/home.html

lige Archivalien. Rund 8.000 Periodika und Broschürensind in einem Online-Katalog recherchierbar11, weitere7.000 Publikationen sind in einer internen Datenbank pro-visorisch erfasst, die rund 40 Regalmeter einnehmendenArchivalien der Sammlung ‚Anti-Apartheid-Bewegung‘sind in 750 Datensätzen detailliert erschlossen. Die Flug-blätter sind nach Provenienz chronologisch abgelegt, Pla-kate und Bücher bislang so gut wie unerschlossen.

Zeitlich reicht die Sammlung, deren mengenmäßigerSchwerpunkt auf der Zeit ab Ende der 60er / Anfang der70er Jahre liegt, bis in die späten 1940er Jahre zurück. Vieledieser Materialien findet man sonst überhaupt nicht odernur lückenhaft und weit verstreut in anderen Archiven.

Wie richtig die Ausweitung der Sammeltätigkeit war,zeigen u. a. die Anfragen, die das afas erreichen: Die meis-ten Nutzer und Nutzerinnen – v. a. StudentInnen, Wissen-schaftlerInnen und JournalistInnen aus ganz Deutschlandund vermehrt auch aus dem Ausland – arbeiten mit über-regionalen Materialien. Immer häufiger werden auchStandardpublikationen aus den alternativen Bewegungennachgefragt, die in wissenschaftlichen und öffentlichenBibliotheken nicht mehr zur Verfügung stehen, weil siedort Sparmaßnahmen zum Opfer fielen und abbestelltwurden.

Materialien aus der afas-Sammlung waren in den letz-ten Jahren in verschiedenen Ausstellungen zu sehen, etwain der Wanderausstellung Jugend Protest Kultur 1968 desWestfälischen Archivamtes; in den Ausstellungen Einig-keit und Recht und Freiheit. Wege der Deutschen 1949–1999des Deutschen Historischen Museums in Berlin; Feuer &Flamme sowie Sonne, Mond und Sterne der InternationalenBauausstellung Emscherpark; Künstliche Versuchung desHauses der Geschichte in Bonn; Zur Vorstellung des Terrorsder Berliner KunstWerke, die außer in Berlin auch in Grazgezeigt wurde. Im Moment ist eine Button-Sammlung andas Frankfurter Museum für angewandte Kunst für dieAusstellung Der Souvenir. Erinnerung in Dingen verliehen.

Das afas hat gute Kontakte zu vielen anderen freienArchiven in der Bundesrepublik, die davon getragen sind,dass man die Arbeit der jeweils anderen kennt undschätzt, dass man sich in den meisten Fällen auch persön-lich kennt und dass man sich gegenseitig hilft. Seit 2002gehört das afas zum Vorbereitungs- und Organisations-kreis der Workshops der Archive von unten. Gleichzeitigkooperiert es auch mit zahlreichen etablierten Einrichtun-gen. Im Laufe der Zeit hat es z. B. mit der Universitäts- undLandesbibliothek Düsseldorf, dem Deutschen Literaturar-chiv in Marbach, dem Heinrich-Heine-Institut in Düssel-dorf, der Deutschen Bücherei in Leipzig und der Deut-schen Bibliothek in Frankfurt, dem LandschaftsverbandRheinland, dem Historischen Archiv der Stadt Köln, derUniversity of California at Berkeley, der University ofMichigan und der Nelson Mandela Foundation in Johan-nesburg zusammengearbeitet.

Das afas ist in vielerlei Hinsicht ein Grenzgänger: esarbeitet zugleich unkonventionell und professionell, es istsowohl glaubwürdig in der freien Szene als auch punktu-eller Partner etablierter Einrichtungen, es ist einerseitsabhängig von öffentlichen Fördermitteln, andererseitsaber auch dank seines unabhängigen Trägerkreises imStande, Hungerphasen zu überstehen – und es kann vorallem gewährleisten, dass es von keiner staatlichen Stelle

11 www.ub.uni-duisburg.de/afas.

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abgewickelt wird. Dieses Grenzgängertum ist selbst wie-derum zwiespältig: auf der einen Seite ist es eine großeStärke des Archivs, weil es Unabhängigkeit und selbstbe-stimmtes Arbeiten ermöglicht und Blicke über Reservats-grenzen nicht tabuisiert werden, auf der anderen Seiteführt es gelegentlich zu Argwohn beiderseits der Grenze.So ist es schon vorgekommen, dass militante Autonomeoder klandestine Maoisten ihre Schriften lieber vernichte-ten, als sie ins afas zu geben, weil das Archiv ‚Staatsknete‘annimmt, also käuflich ist, auf der anderen Seite hat dieUniversitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf (ULBD)im Jahr 2003 den Kooperationsvertrag mit dem afas gekün-digt, weil das afas „keine Selbstbindung bezüglich seinesSammelprofils und seiner Tätigkeit eingehen will“.12 Seit-dem gibt es einen Fördertopf weniger für das Archiv, unddie sehr sinnvolle Sicherungsverfilmung von durchPapierzerfall bedrohten Zeitschriften musste eingestelltwerden.

Finanzielle und personelle Situation des afas

Die finanziellen Mittel für den laufenden Archivbetrieb(Miete, Büromaterial, Telefon, Porto, Reisekosten etc.)werden durch den gemeinnützigen Trägerverein bzw.Spenden aufgebracht. In den Jahren von 1986 bis 1992 und1997 bis 1999 waren Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmeneine große Hilfe. Seit 1992 wird das Archiv vom Kultusmi-nisterium NRW durch Projektmittel unterstützt, von 1994bis 2003 finanzierte das Wissenschaftsministerium NRWdie Sicherungsverfilmung. Seit 2002 wird das afas von derNordrhein-Westfälischen Stiftung für Umwelt und Entwick-lung mit Projektmitteln gefördert, zur Zeit mit Mitteln fürdie Erarbeitung eines Buches über die Geschichte derAnti-Apartheid-Bewegung. Die Stadt Duisburg unter-stützt das Archiv durch günstige Konditionen für dieArchivräume im Rheinhausener Kultur- und Freizeitzen-trum und seit 2001 auch durch einen kleinen jährlichenZuschuss. Seit 2004 gibt es endlich auch eine kleine regel-mäßige Unterstützung durch die Archivberatungsstelledes Landschaftsverbandes Rheinland. Dadurch könnenz. B. nach und nach die umfangreichen Archivalien derAnti-Apartheid-Bewegung in säurefreie und staubge-schützte Archivkartonagen umgebettet werden.

Es gibt nach wie vor keine feste Stelle im afas. Regelmä-ßig gibt es Phasen, in denen der Archivbetrieb nur durchehrenamtliche Arbeit aufrechterhalten werden kann.Obwohl der Kulturausschuss des Landtags NRW bereits1992 die Einrichtung einer Archivleiterstelle im afas fürdringend erforderlich erachtet hatte, scheiterten alle Ver-suche einer politischen Umsetzung. Zuletzt 1999, als ausdem Wissenschaftsministerium NRW verlautete, dassMittel zur Verfügung stünden, falls die Landesbibliothe-ken bereit wären, die Sammelaufgabe für Material aus denNeuen Sozialen Bewegungen an das afas zu delegieren.Die drei Landesbibliotheken erstellten in diesem Zusam-menhang ein Gutachten, in dem festgestellt wurde, „dassdas Archiv für alternatives Schrifttum weiterhin auf hohemStandard alternatives Schrifttum mit Schwerpunkt Nord-rhein-Westfalen erwirbt, erschließt und zur Benutzung

12 Brief der ULBD an das afas v. 7. 7. 2003.

bereitstellt. [...] Es ist davon auszugehen, dass es staatli-chen Institutionen kaum gelingen würde, alternativesSchrifttum in der im Archiv für alternatives Schrifttum vor-zufindenden Größenordnung zu beschaffen. Inhaltlichbetrachtet, ist die im afas dokumentierte Sammlung für diewissenschaftliche Erforschung der LandesgeschichteNordrhein-Westfalens von großem Wert.“ Dennoch schei-terte die Initiative zur Einrichtung einer festen Stelle imafas letztlich an der fehlenden Unterstützung durch dieLandesbibliotheken. Diese – selbst unter dem enormenDruck stehend, ihre Pflichtsammelaufgaben mit zuwenigPersonal erfüllen zu müssen – beschränkten sich auf dieBetonung ihrer eigenen Forderungen nach Personalauf-stockung. Die Versorgung mit alternativer Literatur inNRW leidet bis heute darunter.

Für das afas geht der Marsch auf dünnem Eis, der stän-dige Kampf um Projektmittel, also weiter. Der zu vertei-lende Kuchen wird immer kleiner, die Bedingungen fürdie Zuteilung eines Häppchens werden verschärft. Esmutet absurd an, wenn Zugriffe auf Internetseiten, Nut-zerzahlen oder telefonische Beratungsminuten einesArchivs zum Maßstab für Fördermittel gemacht werden.Denn was hat das mit Qualität zu tun, wie können Inter-netzugriffe Dokumente sichern, was nutzen hohe Nutzer-zahlen, wenn man die nachgefragten Materialien nicht imKatalog findet, weil sie nicht eingearbeitet oder vor demAltpapiercontainer gerettet werden konnten?!

Fazit und Ausblick: Freie Archive sind wichtiger denn je

Die freie Archivszene hat einen Umfang und eine Qualitäterreicht wie nie zuvor. Zugleich ist ein enormer Bedeu-tungszuwachs dieser Archive festzustellen: Das, was ges-tern aktuell gesammelt wurde, ist heute Gegenstand zeit-geschichtlicher Forschung. Seit einigen Jahren ist zu beob-achten, dass vor allem jüngere HistorikerInnen, Sozial-,Kultur- und PolitikwissenschaftlerInnen sich mit der Stu-dentenbewegung der 1960er Jahre und den daraus ent-standenen politischen Gruppen und alternativkulturellenBewegungen der 1970er und 1980er Jahre auseinanderset-zen. Weitere Themenkomplexe, die immer mehr in denFocus der Forschung rücken, sind die Nachwendezeit imwiedervereinigten Deutschland, die Musik- und Jugend-kulturen oder die Globalisierung. Auch hier erweisen sichdie Sammlungen der freien Archiven als unverzichtbar,weil nur sie Primärquellen in einem empirisch brauchba-ren Umfang zur Verfügung stellen können.

Die am Anfang dieses Artikels zitierten Einschätzun-gen von Herbert Obenaus und Peter Dohms haben alsonichts an Aktualität verloren. Staatliche Archive sindweniger denn je in der Lage, die Dokumente der NeuenSozialen Bewegungen in auch nur annähernd repräsenta-tivem Umfang zu sammeln. Besserung ist nicht in Sicht, imGegenteil: sie stehen „in Zeiten knapper Kassen“ vor demProblem einer „verantwortungsbewussten Überliefe-rungsbildung“13 für das staatliche Schriftgut und müssenz. B. in NRW Archivierungsmodelle mit der Zielvorgabe

13 Martina Wiech: Steuerung der Überlieferungsbildung mit Archivie-rungsmodellen. Ein archivfachliches Konzept des Landesarchivs Nord-rhein-Westfalen, in: Der Archivar, 2005, H. 2, S. 94.

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entwickeln, jährlich nur noch 1% des staatlichen Schriftgu-tes zu erhalten, ohne dass der exemplarische Charakterdieser Auswahl verlorengeht. Für WissenschaftlerInnenbleibt damit eine Frage aktuell, die Peter Dohms 1997 soformulierte: „Nicht ohne Ironie wäre nun im Hinblick aufdie Unterlassungen im nichtstaatlichen Bereich zu fragen,ob es [...] jene möglicherweise etatistischen und obrigkeit-lich geprägten Archivare sind, die – gewollt oder unge-wollt – einer Geschichtsschreibung von oben erneut und inunzulässiger Weise Vorschub leisten“.14 Eine Geschichts-schreibung, die allein auf Quellen aus staatlichen Archi-ven basiert, wäre im Ergebnis etatistisch und würde einverfälschendes Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeitvermitteln, weil wichtige Teile des politischen, kulturellenund sozialen Lebens fehlen. Eine umfassende Geschichts-schreibung, die die gesellschaftliche Wirklichkeit wenigs-tens annähernd erfasst, eine ‚histoire totale‘, wie der fran-zösische Historiker Marc Bloch sie nennt, muss alltags-und sozialgeschichtliche Quellen miteinbeziehen – unddie sind zum großen Teil in freien und nicht-staatlichenArchiven zu finden.

Vor diesem Hintergrund ist es dringender denn je, dieBedeutung der freien Archive anzuerkennen, ihre extremschwierigen Arbeitsbedingungen zu erleichtern und ihrÜberleben zu sichern. Um dies zu erreichen, müssen siestärker als bisher von den etablierten Archiven, Stadt- undLandesbibliotheken, aber auch von Ministerien oder Kul-turausschüssen unterstützt werden, materiell wie ideell.Etablierte Archive und Bibliotheken (es darf nicht verges-sen werden, dass viele freie Archive Mischformen vonBibliotheken und Archiven sind) müssen eingestehen,dass sie die Dokumente der Neuen Sozialen Bewegungennicht annähernd repräsentativ beschaffen können und alsKonsequenz diesen Sammelbereich an geeignete freieArchive abgeben. Ministerien müssen neue, unkonventio-nelle Wege finden, um Gelder an freie Archive vergebenzu dürfen.

Die an staatlicher oder städtischer Unterstützung inte-ressierten freien Archive müssen sich Klarheit darüberverschaffen, was sie wollen und was sie zu geben bereitsind. Dabei müssen sie unbedingt auf ihrer Unabhängig-keit bestehen, damit sie nicht, je nach politischer oderfinanzieller Lage eines Landes oder einer Stadt, abgewi-ckelt werden können. Untereinander sollten die freienArchive weiter an der Verbesserung ihrer Kommunikationund Vernetzung arbeiten.

Eine Aufgabe, die in den nächsten fünf bis zehn Jahrenangepackt werden muss, ist die langfristige Sicherung derBestände der freien Archive selbst. Es wird immer wiedervorkommen, dass auch große freie Archive ihre Arbeit ein-stellen müssen, weil die Miete nicht mehr bezahlt werdenkann, weil der Nachwuchs fehlt oder weil durch Verände-rungen in den politischen und kulturellen Milieus ihrRückhalt verlorengeht. Was soll dann mit ihren Beständengeschehen? Von einigen Übernahmen und Zusammenle-gungen haben wir oben berichtet. Aber selbst das ArchivGrünes Gedächtnis kann allein aus Platzgründen keinemzweiten großen Archiv Unterschlupf bieten. Schon heutekommt es vor, dass zur Disposition stehende Archive nachdem Zufallsprinzip gefleddert werden. Wer zuerstkommt, erntet zuerst. Dabei werden sinnvolle Sachzusam-menhänge zerrissen, Archivalien und Autographen von

14 Peter Dohms, Staatliche Archive, S. 51.

Zeitschriften und Broschüren getrennt, und was zumSchluss übrigbleibt, wird weggeworfen. Je größer dieArchive werden, die zur Disposition stehen, desto verant-wortlicher muss mit ihrer Auflösung bzw. Integration inandere Sammlungen umgegangen werden. Um einen grö-ßeren Überlieferungszusammenhang zu erhalten, müssenfreie Archive auch bereit sein, uneigennützig auf Teil-sammlungen zu verzichten.

Bislang gibt es in Deutschland kein Archiv, das vomgesamten Spektrum der Neuen Sozialen Bewegungen alsder Ort akzeptiert wird, an den man im Falle der Auflö-sung der eigenen Einrichtung seine Bestände abgebenwürde. Der Umzug des ID-Archivs ins Internationale Insti-tut für Sozialgeschichte muss immer noch als Signal verstan-den werden. Während ihrer aktiven Zeit in Amsterdamhaben die ID-Mitarbeiter etliche kleine und mittlereArchive und Privatsammlungen, die zur Disposition stan-den, nach Amsterdam geholt. Weitere Archive ziehen fürden Fall ihrer Auflösung ähnliche Möglichkeiten inBetracht. Geht z. B. eines Tages das APO-Archiv nach Ams-terdam, das Anti-Apartheid-Archiv nach Johannesburg, dasArchiv der Sozialen Bewegungen in Baden nach Zürich oderdas Archiv für alternatives Schrifttum nach Berkeley, weil diedortigen Archive ihre Bestände erweitern wollen, viel-leicht sogar den ArchivarInnen die Weiterarbeit ermögli-chen?

Wenn verhindert werden soll, dass auch künftig wich-tige freie sozial- und kulturgeschichtliche Archive ins Aus-land abwandern, muss endlich darüber diskutiert werden,ob und wie es möglich ist, in Deutschland eine weithinakzeptierte Einrichtung zu schaffen, in der die Dokumenteder Neuen Sozialen Bewegungen eine langfristig gesi-cherte Heimat finden. Eine solche Einrichtung – nennenwir sie provisorisch Gesamtarchiv der Neuen Sozialen Bewe-gungen – muss im besten Sinne des Wortes frei und unab-hängig sein. Das Gesamtarchiv darf nicht kurzfristigenSammelmoden unterworfen oder parteipolitisch instru-mentalisiert werden, Bürokraten dürfen nicht über dasSammelprofil entscheiden, und es muss für alle politi-schen, kulturellen und sozialen Strömungen der NeuenSozialen Bewegungen offen sein, auch wenn sie noch sosektiererisch oder abenteuerlich sind. Es darf auf keinenFall die Arbeit anderer freier Archive unterlaufen oderbehindern, sondern soll sie ergänzen, entlasten und mitihnen zusammenarbeiten. Es muss also in der freienArchivszene Glaubwürdigkeit besitzen. Wenn Unabhän-gigkeit, Langfristigkeit und Glaubwürdigkeit gegebensind, könnte es irgendwann selbstverständlich sein, dassfreie Archive im Ernstfall ihre Bestände an dieses Gesamt-archiv zur dauerhaften Sicherung übergeben. Wenn esnicht gelingt, in absehbarer Zeit einen solchen Ort zuschaffen, wird auch in Zukunft die bedauerliche Traditiondes Auswanderns oder Verschwindens von nicht-staatli-chem Schriftgut fortgesetzt. Sollte es gelingen, ein wieoben beschriebenes Gesamtarchiv zu schaffen, wäre esdenkbar, dass das afas den Grundstock dieser Sammlungstellen könnte.

Kurzfristig geht es darum, das grundsätzliche Problemder Überlieferung von Dokumenten der Neuen SozialenBewegungen öffentlich zu diskutieren, und zwar sowohlauf der Seite der etablierten als auch auf der Seite derfreien Archive. Darüber hinaus sollten die nur zartenGesprächsfäden, die zwischen den Archivwelten beste-hen, verstärkt werden. Es wäre zum Nutzen aller. Den

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etablierten Archiven sollten die Sorgen und Probleme derFreien nicht gleichgültig sein. Weder im Verband deut-scher Archivarinnen und Archivare noch auf den Archiv-tagen gibt es ein Forum, in das sich die freien Archive ein-bringen können. Deshalb soll, zum Schluss und aus gege-benem Anlass, Peter Dohms, dem langjährigen Schriftlei-ter des Archivar, der selbst oft in die Debatte über die freienund die etablierten Archive durch eigene Beiträge eingriff,der immer wieder auf die Überlieferungslücken im

Bereich des nicht-staatlichen Schriftgutes hinwies, und derauch immer wieder für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterder freien Archive die Spalten des Archivar öffnete, fürdiese Offenheit und Diskussionsbereitschaft ganz herzlichgedankt werden. Bleibt zu wünschen, dass der Archivarauch in Zukunft, aus Interesse an der Sache, also der Siche-rung der Überlieferung auch unbequemer Dokumente derZeitgeschichte, ein offenes Ohr für die Probleme undAngebote der freien Archive hat.

Vergleich der Formalkatalogisierung in Bibliotheken mit der Verzeichnung inArchiven für ein gemeinsames Datenangebot beider SpartenVon Sabine Richter

Die Datenrecherche und der Zugriff auf Informationenwurde in den letzten Jahren durch Angebote im Internetwesentlich erleichtert. So werden im Bibliothekswesenbibliographische Daten aus verschiedenen Bibliothekenzusammengeführt (z. B. Bibliotheksverbünde). Könntendiese Datenmengen nicht mit Daten aus Archiven angerei-chert werden, so dass auch spartenübergreifend Recher-chen durchgeführt werden können?

Ein Benutzer könnte dann bei einer Dokumentenre-cherche Hinweise sowohl auf veröffentlichte Literatur(aus Bibliotheken) als auch auf unveröffentlichte Doku-mente (aus einem Archiv) – wenn nicht gar das Findbuchzu einem Bestand – erhalten. Der Vorteil für den Benutzerläge darin, dass er bei seiner Informationssuche nicht inbeiden Bereichen getrennt recherchieren müsste. Die exis-tierende, fachspezifische Abgrenzung der Sparten würdefür ihn, zumindest bei der Suche, nicht relevant sein.

Diese Überlegungen sind nicht neu; es gibt bereitseinige Projekte dazu.1 Solche Projekte setzen allerdingsvoraus, dass die Daten der jeweiligen Sparte entwederkompatibel sind und in einer Datenbank integriert werdenkönnen oder so aufbereitet werden, dass sie z. B. über eineSuchmaschine recherchierbar sind. Im Folgenden wirduntersucht, ob die Inhalte der verschiedenen Datenfelder(Kategorien) der bibliographischen Beschreibung bzw.archivischen Verzeichnung ähnlich genug sind, umzusammengefasst werden zu können, und welche Regel-werke jeweils den Daten zugrunde liegen.

Kulturgut und seine bibliographische bzw. archivischeBeschreibung

Sowohl Archiven als auch wissenschaftlichen Bibliothe-ken obliegt die Aufgabe der Sicherung, Erhaltung, Verwal-tung, Speicherung, Erschließung und des Zugänglichma-chens von Kulturgut. Beide Bereiche haben sich hinsicht-lich des zu verwaltenden Materials bzw. nach seiner Ent-stehungsart spezialisiert: Während Bibliotheksgut selbst-

1 So z. B. das Gemeinsame Portal für Bibliotheken, Archive und Museen(BAM-Portal, http://www.bam-portal.de (vom 28. 11. 2005)) oder Kal-liope (http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de (vom 28. 11. 2005)).

ständig ist (überwiegend veröffentlichte Literatur mit ggf.informierenden Titeln), ist das Archivgut durch seineUnselbstständigkeit geprägt (Entstehung für den internenGebrauch innerhalb eines Geschäfts- oder Arbeitsprozes-ses).2 Darüber hinaus liegt Bibliotheksgut im Allgemeinenin mehrfachen Exemplaren oder verschiedenen Ausgabenvor; Archivgut ist in der Regel einmalig. Oftmals existiertBibliotheksgut in Form von Einzelwerken oder abge-schlossenen Einheiten (z. B. als mehrbändiges Werk), hin-gegen setzt sich Archivgut aus mehreren Akteneinheitenzu einem Bestand einer Provenienz zusammen. Der deut-sche Bibliothekar übernimmt die einem Werk beigegebe-nen bibliographischen Angaben.3 Im Gegensatz dazu istder Einfluss des Archivars bei der Verzeichnung wesent-lich größer: Er entscheidet über die Archivwürdigkeit,wobei ggf. nicht archivwürdige Akten kassiert werden,und passt evtl. den vorliegenden Aktentitel den enthalte-nen Dokumenten an. Zudem obliegt es dem Archivar, inwelcher Art und Tiefe er einen Bestand erschließt. DieseUnterschiede führten zu verschiedenen Regeln der For-malkatalogisierung im Bibliotheks- bzw. der Verzeich-nung im Archivwesen.

Standards der Dokumentbeschreibung

Für die Dokumentbeschreibung werden verschiedeneStandards verwendet. Der für diesen Beitrag wichtigsteStandard ist der für die Inhalte der jeweiligen Kategorien

2 Brigitta Nimz: Die Erschließung im Archiv- und Bibliothekswesenunter besonderer Berücksichtigung elektronischer Informationsträger:ein Vergleich im Interesse der Professionalisierung und Harmonisierung(Texte und Untersuchungen zur Archivpflege 14), Münster 2001, S. 67, 77,121, 314; Norbert Reimann: Grundfragen und Organisation desArchivwesens, in: ders. (Hrsg.): Praktische Archivkunde. Ein Leitfadenfür Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, FachrichtungArchiv, Münster 2004, S. 21; Rupert Hacker: Bibliothekarisches Grund-wissen, 7. Aufl. München 2000, S. 12–13, 18, 22. Überschneidungen hin-sichtlich des Sammelgutes treten u. a. bei Nachlässen zutage.

3 In den anglo-amerikanischen Katalogisierungsregeln bestehen im Ver-gleich dazu verschiedene Erschließungsgrade.

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(im Sinne einer Semantik), die über Regelwerke erläutertwerden.4

Die bibliothekarischen Standards haben eine höhereVerbindlichkeit als die archivischen. So gibt es zur Zeitkeine verbindlichen Verzeichnungsstandards für Archive,wie sie mit den Katalogisierungsregeln für deutscheBibliotheken bestehen.5 Lediglich die OVG-DDR hatteneinen normativen Charakter, den sie jedoch mit der Wie-dervereinigung Deutschlands verloren. Standardisierun-gen im Archivwesen werden heute über Fachbücher bzw.die Ausbildung erreicht.6 Aufgrund sowohl der Einzigar-tigkeit von Archivgut als auch der definierten Abliefe-rungsstellen von Behördenschrifttum bestand kaum dieNotwendigkeit für eine einheitliche Gestaltung vonDatensätzen, um einen Datenaustausch zwischen ver-schiedenen Archiven zu ermöglichen. Einheitlichkeit vonDaten ist aber für Archivverbünde oder -portale via Inter-net von Vorteil, weil homogene Daten leichter miteinanderverknüpft werden können als heterogene Daten. Ein wei-terer Vorteil ist, dass sich Benutzer in den Findmitteln zueinheitlich erschlossenen Beständen leichter orientierenkönnen.7

Da in verschiedenen Bibliotheken oft identische Litera-tur vorhanden ist, setzten Normierungsbestrebungen sei-tens der staatlichen Verwaltung bereits Ende des 19. Jahr-hunderts ein, um durch eine bessere Ausnutzung der Res-sourcen die Katalogisierungsleistung zu steigern. Zudemsollte der Preußische, später der Deutsche Gesamtkatalogdie fehlende Nationalbibliothek ersetzen. Hierfür wurdenab 1899 die so genannten Preußischen Instruktionen (PI)als Regelwerk für die Katalogisierung verbindlich einge-setzt.8 Der Gesamtkatalog blieb jedoch fragmentarisch,während die PI erst ab 1965 aufgrund der elektronischenDatenverarbeitung nach und nach durch die Regeln fürdie alphabetische Katalogisierung (RAK) abgelöst wur-den. Die RAK orientieren sich an dem internationalenStandard für die bibliographische Beschreibung (GeneralInternational Standard Bibliographic Description –ISBD(G)). Dadurch, dass die RAK nicht nur die einzelnenElemente der bibliographischen Beschreibung normieren,sondern auch deren Reihenfolge innerhalb der Titelauf-

4 Weitere Standards sind zum einen die für die Datenformate (im Sinneeiner Syntax; sie definieren die verwendeten Kategorien, legen derenReihenfolge fest und regeln ggf. die Wiederholbarkeit einzelner Katego-rien). Über diesen Standard erfolgt die Datenkommunikation bzw. derDatenaustausch mittels Computer. Beispiele für diesen Standard sinddas Maschinelle Austauschformat für Bibliotheken (MAB) oder dieEncoded Archival Description (EAD). Zum anderen gibt es die Stan-dards für kontrolliertes Vokabular bzw. Normdaten.

5 Nach DFG-Arbeitsgruppe „Informationsmanagement der Archive“: Diedeutschen Archive in der Informationsgesellschaft: Standortbestim-mung und Perspektiven; aus der Deutschen Forschungsgemeinschaft,in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 51(2004) S. 20.

6 Nimz (wie Anm. 1, S. 110–111); Reiner Gross: Ein wichtiges Tätigkeits-feld des Archivars – Ordnung und Verzeichnung, in: Friedrich Beck,Wolfgang Hempel, Eckart Henning (Hrsg.): Archivistica docet. Bei-träge zur Archivwissenschaft und ihres interdisziplinären Umfelds(Potsdamer Studien 9), Potsdam 1999, S. 121 und Angelika Menne-Haritz: Ist Archivwissenschaft normierbar?, in: Karsten Uhde (Hrsg.):Qualitätssicherung und Rationalisierungspotentiale in der Archivarbeit.Beiträge des 2. Archivwissenschaftlichen Kolloquiums der ArchivschuleMarburg (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 27), Marburg 1997,S. 44, 48.

7 Peter Müller: Vollregest, Findbuch oder Informationssystem – Anmer-kungen zu Geschichte und Perspektiven der archivischen Erschließung,in: Der Archivar 58 (2005) S. 12–13.

8 Wolfgang Schmitz: Deutsche Bibliotheksgeschichte (GermanistischeLehrbuchsammlung 52), Bern, Frankfurt a. M., New York 1984, S. 163–165;Uwe Jochum: Kleine Bibliotheksgeschichte (Universal-Bibliothek 8915),2. Aufl. Stuttgart 1999, S. 141–143.

nahme festlegen, ist die Grundlage für eine kooperativeKatalogisierung von Medien, den Datenaustausch bzw.die Fremddatenübernahme nicht nur im Bibliotheksver-bund gegeben. In den Folgejahren entstanden jedoch diffe-rierende RAK-Spezifikationen nach Bibliothekstypen(z. B. öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken)sowie nach verschiedenen Medientypen (z. B. für Kartenoder Nichtbuchmedien). Der Datenaustausch zwischenverschiedenen Bibliotheken gestaltet sich dadurch schwie-riger, wird aber durchgeführt. Ende des 20. Jahrhundertsbeginnt im nationalen Bibliothekswesen eine Regelwerks-diskussion, ob das bestehende Regelwerk den neuenmedialen Anforderungen angepasst oder ob das anglo-amerikanische Regelwerk übernommen werden soll, umauf nationaler und internationaler Ebene eine homogenereDatenstruktur zu erreichen.9

Bibliothekarische und archivische Beschreibungsele-mente

Um zu entscheiden, ob die Inhalte der verschiedenenKategorien der bibliographischen Beschreibung bzw.archivischen Verzeichnung ähnlich genug für eine Daten-zusammenführung sind, werden im Folgenden die ent-sprechenden Beschreibungsstandards – zunächst inner-halb einer Sparte und später spartenübergreifend – mitei-nander verglichen. Es wurden auf bibliothekarischer Seiteder ISBD(G), der – obwohl kein Katalogisierungsregel-werk – auf die beiden weiteren untersuchten Werke für dieeinzelnen Elemente normierend wirkte, die RAK in wis-senschaftlichen Bibliotheken (RAK-WB) sowie die Anglo-Amerikanischen Katalogisierungsregeln (AACR2) be-rücksichtigt.10

Da die Verzeichnung nicht verbindlich festgelegt ist,wurden auf archivischer Seite mehr Verzeichnungswerkeausgewählt: die archivische Titelaufnahme bei Sachaktenvon Johannes Papritz, die Ordnungs- und Verzeich-nungsgrundsätze für die staatlichen Archive der Deut-schen Demokratischen Republik (OVG-DDR), die Interna-

9 Renate Gömpel, Gudrun Henze: Nationale oder internationale Stan-dards? Anmerkungen zur aktuellen Regelwerksdiskussion, in: PetraHauke (Hrsg.): RAK versus AACR: Projekte – Prognosen – Perspekti-ven. Beiträge zur aktuellen Regelwerksdiskussion. Bad Honnef 2002,S. 13–24.

10 ISBD(G). General International Standard Bibliographic Description.Annotated Text, ISBD Review Committee Working Group [Bearb.](UBCIM Publications, N.S. 6), Rev. ed. München, London, New York,Paris 1992. http://www.ifla.org/VII/s13/pubs/isbdg.htm (vom 28. 11.2005), 0.3 Outline of the ISBD(G) sowie 1.4 Other title information;Regeln für die alphabetische Katalogisierung in wissenschaftlichenBibliotheken. RAK-WB, [hrsg. von der] Arbeitsstelle für Standardisie-rung, Die Deutsche Bibliothek. 2. Aufl., 4. Erg.-Lfg. Frankfurt a. M. 2002,S. 16–17, 53–56 sowie Roger Brisson, Charles R. Croissant, HeidiHutchinson, Monika Münnich, Hans Popst, Hans-Jürgen Schu-bert (Hrsg.): Anglo-Amerikanische Katalogisierungsregeln. DeutscheÜbersetzung der Anglo-American Cataloguing Rules, Second Edition,1998 Revision einschließlich der Änderungen und Ergänzungen bisMärz 2001, München 2002, S. 43, 47, 59, 63, 72, 75, 79 und 85. Die AACR2wurden in die Analyse aufgenommen, da sie in der Regelwerksdiskus-sion als Alternative zur RAK-WB gehandelt werden. Ausführlicher wer-den die genannten Werke vorgestellt in Sabine Richter: Die formaleBeschreibung von Dokumenten in Archiven und Bibliotheken. Perspek-tiven des Datenaustauschs. Master’s thesis FH Köln 2004. http://www.archivberatung.lur.de/FachDez/Kultur/ArchivundMuseumsberatung/beraten_vermitteln/Archivberatung/Themen_und_Texte/beschreibung+von+dokumenten.htm (vom 1. 4. 2006).

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tionalen Grundsätze für die archivische Verzeichnung(ISAD(G)), das Kapitel „Verzeichnen“ im Handbuch fürWirtschaftsarchive (HW) sowie das Kapitel „ArchivischeErschließung“ in Praktische Archivkunde (PA).11

Die verschiedenen Elemente der formalen Beschrei-bung werden für das Bibliothekswesen dem Schema fürMonographien und für das Archivwesen dem Schema für(Sach-)Akten entnommen, da beide Schemata am häufigs-ten verwendet werden. Die jeweiligen Kategorien wurdenden für die Beschreibung bzw. Verzeichnung besondershervorgehobenen Seiten der Regelwerke entnommen.

Im Bibliothekswesen sind die Kategorien in Gruppenzusammengefasst12; die Zahlen in Tabelle 1 geben an, inwelcher Reihenfolge die Elemente in den Werken aufge-führt werden (eine Null steht für keine Angaben zu dieserRubrik, während ein Buchstabe ein Splitting des Elementsin mehrere Kategorien bedeutet); bei den AACR2 wirdzusätzlich nach Erschließungsgraden differenziert (1.Grad – Mindestanforderungen: fett, 2. Grad: unterstri-chen, wobei bei 1. und 2. Grad teilweise nur die erstge-nannten Angaben übernommen werden, 3. Grad: alle Ele-mente):

11 Johannes Papritz: Die archivische Titelaufnahme bei Sachakten (Veröf-fentlichungen der Archivschule Marburg 4), 6. Aufl. Marburg 1997, S. 50, 96;Ordnungs- und Verzeichnungsgrundsätze für die staatlichen Archiveder Deutschen Demokratischen Republik, Staatliche Archivverwaltung(Hrsg.), Potsdam 1964, S. 47; ISAD(G) – Internationale Grundsätze fürdie archivische Verzeichnung, übers. von Rainer Brüning, WernerHeegewaldt, Nils Brübach (Veröffentlichungen der Archivschule Mar-burg 23), 2. Ausg. Marburg 2002, S. 35–38. http://www.ica.org/biblio/ISAD_2_DE.pdf (vom 28. 11. 2005): der ISAD(G) wurde in den Vergleichaufgenommen, um zu sehen, ob dieser internationale Standard – ähnlichwie der ISBD(G) – sich normierend auf die deutsche Verzeichnungspra-xis auswirkt; Wilfried Reininghaus, Gabriele Unverferth, RalfStremmel: Verzeichnen, in: Evelyn Kroker, Renate Köhne-Linden-laub, Wilfried Reininghaus (Hrsg.): Handbuch für Wirtschaftsar-chive. Theorie und Praxis, München 1998, S. 147–149 sowie BrigittaNimz: Archivische Erschließung, in: Norbert Reimann (Hrsg.): Prakti-sche Archivkunde. Ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- undInformationsdienste, Fachrichtung Archiv, Münster 2004, S. 112.

12 Aufgrund der Beschränkung auf Monographien wurde die GruppeMaterial- oder veröffentlichungsspezifische Angaben der AACR2 bzw.ISBD(G) nicht berücksichtigt.

Es zeigt sich, dass der ISBD(G) die beiden Katalogisie-rungswerke RAK-WB und AACR2 maßgeblich bestimmthat: Die Reihenfolge der einzelnen Elemente beider Kata-logisierungswerke orientieren sich am ISBD(G). Bestimmtman das Verhältnis zwischen allen möglichen Kategorien(insgesamt 38) zu den Kategorien, die in allen Regelwer-ken genannt sind, so stimmen die Regelwerke zu 55%überein. In der obigen Liste gibt es vier Ausreißer – d. h.Kategorien, die nur in einem Regelwerk verankert sind –,die alle durch die RAK-WB verursacht werden (z. B. stär-kere Differenzierung der Titelgruppe sowie die Bandauf-führung, die eine hierarchische Struktur von Titelaufnah-men ermöglicht). Zählt man hier die Kategorien dazu, diein den RAK-WB keine Entsprechung haben, so weichendie RAK-WB zu 37% von allen möglichen Kategorien ab(z. B. keine allgemeine Materialbenennung und geringereDifferenzierung bei der Gesamttitelangabe). Betrachtetman hingegen nur die Kategorien, die durch den ISBD(G)und die AACR2 abgedeckt werden, so besteht zwischendiesen beiden Werken eine Übereinstimmung von 91%.Aus diesem Vergleich kann als Fazit gezogen werden, dassbei den RAK-WB trotz Orientierung an den Vorgaben des

ISBD(G) die nationale Katalogisierungstradition eine stär-kere Gewichtung erhielt.

Die untersuchten archivischen Werke werden in Tabelle2 in der Reihenfolge ihrer Erstveröffentlichung genannt,um Rückschlüsse auf Entwicklungen in der Verzeich-nungspraxis ziehen zu können. Damit der anschließendeVergleich mit den bibliothekarischen Kategorien leichterfällt, wurden aus ähnlichen Elementen des archivischenSchemas Gruppen gebildet. Die Zahl verdeutlicht auchhier die Reihenfolge in der Beschreibung bzw. die Nullfehlende Angaben. Buchstaben zeigen ein Splitting vonKategorien an. Elemente der einfachen Verzeichnung wur-den normal, die erweiterte Verzeichnung mit Unterstrei-chung und Pflichtkategorien fett gesetzt.

Die Verzeichnungsregeln fallen recht heterogen aus:Zum einen springt die Reihenfolge der einzelnen Katego-rien je nach Regelwerk, und zum anderen ist die Anzahlvon sieben Ausreißern im Verhältnis zu allen möglichenKategorien (20) recht hoch (37% – Anteile je Werk: 20%ISAD(G), 10% Papritz und 5% PA). Die Elemente, die vonallen Werken genannt werden, sind die Signatur, der Titelund die Datierung (15% aller Kategorien). Die größtenAbweichungen gibt es in der Signaturengruppe sowieinhaltlicher Art in der Verwendung des Enthält- undDarin-Vermerks. Auch die Namen mancher Kategorien

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variieren (z. B. Datum, Datierung, Laufzeit), obwohl siesich inhaltlich entsprechen. Darüber hinaus ist es auffällig,dass die Vorgaben des internationalen Standards (z. B.Landeskennzeichen, Verzeichnungsstufe) nicht von denneueren deutschen Handbüchern HW und PA aufgegrif-fen wurden. Nimmt man den ISAD(G) aus dem Vergleichheraus (16 mögliche Kategorien), so erhöht sich dieDeckung auf 44% (Provenienz, Intus- bzw. Enthält-Ver-merk, Bandnennung sowie Bemerkungen). Die wichtigs-ten Kategorien für (Sach-)Akten werden durch alle natio-nalen Verzeichnungswerke abgedeckt. Es sollte jedochinnerhalb des Archivwesens diskutiert werden, ob einhöheres Maß an Übereinstimmung nicht zu mehr Strin-genz bei der Verzeichnung führen könnte.

Der ISAD(G) beinhaltet aber für die deutsche Verzeich-nungspraxis – in Bezug auf die neuen elektronischen Mög-lichkeiten – einige Anregungen: So wird der Ländercodeund die Kennung der bestandshaltenden Institution ineinem Archivverbund unverzichtbar sein. Die divergie-rende Verwendung des Enthält- und Darinvermerkskönnte – unter gleichzeitiger Klärung der Verwendungdieser Begriffe – über die Hierarchisierung mittels eineruntergeordneten Verzeichnungsstufe gelöst werden. Fer-ner sollte auch die Klassifikationsgruppe in jedem Daten-satz eingebunden werden, um auch auf elektronischerEbene die Hierarchien eines Bestandes abbilden zu kön-nen sowie diese Informationen in die Recherche einzube-ziehen.

Vergleich der Beschreibungselemente beider Sparten

Da das bibliothekarische Beschreibungsschema wesent-lich mehr Elemente als das archivische umfasst, werdenim folgenden Vergleich bibliothekarische Kategorien, diefür das Archivwesen überwiegend unerheblich sind(Gruppen Ausgabebezeichnung, Gesamttitelangabe undStandardnummern sowie z. B. Kategorie Parallelsachtitel)ausgeschlossen, um somit den größtmöglichen gemeinsa-men Nenner der formalen Erschließung zwischen beidenSparten zu finden. Zur größeren Übersichtlichkeit wirdauf die Gruppenbildung der Schemata zurückgegriffen,wobei der Vergleich mit den ähnlichen Gruppen beginnt:

Die Titel-Gruppe gehört sowohl im Bibliotheks- alsauch Archivwesen zu den Hauptelementen der Beschrei-bung, da über sie Inhalte an einen potentiellen Benutzertransportiert werden. Im Archivwesen sollten jedoch die(übergeordneten) Klassifikationsgruppen zum Titel hin-zugenommen werden, da der Kontext einer Akteneinheitmitberücksichtigt werden sollte. Aufgrund ihres hohenInformationsgehaltes können beide Kategorien in einergemeinsamen Datenmenge nachgewiesen werden.Gleichfalls gemeinsam können die Kategorien Titelzu-sätze bzw. Enthält- und Darin-Vermerke angeboten wer-den, da hierbei spezifizierende Angaben zu den Titeln vor-genommen werden. Die bibliographische Beteiligtenan-gabe könnte der archivischen Provenienz (Gruppe der Sig-naturen) gegenüber gesetzt werden, da ein Verfasser oderauch eine beteiligte Person bzw. Körperschaft in ähnlichengem Bezug zu dem entsprechenden Werk wie ein Regis-traturbildner zu dem ihn repräsentierenden Bestand steht.

Die Gruppe Erscheinungsvermerk bzw. Datierung ent-hält u. a. die zeitliche Bestimmung eines Dokuments,wobei es sich im Bibliothekswesen in der Regel um eineJahresangabe handelt, während sie sich im Archivwesenüberwiegend über eine Zeitspanne erstreckt. Bei einemgemeinsamen Datenangebot müsste die zugrunde lie-gende Software auf diesen Sachverhalt hin abgestimmtwerden. Die bibliothekarischen Kategorien Entstehungs-ort und Verlag haben für (Sach-)Akten keine Relevanz.

Die Gruppe physische Beschreibung bzw. Umfangkann in einer gemeinsamen Datenmenge verankert wer-den, da mit diesen Angaben eine formale Aussage verbun-den ist. Die archivische Bandnummer (z. B. eingesetzt zurDifferenzierung gleichlautender Aktentitel) gleicht jedochnicht der bibliothekarischen Bandangabe, die zwei in hie-rarchischer Beziehung zueinander stehende Datensätzeverknüpft. Die Bandangabe würde vielmehr dem Prinzipder ISAD(G) entsprechen, nach der im übergeordnetenDatensatz die Elemente enthalten sind, die auf alle unter-geordneten Datensätze zutreffen. Abweichungen davonwerden in einem einzelnen Datensatz angeboten, dieBeziehung zwischen den verschiedenen Datensätzen wirdüber die Verzeichnungsstufe abgebildet.

Aufgrund ihres formalen Charakters – ähnlich derGruppe der physischen Beschreibung – können die Grup-pen Fußnoten bzw. Verweise und Bemerkungen ebenfallsin einer gemeinsamen Datenmenge dargebracht werden.

Zu den abweichend verwendeten Gruppen gehört dieSignaturen-Gruppe: Im Archivwesen gehört die Signaturaufgrund der Einzigartigkeit von Archivgut zu jedem ein-zelnen Datensatz (inklusive Landeskennung und besit-zende Institution), während sie im Bibliothekswesen alsLokaldatensatz an einen Mediendatensatz angehängtwird, um redundante Informationen in einem Katalogver-bund zu vermeiden.

Gemeinsames Datenangebot von Bibliotheken undArchiven

Die obigen Ausführungen zeigen, dass es einen gemeinsa-men Nenner für Daten aus Archiven und Bibliothekengibt. Dieser soll aber nicht darüber hinweg täuschen, dassdie jeweils zugrunde liegenden Daten beider Sparten sehr

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heterogen sind: zum einen aufgrund des unterschiedli-chen Sammlungsguts und zum anderen aufgrund desKontrasts von standardisierten bibliographischen zuunverbindlichen archivischen Daten. Es sollte im Archiv-wesen diskutiert und geklärt werden, inwieweit ein ver-bindliches Regelwerk (inklusive Vereinheitlichung derInhalte sowie ihrer Benennung) zu einer einfacherenHandhabung der Verzeichnung führen könnte. Eine stär-

kere Normierung müsste nicht gleichzeitig eine Ein-schränkung der Entscheidungsfreiheit des Archivarsbedeuten. Anhand eines verbindlichen Regelwerkes, dassich in den Erfassungsmasken der Verzeichnungssoftwa-res niederschlagen könnte, könnte sowohl das archiv- alsauch spartenübergreifende Datenangebot sowie dieRecherche auf Seiten der Benutzer vereinfacht werden.

Archivbericht Niederlande 1995–2005: Zugänglichkeit und Publikumsorientierung alsParadigmen und die Entstehung der Regionale Historische CentraVon Matthias Weber*

Die Diskussion um die Verwaltungsmodernisierung mitKostenerwägungen, Effizienzgewinn und der Frage, wieder öffentliche Sektor welche Leistungen in Zukunft nocherbringen kann, haben in den Niederlanden zu Verände-rungen geführt, die auch den Archivbereich nicht unbe-rührt lassen. Zu den markantesten Neuerungen gehörtsicher die Erweiterung der ehemaligen Rijksarchieven inden Provinzen zu Regionale Historische Centra (RHC).Zusammen mit anderen vergleichbaren Einrichtungen,primär Kommunalarchiven, bilden diese Centra größereEinheiten. Dieser Prozess war und ist auf Jahre hinwegangelegt und noch lange nicht abgeschlossen. Er wurdekeineswegs archivintern geführt. Entscheidende Impulsekamen von politischer Seite, namentlich aus dem für dasstaatliche Archivwesen verantwortlichen Ministerie vanOnderwijs, Cultuur en Wetenschappen, kurz OCenW (Bil-dungs-, Kultur- und Wissenschaftsministerium). Leitbe-griffe dieser Veränderungen sind die Zugänglichkeit (toe-gankelijkheid) der Archive und die Orientierung am„Kunden“, die publieksgerichtheid: Zugänglichkeit durchverkürzte Übernahmefristen der Unterlagen, verstärkteNutzung von digitalen Medien, insbesondere Web-basier-ten Technologien für Archive und möglichst die Aufarbei-tung von Rückständen; Publikumsorientierung durch ver-mehrte Berücksichtigung von Nutzerwünschen, Visuali-sierung und audiovisuelle Quellen, die Erschließungneuer Nutzerkreise sowie durch die Zusammenführungvon verschiedenen Archiveinrichtungen, eventuell mitverwandten Institutionen wie Bibliotheken und Museen.Die Debatte um die RHC war beinahe ausschließlich einebinnenniederländische, es fehlen die Hinweise auf andereLänder und ihre Archivdienste, die gerade in den interna-tional ausgerichteten Niederlanden nicht unüblich sind.Am Rande wurde einmal auf das Haus der Geschichte inDarmstadt hingewiesen;1 hier sind zwar das HessischeStaatsarchiv Darmstadt und das Stadtarchiv mit anderenInstitutionen unter einem Dach vereinigt, allerdings durchAuftrag und Trägerschaft getrennt und keineswegs mitden Centra zu vergleichen.

* Dr. Matthias Weber ist Mitarbeiter des Archivs der Europäischen Zen-tralbank in Frankfurt/M. Er hat einen Teil seines Geschichtsstudiums inAmsterdam absolviert.

1 Yvonne Bos-Rops: Van Rijksarchief tot Regionaal Historisch Centrum.De ontwikkeling van organisatie en taken van Nederlands archiefwezensinds 1802, in: Archievenblad, August 2000, S. 15.

Ganz neu und unerwartet waren diese Vorstellungen,die seit dem Jahr 2000 verstärkt behandelt und umgesetztwurden, nicht. Schon 1995 übernahmen Stadt und ProvinzUtrecht die Vorreiterrolle mit der Verschmelzung der bei-den in Utrecht angesiedelten Provinciaal Rijksarchief undGemeentearchief, dem Stadtarchiv, die 1998 zustandekam.

Neben dem „Reich“ und seinen Provinzen, deren Ein-fluss und Bedeutung nicht an die deutschen Bundesländerheranreicht, waren die Archive und andere Körperschaf-ten an der Umwandlung beteiligt. Bereits am 7. Februar2000 entwarf der damalige Staatssekretär von OCenW,Rick van der Ploeg, in einem Brief an den Parlaments-präsidenten seine im nachhinein Realität gewordenenAbsichten hinsichtlich der Regionale Historische Centra.Van der Ploeg, von Herkunft Wirtschaftswissenschaftler,sah in der Fusion in Utrecht ein Modell für alle Provinzendes Landes. Zugänglichkeit der Archive für ein breitesPublikum solle unter anderem der vermehrte Einsatz digi-taler Medien gewährleisten. Die vorhandenen Archive,auch die Rijksarchieven in den Provinzen, betrachtete erals zu klein, um ein digitales Netzwerk aufzubauen undneue Nutzerschichten zu erschließen. Archive waren fürihn ein verborgener Schatz und potentiell wachsenderBereich: „Nach meiner festen Überzeugung ist dieser Sek-tor ein Wachstumsmarkt und gleichzeitig ein fruchtbaresEntwicklungsfeld für kulturelles Unternehmertum.“2 Imweiteren Verlauf entstanden einige Ideen zur Trägerschaftder künftigen Einrichtungen. Der bisherige alleinigeUnterhalt der Rijksarchieven der Provinzen durch OCenWsollte nicht beibehalten werden. Archivgut sollte Eigen-tum des Staates bleiben, die Verwahrung gegebenenfallsauch privaten Einrichtungen übertragen werden;3 die Vor-stellung von mehr Geschichte für alle musste nicht unbe-dingt an klassische Behördenstrukturen gebunden blei-ben.

2 (Brief aan) De voorzitter van de Tweede Kamer der Staten-General, 7februari 2000, DCE/2000/895, www.minocw.nl/archieven/histo-rie.doc.

3 Frieda van Diepen-Oost (Hg.): Archieven in de Etalage, Ministerievan Onderwijs, Cultuur en Wetenschappen, März 2000, http://www.minocw.nl/archieven/archief.pdf, S. 7.

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Fusionen und Ziele

OcenW konnte keine zwangsweisen Fusionen mit denArchiven in kommunaler Trägerschaft durchsetzen undwar auf die Kooperationsbereitschaft der Beteiligten ange-wiesen. Im Frühjahr 2001 fanden mit den jeweiligen Ent-scheidungsträgern zehn regionale Zusammenkünfte statt.In einigen Regionen war das Echo der Fachwelt auf dieZentralisierungspläne mit den geplanten Gründungen derRHC in den Provinzhauptstädten reserviert, und „in Zee-land, Friesland und auch anderen Provinzen ist die ‚Peri-pherie‘ nicht wirklich erbaut von einem allzu starken zen-tralen Archiv“, vielmehr wollten dort Gemeinden undWasseraufsichtsbehörden (waterschappen, diese wichti-gen Institutionen haben häufig eigene Archive) im Ver-bund zusammenarbeiten und gemeinsame Archive bil-den.4 Bereits im Jahr zuvor diskutierte die Fachwelt diegeplanten Veränderungen, und auch kritische Ansichten,die man von den agierenden Politikern eher nicht zu hörenbekam, wurden hier deutlich: mehr Oberflächlichkeit, jaVerarmung durch mehr Popularisierung befürchtete derAmsterdamer Rechtshistoriker S. Faber, und ein andererTeilnehmer aus dem Wissenschaftsbereich, P. D. ’t Hart(Utrecht), sah in der Zusammenlegung das potentielle Ver-schwinden von erfahrenen Spezialisten in den kleinenArchiven.5

Den Fusionierungsprozess hatten die Skeptiker abernicht aufhalten können, und recht rasch, am 9. Juli 2001,fanden die Beiteiligten, also die Vertreter des Gesamtstaa-tes (Rijksoverheid), vertreten durch OCenW mit Staatsse-kretär van der Ploeg einerseits und dem Verband Interpro-vinciaal Overleg (IPO), dem Kommunalverband Vereni-ging van Nederlandse Gemeenten (VNG) sowie der Unievan Waterschappen (UvW) andererseits, eine Überein-stimmung. Daneben initiierte van der Ploeg über denDachverband DIVA (Vereniging voor de documentaireInformatievooziening en het Archiefwezen = Verein fürdokumentarische Informationsversorgung und Archiv-wesen) eine umfassende Untersuchung, was der BegriffZugänglichkeit für Archive beinhalte und welche Quali-tätsnormen zu ihrer Verbesserung notwendig seien.6 Derausführliche Bericht „Naar een publieksgericht archief-bestel“ wurde Ende 2003 vorgestellt, als der Fusionspro-zess im Gang war. Anfang Juli 2002 erlangten OCenW,IPO, VNG und UvW als Vertragspartner eine Überein-kunft (convenant).7 Diese verpflichtete die Beteiligten,detailliert zu untersuchen, wie man u. a. Verbesserungenim Archivbereich, insbesondere bei deren Zugänglichkeit

4 G. J. Muskens: Samenvattend verslag van de provinciale conferentiesover de toekomstige inrichting van het archiefbestel, woensdag 11 april –woensdag 23 mei 2001. Georganiseerd op initiatief van het Ministerievan Onderwijs, Cultuur en Wetenschappen, het Interprovinciaal Over-leg, de Vereniging van Nederlandse Gemeenten, in afstemming met deUnie van Waterschappen, www.minocw.nl/documenten/brief2k-2001/30132a.pdf.

5 Verslag van de discussiedag van de Commissie Geesteswetenschappenen het Koninklijk Historisch Genootschap: Archieven of regionale histo-rische centra? Implicaties van de regionale historische centra voor hetgeschiedwetenschappelijk onderzoek. Gehouden op 17 mei 2000 te Ams-terdam, http://www.knaw.nl/publicaties/pdf/90000064.pdf, S. 10–11.

6 Rick van der Ploeg: Interactief archief, (o.J.), http://www.divakoe-pel.nl/files/archiefbrief.html.

7 Convenant archiefen 2002, http://www.divakoepel.nl/files/Definitief-ConvenantArchieven.doc.

erreichen könne und welche Rechtsformen bei den neuenCentra möglich seien.

Die Wahl der Rechtsform der neu zu bildenden RHC istGegenstand der Vereinbarung zwischen den Fusionspart-nern bzw. den ihnen übergeordneten Behörden, also demBürgermeister und Stadtrat (College van Burgemeester enWethouders) seitens der Kommunen und dem Ministe-rium OCenW auf gesamtstaatlicher Seite; sie durften denBestimmungen des Archivgesetzes von 1995 natürlichnicht zuwider laufen. Es war keineswegs so, dass nur eineGemeinde der Vertragspartner von OCenW werdenkonnte, um Archive zusammenzuführen: im Fall vonFriesland wurde kein städtisches Archiv als Partner einbe-zogen.

Grundlage der Einrichtung und Arbeit eines RHC isteine gemeinsame Regelung. Das Zeeuws Archief der Pro-vinz Zeeland beispielsweise fungiert als öffentlich-rechtli-che Körperschaft, die gemeinsam vom MinisteriumOCenW sowie den Gemeinden Middelburg und Veeregetragen wird. Die Aufsicht und allgemeine Verwaltungmit den Haushaltsangelegenheiten wird von den Mitglie-dern zweier Verwaltungsräte (algemeen bestuur unddageliljks bestuur) ausgeübt, die auch den Archivdirektorbenennen (und gegebenenfalls entlassen), der für die Lei-tung der fachlichen Arbeit zuständig ist. Letzterer ist andie Räte weisungsgebunden, aber berät diese. Die ProvinzZeeland spielt eine untergeordnete Rolle, die Provinzver-treter (Gedeputeerde Staten) erhalten die Tagesordnungenund können auf Einladung einen Vertreter zu den Sitzun-gen schicken. Die Kosten der Einrichtung teilen sich dasMinisterium mit 75% und die beiden Gemeinden mit 20%(Middelburg) und 5% (Veere). Ein großer Einfluss desMinisteriums ist nicht zuletzt durch diese Finanzierungfestgelegt.8

Die anvisierten Nutzer

Neben den traditionellen Nutzern von Archiven wieGenealogen oder Studenten bzw. professionellen Histori-kern oder auch dem Staat sollen Amateurhistoriker, allge-mein an der Vergangenheit ihrer Gemeinde oder ihressozialen Umfelds oder der Herkunft Interessierte treten(van der Ploeg erwähnte hier insbesondere Migranten),9

Leute mithin, für die der Zugang zu einem Archiv nichtselbstverständlich war und ist. Spätere Untersuchungenverdeutlichen das gewachsene Interesse anhand von Zah-len. So fanden laut einer Umfrage 2003 folgende Gruppen– online oder durch tatsächlichen Besuch – Zugang zuArchiven: Interessenten, die ausschließlich genealogischeFragen verfolgen (875000 Besucher); an historischer Infor-mation Interessierte, darunter auch Studenten und Histo-riker (525000); an ihrer Wohnumgebung Interessierte(450000); Personen mit diffusen Informationsbedürfnis-sen (525000) und Leute, die Bildmaterial oder Karten

8 Gemeenschappelijke Regeling Zeeuws Archief und Toelichting bij deregeling Zeeuws Archief, 2000, http://www.zeeuwsarchief.nl/organisa-tie/regeling-tekst.htm und http://www.zeeuwsarchief.nl/organisatie/regeling-toelichting.htm.

9 Das ist ein gemeinsam betriebenes Archiv mehrerer Gemeinden.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2178

RHC (Sitz)Groninger Archieven(Groningen)ErfgoedcentrumNieuw Land(Lelystadt)

Tresoar(Leeuwarden)

Gelders Archief(Arnhem)

Brabants HistorischInformatie Centrum(Den Bosch, Oss,Veghel und Boxtel)Drents Archief(Assen)Het Utrechts Archief(Utrecht)Zeeuws Archief(Middelburg)Historisch CentrumOverijssel (Zwolle)Noord-HollandsArchief (Haarlem)Regionaal HistorischCentrum Limburg(Maastricht)

ProvinzGroningen

Flevoland

Friesland

Gelderland

Noord-Brabant

Drenthe

Utrecht

Zeeland

Overijssel

Noord-Holland

Limburg

Fusionierte PartnerRijksarchief Groningen und GemeentearchiefGroningenRijksarchief Flevoland, Archeologisch DepotFlevoland, Nieuw Land Poldermuseum,Sociaal Historisch Centrum voor Flevoland,die Gemeinden Dronten, Lelystad, Urk,Zeewolde sowie Waterschap ZuiderzeelandRijksarchief Friesland, Frysk LetterkundichMuseum en Dokumintaasjesintrum,Provinciale- en Buma-BibliotheekRijksarchief Gelderland und dieGemeentearchieven Arnhem, Renkum,Rheden und RozendaalRijksarchief Noord-Brabant, Streekarchief10

Langs Aa en Dommel und StreekarchiefBrabant-Noordoost

Rijksarchief Drenthe und GemeentearchiefAssenRijksarchief Utrecht und GemeentearchiefUtrechtRijksarchief Zeeland und dieGemeentearchieven Middelburg und VeereRijksarchief Overijssel und GemeentearchiefZwolleRijksarchief Noord-Holland und Archiefdienstvoor KennemerlandRijksarchief Maastricht und GemeentearchiefMaastricht

Entstand2002

2003

2002

2002

2005

2005

1998

2000

2000

2005

2004

Übersicht Regionale Historische Centra ohne Zuid-Holland (das Archiv der Provinz Zuid-Hollandwird weiterhin vom Algemeen Rijksarchief in Den Haag betreut, das seit 2002 Nationaal Archief heißt)

suchen (150000).11 Die Anzahl der tatsächlichen Nutzer imLesesaal liegt natürlich bei weitem nicht so hoch, da eingroßer Teil der genannten Nutzer die Archive onlinebesucht; die auf Telefon und Internet basierende Umfrageist hier allerdings recht undeutlich. Im Jahr 2000 besuchten188900 Personen mit insgesamt 471200 Besuchen dieöffentlichen Archive.12 Bei aller Vorsicht mit manchenZahlen (die nach Besuchergruppen aufgeschlüsseltenberuhen auf einer telefonischen Befragung) zeigt es sichallerdings, dass das Internet ein beachtliches Potential vonInteressierten erschließt, die z. T. überdies den Weg in denLesesaal finden. Van der Ploegs Annahme vom „Wachs-tumsmarkt“ war insoweit durchaus zutreffend. Freilichblieb die betonte Popularisierung der Archive bzw. Regio-nale Historische Centra nicht unkritisiert, und nicht zuUnrecht wurde van der Ploeg anfangs vorgehalten, denWissenschaftler als Nutzer vergessen zu haben bzw. letzt-lich einer „Entwissenschaftlichung“ („verontwetenschap-pelijking“) der Archive Vorschub zu leisten.13 Und gewissist ohne Forschungsaktivität auf Dauer kaum ein seriöserArchivbetrieb aufrecht zu erhalten, oder er verfällt einerVerengung auf das Populäre und leicht Verdauliche. Eine

10 Van der Ploeg, interactief archief.11 Koos van Dijken/Natasha Stroeker: Naar een publieksgericht

archiefbestel. Kenmerken, doelbereik, consequenties, Zoetermeer 2003,hoofdrapport, http://www.divakoepel.nl/files/69053-v1-defini-tief_rapport_november.pdf, S. 27–31 und achtergrondrapport,http://www.divakoepel.nl/files/77354-v1-achtergronddocu-ment_archieven_gespiegeld.pdf, S. 66–69.

12 Van Dijken/Stroeker, achtergrondrapport, S. 59.13 Ad. Knotter: Archieven als Regionale Historische Centra: nieuwe per-

spectieven voor geschiedwetenschappelijk onderzoek?, in: Archieven-blad, August 2000, S. 19.

inhaltliche Abwärtsbewegung bei gleichzeitig glänzenderPR dürften weder Archive noch Museen oder Bibliothekenunbeschadet überstehen. Indes hatten sich die Rijksarchie-ven nicht oder verspätet durch historische Bildungsarbeitfür breitere Kreise hervorgetan und stuften diese aus Spar-gründen 1977 zu den weniger wichtigen Aufgaben herab,während die niederländischen Kommunalarchive bereitsin den 1960ern aktiv wurden in diesem Sektor.14 Inwieweitsich über das Internet zudem dauerhafte Besucher derLesesäle gewinnen lassen, wird sich erst nach Jahren zei-gen, und einschlägige Untersuchungen stellen ja fest, dassder „Kunde“ unberechenbarer geworden ist und Archivemit vielen anderen Freizeitaktivitäten konkurrieren undeine Konsumenten- und Anspruchshaltung so mancher„Neukunden“ zu gewärtigen haben.15

Konsequenzen

Die Umwandlung der Rijksarchieven in den Provinzenbedeutete das Ende der hierarchischen Beziehungen zwi-schen dem Rijksarchief in Den Haag und seinen „Satelli-ten“ in den Provinzhauptstädten. Das Nationaal Archiefspielt nunmehr eher die Rolle eines primus inter pares,agiert u. a. als Wissenszentrum besonders hinsichtlichKonservierungs- und Digitalisierungsfragen und istzuständig für internationale Kontakte. Während das Auf-

14 Bos-Rops, S. 15.15 Van Dijken/Stroeker, achtergrondrapport, S. 83–85.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 179

sichtsorgan der Rijksarchiefinspectie weiterhin bestehenbleibt, endete der frühere Rijksarchiefdienst mit der Auf-richtung des letzten Regionaal Historisch Centrum, wobeieinige seiner Aufgaben auch ohne diesen bestehen blei-ben. Das Nationaal Archief bleibt als einziges Rijksarchiefübrig. Mag der administrative Rahmen der Centra gefes-tigt sein, bedarf es für die beabsichtigte stärkere Berück-sichtigung der Archive noch großer Anstrengungen inorganisatorischer, technischer und finanzieller Hinsicht.Auch ist es um das Image der Archive in den Niederlan-den – wie wohl überall – nicht immer zum besten gestellt;sie gelten als „langweilig“, „statisch“ und „staubig“, undsie sind selbst im Vergleich mit Bibliotheken und Museenrecht unbekannt.16 Nun ist es kaum möglich, allen zugefallen oder mit so sinnreichen Freizeitbeschäftigungenwie dem Download von Handyklingeltönen oder -bild-chen zu konkurrieren. Archivare wissen das, hoffentlichwissen es auch die Verantwortlichen der Kulturpolitik.Sinnvoll ist neben der technischen Repräsentanz im Inter-net ein Heranführen von Schülern an Archive und einErkennen und Ausmerzen von Qualitätsmängeln, wie esin der Verwaltung bedeutend geworden ist.17 Die Befra-gung der Nutzer gehört zu den Schritten in diese Rich-tung, und schon manche Maßnahmen wie die Anglei-chung von abweichenden und bisweilen verwirrendenÖffnungszeiten schaffen Abhilfe. In den Niederlandensind übrigens die Museen Vorreiter für qualitative Verbes-serungen im Kultursektor. Daneben ist der Besucherrat(bezoekersraad) ein bereits etabliertes Instrument derRegionale Historische Centra und anderer Archive, mit

16 Van Dijken/Stroeker, hoofdrapport, S. 35.17 Van Dijken/Stroeker, achtergrondrapport, S. 15–35.

den interessierten Besuchern organisiert in Kontakt zu tre-ten. Interessant ist übrigens, dass die Webseiten der Regio-nale Historische Centra gegenwärtig sehr unterschiedlichim Hinblick auf Optik, Qualität, Inhalte und Benutzerfüh-rung ausfallen.

Alle Ziele kosten Geld, und das kann möglicherweiseKonsequenzen für andere Kernaufgaben der Archivehaben. Die Tarife, die Archive für ihre Dienstleistungennehmen, machen da eher einen symbolischen Beitrag undschwer abschätzbaren Posten aus. Für mittelgroße Archiveetwa sollen als Konsequenz 40% weniger an Arbeitskapa-zität der Mitarbeiter für Bestandserhalt (behoud) anfallen,und die Erschließung (inventarisatie) soll um ein Drittelverringert werden.18 Es ist deutlich, dass diese keineswegserfreulichen Tatsachen nicht an die große Glocke gehängtwerden und die Qualitätsnormen für einige Bereiche jen-seits des Zugänglichmachens und Digitalisierens vonFindmitteln und ausgewählten Beständen einen negativenEffekt haben.

Eine ganz andere Frage wäre es gewesen, inwieweitnicht die Stärkung von kleinen, dann aber gut ausgestatte-ten Lokalarchiven eine Alternative gegenüber den großenRHC gewesen wäre, vielleicht mit gemeinsamen Archiv-portalen online. Nun ist die Auseinandersetzung derneuen Nutzer mit der Geschichte der näheren Heimatwichtig, das lassen gerade die diversen Berichte undAbsichtserklärungen zu den RHC erkennen, man möchteja den Nichtfachmann an die (regionale und lokale)Geschichte und Archive heranholen. Denn der „Markt“für Geschichte – um in den Worten van der Ploegs zu blei-ben – ist in der Tat vorhanden.

18 Van Dijken/Stroeker, hoofdrapport, S. 55.

Archivtheorie und -praxis

Archive und BeständeVgl. auch die Beiträge „Archiv der Norddeutschen Missionsge-sellschaft ...“ (unten unter der Rubrik „Auslandsberichterstat-tung – Internationales“), „Archiv des Deutschen HistorischenInstituts ...“ (ebd.).

Wechsel in der Leitung des Landesarchivs Baden-Würt-temberg: Dr. Robert Kretzschmar als neuer PräsidenteingeführtAm 30. Januar 2006 verabschiedete Professor Dr. PeterFrankenberg, Minister für Wissenschaft, Forschung undKunst Baden-Württemberg, Professor Dr. WilfriedSchöntag aus dem Amt des Präsidenten des Landesar-chivs; gleichzeitig führte er Dr. Robert Kretzschmar alsseinen Nachfolger in das Amt ein. Der Einladung desMinisters zu der Feierstunde im Hauptstaatsarchiv Stutt-gart waren über 200 Gäste gefolgt, darunter Mitglieder desLandtags Baden-Württemberg, Repräsentanten der Minis-terien und Behörden, die Leiter zahlreicher Kultureinrich-tungen, verschiedener Landesarchivverwaltungen undvieler Archive sowie Vertreter der Universitäten, einzelnerForschungseinrichtungen und des Adels.

Der Minister dankte Professor Schöntag, der bereitsEnde August 2005 auf eigenen Antrag vorzeitig in denRuhestand versetzt worden war, für 32 Dienstjahre imbaden-württembergischen Archivdienst, davon 13 Jahreals Präsident der Landesarchivdirektion, seit 2005 desLandesarchivs Baden-Württemberg. Diese Jahre seien einespannende Zeit mit großen Herausforderungen gewesen,verbunden mit wichtigen Weichenstellungen für die staat-liche Archivverwaltung des Landes: so die Aufstellungder Archivverwaltung als moderne Fachverwaltung, dieSicherung und Erhaltung von Archivgut, die insbesondereihren Niederschlag in der Einrichtung des Instituts für dieErhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut gefunden habe,die Durchführung mehrerer Baumaßnahmen sowie dieNutzbarmachung der neuen Informationstechnologie fürdie Belange der Archivverwaltung. Der Minister betontedas hohe Ansehen, das die baden-württembergischeArchivverwaltung bundesweit genieße; an das Ende derAmtszeit Schöntags sei die Strukturreform der staatlichenArchivverwaltung gefallen, die nun sein Nachfolger wei-terführen und vollenden werde.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2180

Dr. Robert Kretzschmar, geboren 1952 in Frankfurt amMain, studierte Geschichte und Anglistik in Innsbruckund Tübingen und wurde mit einer Arbeit in mittelalterli-cher Geschichte promoviert. Nach Abschluss der Ausbil-dung für den höheren Archivdienst war er ab 1983zunächst in unterschiedlichen Funktionen in den Staatsar-chiven Sigmaringen und Ludwigsburg tätig, um dann1993 in die Landesarchivdirektion zu wechseln, wo er diearchivfachliche Grundsatzabteilung leitete; 1998 über-nahm er die Leitung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart. DerMinister hob hervor, dass sich Kretzschmar mit zahlrei-chen wegweisenden Publikationen zu archivfachlichenFragen, mit regionaler und überregionaler Gremienarbeit,der Lehrtätigkeit an der Archivschule Marburg und denUniversitäten Stuttgart und Tübingen sowie seiner Tätig-keit im Verband deutscher Archivarinnen und Archivare,dessen Vorsitz er im September 2005 übernommen habe,in der deutschen Archivlandschaft einen Namen gemachtund maßgeblich zur Modernisierung der staatlichenArchivverwaltung beigetragen habe. Unter seiner Leitunghabe das Hauptstaatsarchiv als Schaufenster der Archiv-verwaltung Baden-Württemberg in jeder Beziehung einengroßen Schritt nach vorne gemacht. Durch organisatori-sche Veränderungen, bauliche Modernisierung, die Neu-bearbeitung der Ständigen Ausstellung und die Entwick-lung und Umsetzung eines überzeugenden Konzepts fürdie Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit habe Kretzschmarbewiesen, wie man ein Archiv mit angemessenen Mittelnin das Licht der Öffentlichkeit rücken kann, ohne die Kern-aufgaben zu vernachlässigen. Dem neuen Präsidentenwünschte der Minister viel Kraft, Erfolg und eine glückli-che Hand für seine zukünftige Arbeit.

Die große Bedeutung der Archive für Recht und Ord-nung eines Staates, aber auch für das historische und kul-turelle Bewusstsein einer Gesellschaft hob Schöntag in sei-ner anschließenden Ansprache hervor. Der Archivar bauemit seinen authentischen Quellen Brücken zwischenGegenwart und Vergangenheit, er erhalte einen Teil deskulturellen Erbes des Landes. Dieser interessante Beruf,den er schon während seines Studiums angestrebt habe,habe ihn zeitlebens fasziniert. Nachdem er 1992 die Lei-tung der Landesarchivdirektion übernommen habe, sei essein Ziel gewesen, den Standort der staatlichen Archivver-waltung innerhalb der anderen historischen und kulturel-len Einrichtungen neu zu definieren sowie die fachlicheSpezialisierung und Professionalisierung in allen Arbeits-bereichen voran zu bringen. Dazu gehörten die Intensivie-rung der Behördenbetreuung und der Überlieferungsbil-dung, die Realisierung des Landesrestaurierungspro-gramms, die Entwicklung zeitgemäßer IT-gestützter Infor-mationssysteme sowie die Neustrukturierung der Landes-beschreibungen.

In seiner Antrittsrede zog der neue Präsident eine Paral-lele von der aktuellen Entwicklung des Archivwesens zuden Veränderungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auchdamals sei ein Paradigmenwechsel im Selbstverständnisder Archive eingetreten: Aus geheimen Archiven wurdenöffentlich nutzbare Einrichtungen. Die heutigen Umbrü-che und die Veränderungen zu Beginn des 20. Jahrhun-derts liefen in ihrer Tendenz und Zielsetzung auf dasselbehinaus, nämlich „auf die Öffnung des Archivs für dieGesellschaft“. Wandelten sich damals Archive zu Einrich-tungen der Wissenschaft, so sei es heute das Ziel, „das Lan-desarchiv Baden-Württemberg als ein Kompetenzzen-

trum auszubilden, das nicht nur der Forschung, sondernallen Interessierten den Zugang zur archivalischen Über-lieferung des Landes, damit zum Kulturgut Archivgut“auf vielfältige Weise ermögliche. Das im Jahr 2003 im Rah-men eines Workshops der Führungskräfte des Landesar-chivs einvernehmlich definierte Selbstverständnis – aufdie griffige Formel gebracht: „Als landeskundliches Kom-petenzzentrum sorgt die Archivverwaltung dafür, Archiv-gut als Teil des kulturellen Erbes und der Erinnerungskul-tur zu sichern, zu erhalten und zugänglich zu machen“ –sei Ausgangspunkt seiner künftigen Arbeit.

Abgeleitet von diesem Selbstverständnis betonte Kretz-schmar, dass der Bereich der Nutzung Vorrang habenmüsse, vor allem die Betreuung der Nutzer vor Ort in denLesesälen. Des Weiteren beschrieb er drei Schwerpunkte inden Aktivitäten des Landesarchivs: Die Bildung einerschlanken und aussagekräftigen Überlieferung aus denUnterlagen der Verwaltung, wobei die Welt der analogenmit der digitalen Überlieferung als nutzbares Archivgutzusammenzuführen sei; ferner die kontinuierliche Steige-rung der im Internet zur Verfügung stehenden Inventarezu den frei nutzbaren Beständen des Landesarchivs undschließlich die Profilierung und Verankerung des Landes-archivs in seiner neuen Struktur im Bewusstsein der inte-ressierten Öffentlichkeit – „als landesweit agierenderDienstleister für alles, was mit der authentischen archiva-lischen Überlieferung des Landes zu tun habe“. Wie schonim Hauptstaatsarchiv, so der neue Präsident, wolle er seineArbeit unter das Motto stellen „Öffnung nach außen,Offenheit nach innen“.

Zum Abschluss der Feierstunde sprach Gebhard Füß-ler, der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats des Landes-archivs, dem ausgeschiedenen Präsidenten die bestenWünsche für den neuen Lebensabschnitt des Ruhestandsaus. Dem neuen Präsidenten wünschte er viel Erfolg beider Aufgabe, das noch junge Landesarchiv zu einer Ein-heit zu formen und mit Leben zu füllen.

Der Festakt wurde musikalisch umrahmt von dem her-vorragenden Saxofon-Ensemble der benachbarten Staatli-chen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stutt-gart. Der anschließende Stehempfang bot vielfältige Gele-genheit zur Begegnung und zum Gespräch.

Stuttgart Nicole Bickhoff

Eröffnung des Technischen Zentrums des Landesar-chivs Nordrhein-Westfalen in Münster-CoerdeAm 3. Februar 2006 eröffnete das Landesarchiv Nord-rhein-Westfalen sein Technisches Zentrum in Münster-Coerde. Es ist Teil umgebauter ehemaliger Gebäude derHeeresversorgung, das heute bundesweit als Musterbei-spiel für die Konversion militärischer Anlagen gilt. DieGebäude, ursprünglich Getreidelager, erfüllen in idealerWeise die klimatischen Anforderungen, die an die Lage-rung von Archivgut gestellt werden und lassen sich opti-mal für den Werkstattbetrieb nutzen.

Kultur-Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brock-hoff, zugleich Chef der Staatskanzlei, konnte für dasLand Nordrhein-Westfalen über 400 Gäste aus dem gan-zen Bundesgebiet und den Niederlanden begrüßen. Erfand deutliche Worte zum Papierzerfall in den Archiven:„Es ist ein Skandal, dass wir zusehen, wie Kulturgut zer-fällt, obwohl wir die technischen Möglichkeiten haben,den Prozess zu stoppen.“ Er betonte, dass das Land NRW

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 181

bei der Aufarbeitung der Defizite auch den anderenArchivträgern die Hand reiche, um bedrohtes Kulturgutzu retten. Für die eigenen Bestände habe das Land 1,2 Mil-lionen C in die Ausstattung des Technischen Zentrumsinvestiert.

Prof. Dr. Wilfried Reininghaus, Präsident des Lan-desarchivs Nordrhein-Westfalen, ging auf die Gründungs-geschichte des Technischen Zentrums ein. Es ist die Ant-wort auf den niederschmetternden Befund von mehr als300 Personenjahre Rückständen in der Bestandserhaltung,die von kleinen dezentralen Werkstätten nicht zu bewälti-gen waren. Er verwies auf den besonderen Reiz derLösung in Münster-Coerde; Bestandserhaltung und IT-Zentrale für das Landesarchiv befinden sich unter einemDach. Ein Schwerpunkt der Arbeiten in Coerde liegt in derSchutz-Digitalisierung, die zunächst auf die Lesesäle zielt,

aber durch Wahl geeigneter Formate keine weitergehendeOnline-Stellung verbaue. Reininghaus forderte von derPolitik dauerhafte Rückendeckung für die große Aufgabeder Archive, die Bestände digital wie analog zu erhalten.

Für den Vermieter, die Westfälisch-Lippische Vermö-gensverwaltungs GmbH (eine 100%ige Tochter des Land-schaftsverbands Westfalen-Lippe), gratulierte Erster Lan-desrat Dr. Hans-Ulrich Predeick dem Landesarchiv zuden neuen Räumen und übergab einen symbolischenSchlüssel. Predeick erinnerte daran, dass das Land NRWmit dem Grundbucharchiv für die RegierungsbezirkeMünster und Arnsberg im Jahr 2000 ein erstes Gebäude inder Speicherstadt bezog. Die unmittelbar vor dem Zwei-ten Weltkrieg gebaute Anlage diente der Heeresverwal-tung. In den Getreidespeichern lagerte Getreide, aus demtäglich bis zu 70.000 Brote gebacken wurden. Seit 1947

Die Langsiebanfaserungs-maschine des TechnischenZentrums im Einsatz

Das neue Gebäude des Lan-desarchivs NRW in Müns-ter-Coerde

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2182

nutzten die Briten die „Winterbourne-Barracks“ als Ver-sorgungsstützpunkt für die Rheinarmee.

Neben dem Technischen Zentrum beherbergt dasGebäude, An den Speichern 11, das Dezernat 4 des Staats-archivs Münster mit den dazugehörigen Aktenbeständender Gerichte und Finanzbehörden. Bei der Eröffnungsfeierunterhielten deshalb Dr. Wolfgang Kahnert, Leiter desTechnischen Zentrums, und Dr. Mechthild Black-Veld-trup, Leiterin des Staatsarchivs Münster, die Gäste miteinem Dialog „Technik gegen Archivstaub“ die Gäste.Humorvoll, aber fachlich fundiert führten sie in dieArbeitsweise des Technischen Zentrums ein.

Als Zentrum für Bestandserhaltung – sicherlich einesder modernsten in Deutschland – umfasst das TechnischeZentrum einerseits eine zentrale Restaurierungswerkstattfür das Landesarchiv NRW. Um die Mengen des zu behan-delnden Archivgutes zu bewältigen, werden modernsteVerfahren, Prozesse und Maschinen eingesetzt. Ein zentra-les Werkzeug ist die sog. Langsiebanfaserungsmaschine,von der es weltweit nur neun Exemplare gibt. Sie dientdazu, weitgehend automatisiert Fehlstellen (Löcher,Abrisse) in Papier aufzufüllen. Bestandserhaltung umfasstmehr als Restaurierung bzw. Konservierung: Archivgut,das für die Benutzung in Originalform ungeeignet ist,wird im Technischen Zentrum digitalisiert. So können hierz. B. Urkunden und Pläne bis zu einer Größe von maximalDIN A0 gescannt und elektronisch zur Nutzung angebo-ten werden – was nicht nur die Originale schützt, sondernauch für den Benutzer eine wesentliche Erleichterung inder Handhabung darstellt. Darüber hinaus ist das Techni-sche Zentrum zuständig für die Sicherungsverfilmungvon Archivgut. Im Auftrag des Bundesamtes für Bevölke-rungsschutz und Katastrophenhilfe wird wichtiges Kul-turgut auf Mikrofilme verfilmt, die dann zentral in einemgesicherten Stollen nahe Freiburg eingelagert werden.

Die Schlüsselübergabe: (v.l.)Dr. Hans-Ulrich Predeick(Erster Landesrat), Prof. Dr.Wilfried Reininghaus (Präsi-dent des LandesarchivsNRW), Kultur-Staatssekre-tär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Dr. MechthildBlack-Veltrup (Leiterin desStaatsarchivs Münster), Dr.Wolfgang Kahnert (Leiterdes Technischen Zentrums)

Damit stünden, falls die Originale einmal zerstört werdensollten, wenigstens noch fotografische Reproduktionenzur Verfügung.

Zukünftig werden in den Archiven jedoch nicht nurweiterhin Papierakten anfallen, sondern auch originärelektronische Unterlagen. Die technische Langzeitarchi-vierung des elektronischen Archivgutes, also der Scansund der elektronischen Unterlagen, ist eine weitere Kern-aufgabe des Technischen Zentrums. Hierzu entwickelt dasTechnische Zentrum in Kooperation mit Partnern Kon-zepte und Lösungen. Ebenso werden hier archivfachlicheSpezialanwendungen – z. B. das „Verwaltungs-, Erschlie-ßungs- und Recherchesystem für Archive“ V.E.R.A. unddas Internet-Archivportal „www.archive.nrw.de“ – vonder Entwicklung bis zum Betrieb betreut. Schließlichgehört auch das Management der IT-Kommunikation anden verteilten Standorten des Landesarchivs NRW zu denAufgaben des Technischen Zentrums.

Für die musikalische Umrahmung sorgte das Posau-nenquartett der Robert-Schumann-Hochschule in Düssel-dorf, bevor die neuen Räume des Technischen Zentrumszur Besichtigung freigegeben wurden.

Das Archiv im Industrie- und Filmmuseum WolfenDie Filmfabrik Agfa, ab 1964 ORWO WolfenAm 21. Juni 1873 vereinigen sich die beiden Berliner Che-miebetriebe, die Chemische Fabrik von Max Jordan unddie „Gesellschaft für Anilinfabrikate“, zur „Aktiengesell-schaft für Anilinfabrikation“. Ab 1897 tragen die Produktedas aus dem Firmennamen abgeleitete Warenzeichen„Agfa“. Mit der Erfindung des photographischen Ent-wicklers Rodinal durch den bei der Agfa angestelltenFarbstoffchemiker Dr. Momme Andresen, baut sich dieAgfa mit der Produktion und Vertrieb ein zweites wirt-

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 183

schaftliches Standbein auf. 1893 beginnt die Produktionder lichthoffreien Trockenplatten. 1896 werden durchBeguss von Zelluloidfolie erste Rollfilme hergestellt.

Um die Jahrhundertwende verschlechtern sich dieBedingungen für die Industrieansiedlung in der Reichs-hauptstadt. Die Baulandpreise steigen, Kohle für die not-wendige Energie muss aus weit entfernten Kohlegrubenteuer nach Berlin transportiert werden. Für die Chemiebe-triebe wird besonders die fachgerechte Bearbeitung bzw.Entsorgung der stetig steigenden Chemieabwässer zumfast unlösbaren Problem. Die Berliner Agfa löst das Pro-blem, indem sie zwei Chemiegroßwerke in Wolfen, heuteSachsen-Anhalt, in unmittelbarer Nähe von Braunkohleta-gebauen errichtet. 1895 wird die Farbenfabrik und 1909auf grüner Wiese die Agfa-Filmfabrik Wolfen erbaut.Innerhalb von drei Jahren entwickelt sie sich zum größteneuropäischen Filmhersteller, weltweit ist nur die amerika-nische Firma Kodak größer.

1925 fusioniert die Agfa mit dem größten deutschenChemieunternehmen zur I. G. Farbenindustrie AG unterBeibehaltung des Warenzeichens. Die mit im I. G. Verbundbefindlichen Werke Camerawerk Rietzschel München undPhotopapierwerk Bayer, vormals Liesegang Leverkusen,legen ihre Namen ab und führen für ihre Produkte nunebenfalls den Schriftzug Agfa im Rombus. – Bei der Struk-turierung des I. G. Farbenkonzerns wird die FilmfabrikWolfen Stammbetrieb der Betriebsgemeinschaft Berlinund der leitende Betrieb der Sparte III. Diese Sparte III derI. G. Farben umfasst alle Betriebe des Konzerns, die Photo-graphica, Kunstseide, Riechstoffe und Sprengstoffe her-stellten. Sie werden von der Direktion der Filmfabrik Wol-fen technisch und wirtschaftlich geleitet. Werbung undAbsatz bleiben als Verkaufsgemeinschaft der Sparte III imBerliner Gründerbetrieb der Agfa in Berlin-Treptow, Post-anschrift SO (Südost) 36.

Forscher und Chemiker der Filmfabrik erbringen wis-senschaftlich-technische Höchstleistungen. 1934 wird imWerk mit der PeCe-Faser die erste synthetische Faser derWelt entwickelt. Am 17. Oktober 1936, vor nunmehr 70Jahren, stellt der Forschungsdirektor der Filmfabrik, Prof.Dr. Eggert, den ersten subtraktiven Mehrschichtenfarb-film der Welt vor. 1939 wird das Agfacolor-Negativ-Posi-tiv-Verfahren eingeführt und 1942 kommt das erste Bildauf Agfacolorpapier auf den Markt.

Mit dem Gesetz Nr. 9 des Alliierten Kontrollrates, betr.Beschlagnahme und Kontrolle des Vermögens der I. G.Farbenindustrie AG, vom 30. November 1945, werden derKonzern und diese Strukturen zerschlagen. Das Agfa-Camerawerk in München kommt unter amerikanische,das Photopapierwerk Leverkusen unter britische und dieFilmfabrik Wolfen und die Verkaufsgemeinschaft Berlinunter sowjetische Kontrolle. Die VerkaufsgemeinschaftBerlin wird aufgelöst. Die Agfa-Filmfabrik Wolfen wird1946 als „Wiedergutmachung Deutschlands in das Eigen-tum der UdSSR“ überführt. Ein Teil des Werkes wirddemontiert. Als einer der letzten Betriebe wird die Filmfa-brik Wolfen am 31. Dezember 1953 an die bereits vier Jahrebestehende DDR zurückgegeben.

1964 wird die bis dahin vertraglich geregelte Warenzei-chenfrage mit Agfa-Leverkusen geändert. Die FilmfabrikWolfen gibt das Warenzeichen an Leverkusen ab und führtdas Warenzeichen ORWO für „Original Wolfen“ ein. 1970werden unter dem Warenzeichen ORWO die Betriebe der

DDR, die Fotokine- und Röntgenfilm, Fotopapier und-entwickler herstellen, im Fotochemischen Kombinat Wol-fen vereint. Die Filmfabrik wird wieder, wie schon 40 Jahrezuvor, Stammbetrieb. Die Filmfabrik Wolfen entwickeltsich zum führenden Foto- und Kinefilmproduzenten imRat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW).

Mit der politischen Wende werden die planwirtschaftli-chen Strukturen der DDR aufgelöst. Das FotochemischeKombinat wird in die Einzelbetriebe wieder geteilt. DieBetriebe werden als Treuhandbetriebe von der Treuhand-anstalt übernommen und zur Privatisierung ausgeschrie-ben. – Die Filmfabrik Wolfen hat zu diesem Zeitpunkt eineBelegschaft von 14500 Beschäftigten. Auf Grund unren-tabler Produktion, die staatlichen Subventionen warengestrichen, und mit dem Wegbrechen des Ostmarktes,besonders der Sowjetunion, dem größten Handelspartnerder Filmfabrik, kann die Filmfabrik Wolfen sich auf demhart umkämpften Fotomarkt nicht behaupten. EineGesamtprivatisierung scheitert mehrmals und ist politischauch nicht gewollt. – Am 20. Mai 1994 leitet die Treuhand-anstalt die Liquidation der Filmfabrik Wolfen ein. Nach 85Jahren endet so ein bedeutendes Stück deutscher Chemie-geschichte. Übrig bleiben einige kleine Betriebsteile, dieprivatisiert werden können, die andere Geldgeber undMärkte finden und heute noch auf dem Gelände der ehe-maligen Filmfabrik arbeiten.

Im ältesten Produktionsgebäude der Filmfabrik Wol-fen, der Begießerei I, einem Dunkelraumbetrieb aus demJahr 1909, in dem der erste Mehrschichtenfarbfilm herge-stellt wurde, wird 1994 ein Industrie- und Filmmuseumeingerichtet. An der Originalmaschine aus dem Jahr 1936wird den Besuchern die Herstellung dieses Filmes gezeigt.Historische Schriftgutbestände aus der Geschichte derFilmfabrik, die im Museum aufbewahrt werden, lieferndie schriftlichen Grundlagen für die Dokumentierung der85-jährigen Geschichte der traditionsreichen FilmfabrikAgfa/ORWO Wolfen.

Die Geschichte der Schriftgutbestände der ehemaligen Filmfa-brikDie Berliner Agfa unterhielt in der Gründerzeit, wie auchviele andere Unternehmen, kein Archiv, wie man es imheutigen Sinne versteht. Aufbewahrt wurde das Schrift-gut, das für die Arbeit des Vorstandes und des Aufsichts-rates und dem damals geltenden Steuer- und Handels-recht nötig war und was im Interesse und Ermessen dereinzelnen Mitarbeiter lag. Diese Akten aus der Arbeit derDirektion der Agfa von der Gründung bis 1932 und derTätigkeit der Berliner Verkaufsgemeinschaft bis 1945befinden sich heute im Bestand des Bundesarchivs.

1932 zieht die ehemalige Direktion der Agfa, nun alsLeitung der Betriebsgemeinschaft Berlin und Sparte III desI. G. Farbenkonzerns, in die Filmfabrik Wolfen. Leiter istDr. F. Gajewski, einer der führenden Männer des Kon-zerns. Seine Arbeit ist, bis auf geringfügige Kriegsverlusteund offensichtlich gezielte Vernichtung kurz vor Kriegs-ende, mit 36 laufenden Meter Akten im Industrie- undFilmmuseum erhalten. Der Bestand SekretariatDr. Gajewski ist voll als Findbuch erschlossen und im Rah-men der ab 1968 in der DDR aufgelegten Reihe „Quellen-nachweise zur Geschichte der chemischen Industrie“ alsHeft 3 publiziert.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2184

Weitere wertvolle Schriftgutbestände aus der Zeit vor1945 im Archiv des Industrie- und Filmmuseums Wolfensind u. a.:– Sekretariat Dr. Kleine, stellvertretender Werkleiter der

Filmfabrik, 1931–1945;– Sozialbüro, 1916–1945;– Wissenschaftliches Laboratorium, 1920–1945, mit

einem umfangreichen Bestand an Forschungsberichtenzur Entwicklung der wissenschaftlichen Photographieund der Chemiefasern.Am 11. Januar 1937 regte der Vorstandsvorsitzende der

I. G. Farbenindustrie AG, Geheimrat Bosch, die Grün-dung eines zentralen I. G. Archivs in Frankfurt/Main an.Die einzelnen I. G. Werke, auch die Filmfabrik Wolfen,übersandten daraufhin historisches Material aus ihrerGründerzeit in die Konzernzentrale. Wo das WolfenerMaterial nach Kriegsende, der Zerschlagung der I. G. Far-ben und der Teilung Deutschlands geblieben ist, ist nichtbekannt.

Seit der alliierten Konferenz von Jalta ist bekannt, wieDeutschland aufgespalten werden soll. Deshalb beginnendie verantwortlichen Direktoren der Filmfabrik imFebruar 1945, aktuelle Forschungsunterlagen, Laborbü-cher, Rezepte u. ä. zu verpacken und in die westlich gele-genen I. G. Werke nach Dormagen, Rottweil, das Photopa-pierwerk Leverkusen und das Camerawerk München zuverlegen, um es zu sichern und den heranrückenden sow-jetischen Truppen zu entziehen.

Am 20. April 1945 erobern nach schweren Kämpfenamerikanische Truppen die Filmfabrik Wolfen. Kurzzuvor in die kämpfende Truppe eingeführte Photospezia-listen beginnen sofort mit der Sichtung der Maschinen,Anlagen, der Forschungsunterlagen, der Patente und derWissenschaftlichen Bibliothek. Sie entnehmen umfangrei-ches Material. Beim Rückzug bzw. beim Gebietstausch mitder Sowjetunion Ende Juni 1945 nehmen die amerikani-schen Truppen auch mindestens 18 Direktoren und Film-und Faserspezialisten mit in ihre Besatzungszone, inter-nieren sie und zwingen sie zur Offenlegung des Know-how. Bei den Kämpfen um die Filmfabrik, anschließendenPlünderungen und Vernichtungen verliert das Werk wei-tere schriftliche Aufzeichnungen, Zeichnungen und wert-volles Bild- und Filmmaterial.

Nach 1945 ist die Schriftgutsicherung und -auswertung,mit Ausnahme der Ermittlung von Kriegsverbrechen undKriegsverbrechern, vorerst nebensächlich. Das Werk mussaufgebaut, die Produktion wieder aufgenommen undBeschäftigte eingestellt und in Lohn und Brot gebrachtwerden. Auch die von der DDR-Regierung am 27. 4. 1950erlassene „Anweisung zur Errichtung von Betriebsarchi-ven“ findet keine Beachtung in der Filmfabrik, die zu die-sem Zeitpunkt noch eine sowjetische Aktiengesellschaftist. Erst auf wiederholtes Drängen der Staatlichen Archiv-verwaltung der DDR und des ab 1. 1. 1954 der Filmfabrikübergeordneten Ministeriums für Schwerindustrie schafftim Sommer 1954 die Leitung des Werkes die Vorausset-zung für die Einrichtung eines Betriebsarchivs. Räumewurden zur Verfügung gestellt und die Stelle eines Archi-vars eingerichtet.

1960 wird für die Filmfabrik eine Archivordnung erar-beitet, die vom Werkleiter als Dienstanweisung in Kraft

gesetzt wird. Das Archiv ist zweigeteilt in ein Verwal-tungs- und in ein Endarchiv. Im Verwaltungsarchiv wirddas Schriftgut mit befristeter Aufbewahrungsfrist verwal-tet, während im Endarchiv die Archivalien mit histori-schem Wert für immer aufbewahrt werden. Gegliedertsind beide Archive nach der Struktur des Werkes. Der jähr-liche Zugang beträgt rund 50 laufende Meter.

Von 1950 bis zur politischen Wende 1989 entsteht so einumfangreiches Wirtschaftsarchiv mit 1800 laufendenMetern Schriftgut. Dieses Schriftgut spiegelt umfassenddie Entwicklung des Werkes, aber auch die Arbeits- undLebensbedingungen der Beschäftigten, die politischenVerhältnisse dieser Zeit und die wissenschaftlich-techni-sche Entwicklung der Hauptprodukte der Filmfabrik,Film und Faser, wider. Aussagekräftige Bestände sindu. a.:– Werkleiter, ab 1970 Generaldirektor, 103 lfd. Meter mit

2789 Positionen,– Filmforschung mit über 17 000 Forschungsberichten,– Filmproduktion, 64 lfd. Meter,– Technische Abteilung, 93 lfd. Meter.

Aber auch die im Werk tätigen gesellschaftlichen Orga-nisationen, wie z. B. die Gewerkschaft mit 411 Aktentiteln,sind im Archivbestand vorhanden. Eine 18 600 Bilder undDias umfassende Sammlung, eine Handbibliothek undeine Zeitungssammlung komplettieren das Archiv. DieserBestand mit den folgenden Ausnahmen wird heute imIndustrie- und Filmmuseum Wolfen aufbewahrt und stehtfür die öffentliche Nutzung zur Verfügung.

Die politische Wende und die Liquidation der Filmfa-brik sind auch eine Zäsur für den Archivbestand. Perso-nalunterlagen, Arbeitsplatzkarteien und Unfallanzeigenwerden herausgelöst und an die Berufsgenossenschaftund die DISOS GmbH übergeben. Betriebsteile, die sichausgliedern aus dem Gesamtwerk und allein weiter pro-duzieren, dürfen, gewissermaßen als Starthilfe, ihreUnterlagen weiter nutzen. Das aktuelle Know-how derFilmfabrik und die Schriftstücke, die in der Vorwendezeitund während der aktiven Treuhandzeit, ca. 1987–1994,entstanden, werden dem Archiv der Treuhand, Außen-stelle Magdeburg, übergeben.

Diese stürmische Zeit, als die Gesamtbelegschaft entlas-sen und rund 80% des Werkes abgerissen, neudeutsch„rückgebaut“, werden, haben auch einige Betriebsleitergenutzt und ihren Schriftgutbestand gleich mit entsorgt.Schriftgutreste, die beim Rückbau entdeckt werden, wer-den in das Archiv des Industrie- und Filmmuseums über-nommen, jetzt erschlossen und stehen dann zur Benut-zung zur Verfügung.

Mit der Liquidation der Agfa/ORWO Filmfabrik Wol-fen und der jetzigen Insolvenz der Agfa Leverkusen, ver-schwindet in Deutschland ein Wirtschaftszweig, der über100 Jahre führend in der Welt war. Übrig bleibt in Wolfenein Museum mit dem Produktionsgebäude und derBegießmaschine, auf der vor 70 Jahren der erste Mehr-schichtenfarbfilm der Welt hergestellt wurde, und einArchiv, das 85 Jahre Film- und Fotogeschichte und Lebenund Arbeit der Chemiearbeiter dokumentiert.Ein Besuch lohnt sich!

Wolfen Manfred Gill

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Archivierung, Bewertung und ErschließungVgl. auch den Beitrag „Das Online-Verzeichnis ...“ unten unterder Rubrik „EDV und Neue Medien“.

Normung im Bereich SchriftgutverwaltungDIN-Fachbericht ist erschienenÜber das Normungsvorhaben im Bereich Schriftgutver-waltung und seinen Nutzen ist mehrfach an dieser Stelleberichtet worden.1 Nachdem die ISO 15489-1 bereits imDezember 2002 als DIN ISO 15489-1 (Information undDokumentation – Schriftgutverwaltung – Teil 1: Allgemei-nes) in deutscher Sprache veröffentlicht wurde, ist nunauch der dazugehörige Fachbericht DIN ISO/TR 15489-2im August 2004 in deutscher Fassung erschienen (Infor-mation und Dokumentation – Schriftgutverwaltung –Teil 2: Richtlinien).2

Der technische Fachbericht ist eine Anleitung, eine Hil-festellung zur Anwendung der Norm. Er enthält sechsKapitel sowie zwei Anhänge, eine Bibliografie und einenIndex. Abschnitt 1 definiert zunächst den Anwendungsbe-reich: Der Fachbericht beschreibt eine Reihe allgemeinerVerfahren, welche die Umsetzung der ISO-Norm 15489-1in allen Organisationen, die ihre Unterlagen verwaltenmüssen, erleichtern; er gibt einen Überblick über die zubeachtenden Abläufe und Faktoren. Abschnitt 2 legt dieGrundsätze und Zuständigkeiten dar. Die Hauptkapitelsind die Abschnitte 3 und 4, die Strategien, Entwicklungund Umsetzung sowie Abläufe und Kontrollen derSchriftgutverwaltung aufzeigen. Die Entwicklung einesSchriftgutverwaltungssystems erfordert verschiedeneSchritte: Zunächst eine Voruntersuchung, um den Bedarfund den Rahmen für die Schriftgutverwaltung zu ermit-teln, darauf folgen die Analyse der geschäftlichen Aktivi-täten, die Ermittlung der Anforderungen an Schriftgut, dieBewertung eventuell vorhandener Systeme, die Festle-gung der Strategien, um die Anforderungen an Schriftgutzu erfüllen, und schließlich der Entwurf eines Schriftgut-verwaltungssystems, seine Einführung und Evaluation.Die Abläufe der Schriftgutverwaltung werden linearbeschrieben, auch wenn spezifische Maßnahmen gleich-zeitig erfolgen können. Hauptinstrumentarien, die einegeordnete Schriftgutverwaltung sicherstellen sollen, sindein Klassifikationssystem (Aktenplan), eine verantwortli-che Stelle für die Aussonderung von Schriftgut und einKlassifikationssystem für Sicherheit und Zugangsberech-tigungen. Zu den Prozessen der Schriftgutverwaltunggehören die Schriftguterfassung, die Registrierung, dieKlassifikation, die Verwaltung der Zugangsberechtigun-gen, die Feststellung des Aussonderungsstatus, die Auf-bewahrung, die Nutzung und die Aussonderung. Kapitel5 und 6 schließlich befassen sich mit der Überwachungund Prüfung von Schriftgutverwaltungssystemen und derAusbildung der in der Schriftgutverwaltung eingesetztenMitarbeiter.

Die Normungsarbeit im Bereich der Schriftgutverwal-tung ist mit der Veröffentlichung von Norm und Fachbe-richt nicht abgeschlossen. Spätestens fünf Jahre nach ihrer

1 Zuletzt Michael Wettengel: Normierung der Schriftgutverwaltung, in:Der Archivar, Jg. 56, 2003, H. 4, S. 307–310.

2 DIN ISO 15489-1 und Fachbericht DIN ISO/TR 15489-2 sind über denBeuth Verlag zu beziehen: Beuth Verlag GmbH, D-10772 Berlin, Fax: (030)2601-1260, Fon: (030) 2601-12260, Email: [email protected], Internet:http://www.din.de.

Veröffentlichung werden Normen einer Prüfung unterzo-gen. Inzwischen ist die Revision der Norm im internatio-nalen Normenausschuss ISO TC 46/SC 11 „Archives/Records Management“ anhängig. Als Spiegelgremiumfungiert weiterhin von deutscher Seite der Normenaus-schuss Bibliotheks- und Dokumentationswesen (NABD),Arbeitsausschuss 15 „Archiv- und Schriftgutverwaltung“im Deutschen Institut für Normung e.V. (DIN). Zur Vor-bereitung der Revision von ISO 15489-1 wurde von ISO TC46/SC 11 eine Umfrage zum Umgang mit den Dokumen-ten und deren Bewertung initiiert, um daraus Anregungenfür mögliche Änderungen zu gewinnen. Der Fragebogen,der inzwischen ins Deutsche übersetzt worden ist, ist überdie Homepage des NABD beim DIN zugänglich(http://www.nabd. din.de>Aktuelle Meldungen>NABD15). Ein möglichst hoher Rücklauf wäre wünschenswert,um Informationen zu erhalten über Bekanntheitsgrad,Einsatz, Akzeptanz und Änderungs- oder Ergänzungsbe-darf der Norm.

Stuttgart Nicole Bickhoff

Inventar der Reichskammergerichtsakten im Haupt-staatsarchiv Stuttgart vollständig erschienenMit dem Erscheinen der beiden gewichtigen Bände 6 und 7(908 und 792 Seiten) stehen nunmehr auch die StuttgarterReichskammergerichtsakten der Nutzung in einer voll-ständigen, überall und leicht zugänglichen Form zur Ver-fügung. Die Verzeichnung war im Rahmen des groß ange-legten DFG-Projekts zur Erschließung der Reichskammer-gerichtsakten in deutschen Archiven seit 1988 erfolgt undseit längerer Zeit abgeschlossen. Gemäß den Grundsätzendes Projekts war jedoch die Publikation Sache der jeweili-gen Landesarchivverwaltung, sodass sich bei den finan-ziellen Dimensionen der Drucklegung die Publikationnaturgemäß über einen längeren Zeitraum hinzog. Um somehr ist es zu würdigen, dass die staatliche Archivverwal-tung Baden-Württemberg nunmehr mit gleich zwei Bän-den das Stuttgarter Inventar zum Abschluss bringenkonnte.

Nachdem im vergangenen Jahr das Inventar der Aktenin den Staatsarchiven Sigmaringen und Wertheimerschien, bleibt für Baden-Württemberg nun noch diePublikation der Reichskammergerichtsakten des General-landesarchivs Karlsruhe, die auf fünf Bände berechnet ist,und ein Nachtragsband für alle staatlichen Archive desLandes, in dem die nach Abschluss der Verzeichnung undwährend der Drucklegung aus anderen Archiven überge-benen Irrläufer erfasst werden.

Die beiden jetzt veröffentlichten Bände umfassen dieProzessakten mit den Klägerbuchstaben S und T bzw. U–Zsowie die so genannten Extrajudizialsachen und dieBeweisaufnahmen „zu ewigem Gedächtnis“ – insgesamtetwa 200 Fälle, bei denen kein vollständiger Prozess statt-fand.

Insgesamt verzeichnet das Werk nunmehr rund 5100ordentliche Prozessakten erster und zweiter Instanz.Damit gehört der Bestand des Hauptstaatsarchivs Stutt-gart neben denen in Düsseldorf und München zu dengrößten in Deutschland. Er enthält – dies darf hier einmalmehr betont werden – nicht nur rechtsgeschichtlich rele-vantes Material, sondern vielfältige Unterlagen zur Lan-des- und Ortsgeschichte, zur Wirtschafts- und Sozialge-schichte, nicht zuletzt auch zur Alltags- und Kulturge-

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schichte, die vor allem wegen der eingehenden Erschlie-ßung ohne Schwierigkeiten zu erheben ist. Hinzuweisenist außerdem auf eine Besonderheit des Stuttgarter Inven-tars, die in allen Rezensionen hervorgehoben wurde: dieumfassende Einleitung zu Band 1, in der nicht nur Organi-sation, Zuständigkeit und Verfahren des Reichskammer-gerichts sowie die Geschichte der Reichskammergerichts-akten und die Grundsätze der Verzeichnung dargestelltwerden, sondern auch eine ausführliche quellenkundlicheBewertung geboten wird.

Stuttgart Bernhard Theil

ArchivtechnikVgl. die Beiträge „Eröffnung des Technischen Zentrums ...“(oben unter der Rubrik „Archive und Bestände“), „Kolloquium10 Jahre ...“ (unten unter der Rubrik „Fachverbände, Aus-schüsse, Tagungen“).

EDV und Neue MedienVgl. auch die Beiträge „Öffentliche Arbeitssitzung ...“ (untenunter der Rubrik „Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen“),„Keeping it simple ...“ (unten unter der Rubrik „Auslandsbe-richterstattung – Großbritannien“).

Das Online-Verzeichnis der pfälzischen und rheinhes-sischen KirchenbücherSeit Ende 2005 kann über die Homepage der Landesar-chivverwaltung Rheinland-Pfalz das so genannte Online-Verzeichnis der pfälzischen und rheinhessischen Kirchen-bücher eingesehen und für genealogische Recherchengenutzt werden. Dieses Verzeichnis basiert vor allem aufder datenbankgestützten Aufnahme der Kirchenbücherdes Landesarchivs Speyer sowie auf Ergebnissen einerUmfrage bei Standesämtern und Archiven in der Pfalzund in Rheinhessen im Herbst 2003. Bis zum Jahr 2005wurden die bereits vorhandenen sowie die neu eingegan-genen Informationen im Landesarchiv zu einer Word-Datei ausgebaut, ausgiebig in der Praxis getestet und mitUnterstützung des Landeshauptarchivs Koblenz für dieInternetpräsentation vorbereitet. Zu finden ist das Ver-zeichnis als pdf-Datei unter www.landeshauptar-chiv.de/aktuell/kalender/archiv.html bzw. unterwww.landeshauptarchiv.de/speyer/aufgaben.html undkann von dort auf den eigenen Computer heruntergeladenwerden.

Das Problem ...Ausgangspunkt für die Entwicklung des Verzeichnisseswaren die immer wiederkehrenden Anfragen von Famili-enforschern nach den Lagerorten bestimmter Kirchenbü-cher oder deren Verfilmungen, Kopien oder Abschriften.Solche Anfragen sind bei allen Archiven, Pfarrämtern undGemeindeverwaltungen bekannt und wenig beliebt, dennsie hemmen den Dienstbetrieb und führen oft zu längerenBearbeitungs- und Wartezeiten. Zwar gibt es bereits seitJahrzehnten für die Pfalz und für Rheinhessen zwei um-fassende und konfessionsübergreifende Standardwerke1,

1 Müller, Anton: Die Kirchenbücher der bayerischen Pfalz. – München,1925; Praetorius, Otfried: Kirchenbücher und Standesregister für alleWohnplätze im Land Hessen. – Darmstadt, 1939.

jedoch zeigten diese schon seit langem einen starken Über-holungsbedarf. Die Folgen der Benutzung dieser Verzeich-nisse waren ermüdende Recherchen nach möglichen Kir-chenbuchbesitzern, die häufig mit Misserfolg gekröntwaren. Kam zum Beispiel eine Anfrage nach einembestimmten Kirchenbuch, musste zuerst die Pfarrge-meinde im entsprechenden Buch ermittelt werden. Dortwar möglicherweise als Lagerort des Kirchenbuches dasBürgermeisteramt angegeben. Dabei stellte sich dannheraus, dass das angegebene Bürgermeisteramt bzw. dieOrtsgemeindeverwaltung das Kirchenbuch gar nichtmehr verwahrte, sondern schon lange an das Standesamtder für die Gemeinde mittlerweile zuständigen Verbands-gemeindeverwaltung abgegeben hatte. Das Standesamthatte wiederum das Kirchenbuch im Rahmen eines Depo-sitalvertrages zusammen mit dem Gemeindearchiv beimzuständigen staatlichen Archiv hinterlegt. War einebestimmte Pfarrei im alten Verzeichnis noch als Besitzerder Kirchenbücher aufgeführt, hatte diese eventuell mitt-lerweile ihre Selbständigkeit verloren und war einer ande-ren Pfarrei angeschlossen worden. Dabei war das Kirchen-buch bei einem der zuständigen Kirchenarchive deponiertworden. Da diese Veränderungen nur zufällig an dieArchive gemeldet wurden, konnten die dort befindlichenVerzeichnisse nur sporadisch korrigiert werden, und derUmgang mit den ehemals erstklassigen Findmittelnwurde auf die Dauer immer unbefriedigender.

... und seine Lösung

Zur Vermeidung des oft überflüssigen Verwaltungsauf-wandes wurde deshalb eine Lösung in Form eines ganzaktuellen Verzeichnisses angestrebt, das eine einfacheSuche nach den Lagerorten der Kirchenbücher und einrasches Suchergebnis gewährleisten sollte. Wichtig wardabei der Gedanke, nicht nur die pfälzischen, sondernauch die rheinhessischen Kirchenbücher zu berücksichti-gen, um so den gesamten Zuständigkeitsbereich des Lan-desarchivs bzw. der Kirchenarchive abzudecken. Ebenfallsin die Planung mit einbezogen wurden die dem Sprengelder Diözese Speyer bzw. der Evangelischen Kirche derPfalz eingegliederten, aber heute im Saarland liegendenOrte. Aus verschiedenen Gründen wurde von Anfang anauf eine Drucklegung des Verzeichnisses verzichtet undauf eine Veröffentlichung im Internet hingearbeitet.

Archivdatenbank statt Word-Verzeichnis

Das ursprüngliche Verzeichnis ist eine reine Word-Datei,die in Tabellenform angelegt wurde. Eine solche Datei hatselbstverständlich ihre Grenzen. Ab einer bestimmtenDatenmenge benötigt sie eine Menge Speicherplatz, unddie Suche gestaltet sich immer schwerfälliger. Außerdembietet sie nur einfache Abfragemöglichkeiten, gibt keinumfassendes Bild der bereits vorhandenen Findmittel undwird immer nur den Rang eines Provisoriums besitzen.Deshalb wurde von Anfang an – auch mit anderen Archi-ven, besonders dem Landesarchiv Saarbrücken und demArchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer – dieFrage erörtert, in welcher Form das Verzeichnis im Inter-net präsentiert werden könne. Während im LandesarchivSpeyer ursprünglich an ein einfaches Ortsverzeichnisgedacht wurde, lenkten die beiden anderen Archive dieDiskussion auf eine Archivdatenbank mit gemeinschaft-lich erarbeiteter Maske, weil nur dadurch eine optimale

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Auswertung der bei ihnen vorhandenen und sehr guterschlossenen Kirchenbuchverzeichnisse gewährleistetsei. Obwohl diesem Gedanken im Landesarchiv Speyerprinzipiell zugestimmt wurde, wurde er aus pragmati-schen Gründen vorerst nicht weiter verfolgt, sondern dasKonzept der Word-Datei beibehalten. Wegen ihres erhebli-chen Umfanges (2005 bereits mehr als 300 Seiten) wurdediese in pdf-Format umgewandelt und dadurch starkkomprimiert. Eine Benutzung im Internet ist somit durcheinfaches Herunterladen möglich, vorausgesetzt derBenutzer verfügt über die dafür notwendigen Vorausset-zungen.

Erste ErfahrungenBereits seit Vorliegen der ersten Umfrageergebnisse ausden Standesämtern und Archiven wurde das Verzeichnisim Dienstbetrieb des Landesarchivs Speyer genutzt undvon Anfang an als hilfreich empfunden. Die Abfragegestaltet sich sehr einfach und eine Recherche nach einemLagerort dauert in der Regel weniger als eine Minute.Immer wieder werden ergänzende Informationen einge-fügt, sodass die Datei im Landesarchiv stets auf dem neu-esten Stand ist. Seit der Internetpräsentation im November2005 haben sich zahlreiche Personen gemeldet, ihre Mei-nung zum Verzeichnis geäußert, Informationen geliefertund für eine Verbreitung in ihren Kreisen gesorgt. Nutzeraus dem Ausland konnten auf die von einem Mitarbeiterdes Landeshauptarchivs erstellte englische Version desVorwortes zum Verzeichnis verwiesen werden. Nach undnach wurden Archive, Standesämter und familienge-schichtliche Vereinigungen informiert.

Weiterführende ArbeitenDie Arbeiten am Kirchenbuchverzeichnis sind noch langenicht abgeschlossen. Es fehlen vor allem zahlreiche Hin-weise auf die bei den Kirchenarchiven verwahrten Unter-lagen. In gewissen Abständen müssen Ergänzungen, Ver-besserungen und Aktualisierungen in der Internetversionvorgenommen werden. Außerdem soll ein stärkerer Aus-bau des Kontaktes zu den Nutzern erfolgen. Nachdem bisFebruar 2006 die Kirchenbuchregister und Familienbücherdes Zentralarchivs der Evangelischen Kirche der Pfalz indas Verzeichnis eingefügt wurden, steht als Nächstes dieEingabe der bei den Kirchenarchiven befindlichen Kir-chenbücher, allerdings in begrenztem Umfang (bis 1798)2

bevor.

Das Ziel: Eine archivübergreifende DatenbankDiese sehr praktischen Arbeiten behindern jedoch keines-wegs die Überlegungen, wie die in Word erfassten Infor-mationen mittelfristig in einer archivübergreifendenDatenbank zur Verfügung gestellt werden können. DieLandesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz räumt derErstellung einer Datenbank mittlerweile Priorität ein undsieht das Online-Verzeichnis nur noch als vorläufigeArbeitshilfe an. So ist die Entwicklung einer entsprechen-

2 1798 wurden auf dem linken Rheinufer, das französisch geworden war,die Standesämter zur Registrierung der Geburten, Heiraten und Sterbe-fälle eingeführt. Die Kirchenbücher mussten gemäß dem Dekret vom 1. 5.1798 bei den politischen Gemeinden „deponiert“ werden. Die Kirchenführten jedoch für ihre Zwecke ihre Bücher weiter, sodass genealogischeDaten für die Zeit nach 1798 sowohl in den Standesamtsregistern als auchin den Kirchenbüchern zu finden sind.

den Maske vorgesehen, die allen Ansprüchen der Archi-vare und der Benutzer genügt. Zu den Pflichtfeldern ineiner solchen Maske sollten auf alle Fälle Orte, Amtshand-lungen, Laufzeiten, Standorte und die Art der Unterlagen(Original, Film, Fotokopie) gehören. Unbedingt aufzuneh-men sind auch andere Informationen wie Pfarrerlisten,Protokolle, Chronikeinträge oder Wetteraufzeichnungen.Wichtig sind Hinweise auf andere Bestände, zum Beispielauf Bibliotheksschriftgut bzw. auf andere Datenträger.Anhand dieser Datenbank wären Abfragen verschiedenerArt mühelos möglich und der Informationsfluss nochwesentlich ergiebiger als bei der Word-Datei.

Bisher ungelöste Probleme

Eine noch offene Frage beim Thema Datenbank ist die derDateneingabe und -pflege durch Archive und Ämter. Hiermöchte die Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz vorallem für die kirchlichen Archive Voraussetzungen schaf-fen, mit denen diese vor Ort ihre Verzeichnisse in eineMaske eingeben und die gespeicherten Informationendann an das Landeshauptarchiv Koblenz übermitteln kön-nen. Dort könnten sie in die Archivdatenbank der Landes-archivverwaltung übertragen und entsprechend aufberei-tet im Internet auf der Seite des Landeshauptarchivs zurVerfügung gestellt werden. Diese Lösung bedeutet aller-dings wegen der teilweise sehr umfangreichen Findmittelder Kirchenarchive einen großen Arbeitsaufwand underfordert die Bereitstellung von Drittmitteln, weil zusätzli-che Schreibkräfte benötigt werden. Da die Finanzierungdes Projektes noch nicht klar ist, suchen die Kirchenar-chive auch noch nach anderen Lösungen. Solange nochkeine Einigung in Sicht ist, bleibt es bei den vorbereiten-den Arbeiten und bei dem bereits beschriebenen Online-Verzeichnis.

Aufbau und Inhalt des Verzeichnisses

Das Verzeichnis ist alphabetisch nach Orten aufgebaut. Esdeckt alle Gemeinden der Pfalz und Rheinhessens vor undnach der Verwaltungsreform ab, außerdem zahlreicheOrte im Saarland, soweit die Kirchengemeinden zumZuständigkeitsbereich des Bistums Speyer und der Evan-gelischen Kirche der Pfalz gehören. Der zeitliche Schnittliegt beim Jahr 1798, wobei einige Unterlagen auch längereLaufzeiten aufweisen. Die Kirchenbücher, die jünger alsdieses Stichjahr sind, befinden sich entweder bei den Kir-chenarchiven oder bei den Pfarreien; in der Regel besitzendie Kirchenarchive jedoch Filme davon. Außerdem solltenhier die Zivilstandsregister bei den Standesämtern alsQuelle benutzt werden. Neben den Orten weisen zweiSpalten auf die Konfessionen sowie auf die Kasualien unddie Laufzeiten hin. Weitere Spalten geben weiterführendeInformationen zum Kirchenbuch sowie zur Zugehörigkeitder Pfarrei im Laufe der Geschichte. Der Lagerort der Ori-ginale, Filme, Mikrofiches sowie der einschlägigen Litera-tur ist ebenso eigens angegeben wie deren Signaturen.

Ausblicke

Das Online-Verzeichnis der pfälzischen und rheinhessi-schen Kirchenbücher hat sich bereits bei zahlreichenRecherchen als zeitsparendes Suchinstrument erwiesen.Auch wenn zur Zeit noch viele Lagerorte von Kirchenbü-chern unbekannt sind und wegen der großen Datenmengeeine gewisse Fehlerquote bei der inhaltlichen Erschlie-

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ßung der Unterlagen nicht auszuschließen ist, rechtferti-gen die guten Erfahrungen der letzten beiden Jahre dochden weiteren systematischen Ausbau des Verzeichnisses.Sicher ist, dass das Ziel der Vereinfachung der Recherchen-tätigkeit und der Entlastung der staatlichen, kommunalenund kirchlichen Verwaltung bereits teilweise erreichtwurde und dass es sich lohnt, eine archivübergreifendeDatenbank aufzubauen.

Fragen zum Verzeichnis können gerichtet werden an:Landesarchiv Speyer, z. Hd. Andrea Kraft, Otto-Mayer-Straße 9, 67346 Speyer oder an [email protected].

Speyer Andrea Kraft

Aus- und Fortbildung, berufsständischeAngelegenheiten

Praxisbezogene Lehrveranstaltung „Modernes Archiv-wesen“ an der Universität Münster im Wintersemester2005/06Im Rahmen einer Lehrveranstaltung an der UniversitätMünster im Wintersemester 2005/06 hat eine studentischeArbeitsgruppe das gesamte moderne Archivwesen ken-nen gelernt. Die neunköpfige Gruppe wurde von den Ver-anstaltungsleitern Dr. Mechthild Black-Veldtrup undProf. Dr. Wilfried Reininghaus im Landesarchiv NRWStaatsarchiv Münster durch Vorlesungen, Übungen undPraxiselemente in 16 Doppelstunden mit dem Berufsbilddes Archivars bzw. der Archivarin vertraut gemacht. Dazugehörten das gesamte Aufgabenspektrum von der Bewer-tung und Übernahme bis zur Erschließung und zurÖffentlichkeitsarbeit, sowie einem Besuch im StadtarchivMünster und im Technischen Zentrum in Münster-Coerde. Die Gruppe war beteiligt an einer Aktenausson-derung im Amtsgericht Münster und erschloss denBestand Kreisamt für gesperrte Vermögen Lünen. Sielernte dabei den Umgang mit Provenienzbeständen, Vor-und Doppelüberlieferungen, der Erschließungstiefe undVerzahnung mit Behördenregistraturen. Als „Produkt“wurde allen Teilnehmern zum Semesterende ein – nachWeiterbearbeitung im Staatsarchiv Münster – fertigesFindbuch neben dem Schein überreicht. Alle Praxisele-mente wurden unter Anleitung durch die Veranstaltungs-leitung absolviert, ließen aber Raum für eigenständigesArbeiten. Die Lehrveranstaltung war ein Experiment. IhrVorteil gegenüber Einzelpraktika lag aus Sicht der Leitungin der Bündelung des vermittelten Wissens und in dergruppenspezifischen Arbeitsweise, die den Studierendenvertraut ist.

Düsseldorf Wilfried Reininghaus

Fachverbände, Ausschüsse, TagungenÖffentliche Arbeitssitzung des Projekts Nestor – Kom-petenznetzwerk LangzeitarchivierungWorkshop im Bundesarchiv KoblenzEine wesentliche Aufgabe des auf drei Jahre befristetenund bis zur Jahresmitte 2006 bei der Deutschen BibliothekFrankfurt laufenden Projekts Nestor, ist die Erstellungeiner „Policy“ für die Langzeitarchivierung digitaler Res-sourcen. Unter „Policy“ ist in diesem Zusammenhang die

strategische Ausrichtung der Aktivitäten der in Nestorkooperierenden Bibliotheken, Archive und Museen sowieihrer Träger zu verstehen. Zu einem Öffentlichen Work-shop am 20. 2. 2006 in Koblenz zur Diskussion der Policy,waren Vertreter aller drei Fachrichtungen eingeladen. Diegroße Resonanz mit 76 Teilnehmern, davon 24 aus Archi-ven, zeigt die Bedeutung des Themas.

Nach der Begrüßung durch Prof. Dr. Angelika Menne-Haritz, Direktorin beim Bundesarchiv, und UteSchwens, Direktorin der Deutschen Bibliothek Frank-furt, erläuterte Dr. Heike Neuroth (Staats- und Universi-tätsbibliothek Göttingen) die Notwendigkeit einer deut-schen Policy. Als besondere Herausforderungen nanntesie den Zugriff auf breit definierte digitale Ressourcentrotz des Alterungsprozesses, die Findung von Standardsund neue Formen von Kooperation. Gesucht werden Stra-tegien, um den ständigen Wandel bewältigen zu könnenmit dem Ziel, integre und authentische Versionen zugäng-lich und benutzbar zu machen. Neuroth verwies auf dieUNESCO-Charta von 2003, die die Gefahr des Verlustesvon digitalem Erbe aufzeige, und die erst kürzlich einge-richtete High Level Expert Group der EU, die am 27. 3.2006 in Brüssel ihre Arbeit aufnimmt. Die Policy solle klä-ren, wer für die Aufbewahrung des digitalen Erbes verant-wortlich ist und wer sie bezahlt.

Hans Liegmann (Deutsche Bibliothek Frankfurt)berichtete über die Auswertung der Nestor-Umfrage zuSammelaktivitäten im Bereich digitaler Ressourcen.1 71Institutionen beteiligten sich. Trotz der später in der Dis-kussion deutlich gewordenen methodischen Mängel beider Umfrage, bieten die Antworten bemerkenswerteErkenntnisse, u. a. über die offensichtliche Spannung zwi-schen intellektueller Erschließung und einer solchen überMetadaten.

Prof. Dr. Eberhard R. Hilf (Institut für Science NetworkOldenburg) war von Nestor mit der Erstellung einerExpertise über die Inhalte einer Policy beauftragt wordenund trug in Koblenz Kernpunkte seines Papiers vor.2 Erforderte u. a. durchsetzungsfähige Organisationsmodellefür eine nationale Policy ein, die technische Besonderhei-ten berücksichtige, und favorisierte Metadaten statt intel-lektueller Erschließung. Spiegelungen im In- und Auslandhielt er für unausweichlich. Bei der Nutzung sprach er sichgegen ein Vorhalten von Daten auf Verdacht aus und plä-dierte Nutzung „on demand“. Fachgebiets-Experten soll-ten seiner Meinung nach bei der Langzeitarchivierungmitwirken. Für diese Aufgabe fordert Hilf „ein straffesGesetz“. Die Diskussion zeitigte heftige Kritik an HilfsAusführungen, u. a. über dessen geringes Wissen über dasArchivwesen.

Dr. Andrea Hänger (Bundesarchiv Koblenz) stellteden Entwurf für ein Nestor-Strategiepapier mit Empfeh-lungen zur Langzeitarchivierung vor.3 Er lag gleichzeitigallen Teilnehmern vor. Sie fragte, ob die Zuständigkeitenfür digitale Daten wie diejenige für analoge Daten geregeltsein müsse, und plädierte mit Nachdruck für die Verknüp-fung analoger und digitaler Daten. Die Statements zu denVorträgen eröffnete Klaus Kempf (Bayerische Staatsbi-bliothek München). Er riet an, die Verfügbarkeit in denMittelpunkt zu stellen, zugleich aber den Trägern von

1 http://www.langzeitarchivierung.de/downloads/nestor_ap82.pdf.2 http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0008-20051114021.3 http://langzeitarchivierung.de/downloads/nestor_empf_20060210.pdf.

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Bibliotheken, Archiven und Museen die Kosten der Lang-zeitarchivierung klar zu machen. Aus Museumssichtunterstrich Dr. Karl-Heinz Lampe (Museum König,Bonn) die Bedeutung von Datenbanken, die ebenso wiedynamische Links ganz andere technische Probleme alsTexte schaffen. Für seinen Fachbereich (Zoologie) sei dieÜbernahme von Fremddaten eine anerkannte Zukunfts-aufgabe. Er plädierte außerdem für eine „soziale“ Lang-zeitarchivierung, d. h. die Daten müssen über ein „map-ping of knowledge“ verstehbar bleiben. Für die DeutscheUNESCO-Kommission verwies Christine M. Merkel aufdie Rolle Australiens bei der Entstehung der UNESCO-Charta. Sie mahnte an, Verantwortung für die Erhaltungdes digitalen Kulturerbes zu übernehmen.

Für die Archive betonte Prof. Dr. Wilfried Reining-haus (Landesarchiv NRW), dass sie die Nestor-Empfeh-lungen insbesondere wegen der Notwendigkeit, massivzu kassieren, nicht unvorbereitet treffen. Archivspezifischsei die Überlappung der Übernahme analoger Unterlagen(mit langen Aufbewahrungsfristen in den Behörden) mitder Übernahme von Unterlagen aus elektronischen Syste-men, die wegen der kurzen Innovationszyklen nicht 30Jahre oder länger warten können. Als nicht archivspezi-fisch wertete er den technologischen Rückstand allerGedächtnisinstitutionen gegenüber technischen Möglich-keiten und forderte, die Industrie mit ins Boot zu nehmen.Den von ihm vermissten Konsens darüber, wer für welchedigitalen Objekte zuständig sei, sprach Lars Jendral(Rheinische Landesbibliothek Koblenz) an. Er stellte einmit dem Landeshauptarchiv Koblenz abgestimmtes Pro-jekt zur Webarchivierung von Amtsdrucksachen vor, ver-wies aber darauf, dass hierfür rechtliche Grundlagen nochzu schaffen seien. In der Diskussion benannte Dr. UdoSchäfer (Staatsarchiv Hamburg) den „weiteren Blick“der Archive, die auch die Fachgesetze berücksichtigenmüssen. Dr. Jens Klump (Geoforschungszentrum Pots-dam) kommentierte die Nestor-Empfehlungen aus techni-scher Sicht und als jemand, der vor allem Primärdatenarchiviert. Er konstatierte, dass die Daten schneller als dasSpeichervolumen wachsen, und hob hervor, dass für Vek-torgraphiken kein Konzept vorliege. Bei den Metadatenmüsse die jeweilige Fachcommunity einbezogen werden;eine Standardisierung sei sehr aufwendig. Er unterstützteden Einsatz nichtproprietärer Formate und empfahl,archivfähige Formate zu zertifizieren. Klaus Pollmeier(Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart) for-derte eine stärkere Professionalisierung und beschrieb denin Stuttgart jetzt eingeführten Studiengang „Konservie-rung neuer Medien“. Zielgruppe für dieses Aufbaustu-dium seien examinierte Bachelor-Studenten.

Prof. Dr. Hartmut Weber, Präsident des Bundesar-chivs, bemerkte in seinem Schlusswort, er favorisiere dasWort „Langzeitverfügbarkeit“ anstelle „Langzeitarchivie-rung“, sagte den Zielen von Nestor seine Unterstützungzu und prognostizierte einen steigenden Finanzbedarf fürdie in Koblenz besprochenen Themen.

Die Empfehlungen von Nestor werden aufgrund derBeiträge zum öffentlichen Workshop noch einmal präzi-siert und sollen dann in eine abschließende Fassunggebracht werden. Zielgruppe der Empfehlungen werdendie Träger von Bibliotheken, Archive und Museen sein. ObNestor als gemeinsame Plattform bestehen bleiben wird,ist zur Zeit noch nicht gesichert. Der Koblenzer Workshoplegte aus Sicht der beteiligten Vertreter aus Archiven offen,

wie sehr teilweise die Perspektive der Bibliotheken domi-nierte, zugleich aber auch, wie notwendig konzertierteAktionen zwischen allen Institutionen sind.

Düsseldorf Wilfried Reininghaus

Kolloquium „10 Jahre Institut für Erhaltung vonArchiv- und Bibliotheksgut“ in LudwigsburgDas Ludwigsburger Institut für Erhaltung von Archiv-und Bibliotheksgut veranstaltete anlässlich seines 10-jäh-rigen Bestehens am 17. und 18. November 2005 ein Kollo-quium, das aktuellen Themen der Bestandserhaltunggewidmet war. Der Leiter des Instituts, Frieder Kuhn,konnte im Vortragssaal des Staatsarchivs Ludwigsburgüber 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter zahl-reiche Gäste aus dem europäischen Ausland, begrüßen.

In seinem Einführungsreferat stellte Kuhn kurz die Ent-wicklungen dar, die 1995 zur Gründung des Instituts fürErhaltung geführt hatten. Er verwies darauf, dass die Lud-wigsburger Einrichtung im Zuge der Umsetzung desbaden-württembergischen „Sonderprogramms zur Erhal-tung von gefährdetem Archiv- und Bibliotheksgut“ (Kurz-form: „Landesrestaurierungsprogramm“) entstanden sei.Dieses Projekt sei 1986 initiiert worden, um die Maßnah-men auf dem Gebiet der Bestandserhaltung in den baden-württembergischen Staats- und Universitätsarchivensowie den Landes- und Universitätsbibliotheken zu bün-deln und zu koordinieren. Kuhn wies auf die großenErfolge hin, die durch das Landesrestaurierungspro-gramm bereits erzielt worden seien.

Die erste Sektion des Kolloquiums war konzeptionellenund organisatorischen Fragen des Landesrestaurierungs-programms und der darin zusammengeschlossenen Ein-richtungen gewidmet. Gerd Brinkhus (Universitätsbi-bliothek Tübingen) blickte nochmals zurück auf dieAnfänge der Bemühungen um eine effektive Erhaltungdes Archiv- und Bibliotheksguts in Baden-Württemberg.Er stellte die ursprüngliche Konzeption des Landesrestau-rierungsprogramms der aktuellen Situation gegenüberund konnte dabei ein überwiegend positives Fazit ziehen.Maßgebliche Ziele des Projekts seien erreicht worden: soetwa die Gründung eines Instituts für Erhaltung mit leis-tungsfähigen Werkstätten für die Restaurierung und Ver-filmung sowie die Schaffung eines Diplomstudiengangsfür Restauratoren und Restauratorinnen. Regelmäßigwürden im Kontext des Programms Fortbildungsveran-staltungen für Restauratorinnen und Restauratoren ange-boten. Ebenso sei eine verstärkte Mobilisierung des öffent-lichen Bewusstseins für Fragen der Bestandserhaltungerreicht worden. Selbst wenn die Erhaltung des Kultur-guts eine Daueraufgabe bleibe, sei die Situation in Baden-Württemberg verglichen mit anderen Bundesländern sehrgut.

Stefanie Berberich (Universitätsbibliothek Heidel-berg) wies in ihrem Referat auf die gegenüber der Vergan-genheit veränderten Anforderungen hin, denen sich diewissenschaftlichen Bibliotheken in der Gegenwart gegen-übersehen. Neue Herausforderungen ergäben sich sowohldurch das ständig steigende Angebot an digitalen Medienals auch durch neue Kundenanforderungen. Benutzer derBibliotheken würden sich mehr und mehr durch eine„now or never“-Mentalität auszeichnen, also eine rascheBereitstellung von Medien erwarten, und die gewünsch-ten Publikationen auch häufig in hybrider, also sowohl in

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analoger als auch in digitaler Form nachfragen. Aufgabeder Bibliotheken sei es nicht zuletzt vor dem Hintergrundstagnierender Ressourcen, neue Wege bei der Finanzie-rung von Bestandserhaltungsprojekten zu beschreiten, umdie Anforderungen von Erhaltung und Nutzung vonBibliotheksgut zum Ausgleich zu bringen.

Am Beispiel des Hauptstaatsarchivs Stuttgart schilderteAlbrecht Ernst (Landesarchiv Baden-Württemberg –Hauptstaatsarchiv Stuttgart) die Kooperation zwischendem Ludwigsburger Institut für Erhaltung und den imLandesrestaurierungsprogramm zusammengeschlosse-nen Kultureinrichtungen. Ernst wies dabei auf einen signi-fikanten Wandel bei der Aufgabenwahrnehmung durchdas Institut hin: Hätten sich die Dienstleistungen der Lud-wigsburger Werkstätten in den ersten Jahren ihres Beste-hens im Bereich der Konservierung und Restaurierung vorallem auf die Bearbeitung von wertvollen Einzelstückenkonzentriert, so sei man seit dem Ende der 1990er Jahreverstärkt zur seriellen Bearbeitung größerer archivischerBestände(teile) übergegangen. Die Bildung von Schwer-punktprojekten beim Institut für Erhaltung hätte erhebli-che Rationalisierungseffekte für die staatliche Archivver-waltung bei der Durchführung von Konservierungs- undRestaurierungsprojekten erbracht.

Im Mittelpunkt der zweiten Sektion des Kolloquiumsstanden Organisations- und Ausbildungsfragen. UlrikeHähner (Universitätsbibliothek Marburg) konstatierte,dass Beschädigungen von Kulturgut in Bibliotheken nichtzuletzt durch eine mangelnde Integration der bestandser-haltenden Maßnahmen in die Arbeitsabläufe der jeweili-gen Institution bedingt seien. Eine im Rahmen einerDiplomarbeit an der Staatlichen Akademie der BildendenKünste durchgeführte Untersuchung hätte ergeben, dassvor allem die verschiedenen Methoden der Schadensprä-vention noch keinen ausreichenden organisatorischenNiederschlag in den Bibliotheken gefunden hätten. Häh-ner forderte vor diesem Hintergrund Veränderungen inder Aufbau- und Ablauforganisation der Bibliotheken,insbesondere eine stärkere Koordination bestandserhal-tender Maßnahmen.

Andrea Pataki (Staatliche Akademie der BildendenKünste Stuttgart) sprach über die Ausbildung im BereichPergamentrestaurierung, die die Staatliche Akademie derBildenden Künste Stuttgart im Rahmen des Studiengangs„Restaurierung und Konservierung von Grafik, Archiv-und Bibliotheksgut“ anbietet. Gelehrt würden verschie-dene Techniken der Pergamentrestaurierung (zum Bei-spiel Anfaserung, Restaurierung mit Goldschlägerhaut).Die Stuttgarter Akademie erprobe jedoch im Rahmen derAusbildung neben den bekannten Methoden auch neueVerfahren: So sei am Studiengang eine reproduzierbareFärbemethode für das „rekonstituierte Pergament“ entwi-ckelt worden, die auf der Technik von Wouters, Watteeuwund Peckstadt basiere.

Das von der Europäischen Union geförderte Projekt„Water in Paper“ präsentierte Anthony Smith (Bucking-ham). Ziel dieses Projekts sei die Ausarbeitung eines Lehr-buchs, das die Interaktionen von Wasser und Papier imKontext der Papierkonservierung und -restaurierung zumGegenstand habe. Smith wies darauf hin, dass dasgeplante Lehrwerk ein zentrales Thema der Bestandser-haltung aufgreife. Das Kompendium wende sich vor alleman angehende Restauratoren, sei jedoch so konzipiert, dass

es auch in Weiterbildungsveranstaltungen eingesetzt wer-den könne.

Gerhard Banik (Staatliche Akademie der BildendenKünste Stuttgart) stellte die Grundkonzeption sowie dieEntwicklung und die Zukunftsperspektiven des Studien-gangs „Restaurierung und Konservierung von Graphik-,Archiv- und Bibliotheksgut“ vor, der von der StaatlichenAkademie der Bildenden Künste Stuttgart seit 1990 ange-boten wird. Er hob hervor, dass der Studiengang den ange-henden Restauratorinnen und Restauratoren eine Ausbil-dung auf den Gebieten der Individual- und der Mengen-restaurierung anbiete. Ziel sei es insbesondere auch, Pro-blemlösungskompetenz zu vermitteln und die Studieren-den zu befähigen, Bestandserhaltungskonzepte fürSammlungen, Archive und Bibliotheken zu entwickelnund diese zu leiten. Banik wies darüber hinaus auf diezahlreichen Drittmittelprojekte hin, die im Rahmen desStudiengangs seit dessen Begründung verwirklicht wor-den seien, sowie auf die langjährige erfolgreiche Zusam-menarbeit zwischen der Staatlichen Akademie der Bilden-den Künste und dem Institut für Erhaltung. Die bewährteKooperation solle fortgeführt werden, wobei in Zukunftder Publikation und Verbreitung erreichter Arbeitsresul-tate besonderes Augenmerk geschenkt werden müsse.

In der dritten Sitzung standen zunächst die Herausfor-derungen und Chancen im Mittelpunkt, die sich für diearchivische Bestandserhaltung durch die zunehmendeVerbreitung digitaler Techniken und Medien ergeben.Hans Zotter (Universitätsbibliothek Graz) wies daraufhin, dass die Erwartung der Bibliotheksnutzer, wertvolleHandschriften und Archivalien online einsehen zu kön-nen, zu einschneidenden Veränderungen in den Nut-zungsstrategien der Bibliotheken führen müsse. Die Digi-talisierung von Dokumenten sei eine Aufgabe, die dieBibliotheken über Jahrzehnte hinweg beschäftigen werde.Pilotprojekte könnten hier nur erste Anstöße für sehr lang-fristige Arbeitsvorhaben sein. Zotter zeigte des Weiterenauf, wie sich die Digitalisierung von unikalen Dokumen-ten in einer Universitätsbibliothek technisch und organisa-torisch durchführen lässt und welche Auswirkungen dieVerfügbarmachung von Unterlagen im Internet für derenErhaltung hat.

Klaus Pollmeier (Staatliche Akademie der BildendenKünste Stuttgart) präsentierte das Programm des Aufbau-studiengangs „Konservierung Neuer Medien und Digita-ler Information“, der ab Sommersemester 2006 als zwei-jähriger Magisterstudiengang von der Staatlichen Akade-mie der Bildenden Künste Stuttgart angeboten werdenwird. Der Studiengang ziele darauf ab, den StudierendenKenntnisse über die langfristige Erhaltung von Fotogra-fien, Videos und digitalem Kultur- und Archivgut zu ver-mitteln. Er wende sich an Personen mit einer abgeschlos-senen Hochschulausbildung in den Bereichen Archiv- undBibliothekswesen, Informatik, Kunstgeschichte, Medien-wissenschaften, Museologie, Restaurierung oder Ähnli-chem. Die Lehrveranstaltungen würden in deutscher undenglischer Sprache durchgeführt.

Über die Organisation der Bestandserhaltung in denNational Archives in London referierte Anna E. Bülow(The National Archives of England, Wales and the UK).Bedingt durch neue Herausforderungen – vor allem dieVerabschiedung des „Freedom of Information Act“ in die-sem Jahr, der den britischen Bürgern die Zugänglichkeitaller sie betreffenden Unterlagen garantiere – sei ein Pro-

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zess des Umdenkens und Umsteuerns in Gang gekom-men. Stärker als bisher versuche die Abteilung fürBestandserhaltung aktiv auf die Geschäftsprozesse desArchivs Einfluss zu nehmen, da sich nur so eine effektivepräventive Konservierung realisieren lasse.

Rainer Hofmann (Bundesarchiv Koblenz) stellte inseinem Vortrag die Bedeutung von Normen für dieBestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken heraus.Auch wenn insbesondere international gültige Normenoft wenig präzise gefasst seien, stellten sie doch grundle-gende Qualitätsstandards von Materialien und Anforde-rungen an Arbeitsverfahren sicher und trügen daher inerheblichem Maß zur Erhaltung von Kulturgut bei. AlsBeispiel für wichtige Normen im Bereich Bestandserhal-tung verwies Hofmann unter anderem auf die Norm füralterungsbeständiges Papier (DIN ISO 9706) sowie auf dieAnforderungen an die Aufbewahrung von Archiv- undBibliotheksgut (DIN ISO 11799).

Die Abschlusssitzung des Kolloquiums thematisiertezunächst Fragen der Mengenbehandlung von Archiv- undBibliotheksgut. Agnes Blüher (Schweizerische Landesbi-bliothek Bern) berichtete über die Entwicklung und denEinsatz von Massenentsäuerungsverfahren. Sie stellteheraus, dass die derzeit praktizierten Methoden mehrfachevaluiert worden seien, sodass ihre Stärken und Schwä-chen gut nachvollziehbar seien. Es mache wenig Sinn, beider Auswahl eines Verfahrens allein Kostengesichts-punkte zu beachten, entscheidend sei in erster Linie dieEffektivität der Behandlung.

Barbara Kunze (Sächsisches Staatsarchiv) schildertedie Maßnahmen, die in Sachsen nach der Flutkatastrophe2002 ergriffen wurden. Die Bewältigung der Flutschädenhätte sowohl hohes organisatorisches Geschick als auchfachliches Know-how erfordert. Gerade in der Katastro-phensituation hätte sich die Fachkompetenz der staatli-chen Archivverwaltung auch für viele kleinere Archivebezahlt gemacht. Nicht zuletzt sei durch die Koordinati-onsfunktion der staatlichen Stellen ein wirtschaftlicherEinsatz der zur Verfügung stehenden Finanzmittelgewährleistet worden.

Schließlich blickte Anna Haberditzl (LandesarchivBaden-Württemberg – Institut für Erhaltung von Archiv-und Bibliotheksgut) auf die vom Institut für Erhaltung seit1989 durchgeführten Forschungs- und Entwicklungspro-jekte zurück. Sie machte deutlich, dass diese Projekte einsehr breites Themenspektrum umfassten: Fragen derPapier-, Einband- und Pergamentrestaurierung seienebenso behandelt worden wie Themen der präventivenBestandserhaltung, der Verfilmung/Digitalisierung unddes Arbeitsschutzes. Die Projekte seien vielfach mitKooperationspartnern realisiert worden, so zum Beispielmit der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stutt-gart, den Universitäten Tübingen und Stuttgart sowie demLandesgesundheitsamt Baden-Württemberg.

Insgesamt bot das Kolloquium einen breiten Überblicküber aktuelle Themenfelder der Bestandserhaltung inArchiven und Bibliotheken. Deutlich wurde, wie vielfältigdie Fragestellungen sind, denen sich diejenigen gegen-übersehen, die in den Kulturinstitutionen Verantwortungfür die Erhaltung historischer Dokumente und Informa-tionen tragen. Tagungen, wie die vom LudwigsburgerInstitut für Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgutdurchgeführte, bieten die Möglichkeit des interdisziplinä-

ren Austauschs, dem gerade im Bereich der Bestandserhal-tung ein sehr hoher Stellenwert zukommt.

Stuttgart Wolfgang Mährle

51. Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der Kreisarchivebeim Landkreistag Baden-Württemberg in Esslingenam NeckarAm 19. Oktober 2005 traf sich die Arbeitsgemeinschaft, aufEinladung des Kreisarchivs Esslingen, im LandratsamtEsslingen. Nach der Begrüßung durch den Vorsitzendender Arbeitsgemeinschaft, Wolfgang Kramer (Konstanz),und einem Grußwort von Landrat Heinz Eininger stellteKreisarchivar Manfred Waßner kurz das Kreisarchiv Ess-lingen vor. Das seit 1979 hauptamtlich besetzte Archivzählt mit seinen z. Zt. rund 2500 lfm umfassenden und bis1404 zurückreichenden Beständen zu den größten Kreisar-chiven in Baden-Württemberg. Die Bibliothek umfasst ca.17.000 Bände. Das Kreisarchiv ist personell gut ausgestat-tet: eine Stelle des höheren Archivdienstes (Leiter desKreisarchivs), drei Archivare des gehobenen Dienstes(davon zwei überwiegend in der kommunalen Archiv-pflege), eine Bibliotheksassistentin, eine Sekretärin, viersonstige Archivangestellte, befristete zusätzliche Kräfte(1-Euro-Jobber) sowie ein Ausbildungsplatz für den BerufFachangestellter für Medien- und Informationsdienste,Fachrichtung Archiv. Ein besonderes Projekt des Kreisar-chivs ist derzeit die archäologisch-topographische Auf-nahme aller Burgstellen im Kreis, die in Zusammenarbeitmit dem Amt für Denkmalpflege, der FH Karlsruhe, Insti-tut für Geomatik und dem Esslinger Amt für Geoinforma-tion und Vermessung durchgeführt wird.

Das Hauptthema der Sitzung lautete „Kreisarchiv undAktenaussonderung – Durchführung und Zusammenar-beit mit den an der Aussonderung beteiligten Stellen“.Dr. Wolfgang Sannwald (Tübingen), Dr. Irmtraud Betz-Wischnath, André Kayser (Esslingen), Dr. CorneliusGorka (Ortenaukreis) und Dr. Edwin Ernst Weber (Sig-maringen) gaben kurze Erfahrungsberichte über dieRegistraturverhältnisse in ihrem Arbeitsbereich und ihredadurch begründeten Vorgehensweisen. Im direkten Ver-gleich der fünf Kurzreferate hat sich die allgemeinbekannte Theorie, dass eine Zentralregistratur die Arbeitdes zuständigen Archivs erheblich erleichtert und dassdas Gegenteil – Fehlen einer zentralen Registratur unddafür Ämter- oder Sachbearbeiterablagen – die Arbeitbedeutend erschwert, bewahrheitet. Im Anschluss besich-tigten alle Tagungsteilnehmer die Zentralregistratur imLandratsamt Esslingen, die als vorbildlich gelten kann.

Die geplante Jubiläumsschrift „50 Jahre LandkreistagBaden-Württemberg“ war ein weiteres Thema derTagung. Der Landkreistag Baden-Württemberg alsHerausgeber hat die Arbeitsgemeinschaft der Kreisar-chive gebeten, die Konzeption und Abfassung der Fest-schrift zu übernehmen. Die Arbeitsgemeinschaft derKreisarchive nimmt diesen Auftrag an und sieht in diesemProjekt auch eine gute Möglichkeit, auf sich und ihreBelange aufmerksam zu machen.

Zum Thema „Erfahrungen mit dem Einsatz von Ein-Euro-Jobbern im Archiv“ hielt Manfred Waßner (Esslin-gen) ein Kurzreferat und konnte überwiegend Positivesberichten. Frau Dr. Adler (Freudenstadt) wies auf dieGefahr hin, dass auf Dauer die Qualifikation der Archivare

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verkannt werden könnte, wenn immer mehr Hilfskräfteim Archivbereich eingestellt werden.

Auch das Bewertungsmodell der Kreisarchive standwieder auf der Tagesordnung. Die Präsentation des Pro-jekts auf dem Deutschen Archivtag in Stuttgart war einErfolg. Außenstehende Kollegen bedauern, dass diesesProjekt nur für die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft zurVerfügung steht. In ihrem Bericht führten Dr. AndreasZekorn (Zollernalbkreis) und Dr. Wolfgang Sannwald

(Tübingen) aus, dass in nächster Zeit auch die Aktenplan-gruppen 0, 1, 5 und 8 online verfügbar sein werden. Fürdie Zukunft wurde die Herausgabe eines Newslettersangeregt.

Im Anschluss an die Tagung hatten die Teilnehmer dieMöglichkeit zur Teilnahme an einer Führung durch dieehemalige Reichsstadt Esslingen mit dem Leiter des Stadt-archivs Esslingen, Dr. Joachim J. Halbekann.

Esslingen am Neckar André Kayser

Auslandsberichterstattung

InternationalesArchiv der Norddeutschen Missionsgesellschaft an dasStaatsarchiv Bremen übergebenDie Übergabe des ArchivsAm 18. November 2005 wurden dem Staatsarchiv Bremendas Archiv, die Bildsammlung und die Bibliothek derNorddeutschen Missionsgesellschaft übergeben. DieÜbergabe der Materialien fand im Rahmen einer Presse-konferenz mit einer Präsentation ausgewählter Archiva-lien statt. In Anwesenheit der Staatsrätin für Kultur derFreien Hansestadt Bremen, Elisabeth Motschmann, derPräsidentin der Bremischen Evangelischen Kirche, BrigitteBöhme, und des Bischofs der Evangelischen Kirche vonTogo, Dr. Kodjo Bessa, konnte das Staatsarchiv aus derHand des Generalsekretärs der Norddeutschen Missions-gesellschaft, Hannes Menke, die wertvollen Bestände inEmpfang nehmen.

Das Archiv der Norddeutschen Mission gehört zu denwichtigsten Archiven in der Freien Hansestadt Bremen. Eswurde schon früh in seinem Wert und seiner Bedeutungfür die Forschung erkannt; erste Teile gelangten bereits1968 als Depositum (StAB 7,1025) in das Staatsarchiv Bre-men. Es steht seither als Nr. 0503 im Gesamtverzeichnisnational wertvoller Archive nach § 13 Abs. 2 des Gesetzeszum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung.

Wissenschaftliche Benutzungen des Archivbestandeswaren seit 1968 in Rücksprache mit der NorddeutschenMission möglich, allerdings befanden sich weitere Teiledes Archivs, der Bildsammlung und die Missionsbiblio-thek im Missionshaus Bremen, der Verwaltungszentraleder Missionsgesellschaft. Eine Benutzung aller relevantenBestandsteile war daher am selben Ort nicht möglich. Dadie Norddeutsche Mission im Jahr 2005 mit dem Bezugeines neuen, aber kleineren Missionshauses in Bremengezwungen wurde, sich von Sammlungs- und Biblio-theksgut zu trennen und zukünftig auch keine Leseräumefür wissenschaftliche Benutzungen im Missionshaus mehrzur Verfügung stellen konnte, hat sie sich zu dem Schrittveranlasst gesehen, mit der Übergabe des restlichenArchiv-, Sammlungs- und Bibliotheksgutes in das Staats-archiv zugleich auch das Eigentumsrecht an dem Gesamt-bestand an das Staatsarchiv Bremen zu übertragen. Dieserfolgte zunächst in der Gewissheit, dass mit dem freierenZugang erhebliche Vorteile in der Benutzung durch Wis-senschaft und Forschung verbunden sind und vor dem

Hintergrund, dass eine archivische Erschließung vorallem des Sammlungs- und Bildguts sowie der Bibliothekim Missionshaus selbst nicht mehr angemessen geleistetwerden konnte. Ebenso wenig konnte im Missionshausauf Dauer eine optimale Verwahrung der Unterlagensichergestellt werden. Es wurde bei der Übergabe verein-bart, dass der Bestand auch in Zukunft kontinuierlichZuwachs an Schriftgut und Sammlungsmaterial von dervor allem in Westafrika tätigen Norddeutschen Missionerhalten soll.

Das Depositum 7,1025 Norddeutsche Mission war seit1968 einer der am häufigsten durch wissenschaftliche –auch internationale – Benutzung nachgefragten Beständeim Staatsarchiv Bremen. Seit 2003 wurde er intensiv für einvon der VW-Stiftung gefördertes Forschungsvorhaben derUniversität Bremen benutzt, in das unter der Leitung vonDr. Rainer Alsheimer auch Wissenschaftler und Dokto-randen aus Togo und Ghana einbezogen waren, die zumTeil noch im Staatsarchiv tätig sind.

Die Übergabe des Archivs ist eine großzügige Geste derNorddeutschen Mission, die in besonderer Weise zeigt,wie staatliche Einrichtungen und private Träger zum Nut-zen von Wissenschaft und Forschung kooperieren können.Der Senator für Kultur und das Staatsarchiv Bremen sindder Norddeutschen Mission hierfür und für das entgegen-gebrachte Vertrauen zu außerordentlichem Dank ver-pflichtet. Das Staatsarchiv hat sich im Gegenzug zurumgehenden Restaurierung, Verpackung und Verzeich-nung vor allem des neu erworbenen Bild- und Bibliotheks-bestandes verpflichtet. Schriftgut, Bildsammlung undMissionsbibliothek stehen nun an einem Ort der For-schung zur Verfügung.

Die Norddeutsche MissionsgesellschaftDie Norddeutsche Mission wurde 1836 in Hamburg vonsechs Missionsvereinen als eine der ältesten deutschenMissionsgesellschaften gegründet. Sie hat seit 1851 ihrenSitz in Bremen und wird heute als ein gemeinsames Werkvon vier deutschen und zwei afrikanischen Kirchen getra-gen. Nach anfänglichen Aktivitäten in Neuseeland undOstindien entsandte die Norddeutsche Mission ab 1847Missionare auch nach Westafrika. Aus der seither kontinu-ierlich betriebenen Missionsarbeit in Westafrika gingendort zwei selbständige Kirchen hervor: Die EvangelischeKirchen von Togo und die Evangelisch-Presbyterianische

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Kirche von Ghana. In diesen beiden Ländern ist die Nord-deutsche Mission noch immer im Schwerpunkt ihrer mis-sionarischen und heute vor allem auch entwicklungspoli-tischen Aktivitäten tätig. In über 150 Jahren Präsenz inAfrika hat die Norddeutsche Mission alle Höhen und Tie-fen der deutsch-afrikanischen Beziehungen in ihren west-afrikanischen Missionszentren miterlebt. Dies betrifft dievorkoloniale Präsenz, die Kolonialzeit nach der 1884erfolgten Gründung der Kolonie Deutsch-Togoland unddie schwierige nachkoloniale Entwicklung seit dem ErstenWeltkrieg bis zum heutigen Tag. Rekrutiert in ganz

Deutschland und ausgesandt von der Zentrale in Bremen,waren Generationen von Missionsmitarbeitern in Afrikain Mission, Schul- und Entwicklungsdienst tätig undhaben in Briefen, Berichten, Protokollen und auch fotogra-fischer Dokumentation ihre Arbeit festgehalten. Umge-kehrt haben schon früh afrikanische Mitarbeiter der Mis-sion zur Ausbildung den Weg nach Deutschland gefun-den. Im Laufe von über 150 Jahren entstand somit in derMissionszentrale ein einmaliger Archivbestand, der auchdurch die zahlreichen politischen Umwälzungen und krie-gerischen Ereignisse kaum wesentliche Überlieferungs-

Missionshaus der Nord-deutschen Mission in Ho(Togo), vor 1869

Mit Abzügen von stereosko-pischen Bildplatten lässtsich beim Betrachten durchein spezielles Sichtgerät einoptischer 3D-Effekt erzeu-gen. Am Sichtgerät Archiv-leiter Dr. Elmshäuser undBischof Dr. Bessa anlässlichder Archivübergabe

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verluste erlitten hat. Er wird ergänzt um eine Sammlungvon Bilddokumenten, die wie die schriftliche Überliefe-rung bis in die 1840er Jahre zurückreichen. In der BremerMissionszentrale wurde zudem eine Spezialbibliothekaufgebaut, die vor allem internen Schulungszwecken derMission diente und zahlreiche Manuskripte und Frühdru-cke in westafrikanischen Sprachen – namentlich der imheutigen Togo gesprochenen Ewe-Sprache – enthält.

Der Bestand Norddeutsche MissionDer Schriftgutbestand umfasst ca. 500 archivische Einhei-ten. Teilweise enthalten dabei einzelne Einheiten mehrerehundert Einzelstücke (Berichte und Schreiben). Diewesentlichen Schriftgutgruppen sind1. Protokollreihen von Konferenzen in der Missionszen-

trale und in den Stationen;2. korrespondenzartig gehaltene Berichte und andere

Schreiben der Missionare, die aus Übersee an die Missi-onszentrale gesandt wurden;

3. die Dokumentation der Verwaltung der Missionsstatio-nen und der Missionsarbeit vor Ort (Geschäftsbücher)einschließlich der Personalsachen, die auch afrikani-sche Mitarbeiter betreffen;

4. Materialien und Unterlagen zur Missionsarbeit, Bil-dungsarbeit (Schulbetrieb) und Entwicklungsarbeit(z. B. Schwesternschulen);

5. Werbung für die Missionsarbeit; Finanzen.Der Bestand wurde nach Übernahme magazintechnisch

bearbeitet und neu verpackt. Für die Verzeichnung mit derArchivsoftware Augias-Archiv 8 konnte auf Vorarbeitenu. a. des Forschungsprojektes der Universität Bremenzurückgegriffen werden.Der Bildbestand umfasst ca. 3500 Bilder, bestehend aus1. Zeichnungen der 1840er Jahre;2. Glasplattennegative und Glasplattendias vom Ende des

19. Jahrhunderts bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhun-derts;

3. Rückvergrößerungen, teilweise aufgezogen auf Karton;4. Alben von Missionaren und Missionsstationen.

Hinzu kommen einige Hundert Kleinbildnegative und-abzüge der 30er bis 50er Jahre. Einige Tausend Colordiasder 60er bis 80er Jahre befinden sich noch im Missionshausund werden zu einem späteren Zeitpunkt in den Archiv-bestand übernommen. Zu den Besonderheiten der west-afrikanischen Bildüberlieferung zählen die frühen Zeich-nungen und Fotos (s. Abb. 1), handkolorierte Glasplatten-dias und ein besonders wertvoller und fototechnisch selte-ner Satz stereoskopischer Glasplattendias (um 1900) vonLand und Leuten (s. Abb. 2).

Auch der Bildbestand wurde nach Übernahme maga-zintechnisch aufwändig bearbeitet und die Glasplattensowie die Papierabzüge einer Neuverpackung unterzo-gen. Von allen Vorlagen auf Papier wurden Repros (sw-Negative im Idealformat) angefertigt. Für die digitaleErschließung des Bildbestandes werden im nächstenArbeitsschritt Scans der Repros erstellt, die auf CD archi-viert werden und als Vorschaubilder für die Benutzungzur Verfügung stehen. Die Scans wurden nicht von derFotowerkstatt des Staatsarchivs hergestellt, sondern voneinem Dienstleister angefertigt. Die Verzeichnung desBildbestandes wurde durch eine Doktorandin des For-schungsprojekts der Universität Bremen, Sonja Sawitzki,durchgeführt.

Der in das Staatsarchiv übernommene Teil der Missions-bibliothek umfasst ca. 2000 Bände von der Mitte des 19. biszu den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Neben missions-theologischen Werken und Missions-Periodika ab den1840er Jahren sind hier als Schwerpunkte landeskundlicheArbeiten zu Afrika und Ostasien zu nennen. Einen beson-ders hervorzuhebenden Bereich bildet auch hier West-afrika, so die z. T. nur als Manuskripte erhaltenen Wörter-bücher zu westafrikanischen Sprachen sowie Übersetzun-gen religiöser Texte, Bibelübersetzungen und Schulfibelnin westafrikanischen Sprachen, namentlich in Ewe(s. Abb. 3). Der Bestand wird nach bibliothekarischenRegeln erschlossen und über die Software BOND in derBibliothek des Staatsarchivs nachgewiesen.

Ein bedauerliches aktuelles Ereignis unterstreicht denWert dieses Bibliotheksbestandes. Nach der am 28. April2005 erfolgten völligen Zerstörung der 1961 als „DeutscheBücherstube“ gegründeten Bibliothek des Goethe-Insti-tuts in Lomé durch Brandstiftung während der Unruhenanlässlich der Präsidentschaftswahlen dürfte der Bestandspeziell für die deutsch-togolesischen Beziehungen noch-mals an kulturhistorischem Wert gewonnen haben.

Bremen Konrad Elmshäuser

Die erste Grammatik in der Ewe-Sprache, hg. von J. B. Schlegel1857. Exemplar der Missionsbibliothek aus dem Besitz des Mis-sionars Carl Spieß

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„Die Sorge für Archivalien – eine Herausforderung fürdie Kirche“Tagung von Kirchenarchivaren im August-Pieper-Haus inAachenAuf Einladung der Bischöflichen Akademie sowie desGeschichtsvereins für das Bistum Aachen und des Lim-burgischen Geschichtsvereins LGOG aus den benachbar-ten Niederlanden diskutierten Archivare, Historiker undhistorisch interessierte Laien am 28. Oktober 2005 imAachener August-Pieper-Haus Aufgaben und Stand derkatholischen Kirchenarchive in den drei NachbardiözesenAachen, Lüttich und Roermond.

Der etwas provokative Untertitel des Tagungsthemaserwies sich bald als berechtigt, war doch die Sorge überzunehmende Sparmaßnahmen auch im kirchlichenBereich und ihre teils einschneidenden personellen undsachlichen Konsequenzen für die Archive der rote Faden,der sämtliche Referate und Diskussionen der Tagungdurchzog. Die Antworten, mit denen die Referenten dieserHerausforderung begegneten, waren in den drei Diözesentrotz ihrer engen Nachbarschaft, zum Teil auch histori-scher Verbundenheit und heutiger Zusammenarbeit frei-lich sehr verschieden, vor allem auch abhängig von denjeweiligen kirchlichen Traditionen und dem in den dreiLändern recht verschiedenen Staatskirchenrecht. Ein Ver-gleich zwischen den unterschiedlichen Ansätzen, mitdenen die Archive der drei Diözesen das gleiche Problemangingen und jeweils zu meistern suchten, sollte daherauch das Ziel dieser Tagung sein.

In einer kurzen Begrüßung übermittelten die Vertreterder drei Veranstalter, Drs. Jacobs (Limburg), Prof.Dr. Dieter Wynands (Bischöfliche Akademie Aachen)und Dr. Wolfgang Löhr (Geschichtsverein für das BistumAachen) die Glückwünsche des Erzbischofs von Utrechtzu ihrer grenzüberschreitenden Initiative. Der niederlän-dische Oberhirte bedauerte ausdrücklich, wegen ander-weitiger Verpflichtungen nicht persönlich teilnehmen zukönnen.

Prof. Dr. Toni Diederich, der langjährige Leiter desHistorischen Archivs der Erzdiözese Köln, stellte in sei-nem Eingangsreferat den unverzichtbaren Wert archivali-scher Quellenüberlieferung für die Geschichte, aber auchdie Glaubens- und Wertreflexion innerhalb der katholi-schen Kirche in den Vordergrund. Die Rolle der Archiveals Stütze der kirchlichen Verwaltung sei dem gegenübereher sekundär. Eingehend stellte Diederich dann dieRechtsgrundlagen des kirchlichen Archivwesens vor,darunter vor allem Can. 491, § 1 des Codex Iuris Canonici,der die Diözesanbischöfe verpflichte, „dafür zu sorgen,dass die Akten und Dokumente auch der Archive derKathedral-, Kollegial- und Pfarrkirchen sowie der anderenin seinem Gebiet befindlichen Kirchen sorgfältig aufbe-wahrt werden und das Inventarverzeichnis bzw. Katalogein zweifacher Ausfertigung abgefasst werden, von denenein Exemplar im eigenen Archiv und das andere Exemplarim Diözesanarchiv aufzubewahren sind.“ Ein Rundschrei-ben der deutschen Bischofskonferenz von 1997 über diepastorale Funktion der Archive weise in ähnliche Rich-tung, sei aber wohl von vielen Bischöfen „nicht gelesen“worden; es könne Kirchenarchivaren jedoch immer nochals Argument gegenüber sparwilligen Dienstherren die-nen.

Angesichts drängender Sparmaßnahmen empfahl Die-derich die Aufstellung eines Katalogs, der die Kernaufga-ben eines jedes Kirchenarchivs definieren und in ihrerRangfolge festschreiben sollte. Im möglichen Zielkonfliktzwischen Bestandserhaltung und Nutzung sprach er sicheindeutig zugunsten der Erhaltung aus, da ein ungeordne-tes Archiv niemandem nütze und unterbliebene Siche-rungs- und Verzeichnungsarbeiten später kaum nochnachgeholt werden könnten. Nötigenfalls müssten dafürauch Öffnungszeiten drastisch eingeschränkt werden.Trotz aller Sparmaßnahmen gebe es dann auch in derZukunft eine Chance für die Kirchenarchive, ihren Aufga-ben gerecht zu werden, da der rechtliche Rahmen intaktund tragfähig sei. Dr. Löhr bedauerte in der Diskussiondie häufige Verdrängung ausgebildeter Historiker durchVerwaltungs-Archivare auch im kirchlichen Bereich.

Kritisch setzte sich die aus Ersparnisgründen bereitsgekündigte Leiterin des Aachener Diözesanarchivs, Dipl.-Theol. Birgit Osterholt-Kootz, mit der gegenwärtigenLage dieses noch jungen Archivs (das heutige BistumAachen wurde erst 1930 gegründet) auseinander. Siewandte sich dabei gegen „vorschnelle Veränderungen“aufgrund von Ratschlägen „gutverdienender Organisati-onsberater“, da das beliebte „Abschneiden alter Zöpfe“sich nicht immer mit den Aufgaben eines Archivs ver-trage. Tatsächlich wüchsen dessen Aufgaben im kirchli-chen Bereich mit der zunehmenden Abgabe von Pfarrar-chiven und Archiven bischöflicher Verwaltungsstellen,die derzeit aufgelöst oder zusammengelegt werden, ehernoch an.

In einem ausführlichen Überblick über das BistumAachen als Archivlandschaft stellte Frau Osterholz-Kootzdie Geschichte des Bistumsarchivs mit seinen – historischbegründet – sehr heterogenen Beständen und seine derzei-tigen Aufgaben vor, zu denen auch die laufende Bearbei-tung des Diözesanschematismus, die Herausgabe einerinzwischen 50 Bände umfassenden Schriftenreihe undnicht zuletzt die Aufsicht über etwa 350 über das Bistumverstreute Pfarrarchive gehören, in denen bisweilen„grausige Zustände“ herrschten. Mancher an sich begrün-dete und zur Sicherung der Archivalien auch wünschens-werte Abgabewunsch müsse aus Personal- und Raum-mangel bereits zurückgewiesen werden. Die Öffnungszeitliege derzeit bei zwei Tagen in der Woche, und es sei zwei-felhaft, ob das bisher kostenlose Nutzungsangebot so auf-recht erhalten werden könne. Dennoch zeigte sich dieReferentin optimistisch dafür, dass das Aachener Bistums-archiv bei entsprechender Unterstützung die aktuellenHerausforderungen annehmen und die gesellschaftlichenUmbrüche der Zeit aufgrund seiner bisher „ausgezeichne-ten Leistungsbilanz“ auch in Zukunft werde meistern kön-nen.

Ein ganz anderes Bild ergab das Referat des Leiters desbelgischen Staatsarchivs in Eupen, Prof. Dr. AlfredMinke, über die Lage im belgischen Bistum Lüttich. Auf-grund französischen Rechts aus der Zeit der Revolutiongehören hier alle älteren Kirchenarchive dem Staat undwerden von den Staatsarchiven verwaltet. Später entstan-dene Archivalien bleiben Kircheneigentum, unterstehenjedoch, soweit sie Vermögensangelegenheiten der Kir-chenfabriken betreffen, wie diese selbst staatlicher Auf-sicht. Lediglich die sog. Kultusarchive, die religiöse undpastorale Angelegenheiten betreffen, stehen in rein kirchli-

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cher Zuständigkeit, obwohl die staatliche Gesetzgebung,etwa zum Datenschutz, natürlich auch für sie gilt.

Die Zusammenarbeit mit den Staatsarchiven ist in deneinzelnen belgischen Bistümern jedoch unterschiedlichintensiv. In Lüttich wird sie zurückhaltend gehandhabt;Pfarrarchive sollen möglichst nicht einem Staatsarchivoder einer Kommune übergeben werden, obwohl dazu diegesetzliche Möglichkeit besteht. Besonders im walloni-schen Teil des Bistums, wo der Antiklerikalismus traditio-nell stark ist, seien die Beziehungen zwischen Kirche undStaat auch im archivischen Bereich laut Prof. Minke eher„frostig“, so dass hier die Aufgabe der Staats- und Kom-munalarchive zunächst einmal darin bestehe, ein Vertrau-ensverhältnis zu den Pfarrern und Kirchenbehörden zuschaffen.

Anders stellt sich die Lage in den etwa 30 Pfarreien imdeutschsprachigen Teil des Bistums dar, dem auch deramtierende Bischof entstammt. Hier sei es seit 1989 gelun-gen, die bedeutendsten Pfarrarchive in das StaatsarchivEupen zu holen, wo sie sachgerecht verzeichnet und gege-benenfalls auch sicherungsverfilmt werden können. MitZuschüssen u. a. der belgischen Nationallotterie werdedafür ein eigener Mitarbeiter finanziert. Lediglich dasabgelegene Eifeldekanat St. Vith plane eine Sammlungund Verzeichnung am Ort, allerdings ebenfalls unterAssistenz des Eupener Staatsarchivs. Die Archive bleibendabei im Eigentum jeder Pfarrei, die jeweils einen „Archiv-verantwortlichen“ mit Schlüsselgewalt über die eigenenBestände benennt. Die nötigen Depositalverträge werdenstets gemeinsam ausgearbeitet und zunächst auf 25 Jahrebegrenzt. Die insgesamt positive Lage der Kirchenarchiveim deutschsprachigen Raum sei ein Beispiel dafür, was beigegenseitigem Willen zur Zusammenarbeit erreichbar sei.

In humorvoller Weise stellte Dr. Mart Bohnen, Bis-tumsarchivar aus Roermond, mit Hilfe im Publikum ver-teilter Comics die Lage in Niederländisch-Limburg vor.Hier stünden manche Pfarreien aus Geldmangel, aberauch mangels archivischen Interesses kurz davor, ihreArchive schlicht in die Papiermühle zu geben. Eine Über-tragung an die Staatsarchive, die auch möglich war, stießfrüher auf heftigen Widerstand der Kirche. Allzu oftwerde die Archivierung eines Dokuments auch noch als„Begräbnis“ und das Bistumsarchiv oder der Dachbodeneines Pfarrhauses als „letzte Ruhestätte“ betrachtet. Seit1979 wurde das Bistum daher in so genannte „Archivbe-zirke“ – entsprechend den Dekanaten – aufgeteilt, ein nun-mehr einheitliches Archivierungssystem (Registratur-pläne) entwickelt und systematisch mit der Sicherstellungvon Pfarrgemeindearchiven begonnen. Inzwischen wirdden Pfarrgemeinden sogar empfohlen, ältere Bestände indie Obhut des Reichsarchivs in Limburg zu geben undpfarrliche Umstrukturierungen zu nutzen, ihre altenArchive abzuschließen und einen völligen Neuanfangnach den Vorgaben des Bistums zu wagen. Das Bistumhofft dafür auf europäische Fördermittel aus dem Projekt„Metamorfoze“, um die fachmännische Betreuung auchder kleineren Pfarrarchive gewährleisten zu können. Bis-her hat jedoch erst ein Teil der Pfarrarchive von den Emp-fehlungen des Bistums Gebrauch gemacht.

Drs. Luis Augustus (Heerlen) und Frank Pohle M. A.(Aachen) stellten zum Schluss als praktisches grenzüber-schreitendes Projekt anlässlich einer Ausstellung dieZusammenführung der Überlieferung des ehemaligenAugustinerchorherrenstifts Roda (Rolduc) vor, die jahr-

hundertelang in mehreren Pfarrarchiven in Deutschlandund den Niederlanden, im Reichsarchiv Maastricht unddem Gemeindearchiv Kerkrade verstreut lag. Die teilsabenteuerliche Geschichte der einzelnen Archivsplitterstellt ein Musterbeispiel für die Folgen nationalstaatlicherGrenzziehung des 19. Jahrhunderts in der Überlieferungeines ehemals einheitlichen geistlichen Kleinterritoriumsdar.

Ihren Zweck, einen Überblick über die unterschiedli-chen Archivbedingungen und -strategien in den dreikatholischen Nachbardiözesen zu geben, konnte dieTagung vollauf erfüllen. Dass die oft entsagungsvolleArbeit der Kirchenarchivare in Zukunft auch wiederdadurch gewürdigt wird, dass ihnen die nötigen personel-len und sachlichen Mittel zur Verfügung stehen, mussdagegen der christlichen Tugend der Hoffnung anheimgestellt werden.

Kerpen Klaus Pabst

Das Archiv des Deutschen Historischen Instituts inRomDas 1888 gegründete Deutsche Historische Institut (DHI)in Rom, das älteste der historischen Auslandsinstitute derBundesrepublik, dient der Erforschung der italienischenund deutschen Geschichte, insbesondere der deutsch-ita-lienischen Beziehungen, vom Mittelalter bis zur Gegen-wart. Das dabei entstandene Schriftgut wird in einem eige-nen Institutsarchiv aufbewahrt. In ihm sind mit einem der-zeitigen Umfang von ca. 180 lfm sowohl die interne Ver-waltungstätigkeit als auch die wissenschaftliche For-schungsarbeit dieses renommierten Auslandsinstitutsund seiner Vorgängereinrichtungen dokumentiert. DieÜberlieferung wird durch zurzeit 26 Nachlässe und Nach-lasssplitter ergänzt. Sammlungsbestände, darunter wert-volle Photographiensammlungen, runden die Überliefe-rung ab.1 Zwischen Mai und Dezember 2005 hat der Autordieses Beitrags das Archiv grundlegend neu strukturiert,bereits vorliegende Findbücher überarbeitet, eine Archiv-software eingeführt und ausgewählte Bestände erstmalsverzeichnet. Zudem wurde eine Internetpräsenz konzi-piert und umgesetzt. Seit Januar 2006 werden die Arbeitenvon Andreas Göller weitergeführt. Der Beitrag möchtedas Projekt kurz darstellen und damit dieses bedeutendeArchiv einem breiteren interessierten Fachpublikumbekannt machen.

Geschichte des ArchivsDie Geschichte des Archivs des DHI als eigenständige Ein-richtung beginnt erst relativ spät, nämlich im Jahr 1974 mit

1 Aus den Beständen des Archivs sind bereits zahlreiche Beiträge zurGeschichte des Instituts erarbeitet worden. Vgl. etwa die Aufsatzsamm-lung zum 100-jährigen Jubiläum: Reinhard Elze/Arnold Esch (Hgg.):Das Deutsche Historische Institut in Rom 1888–1988, Tübingen 1990.Weiter Arnold Esch: L’Istituto Storico Germanico e le ricerche sull’etàsueva in Italia, in: Bulletin dell’Istituto storico italiano per il medio evo 96(1990), S. 11–17; Michèle Schubert: Auseinandersetzungen über Auf-gaben und Gestalt des Preußischen Historischen Instituts in den Jahren1900 bis 1903, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven undBibliotheken 76 (1996), S. 383–454; Arnold Esch: Die Gründung deut-scher Institute in Italien 1870–1914. Ansätze zu einer Institutionalisie-rung geisteswissenschaftlicher Forschung im Ausland, in: Jahrbuch derAkademie der Wissenschaften in Göttingen 1997, S. 159–188; Il registro dellacancelleria di Federico II del 1239–40, a cura di C. Carbonetti Venditelli, 2Bde., Rom 2002.

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dem Umzug des Instituts in ein neues Gebäude.2 Bis zudiesem Zeitpunkt war nicht zwischen kurrenter Registra-tur, Altregistratur und Archiv unterschieden worden. Imneuen Institutsgebäude wurde nun im Keller ein großzü-giger Magazinraum mit Klimaanlage und moderner Roll-regalanlage geschaffen. Ordnungs- und Verzeichnungsar-beiten wurden, da das Archiv keine eigene Mitarbeiter-stelle besitzt, in den folgenden Jahrzehnten über eine Viel-zahl von Projekten realisiert. Mit Schwankungen, abhän-gig von Jubiläen und Interessen der Institutsmitarbeiter,aber auch von der Verfügbarkeit geeigneter Projektbear-beiter, wurden ein Großteil der Bestände erschlossen.Daneben wurden neue archivische Sammlungen aufge-baut und eine beträchtliche Zahl von Nachlässen über-nommen. Im Frühjahr 2005 konnte der Verfasser also aufvorbereiteten, wenn auch unregelmäßig bestelltem Grundbeginnen.

Tektonik und BeständeDie Vielzahl der Bearbeiter hatte zu einem sehr heteroge-nen Erscheinungsbild der Findmittel geführt, eine aktuelleBeständeübersicht lag nicht vor. Es war also eine grundle-gende Neustrukturierung durch die Entwicklung eineraktuellen archivtheoretischen Maßstäben gerecht werden-den Archivtektonik zu leisten sowie ein einheitliches Sig-natursystem zu schaffen. Die neue provenienzgerechteBeständegliederung orientiert sich an der Entwicklungder Registraturen.3 Von der Gründung 1888 bis zur kriegs-bedingten Schließung im Jahr 1943 waren sämtliche Aktenin einer Gesamtregistratur verwaltet und abgelegt wor-den. Mit der Wiedereröffnung 1953 erfolgte die Trennungin Teilregistraturen. Unterlagen der Inneren Verwaltung,Direktoratsakten und die Vorgänge des wissenschaftli-chen Dienstes wurden gesondert abgelegt. Bereits seit1903 hatte auch die Bibliothek ihre Unterlagen in einereigenen Registratur verwaltet. Ab 1960 trat schließlich dieneu gegründete Musikgeschichtliche Abteilung hinzu.Entsprechend dieser Entwicklungen wurden verschie-dene Abteilungen geschaffen, die einzelnen Bestands-gruppen sind durch ein alphanumerisches Signatursys-tem leicht zu unterscheiden.4

In der I. Abteilung sind die Unterlagen der Gesamtregis-tratur von 1888–1945 vereinigt, die sich wiederum in dreiBestände – Ältere Registratur 1888–1915 und JüngereRegistratur 1924–1943 sowie Personalakten 1888–1936 –aufgliedern. Die nach 1953 geschaffenen Teilregistraturenfinden ihren Niederschlag in entsprechenden Bestands-gruppen der II. Abteilung: Direktoratsakten bilden zweiBestände, in der Bestandsgruppe „Wissenschaft“ sindneun Bestände vereinigt, darunter u. a. das Schriftgut derrenommierten Editionsunternehmen der „Nuntiaturbe-richte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken“und des „Repertorium Germanicum“. Die Innere Verwal-

2 Reinhard Elze: Das Deutsche Historische Institut in Rom 1888–1988, in:ders./Arnold Esch (Hgg.): Das Deutsche Historische Institut in Rom1888–1988, Tübingen 1990, S. 1–32, hier S. 24.

3 Grundlegend zuletzt Bodo Uhl: Die Bedeutung des Provenienzprinzipsfür Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, in: Zeitschrift für Baye-rische Landesgeschichte 61 (1998), S. 97–121.

4 Bestandsgruppen B (Bibliothek), D (Direktor), N (Nachlässe), R (Regis-tratur), S (Sammlungen), V (Innere Verwaltung) und W (Wissenschaft).Die großzügig konzipierten Magazin- und Regalflächen erlaubenzudem die getrennte Lagerung nach Provenienzen, was die Orientie-rung und Verwaltung deutlich erleichtert.

tung umfasst drei, die Musikgeschichtliche Abteilung unddie Bibliothek jeweils zwei Bestände.

In der III. Abteilung schließlich ist das Nachlass- undSammlungsschriftgut abgelegt. Exemplarisch seien ausdieser Abteilung einige herausragende Bestände genannt.Die Mehrzahl der derzeit 26 Nachlässe stammt von ehe-maligen Angehörigen des Instituts – von Direktoren, Mit-arbeitern, Stipendiaten. So verwahrt das Archiv die per-sönlichen Unterlagen des ersten NachkriegsdirektorsWalther Holtzmann (1891–1963) und des langjährigen stell-vertretenden Direktors Wolfgang Hagemann (1911–1978).Dabei handelt es sich größtenteils um wissenschaftlicheApparate (Materialsammlungen, Regesten, Transkriptio-nen, u. ä.), die auch noch für die gegenwärtige Forschungvon großem Wert sind. Daneben findet sich aber auch klas-sisches Nachlassschriftgut wie Briefwechsel, Tagebücheroder Photoalben. Zudem haben auch Nachlässe andererPersönlichkeiten ihren Weg ins Archiv gefunden. Hiersind insbesondere diejenigen der deutschen DiplomatenGerhard Wolf (1871–1971), zwischen 1940 und 1944 Leiterdes Konsulats in Florenz, und Heinz Holldack (1905–1971),ehemaliger Konsul in Neapel und nach dem Krieg Kultur-attaché der deutschen Botschaft in Rom, zu nennen.

Gegenwärtig acht Sammlungen ergänzen die Überliefe-rung. In einem umfangreichen Mischbestand ist aus unter-schiedlichsten Provenienzen zusammengetragenes Mate-rial zur Geschichte des Instituts (Archivalien, Abschriften,Kopien, Exzerpte) versammelt. Wertvolles Photomaterial,u. a. eine umfangreiche Sammlung von Negativen undgroßformatigen Positiven normannisch-italienischerUrkunden, die von dem am Kenyon College, Ohio, lehren-den Richard Salomon 1905 aufgenommen wordenwaren, aber auch viele Aufnahmen zur Geschichte desInstituts, sind in einem Photobestand zusammengetragen.Erwähnt werden muss schließlich die umfangreiche Zei-tungs- und Zeitschriftensammlung, die der Journalist undZeithistoriker Duilio Susmel (1919–1984) zur Geschichtedes italienischen Faschismus angelegt hatte und die 1976vom Institut erworben worden ist.

Die Ordnungs- und Verzeichnungsarbeiten beinhalte-ten schließlich auch begleitende Entmetallisierungs- undFoliierungsarbeiten sowie die Umlagerung in archivge-rechte, alkalisch gepufferte Mappen und Archivboxen.Insbesondere die wertvollen historischen Photographien,bei denen zum Teil bereits Schäden zu diagnostizierenwaren, wurden in entsprechende Spezialverpackungen(Pergaminschutzhüllen, Spezialboxen) umgebettet.

Archivsoftware und Internetauftritt

Für die Umsetzung der Beständegliederung und die Ord-nungs- und Verzeichnungsarbeiten war die Einführungeiner Archivsoftware notwendig. Bislang lagen Findbü-cher weitgehend nur maschinenschriftlich, ein kleiner Teilals Word-Dokumente vor. Die Entscheidung fiel für dasvon der Entwicklungsgemeinschaft PARSIFAL (Archiv-schule Marburg, Bundesarchiv und Landesarchiv Baden-Württemberg) entwickelte und gepflegte Verzeichnungs-programm MidosaXML. Ausschlaggebend war, neben derVerwendung eines nichtproprietären und damit zukunfts-sicheren Datenstandards (xml-Technologie), dass Mido-saXML sowohl die Ausgabe von Findbüchern in klassi-scher Druckversion als auch die Generierung dynami-scher online-Findbücher für den Zugriff über das world

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2198

wide web ermöglicht. Gerade für das Archiv eines Aus-landsinstituts ist ein möglichst einfacher Zugang zuBestands- und Erschließungsinformationen von zentralerBedeutung. Zudem bedient sich MidosaXML der aus denInternetbrowsern bekannten Baumstruktur als Präsentati-onsform, die eine komfortable Nutzung durch verschie-dene Navigations- und Verknüpfungsfunktionen undRecherchen auf verschiedenen Hierarchieebenen erlaubt.Archivalien sind sowohl über die Bestandsgliederung alsauch mittels gezielter Sucheingaben zu ermitteln.5 Da eineÜberführung der oft sehr umfangreichen maschinen-schriftlich oder als Word-Datei vorliegenden Findmittel inMidosaXML nicht möglich und eine Neuverzeichung allerBestände weder sinnvoll noch leistbar war, wurde folgen-der Weg beschritten. Alle maschinenschriftlichen Findmit-tel wurden eingescannt, ggf. korrigiert, im Layout ange-passt und als PDF-Dateien gespeichert. Die meist nur ineinem Exemplar vorliegenden Findmittel wurden so zumeinen gesichert und zum andern für die Internetpräsenta-tion verfügbar gemacht. Sie sind nun zudem deutlichkomfortabler über Volltextrecherche benutzbar (OCR-Ver-fahren).

Für die Internetpräsenz des Archivs wurde auf derhomepage des DHI eine eigene Rubrik eingerichtet.6 Siegliedert sich in drei Abschnitte, die knapp Aufgaben,Bestände und Benutzungsbedingungen des Archivs erläu-tern. Ein Link führt zu der mit MidosaXML generiertenBeständeübersicht. Aus dieser sind wiederum über Linksdie einzelnen Bestandsfindbücher (dynamische Mido-saXML-Findbücher für die neu erschlossenen Bestände,PDF-Dateien für die älteren) aufrufbar. Mit Hilfe vonMidosaXSearch kann findbuchübergreifend, in den einzel-nen Findbüchern über die jeweilige Suchfunktion find-buchintern recherchiert werden. Damit sind sämtliche bis-lang erschlossene Bestände des Archivs online verfügbar.7

Zugang und BenutzungAuf die Frage der verwaltungsrechtlichen Stellung desInstituts und damit auch des Archivs kann an dieser Stellenicht weiter eingegangen werden.8 Die Satzung der Stif-tung Deutsche geisteswissenschaftliche Institute im Ausland(DGIA), zu der das DHI Rom seit 1. Juli 2002 gehört, äußertsich nicht zu den Benutzungsbedingungen für Institutsar-chivgut.9 Für die Ausarbeitung der neuen Benutzungsord-nung wurden daher ersatzweise die Regelungen des Bun-desarchivgesetzes (BArchG) zu Grunde gelegt. Dies schienauch deshalb sinnvoll, weil das Archivgut zwischen 1953und 2002 auf Grund der Zuordnung des DHI zu verschie-denen Bundesministerien bereits nach den Bestimmungen

5 Ausführliche Informationen und technische Details unter http://www.archivschule.de/content/108.html.

6 Seit Anfang Dezember 2005 online unter http://www.dhiroma.it/archiv.html.

7 Alle Findbücher, neu erstellte wie alte gescannte, und eine ausführlichekommentierte Beständeübersicht liegen im Archiv zudem in herkömm-licher Print-Version vor. Die kommentierte Übersicht der Bestände wirdauch publiziert im Anhang zu Karsten Jedlitschka: Das Archiv desDeutschen Historischen Instituts in Rom, in: Quellen und Forschungen ausitalienischen Archiven und Bibliotheken 86 (2006) (erscheint Ende 2006).

8 Im Laufe seiner wechselvollen Geschichte stand das Institut in unter-schiedlichen Zuständigkeitsbereichen, zuletzt war es dem Bundesminis-terium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie zugeord-net. Detailliert dazu Jedlitschka (wie Anm. 7).

9 Vgl. § 1 Abs. 4 Satzung der Stiftung DGIA, auf der Grundlage des Geset-zes zur Errichtung einer Stiftung Deutsche GeisteswissenschaftlicheInstitute im Ausland („Errichtungsgesetz“) vom 20. 6. 2002.

des BArchG benutzt werden konnte. Eine wissenschaftli-che Benutzung ist also wie bisher auf Antrag kostenlosmöglich. Da bislang nicht vorliegend, wurden schließlichfür zukünftige Benutzungen Formularmuster eines Benut-zungsantrags sowie von Verpflichtungserklärungen zumSchutze der Persönlichkeitsschutzrechte Betroffener undDritter sowie zur Einhaltung der Bestimmungen desGesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte(Urheberrechtsgesetz) ausgearbeitet.10

Halle Karsten Jedlitschka

10 Auch abrufbar unter http://www.dhi-roma.it/archiv.html.

Großbritannien„Keeping it simple“ – das englische Retrokonversions-programm A2A tritt in seine 4. ProjektphaseArbeitsbesuch bei The National Archives, KewDie Zahlen allein sind beeindruckend: fast 9 Mio. Ver-zeichnungseinheiten aus 395 englischen Archiven sind inder online-Datenbank des Projektes Access to Archives(A2A) nachgewiesen. Die Datensätze stammen aus insge-samt etwa 1 Mio. Seiten analoger Findmittel, die seit Pro-jektbeginn im Jahr 2000 digitalisiert worden sind. 7,9 Mio.mal wurde die Webseite bislang genutzt und dabei 18,9Mio. Katalog-Downloads durchgeführt – im Schnitt alsomehr als zwei verschiedene Findmittel pro Recherche kon-sultiert.

Mit dem Ende der dritten Projektphase im August 2005tritt nun A2A in eine neue Phase mit veränderten Zielrich-tungen ein. Ziel ist nun die Einbettung der Findmittelkon-version in ein Gesamtkonzept zur Verbesserung und Ver-einheitlichung der digitalen Dienstleistungen der briti-schen Archive. Einhergehend mit der neuen Zielsetzungwurde auch der Name geändert: Das Projekt firmiert nununter dem Namen Archives 4 All als Teil der neuen Initia-tive aUK (Archives UK).

Vor diesem Hintergrund bot ein Arbeitsbesuch im Rah-men der beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen ange-siedelten DFG-Vorstudie „Retrokonversion archivischerFindmittel“ im Januar 2006 Besuchern wie Gastgebern dieGelegenheit, die bisherigen Arbeiten im Projekt einzu-schätzen, neue Perspektiven auszuloten und die engli-schen Erfahrungen für eine in Deutschland anzustrebendebundesweite und archivspartenübergreifende Initiativezur Konversion von Findmitteln fruchtbar zu machen.1

Dazu standen in der Projektzentrale – angesiedelt bei TheNational Archives in Kew bei London – mit Alison Webs-ter, Bill Stockting und Monica Halpin die archivfach-lich verantwortlichen Projektkoordinatoren und mit Matt-hew Hillyard zusätzlich der leitende technische Mitar-beiter Rede und Antwort.

Schon in den einleitenden Anmerkungen der füronline-Dienste verantwortlichen Direktorin des engli-schen Nationalarchivs, Alison Webster, wurde als zen-traler Aspekt des Projekts die pragmatische Herangehens-weise herausgestellt. „Keeping it simple“ – dieser Ge-danke bestimmte und bestimmt die Ausgestaltung vonA2A auf allen Ebenen, wie unsere Gesprächspartner in

1 Weitere Informationen zur DFG-Vorstudie finden sich unterhttp://www.archive.nrw.de/findbuch-digital/.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 199

ihren Darstellungen der einzelnen Projektaspekte immerwieder deutlich machen konnten.

Für Bill Stockting, der als Senior Editor die archivischeGesamtverantwortung für das Projekt trägt, ist der ange-sprochene Pragmatismus die Konsequenz der Projektge-schichte. Eingerichtet als eine temporäre Institution unterder Ägide des National Council on Archives (NCA) und desMuseums, Libraries and Archives Council (MLA) bestand diestrategische Zielrichtung des Programms von Anfang andarin, gerade den kleineren öffentlichen wie privatenArchiven den Zugang zur digitalen Welt zu eröffnen.2 DasZiel war also, einen gemeinsamen Zugang zu den Find-mitteln einer sehr heterogenen Gruppe von teilnehmen-den Archiven (von größeren, auch bereits weitgehenddigital operierenden County Record Offices oder gar denArchivabteilungen der British Library bis zu kleinen Kir-chenarchiven und Privatsammlungen, bisweilen nochohne Netzzugang) zu schaffen. Das englische Nationalar-chiv sah seine Rolle dabei nur als Bündelungs- und Ser-viceagentur.

Dieses Vorhaben ließ sich nur umsetzen, indem manmöglichst pragmatisch die Heterogenität der vorhande-nen Erschließungsarbeiten in einen Mindeststandardüberführte, der eine gemeinsame Recherche in den Find-mitteln sicherstellte. Die für das Projekt verbindlichen Vor-gaben für die formale Gestaltung der zu konvertierendenFindmittel umfassen folglich nur einen kleinen Teil der beiISAD(G) vorgesehenen Kategorien, ebenso wie die Prä-sentation in einem konsequent auf die Bedürfnisse herun-tergebrochenen (und teilweise leicht verändertem) EAD-Format geschieht.

Auch bei der Organisation der Konversion selbst ist dasZiel immer eine möglichst schlanke Struktur, wie MonicaHalpin und Bill Stockting in der Folge ausführten. DieKoordination des Konversionsprozesses übernimmt ein sogenanntes „Central Team“, dessen Infrastruktur und Per-sonal von etwa acht Mitarbeitern vom Nationalarchivbereitgestellt wird.3 Am Anfang des Prozesses steht in vie-len Fällen die Suche nach einem Sponsor für ein Konversi-onsprojekt (im Fall von A2A meist der Heritage LotteryFund – HLF).4 Das „Central Team“ unterstützt dabei dieteilnehmenden Archive bei der Erstellungen eines tragfä-higen Geschäfts- und Finanzierungsplanes und begleitetdie oft nicht triviale Antragstellung beim HLF.

Ist die Finanzierung gesichert, schult der für das jewei-lige Projekt zuständige Editor des „Central Team“ die teil-nehmenden Archivare im „Mark-up“, der für die Konver-sion notwendigen Markierung der einzelnen Findbuchbe-standteile und Erschließungsinformationen mit Textmar-kern. Das so vorbereitete Findbuch(-duplikat) wird inPapierform an das „Central Team“ versandt, dort nocheinmal überprüft und dann an die Digitalisierungsdienst-leister in Übersee verschickt – gegenwärtig wird auf Mau-ritius konvertiert. Der Digitalisierungsdienstleister istdurch Rahmenverträge mit dem „Central Team“ an eine

2 Das damals noch selbständige Public Record Office hatte bereits selbstän-dig die Digitalisierung seines Gesamtkataloges (damals PROCAT, nunThe Catalogue) angestoßen.

3 Zwar werden die Kosten für die Arbeiten des „Central Team“ von gegen-wärtig 22 p/Findbuchseite erhoben und ausgewiesen, gleichzeitig aberwiederum durch das Nationalarchiv als Sachbeihilfe („partnership con-tribution“) getragen.

4 Die Nutzung der Projektinfrastruktur für selbst finanzierte Projekte istebenso möglich, geschieht zu denselben Konditionen und wird rege inAnspruch genommen.

festgelegte Preisstruktur pro Findbuchseite gebunden.5

Diese Konditionen (inklusive der Arbeiten des „CentralTeam“) stehen auch für selbstfinanzierte Projekte zur Ver-fügung, eine Option, von der rege Gebrauch gemachtwird. Das Digitalisierungsunternehmen ist in der Wahlseines Verfahrens frei; eine Festlegung besteht nur hin-sichtlich der Kosten, der turnaround-Zeit (gegenwärtigetwa vier Wochen nach Versendung des Findbuchs), desAusgabeformats (EAD-XML) und des Korrektheitsgrades(99,95% korrekte Zeichen).

Nach Beendigung der Konversion in Übersee wird dieXML-Instanz beim „Central Team“ einigen Prüfungenunterzogen, für das Internet aufbereitet und in die online-Datenbank eingestellt.6 Das analoge Findbuch und – wenngewünscht – eine für die verwendete Archivsoftwarenutzbare Kopie der XML-Instanz werden an das teilneh-mende Archiv übersandt, das seinerseits eine genauereKontrolle seiner konvertierten Daten an der bereits einge-stellten Datenbank durchführen soll.7 Revisionswünschewerden gegebenenfalls eingepflegt.

Wird also der Organisations- und Arbeitsaufwand fürdie eigentliche Konversion auf das Notwendigstebeschränkt, so wird gleichzeitig der Veröffentlichung derProjektergebnisse große Wichtigkeit zugemessen. Die Ein-stellung des konvertierten Findmittels in die online-Datenbank von A2A ist für die teilnehmenden Archiveselbstverständlich verpflichtend, ebenso aber auch derBericht über die erfolgte Konversion auf fachlicher Ebenewie für die Öffentlichkeit. A2A reagiert damit auch auf daszunehmende öffentliche Interesse an den Archiven alsHort der eigenen Geschichte (oft, aber keineswegs aus-schließlich heimat- oder familiengeschichtlich motiviert),das seit einigen Jahren in Großbritannien zu beobachtenist. Besonders eklatant wurde die neue Prominenz derArchive im öffentlichen Bewusstsein in Zusammenhangmit der immens erfolgreichen BBC-Serie „Who Do YouThink You Are?“, die zu stark steigenden Zugriffszahlenauf archivische Internetangebote (A2A ebenso wie etwabeim Nationalarchiv selbst) und dauerhaft höheren Benut-zerzahlen in den Archiven geführt hat.8

Auch auf der technischen Ebene bestimmt die Suchenach dem einfachen, schlanken Verfahren das Bild, wieuns Matt Hillyard in seinem abschließenden Bericht schil-derte. Einfache Perl-Skripte übernehmen in der ZentralePlausibilitätsprüfungen, die Validierung der XML-Instan-zen und notwendige globale Suche-Ersetze-Vorgänge. DerUpload erfolgt nach einer weiteren Stufe der semiautoma-tischen Bearbeitung der Instanz in die XML-basierteDatenbank TeXtML des amerikanischen Herstellers ixia-soft. Die Verwendung von zunächst SGML und dann XMLals Speicher-, Austausch- und Präsentationsformat hatsich das „Central Team“ von Anfang auf die Fahnengeschrieben, um Migration, Konversion und Zukunftssi-

5 Je nach Zustand des analogen Findbuchs kostet die Seite zwischen £ 1,05und £ 2,00 zuzüglich 3 p für den Versand.

6 Die A2A-Datenbank ist recherchierbar unter hhtp://www.a2a.org.uk/search/index.asp.

7 Da die Ansprüche des Digitalisierungsdienstleisters bereits nach erfolg-ter Prüfung beim „Central Team“ beglichen werden, müssen bei berech-tigten Klagen der teilnehmenden Archive die Korrekturarbeiten durchdas „Central Team“ selbst durchgeführt werden. Dieser Fall ist aller-dings bislang kaum aufgetreten.

8 http://www.nationalarchives.gov.uk/news/stories/94.htm?homelink=news, verweisen auf einen Anstieg der Benutzung der Website um 74%.Gegenwärtig (23. 1. 2006) halten Nationalarchiv und A2A Extraangeboteaus Anlass der zweiten Staffel von „Who Do You Think You Are?“ vor.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2200

cherheit durch Verwendung eines flachen, nicht proprietä-ren Standards sicher zu stellen, eines Standards dazu, dersich in Großbritannien wie in Deutschland in nahezu allenBereichen der öffentlichen Verwaltung durchsetzt unddurch einfache Mappings auch internationalen Datenaus-tausch sicherstellt.

Beeindruckend an dem gesamten Verfahren war dieRoutine, die in London entwickelt worden ist, die erfolg-reiche Einbindung aller Archivsparten sowie der konse-quente Fokus auf das Schaffen von „Masse“ bei den digitalzugänglichen Erschließungsinformationen. Die schlankenStrukturen und der weitgehende Verzicht auf Eingriffe inden Prozess durch die Zentrale im Zusammenhang miteinem zuverlässigen und leistungsstarken Dienstleisterstellt die hohe Effizienz des Gesamtvorhabens sicher – diebegleitende gründliche Öffentlichkeitsarbeit sichert dazudie Akzeptanz der notwendigen Ausgaben ab und sorgtfür die intensive Nutzung der digitalen Findmittel.

So aufgestellt, „lean“, aber gleichzeitig mit einem offe-nen Blick für die Bedürfnisse der Nutzer digitaler Findmit-tel,9 dürfte auch die nun begonnene vierte Projektphase

9 „User studies“ sind seit Anfang des Jahrtausends ein wichtiger Bestand-teil der strategischen Ausrichtung insbesondere des englischen Natio-nalarchivs, vgl. etwa Anne Sexton, Chris Turner, Geoffrey Yeo und

für das Team von A2A ein Erfolg werden. Wenn der Fokusdabei zusätzlich auf einer Integration der im VereinigtenKönigreich bestehenden Archivportale10 in ein gemeinsa-mes Portal mit dezentraler Datenhaltung liegt, so ist auchdas nicht mehr und nicht weniger als die konsequenteUmsetzung des bislang so erfolgreichen Mottos von A2A:„Keeping it simple“.

Münster/DüsseldorfUlrich Fischer/Wilfried Reininghaus

Susan Hockey, Understanding Users. A prerequisite for developingnew technologies, in: Journal of the Society of Archivists 25-2 (2004),S. 33–49; Elizabeth Hallam-Smith, Customer Focus and Marketing inArchive Service Delivery. Theory and practice. In: Journal of the Society ofArchivists 24–1 (2003), S. 35–53, und mit deutlicher Ausrichtung auf dieOnline-Dienste: Amanda Hill, Serving the Need of the InvisibleResearcher. Meeting the needs of online users, in: Journal of the Society ofArchivists 25–2 (2004), S. 139–148. Auch A2A führt häufig Untersuchun-gen zum Nutzerverhalten und den Wünschen der Benutzer durch.

10 Im Einzelnen geht es um die Portale des schottischen ArchivnetzwerkesSCAN (http://www.scan.org.uk/), der Nationalarchive von Englandund Schottland, der Nationalbibliothek von Wales und des Public RecordOffice von Nordirland, des (bereits dezentral operierenden) Netzwerksder Hochschularchive Archives Hub (http://www.archiveshub.ac.uk),der Kooperation von Archiven des Großraums London (AIM 25:http://www.aim25.ac.uk/) und weiterer Partner.

Literaturbericht

Die Ära Adenauer 1949–1963. Hrsg. von Hans-DieterKreikamp. Wissenschaftliche Buchgesellschaft,Darmstadt 2003. 309 S., geb. 79,– C.(Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19.und 20. Jahrhundert, Freiherr-vom-Stein-Gedächtnis-ausgabe, Band XI.)

Konrad Adenauer war kein abstrakter politischer Denker, son-dern ein nüchterner Pragmatiker, der zwar über feste politischeGrundüberzeugungen verfügte, aber ohne weiteres in der Lagewar, die konkreten Ziele und Methoden seines politischen Han-delns den jeweiligen Umständen und Möglichkeiten anzupassen,ohne freilich darüber zum politischen Opportunisten zu werden.Damit hat Adenauer der ersten langen Dekade der bundesrepu-blikanischen Geschichte nicht nur seinen Namen gegeben, son-dern auch ihren politischen Stil maßgeblich geprägt. Der Bandvon Hans-Dieter Kreikamp, erschienen in der Reihe „Quellenzum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhun-dert“, belegt, dass die ersten Jahre der bundesdeutschenGeschichte keine Zeit der großen Denkschriften und Entwürfewaren. Die 50er Jahre waren eine Zeit der Reden, Vorträge, Erklä-rungen und Presseartikel.

34 Texte hat Kreikamp zusammengestellt, die einen gutenÜberblick über die zentralen Fragen und die wesentlichen Posi-tionen zu diesen Fragen bieten. Die meisten Dokumente wurdenbereits früher veröffentlicht – dies gehört zu den Merkmalen derFreiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe –, einige wenige Texteaus den Beständen des Bundesarchivs und des Archivs der sozia-len Demokratie werden hier erstmals im Druck publiziert.

Es sind natürlich die großen Themen der Zeit, die sich in denDokumenten wiederfinden. Breiten Raum wird der DeutschenFrage eingeräumt. Sie bildete, offen oder unausgesprochen, denHintergrund vieler insbesondere außen- und sicherheitspoliti-scher Debatten, die gerade deshalb so kontrovers geführt wurden,weil etwa die Fragen der Westbindung und Einbindung der Bun-desrepublik in die sicherheitspolitischen Strukturen des Westens

so weitreichende deutschlandpolitische Implikationen besaßen.Die Fronten waren hier lange Zeit klar, auch wenn die von Ade-nauer geführte CDU/CSU und die SPD in der zweiten Hälfte der50er Jahre bis zu einem gewissen Grad die Plätze tauschten. Hattezunächst Adenauer, scharf von der SPD und den nationalliberalgeprägten Kreisen der FDP kritisiert, die WiedervereinigungDeutschlands strategisch hinter die Einbindung der Deutschen indie westliche Wertegemeinschaft zurückgestellt, verdächtigtespäter Adenauer die SPD, die deutsche Einheit der Entspan-nungspolitik nachzuordnen. Das Spektrum der Positionen undMeinungen decken im Rahmen der Dokumentation auf Regie-rungsseite neben Adenauer Jakob Kaiser, Eugen Gerstenmaierund Walter Hallstein ab, während auf Seiten der Kritiker außerErnst Reuter, Paul Sethe und Marion Gräfin Dönhoff vor allenanderen Herbert Wehner zu Wort kommt.

Die Außen- und Europapolitik waren die Hauptarbeitsfelderdes Bundeskanzlers, die er auch nach der Bestellung Heinrich vonBrentanos fest in der Hand behielt. Kein Wunder also, dass Aden-auer auch in den Texten seiner Kritiker und Gegner eine zentraleRolle spielt. Weniger präsent war er in den Diskussionen über dieWirtschafts- und Sozialpolitik; hier werden Texte von KarlArnold, Jakob Kaiser und Ludwig Erhard abgedruckt.

CDU und CSU belegt Kreikamp in seiner Einleitung mit denvielfach zitierten, aber dennoch durchaus diskussionswürdigenEtiketten „Staatspartei“ und „Kanzlerwahlverein“. Folgerichtigbeschäftigen sich die Texte zur Entwicklung der politischen Par-teien nahezu ausschließlich mit der Programmatik der SPD.

Das weite Feld der Innenpolitik kann Kreikamp selbstver-ständlich nur mit wenigen Schlaglichtern beleuchten. Dazu gehö-ren eine Rede von Theodor Heuss über Stilfragen der Demokratieebenso wie ein Rundfunkvortrag von Karl Jaspers über „DieAtombombe und die Zukunft des Menschen“ und der Spiegel-Artikel von Conrad Ahlers „Bedingt abwehrbereit“, der die Spie-gel-Affäre auslöste.

Der einleitende Essay steckt den thematischen Rahmen derDokumentation ab und bildet den roten Faden, der die 34 Doku-

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 201

mente in ihren historisch-politischen Kontext stellt und damitgleichzeitig die Auswahl der Texte begründet.

Koblenz Michael Hollmann

Archivalische Zeitschrift. Hrsg. von der Generaldi-rektion der Staatlichen Archive Bayerns.

86. Band. Schriftleitung: Albrecht Liess. Böhlau Verlag,Köln – Weimar – Wien 2004. 439 S. mit einigen Abb.,geb. 49,90 C.

87. Band. Schriftleitung: Gerhard Hetzer. Böhlau Verlag,Köln – Weimar – Wien 2005. 328 S. mit einigen Abb.,geb. 39,90 C.

Im Vorwort zum 86. Band der Archivalischen Zeitschrift danktder Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns HermannRumschöttel dem bisherigen Schriftleiter Albrecht Liess, der dieZeitschrift nach einer zehnjährigen Pause des Erscheinens im Jahr1992 gleichsam wiederbelebt und seitdem mit Geschick undErfolg betreut hat. Mit dem Erscheinen des 87. Bandes hat Ger-hard Hetzer diese verdienstvolle Aufgabe übernommen.

Jeder Band enthält zehn Beiträge. Einen quantitativen Schwer-punkt bilden jeweils „archivpraktische“ Aufsätze. Diese durch-weg lesenswerten Beiträge zur „materiellen Wirklichkeit“ derArchive markieren auch qualitativ die große Stärke dieser Zeit-schrift. Das, was man „archivische Erfahrungswissenschaft“ nen-nen könnte, gibt ihr Gewicht.

Die Charakterisierung, Geschichte und Bearbeitung verschie-dener archivalischer Überlieferungen behandeln drei Beiträge inBand 86: W. H. Stein gibt einen Überblick über die „Kataster-und Matrikelbestände der Grundsteuer in den deutschen Territo-rialstaaten des Alten Reichs in der frühen Neuzeit“. W. Wagen-höfer beschreibt das „Schicksal der Archivalien der Zisterzien-serabtei Ebrach seit der Säkularisation“, d. h. ihre Aufteilung nachLagerungsorten bis hin zur Zusammenführung, Bestandsrekons-truktion und Erschließung im Staatsarchiv Würzburg. Die Ergeb-nisse eines gemeinsamen Erschließungsprojekts von StadtarchivMannheim und Generallandesarchiv Karlsruhe, welches dasArchivgut des „kurpfälzischen und badischen Vormundschafts-wesens“ und die „Mannheimer Verlassenschaftsakten“ zumGegenstand hat, stellt Ch. Popp vor.

In Band 87 sind es insgesamt fünf Beiträge, die auf Überliefe-rungen eingehen: M. Unger berichtet über „Das bayerischeStaatsministerium für Handel, Industrie und Gewerbe“, P. Mar-cus über „Die preußischen Volksschullehrerseminare und ihreÜberlieferung im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbe-sitz“. Entstehung und Quellenwert der „Testamente der Reichs-stadt Regensburg aus Spätmittelalter und Früher Neuzeit“ wer-den von Th. Paringer und O. Richard behandelt. Zwei der fünfBeiträge beschäftigen sich mit den Auswirkungen und Folgen desZweiten Weltkriegs für die Archive zweier bedeutender Städte:D. Heckmann beschreibt die „Wiederherstellung eines verlore-nen Archivs – das Beispiel des Stadtarchivs Königsberg“, wobei esm. E. in weiten Teilen eher um die „Vorstellung des Verlusts“denn um die eigentliche Restitution gehen kann. Über das Stadt-archiv Tallinn (Reval), seine Geschichte und Bestände, die Rück-gabe von Archivgut im Jahr 1990 und den Aufschwung der dorti-gen Stadtgeschichtsforschung berichtet U. Oolup.

Zur Archivpraxis gehören ganz wesentlich Archivbau und-technik, zwei Beiträge finden sich dazu in Band 86: M. R. Sag-stetter fasst die neueren Entwicklungen auf dem Gebiet der Kli-matisierung von Archivgebäuden in Deutschland zusammen.H. Lambacher beschreibt die wichtigen Fortschritte, die dasStadtarchiv Münster mit seinem neuen Dienstgebäude in der„Speicherstadt“ erreichen konnte. Ein im Beitrag unausgespro-chener Wermutstropfen bleibt: In diesem wie in anderen Fällenmag die Finanzierung des Archivgebäudes über einen „privatenInvestor“ zunächst einmal Luft schaffen; wie sich derartige Kos-tenverschiebungen in der Zukunft nach Ablauf der Mietverträgeauswirken, ist freilich abzuwarten. In Band 87 beschreibenU. Höroldt und A. Erbacher den Wandel „Vom Schloss zumWasserturm“ und zum neuen Archivgebäude der Abteilung Des-sau des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt.

Jeweils ein Beitrag pro Band wendet sich einer Persönlichkeitzu, die für das Archivwesen von herausragender und bleibenderBedeutung ist: In Band 86 zeichnet H. Bannasch („Von der Mal-kunst zur Wasserzeichenkunde“) Weg und Werk des Wasserzei-chenforschers Gerhard Piccard nach. S. Zibell erinnert inBand 87 an die Rolle, die Ludwig Bergsträsser für Archivwesenund zeithistorische Forschung in der Weimarer Zeit und der frü-hen Bundesrepublik spielt.

Eher am Rande der „Archivpraxis“ stehen die Beiträge vonJ. Treffeisen in Bd. 86 und R. N. Readi in Bd. 87. Den Hinwei-sen Treffeisens zur „Planung und Durchführung von archivischenErschließungsprojekten“ fehlt es nicht an richtigen (und z. T. aucheher selbstverständlichen) Ausführungen samt Definitionen und„Checkliste“, doch bleiben grundsätzliche Aspekte unreflektiert:Bei welchen Mengen von Archivgut ist denn überhaupt ein sol-cher Planungsaufwand gerechtfertigt? Wie verhält sich die immernoch vorhandene Linienorganisation eigentlich zu Projekten? –Der Artikel von Readi, „Findmitteldatenbanken. Ein Beitrag zurErschließung hybrider Akten“ beginnt vielversprechend mitgrundsätzlichen Aussagen zu Findbuchtexten und Datenbanken,beschreibt anschließend jedoch ein recht kompliziertes, eher„hybrides“ Verfahren. Wer moderne IT-Verfahren für konventio-nelles, digitalisiertes oder digital entstandenes Archivgut konse-quent und angemessen nutzen will, sollte sich jedoch von den ver-trauten Einschränkungen der Papierfindbuchwelt lösen. Ob diehier geschilderte Erschließung „hybrider Akten“ effizient mög-lich ist, wird sich zeigen.

Eine gewisse Sonderstellung besitzt in Band 87 der Beitrag vonL. Biewer über „Das Politische Archiv des Auswärtigen Amts.Plädoyer für ein Ressortarchiv“. Hier geht es im engeren Sinn umArchivpolitik. Dass das Auswärtige Amt – aus Tradition – eineigenes Archiv hat, ist eine Tatsache. Die Begründung hierfürkann – im Zeitalter der viel beschworenen Synergie-Effekte –m. E. jedoch kaum noch darin liegen, dass „der jederzeitige Rück-griff auf die eigenen Akten im eigenen Haus mit eigenem Fach-personal die beste und effizienteste Lösung“ sei – bekanntlich gibtes ein sehr effizientes Zwischenarchivsystem für alle übrigenBundes-Ressorts.

Relatives Gewicht genießt die Archivtheorie in Band 86. Offen-sichtlich reizt dieses Terrain immer wieder zu ambitioniertenAnsätzen, was grundsätzlich auch zu begrüßen ist. Kritisch zuhinterfragen bleibt freilich, wieweit diese Ansätze ihren innerenAnspruch und die hervorgerufene Erwartung für die Sphäre desarchivischen Handelns einzulösen vermögen. Den Aufsätzen vonG. Leidel „Über die Prinzipien der Herkunft und des Zusam-menhangs von Archivgut“ wie von R. Meier „Niklas LuhmannsSystemtheorie und die Erschließung von Archivgut des Alten Rei-ches“ gelingt dies wohl nur bedingt.

Eine erfreuliche Bereicherung ist in Band 86 der Beitrag derSinologin V. Wagner über „Archive am chinesischen Kaiserhof“:Sie gibt Einblick in die Praxis einer fremden Archiv-„Kultur“ undihr mit manifesten Herrschaftsinteressen verbundenes Ge-schichtsverständnis.

Zum Schluss bleibt die besonders angenehme Pflicht, kurz aufden Beitrag von P. Dohms „Der Archivar. Mitteilungsblatt fürdeutsches Archivwesen – Werdegang und Profil einer wissen-schaftlichen Fachzeitschrift“ in Band 87 einzugehen. Rückblickund Reflexion bedürfen ein wenig der Distanz; und daher lässtDohms, der die Federführung bei der Schriftleitung des „Archi-var“ mit dem Ende seiner aktiven Dienstzeit abgeben wird, wohlseine Darstellung bei der „Konkurrenz“ erscheinen. Der Beitragbeschreibt die Entwicklung der Zeitschrift von der Lizenzierungseitens der britischen Militärregierung bis hin zur Online-Veröf-fentlichung, macht Kontinuitätslinien ebenso wie Anlässe not-wendiger Modernisierung bewusst und weist auf ihre Bedeutungfür die nationale wie internationale Fachdiskussion hin. P. Dohmshat seinen gewichtigen Anteil an dieser „ausgesprochenenErfolgsgeschichte“. Anne Burke vom „Archives Library Informa-tion Center“ bei der National Archives and Records Administra-tion in College Park in Maryland/USA, teilte am 29. April 2004dem Schriftleiter mit, „dass wir uns sehr freuen, Ihre Zeitschrift zuerhalten. Viele unserer Deutsch sprechenden Archivare lesen siehäufig. Viele andere Länder senden uns ihre Zeitschriften, erwe-

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2202

cken aber kein Interesse, weder bei unseren Mitarbeitern noch beiunseren Forschern.“

Freiburg/Br. Edgar Büttner

Archive auf dem Markt? Vermarktung und Ver-waltung archivischer Dienstleistungen. Vor-träge im Rahmen des 63. Südwestdeutschen Archivtagsam 17. Mai 2003 in Ludwigshafen am Rhein. Eine Publi-kation der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg.Hrsg. von Nicole Bickhoff. Verlag W. Kohlhammer,Stuttgart 2004. 65 S., kart. 7,– C.

Im Zuge zunehmender Ökonomisierung öffentlicher Verwaltungkönnen sich die vormals in der Regel gut abgeschotteten Archivenicht mehr länger betriebswirtschaftlichen Prinzipien und einerin gewissem Sinne „marktfähigen“ Ausrichtung ihrer Produkteentziehen. Archive müssen sich mehr denn je sowohl nach innenals auch nach außen, gegenüber der eigenen Verwaltung undihren externen Kunden mit guten Produkten behaupten. Die vonder Landesarchivdirektion vorgelegte Broschüre bietet zu dieseraktuellen Thematik eine überwiegend an der Praxis orientierteAuswahl von Beispielen, wie und mit welchem Selbstverständnisöffentliche und private Archivdienstleister dieser neuartigenHerausforderung zu begegnen versuchen.

So zeigt Irmgard Christa Becker (S. 15–22) am Beispiel destraditionell bescheiden ausgestatteten Stadtarchivs Saarbrücken,wie durch Standardisierung von Arbeitsverfahren, die Vernet-zung und Einbeziehung verschiedener Verwaltungsdienststellenund die kreative Handhabung des städtischen HaushaltsrechtesArchivarbeit sich rationeller und kostengünstiger, damit aberauch effektiver und effizienter gestalten lässt. Das StadtarchivMannheim profiliert sich, wie der Beitrag von Christoph Popp(S. 23–30) eindrucksvoll zeigt, als interner wie externer Dienstleis-ter auf dem bei Verwaltungsorganisatoren zunehmend schwin-denden, im archivischen Selbstverständnis geradezu jedochlebenswichtigen Aufgabenfeld der Schriftgutverwaltung und desDokumentenmanagements. Dabei lässt sich auf diesem Feldinternes Know-how nach außen ebenso vermarkten wie dieextern erwirtschaftete Rendite an Kapital und Wissen dem Stadt-archiv unmittelbar in einer Art Synergiekreislauf wieder zugutekommt. Ein in die 1950er Jahre zurückreichendes, aber stetigmodifiziertes Modell der Baden-Württembergischen Kreisar-chive für Gemeinden und andere Kunden stellt Wolfgang Kra-mer (S. 31–37) vor, das die Kreisarchive wegen ihrer teilweisekostenpflichtigen Angebote zur klassischen Archivarbeit, Schrift-gutverwaltung und historischen Bildungsarbeit vor allem fürGemeinden ohne festes Archivpersonal attraktiv macht und zueiner archivischen Grundversorgung in der Fläche in Baden-Württemberg beigetragen hat. So wie archivische Dienstleistun-gen von den Kreisarchiven subsidiär schon Jahrzehnte Drittenangeboten werden, erwägt mit Rückgriff auf den § 8 des Baden-Württembergischen Archivgesetzes neuerdings auch die Landes-archivdirektion solche bestimmten Körperschaften des öffentli-chen Rechts, unter gewissen Umständen aber auch Vereinen undVerbänden anzubieten. Die von Jürgen Treffeisen (S. 39–46)beschriebenen, teilweise kostenpflichtigen Dienstleistungen rei-chen von der Überlieferungsbildung (Bewertung) bis zur Nutz-barmachung, also den klassischen archivischen Aufgabenfeldern,und stützen sich sowohl auf Eigenpersonal wie Drittkräfte. DassArchivarbeit im weitesten Sinn zumindest vereinzelt marktfähigzu sein scheint, geht aus dem von Tessa Neumann (S. 47–52)vorgestellten Profil der 1999 gegründeten Berliner Firma Archiv-InForm hervor. Ihre vornehmlichen Dienstleistungen für Privat-leute, Firmen, aber auch für staatliche, kirchliche oder kommu-nale Archive, darunter neben der Retrokonversion von Findmit-teln in Datenbanken vor allem die Erschließung von Archivbe-ständen, können durchaus im Einzelfall eine kostengünstigeAlternative zu einem ansonsten mit Sicherheit drohenden archivi-schen Stillstand darstellen. Wo kontinuierliche intensive Arbeitallerdings gefragt ist, stoßen solche Modelle rasch an ihre Gren-zen. Die Innenansichten von Susan Becker (S. 53–59) zum Unter-nehmensarchiv der BASF künden von der in diesem Archivseg-

ment nicht selten anzutreffenden Sisyphusaufgabe, sich perma-nent nach innen rechtfertigen und positionieren zu müssen. Letzt-lich geht es darum, Geschichte und Tradition eines Unternehmensin den Alltag und damit in das Bewusstsein von Konzernspitzeund Belegschaft zu transportieren, was vor allem durch interne,möglichst punktgenaue und kurze Auskunftsdienste geschieht,aber auch weitere offensive und werbewirksame Angebote gutgebrauchen könnte. Wie man das jeweilige archivische Dienstleis-tungsangebot evaluieren könnte, beantwortet Petra Klug(S. 61–65) von der Bertelsmann-Stiftung am Beispiel des Koopera-tionsprojektes Bibliotheksindex für wissenschaftliche Bibliothe-ken (BIX). Die Zieldimensionen: Auftragserfüllung, Kundenori-entierung, Wirtschaftlichkeit und Mitarbeiterorientierung geltenauch für Archive, die sich vergleichsweise zu den Bibliothekenallerdings mit der Formulierung von geeigneten Indikatoren füreinen interarchivischen Leistungsvergleich schwer tun.

Brauweiler Peter K. Weber

Archives of members and parliamentary groupsof the European Parliament in archives ofmember states. Inventory. Edited by Günter Buch-stab. Compiled by Reinhard Schreiner. Second edi-tion. Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin 2003.70 S., brosch. Kostenlos.

Dem Vorsitzenden der Fachgruppe 6 des VdA (seit 1993) Dr. Gün-ter Buchstab in seiner Eigenschaft als Gründungsvorsitzender der„Sektion Archive und Archivare der Parlamente und der politi-schen Parteien im Internationalen Archivrat” (1992–2000) sowieseinem Kollegen beim ACDP Dr. Reinhard Schreiner (seit 2000stellvertretender Vorsitzender der oben genannten Sektion) ist diezweite Auflage des Inventars über die gemischten Aktenbeständeparlamentarischer Fraktionen und Gruppen, sowie über dieHandaktenbestände von Mitgliedern der verschiedensten Par-teien im Europäischen Parlament zu verdanken. Der Benutzererhält einen informativen Überblick über die Vielschichtigkeit derim Europäischen Parlament wirkenden Parteiinstitutionen undParlamentarierpersönlichkeiten. Reinhard Schreiner verzeichnetgegenüber der 1997 erschienenen Erstauflage dieses Inventarssechs Jahre später (im Jahre 2003) ein erfreuliches Anwachsen dereinschlägigen Bestände. Es wird mittel- und langfristig eine archi-varische Kärrnerarbeit bleiben, in sämtlichen EU-Mitgliedslän-dern auf die Notwendigkeit und die Bedeutung archivarischerSicherungsarbeit in den Sphären des Europäischen Parlamentsaufmerksam zu machen und konsequent hinzuwirken, zumalkomplexes parlamentarisches und parteipolitisches Dokumenta-tionsgut sowohl innerstaatlicher als auch internationaler Archiv-ebenen eher schwierigen Rahmenbedingungen unterliegt. Mitdem vorliegenden Inventar haben die beiden Autoren eine archi-varische Pionierleistung angestoßen und erbracht, der für dieZukunft nachhaltiger Erfolg zu wünschen ist.

Stuttgart Günther Bradler

„Bet Hachajim“ – Haus des Lebens. Die jüdischenFriedhöfe Bornheim, Hersel und Walberberg. Hrsg. vonDan Bondy und Hildegard Heimig. Rheinlandia Ver-lag, Siegburg 2004. 256 S. mit zahlreichen Illustrationen,geb. 25,– C.(Zeugnisse jüdischer Kultur im Rhein-Sieg-Kreis,Bd. 2.)Als zweiter Band in der Reihe der „Zeugnisse jüdischer Kultur

im Rhein-Sieg-Kreis“ ist nach dem Katalog des jüdischen Fried-hofs in Siegburg nun auch ein Band mit der Katalogisierung derjüdischen Friedhöfe von Bornheim, Hersel und Walberbergerschienen. Dabei handelt es sich um drei Dörfer in der KölnerBucht im Einzugsgebiet des so genannten „Vorgebirges“. Heraus-gegeben wurde der Band von der Stadtarchivarin von Bornheim,Hildegard Heimig, und dem Mitarbeiter des Salomon-Ludwig-Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte an der Uni-versität Duisburg-Essen, Dan Bondy, der schon an der umfangrei-chen Katalogisierung der Siegburger jüdischen Grabsteine im ers-ten Band der genannten Reihe mitgewirkt hat.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 203

Das sehr schön gestaltete Buch wird eingeleitet durch einenhistorischen Rückblick auf die Geschichte der Bornheimer Judenaus der Feder von Claudia Wolff. Der Bornheimer Judenfriedhofist ihren Ausführungen nach schon 1580 urkundlich erwähnt(S. 13). Im Jahr 1855 wird in Wesseling am Rhein eine regelrechteSynagogengemeinde gegründet, deren Hauptsitz man aber 1864nach Bornheim verlegt. Die Bezeichnung für diese ausgedehnteGemeinde war ab 1864 „Synagogengemeinde Bornheim“ (S. 14).Trotz der gelungenen Assimilation einzelner reicher Familien im19. Jahrhundert hielten die meisten Juden der BornheimerGemeinde bis ins 20. Jahrhundert hinein an den traditionellenvoremanzipatorischen Berufen für Juden fest, waren also über-wiegend Viehhändler und Metzger (S. 15).

Nach der glänzend geschriebenen Einführung in die Gestaltund Geschichte der drei eng aufeinander bezogenen Friedhöfeaus der Feder von Dan Bondy und einer Erläuterung des jüdi-schen Kalenders, beginnt der eigentliche Katalogteil. Das Schemagibt nach einer Kopfzeile mit den Namen und Lebensdaten einFoto des Grabsteins, die hebräische Grabinschrift mit Überset-zung, eine Genealogie der nächsten Verwandten, einen Kommen-tar und eine Beschreibung des Steins an. Bisweilen wird auch aufQuellen und Literatur verwiesen. Die drei Friedhöfe werdennacheinander abgehandelt, jeder Teil mit einem Belegungsplanabgeschlossen. Ein alphabetisches Register, das alle drei Friedhöfezusammenfasst, und ein kleines Glossar beschließen den Band.

Das Buch ist nicht nur eine gelungene Hilfe für die genealogi-sche Forschung, sondern auch ein sehr ansprechend gestaltetesFenster in einen Teil der deutschen Kultur, der durch die Barbareides Nationalsozialismus vernichtet worden ist.

Bonn Thomas P. Becker

Bergisch-Märkische Unternehmer der Frühindus-trialisierung. Hrsg. von Ralf Stremmel und JürgenWeise. Aschendorff Verlag, Münster 2004. 681 S., 29Abb., geb. 49,80 C.(Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien, Bd.18.)

Der hier vorzustellende Band 18 der Reihe „Rheinisch-Westfäli-sche Wirtschaftsbiographien“ ist erstmals zwei Wirtschaftsräu-men gewidmet und stellt ausgewählte Unternehmer beiderRegionen vor. In den bisherigen Bänden der Reihe sind nur ver-einzelt bergisch-märkische Unternehmer vorgestellt worden, wieauch bisher in aller Regel das Herzogtum Berg und die GrafschaftMark – obwohl unmittelbar benachbart – in der Regionalge-schichte in aller Regel getrennt behandelt wurden. Ist es nichterstaunlich, dass die scheinbar auf der Hand liegenden engen Ver-bindungen der beiden Wirtschaftsräume, die Handels- und Ver-kehrswege, aber auch die familiären Verbindungen über dieGrenzen hinweg, bisher in der Forschung so vernachlässigt wor-den sind?

Auf dem Weg ins Industriezeitalter gingen in Deutschland dasBergische Land und das märkische Sauerland bzw. die ehem.Grafschaft Mark voran, zwei Regionen, die neben Sachsen undSchlesien zu den wichtigsten frühindustriellen KerngebietenDeutschlands zählten. Hier nahm die industrielle Herstellungvieler Produkte ihren Anfang, ob es nun Schrauben, Klingen, Tex-tilien oder Papier waren. Unter Frühindustrialisierung wird dieZeit zwischen etwa 1780 und 1850 verstanden, jene Jahre, indenen sukzessive neue Produktionstechnologien zum Einsatzkamen und die Produktion in Fabriken zentralisiert wurde.

Ausgewählt wurden Unternehmer aus den Kernräumen Rem-scheid-Solingen-Wuppertal im Bergischen, sowie Altena-Hagen-Iserlohn-Lüdenscheid im Märkischen und der Geburtsjahrgängezwischen ca. 1750 und 1820. Die Auswahl der Personen richtetesich nach ihrer regionalen respektive überregionalen Bedeutung,Quellenlage sowie der Frage, ob Unternehmer bereits an andererStelle eine Würdigung erfuhren. Alle behandelten Unternehmersind Frühindustrielle gewesen, welche die Industrialisierung imbergisch-märkischen Raum entscheidend vorantrieben und dasgesellschaftliche Leben politisch beeinflussten. Die Auswahl sam-melt Unternehmer, die strategische Entscheidungen im Unter-nehmen trafen und eine gesellschaftliche Rolle als Funktionsträ-

ger spielten, dennoch aber in der zweiten Reihe standen unddurchweg nur einem regionalen Kreis bekannt waren.

Ausgewogen werden Unternehmer aus Berg und Mark sowieden verschiedenen Branchen wie Handel, Bergbau, Eisen- undStahlindustrie, Maschinenbau, Textil- und Papierherstellungbehandelt, weniger hingegen Sondertypen wie adelige Unterneh-mer oder der gerade für die bergische Kleineisenindustrie sowichtige und typische Handwerker-Techniker mit Tüftler-Menta-lität, von Rudolf Boch als „Handwerker-Unternehmner“ benannt.

Insgesamt kann man mit Ralf Stremmel idealtypisch dreiabfolgende Generationen (Ancien Régime, Wirren und Restaura-tion) und drei Gruppen (Traditionalisten, Industrialisten undrationale Pragmatiker) unterscheiden. Soll man Unternehmer inBiografien als wirtschaftlich, politisch oder sozial handelndeMenschen darstellen? Sind ihre Funktionen als Patriarch desUnternehmens, als Manager oder ihre Rollen und Ämter in Politikund Gesellschaft von Bedeutung und Interesse? Der Gegensatzliegt dabei zwischen jenen Biografen, die Unternehmer zunächstin ihrer unternehmerischen Funktion untersuchen und wahrneh-men, und jenen, die sie vor allem in der Rolle als Wirtschaftsbür-ger, Mäzen und Sozialpolitiker sehen. Eine zweite Trennlinie ver-läuft zwischen Unternehmenshistorikern, die für eine theorie-,konzept- und methodengeleitete Disziplin plädieren, und jenen,die eine „klassische“ historische Forschung vorziehen. Zu diesenProblemlagen bekennt sich der Band nicht eindeutig. Zwar wurdeden Autoren ein umfangreicher Fragenkatalog vorgelegt, den Jür-gen Weise vorstellt: Neben der sozialen und geografischen Her-kunft der Unternehmer wurde nach der Sozialisation, der Tätig-keit im Unternehmen und den Arbeitsgewohnheiten gefragt. Esinteressierte das politische Engagement, die soziale Verankerungin der Gesellschaft, der Lebensstil und die „Bürgerlichkeit“. Wei-ter wurde gefragt nach der Geschichte des Unternehmens, nachkaufmännischen und technischen Innovationen, rechtlichen Rah-menbedingungen, dem Verhältnis zu Arbeitnehmern, der Finan-zierung des Unternehmens, dem Erfolg, den unternehmerischenBeziehungen zwischen Berg und Mark sowie den Kunden, Liefe-ranten und Kapitalgebern. Und auch Ralf Stremmel erläutert inseinem Beitrag über das Profil des bergisch-märkischen Unter-nehmers zu jener Zeit, dass Biografien frühindustrieller Unter-nehmer nur Erkenntnisfortschritte ermöglichen, wenn sie in diekulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Strömungen der Zeiteingebettet werden. Diese Forderungen und Fragestellungenwerden jedoch in keinem Beitrag vollständig, insgesamt auchungleichmäßig behandelt. Liest man die einzelnen Beiträgegenauer, wird deutlich, dass die 28 porträtierten Unternehmervon den Autoren eher in ihrer Rolle als Wirtschaftsbürger oderPolitiker, also in ihrer Rolle im gesellschaftlichen Gefüge, betrach-tet wurden. Stefan Gorißen (über Johann Caspar Rumpe, Altenaund über Johan Caspar Harkort IV, Hagen) geht zwar näher aufden Begriff des „sozialen Kapitals“ ein, und Ralf Stremmel weistauf Konzepte wie „Funktionseliten“ und „Netzwerke“ hin,jedoch werden sie für die einzelnen Beiträge kaum umgesetzt.

Zu erwähnen ist, dass fast alle Beiträge neues Quellenmaterialauswerten. Umfassendere Beschreibungen unternehmerischerTätigkeit als in anderen Beiträgen finden sich bei Horst Conrad(über Levin und Ludwig von Elverfeldt), bei Horst Sassin (überAugust Schnitzler), Christian Hillen (über Arnold WilhelmHardt) und bei Wilfried Reininghaus (über Johann HeinrichSchmidt). Der im Jahre 2002 verstorbene Wolfgang EduardPeres, der postum – unterstützt von Jürgen Weise – seinen für dieIndustriegeschichte Solingens so wichtigen Vorfahren DanielPeres porträtiert, und Ulrich S. Soénius (über August WilhelmHolthaus) bieten ebenfalls kenntnisreiche Beiträge, ebenso wieUwe Eckardt (über Carl Hecker) und Ralf Rogge (über PeterKnecht), die wichtige Fragen der Revolution von 1848 ebenso dis-kutieren wie Eckhard Trox mit einem Beitrag über den unterneh-merisch glücklosen Wilhelm Gerhardi. Hier wird nochmals deut-lich, dass politische Grundanliegen der Porträtierten eine gewich-tigere Rolle einnehmen als die unternehmerische Tätigkeit. Auchdie Beiträge von Jürgen Weise (über Johann Abraham Henckelsund Söhne), Tanja Bessler-Worbs (über Moritz Heilenbeck),Klaus Herdepe (über Heinrich Kamp), Gunnar Teske (überJohann und Peter Brüninghaus), Andreas Berger (über Friedrich

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2204

Huth), Götz Bettge (über Alexander und Hermann Löbbecke)und schließlich Ralf Stremmel (über Wilhelm Turck und Wil-helm Funcke) widmen sich detailreich eher der Charakterisierungder Unternehmer und ihrer Rolle als Wirtschaftsbürger dennihrem engeren unternehmerischen Handeln.

Insgesamt macht der Band deutlich, dass es im bergisch-mär-kischen Raum zu Zeiten der Frühindustrialisierung eine ähnlicheEntwicklung gab, wie wir sie zur englischen Industrialisierungkennen. Langsam vollzog sich der Übergang vom Handwerk zuVerlag und Manufaktur und schließlich zum Fabriksystem. Dabeierwiesen sich die Unternehmer im Bergisch-Märkischen als Per-sonen, die – es war kaum anders zu erwarten – nicht zweifelsfreientweder dem traditionellen Stadtbürgertum oder der modernenBourgeoisie zuzuordnen waren. Ralf Stremmel nennt sie „Über-gangsmenschen“. Worin aber genau ihr Erfolg bestand und wel-chen wirtschaftlichen Beitrag sie zur Frühindustrialisierung inder Region leisteten, wissen wir – bis auf wenige Ausnahmen –auch jetzt noch nicht genau. Die Frage wird noch genauer disku-tiert werden müssen. Sodann wird deutlich, dass die eingangsgestellte Frage nach den vermeintlich engen nachbarschaftlichenVerbindungen überraschend beantwortet werden muss: Warensich die frühindustriellen Unternehmer beider Regionen in welt-anschaulicher und gesellschaftlicher Hinsicht auch recht ähnlich,so knüpften und pflegten sie dennoch untereinander keine enge-ren Kontakte als zu Unternehmern in anderen deutschen Indus-triegebieten wie Aachen, Köln oder Sachsen. Es waren wohl dochwirtschaftliche Konkurrenz, schlechte Verkehrsverbindungen inwest-östlicher Richtung sowie die politischen Grenzen zwischenzwei Staaten, später zwischen zwei preußischen Provinzen, dieeine engere Kooperation unterbanden. Andererseits lassen sichauf der Grundlage der hier vorgestellten Unternehmer die vorJahrzehnten von Peter Schöller beschriebenen Unterschiede zwi-schen den vornehmlich calvinistischen Händler-Unternehmernim Bergischen und den vornehmlich lutherischen Produzenten-Unternehmern im Märkischen nicht bestätigen.

Jeder beschriebene Unternehmer ist dankenswerterweise auchmit einem Bild dargestellt, und ein umfassendes Literaturver-zeichnis sowie Register zu Personen, Firmen, Institutionen undgeografischen Angaben erleichtern die Arbeit sehr.

Solingen Karl Peter Wiemer

Biographische Enzyklopädie deutschsprachigerUnternehmer. Auf der Grundlage der von WaltherKilly (†) und Rudolf Vierhaus herausgegebenen Deut-schen Biographischen Enzyklopädie hrsg. von WolframFischer unter Mitarbeit von Konrad Fuchs und BrunoJahn K. G. Saur, München 2004. 3 Bände. ZusammenXXV, 1.958 S., geb. 368,– C.

Die im Jahre 2004 erschienene Enzyklopädie ist, dies vorweg, einunentbehrliches Nachschlagewerk und einmal mehr ein Beispielfür die vom Verlag Saur seit Jahrzehnten forcierte lexikalischePublikationstätigkeit unter konsequenter Nutzung der modernenMedien. So ist auch das vorliegende Kompendium auf derGrundlage der von Walther Killy und Rudolf Vierhaus im VerlagSaur in den Jahren 1995–2000 herausgegebenen Deutschen Bio-graphischen Enzyklopädie einschließlich des Supplementbandes(2003) entstanden, die rund 61 000 Biographien umfasst. 1150neue Kurzbiographien von nur zum Teil in dem Supplementbanddokumentierten oder inzwischen verstorbenen Personen sinddazu gekommen.

Die drei Bände vereinen die Biographien von etwa 8050 Per-sönlichkeiten aus der Wirtschaft vom späten Mittelalter bis zurGegenwart. Soweit möglich, werden sie nach einem einheitlichenRaster beschrieben, mit Name, Vorname, Geburtsdatum und -ort(Sterbedatum und -ort) und Beruf erfasst und nach sozialer Her-kunft, Ausbildung und Karriere, wirtschaftlichem Erfolg/Misser-folg, Funktionen und Ehrenämtern porträtiert und in ihre Unter-nehmen und Verbände, in Zeit und Gesellschaft eingeordnet. Dasist ein anspruchsvolles Vorhaben, das straffer Vorgaben und Füh-

rung bedurfte. Eigene Veröffentlichungen sowie die Sekundärlite-ratur in Auswahl beschließen die jeweiligen Artikel. 141 Personenerhielten namentlich gezeichnete z. T. längere Beiträge, an deneninsgesamt 73 Autoren beteiligt waren.

Mustert man die Bände durch, liest man unmittelbar interes-sierende Artikel, so zur deutschen Industrialisierung oder zumRuhrgebiet, spürt man schnell die ordnende Hand von WolframFischer, der seine in fünf Jahrzehnten bewiesene Kenntnis derWirtschaftsgeschichte Deutschlands (einschließlich der Schweizund Österreichs) souverän einsetzt, erkennbar auch in seinemBemühen, hier nicht einfach Artikel unter einem neuen Lexikonti-tel zu kumulieren, sondern sie in Auswahl und Einordnung nachMöglichkeit auf den neuesten Forschungsstand zu bringen. Auchdie landesgeschichtlichen Vorarbeiten werden dankbar gewür-digt, so von den Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsbiographien,die von der Volks- und Betriebswirtschaftlichen Vereinigung, derHistorischen Kommission für Westfalen, dem Rheinisch-Westfäli-schen Wirtschaftsarchiv und dem Westfälischen Wirtschaftsar-chiv herausgegeben werden. In Einzelfällen ist es gelungen, auchEditoren der Nachlässe und Schriften zu gewinnen, so ErnstSchulin mit seinem Beitrag über Walther Rathenau. Andere Bei-träge können sich auf jüngst erschienene umfassende Biogra-phien stützen, so Harm G. Schröter bei Hugo Stinnes auf diePublikation von Gerald D. Feldmann (1998).

Eine besondere Erwähnung verdient der dritte Band, der sichin eine Zeittafel, ein Personen-, Firmen- und Ortsregister gliedert.Die sog. Zeittafel enthält die (ermittelten) Lebensdaten der behan-delten Personen, geordnet nach Geburtsdatum, beginnend mitEilbertus Coloniensis, einem Kölner Goldschmied des 12. Jahr-hunderts und endend mit dem Regisseur und Kinobetreiber Gun-ter Rometsch (1946–1994). Die Chronologie lässt auch erkennen,wie die Gewichte verteilt sind. Rund 13 Seiten entfallen auf dasspäte Mittelalter und die Frühe Neuzeit, knapp 20 Seiten auf das19. und 20. Jahrhundert. Sie bilden den eigentlichen Schwerpunktder Bände. Der Personenindex nennt neben dem vollen Namen,den Beruf sowie das Geburts- und Sterbejahr und schließt nebenden Hinweisen auf die jeweiligen Artikel auch die bloßen Erwäh-nungen (gekennzeichnet durch magere Zahlen) mit ein(S. 1441–1643). Nützlich ist der Firmenindex, wo z. B. unter Fir-mennamen wie der Daimler-Benz AG, der I.G. FarbenindustrieAG oder der Vereinigte Stahlwerke AG alle diesen Konzernenverbundenen Personennamen aufgeführt werden. Fast noch inte-ressanter aber ist die Vielfalt der kleinen Firmen, weit über dieLeitsektoren der Industrialisierung und die Großunternehmenhinaus, machen sie doch deutlich, in welchem Umfang Innovatio-nen und kreative Köpfe aus der mittelständischen Industrieerwachsen sind. Beim Ortsindex führt mit weitem Abstand Ber-lin, dennoch vermitteln auch hier (in Auswahl) Städte wieAachen, Augsburg, Breslau, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Halle/Saale, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Köln, Leip-zig, München, Nürnberg, Stuttgart, sodann Basel, Genf undZürich in der Schweiz, Straßburg im Elsaß, schließlich Wien undPrag, von den deutschen Mittel- und Kleinstädten gar nicht zureden, eine Vorstellung von der regionalen Verteilung (und denQuerverweisen) der Biographien. Nicht überraschen könnenauch die erstaunlich reichen Belege zu Amsterdam, New-York,Paris, St. Petersburg etc. Sie dokumentieren internationale Bezie-hungen und verwandtschaftliche Verflechtungen. Der landesge-schichtlich orientierte Benutzer, und das ist die Mehrzahl derArchivare, dürfte gerade in diesen Indices einen hilfreichenZugang zu eigenen weiterführenden Arbeiten finden.

Biographien haben, wie die Forschung der letzten Jahre zeigt,wieder Konjunktur, und die Enzyklopädie kann mit Nachfragerechnen. Zwar gewöhnen wir uns inzwischen mehr und mehrdaran, Informationen elektronisch abzurufen, aber selbst wennder Verlag in absehbarer Zeit noch eine CD-ROM herausbringensollte, behalten die Bände ihren Eigenwert. Sie sind im Alltagbequem zu nutzen und gehören zur Ausstattung eines modernenLesesaals. Der Preis indes ist gewöhnungsbedürftig.

Dortmund Ottfried Dascher

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Church Archives & Libraries. International Experi-ences on Protection, Appraisal, Description and Presen-tation of Cultural Heritage stored in these Institutions.Collection of Works from the International Conferencein Kotor 17th–18th April 2002. Kotor 2004. 462 S., zahlr.Abb., geb. 25,– C.Die vorliegende Veröffentlichung dokumentiert eine Tagung,

die im April 2002 in Kotor (Republik Montenegro) stattfand unddie von der Sektion „Archive der Kirchen und Religionsgemein-schaften“ im Internationalen Archivrat zusammen mit dem örtli-chen Restaurierungs- und Dokumentationszentrum „Notar“organisiert worden war. Die Tagung hatte zwei Anliegen: dieregionalen kirchlichen Archive über Standards der Archivarbeitzu informieren und eine größere internationale Öffentlichkeit aufdiese Archive und ihre Bestände aufmerksam zu machen. Soberichten im ersten Teil dieser mehrsprachigen Veröffentlichung(jeweils serbokroatisch und englisch, z. T. deutsch) Fachleute überdie notwendigen Voraussetzungen und Organisationsformeneiner sinnvollen Archivarbeit, im zweiten Teil werden dannBestände regionaler Kirchenarchive beschrieben. Angesichts derFülle meist kürzerer Aufsätze, die der Band enthält, können hiernur exemplarisch einige Beiträge gewürdigt werden. Dabei sindfür den deutschen Leser die Aufsätze, die die – fast selbstver-ständlichen – Standards der Archive beschreiben, nicht so span-nend wie die Beiträge, die sich mit Fragen der regionalen Archiv-organisation und den Beständen der örtlichen Archive beschäfti-gen. Sie seien deshalb hier genannt.

Anhand der Bibliothek des Raday-Kollegiums in Budapestzeichnet Agnes Berecz (S. 55–68) die Entwicklung im ungari-schen Kirchenbibliothekswesen nach. Über die Möglichkeiten,die ein freiwilliger Zusammenschluss zur Verbesserung derArbeit bietet, referiert Johannes Ebner, der über die Arbeitsge-meinschaft der Diözesanarchivare in Österreich berichtet(S. 87–106). Stjepan Razum stellt die Archivarbeit in der kroati-schen Erzdiözese Zagreb vor (S. 107–118): Die zentralen und his-torisch besonders wertvollen kirchlichen Bestände sind im Staats-archiv Zagreb deponiert, sie werden dort von kirchlichen Mitar-beitern betreut, die auch für die kleineren und neueren Kirchenar-chive in der dortigen Erzdiözese verantwortlich sind. ErzsébetHorváth schildert die Veränderungen in den „Finanzbeziehun-gen zwischen dem ungarischen Staat und den Kirchenarchiven“(S. 171–178); seit wenigen Jahren hat der ungarische Staat seineVerpflichtung akzeptiert, auch die Kirchenarchive, die für die All-gemeinheit öffentlich zugänglich sind, finanziell zu unterstützen.– „Archive und die Europäische Union“ lautet das Thema einesBeitrags von Helmut Baier (S. 241–256): Während sich die Euro-päische Union zu archivischen Fragen bislang nicht geäußert hat,da sie die kulturelle Autonomie der Mitgliedsländer respektiert,hat der Europarat mehrfach Berichte und Empfehlungen zurArchivarbeit ausgesprochen, um das historische Erbe Europasbesser zu sichern und für die Allgemeinheit zugänglich zumachen.

Eine Reihe von Beiträgen stellt die regionalen kirchlichen undreligiösen Archive und deren Bestände vor, ergänzt werden dieseAufsätze durch eindrucksvolle farbige Abbildungen zentralerArchivalien; der Stolz, allen historischen Widrigkeiten zum Trotzein wichtiges kulturelles Erbe präsentieren zu dürfen, wirdimmer wieder deutlich. Pavle Kondic gibt einen Überblick überdie Bestände des Archivs der serbisch-orthodoxen Metropolievon Montenegro-Küstenland in Cetinje (S. 119–136). JasminaRastoder berichtet über das Archiv der Erzdiözese Bar in Monte-negro (S. 257–274), Anton Belan schildert die Bestände deskatholischen Diözesanarchivs in Kotor (S. 137–144), MomèiloKrivokapic skizziert die Geschichte des Archivs der serbisch-orthodoxen Kirche in Kotor (S. 145–152). Eine Beschreibung derbedeutendsten Koran-Handschriften liefert Bajro Agovic in sei-nem Beitrag über das Archiv der islamischen Gemeinschaft inMontenegro (S. 153–160). Shaban Sinani und Eduard Zaloshnjaschildern das Schicksal der albanischen Bibelhandschriften, diesich heute im zentralen Staatsarchiv in Tirana befinden(S. 161–170). In weiteren Beiträgen widmen sich Marija Saulacv i cder Diözesanbibliothek in Kotor (S. 337–346), Ruza Danilovic

den Nachlässen von Klerikern, die in den Archiven der RegionKotor aufbewahrt werden (347–366), und Nevenka Mitrovic derhistorischen Bibliothek des Sava-Klosters in Herceg Novi(S. 367–388). – Ergänzt werden diese Aufsätze durch eine beige-fügte CD, die eine Powerpoint-Präsentation einiger Vorträgesowie einen Filmbericht des örtlichen Fernsehens über die Tagungenthält.

Insgesamt gewähren die Aufsätze einen instruktiven Einblickin die aktuelle Archivsituation dieser Länder. Durch Bezug aufdie Religion waren die Konflikte in dieser Region immer wiederverstärkt worden, daher ist es natürlich besonders reizvoll, dasssich hier die Archivarinnen und Archivare der Religionsgemein-schaft zu Wort melden; sie beschreiben, wie zerstörerisch sich dieKonflikte und Kriege auf ihre Arbeit ausgewirkt haben. Aber vonden Verwüstungen, die immer wieder genannt werden, habensich die Autoren nicht entmutigen lassen; so ist diese Veröffentli-chung auch ein Hoffnungszeichen. Noch in den letzten Jahrensollten alle Archivalien, auch die der Religionsgemeinschaften,zentralisiert oder doch als staatliches Eigentum deklariert wer-den; doch führten solche Versuche nur dazu, dass von staatlicherSeite gar nichts geschah. Um unter diesen Umständen nicht zuresignieren, entstand aus einer freiwilligen Initiative Interessier-ter das Restaurierungs- und Dokumentationszentrum „Notar“:Weil vom Staat in archivfachlichen Fragen keinerlei Hilfe zuerwarten war, organisierten sich die Betroffenen selbst und konn-ten so erfolgreich Restaurierungsmaßnahmen einleiten. So ent-hält diese Veröffentlichung mehr als einen Bericht über eineTagung, sie macht darauf aufmerksam, was Archivare und Archi-varinnen durch Zusammenarbeit erreichen können. – Ein Indexder Personen und Orte beschließt den Band.

Hannover Hans Otte

Wolfgang Cortjaens, Kirchenschatz St. Peter zuAachen. Sakrale Kunst aus vier Jahrhunderten imSpiegel der Pfarrgeschichte. Verlag Einhard, Aachen2003. 287 S., 175 meist farb. Abb., geb. 24,80 C.(Veröffentlichungen des Bischöflichen DiözesanarchivsAachen 49.)

Roda Pastoralis. 900 Jahre Seelsorge in Kerkrade,Afden und Herzogenrath – die Abtei Klosterrath undihre Patronatspfarreien. Hrsg. von Frank Pohle undLouis Augustus. Verlag Einhard, Aachen 2004. 342 S.,zahlr. Abb., geb. 22,– C.(Veröffentlichungen des Bischöflichen DiözesanarchivsAachen 50.)Die Vorstellung des Kirchenschatzes einer Pfarrkirche, wie sie

Wolfgang Cortjaens mit dem „Kirchenschatz St. Peter zu Aachen“vornimmt, ist eigentlich naheliegend und doch ungewöhnlich:Nur selten erfährt das Schatzinventar einer Pfarrkirche eine sokonsequente und vollständige Beschreibung und Einordnung indas historische Umfeld. Daher umfasst der reich bebilderte Kata-logteil auch den größten Teil (S. 69–252) des anzuzeigenden Wer-kes, der mit Überlegungen zur nicht weiter bekannten mittelalter-lichen Kirchenausstattung einsetzt, weder die prachtvolle baro-cke Sonnenmonstranz (S. 76–79) noch die weniger bedeutsamenMesspollen des 18. Jahrhunderts (S. 83) auslässt und sich über dieVereinsfahnen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (S. 223–236)bis zu den in der Nachkriegszeit entstandenen Sakralgeräten(S. 251–252) erstreckt. Eine Besonderheit dürfte die im Wesentli-chen zwischen 1874 und 1877 hergestellte Gruppe von Reliquia-ren sein – ebenso Zeugnis der Frömmigkeit wie „lehrbuchhafteDemonstration Aachener Goldschmiedekunst“ (S. 140) jener Zeit.Beachtenswert ist ferner die mit „der (H)ort des Schatzes“ über-schriebene Darstellung der Geschichte des Baus und der Ausstat-tung der Pfarrkirche (S. 21–68), die „bis zur Kriegszerstörung1943 als eine der schönsten Barockkirchen Aachens“ (S. 37) galt.Cortjaens wertete dazu auch die schriftlichen Quellen aus, darun-ter das im Aachener Stadtarchiv als Depositum befindliche Pfarr-archiv von St. Peter, auf das der Autor im Katalogteil ebenfallshäufig zurückgreift. Damit wird beispielhaft deutlich, welche

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Bedeutung die Überlieferung von Pfarrarchiven für Fragestellun-gen hat, wie sie in der vorliegenden Publikation zu Grunde liegen.

Ebenso bezeugt die zweite anzuzeigende Veröffentlichung denWert dieses Archivtyps, da auch sie auf Quellen fußt, die in Pfarr-archiven überliefert sind. Geschildert wird die Geschichte der dreiPfarreien Kerkrade, Afden und Herzogenrath (erst 1564 offiziellzur Pfarrei erhoben), die im Mittelalter und in der Frühen Neuzeitin rechtlicher Abhängigkeit von der nahe gelegenen Augustiner-Chorherrenabtei Rolduc (Klosterrath) standen. Rolduc wurde imJahre 1104 gegründet, so dass die Publikation gleichzeitig einenBeitrag zur 900-Jahr-Feier der Abtei darstellt. Daraus ergibt sichdie Gliederung des Buches: Louis Augustus schildert dieGeschichte der Abtei (Aufhebung 1796) und der drei Pfarreien biszum Beginn des 19. Jahrhunderts, als sich nach der Säkularisati-onszeit neue Strukturen konstituierten (S. 17–154). Dem schließensich drei Darstellungen an, die den Weg der Pfarrgemeinden biszum Jahre 2004 nachzeichnen, sowie Ausführungen zur Bauge-schichte der Kirchen in Herzogenrath und Afden, denen sich kon-sequenterweise auch ein eigener Beitrag zur Baugeschichte der1842–1844 neu errichteten Kerkrader Pfarrkirche angeschlossenhätte. Es ist in der Kerkrader Pfarrgeschichte als bemerkenswerthervorzuheben, dass hier – anders als in vielen anderen Pfarrge-schichten, die bis in die Gegenwart reichen – ungeschminkt dieSchwierigkeiten benannt werden („Abwärtsspirale“, S. 217),denen sich seit den 1960er Jahren das kirchliche Leben wohl jederPfarrgemeinde gegenüber gestellt sieht.

Stets lag Rolduc in Grenzgebieten: Im Mittelalter gehörten dieAbtei sowie Kerkrade und Herzogenrath zum Bistum Lüttich,Afden hingegen zum Erzbistum Köln. Seit dem Wiener Kongresstrennt die staatliche Grenze zwischen den Niederlanden undDeutschland Rolduc und Kerkade einerseits sowie Herzogenrathund Afden andererseits. In diesem Sinne ist die anzuzeigendePublikation ein erfreuliches Beispiel für ein grenzüberschreiten-des Miteinander, äußern sich doch nicht nur Autoren von hübenund drüben, sondern der gesamte Text ist zweisprachig, inDeutsch und Niederländisch, abgedruckt.

Beide Publikationen sind in der Reihe „Veröffentlichungen desBischöflichen Diözesanarchivs Aachen“ erschienen, die es inzwi-schen auf 50 Bände gebracht hat. Es ist gute Tradition vielerArchive, in hauseigenen Publikationsreihen wissenschaftlicheBeiträge zu veröffentlichen. Damit kommen sie dem Auftragnach, das ihnen anvertraute Schriftgut nicht nur zu erhalten undzu erschließen, sondern auch für dessen wissenschaftliche Aus-wertung und darüber hinaus für die Erforschung der Geschichtedes jeweiligen Archivsprengels Sorge zu tragen. Eine solcheSchriftenreihe vermag wesentlich dazu beizutragen, einemArchiv ein eigenes Profil zu verleihen. Dass nach achtjährigerPause seit 2001 inzwischen wieder drei Bände der Reihe desAachener Diözesanarchivs erschienen sind, ist daher nur zubegrüßen. Die sorgfältige Redaktionsarbeit und die gute Ausstat-tung unterstreichen dies nur.

Köln Joachim Oepen

„Daß Unsere Finanzen fortwährend in Ordnungerhalten werden...“ Die staatliche Finanzkontrolle inBayern vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Eine Aus-stellung der Bayerischen Archivschule. Bearb. vonDaniel Burger, Ulrike Hofmann, Rainer Jed-litschka, Joachim Kemper, Volker Laube, GenovevaRausch, Georg J. Wolf und Susanne Wolf. Generaldi-rektion der Staatlichen Archive Bayerns, München2004. 252 S., zahlr. Abb., kart. 10,– C.(Staatliche Archive Bayerns, Kleine AusstellungenNr. 23.)

Seit der Existenz öffentlicher Finanzen besteht das Problem einerangemessenen Finanzkontrolle. Dieser Thematik widmet sich dervom Vorbereitungsdienst 2003/05 für den höheren Archivdienstder Bayerischen Archivschule am bayerischen Beispiel bearbei-tete und von Michael Stephan koordinierte Ausstellungskatalog.Finanzkontrolle wird dabei „nicht nur im engeren Sinn als bloßeRechnungsprüfung abgehandelt“, sondern umfasst auch

„Aspekte der Finanzpolitik, also ordnungspolitische Maßnah-men“ zur Sicherung der Staatsfinanzen, so dass auch der weiteBereich der „Staatsverschuldung und ihre immerwährendeBekämpfung“ berührt ist (S. 11).

Die von je einem Referendar bearbeiteten Themenkomplexeder vom 21. Sept. bis 12. Nov. 2004 gezeigten Ausstellung gliedernsich jeweils etwa zur Hälfte in die Darstellung und in den Kata-logteil mit ausführlichen Exponatbeschreibungen und Abbildun-gen.

Joachim Kemper bietet den Einstieg in die Thematik mit derUntersuchung der ersten Ansätze zu einer Finanzkontrolle imSpätmittelalter und der Frühen Neuzeit, wobei der Vorgang derspätmittelalterlichen Rechnungslegung sowie die Anfänge einerzentralen Finanzverwaltung im Herzogtum Bayern bis ins17. Jahrhundert dargestellt werden. Besonderes Augenmerk wirddabei der Quellenform der Rechnung, insbesondere den frühes-ten überlieferten Exemplaren aus dem Herzogtum und aus ande-ren Territorien im Bereich des heutigen Bayern, sowie den Amts-buchformen Urbar und Stiftsbuch geschenkt.

Die Auseinandersetzung des Landesherrn mit den Landstän-den um die Steuern und damit die Anfänge der externen Finanz-kontrolle durch die Landstände stellt Daniel Burger dar. Skiz-ziert wird dabei der Bogen der landständischen Entwicklung vonersten – noch einmaligen – Steuerforderungen über bewaffneteAuseinandersetzungen im Spätmittelalter und Jahren großenpolitischen Einflusses im 16. Jahrhundert hin zur Auflösung derbayerischen Landschaft Anfang des 19. Jahrhunderts, wodurcherst die Steuerhoheit des Staates hergestellt werden konnte.

Im Mittelpunkt des Beitrags von Genoveva Rausch steht dieimmense Staatsverschuldung des Kurfürstentums Bayern im18. Jahrhundert, die von Kurfürst Max Emanuel (1679–1726)durch enorme Militär- und Repräsentationsausgaben grundge-legt wurde und sämtliche nachfolgenden Herrscher des 18. Jahr-hunderts immer wieder an den Rand des Bankrotts führte, so dassverschiedene Spar- und Tilgungsmaßnahmen ergriffen werdenmussten, etwa die Errichtung einer Schuldentilgungsanstalt, dieVerbesserung der kurfürstlichen Steuerverwaltung oder dieGründung einer Zentralkasse.

Susanne Wolf betrachtet die finanzpolitischen Reformen desjungen Königreichs Bayern; da seit der Abschaffung der Land-stände die Steuerhoheit allein in den Händen des Staates lag,konnte erstmals ein zentraler Staatshaushalt aufgestellt werden.Mit der Änderung der Finanzorganisation wurde auch das Kon-trollwesen angepasst und 1812 mit der Gründung eines OberstenRechnungshofs institutionalisiert.

Die drei folgenden Abschnitte sind dem weiteren Schicksaldieses obersten Rechnungs- und Kontrollorgans bis heute gewid-met: Die Konflikte zwischen parlamentarischer Haushaltskon-trolle und dem monarchischen Herrschaftsprinzip im 19. Jahr-hundert sowie erste Reformen des Rechnungshofs hin zu einerKontrolleinrichtung, deren Mitglieder richterliche Unabhängig-keit erhielten, untersucht Georg J. Wolf, während Ulrike Hof-mann den weiteren Entwicklungsgang seit 1919 beschreibt, andessen Ende der heutige Bayerische Oberste Rechnungshof steht,der oberste Staatsbehörde und von der Exekutive unabhängig ist.Den Aufbau und die Tätigkeit dieser Behörde in der Gegenwartbetrachtet Rainer Jedlitschka, der zugleich die Frage nach derWirksamkeit dieses Kontrollgremiums stellt.

Im letzten Themenabschnitt des Ausstellungskataloges ver-lässt Volker Laube den Bereich der staatlichen Finanzkontrolle inBayern und bietet ergänzend Einblick in die kirchliche Finanz-kontrolle, die ihrerseits nie frei von staatlicher Einflussnahmeblieb und bleibt, was etwa noch am Beispiel von Kirchenneubau-ten im 20. Jahrhundert gezeigt werden kann.

Die einzelnen Beiträge zusammen machen deutlich, wie sichdie Problematik einer effektiven Kontrolle der öffentlichen Finan-zen von schütteren Anfängen im späten Mittelalter über verschie-dene, häufig fruchtlose finanzpolitische Maßnahmen in der Frü-hen Neuzeit soweit entwickelt hatte, dass nach der Überwindungdes fürstlichen Absolutismus im 19. Jahrhundert ein eigenes Kon-trollgremium mit Verfassungsrang geschaffen wurde; der Band,der einen Zeitraum von acht Jahrhunderten umspannt, stellt einegelungene und umfassende Darstellung und zudem die erstma-

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lige geschlossene Behandlung dieser wichtigen Thematik dar. DerVerzicht auf Register und Auswahlbibliographie ist bei einemBand aus der Reihe „Kleine Ausstellungen“ verständlich; sehrerfreulich ist dagegen die hohe Zahl von Abbildungen und dieWiedergabe der in der Ausstellung gezeigten Schautafeln undOrganigramme.

Landshut Thomas Paringer

Digitales Verwalten – Digitales Archivieren.8. Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unter-lagen aus digitalen Systemen“ am 27. und 28. April 2004im Staatsarchiv Hamburg. Hrsg. von Rainer Heringund Udo Schäfer. Hamburg University Press, Ham-burg 2004. 217 S., 9 s/w Abb., 2 Tab., geb. 20,– C.(Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freienund Hansestadt Hamburg, Bd. 19.)

Seit 1997 tagt der Arbeitskreis „Archivierung von Unterlagen ausdigitalen Systemen“ jährlich im Frühjahr, um im kleinen Exper-tenkreis unter Archivaren, aber auch interdisziplinär im Diskursmit Informatikern, der Verwaltung oder der Wirtschaft Fragender elektronischen Bürokommunikation und Archivierung zuerörtern. Meist wurden die Ergebnisse dieser Tagungen auch imDruck vorgelegt. Der hier zu besprechende Band gibt die Beiträgeder Arbeitskreissitzung vom April 2004 im Staatsarchiv Hamburgwieder und gliedert sich in drei Themenschwerpunkte: „DigitaleSignatur – Authentizität und Langzeitarchivierung“, „Berichteund Informationen aus der Praxis“ und „Dokumentenmanage-mentsysteme (DMS) zwischen Verwaltung und Archiv“.

Digitale Signaturen werden in der archivfachlichen Diskussionseit fast 10 Jahren behandelt, ohne dass es zu einer rechtlich, tech-nisch und archivfachlich zufrieden stellenden Klärung der Mög-lichkeit einer dauerhaften Überlieferung gekommen wäre. JuttaDrühmel stellt den Einsatz der elektronischen Signatur im elek-tronischen Rechtsverkehr am Finanzgericht Hamburg dar. Wolf-gang Farnbacher stellt das technische und organisatorischeKonzept des ArchiSig-Projekts vor, an dem auch die niedersächsi-sche Archivverwaltung beteiligt war. Im Zuge einer dauerhaftenArchivierung setzt man in Niedersachsen auf die Entfernung derelektronischen Signatur und eine Speicherung der Signaturinfor-mationen im Klartext bei den Metadaten. Stefanie Fischer-Dies-kau beleuchtet das Thema der dauerhaften Erhaltung elektroni-scher Signaturen. Sie stellt fest, dass das im Gesetz vorgeschrie-bene Verfahren der Nachsignierung die Integrität der Dokumentegewährleisten kann und sieht beim Einsatz akkreditierter elektro-nischer Signaturen keine Probleme hinsichtlich des Nachweisesder Authentizität im Kontext einer dauerhaften Aufbewahrungder Dokumente. Diese Auffassung kann der Rezensent nichtnachvollziehen, da die Signaturverordnung vom November 2001in den §§ 4 Abs. 2 und 8 Abs. 3 auch akkreditierten Zertifizie-rungsdiensteanbietern für Zertifikate und Dokumentation ledig-lich eine Mindestaufbewahrungsfrist von 30 Jahren nach Ablaufder Gültigkeit einer Signatur vorschreibt, so dass nach dieser Fristeine Nachweisbarkeit und Überprüfbarkeit nicht mehr sicherge-stellt ist. Lediglich mit Blick auf die Sicherstellung der Lesbarkeitelektronischer Signaturen im Zuge notwendiger Datei- undFormatmigrationen – die Autorin spricht hier von „Transforma-tionen“ – räumt Fischer-Dieskau ein: „Die Gewährleistung derdauerhaften Lesbarkeit stellt derzeit sicherlich die größte Heraus-forderung bei den Fragen der elektronischen Aufbewahrung dar,da das eigentliche Sicherungsmittel bei Umsetzung der Transfor-mationslösung seine Funktion verliert“ (S. 50). Somit bleibt dervon Udo Schäfer bereits während des 58. SüdwestdeutschenArchivtags 1998 unterbreitete und im vorliegenden Band wieder-holte Vorschlag aktuell, an das frühneuzeitliche ius archivi anzu-knüpfen und Archive als trusted custodians einzustufen. Archivewürden mit den von Schäfer vorgeschlagenen Maßnahmen undVerfahren auch nach Klartextauflösung der Signatur und Über-nahme der Dokumente ins Archiv gewährleisten, dass elektroni-sche Dokumente vor Verfälschung geschützt sind, so dass im Rah-men einer richterlichen Beweiswürdigung die Echtheitsvermu-tung gewahrt bliebe.

In den Berichten aus der Praxis stellt Christian Keitel nichtnur baden-württembergische Erfahrungen mit der Langzeitarchi-vierung von Datenbanken vor, sondern hält geradezu ein Plä-doyer dafür, „mit minimalen Hardware-, Software- und Personal-mitteln in die elektronische Archivierung einzusteigen“ (S. 81).Burkhart Reiß stellt das neue Konvertierungsprogramm desBundesarchivs vor, ein in Zusammenarbeit mit der UniversitätKoblenz-Landau entwickeltes komfortables Werkzeug, bei demsich auch die Frage der Nachnutzbarkeit stellen könnte. AndreaWettmann gibt einen Überblick über E-Government-Projekte inSachsen und die intensive Beteiligung der sächsischen Archivver-waltung an diesen Vorhaben und verweist schließlich auf denhohen Erfolgsdruck, unter dem derartige Projekte stehen. Tho-mas Zürcher Thrier gibt einen Werkstattbericht aus demSchweizerischen Bundesarchiv, das eine Fachstelle zur „Archivie-rung elektronischer Daten und Akten im Schweizerischen Bun-desarchiv“ (ARELDA) eingerichtet hat, die sich weitestgehend ander ISO-Norm 14721 (Open Archival Information System – OAIS)orientiert. Dabei scheint die Landschaft der Geschäftsverwal-tungssysteme in der Schweiz (GEVER) nicht minder bunt zu sein,wie in Deutschland. Nicht zu folgen vermag der Rezensent demAutor, wenn dieser dafür plädiert, bei elektronischer Überliefe-rung auf zeitaufwendige Bewertung zu verzichten und stattdes-sen Vollarchivierung anzustreben, da Speicherplatz schließlichimmer billiger werde. Einen informativen Beitrag über die elek-tronische Vorgangsbearbeitung in Mecklenburg-Vorpommern,wo die staatlichen Archive offiziell über lange Zeit hinweg leidernicht in die entsprechenden Landesplanungen einbezogen wur-den, liefert Matthias Manke. Zu hinterfragen bleibt allerdings,ob die dauerhafte Archivierung von Unterlagen im Sinne derArchivgesetze als Langzeitarchivierung definiert und verstandenwerden sollte, wie dies offensichtlich in Mecklenburg-Vorpom-mern aus strategischen Erwägungen heraus getan wurde. DieStrategie und die Grundsätze der elektronischen Archivierung ineinem Unternehmensarchiv werden von Ulrike Gutzmann amBeispiel der Historischen Kommunikation der Volkswagen AGpräsentiert, während Angela Ullmann das System digitaler Bil-derdienst/Bildarchiv beim Deutschen Bundestag vorstellt.

Auftakt für den letzten Themenblock bilden die aktuellenBestrebungen in Hamburg. Heinz Vogel präsentiert das Projekt„Elektronische Dokumentenverwaltung für Registraturen mitteraDOC“, kurz ELDORADO. In Hamburg sollen in einem erstenSchritt die Vorgangsbearbeitung herkömmlich auf Papier beibe-halten und nur die abgeschlossenen Vorgänge digitalisiert und ineinem Dokumentenmanagementsystem verwaltet werden. Wenndieses Ziel erreicht ist, soll in einem zweiten Schritt die elektroni-sche Vorgangsbearbeitung ergänzt werden. Ivy Gumprechtbeschreibt die Einführung von ELDORADO bei der Behörde fürWirtschaft und Arbeit, wo die Ausgangsbedingungen nicht idealsind, aber durch Schaffung geeigneter Beteiligungsformen fürMitarbeiterinnen und Mitarbeiter doch die notwendige Motiva-tion für diesen Prozess geschaffen werden kann. Dass eine Reformder Verwaltung, wie die Einführung von elektronischer Vor-gangsbearbeitung und Dokumentenmanagement, in den Köpfenbeginnen muss, unterstreicht Rainer Hering in seinem Beitragüber Change Management und Archive. Hering hebt die Notwen-digkeit hervor, dass Archive die Einführung von DMS-Projektenaktiv begleiten und auch selbst bereit sein müssen, als Verwaltun-gen in dieser Entwicklung voranzuschreiten und mit den sonsti-gen Beteiligten eng zu kooperieren. In Hamburg hat das Staatsar-chiv den Vorsitz des ELDORADO-Beirats inne, der dem behör-denübergreifenden Informationsaustausch und einer breiten Mit-wirkung an der Weiterentwicklung der Automation in der Hanse-stadt dient. Margit Ksoll-Marcon führt dann in die bayerischenDMS-Aktivitäten ein und unterstreicht ebenfalls die besondereKompetenz und den Stellenwert der Archive, die in München ander Erstellung der Ausschreibungsunterlagen für ein bayerischesDMS-System beteiligt waren. Die beiden letzten Beiträge widmensich der Einführung von DMS in Kommunen. Wolfgang Dippertberichtet über Ratsinformationssystem und Baugenehmigungs-verfahren in Schwabach, vor allem aber über die Vier-Städte-Kooperation von Schwabach, Erlangen, Nürnberg und Fürth imKooperationsprojekt SENF, in dem die beteiligten Stadtarchive

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eine führende Rolle bei der Einführung eines DMS-Systems ein-nehmen und als Piloten fungieren wollen. Diese Strategie wurdebereits in Mannheim mit Erfolg verfolgt, wie Christoph Poppaufzeigt, wo das Stadtarchiv gemeinsam mit dem FachbereichInformationstechnologie die Federführung bei der Einführungdes DOMEA-Systems innehat.

Der vorliegende Band bietet ein breites Spektrum von Erfah-rungen mit elektronischer Schriftgutverwaltung und DMS-Pro-jekten in Deutschland. Die Autoren verschweigen nicht, dassviele Herausforderungen noch auf eine Lösung warten. Umsowichtiger ist es, durch Veröffentlichungen wie der vorliegendendazu beizutragen, Informationen über laufende Vorhaben zukommunizieren und den Diskurs über elektronische Unterlagenund die Aktivitäten der Archive zu befördern. Eine aktive undsteuernde Beteiligung der Archive an diesen Entwicklungen ist,um hier den Schlusssatz aus Rainer Herings Beitrag aufzugreifen,„die Chance für Archive, sich zwischen Vergangenheit undGegenwart im Blick auf die Zukunft neu zu positionieren und soihre Existenz als (öffentliche) Einrichtungen zu sichern“ (S. 182).

Marburg Frank M. Bischoff

Thomas Fitschen, Das rechtliche Schicksal vonstaatlichen Akten und Archiven bei einemWechsel der Herrschaft über Staatsgebiet.Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2004. 366 S.,kart. 68,– C.(Saarbrücker Studien zum Internationalen Recht,Bd. 25.)

Angesichts der aktuellen Debatten über Beutekunst und Ansprü-che auf Abgabe und/oder Restitution von Archiven, liegt dasarchivische Interesse an der im renommierten Nomos-Verlagerschienenen Arbeit auf der Hand. Das ist um so mehr der Fall, alses sich dabei geradezu um ein völkerrechtliches Handbuch zurRolle der Archive im Kriegsrecht und im Recht der Staatennach-folge handelt, das in seltener Verbindung umfassende Material-aufarbeitung mit großer analytischer Eindringungstiefe undpraktischer Nutzanwendung verbindet. Als juristische Disserta-tion ist die Arbeit auch bemerkenswert frei vom aktuellen archivi-schen Zitierkanon und ist deshalb so um so mehr dem Archivarals Pflichtleküre zu empfehlen.

Die Arbeit verfolgt eine dreifache Fragestellung. Zunächstwerden die Begriffsbestimmungen von Archiv daraufhin befragt,ob aus ihnen Grundsätze abgeleitet werden können. Das Ergebnisist allerdings negativ. Zwar werden die verschiedenen archivwis-senschaftlichen Definitionen klar differenziert, aber ein Einflussauf die Staatspraxis ist nicht zu erkennen. Letztlich ist die Begriffs-bestimmung von Archiv immer nur im Rahmen des jeweiligenVertrages vorzunehmen.

Der eigentliche Hauptteil besteht dann in einer Reihe von his-torischen Untersuchungen, die in einzelnen thematischen Etap-pen eine dreifache Entwicklung in Verbindung miteinander ana-lysiert, nämlich die Entwicklung der Archive, die Entwicklungder Staatenpraxis in Bezug auf die Archive sowie schließlich dieEntwicklung der normativen Regelungen bezüglich der Staaten-praxis. Bezüglich der Staatsnachfolge gelten seit dem Spätmittel-alter Archive als Teil des übertragenen Eigentums am Land, da siezu dessen Verwaltung notwendig sind. Auch als Kriegsbeutespielen Archive seit dieser Zeit eine Rolle, und zwar sowohl alsZugriff auf Rechtstitel wie auch zu Propagandazwecken oder alsKriegstrophäen. Allerdings waren sie beim Friedensschluss in derRegel zurückzugeben und die Literaturmeinung, dass im Westfä-lischen Frieden ein Beuterecht an Archiven festgeschrieben wor-den sei, kann Verf. überzeugend widerlegen. Das gilt im Grundeauch noch für die Kriege der Revolution und des Empire sowiefür die Gebietsaufteilungen in Folge des Wiener Kongresses. Erstab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts treten historischeArchive als eigene Kategorie, die einen besonderen Schutz ver-langt, ins Bewusstsein der Staatenpraxis. Das führt dann in derHaager Landkriegsordnung von 1899/1907 zu der seither gelten-den Regelung, dass im Kriegsfall historische Archive als Privatgutoder als institutionalisiertes staatliches Kulturgut gegenBeschlagnahme geschützt sind, dass aber militärisch wichtiges

Archivgut zu militärischen Zwecken benutzt werden kann, wassich zwar vornehmlich aber nicht ausschließlich auf militärischesSchriftgut bezieht. Die Haager Konvention von 1954 und die Gen-fer Konvention von 1977 haben diese Prinzipien noch ausgebaut.Natürlich waren diese rechtlichen Festlegungen kein Schutz vorneuen Beschlagnahmungen und daraus resultierenden Forderun-gen nach Wiedergutmachung und Restitution, wie die Ereignisseund Folgen des Zweiten Weltkriegs nachdrücklich gezeigt haben.Aber in rechtlicher Hinsicht war die Archivproblematik nun ehermit der Staatennachfolge verbunden, wie sie sich insbesondere inden Regelungen nach dem Ersten Weltkrieg und in der Entkolo-nialisierung zeigte. Allerdings konnte die Wiener Konvention von1983 dazu nicht die gleiche Regelungsautorität erreichen wie dieHLKO, und zwar nicht nur, weil sie bis heute wegen einer ausrei-chenden Zahl an Ratifikationen keine Rechtsgültigkeit erlangenkonnte, sondern vor allem weil die Regelungen selbst in sichwidersprüchlich und problematisch blieben.

So stellt Verf. zwar in einem dritten und abschließenden Teildie normativen Schlussfolgerungen in 21 Leitgedanken zusam-men, doch handelt es sich hier eher um eine juristische Katego-rienlehre als um eine Kodifikation. Das betrifft zunächst denGrundsatz, dass Archivlösungen auszuhandeln sind und nichteinfach durch die normative Kraft des Faktischen aufoktroyiertwerden können. Das betrifft auch die Unterscheidung zwischenverschiedenen Arten von Archiven, durch deren analytische Kraftsolche Verhandlungen gefördert werden können. Aber wennselbst die an sich unumstrittene HLKO für die aktuellen Resituti-onsregelungen keine normative Kraft entfalten kann, wenn Staa-ten sie in ihrer nationalen Gesetzgebung nicht berücksichtigen, sobleiben die Archivlösungen im Falle der Staatennachfolge nochmehr auf die Verhandlungen im Einzelfall angewiesen.

Das Buch ist das Werk eines Völkerrechtlers. Insofern bewegtes sich auf der Ebene der Völkerrechtsubjekte. Ergänzend wäredeshalb anzumerken, dass es Archivprobleme bei Herrschafts-wechsel auch unterhalb dieser Ebene gibt, wie in Deutschlandselbst bezüglich der Archive der linksrheinischen Bundesländerund der ehem. Reichsstädte in Süddeutschland. Hier wäre nocheine ähnliche Analyse zu leisten, denn im Grunde kann auch nurder international Forderungen vortragen, der national schonseine Hausaufgaben gemacht hat.

Koblenz Wolfgang H. Stein

Das Fürstentum der Oberen Pfalz. Ein wittelsba-chisches Territorium im Alten Reich. Ausstellungdes Staatsarchivs Amberg in Zusammenarbeit mit derKommission für bayerische Landesgeschichte bei derBayerischen Akademie der Wissenschaften. Ausstel-lung und Katalog: Karl-Otto Ambronn und Maria RitaSagstetter in Zusammenarbeit mit Rudolf Fritsch,Achim Fuchs, Reinhard Heydenreuther, ErwinStoiber. Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt a. d.Aisch 2004. 396 S., zahlr. Abb., geb. 24,40 C.(Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive BayernsNr. 46.)

Leitthema der Ausstellung und des Katalogs bildet „der Prozessder Ausbildung von Staatlichkeit“, der am Beispiel des in die Kur-pfalz integrierten, erst 1628 als reichsunmittelbar anerkanntenund gleichzeitig an Kurbayern übergebenen Fürstentums derOberen Pfalz anschaulich dargestellt wird. In die komplizierte,kenntnisreich und detailliert geschilderte Besitzgeschichte desTerritoriums führt der Beitrag von Karl-Otto Ambronn, demlangjährigen Direktor des Staatsarchivs Amberg, ein (S. 29–70),der dafür auch die mit dem Hausvertrag von Pavia 1329 einset-zende Auswahl von Archivalien zu Erwerbungen, Lehen, Pfand-schaften, Grenzziehungen und der Landesteilung von 1410 (bis1499) besorgt hat. Während dieser Überblick zum Territorium biszum Ende des Alten Reiches fortgeführt wird, gliedert sich derthemenspezifische Bereich in die durch den Herrschaftswechselvon Kurpfalz zu Kurbayern 1621/1628 vorgegebenen Epochen.Für beide, jeweils in sich geschlossene Teile des Katalogs wurdeneinander entsprechende, mit einer Ausnahme von denselben

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Autoren bearbeitete Themenschwerpunkte – der Katalog nenntsie „Sequenzen“ – gewählt, die einen unmittelbaren Vergleichermöglichen.

In den einleitenden Abschnitten über den „Landesherrn“befasst sich Ambronn für die kurpfälzische Zeit (S. 71–107) vorallem mit der Geschichte der Dynastie, deren Präsenz in der Ober-pfalz, der dem zeitweisen Residenzcharakter zu verdankendenBautätigkeit und der auch konfessionspolitisch bedeutsamenBestellung von Statthaltern, zunächst aus der pfalzgräflichenFamilie. Deutlich zutage treten die Unterschiede zur bayerischenEpoche (S. 265–295), für die neben der Aufhebung der landständi-schen Verfassung die absolute Unterwerfung unter MünchnerZentralbehörden und die Rekatholisierung des Landes in denMittelpunkt gerückt werden, alles in allem Indizien für einen Ver-lust an staatlicher Eigenständigkeit, deren Relikte sich nur nochim 1657/59 neu kodifizierten Landrecht erhalten haben. In derfolgenden Sequenz über die rechtlichen Grundlagen, die Satzun-gen und Ordnungen, die Kompetenzen der Gerichte und dieBehördenstruktur bis auf die Ebene der zuletzt 31 Pflegeämter,zeichnet Ambronn das landesherrliche Bestreben zur Vereinheitli-chung nach (S. 108–157). Diese Tendenz setzte sich in kurbayeri-scher Zeit fort und verstärkte sich, wie Erwin Stoiber(S. 296–317) nachweist, 1778 nach der Vereinigung der pfälzischenmit den bayerischen Territorien, die eine Phase von Behördenre-formen einleitete.

Den mit Ausnahme der Freiherrn von Wolfstein durchweglandsässigen Adel dokumentiert Maria Rita Sagstetter(S. 158–180, 318–330) im Kampf gegen die das Grenzgebiet bedro-henden Hussiten, in der Beteiligung an Bündnissen und imBemühen um Privilegien, die dann Kurfürst Maximilian I.1628/29 auf die Bestätigung der persönlichen Freiheit und vonGerichtsrechten beschränkte, gleichzeitig aber die Konversionzum Katholizismus erzwangen und den Oberpfälzer Adel zuneh-mend in landesherrliche Dienste einbanden.

Den Klöstern als regionalen und politischen „Faktoren erstenRanges“ widmet Achim Fuchs einen profunden Beitrag(S. 181–217), behandelt darin Stifter und Gründung, wirtschaftli-che Bedeutung und rechtliche Stellung und die Vereinnahmungehemaliger Reichsabteien als landsässige Klöster, die in der Refor-mation zwar aufgehoben wurden, aber als „Klosterrichterämter“in ihrem Bestand erhalten blieben. Die im zweiten Teil geschil-derte Wiederbesiedlung der meisten Klöster konnte darananknüpfen. Neben den bereits 1621 berufenen Jesuiten übernah-men sie Aufgaben in Erziehung und Bildung bis zur prononciertaus staatlicher Sicht dargestellten zweiten Säkularisation zuBeginn des 19. Jahrhunderts.

Für die „Städte, Märkte und Landgemeinden“ (S. 218–230)weist Reinhard Heydenreuther auf das beispielgebendeAmberger Stadtrecht hin, gewährt einen Einblick in die Ratsver-fassungen und sieht den „vergleichsweise hohen Grad der Selbst-verwaltung in den Dörfern“ als Folge der Stadt und Land verbin-denden Eisengewinnung. Die eher knapp gestreifte Entwicklungin kurbayerischer Zeit (S. 364–370) wird gekennzeichnet durchdie von den Münchner Zentralbehörden angestrebte und kontrol-lierte Vereinheitlichung, die auch die verbliebenen Ehaftrechte inden Dörfern zu „Instituten der Reglementierung“ wandelte.

Den wirtschaftlichen Grundlagen der Oberpfalz wendet sichder beide Katalogteile abschließende Beitrag von Rudolf Fritschüber „Bergbau und Hüttenwesen“ zu (S. 231–252, 371–390). Erführt in die Technik des Oberpfälzer Bergbaus ein und präsentiertdie für Produktion und Vertrieb aufschlussreichen Privilegienund Ordnungen, die wachsenden Einfluss des Landesherrnerkennen lassen. Unabhängig von der staatlichen Neuordnungdurch den Übergang der Oberpfalz an Bayern brachte die ersteHälfte des 17. Jahrhunderts eine Zäsur in Eisengewinnung und-verarbeitung. Ausbleibende Investitionen und Kriegsereignissehatten zu Niedergang und Stillstand geführt, und erst 1693 setzte,nunmehr in staatlicher Regie und mit eigener Bergbehörde, eineWiederbelebung ein.

Die konsequent beobachtete Gliederung des Katalogs nachden „grundlegenden Epochen der oberpfälzischen Geschichte“lässt deren jeweils eigene Entwicklung nachvollziehbar hervor-treten. Dazu tragen vor allem auch die Einführungen zu den ein-

zelnen Abschnitten bei, die historische Hintergründe, Ereignisseund Zielsetzungen einzelner Maßnahmen zusammenfassenderläutern. Die bei der Auswahl für eine Archivalienausstellungimmer schwierige Entscheidung zwischen inhaltlicher Aussageund optischer Attraktivität erscheint, wie die zum Teil farbigen,durchweg ansprechenden Abbildungen im Katalog belegen,gelungen. Sorgfältig werden die einzelnen Vorlagen beschrieben,interpretiert und in den historischen Kontext eingeordnet. DerBand bietet damit, bezogen auf das Thema, einen Einblick in diedichte Überlieferung des Staatsarchivs Amberg, darüber hinausaber auch einen wesentlichen Beitrag zur Geschichte des Fürsten-tums der Oberen Pfalz.

Ulm Hans Eugen Specker

Geschichte des Bistums Trier. Band I: Im Umbruchder Kulturen. Spätantike und Frühmittelalter. Hrsg.von Heinz Heinen, Hans Hubert Anton und Win-fried Weber. Red.: Andrea Binsfeld. Paulinus Verlag,Trier 2004. 620 S., einige Abb., geb. 39,90 C.(Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier, Bd. 38.)

Geschichte des Bistums Trier. Band V: Beharrungund Erneuerung 1881–1981. Hrsg. von BernhardSchneider und Martin Persch. Paulinus Verlag, Trier2004. 781 S., einige Abb., geb. 39,90 C.(Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier, Bd. 39.)

Schon drei Jahre nach Erscheinen des vierten Bandes („Auf demWeg in die Moderne 1802–1880“)1 liegen seit 2004 zwei weitereder insgesamt auf fünf Bände angelegten „Geschichte des BistumsTrier“ vor, und zwar der erste („Im Umbruch der Kulturen. Spät-antike und Frühmittelalter“) sowie der fünfte Band („Beharrungund Erneuerung 1881–1981“). Dem erklärten Ziel der Herausge-ber der Gesamtreihe, nämlich Martin Persch, dem langjährigenLeiter des Bistumsarchivs Trier, und Bernhard Schneider, Profes-sor für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an derTheologischen Fakultät Trier, die Geschichte des Bistums – undnicht in erster Linie der Bischöfe und anderer Amtsträger – wis-senschaftlich fundiert und auf dem neuesten Forschungsstandstehend, gleichzeitig auch gut lesbar zu präsentieren, werden diebeiden vorliegenden Bände ebenso gerecht, wie dies bereits beim„älteren“ vierten Band festgestellt werden konnte. Wiederumwaren mehrere (Bd. 1: acht, Bd. 5: 21) Autorinnen und Autorenbeteiligt, deren Beiträge von den jeweiligen Herausgebern HeinzHeinen, Hans Hubert Anton, Winfried Weber und Andrea Bins-feld (Redaktion) bzw. Bernhard Schneider und Martin Persch vor-bildlich zusammengeführt wurden, und auch diese Bände wur-den mit zahlreichen Abbildungen, Karten, Grafiken bestückt, dieden Text sinnvoll ergänzen und veranschaulichen.

Der erste Band, der dem Umbruch der Kulturen in der Spätan-tike und dem Frühmittelalter gewidmet ist, besteht aus vier annä-hernd gleich umfangreichen Teilen und weicht damit von der denübrigen Bänden gemeinsamen Gliederung (Rahmenbedingun-gen, Strukturen, Institutionen – Kirchliches Leben und religiösePraxis – Probleme und Ereignisse) ab: Die beiden erstenAbschnitte sind – bei allen Schwierigkeiten aufgrund der teil-weise dürftigen Quellenlage – chronologisch angelegt. Gleichzei-tig gewinnt hier die Geschichte der Bischöfe eine für die Gesamt-reihe außergewöhnliche Bedeutung. Andrea Binsfeld und ihrakademischer Lehrer Heinz Heinen behandeln dabei den erstenTeil („Das Bistum Trier von den Anfängen bis zum Ende derRömerzeit“) und schöpfen dabei einerseits aus einer jahrzehnte-langen Beschäftigung mit diesem Thema, andererseits aus einerkürzlich vorgelegten Dissertation. Den zeitlichen Anschluss(„Vom ausgehenden 5. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des10. Jahrhunderts“) bewältigen vor allem Hans Hubert Antonsowie Friedrich Pfeiffer, Thomas Bauer und Burkhard Aps-ner.

Erst der dritte Teil (Andreas Heinz, „Kirchliches Leben undreligiöse Praxis“) leistet die eigentliche Verklammerung mit derGesamtreihe. Dem Thema kommt besondere Bedeutung zu, da

1 Rez. in: Der Archivar 54 (2001), S. 240.

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bislang eine Gottesdienstgeschichte der Trierer Kirche (noch)nicht vorliegt und auch entsprechende Vorarbeiten für die früheZeit (noch) fehlen. Schriftliche und vor allem archäologischeQuellen geben zwar Auskunft über Gottesdienststätten, jedochliegen über die jeweilige Gestaltung kaum Informationen vor.Dass sich Trier in der Spätantike noch nicht zu einem kirchlichprägenden Zentrum hatte entwickeln können wie etwa Karthago,Rom oder Mailand, kann u. a. an der sich erst in merowingischerZeit ausprägenden gallischen Regionalliturgie gezeigt werden, inderen Einzugsgebiet die Trierer Kirche zwar lag, die jedoch nichtvon ihr ausging. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischender gallischen und der sie in karolingischer Zeit (nach der Königs-salbung Pippins im Jahr 751) verdrängenden römischen Liturgiezeigt Heinz an der Feier des sonntäglichen Gottesdienstes, desKirchenjahrs und der Sakramente Taufe, Eucharistieempfang,Krankensalbung sowie der Bußdisziplin, die in der gallischenLiturgie noch den altkirchlichen Charakter der unwiederholbarenKirchenbuße trug, während sich in der römischen der Wandel vonder öffentlich-einmaligen zur privaten, wiederholbaren Einzel-beichte einschließlich der Entwicklung besonderer Bußbüchervollzog.

Der besonderen Quellensituation in der Spätantike und desfrühen Mittelalter wird in diesem ersten Band der Trierer Bis-tumsgeschichte durch ein ausführliches Kapitel über die„Archäologischen Zeugnisse“ entsprochen, das Winfried Webererarbeitete. Dabei muss er sich zunächst auf den Stadtbezirk kon-zentrieren, für den aussagekräftige Zeugnisse eine sich im 4. undder ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts entwickelnde christlicheGemeinde mit Bischofskirche und umfangreichen Gräberfeldernbelegen. Dagegen können für das Umland entsprechende literari-sche Zeugnisse stützende archäologische Funde erst ab dem spä-ten 5. Jahrhundert ermittelt werden.

Während der erste Band der Trierer Bistumsgeschichte notge-drungen in erster Linie auf nichtarchivische Überlieferungzurückgreifen musste, stellte sich die Quellensituation für denfünften Band, der v. a. das 20. Jahrhundert behandelt, ganz andersdar, so dass die 21 Autorinnen und Autoren dieses Bandes reich-lich aus schriftlichem Quellenmaterial, v. a. natürlich aus denBeständen des Bistumsarchivs Trier schöpfen konnten. Geprägtwaren die behandelten 100 Jahre von 1881 bis 1981 von den langenAmtsperioden der Trierer Bischöfe Michael Felix Korum(1881–1921), Franz Rudolf Bornewasser (1922–1951), MatthiasWehr (1951–1966) und Bernhard Stein (1967–1980). Die bewährtedreistufige Gliederung aufgreifend werden als „Rahmenbedin-gungen, Strukturen, Institutionen“ zunächst „Raum, Wirtschaftund Bevölkerung“ dargestellt, wobei die Daten vielfach grafischaufbereitet werden und dadurch das Verständnis sehr erleichtern.Es folgen prägnante Kurzbiografien der vier Trierer Bischöfe desbehandelten Zeitraums sowie eine Darstellung der Bistumsver-waltung, die wegen der überdurchschnittlich langen Regierungs-bzw. Amtszeiten eine erstaunliche Kontinuität aufweist (auchwenn die Amtsperioden der Bischöfe Wehr und Stein kürzerwaren als diejenigen der Bischöfe Korum und Bornewasser,waren die beiden erstgenannten bereits lange vor ihren Amtsan-tritten auf sehr hoher Ebene der Bistumsverwaltung tätig). DieStrukturen der Seelsorge erfuhren in Folge des Zweiten Vatikani-schen Konzils 1962–65 tiefgreifende Wandlungen; so wurden Kir-chenregionen als neue mittlere Ebene zwischen der örtlichen Seel-sorge und der Bistumsleitung eingeführt, damit einhergehend dieDekanate neu gegliedert, räumlich damit deckend die Pfarrver-bände, die eigentlich als Instrument für die untere Ebene vonSynoden geplant waren. Der erste Teil findet seinen Abschluss inder Behandlung des Bistums als Teil der Gesamtkirche. Hier wer-den nicht nur die Beziehungen zu Papst, Kurie, Nachbarbistü-mern thematisiert, sondern auch die Rolle Triers in der Gemeinsa-men Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschlandsowie das Verhältnis zum Partnerland Bolivien.

Den eigentlichen Hauptteil des Bandes mit mehr als der Hälfteder Seitenzahlen macht hier wie bereits im vierten Band der Teil„Kirchliches Leben und religiöse Praxis“ aus: In insgesamt neunKapiteln werden das Verhältnis des Diözesanklerus zu den neuenpastoralen Laienberufen und die verschiedenen Orden undordensähnlichen Vereinigungen ebenso behandelt wie die Wand-

lungen der Gottesdienstformen und des kirchlichen Lebens, derVerkündigung und kirchlichen Caritas oder das Verhältnis derTrierer Katholiken bzw. ihrer Amtskirche zu anderen Konfessio-nen und Religionen und nicht zuletzt der Kirchenbau, die kirchli-che Kunst und Literatur. Die Auswirkungen der durch das Konzilermöglichten Reformen spielen dabei in allen Kapiteln eine wich-tige Rolle. Hier können nur einige Aspekte hervorgehoben wer-den: etwa die vielfältigen liturgischen Reformen von der Ablö-sung der trierischen Liturgie durch die römisch-tridentinische,die Auswirkungen der Liturgischen Bewegung und schließlichdie Liturgiereform des Zweiten Vatikanums oder die Veränderun-gen des kirchlichen Lebens, die auf der Basis von Visitationsproto-kollen von 20 Dekanaten und damit der Hälfte der Trierer Diözesein fünf Zeitschritten behandelt werden, oder die Entwicklungender Theologenausbildung, Religionsunterricht und Jugendpasto-ral.

Der wieder verhältnismäßig schmale dritte Teil stellt „Pro-bleme und Ereignisse“ dar, im 20. Jahrhundert also insbesonderedie soziale Frage und die Auseinandersetzungen um den Moder-nismus, die Zeit des Nationalsozialismus, die besonderenHerausforderungen in der Bundesrepublik Deutschland (BistumTrier in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Saarland), diebesondere Rolle der Heilig-Rock-Wallfahrten im Bistum Trier undschließlich die Trierer Beteiligung am Zweiten VatikanischenKonzil sowie die führende Rolle, die Trier als federführende undkoordinierende Stelle bei der „Eindeutschung der Liturgie undSchaffung volkssprachlicher Ausgaben“ der reformierten Litur-giebücher für die deutschsprachigen katholischen Bistümer ein-nahm.

Beiden Bänden ist gemeinsam, dass sie die aktuelle historischeForschung durch ausgewiesene Experten fundiert darstellen,dabei nicht zuletzt durch ausgezeichnete Register einen punktu-ellen Zugriff ebenso wie das kontinuierliche, das „Festlesen“ermöglichen, sogar dazu einladen. Dazu ist den Autorinnen undAutoren, besonders aber den Herausgebern der Gesamtreihe, dieim fünften Band auch den größten Anteil der Beiträge lieferten,nur zu gratulieren.

Berlin Ingeborg Schnelling-Reinicke

Bernd Hey, Matthias Rickling, Kerstin Stockhecke undBärbel Thau, Alkohol – Sünde oder Sucht? Ent-haltsamkeitsbewegung, Trinkerfürsorge und Suchtbe-ratung im evangelischen Westfalen. Verlag für Regio-nalgeschichte, Bielefeld 2004. 56 S., 38 s/w Abb., brosch.7,50 C.(Religion in der Geschichte, Bd. 12.)

Das Jahr 2004 stand bei den ostwestfälisch-lippischen Museenunter dem Leitthema „Mahlzeit! Kultur des Essens und Genie-ßens“. Die drei kirchlich-diakonischen Archive – das Landes-kirchliche Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen, dasHauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel unddas Archiv des Evangelischen Johanneswerks e. V. – griffen dasThema auf und erarbeiteten in Ermangelung eigener kirchlicherMuseen die Wanderausstellung „Alkohol – Sünde oder Sucht?“.Der vorliegende Band entstand als Begleitheft zu dieser Ausstel-lung, die erstmals im Historischen Museum Steinhagen, dessenSchausammlung vor allem der Herstellung des bekannten Stein-hägers gewidmet ist, zu sehen war.

Der lesefreundlich gestaltete und Motive der Ausstellung alsAbbildungen nutzende Band umfasst fünf Beiträge und ein Quel-len- und Literaturverzeichnis. Bernd Hey und Matthias Ricklingbeschäftigen sich mit der Mäßigkeits- und Enthaltsamkeitspropa-ganda in evangelischen Kirchengemeinden. Der Kampf gegen dieTrunksucht hat eine lange protestantische Tadition. Gemeinsamzogen Kirche und Staat insbesondere nach den napoleonischenKriegen, als der Alkoholverbrauch sprunghaft anstieg, gegen dieso genannte „Branntweinpest“ zu Felde. Als im Zuge der indus-triellen Revolution auch die Branntweindestillation als eines derersten Gewerbe zur Massenproduktion überging, schienen alleDämme zu brechen. In Reaktion darauf bildeten sich nach demVorbild der antialkoholischen Bewegung in den USA seit Mitteder 1830er Jahre Mäßigkeits- und Enthaltsamkeitsvereine, die vor

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allem von Geistlichen, Lehrern und höheren Beamten getragenwurden. Der „Kreuzzug wider den Branntwein“, zu dem sichliberale, konservative, katholische und evangelische Kreisezusammenschlossen, erwies sich in Deutschland als die größtesoziale Bewegung des 19. Jahrhunderts.

Hey und Rickling gehen insbesondere den Fragen nach demZusammenhang zwischen Lebensgewohnheiten und Alkohol-konsum nach, wenn sie etwa die weit verbreitete Sitte schildern,Alkohol als Naturallohn zu geben bzw. Alkohol als Mittel zurSteigerung der Arbeitsleistung zu verabreichen. Bis in die 1930erJahre finden sich Belege dafür, dass Alkoholismus immer nocheher als Laster angesehen wurde, dem ein Pfarrer begegnen sollte,und weniger als eine Krankheit, die ärztliche Behandlung erfor-derte.

Kerstin Stockhecke stellt die Entwicklung der Trinkerheilstät-ten in Bethel bis zum Ersten Weltkrieg dar. Die 1867 in Bethelgegründete Einrichtung hatte sich zunächst der Betreuung Epi-lepsiekranker zugewandt, baute aber auf Initiative des Anstalts-geistlichen Friedrich von Bodelschwingh seit 1888 mit der Trin-kerheilanstalt Friedrichshütte eine Trinkerfürsorge auf. Im Ver-gleich zu anderen Arbeitsfeldern bildete sich dieser Bereich indes-sen nicht zu einem Schwerpunkt aus. Stockhecke arbeitet unteranderem die zweischneidige Bewertung des Alkoholismus alsSünde oder Sucht heraus, die nicht auf den diakonisch-kirchli-chen Bereich beschränkt blieb. Es sollten noch Jahre vergehen, bisAlkoholismus als Krankheit anerkannt wurde.

Am Beispiel von Bielefeld schildert Bärbel Thau den Aufbaueiner städtischen Trinkerfürsorge der Inneren Mission in den Jah-ren 1925 bis 1945. Kerstin Stockhecke und Bärbel Thau zeichnensodann die Situation von Alkoholikern im Nationalsozialismusnach, die durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nach-wuchses von 1934 als erbbiologisch minderwertig stigmatisiertwurden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg und verstärkt in den1970er Jahren sollte es gelingen, in der bundesrepublikanischenGesellschaft eine Änderung der Bewertung des Alkoholismus alsKrankheit zu verankern, wie Bärbel Thau am Beispiel der Sucht-krankenhilfe des Evangelischen Johanneswerks in Bielefeldbelegt.

Insgesamt haben die Verfasserinnen und Verfasser einen the-matisch interessanten und trotz der Kürze abgerundeten Bandvorgelegt, der über den regionalen Rahmen hinaus viele grund-sätzliche Informationen bereithält und zur überregionalen Lek-türe empfohlen sei.

Speyer Gabriele Stüber

Gunther Hirschfelder, Alkoholkonsum am Beginndes Industriezeitalters (1700–1850). Verglei-chende Studien zum gesellschaftlichen und kulturellenWandel. Bd. 2: Die Region Aachen. Böhlau Verlag, Köln– Weimar – Wien 2004. 375 S., geb. 44,90 C.

Bei der hier zu besprechenden Arbeit handelt es sich um denzweiten Band einer Studie, die den Alkoholkonsum in den frühin-dustriellen Zentren Manchesters und Aachens untersucht. Dererste Band ist bereits 2003 erschienen und wurde hier bereitsbesprochen.1 Band 2 weist exakt die gleiche Gliederung auf, nureinige Kapitelüberschriften sind leicht umformuliert. Leider, soist zu konstatieren, gilt die in dieser Zeitschrift schon für den ers-ten Band vorgebrachte Kritik cum grano salis auch für den zwei-ten: Es fehlt der rote Faden, die einzelnen Befunde werden losehintereinander gereiht und nicht synthetisierend in einenGesamtzusammenhang gestellt. Der Leser bleibt mehr irritiert, alsüber die Gesamtentwicklung orientiert zurück, verärgert durchmancherlei Redundanzen, bisweilen aber auch amüsiert durchBemerkungen wie jene auf S. 204, die Erfindung des Buchdruckssei als Anlass für ein ausgiebiges Fest des Buchdruckervereins einunbedeutender Anlass gewesen.

Bei allem Verständnis für die Rhetorik von Qualifikationsar-beiten (hier handelt es sich um die bei der Universität Bonn einge-reichte Habilitationsschrift des Verfassers) ist zu konstatieren,dass seine Argumentation, er lege eine erste einschlägige Studie

1 Vgl. Der Archivar 58 (2005), S. 58–59.

vor, nicht zutrifft. Faktisch ist das Feld der historischen Alkohol-forschung recht gut abgesteckt; den Zugang zu den Quellenerleichtert zudem die umfängliche Bibliographie Emil Abderhal-dens aus dem Jahr 1904. Im Rückgriff auf die vorliegenden Stu-dien hätte die Analyse daher deutlich präzisiert und zugespitztwerden können, hätte das Quellenmaterial nicht jeweils inextenso ausgebreitet werden müssen.

Wer vergleichend arbeitet, steht immer vor dem Problem, denVergleich organisch anzulegen und laufend bestimmte Aspekte inBeziehung zu setzen oder aber ein Untersuchungsschema auf ver-schiedene Regionen anzulegen. Hirschfelder hat sich für den letz-teren Weg entschieden und bietet die Zusammenschau auf rund20 Seiten. Dieser Vergleich bleibt jedoch an der Oberfläche underschließt den Wert der vorhergehenden Lektüre von immerhingut 600 Seiten nicht.

Problematisch erscheint zudem das Postulat, eine volkskund-liche Mikrostudie liefern zu wollen: Die Entscheidung für eineMikro- bzw. Regionalstudie in Anlage und Durchführung wirdnicht diskutiert und methodisch begründet. Doch die für eineMikrostudie wünschenswerte Dichte in Darstellung und Argu-mentation wird hier nicht erreicht. Dies ist angesichts des unüber-sehbaren Aufschwungs der Regionalforschung bedauerlich, dadiese gerade in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte in den letz-ten Jahren ihren methodischen wie inhaltlichen Wert erwiesenhat.

Obwohl auf die Analyse kultureller Prozesse abzielend, bleibtdie Entwicklung der quantitativen Verzehrsmengen die im Zwei-felsfall entscheidende Referenzgröße. Als ein weiteres analyti-sches Hilfsmittel wird S. 235 ff. deterministisch wie anachronis-tisch zugleich die physiologische Einteilung verschiedenerRauschzustände nach dem jeweiligen Blutalkoholwert einge-führt. Grundlegende Überlegungen zur sozialen Konstruktiondes Rausches und seiner Annotierung bzw. zur sozialen Kons-truktion des Alkoholismus als Krankheit hätten hier weitergeführt und wären dem volkskundlichen Charakter der Arbeitgerechter geworden. Wo der innovative Impetus dieser „Mikro-studie“ liegt, bleibt so leider offen. Das ist schade, denn geradedas Thema Alkohol gibt für die Auseinandersetzung mit der Ent-stehung der frühindustriellen bzw. dem Zerbrechen der agrari-schen Welt, für die Auseinandersetzung mit der Sozialdisziplinie-rungsthese, für die Frage nach dem Geschlechterverhältnis undinsbesondere für die Frage nach der Art und Weise, wie das indus-trielle Arbeitsregime in der Gesellschaft seit 1800 installiertwurde, viel her. Diese Möglichkeiten wurden hier leider nichtgenutzt.

Berlin Ulrike Thoms

Kleve-Mark Urkunden 1394–1416. Regesten desBestandes Kleve-Mark Urkunden im Nordrhein-West-fälischen Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf. Bearb. vonHeike Preuß. Respublica-Verlag, Siegburg 2003. 348 S.,geb. 25,– C.(Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des LandesNordrhein-Westfalen, Reihe C: Quellen und Forschun-gen, Bd. 48.)

Der vorliegende Band setzt nach längerer Unterbrechung (derletzte von Wolf-Rüdiger Schleidgen bearbeitete Band erschien1986) die Regestierung des Bestandes Kleve-Mark Urkunden inder gewohnt vorbildlichen Weise fort. Die Regesten sind ausführ-lich und präzis, Rückvermerke werden immer wiedergegeben,die Parallelüberlieferung – v. a. die der klevischen Registern –wird sorgfältig vermerkt. Dazu kommen genaue Ortsbestimmun-gen und Anmerkungen, die – in diesem Band umfänglicher als inden früheren – dem Benutzer die Auswertung des gebotenenMaterials erleichtern. Das Werk wird durch gründliche Indicesder Orte und Personen sowie der Sachen erschlossen. – Auf dieseWeise wird dem Benutzer mehr als nur ein differenziertesBestandsverzeichnis, ja stellenweise mehr als ein klassischesRegestenwerk geboten: geboten wird sozusagen vielfach ein ana-lytisches Urkundenbuch. Auch für jene Volltexte, die schonLacomblet im Urkundenbuch für die Geschichte des Nieder-rheins veröffentlicht hatte, bieten nun die Regesten in ihrer präzi-

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sen Gliederung vor allem für die umfänglichen Vertragstexte einerasche Orientierungshilfe, ganz abgesehen davon, dass die Reges-ten für immer mehr Benutzer die Funktion einer gerafften Über-setzung haben werden. Insofern zunächst einmal ein Lob für dieAusführlichkeit der Texte. – Für Historiker aber – Fachleute undAmateure – besteht der wohl größte Wert der Publikation in derErschließung neuen Materials, denn mehr als die Hälfte der 367erfassten Urkunden waren bisher weder ediert noch regestiert.Für die knappe erste Hälfte der Regierungszeit Adolfs II. liegt nuneine Dokumentation vor, die nicht nur aus den EinzelurkundenLacomblets komplette Vorgänge macht, sondern auch belegt, wiesehr die klevischen Register aus dem vorhandenen Urkundenma-terial eine Auswahl treffen. Dabei sind es zunächst die großenEreignisse der Regierungszeit Adolfs II., die viel deutlichereUmrisse als bisher erhalten: Die Folgen der siegreichen Schlachtvon Kleverhamm, der Erwerb der Herrschaft Ravenstein, die bur-gundische Heirat Adolfs. Doch neben den politischen Großereig-nissen werden auch die hartnäckige Besitzpolitik Adolfs II. deut-lich, seine Rolle als Patronatsherr, aber auch die kostspielige Rolledes Kriegsherrn, wie eine ganze Serie von Quittungen über vonihm geleisteten Schadensersatz v. a. für Pferdeschäden belegt.

Über der Perspektive der historischen Auswertung sei abernicht vergessen, dass der erste Zweck der Publikation eigentlichein archivalischer bleibt: die knappen, für Benutzer oft wenig aus-sagefähigen Angaben der alten Urkundenrepertorien in einerWeise zu ersetzen, die es im Idealfall überflüssig macht, die z. T.stark vermoderten Originale Benutzern noch vorzulegen zu müs-sen. Beides – Aktualisierung veralteter Findbücher und zukünfti-ger Schutz der Originale – ist mit dieser Publikationsweise über-zeugend gelungen. Und man kann nur hoffen, dass die beidennächsten Bände der Bearbeiterin, mit denen die Regestierung desUrkundenbestands Adolfs II. (bis 1448) abgeschlossen sein wird,ohne Abstriche am Konzept bald erscheinen können.

Vor allem aber bleibt zu hoffen, dass das Düsseldorfer Archiv –im Gegensatz zu manchen aktuellen Trends im Archivbereich –bei seiner Linie bleiben wird, neben der Erschließung der zeitge-schichtlichen Bestände auch die seiner mittelalterlichen im Augezu behalten. Denn nur Archivare können Regesten wie die hierbesprochenen publizieren, und sie sollten es auch. Denn in dieseArbeit fließt ihr in jahrzehntelangem Umgang mit ihren Bestän-den erworbenes Fachwissen ein, das ansonsten mit ihrem Aus-scheiden aus dem Dienst regelmäßig wieder verloren geht. Sieleisten damit zwar einen traditionellen, dafür aber bleibenden„Service“, der hoffentlich noch lange neben den neuen Servicean-geboten der Archive Bestand haben wird.

Bochum Dieter Scheler

Lorenz Fries. Chronik der Bischöfe von Würz-burg 742–1495. Band V: Wappen und Register. Hrsg.von Ulrich Wagner und Walter Ziegler. Bearb. vonHans-Peter Baum, Rainer Leng, Renate Schindlerund Florian Sepp. Verlag Ferdinand Schöningh, Würz-burg 2004. IX, 396 S., 112 Abb., geb. 59,– C.(Fontes Herbipolenses, Editionen und Studien aus demStadtarchiv Würzburg, Bd. V).

Nach der Leithandschrift Stadtarchiv Würzburg Ratsbuch 412wurde in mehrjähriger Arbeit eine ausgezeichnete – und bereits inmehreren Rezensionen gewürdigte – Edition der Chronik desberühmten Würzburger Archivars, Sekretärs und Geschichts-schreibers Lorenz Fries († 1550), von Ulrich Wagner und WalterZiegler in vier Bänden (plus einem Band mit den Miniaturen)herausgegeben, vorgelegt. In dem nun vorliegenden Abschluss-band wird der Inhalt mit Hilfe eines umfangreichen Registerserschlossen. Das von Rainer Leng vorzüglich erarbeitete Orts-und Personenregister enthält 20 000 Belegstellen und erschließt ineindrucksvoller Weise den Gesamttext. Ein Sachregister hatRenate Schindler beigesteuert. Das auf den Seiten 328–331 sicherstreckende Stichwort „Fries, Lorenz“ dokumentiert die quellen-nahe Arbeitsweise dieses außergewöhnlichen Chronisten. Diesschloss für ihn aber eine eindeutige Parteinahme für seine Herrennicht aus. „Darumb junger Cantzleischreiber wilt du gefurdertwerden so sei fursichtig, vleissig, willig vnd vnvertrossen dann

dem alten sprichwort nach: stehn vast, ehrlich vnd wol beiainan-der getrewe dienere vnd Gnedige Heren.“ So schrieb er in der„Hohen Registratur“ unter seinem eigenen Stichwort als Mah-nung für seine Nachfolger.

Eine mustergültige Beschreibung der in den Miniaturen derChronik erscheinenden Wappen hat Karl Borchardt erstellt. AlleWappen sind farbig abgebildet und in einem Katalog beschriebenund kommentiert. Wappen als „bleibende Kennzeichen einer Per-son oder Institution“ kamen nach Borchardt erst seit der Mitte des12. Jahrhunderts auf. Daher sind alle bei Fries vorher angegebe-nen Wappen apokryph. Wappen erhielten Bischöfe, Städte, Län-der und vor allem Adelsgeschlechter.

Errata und Corrigenda sowie Nachträge zu Quellen und Lite-ratur sind ebenfalls enthalten. Dieser Band schließt eine vorbildli-che Edition in ebenso vorbildlicher Weise ab. Herzlicher Glück-wunsch!

Würzburg Helmut Flachenecker

Ministerium für Handel und Gewerbe. Spezialin-ventar. Bearb. von Herbert Buck (†). Nachtrag. 2Bände. Hrsg. von Christiane Brandt-Salloum. Selbst-verlag des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kultur-besitz, Berlin 2004. Zus. XXXI, 1440 S., geb. 35,– C.(Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kul-turbesitz, Arbeitsberichte 5.)

Mitte der 1950er Jahre begann das damalige Deutsche Zentralar-chiv (DZA) Abt. Merseburg mit der Erarbeitung eines Spezialin-ventars zum Bestand Rep. 120 Ministerium für Handel undGewerbe mit dem Ziel, diesen geschlossen überlieferten Bestandmit seinen vielfältigen Quellen zur preußischen und deutschenWirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts und desersten Drittels des 20. Jahrhunderts der Forschung besser zugäng-lich zu machen. Der Bearbeiter des Inventars löste diese Aufgabe,indem er, bezogen auf den jeweiligen Einzelaktenband oder aufBandreihen, den Hauptinhalt in Enthält-Vermerken zusammen-fasste. Die Tiefe der Verzeichnung war dabei bestimmt vom Quel-lenwert, den der Bearbeiter den Unterlagen beimaß. In methodi-scher Anwendung einer gestuften Verzeichnung enthält dasInventar deshalb neben den Akten mit ausführlichen Inhaltsana-lysen ebenso Akten, die lediglich durch Angabe des Aktentitelsaufgeführt sind. In anderen Fällen werden sogar nur Aktengroß-gruppen als Gliederungspunkt ausgewiesen. Die Auflistung derUnterlagen im Inventar folgt dabei weitgehend der vorgefunde-nen Bestandsordnung. Die Gliederung des Inventars stimmtsomit mit dem Aufbau der Bestandsfindmittel überein.

Nachdem von den geplanten vier Bänden, in denen derGesamtbestand dargestellt werden sollte, von 1960 bis 1970 dreistattliche Bände in vier Teilen unter dem abstrakten Titel „ZurGeschichte der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse inPreußen 1810–1933“ erschienen waren, verhinderten finanzielleGründe und fehlende Druckkapazitäten die Veröffentlichung desals Typoskript vorliegenden abschließenden vierten Bandes bis1989. Nach Rückführung der Bestände preußischer Zentralbehör-den aus Merseburg nach Berlin-Dahlem Anfang der 1990er Jahreüberzeugte sich das Geheime Staatsarchiv in der praktischenArbeit mit dem Spezialinventar davon, dass es eine „äußerst hilf-reiche, ja unverzichtbare Ergänzung“ (S. X) der vorhandenenBestandsfindmittel darstellt. Die Fortsetzung des Spezialinven-tars mit der Veröffentlichung des vierten Bandes, der beginnendmit Aktengruppen der Handelsabteilung bis hin zu den Aktender Technischen Deputation für Gewerbe und des Handelsamtesnahezu die Hälfte des Bestandes umfasst, wurde deshalb inAngriff genommen. Unter dem leicht abgewandelten bisherigenUntertitel der Vorbände liegt dieser vierte Band nun in zwei Teil-bänden vor.

Die Grundlage bildet das von Herbert Buck erarbeitete Typo-skript. Mit der Absicht, im Inventar die Erschließungstiefe desFindbuches wiederzugeben, erweiterte die Herausgeberin dieVorlage allerdings erheblich. Dies betrifft zum einen die von Buckverkürzt dargestellten Aktengruppen, bei denen entweder nurGesamtlaufzeiten für umfangreiche Bandreihen oder nur dieAktengruppe als Gliederungspunkt im Inventar erscheinen soll-

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ten. Diese Gruppen werden nun bis auf die Ebene des Einzelak-tenbandes nachgewiesen. Für die Erfassung des Gesamtbestan-des wurden zum anderen aus dem Inventar bislang ausgeklam-merte Aktengruppen wie beispielsweise die des Zentralbürosnoch in das Inventar aufgenommen. Im Ergebnis dieser Arbeitengehen für die Aktengruppen der Abteilung C (Handel) und D(Technik der Gewerbe, Gewerbeförderung) und für die meistender anderen Abteilungen (F: Staatliche Porzellanmanufaktur,Tn/Lu: Luftfahrt, TD: Technische Deputation für Gewerbe, HA:Handelsamt) die Bestellsignaturen und die Laufzeit der Einzelak-tenbände aus dem Inventar hervor. Eine Ausnahme hiervon bil-den die Aktengruppen zum gewerblichen Bildungswesen (Abtei-lung E), die wegen des Umfangs und des noch nicht endgültigenErschließungsstandes nur in der von Buck vorgesehenen Auflis-tung der Haupt- und Untergruppen Berücksichtigung finden. ImUnterschied zu den Vorbänden weist die Verzeichnungstiefe derin diesem Band erfassten Aktengruppen weitaus größere Unter-schiede auf. Gemessen an der Gesamtzahl der Akten überwiegensolche, die durch Auflistung der Aktentitel nach Findbucheintragverzeichnet sind. Andererseits nehmen die Aktengruppen mitausführlichen Inhaltsanalysen über die Hälfte des Raums inAnspruch. Zu den relativ vollständig analysierten Aktengruppengehören die Akten über den inneren Handel, über die Eisenbahn,über das Börsen- und Maklerwesen sowie über Wohlfahrtsver-eine. Von der umfangreichen Aktengruppe über den Außenhan-del wurden immerhin die Generalakten sowie die Akten über dieAuswanderung analytisch erschlossen. Die Inhaltsanalysen füh-ren auch die zahlreich in den Akten vorhandenen Druckschriftenund Zeitungsausschnitte auf. Der Herausgeberin kann in diesemZusammenhang nur zugestimmt werden, wenn sie ausgehendvom Quellenwert auf zunächst erwogene Kürzungen dieser oft-mals bibliographisch nur schwer ermittelbaren Publikationen inden Analysen verzichtete.

Der Auflistung der Quellen vorangestellt ist eine kurze Einlei-tung, in der die Herausgeberin über die bisher erschienenenBände des Inventars und über die nun besorgte Drucklegung desvierten Bandes mit den vorgenommenen Veränderungen undErgänzungen informiert. Sie würdigt darin zu Recht die Arbeits-leistung des Bearbeiters Herbert Buck, der die inhaltliche Durch-dringung einer so umfangreichen Ministerialregistratur mit bei-spielhaftem Fleiß und hoher Akribie bewältigte. Die Behördenge-schichte des Ministeriums für Handel und Gewerbe wird in einerschematischen Darstellung illustriert. In Ermangelung einerneueren Gesamtdarstellung verweist die Herausgeberin fürnähere Ausführungen hierzu auf den behörden- und bestandsge-schichtlichen Abriss in Band 2 des Spezialinventars.

Die nahezu 350 Seiten füllenden Indices (Orts- und Sachindex,Index der gewerblichen Unternehmen) schließen das Inventar ab.Angaben zu den zusätzlich in das Inventar aufgenommenenAkten und Aktengruppen hat die Herausgeberin in die Indicesnoch eingearbeitet. Sie ermöglichen daher eine auf Vollständig-keit orientierte schnelle Feststellung der zu einem Thema vorhan-denen orts- oder sachbezogenen Quellen im Bestand. Allein dieVielzahl der im Firmenindex aufgeführten in- und ausländischenUnternehmen weist auf die Spannbreite hin, die der Bestand anAuswertungsmöglichkeiten insbesondere auch für unterneh-mensgeschichtliche Fragestellungen bietet. Wie in den Vorbändenfehlt allerdings auch in diesem Band ein Namensindex, auf dendie Herausgeberin wegen der dafür erforderlichen Nacharbeitenverzichtete. Angesichts des Gesamtumfanges vermag die als Zwi-schenlösung gewählte Unterstreichung der in Aktentiteln und-analysen erscheinenden Personennamen nicht wirklich zu über-zeugen. Der Benutzer, der den Bestand auch unter biographi-schen Aspekten auswerten möchte, wird vielmehr die zusätzlichzum Druckexemplar zu erwerbende CD mit der pdf-Version nut-zen, die zudem bequemere Recherchemöglichkeiten bietet.

Die von der Herausgeberin eingefügten Ergänzungen zu denLaufzeiten und zu den Bestellsignaturen der Einzelaktenbändehaben die ohnehin schon gegebene Nützlichkeit des Inventars fürdie Benutzer dahingehend verbessert, dass der Benutzer nun-mehr anhand des Inventars die ihn interessierenden Akten zielge-nau vorbestellen und Archivbesuche noch besser vorbereitenkann. Ein Vorzug, den Benutzer des Geheimen Staatsarchivs zu

schätzen wissen, denn die Unterbringung der Archivalien ineinem Außenmagazin verursacht längere Vorbestellzeiten. Mitder gewählten Form der Druckfassung, die zusätzlich zu den ana-lytisch erschlossenen Aktengruppen in weiten Teilen die Erschlie-ßungstiefe des Findbuches bietet, hat das in Verzeichnungsinten-sität und Umfang außergewöhnliche Erschließungsprojekt einengelungenen Abschluss gefunden.

Potsdam Frank Schmidt

Das Philipperarchiv. Findbuch für den Bestand 311/7Philippina im Hessischen Staatsarchiv Marburg. Bearb.von Helge Kleifeld. Verlag akadpress, Essen 2004. 79 S.und 31 Seiten Einleitung, brosch. 15,– C.

Das von Kleifeld verzeichnete, seit 2002 als Depositum im Hessi-schen Staatsarchiv Marburg lagernde Archiv der 1880 gegründe-ten Marburger Turnerschaft Philippina umfasst 1235 Verzeich-nungseinheiten. Die Überlieferung setzt im Gründungsjahr einund reicht bis in die unmittelbare Gegenwart. Das gesamte Spek-trum des Verbindungslebens findet seinen Niederschlag, z. B. inder umfangreichen Korrespondenz, in Protokoll-, Pauk- und Gäs-tebüchern, Photoalben, Kassen- und Rechnungsakten, Verbin-dungszeitung u. a.m. Dokumentiert ist auch das Verhältnis zuanderen Verbindungen oder Bünden, zur Philipps-UniversitätMarburg und zur Stadt Marburg. Auch die beiden Weltkriege des20. Jahrhunderts und die daran anknüpfende Erinnerungskulturder Verbindung sind nicht ausgeblendet. Bemerkenswertumfangreich ist zum Beispiel die Sammlung von Feldpostbriefenaus den Jahren 1914–1918. Angesichts der zahlreichen erwähntenPersonen, Verbände, Orte etc. wäre ein Index nützlich gewesen.

Zusammen mit der ausführlichen, durchaus kritischen und fürden Nichtverbindungsmann unabdingbar notwendigen 31-seiti-gen historischen Einleitung wird deutlich, dass hier ein Terrainbetreten worden ist, dass von archivischer und historiographi-scher Seite mehr in den Blick genommen werden sollte. Dennauch über „verbindungsinterne“ Zwecke wie Selbstreflexion undTraditionspflege bergen Archive wie das hier erschlossene Philip-perarchiv wertvolle Unterlagen zur Universitäts- und Wissen-schaftsgeschichte, zur Erforschung von Akademikerbiographienim endenden 19. und im 20. Jahrhundert, sowie zur Kommunal-und Sozialgeschichte. Dokumente, die in ihrer eigentümlichenCharakteristik und auch inhaltlich von der staatlichen und derkommunalen Überlieferung nicht ersetzt werden können. Eswäre für die Forschung begrüßenswert, wenn das Vorbild der„Philippina“ Nachahmung fände. Zumal hier zugleich – so emp-findet es jedenfalls der Nichtverbindungsmann – ein Zeichen fürmehr Transparenz und offeneren Umgang im Zusammenhangmit dem so gerne als abseitig und unzeitgemäß gescholtenen Ver-bindungswesen gesetzt wurde.

Münster Johannes Burkardt

Quellen zur Geschichte der Stadt Brilon 1482–1578. Bearb. von Wilfried Reininghaus. Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv, Münster 2003. 225 S. miteinigen Abb., kart. 12,– C.(Veröffentlichungen der staatlichen Archive des LandesNordrhein-Westfalen, Reihe C: Quellen und Forschun-gen aus den staatlichen Archiven, Bd. 49.)

Die Quellenlage für die meisten südwestfälischen Städte ist fürdas 14.–16. Jahrhundert nicht gerade gut zu nennen. Sie kann mitderjenigen oberdeutscher Städte nicht mithalten. Der Zugriff aufQuellen zur Briloner Stadtgeschichte zumindest aus dem 15. und16. Jahrhundert ist nun durch die Arbeit von Wilfried Reining-haus wesentlich verbessert worden. Regesten der Urkunden undAkten des Stadtarchivs waren schon 1970 durch A. Bruns vorge-legt worden. Nun liegen auch Zehntrollen und Schatzungslisten,also serielle Überlieferungen aus dem Staatsarchiv Münster unddem Briloner Stadtarchiv, als Edition vor. Sie ist erwachsen ausder Vorbereitung eines Beitrages zur Tagung des Instituts für ver-gleichende Städtegeschichte in Münster über „Stadt und Berg-bau“ im März 2003. Dabei kam auch die Briloner Zehntrolle von1482 in den Blick, denn in ihr werden Bleikuhlen erwähnt. Das

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2214

Thema „Bergbau im Sauerland“, das seit Jahren vorrangig vonder Historischen Kommission für Westfalen und dem Westfäli-schen Heimatbund bearbeitet wird, bildet dazu den Hintergrund.So sei ergänzend auf zwei Studien von W. Reininghaus hingewie-sen: 1. Der Montanbesitz des Klosters Bredelar vor dem Dreißig-jährigen Krieg. Ortsstudien zu Giershagen, Rösenbeck, Messing-hausen, Bontkirchen und Bleiwäsche, in: SüdWestfalen Archiv04/2004, S. 7–22 und 2. Bergbaustädte im kölnischen Sauerland:Brilon, Hagen, Endorf und Silbach im Mittelalter und in der frü-hen Neuzeit, in: Karl Heinrich Kaufhold/ders., Stadt und Berg-bau, Köln 2004, S. 39–72.

Die kurze Einführung (S. 7–9) ist ausreichend, da die näherenZusammenhänge, in denen die edierten Quellen stehen, in einergrößeren Untersuchung des Autors: „Die Zehnten im Raum umBrilon. Untersuchungen zu einer Schnittstelle von Kirchen-,Rechts-, Agrar- und Stadtgeschichte zwischen dem 10. und19. Jahrhundert“ in der Westfälischen Zeitschrift 153/2003,S. 227–260 aufgearbeitet worden sind. Knappe Quellenbeschrei-bungen (S. 12–14), die Editions- und Bearbeitungsgrundsätze(S. 14 f.), ein Abkürzungsverzeichnis der Münzen und Maße(S. 15) sowie eine Literaturauswahl (S. 16) gehen dem Hauptteildes Buches mit den Texteditionen (S. 17–173) voraus. Hier werdenacht Quellen im Volltext ediert. Dabei handelt es sich um vierSchatzungslisten der Stadt Brilon aus der Zeit von ca. 1500–1578,drei Zehntrollen bzw. -register des St. Patroklistiftes in Soest vomEnde des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts und eine Zehnt-rolle des Klosters Bredelar aus dem Jahre 1578. In den drucktech-nisch etwas zu klein geratenen Fußnoten finden sich Text- undSachkommentare.

Die Hauptquelle der Edition (S. 17–54) ist die Zehntrolle desSoester St. Patroklistiftes von 1482, die mehrfach aktualisiertwurde. Sie zu edieren ist angesichts ihres Umfanges (neun zusam-mengenähte Pergamente, zu 17 Lagen gefaltet, ca. 544 cm lang!)und der teilweise schwer zu entziffernden Einträge (vgl. Abb. aufS. 55 f.) schon eine besondere Leistung. Die Anlegung der Zehnt-rolle und auch die Überlieferung der übrigen Quellen zu denZehnteinnahmen (Kleiner Zehnt von 1524, Zehntrückstände von1552, Großer Zehnt von 1578) sind offenbar der Tatsache zu ver-danken, dass diese zwischen den Zehntherren (St. Patroklistift inSoest, seit ca. 1578 Kloster Bredelar vor Marsberg) und der StadtBrilon zu Streitigkeiten führten. Die Zehntrolle von 1482 wird als„exzellente Quelle für Brilon“ eingestuft. Man könnte annehmen,sie führe nur zehntpflichtige Ländereien und deren Besitzer auf,aber es werden auch „teyntfrye“ Stücke beschrieben. Solcherma-ßen ausführlich, bringt sie neben den Angaben zu den Zehntenviele Flurnamen und Familiennamen. Gerade die letzteren kön-nen in den mitedierten zeitnahen vier Schatzungslisten (von 1486,um 1500, 1528, 1578) verifiziert werden. Zwei Schatzungslisten(1486, 1528) waren bereits früher ediert worden, jedoch so fehler-haft, dass sich der Neudruck anbot.

Ein umfangreiches Register (S. 174–223), unterteilt in Perso-nen- bzw. Orts- und Flurnamenregister, erschließt die Quellenzuverlässig. Ein kurzes Glossar (S. 223–225) erläutert niederdeut-sche und lateinische Ausdrücke, wobei der Begriff „wanoer“weniger mit „wenn“ als eher mit „früher, ehemals“ zu deuten seindürfte (vgl. S. 19, Nr. 16).

Ziel und Absicht der Edition ist es, weitere Forschungen anzu-regen. Die Zehntregister ermöglichen in der Zusammenschauund Auswertung besonders mit den zeitnahen Schatzungslisten –und darauf weist der Bearbeiter ausdrücklich hin – eine genaueAnalyse der Einwohnerschaft und Stadtgesellschaft Brilons. Die-ses Angebot, die zugänglich gemachten Quellen zu nutzen, soll-ten Historiker, Heimat- und Familienforscher, aber auch Germa-nisten und Geographen wahrnehmen. Für die Briloner Stadtge-schichte sind dadurch weitere Fortschritte zu erwarten.

Vergleichbare Quelleneditionen wären auch für andere süd-westfälische Orte wünschenswert, zumal gerade die Archivland-schaft des ehemaligen Herzogtums Westfalen mit ihren kleinerenund größeren Kommunal-, Adels- und Kirchenarchiven schwerzu überblicken ist. Einschlägige historische Institutionen undUniversitätsinstitute, deren Forscher sich der Geschichte dieserRegion widmen, fehlen hier. Quelleneditionen aus diesem Raumsind daher doppelt nützlich: sie ermöglichen den Zugriff auf

schwer zugängliches und/oder schwer lesbares Material und bil-den dauerhafte Grundlagen für neue Erkenntnisse derGeschichtsforschung.

Arnsberg Michael Gosmann

Reichskammergericht Köln. Bd. 4, Teil 1: Nr. 1678–1864 (T-Z). Bearb. von Klaus Nippert. HistorischesArchiv der Stadt Köln, Köln 2002. 222 S., brosch. 22,– C.(Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, H. 84,Teil 1. Inventar der Akten des Reichskammergerichts,Nr. 26, 4,1.)

Mit dem vorliegenden Band ist die Inventarisierung der Aktendes Reichskammergerichts im Historischen Archiv der Stadt Kölnbis auf das noch zu erstellende Gesamtregister abgeschlossen. DerWechsel bei der Bearbeitung von Matthias Kordes zu Klaus Nip-pert, der die Abschlussarbeiten vorgenommen hat, ist nichterkennbar, was aus guten Gründen beabsichtigt war.

Nippert hat den 1678 bis dato verzeichneten Akten 186 weiterehinzugefügt. Sie umfassen die Prozesse derjenigen Kläger, derenNamen mit den Buchstaben T bis Z beginnen. Pro Prozess wurde –wie in den vorherigen Bänden – durchschnittlich etwa eine Seiteim Inventar verbraucht, wobei insbesondere die Beschreibungdes Streitgegenstandes in der Regel nicht mehr als eine halbe Seiteausmacht. Die Kennzeichnung eines jeden Streitgegenstandes miteinem eindeutigen Schlagwort zu Beginn der Darstellung ermög-licht eine sehr gute Orientierung. So konnten in diesem Band sehrschnell einige Fälle aufgefunden werden, die aus dem Gros derErbschaftsangelegenheiten, Schuldforderungen und Nachbar-schaftskonflikte herausfallen, wie etwa die Nichtigkeitsklage imKriminalprozess, die Hermann von Weinsberg d. J. gegen Bürger-meister und Rat der Stadt Köln in den Jahren 1600–1603 führte(Nr. 1772). Hermann von Weinsberg d. J., Neffe des gleichnami-gen Kölner Ratsherren und Chronisten, war, nachdem man seineTante tot in einem Brunnen gefunden hatte, der Tötung verdäch-tigt, gemeinsam mit seiner Mutter und Schwester sechs Monatelang inhaftiert und in dieser Zeit gefoltert worden.

Bei einem weiteren Fall, in welchem der Prozessgegenstand inden Bereich des Strafrechts fällt, handelt es sich um eine Urfehdeaus dem Jahr 1552 (Nr. 1775). Der Kläger vor dem RKG, MartinWeiß, hatte, nachdem ihm durch Urteil des Kölner Hofgerichtswegen vorsätzlicher Körperverletzung eine Hand abgeschlagenworden war, in der Urfehde geschworen, dass er das Gericht nichtanderen Ortes verklagen werde. Danach wurde er lebenslänglichaus der Stadt verwiesen. Er bat das RKG um Aufhebung derUrfehde, um gegen das Ersturteil vorgehen zu können. Das RKGverwies ihn jedoch an den Kölner Kurfürsten.

Interessant auch zwei Fälle, in denen es um den Umgang mitverachteten Minderheiten geht. Im ersten Fall wurde im Jahre1534 einem Leineweber, mithin einem Ausübenden eines sogenannten unehrlichen Gewerbes, das passive Ratswahlrecht ver-wehrt (Nr. 1683). Das RKG bestätigte nach insgesamt zehn JahrenVerhandlungszeit den Kölner Rat in dieser Sache. In einem weite-ren Fall aus dem Jahre 1720 (Nr. 1767, 1768) beklagte sich HansChristian Ernst, konvertiert vom jüdischen zum christlichenGlauben, darüber, dass er von der Kölner Wache festgenommenund drei Wochen lang in Haft gehalten worden sei. Man habe ihnso behandelt „als wann er noch ein judt“ sei. Seine Schadenser-satz- und Genugtuungsforderung wurde seitens des Rats mit derBegründung abgelehnt, Ernst sei „von gesicht, Kleidung undtgebehrdten einem juden gantz gleichformig gewesen“. Das RKGschloss sich dieser Argumentation an und wies die Klage zurück.

Dies mag als erster Eindruck von der Vielfalt der erschlossenenFälle genügen. Der jetzt vollständig inventarisierte KölnerBestand wird zweifellos das Forschungsinteresse ganz massivanregen. Historikern aller Fachrichtungen steht für den Zeitraumvon 1495 bis 1806 wichtiges und vielfach noch weitgehend unbe-kanntes Material zur Verfügung. Der Bestand wird zudem auf-grund seiner räumlichen Begrenzung ganz entscheidend dieStadtgeschichtsschreibung beeinflussen können.

München Margarete Wittke

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 215

Annekatrin Schaller, Michael Tangl (1861–1921)und seine Schule. Forschung und Lehre in den His-torischen Hilfswissenschaften. Franz Steiner Verlag,Stuttgart 2002, 386 S., geb. 68,– C.(Pallas Athene, Beiträge zur Universitäts- und Wissen-schaftsgeschichte, Bd. 7.)

Annekatrin Schaller befasst sich erwartungsgemäß in ihrer Dis-sertation vor allem mit der Person Michael Tangls, der selbst inHistorikerkreisen heute nahezu unbekannt ist – weswegen (oderweil?) seiner Person bislang kein größeres Werk gewidmet wurde.Jedoch soll auch vorliegende Arbeit keine Lebensbeschreibung imeigentlichen Sinne darstellen, sondern eine wissenschaftliche Bio-graphie, die hauptsächlich Tangls berufliche Laufbahn rekonstru-ieren möchte. Tangl als Inhaber des hilfswissenschaftlichen Lehr-stuhls in Berlin – in Deutschland der bedeutendste um 1900 – solldabei exemplarisch betrachtet werden, d. h. seine Beschäftigungs-schwerpunkte, Tangls Rolle in seinem wissenschaftlichenUmfeld, seine Funktion innerhalb der damaligen institutionellenund personellen Strukturen untersucht werden. Dabei treten auchdie Monumenta Germaniae historica (MGH) und die preußischeArchivarsausbildung der damaligen Zeit ins Blickfeld, von denenTangl nicht losgelöst betrachtet werden kann: Für Letztere, die1904 von Marburg nach Berlin verlegt wurde, setzte sich Tanglbesonders ein und verkörperte deren Verbindung zur Universität.Alle drei Institutionen zusammen waren Zentrum der „Tangl-Schule“. Denn die von Tangl ausgebildeten Studenten waren inder Lage, sowohl bei den MGH mitzuarbeiten als auch dieArchivlaufbahn einzuschlagen. Es zeigte sich, dass Tangls größteswissenschaftliches Verdienst seine Bemühungen und Erfolge inder Lehre gewesen sind. Schon in seiner Marburger Zeit(1895–1897), am Seminar für Historische Hilfswissenschaften,beteiligte Tangl die Studenten an seinen Forschungserkenntnis-sen, die er in seinen Lehrveranstaltungen thematisierte. Tangl för-derte seine Schüler auch nach Beendigung des Studiums, jedochwar sein Einfluss bei der Unterbringung von Schülern begrenzt.Es zeigen sich hier wie auch in anderen Zusammenhängen immerwieder die Vorurteile und Schwierigkeiten, mit denen Tangl alsÖsterreicher und Katholik in Preußen zu kämpfen hatte.

Tangls wissenschaftliche Karriere begann 1885 mit seiner Auf-nahme als ordentliches Mitglied ins Institut für ÖsterreichischeGeschichtsforschung, das nach dem Vorbild der Pariser Ecole desChartes Archivare, Bibliothekare und Historiker-Wissenschaftlerzugleich in den Historischen (Hilfs-)Wissenschaften ausbildete.Prägend für das Institut und Tangl waren Theodor von Sickel mitseiner strengen (aber auch einseitigen) Spezialisierung auf dieDiplomatik sowie Engelbert Mühlbacher. Seit 1888 war Tangl Mit-arbeiter der MGH – zunächst in der Abteilung Diplomata, späterauch bei den Leges- und Epistolae. Schließlich übernahm er von1914–1919 provisorisch die Leitung der MGH, wenn auch ungern.Von 1889 bis 1895 arbeitete er im staatlichen Archivdienst undlehrte nach seiner Habilitation 1892 zusätzlich an der Universität,da ihn die Archivarbeit nicht ausfüllte. 1897 wechselte er vonMarburg, wo er seit 1895 gelehrt hatte, nach Berlin. Tangls Lehran-gebot umfasste v. a. Diplomatik, Paläographie, Chronologie,manchmal die Tironischen Noten (eines seiner bedeutendstenForschungsprojekte). Die aus Österreich mitgebrachte quellenkri-tische Methode, basierend auf der Diplomatik, verfeinerte Tanglin seinen Forschungsprojekten und im Unterricht.

Zusammen mit Karl Brandi und Harry Bresslau begründete erdas Archiv für Urkundenforschung. Veröffentlicht werden solltendort Arbeiten, deren Erkenntnisse auf der Grundlage der Aus-wertung von Urkunden gewonnen worden waren. Neu war derAnsatz, auch andere Quellen und die Aktenkunde mit einzube-ziehen und so den Begriff der Diplomatik zu erweitern.

Neben Tangls eigener wissenschaftlicher Laufbahn – eng mitseiner akademischen Tätigkeit verknüpft – stellt Verfasserin imzweiten Teil ihrer Arbeit in Form von (alphabetisch sortierten)Prosopographien auch die Doktoranden vor, bei denen TanglErstgutachter war. Im Anhang finden sich ein Quellen- und Lite-raturverzeichnis, eine Bibliographie Tangls, eine Auflistung sei-ner akademischen Lehrveranstaltungen, eine Liste derjenigenDoktoranden, bei denen Tangl als Zweitgutachter fungierte, samt

ihren Themen, ein Abkürzungs- und Siglenverzeichnis sowie einAbbildungsnachweis. Leider fehlt ein Register, und ohne ein sol-ches ist das Auffinden von Personen oder Sachbetreffen verhält-nismäßig zeitaufwendig.

Die Darstellung stützt sich auf diverse ungedruckte undgedruckte Quellen (v. a. Tangls Werke und Publikationen der mitihm verbundenen Institutionen, Universitätschroniken, Vorle-sungsverzeichnisse sowie andere Werke, die sich auf TanglsPublikationen beziehen). Ein persönlicher Nachlass Tangls exis-tiert nicht, und es lässt sich daher wenig über seine Kindheit,Jugend und das Privatleben des Erwachsenen mitteilen. Mangelsprivater Schriftstücke konnte allein auf die Überlieferung inArchiven und wissenschaftlichen Einrichtungen zurückgegriffenwerden sowie auf Korrespondenz mit anderen Gelehrten, soweitderen Nachlässe erschlossen sind. Hinzu kamen zwei Gesprächemit Tangls Schwiegertochter Dr. Claudia Tangl und mit Dr. OttoPerels, dem Sohn des Tangl-Schülers Ernst Perels.

Nicht zu kurz kommt in der vorliegenden wissenschaftlichenBiographie – die zudem unterhaltsam zu lesen ist – die Einord-nung der geschilderten Ereignisse in den größeren historischenRahmen, wobei auch auf die politischen Zustände und Befind-lichkeiten, die mit groß- und kleindeutschen Präferenzen einher-gingen, eingegangen wird. Ebensowenig fehlen für das Verständ-nis wichtige Informationen über die preußische Archivarsausbil-dung, die Situation der Hilfswissenschaften in Berlin und die imZuge der Verlegung der Archivarsausbildung entstandenen Ani-mositäten. Und nebenbei erfährt der Leser viel über die damalsaktiven Großen der Mediävistik, deren Werke oftmals bekanntsind, deren Persönlichkeiten jedoch weniger.

Aachen Monika Gussone

Das Stadtarchiv. Schatzkammer – Forschungs-stätte – Erlebnisort. Beispiel: Stadtarchiv Bochum.Hrsg. von Johannes Volker Wagner. Klartext Verlag,Essen 2004. 472 S., zahlr. meist farb. Abb., geb. 19,90 C.

Am 27. Juni 2004 wurde nach 30-jähriger Tätigkeit der Direktordes Stadtarchivs Bochum, Dr. Johannes Volker Wagner, in denRuhestand verabschiedet. Zu diesem Anlass erschien das vorlie-gende Buch, das sich jeder Kategorisierung entzieht. Es istzugleich Einführung in das kommunale Archivwesen, Rechen-schaftsbericht und Festschrift für den Herausgeber.

Im Teil 1 („Geschichte bewahren“), in dem auch das Stadtar-chiv Bochum mit seiner Außenstelle Wattenscheid, die Restaurie-rungswerkstatt und die Filmarchivierung vorgestellt werden,skizziert Wagner die Aufgaben eines Kommunalarchivs, die sichin den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt haben.Zu den „klassischen“ Tätigkeiten der Bewertung, Sicherung undErschließung der Bestände kam die „bürgernahe Geschichtsver-mittlung“ hinzu. Mittels einer intensiven historischen Bildungs-arbeit – der ein eigener Beitrag gewidmet wird – ist anzustreben,„das historische Wissen und das Geschichtsbewusstsein in derGesellschaft zu stärken und ihr zugleich Fertigkeiten und Einsich-ten über den Umgang mit archivischen Quellen – und das heißtmit wichtigen Kulturgütern – zu vermitteln“. D. h. Kommunalar-chive sollten nicht länger nur historische Wissensspeicher sein,sondern zu Orten „der historisch-politischen Kommunikationund Information“ werden. Mit dieser Forderung rennt man heutebei den meisten Kolleginnen und Kollegen offene Türen ein, docheine solche Einstellung war 1974, als Wagner vom Bundesarchivzum Stadtarchiv Bochum wechselte, keineswegs Allgemeingut.Dass die historische Bildungsarbeit mittlerweile zu den zentralenAufgaben eines Kommunalarchivs gehört, ist sicherlich auch sei-nem Wirken zuzuschreiben. Die Leistungsbilanz des BochumerArchivs ist sehr beeindruckend: 115 größere und kleinere Ausstel-lungen, 212 Veranstaltungen, Vorträge, Lesungen, 32 Filmreihenund 214 Film- und Multimediaveranstaltungen in den letzten 30Jahren, dazu zahlreiche Veröffentlichungen.

Einblicke in die Filmarbeit und das Ausstellungswesen gebendie Teile 3 („Geschichte sehen“) und 4 („Geschichte erleben“).Dass im Stadtarchiv Bochum historische Ausstellungen zu einemSchwerpunkt der Arbeit geworden sind, ist dem Fehlen einesstadtgeschichtlichen Museums geschuldet. Da das Heimatmu-

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seum nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder eingerichtetwurde, war für die Bochumer Bürgerschaft die Geschichte ihrerStadt nirgendwo sichtbar ausgestellt. Das Stadtarchiv nutzte diesich bietende Chance und realisierte, beginnend mit der Präsenta-tion „Hakenkreuz über Bochum“ 1983, eine Reihe von größerenAusstellungen, die starke Beachtung fanden. Die Ausstellungs-macher hatten bewusst auf die dokumentarische „Flachwaren“-Präsentation verzichtet. Sie setzten vielmehr „auf das Inszenieren,auf das Erarbeiten historischer Collagen und auf das Zusammen-stellen kulturgeschichtlicher Ensembles, wobei charakteristischeOriginal-Dokumente mit authentischen Alltagsgegenständen,Kunstobjekten, Maschinen, Möbeln usw. konfrontiert werden“.

Die erfolgreichen Wechselausstellungen ersetzen keineumfassende Gesamtschau, sondern liefern allenfalls Bausteinedazu. So ist es nur konsequent, dass als nächster Schritt die Grün-dung eines Stadthistorischen Zentrums angestrebt wird, bei demStadtarchiv und stadthistorisch-museale Einrichtung einenengen sachlichen, räumlichen und organisatorischen Verbundeingehen. Wagner preist dieses Modell an, da es „eine kosten-trächtige Aufspaltung der historischen Informations- und Dar-stellungsbereiche im städtischen Raum verhindern, personelleund sachliche Kompetenzen bündeln und sicherstellen“ kann,„dass die umfangreichen Quellenbestände des Stadtarchivs inoptimaler Weise genutzt, Überschneidungen in Sammlungsge-bieten und öffentlichen Aktivitäten vermieden, Fragen der Res-taurierung und Erschließung in gezielter Abstimmung erfolgen“können.

Bochum mag in vielem ein Sonderfall sein, doch auch in ande-ren Kommunen ist eine Zusammenlegung von Archiv undMuseum bereits Realität oder wird wegen der Finanzlage ange-dacht. Ob dieser Schritt wirklich ein Fortschritt wegen der vonWagner angeführten Synergieeffekte ist oder vielmehr einenRückschritt für das Archiv darstellt, falls dessen Arbeitsfelderhinter der Ausstellungstätigkeit zurücktreten müssen, bleibtsorgsam zu beobachten.

Das Stadtarchiv Bochum ist nicht nur eine Forschungsstelle fürexterne Benutzer, der Archivleiter und seine Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter werten die Quellen auch selbst aus. Dies doku-mentiert Teil 2 („Geschichte erforschen“), in dem Reden, gehaltenanlässlich von Gedenktagen oder Ausstellungseröffnungen, Vor-träge und Aufsätze abgedruckt sind. Dabei ist das Spektrum derBeiträge weit gestreut: Neben biographischen Skizzen (u. a. Hein-rich Graf Ostermann, der am Zarenhof im 18. Jahrhundert Kar-riere machte, Carl Arnold Kortum, Arzt und Literat, der vielleichtberühmteste Bochumer Bürger, Else Hirsch, die als Jüdin einOpfer der Shoa wurde) stehen Arbeiten zum Bochumer Mai-abendfest, zur Gründung des Stadtparks, zur Pogromnacht 1938oder zum Zwangsarbeitereinsatz. Wagner hält die historischeForschung der Archivare als zwingend notwendig, „denn nur,wenn die Archivare durch eigenes Tun im permanenten Diskursmit der Wissenschaft stehen, sind sie in der Lage, verantwor-tungsvolle Erschließungs- und Bewertungsentscheidungen zutreffen“.

Mit dieser Stellungnahme bezieht er Position in der aktuellenDiskussion über das Berufsbild und die damit zusammenhän-gende Ausbildung der Archivarinnen und Archivare. Er wendetsich gegen eine einseitige Ausrichtung auf den „Archiv-Informa-tiker“. „Gerade weil die Aufgaben im Archivwesen – und diesspeziell im kommunalen Raum – so differenziert und gleichzeitigso komplex geworden sind, wird nicht der technisch-instrumen-tellen Intelligenz ... die Zukunft gehören, sondern dem historischund fachlich beschlagenen, allseitig gebildeten, interessierten,offenen und vielseitig begabten Archivar.“ Damit dieser sich dienötigen Kompetenzen aneignet, plädiert Wagner für eine stetigeWeiterbildung nach der Ausbildung in Marburg.

Teil 5, der Beständeübersichten, Literaturlisten und Auszügeaus den Jahresberichten des Bochumer Archivs enthält, ent-täuscht. Es sind zum einen nicht alle Bestände aufgeführt, zumanderen ist die Beschreibung insgesamt zu knapp ausgefallen.Hier hätte sich der Rezensent nach Bonner, Düsseldorfer oderMünsteraner Vorbild mehr Informationen gewünscht.

Das Buch ist reich bebildert. Abbildungen von Archivalienund Sammlungsgut, von Plakaten und Buchumschlägen, Foto-

grafien der Ausstellungen ergänzen die Ausführungen trefflich.Daneben finden wir mehr als 30 Aufnahmen des Archivleiters –Johannes Volker Wagner bei seinem Dienstantritt, beim Empfangvon Archivalien, im Kreis illustrer Gäste, am Schreibtisch, imbequemen Sessel usw.

Trotz der an der Beständeübersicht geäußerten Kritik ist derGesamteindruck positiv. Die Beiträge von Wagner und seinerCrew vermitteln einen guten Eindruck, wie moderne Archivar-beit auszusehen hat, und geben zahlreiche Anregungen. Siebeweisen, dass das Stadtarchiv Bochum unter seinem erfolgrei-chen Direktor ein „lebendiges Zentrum und ein wichtiger Träger,Vermittler und Mitgestalter der historischen Überlieferung, derhistorischen Forschung, der historischen Bildung und der histori-schen Kultur“ in der Stadt geworden ist.

Essen Klaus Wisotzky

Steine und Erde. Der jüdische Friedhof in Sieg-burg. Hrsg. von Andrea Korte-Böger im Auftrag derKreisstadt Siegburg. Rheinlandia Verlag, Siegburg 2004.543 S. mit zahlreichen Illustrationen, 1 Lageplan, geb.39,00 C.(Zeugnisse jüdischer Kultur im Rhein-Sieg-Kreis, Bd. 1.)

Das Buch „Steine und Erde“ ist das Resultat eines mehrjährigenProjekts des Stadtarchivs Siegburg zur Dokumentierung undKatalogisierung des Siegburger jüdischen Friedhofs. Unter Beteili-gung des Kreisarchivs, der Unteren Denkmalbehörde und desSalomon-Ludwig-Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Ge-schichte an der Universität Duisburg-Essen wurde daraus aller-dings erheblich mehr als eine nüchterne Aufzählung der einzelnenGrabsteine. Es ist – zunächst einmal – ein schönes Buch. Der groß-formatige Band besticht schon durch seinen Umschlag, auf demein stimmungsvolles Farbfoto auf dunkelrotem Hintergrundprangt. Auch die zahlreichen Schwarz-Weiss-Fotos von KlausMischka und Reinhard Zado im Inneren des Buches, insbeson-dere die großformatigen Abbildungen im hinteren Teil, fangen vielvon dem Zauber des Ortes ein, der hier dokumentiert werden soll.

Aber natürlich soll das Buch nicht nur schön sein. Dieser Bandist zugleich eine kurz gefasste Geschichte der jüdischenGemeinde in Siegburg und ihres Friedhofs. Aus der Feder deskenntnisreichen früheren Kreisarchivars des Rhein-Sieg-Kreises,Dr. Heinrich Linn, stammt eine „Geschichte der Juden in Sieg-burg im Lichte der neueren Forschung“ (S. 13–42). Sie räumt miteinigen Vorurteilen der Siegburger Heimatgeschichtsschreibungauf. Eine erste jüdische Ansiedlung ist für Siegburg schon 1287bezeugt, eine jüdische Gemeinde ist ab 1384 sicher anzunehmen.In dieser Zeit hat auch der Friedhof an der heutigen Stelle schonbestanden, wie Quellenzeugnisse aus dem 16. Jahrhundert zeigen(S. 16). Der Untergang dieser ersten jüdischen Gemeinde in derMitte des 15. Jahrhunderts ist schon seit dem 19. Jahrhundert inder Forschung bekannt und diskutiert worden. Linn kann über-zeugend nachweisen, dass dieser Untergang nicht das Ergebniseiner Vertreibung oder Verbannung, sondern das Resultat einerstetigen wirtschaftlichen Verschlechterung war, die zur Abwan-derung eines Teils der Siegburger Juden und schließlich zurSelbstauflösung der Gemeinde geführt hat (S. 23). Im 17. Jahrhun-dert siedelt sich erneut eine jüdische Gemeinde an.

Zur Feststellung des Alters des Friedhofs wurde die Methodeeines forstwissenschaftlichen Gutachtens gewählt (Jürgen Schlü-ter, Wie alt ist der jüdische Friedhof in Siegburg? S. 43–46). Esstützt den Befund der schriftlichen Quellen, denn der Eichenbe-stand deutet auf eine Anlage in der Mitte des 14. Jahrhunderts hin(S. 46). Dass allerdings in Siegburg der älteste mittelalterlichejüdische Grabstein Deutschlands sein soll, wie etwa von ZviAvneri noch angenommen worden ist, erweist Dan Bondy alsfalsch (S. 47–51). Die heute noch feststellbaren 364 Grabmalegehen nicht weiter zurück als bis in das Jahr 1698, die meistenstammen aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert. Bondy liefertauch eine zusammenhängende Beschreibung und Einordnungdes Ortes, die zeigt, „dass der Siegburger jüdische Friedhof,neben allgemeinen Entwicklungen, die auch auf anderen Fried-höfen zu beobachten sind, durchaus mehrere Eigenarten auf-weist, die ihn von anderen Friedhöfen unterscheiden und ihm sei-

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nen eigenen, besonderen Charakter verleihen“ (S. 85). Die Typo-logie der Grabsteine wird dem Leser von Frank Woringen nähergebracht, der es geschafft hat, die 364 individuellen Grabsteine zusystematisieren und vier verschiedenen Typen zuzuordnen. Ihremineralogische Zusammensetzung hat Bernd Böger untersuchtund in einem ausführlichen und aufschlussreichen Beitrag wie-dergegeben, der auch die kulturgeschichtlichen Bezüge zurgleichzeitigen christlichen Sepulkralkultur herstellt. Die ältestennoch vorhandenen Grabsteine wurden demnach direkt in derSiegburger Region aus Wolsdorfer Tuff gewonnen, im 18. Jahr-hundert dann zumeist aus Steinen aus dem Siebengebirge wieetwa dem Drachenfelser Trachyt. Im 19. und 20. Jahrhundertwechselten sich verschiedene Moden ab. Böger hat auf S. 127 sehrschön diese einzelnen Schichten nebeneinander gestellt, indem ereinen imaginären Besucher den Siegburger jüdischen Friedhof inden 20er oder 30er Jahren des 20. Jahrhunderts betreten lässt.

Der überwiegende Teil der Beiträge aber stammt aus der Federder Siegburger Stadtarchivarin Andrea Korte-Böger. Sie hat dastraurige Kapitel der Bestattungen in der NS-Zeit ebenso unter-sucht wie die Nachkriegs-Geschichte dieses Ortes, hat die Indicesund das Kurzinventar aller vorhandenen Grabsteine beigesteuertund einen sehr gut lesbaren Abriss der Geschichte des gesamtenProjekts der Dokumentation des jüdischen Friedhofs in Siegburggeschrieben.

Aber bei dem Buch handelt es sich nicht um einen Textband,sondern um einen Katalog. Der wichtigste Teil des Buches also istder Katalog der Grabsteine, der von Andrea Korte-Böger gemein-sam mit Bernhard Böger, Dan Bondy, Frank Woringen und Hans-Georg Wulf erstellt wurde. Jeder einzelne Grabstein ist hiererfasst, mit Kopfzeile, Bild, Transkription und Übersetzung derhebräischen Inschriften, Genealogie der nächsten Angehörigen,Kommentar und eventuell Quellen und Literatur. In einem eige-nen Block zusammengefasst sind die Steinmaße für den Grabsteinund den Sockel (falls vorhanden), die Zierelemente und der Stein-metzname. So eröffnen sich hier auch handwerksgeschichtlicheMöglichkeiten. Am Ende des Kataloges kommt noch ein besonde-res Element hinzu: Es sind die wiedergefundenen Scherben derSchwarzglas-Texttafeln zerstörter Grabsteine, die von EckehartRuthenberg mit dedektivischem Spürsinn gesucht, zusammen-gepuzzelt und durch Abriebe wieder sichtbar gemacht wordensind. Neun dieser Abriebe sind als ganzseitige Abbildungen andas Ende des Buches gesetzt und haben über ihre Bedeutung alsQuellen hinaus einen bestechenden ästhetischen und künstleri-schen Reiz.

Bonn Thomas P. Becker

Erika Stubenhöfer, Die Erkrather Bürgermeister1898–1999. Stadtgeschichte im Spiegel von Biografien.Stadtarchiv Erkrath, Erkrath 2004. 191 S., zahlr. Abb.,geb. 13,– C.(Erkrather Monografien zur Stadtgeschichte, Bd. 1.)

Für eine Stadtgeschichte gibt es unterschiedliche Zugangsmög-lichkeiten: Man kann sie als chronologische Abfolge verschiede-ner Ereignisse anlegen, man kann Strukturen einer Stadt untersu-chen, eine rein politische Geschichte schreiben, ohne die gesell-schaftlichen und sozialen Hintergründe zu beleuchten, oder eineQuellendokumentation zu einem bestimmten Thema zusammen-stellen. Einen anderen, sehr interessanten Zugang zur Geschichteder Stadt Erkrath hat Erika Stubenhöfer mit dieser Veröffentli-chung gewählt: Die Biografien der Bürgermeister und Bürger-meisterinnen, die nicht nur die Geschichte der Stadt Erkrathdurch die Ausübung des wichtigsten kommunalen Amtes beein-flusst und gestaltet haben, sondern deren persönliche Berufs- undLebenswege teilweise als durchaus exemplarisch für das vergan-gene Jahrhundert gelten können. Biografien bieten die reizvolleMöglichkeit, komplexe Wirklichkeiten im Spiegel von individuel-len Existenzen zu erfassen. Als Lebensabriss einzelner Menschenhaben sie von vornherein – dies muss einschränkend erwähntwerden – jeweils nur einen eng umgrenzten Ausschnitt der histo-rischen Abläufe zum Thema.

15 Biografien von Bürgermeistern und Bürgermeisterinnenerzählen die Geschichte der Gemeinde, später der Stadt Erkrath,

die ihre Selbständigkeit bis heute hat behaupten können, obwohldie Stadt Düsseldorf immer wieder eine Eingemeindung durch-setzen wollte. Heute gehört Erkrath zum Kreis Mettmann. Am1. April 1898 wurde Erkrath aus der Samtgemeinde Gerresheimausgegliedert und als Gemeinde selbständig. Zunächst noch vonOtto Bender, dem Bürgermeister der Samtgemeinde Gerresheim,mit verwaltet, trat am 1. Juni 1898 mit Johann Kaiser der erste Bür-germeister der Gemeinde Erkrath seinen Dienst an.

Die Aufgaben des Bürgermeisters sind in der jeweils gültigenGemeindeordnung zu finden. Ein hilfreicher Überblick über dieEntwicklung der Gemeindeordnungen von 1898 bis 1999 ist des-halb den Biografien vorangestellt. So kann der Leser die qualitati-ven Änderungen, die das Amt des Bürgermeisters im Laufe einesJahrhunderts erfahren hat, nachvollziehen. Gerade in der briti-schen Besatzungszone gab es nach 1945 einschneidende Verände-rungen: Die gravierendste war wohl die von 1946, als die Militär-regierung das eigene Modell einer zweiköpfigen Stadtspitze inihrer Besatzungszone etablierte. Seitdem gab es keinen hauptamt-lichen, beamteten Bürgermeister mehr, sondern einen ehrenamt-lich tätigen Bürgermeister, der als Repräsentant der Stadt undVorsitzender des Stadtrates fungierte, während als Vorstand derVerwaltung ein Stadtdirektor eingesetzt wurde. Diese sogenannte Doppelspitze wurde in Nordrhein-Westfalen bis 1999beibehalten.

Der dadurch geschwundene Einfluss und die gesunkeneBedeutung des Bürgermeisteramtes zeigt sich deutlich in den hierdargestellten Biografien. Es ist bezeichnend, dass es vor 1946 inErkrath lediglich sechs Bürgermeister gegeben hat, von deneneiner sogar 23 Jahre amtierte. Nach 1946 hat Erkrath insgesamtzehn verschiedene Bürgermeister erlebt. Eine Kontinuität im Amthat es in dieser Zeit lediglich zweimal gegeben: Zwischen 1964und 1972 amtierte Gertrud Küpper immerhin für acht Jahre undzwischen 1989 und 1999 Rudolf Unger für zehn Jahre. Gerade inden 1950er und 1960er Jahren hat es aufgrund der politischenKonstellationen im Stadtrat immer wieder Wechsel im Bürger-meisteramt gegeben. Die Amtsdauer betrug manchmal nurwenige Monate.

Die einzelnen Biografien der Bürgermeister und Bürgermeiste-rinnen beschränken sich nicht nur auf ihre Amtszeit. Sie versu-chen, auch das persönliche und sonstige berufliche Leben mit ein-zubeziehen, um die jeweiligen Handlungsweisen und Schwer-punkte bei der Ausübung des Amtes verständlich zu machen.Dies betrifft vor allem die Jahre zwischen 1933 und 1945. So schil-dert die Verfasserin sehr anschaulich am Beispiel des Bürgermeis-ters Heinrich Rasche, der von 1935 bis 1945 amtierte, das Verfah-ren und die Probleme der Entnazifizierung. Auch das Leben vonAugust Westerholz (Bürgermeister von März bis September1946), der aktiv im Widerstand gegen den Nationalsozialismuswar und mehrere Jahre im Zuchthaus verbrachte, ist beispielhaftfür viele Biografien der politisch Aktiven in jener Zeit.

Die Stadtgeschichte Erkraths, um die es bei der Veröffentli-chung laut Untertitel ja auch geht, steht vor allem bei den ThemenErster Weltkrieg, der französischen Besatzungszeit 1921 bis 1924und dem Aufbau demokratischer Strukturen nach 1945 im Mittel-punkt.

Fazit: Eine insgesamt gelungene Mischung aus Biografien undStadtgeschichte und eine auch äußerlich hervorragende Veröf-fentlichung des Stadtarchivs Erkrath, die einen ungewohntenZugang zu einer Stadtgeschichte bietet. Für historisch Interes-sierte, als Lesebuch oder als Nachschlagewerk ist diese Arbeit zuempfehlen. Gleichzeitig kann man sich nur wünschen, dass diesnicht der letzte Band in der neu aufgelegten Reihe der ErkratherMonografien zur Stadtgeschichte sein wird.

Ratingen Joachim Schulz-Hönerlage

Vorderösterreichische Regierung und Kammer1753–1805. Oberämter Günzburg und Rothenfels.Bearb. von Martina Haggenmüller und Peter Steuer.Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns,München 2004. 360 S., geb. 19,80 C.(Bayerische Archivinventare, Bd. 52.)

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2218

wendigen Endredaktionsarbeiten für die einzelnen Bände diebetroffenen Archive vor große Herausforderungen.

Stuttgart Bernhard Theil

Peter Worm, Karolingische Rekognitionszeichen.Die Kanzlerzeile und ihre graphische Ausgestaltungauf den Herrscherurkunden des achten und neuntenJahrhunderts. Band 1: Textband. 176 S.; Band 2: Abbil-dungsband. 309 S. Marburg/Lahn 2004. 69,– C.(elementa diplomatica 10.)

Die von Peter Worm vorgelegte Münsteraner Dissertation von2003 erscheint in der von Peter Rück herausgegebenen Reihe derelementa diplomatica und gehört damit in eine Forschungsrich-tung, die hilfswissenschaftliche Fragestellungen zugleich mitSemiotik und Symbolik verknüpft. Insofern ist es nur folgerichtig,dass Peter Worm die Arbeit schließlich in Münster eingereicht hatund die dort bestehenden Forschungsschwerpunkte zur symboli-schen Kommunikation weiter auch für seine Arbeit nutzenkonnte. Die Publikation liegt in zwei Bänden vor, wovon derzweite Band ausschließlich die Rekognitionszeichen der Karolin-gerzeit in fotographischen Abbildungen bietet und damitumfangreich die Thesen, die im ersten Teil entwickelt werden,belegt.

Die karolingischen Rekognitionszeichen gehören zu den Sym-bolen, die auf mittelalterlichen Urkunden in verschiedensterWeise schon ins Zentrum der Forschung gerückt worden sind.Am umfangreichsten sind diese Symbole sicherlich in dem Sam-melband von Peter Rück, Graphische Symbole in mittelalterli-chen Urkunden. Beiträge zur diplomatischen Semiotik, Sigmarin-gen 1996, mit zahlreichen verschiedenen Beiträgen gesichtet wor-den. Das Rekognitionszeichen der karolingischen Zeit, das oft mitdem „ss“ abgekürzten Wort der Unterschriftsformel „reco-gnovi(t) et subscripsi(t)“ aufgelöst wird, gehört zu den interessan-testen aber auch schwierigsten Zeichen der Herrscherurkunde(vgl. S. 15). Bisher sind allerdings nur einzelne Teilbestände anUrkunden mit Blick auf dieses Element gesichtet worden.

Die umfangreiche Untersuchung ermöglicht es nun, einerseitsdurch eine Differenzierung des Kanzleipersonals einen festenGrund für die Scheidung von echt und falsch zu gewinnen,gleichzeitig allerdings auch die Ausgestaltung der Zeichen insymbolischer Hinsicht und vor dem allgemein historischen Hin-tergrund zu interpretieren. Diese Verbindung macht die Arbeit zueinem vorzüglichen Beispiel dafür, wie Hilfswissenschaften undallgemeine Geschichte sich fruchtbar ergänzen.

Auf der Basis von etwa eintausend im Original erhaltenen Kai-ser- und Königsurkunden der Karolingerzeit, die allerdings auf-grund der Verfügbarkeit nicht ganz vollständig ausgewertet wer-den konnten, untersucht Worm den Zeitraum von der Mitte des8. Jahrhunderts bis in das 10. Jahrhundert hinein mit unterschied-lichen Begrenzungen für die Nachfolgereiche des Karolingerrei-ches: Das westfränkische Reich wird bis 929 in den Blick genom-men, das ostfränkisch-deutsche Reich bis 936, Italien bis 924.

Nachdem der Verfasser die Fragestellung und die gegenüberbisherigen Traditionen etwas erweiterte Terminologie (S. 20 ff.)vorgestellt hat, erfolgt die Untersuchung in drei Hauptkapiteln:zunächst die Rekognitionszeichen bis zur Reichsteilung von 840(gemeint ist eher der Tod Ludwigs des Frommen) (Kapitel 2), dieRekognitionszeichen unter den Söhnen und Enkeln Ludwigs desFrommen (Kapitel 3) und schließlich die Rekognitionszeichen desspäten 9. und beginnenden 10. Jahrhunderts (Kapitel 4). In diesenKapiteln werden von fast allen Kanzlern oder Notaren zumindes-tens eines, oft sogar mehrere Zeichen minutiös beschrieben undanalysiert. Für den Diplomatiker bietet sich zusammen mit denAbbildungen des zweiten Bandes eine Fundgrube an neuen Ein-sichten, Bewertungen und Anschauungsmaterial.

Spannend ist weiterhin, wie Worm die politische Entwicklungauf das Rekognitionszeichen beziehen kann. Unter Karl dem Gro-ßen entsteht so etwas wie ein „Standardrekognitionszeichen“, dasauch in den Urkunden Ludwigs des Frommen noch auftauchtund sich weiter entwickelt. In Kapitel 3 zeigt Worm, wie sich die-ser Standardtypus relativ schnell auflöst und differenziert. Dieverschiedenen Kanzleien in Westfranken und Ostfranken sowie

Der vorliegende Inventarband ist der dritte eines derzeit auf 10Bände berechneten „Gesamtinventars der Akten und Amtsbü-cher der vorderösterreichischen Zentralbehörden in den Archi-ven der Bundesrepublik Deutschland“, das im Jahre 1984 aufAnregung des damaligen Generaldirektors der StaatlichenArchive Bayerns, Professor Dr. Walter Jaroschka, von der Deut-schen Forschungsgemeinschaft genehmigt wurde. Dieses Projektdürfte vielen Lesern dieser Zeitschrift bekannt sein. Da aber,soweit ich sehe, bisher keine Rezension der früheren Bände im„Archivar“ erschien, sei hier kurz auf seine Voraussetzungen undZiele eingegangen. Die starke Zersplitterung der vorderösterrei-chischen Bestände auf zahlreiche Archive in Österreich, Deutsch-land, Frankreich und der Schweiz und die vielfach unsachgemäßeAufteilung der Bestände nach Auflösung Vorderösterreichserschwerte die Benutzung außerordentlich, so dass sich Bayernund Baden-Württemberg – nicht zuletzt angeregt durch dieBemühungen Jaroschkas um einen provenienzgerechten Bestän-deausgleich innerhalb Bayerns und zwischen Bayern und Baden-Württemberg – entschlossen, wenigstens die Akten und Amtsbü-cher der Innsbrucker und Ensisheimer Behörden sowie der seitMitte des 18. Jahrhunderts in Freiburg entstandenen Zentralbe-hörden, soweit sie in den staatlichen Archiven in Bayern undBaden-Württemberg lagerten, virtuell in einem Inventar zusam-menzuführen. Da aber die Registraturordnung der FreiburgerBehörde aufgrund fehlender Verzeichnisse und wegen der voll-ständigen Umordnung im 19. Jahrhundert nicht mehr zu rekons-truieren war, entschloss man sich dazu, für die Ordnung derArchivalien der Freiburger Behörde die von den Findmitteln des19. Jahrhunderts vorgegebene Groß-Gliederung beizubehalten,so dass für die Bände, die das Schriftgut der Regierung ab 1753verzeichnen sollten, eine Aufteilung einerseits nach Generalia,andererseits nach Regionalpertinenzen – Breisgau, Offenburg,Winnweiler, Stockach mit Konstanz, Rottenburg, Altdorf, Tett-nang, Bregenz und Günzburg – erfolgte. Innerhalb des einzelnenBandes sollte dann nach einer neuen Systematik gegliedert wer-den. Für die Titelaufnahmen wurde mit Dr. Peter Steuer ein Pro-jektmitarbeiter eingestellt, der seine Arbeit inzwischen abge-schlossen hat. Die Erarbeitung der eigentlichen Inventare – alsovor allem die Klassifizierung und die Endredaktion, aber auch diejeweilige Einleitung – blieb den Staatsarchiven in Karlsruhe,Stuttgart und Augsburg überlassen. Altdorf und Rottenburg,vom Hauptstaatsarchiv Stuttgart erarbeitet, sind inzwischenerschienen (Band 5 und 6, 1998 und 1999), Stockach und Tettnang,zu dem wegen des geringen Umfangs auch die Abteilungen Bre-genz, Winnweiler und Offenburg hinzugenommen wurden, lie-gen seit längerer Zeit druckfertig vor. Fertigzustellen sind nunnoch 5 Bände: Zentralbehörden bis 1752, Regierung Ensisheim/Freiburg bis 1752, Generalia, Breisgau und die in Freiburg ab 1782entstandenen zentralen Gerichte (Landrechte und Appellations-gericht). Zumindest bei den Gerichten, aber auch bei den Zentral-behörden vor 1752 dürfte eine provenienzgerechte Zusammen-führung möglich sein.

Das Staatsarchiv Augsburg, vertreten durch seine frühere Mit-arbeiterin Archivrätin Dr. Martina Haggenmüller, legt nun hier-mit seinen Part vor, der sich in der Anlage, sowohl was die Einlei-tung betrifft als auch die Gliederung und die Titelaufnahmen, andie in den Bänden Altdorf und Rottenburg erarbeiteten Grund-sätze hält. Neu hinzugenommen wurden noch knapp 20 Num-mern der Pertinenz Reichsgrafschaft Rothenfels, die Österreich1803 – kurz vor Toresschluss – von den Grafen von Königseggerwarb. Aufgrund der Tatsache, dass dies der einzige Band ist,den die staatliche Archivverwaltung Bayerns zu verantwortenhatte, hat die Bearbeiterin in der Einleitung zurecht die vor allemim zuerst erschienenen Band „Altdorf“ bereits ausführlich darge-stellten archivgeschichtlichen Zusammenhänge noch einmal aus-gebreitet und sie um wertvolle Hinweise über die Überlieferungdes bayerischen Anteils ergänzt. Die Einleitung enthält im Übri-gen auch ein ausführliches Literaturverzeichnis, so dass sich derbayerische Nutzer auf die Einleitung in „seinem“ Band beschrän-ken kann.

Es wäre zu wünschen, dass möglichst bald die weiteren Bändeerscheinen. Der lange Zeitraum des Projekts beleuchtet indessenseine Problematik: Bei schwindenden Ressourcen stellen die auf-

in Italien und Aquitanien beschritten bald neue eigene Wege. Soverschwinden beispielsweise im ost- und westfränkischen Teil-reich die Chrismen vor der Kanzlerzeile, die Eigenhändigkeit unddie tironischen Noten gehen zurück. In Italien lässt sich insbeson-dere ein immer stärker werdender Einfluss der Privaturkunde aufdie Herrscherurkunde nachweisen. Das vierte Kapitel zeigt vorallen Dingen an der ostfränkisch-deutschen Entwicklung, wie dasalte karolingische Zeichen vollkommen an Bedeutung verliertund den ursprünglichen Sinn als rechtssichernde Unterschrifteinbüßt. Auch im westlichen Frankenreich geht die rechtlicheDimension des noch weiterhin verwendeten Rekognitionszei-chens zurück. Ein Exkurs behandelt die Entstehung und Verwen-dung der tironischen Noten.

In seiner Zusammenfassung bringt Worm noch einmal auf denPunkt, wie sehr das Rekognitionszeichen ein Rechtssymbol dar-stellte, das aber seit der Mitte des 9. Jahrhunderts zunehmendunverstanden blieb. Insofern war es vor allem in hochkarolingi-scher Zeit in großem Maße Bedeutungsträger und auch Vermittlerpolitischer Botschaften, insbesondere für die nicht schreibkundi-gen Urkundenempfänger (S. 159).

Insgesamt bietet Worm eine Studie, die in vorbildlicher WeiseHilfswissenschaften und allgemeine Geschichte verbindet.

Erlangen Klaus Herbers

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 221

Nachrufe

Wolfgang Hassel †Geb. 12. April 1935 MagdeburgGest. 2. Februar 2006 MagdeburgAm 2. Februar 2006 verstarb Wolfgang Hassel, langjähri-ger Kollege am Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, nachkurzer Krankheit. Wolfgang Hassel verbrachte nachAbschluss des Institutes für Archivwissenschaft in Pots-dam und nach ersten Erfahrungen im Zentralen Staatsar-chiv der DDR, Dienststelle Merseburg, sein gesamtesArbeitsleben im Landeshauptarchiv in Magdeburg. AlsWissenschaftlicher Archivar, ab 1976 als Leiter der Abtei-lung Auswertung, fanden die in enger Kooperation mitörtlichen und regionalen Trägern historischer Forschungzu leistende Öffentlichkeitsarbeit und Publikationstätig-keit sein größtes Interesse, vermochte er doch in diesemRahmen seine außerordentlichen Detailkenntnisse derneueren Geschichte v. a. in Vorträgen und Presseartikelnweiterzugeben. Insbesondere sei aus seinem reichhaltigenSchaffen im Dienste der Popularisierung geschichtlicherFakten seine Mitarbeit an der Quellenedition der Staatli-chen Archivverwaltung der DDR „Berichte der Landes-und Provinzialverwaltungen zur antifaschistisch-demo-kratischen Umwälzung 1945/46“, Berlin 1989 und an derEdition des Ministeriums des Innern des Landes Sachsen-Anhalt zur Wirksamkeit Otto von Bismarcks als Deich-hauptmann an der Mittelelbe (Halle/S. 1998) hervorgeho-ben.

Die ihm zugleich obliegenden vielfältigen Leitungsauf-gaben bewältigte er in Loyalität sowohl zu den staatlichenAnforderungen als auch gegenüber seinen Kollegen. Seingroßer Fleiß und seine freundliche Hilfsbereitschaft wer-den den Mitarbeitern des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt in bester Erinnerung bleiben.

Magdeburg Christel Grunert

Walter Vogel †Geb. 7. März 1909 GöttingenGest. 20. Dezember 2005 BonnMit Walter Vogel verstarb am 20. Dezember 2005 im 97.Lebensjahr der Nestor der Archivare des Bundesarchivs,der letzte Archivar aus der Generation von dessen Grün-dern im Jahre 1952. Mit ihm verloren wir einen Kollegen,der das Ideal des Historikerarchivars verkörperte, denfachlichen Kernaufgaben zutiefst verpflichtet, aber stetsauch in der wissenschaftlichen Forschung engagiert. Zeitseines Lebens ist er ein unbestechlicher, kritischer Beob-achter der geschichtswissenschaftlichen Forschung imBereich der Neuesten Geschichte, der Zeitgeschichtegeblieben. Zudem war er stets ein wacher Beobachter sei-ner erlebten Zeit, bestrebt, neue Entwicklungen zu erspü-ren und auf deren Überlieferungswert für die archivischeDokumentation zu prüfen.

Der am 7. März 1909 in Göttingen geborene WalterVogel wuchs im bürgerlichen Gelehrtenhaus von RudolfVogel, einem Professor für Metallurgie, auf und genosseine humanistische Schulbildung. An der Universität sei-ner Heimatstadt Göttingen nahm er 1928 das Studium derGeschichte mit dem Schwerpunkt Historische Hilfswis-senschaften und Neuere Geschichte und der Anglistik auf.

Zu seinen Lehrern gehörten Karl Brandi, A. O. Meyerund Wilhelm Mommsen. Adolf Hasenclever promo-vierte ihn im Jahre 1932 mit einer Arbeit über „Die Tagebü-cher des Freiherrn Reinhard von Dalwigk zu Lichtenfelsals Geschichtsquelle“, die 1933 im Druck erschien. DieGegnerschaft des leitenden Ministers in Hessen-Darm-stadt zu Bismarck lockte den jungen Preußen-SkeptikerVogel; ursprünglich hatte er seinem späteren Doktorvatereine Arbeit zum Thema „Bismarck und die Lüge“ vorge-schlagen. Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre des vorigenJahrhunderts wurde die Zeit der Reichsgründung als einThema der Zeitgeschichte empfunden, der sich Vogel vonAnfang an verschrieb. Das Studium schloss er im Jahre1934 mit der Staatsprüfung für das höhere Lehramt ab.Während der Semesterferien hatte er regelmäßig in derUniversitätsbibliothek Göttingens gearbeitet.

Dem Studium schloss sich Vogels Ausbildung zumhöheren Archivdienst am Institut für Archivwissenschaftin Berlin-Dahlem an, die er im Dezember 1935 erfolgreichabschloss. Im Jahre 1936 nahm er seine Tätigkeit imReichsarchiv auf, zunächst als wissenschaftliche Hilfskraftund als Archivassessor, bis er zum 1. Juli 1940 zum Archiv-rat ernannt wurde. Unter der Präsidentschaft von ErnstZipfel arbeitete er in der Abteilung von Heinrich OttoMeisner. In jenen Jahren wertete er neben amtlichenÜberlieferungen Nachlassschriftgut aus und schrieb seineim Jahre 1941 in Berlin erschienene Arbeit „Die Organisa-tion der amtlichen Presse- und Propagandapolitik desdeutschen Reichs von den Anfängen unter Bismarck biszum Beginn des Jahres 1933“. Ende des Jahres 1943 wurdeer dem kleinen Arbeitsstab zugeteilt, der gleichfalls unterder Leitung Ernst Zipfels im Reichsministerium desInnern die Unterabteilung Archiv- und Schriftgutwesenbildete. Dieser bediente sich Zipfel auch für die Wahrneh-mung seiner Aufgaben als Kommissar für den Archiv-schutz. Vogel wirkte als Sachbearbeiter Wilhelm Rohrsim Wesentlichen mit Aufgaben des Archivgutschutzes imReich, d. h. mit der Auslagerung von Archivbeständenzum Schutz vor Luftangriffen befasst. Von einer Einberu-fung zur Wehrmacht blieb er wegen einer früheren Tuber-kulose-Erkrankung verschont.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit nach Göttingenzurückgekehrt, unterstützte Vogel die Archive in Hanno-ver, in der britischen Besatzungszone und die britischeMilitärregierung mit Informationen über Auslagerungs-orte von Archivbeständen und die Rückführungsaktivitä-ten. Im Jahre 1946 fand er im Staatsarchiv von Osnabrückunter Leitung von Günter Wrede seine Wiederverwen-dung als wissenschaftlicher Archivar, zunächst im Ange-stelltenverhältnis. Seinem Verständnis des Archivarsbe-rufs entsprechend nahm er, ohne die archivischen Tages-aufgaben zu vernachlässigen, alsbald die Sammlung vonBriefen des hannoveranischen Staatsmannes und langjäh-rigen Oberbürgermeisters von Osnabrück Johann CarlBertram Stüves auf. Deren Edition erschien in den Jahren1959 und 1960 in Göttingen in zwei Bänden. Seinenursprünglichen zeitgeschichtlichen Interessen blieb ertreu, indem er im Jahre 1951 eine Studie über „BismarcksArbeiterversicherung. Ihre Entstehung im Kräftespiel derZeit“ veröffentlichte.

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Bei der Arbeitsaufnahme des neu gegründeten Bundes-archivs am 3. Juni 1952 gehörte Walter Vogel zu den Archi-varen der ersten Stunde. Von Anfang an setzte er sich fürdie geschichtswissenschaftliche Orientierung des Hausesein, keineswegs immer zur Freude der ihm vorgesetztenAdolf Diestelkamp und Wilhelm Rohr unter dem Direk-torat von Georg Winter. Vogels Engagement für die Edi-tion der „Akten der Reichskanzlei aus der Zeit der Weima-rer Republik“ war intensiver und effektiver als es auf denTitelblättern der von 1971 bis 1990 erschienenen Bändezum Ausdruck kommt. Seine eigentliche archivarischeLeistung während des ersten Jahrzehnts des Bundesar-chivs kann schwerlich hoch genug eingeschätzt werden.Sie bestand in der Erfassung und Sicherung der schriftli-chen Überlieferungen von Behörden und Dienststellen derwestlichen Besatzungszonen aus den Jahren 1945 bis 1949.Diese wurden zur Grundlage der vom Bundesarchivgemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte in Mün-chen herausgegebenen Editionsreihe der „Akten zur Vor-geschichte der Bundesrepublik Deutschland“, die in fünfBänden von 1976 bis 1983 erschienen ist. Konzeptionellwie inhaltlich hat Walter Vogel zu dieser Reihe auch nochnach seinem Eintritt in den Ruhestand maßgeblich beige-tragen, von den Herausgebern Hans Booms und MartinBroszat mit der Nennung seines Namens auf dem Titel-blatt des ersten erschienenen Bandes ausdrücklich aner-kannt. In alleiniger Autorenschaft veröffentlichte Vogel inden „Schriften des Bundesarchivs“ von 1956 bis 1983„Westdeutschland 1945 bis 1950. Der Aufbau von Verfas-sungs- und Verwaltungseinrichtungen über den Ländernder drei westlichen Besatzungszonen“; die Bände sind bisheute unentbehrliche Handbücher der Verwaltungsge-schichte der Zeit geblieben. Bereits im Jahre 1968 hatte er„Abraham Frowein. Erinnerungen an seine Tätigkeit imDeutschen Wirtschaftsrat bei der Britischen Kontrollkom-mission in Minden“ als selbständige Publikation heraus-gegeben. Einen wesentlichen Anteil hatte Vogel schließlichauch an der Konzeption und Vorbereitung der seit 1975erscheinenden Editionsreihe „Der Parlamentarische Rat1948–1949. Akten und Protokolle“.

Die im Bundesarchiv während der ersten beiden Jahr-zehnte nachwachsenden jüngeren Archivare wissen sichWalter Vogel vielfältig zu Dank verpflichtet. Im Umgangmit den Autoritäten seiner Generation wusste er durchseine Offenheit, sein geradliniges Auftreten zu vermitteln.In Dienstbesprechungen belebte er den Diskurs mit erfri-schend „unfrisierten“ Fragen, ihm war die Klärung einesSachverhalts entschieden wichtiger als die Rücksicht aufdie Empfindlichkeiten des einen oder anderen Vorgesetz-ten. Er hatte Humor – eine Seltenheit unter den Archivarenseiner Generation zumindest im Bundesarchiv. Er scheutesich nicht, diesen auch im dienstlichen Alltag einzusetzen.Das konnte Vorgesetzte und Kollegen gelegentlich ver-stimmen, was ihn weniger irritierte als in sich gekehrtlächeln ließ. Derbe Casinowitze der Kollegen seiner Gene-ration waren ihm zuwider, er selbst zog treffende Zitatevon Wilhelm Busch vor. Das pflegten Vorgesetzte nur alsBeweis einer Unabhängigkeit zu werten, die sie nichtimmer zu akzeptieren bereit waren. Die Daten der dienstli-chen Laufbahn seien hier noch genannt. Im Jahre 1964nach längerer Wartezeit zum Oberarchivrat befördert,übernahm er 1966 als Archivdirektor die Leitung derdamaligen Abteilung Staatliches Schriftgut. Im Jahre 1972folgte mit der Übernahme der Leitung der Grundsatzab-

teilung und der Vertretung des neuen Präsidenten HansBooms die Ernennung zum Leitenden Archivdirektor.

Der vorzügliche Kenner der Verfassungs- und Verwal-tungsgeschichte, der versierte Aktenkundler, übernahmLehraufträge an den Universitäten von Tübingen 1966 bis1970 und Frankfurt 1971 bis 1977 für Aktenkunde bzw. fürHistorische Hilfswissenschaften und Neueste Geschichte.Vogels reiche Erfahrung ließ ihn preußisch-bürokratischeAttituden im Geschäftsgang des Bundesarchivs treffsicherentlarven, diese auch immer wieder spitz kommentieren.Bis zum Ende seiner Dienstzeit war er stets ein verlässli-ches Gegengewicht zur Amtsautorität. Seine Wirkungberuhte auf seiner eigen geprägten Persönlichkeit, auf derQualität seiner Argumente, nie aber auf seiner Position inder Hierarchie. Seine Offenheit, seine immer wache Auf-merksamkeit für die wissenschaftlichen Interessen geradeauch der jüngeren Kollegen, die von ihm gelebte Alterna-tive zu einem autoritären Verhalten dominieren die Erin-nerung an die Zeit seines aktiven Dienstes. Hätte es in derBundesverwaltung mehr Persönlichkeiten seiner Prägunggegeben, hätte sich die Bundesakademie viele ihrer Semi-nare zum Führungsstil ersparen können.

Seit Anfang der 50er Jahre rezensierte Walter Vogel inerstaunlich dichter Folge geschichtswissenschaftliche, ins-besondere zeitgeschichtliche, gelegentlich auch politik-wissenschaftliche Veröffentlichungen. Er schrieb sie über-wiegend für Das Historisch-politische Buch, die 1953begründete Zeitschrift. Schwerpunkte seiner Besprechun-gen bildeten Monographien und Editionen zur deutschenGeschichte seit der Zeit der Reichsgründung, verwal-tungsgeschichtliche Werke, in jüngerer Zeit vermehrt auchMemoiren und Erinnerungen sowie biographischesSchrifttum. Die von ihm in den Vierteljahresheften für Zeit-geschichte, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht sowie inSammelwerken veröffentlichten Aufsätze hatten u. a. dieDeutschlandfrage, die Sicherheitspolitik der USA, Einzel-fragen der Zonenzeit zum Thema.

Walter Vogel waren mehr als drei Jahrzehnte desNacherlebens seiner Dienstzeit gegönnt. Er blieb der For-schung wie der Entwicklung des Bundesarchivs eng ver-bunden, vielen jüngeren Kollegen war er ein geduldigerRatgeber und geschätzter Zeitzeuge. Ihn zeichnete aus,dass er eher durch Fragen anzuregen wusste, denn fertigeEinsichten oder Wertungen zu äußern. Im Erleben derdeutschen Einigung schrieb der m. W. letzte Überlebendeder Angehörigen des 1945 untergegangenen Reichsar-chivs seine Studie „Der Kampf um das geistige Erbe. ZurGeschichte der Reichsarchividee und des Reichsarchivs alsgeistiger Tempel deutscher Einheit“, die 1994 als selbstän-dige Veröffentlichung erschienen ist. Die Zusammenfas-sung der Überlieferungen deutscher Verfassungsorganeund Zentralbehörden seit Mitte des 19. Jahrhunderts ineiner Institution, dem Bundesarchiv, wenn auch angetrennten Orten, sah er als Erfüllung eines seit langer Zeitgehegten Konzepts, als Erfüllung auch seines Traums.

Bis in die letzten Tage seines erfüllten Lebens nahmWalter Vogel am kulturellen Leben Bonns teil, besuchtevon seiner Gemahlin unterstützt Konzerte, Vorträge. Erwar ein regelmäßiger Benutzer der WissenschaftlichenBibliothek des Deutschen Bundestags, nach deren Umzugnach Berlin der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung,um ihm wichtige Neuveröffentlichungen zu zeitgeschicht-lichen Themen kennen zu lernen. Er thematisierte diese,ergänzt um für ihn offen gebliebene Fragen in der Korres-

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pondenz, in Gesprächen mit Kollegen, in den letzten Jah-ren mit Rücksicht auf seine Sehschwäche in vermehrten,zumeist abendlichen Telefonaten. In alter Verbundenheitzum Bundesarchiv besuchte er Vortragsveranstaltungenund Ausstellungseröffnungen in Koblenz, wann immer essein von Altersbeschwerden zunehmend beeinträchtigterGesundheitszustand erlaubte. Seit Begründung des infor-mellen Kreises „ehemaliger Angehöriger des Bundesar-chivs in Koblenz“ im Jahre 2002 nahm er in unwandelbarerTreue an dessen Treffen teil.

Walter Vogels Disziplin, seine Tapferkeit bei der Über-windung körperlicher Beschwerden, seine bis in die letz-

ten Tage seines Lebens bewiesene wache Präsenz undAnteilnahme am aktuellen Geschehen bleibt für uns Jün-gere ein unerreichbares Vorbild. Das von ihm gelebte Idealeines Historikerarchivars mag im 21. Jahrhundert kaumnoch zukunftsfähig sein. Dennoch bleibt Walter Vogelallen, die ihm begegneten und mit ihm zusammenarbeite-ten, als ein vorbildlicher Archivar in Erinnerung, und siefühlen sich ihm in großer Dankbarkeit verbunden.

Boppard Friedrich P. Kahlenberg

Kurzinformationen, Verschiedenes

Marianne Englert zum 80. GeburtstagMarianne Englert war und ist eine der herausragendenPersönlichkeiten im deutschen Archiv- und Dokumentati-onswesen. Wie manche von ihnen wählte sie den Seiten-einstieg, um ihr stupendes organisatorisches und systema-tisches Talent Raum greifen zu lassen. Sie war mangelsAngeboten schulischer oder gar universitärer Ausbildungauf ihrem Gebiet Autodidaktin. Später entwickelte sieselbst Konzepte für die Aus- und Fortbildung von Me-dienarchivaren und -dokumentaren. Von der Autodidak-tin zur Expertin – so könnte man den Werdegang der Mari-anne Englert kennzeichnen. Sie war lernbereit bis in dieletzten Berufsjahre und richtungweisend für ihre Profes-sion in der Lehre bis in ihr 80. Lebensjahr, als sie den Vor-sitz im Verein Fortbildung Medienarchivare/-dokumen-tare (VFM) abgab.

Das fing in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahr-hunderts an. Mit dem Aufbau und Ausbau des FAZ-Archivs zum wohl bedeutendsten Pressearchiv einer deut-schen Tageszeitung setzte sie für einen ganzen, sich erstformierenden Berufsstand Maßstäbe. Sie entwickelte einesophisticated ausgetüftelte alpha-numerische Systematik,die Schule machte, aber sie klebte nicht an ihr fest, als dasEDV-Zeitalter aufkam. Sie war Pionierin, als es galt, daseigene Archiv für Informationsangebote über Bildschirm-text zu öffnen, und sie war auch eine der ersten, die mit derVerfilmung älteren Archivmaterials nicht nur Bestandser-haltung betrieb, sondern auch die Basis für eine reibungs-lose spätere Digitalisierung legte. Sie wurde zur Expertinin Datenschutzfragen, als das so genannte Medienprivilegin die Diskussion geriet, und sie saß neben uns Jüngerengewissermaßen noch einmal auf der Schulbank, als imFachinformationszentrum Karlsruhe die ersten Recher-chen in externen Datenbanken für Journalisten geübt wur-den.

„JOUR-FIZ“ hieß das vom damaligen Bundesfor-schungsministerium gesteuerte Projekt, bei dem – langevor dem Internet und der Existenz deutscher Pressedaten-banken – über das Erlernen diverser Befehlssprachen mit-tels einer Schreibmaschine mit Akustik-Koppler („mitGummiohren“, wie wir das damals nannten) die Kommu-nikation mit dem weltweiten Datenbankangebot gesuchtwurde. Der Globalisierung von Industrie und Handel, dassollte nicht vergessen werden, ging die globale Vernet-

zung von Wissen und Information voraus. Der Sputnik-Schock riss den Vorhang auf vor einer Bühne, auf der dieInformationen für Kundige zugänglich dalagen, nur ebenzuerst von sowjetischen Wissenschaftlern abgerufen wur-den. Marianne Englert erkannte früh die Chancen auch fürPressearchivare, wenn sie sich rechtzeitig von Papier undSchere lösten und im Verein mit den Dokumentaren zuInformationsspezialisten entwickelten. Aber sie sah auchdie Gefahren, wenn darüber die alten Archivarstugendender Selektion und Relevanzbeurteilung vernachlässigtwürden. „Immer mehr Informationen – Am Ende ratlos?“war ein Artikel von ihr in der FAZ vom 27. 12. 1983 über-schrieben.

Schon relativ früh erwarb sich Marianne Englert nichtnur in ihrem Hause, sondern „bundesweit und weit überdie Grenzen unseres Landes hinaus fachliche Autoritätund persönliche Anerkennung“, wie Heiner Schmitt ininfo 7 2/89 schrieb. Hierfür bot ihr vor allem die Fach-gruppe 7 im VdA die Plattform. Ich habe nicht übertrie-ben, als ich anlässlich ihres 70. Geburtstags in meinerGlückwunschadresse festhielt, dass die Fachgruppe 7ungeachtet ihrer wechselnden Bezeichnungen in der VdA-Satzung – zuerst Fachgruppe der Pressearchivare, dann derPresse-, Rundfunk- und Filmarchivare, dann der Medienarchi-vare – vor allem eines war, als ich ihr im Vorsitz nachfolgte:die Fachgruppe der Marianne Englert.

Persönlich kennen gelernt habe ich Marianne Englertauf der Frühjahrstagung der Fachgruppe 1979 in Baden-Baden. Da, im vierten Jahr ihres Vorsitzes, erlebten ich undandere mit mir die Fachgruppe 7 praktisch als Eine-Frau-Unternehmen. Alle Fäden liefen in ihrer Hand zusammen,und keiner schien sich daran zu stören. Auch nicht die„jungen Wilden“, die dem Fachgruppengründer RolandSeeberg-Elverfeldt, einem mit allen archivischen Was-sern gewaschenen baltischen Ministerialrat im Bundes-presseamt, bei der Regelung seiner Nachfolge zunächstwiderstanden. Seeberg-Elverfeldt war von Marianne Eng-lert so überzeugt, dass er sie im bekannten autoritären Stilseiner Generation zunächst ohne Wahl durchzusetzen ver-suchte. Dagegen – und ausdrücklich nicht, wie sich bei der1976 nachgeholten formal korrekten Wahl zeigte, gegendie Person Marianne Englert – hatten einige Vertreteranderer renommierter Institutionen etwas einzuwenden,was zu jener legendären, in die Versammlung hineingeru-

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fenen Invektive des baltischen Herrn führte, die inzwi-schen in Bodo Mrozeks „Lexikon der bedrohten Wörter“als Stichwort festgehalten wird: „Flegel“.

21 Jahre Vorstandsarbeit, davon 14 als Vorsitzende,umfasst das Wirken von Marianne Englert in der Fach-gruppe 7. Es folgten weitere 16 Jahre als Leiterin der Semi-nare und ab 1991 des gesamten Fortbildungs-Curriculumsder Fachgruppe. Für den Vorsitz im dafür neu gegründe-ten Fortbildungsverein VFM war niemand anders geeig-neter. Aber nicht nur als Organisatorin der Frühjahrsta-gungen und Vorantreiberin der professionellen Aus- undFortbildung schuf sich Marianne Englert bleibende Ver-dienste. Auch als Haupt-Autorin der Berufsbild-Papierevon 1980 und 1988, als Herausgeberin der ersten elf (imK.G. Saur-Verlag erschienenen) Protokollbände der Früh-jahrstagungen, als Verfasserin zahlreicher Fachaufsätze(zuletzt: „30 Jahre Fortbildung in der Fachgruppe 7“ in info7 3/2005) schrieb sie sich in die Annalen ein.

Überstrahlt werden diese Aktivitäten indes von einerEigenschaft, die man bei so zielstrebigen, charakterstarkenund beruflich erfolgreichen Menschen nicht immer findet:die Freundlichkeit, ja Herzlichkeit im Umgang mit Kolle-gen, die freundschaftliche Treue, zu der sie fähig war,wenn man ihr über die professionelle, immer sachlichbestimmte Zusammenarbeit hinaus näher kam. Und sodarf ich am Ende, verbunden mit allen Glückwünschen zuihrem 80. Geburtstag, bekennen, dass ich mich glücklichschätze, so viele Jahre an ihrer Seite „mit dabei gewesen“zu sein.

Uelzen Eckhard Lange

Veranstaltungstermine(ohne Gewähr)

9. 1. bis 29. 9. 2006:Wien

Ausstellung des Wiener Stadt- undLandesarchivs „Mozarts Spuren inWien“ (Gasometer D)

19. 1. bis 31. 8. 2006:Erfurt

Ausstellung des Stadtarchivs Erfurt„Zwischen den guten Menschen inden östlichen und westlichen Län-dern – Heinrich Wilhelm Ludolf(1655–1712), ein Brückenbauer ausErfurt“ (Stadtarchiv)

15. 3. bis 31. 12. 2006:Frankfurt/Oder

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR,Außenstelle Frankfurt/Oder „Einge-sperrt … Untersuchungshaft bei derStaatssicherheit in Frankfurt/Oder“(Gedenk- und Dokumentationsstätte„Opfer politischer Gewaltherr-schaft“, Collegienstr. 10)

16. 3. bis 31. 5. 2006:Leipzig

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR,Außenstelle Leipzig „Gegen denStrom. Ein Stück originäre LeipzigerLiteraturgeschichte aus dem Jahre1968“ („Runde Ecke“, Dittrichring24)

23. 3. bis 5. 6. 2006:Mannheim

Ausstellung des Stadtarchivs Mann-heim in Verbindung mit dem Institutfür Stadtgeschichte – StadtarchivKarlsruhe und der MannheimerAbendakademie und Volkshoch-schule „Geschichte im Plakat:1933–1945“ (Stadthaus N1)

25. 3. bis 18. 6. 2006:Hechingen

Ausstellung des Landesarchivs Ba-den-Württemberg – Staatsarchiv Sig-maringen „Alte Pläne neu im Blick.Hohenzollern in historischen Plänendes 19. und 20. Jahrhunderts“ (Ho-henzollerisches Landesmuseum)

31. 3. bis 1. 9. 2006:Schleswig

Ausstellung des LandesarchivsSchleswig-Holstein „99 Silbermün-zen. Der Haselauer Münzfund ausder Zeit des Dreißigjährigen Krieges“(Prinzenpalais)

1. 4. bis 2. 7. 2006:Nürnberg

Ausstellung des Stadtarchivs Nürn-berg und der Museen der Stadt Nürn-berg in Zusammenarbeit mit demGermanischen NationalmuseumNürnberg „Paul Wolfgang Merkel –Kaufmann. Reformer. Patriot.“ (Fem-bohaus, Burgstraße 15)

27. 4. bis 31. 5. 2006:Ranis

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR,Außenstelle Gera „‚Verdeckt undgetarnt‘ – Mittel und Methoden dergeheimen Beobachtung“ (MuseumBurg Ranis, Burg 2)

27. 4. bis 3. 6. 2006:Ludwigsburg

Ausstellung von Johannes Schwab„COVER UP. Endnazi – Entnazifizie-rung“ (Landesarchiv Baden-Würt-temberg – Baden-Württemberg)

27. 4. bis 9. 6. 2006:Chemnitz

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR,Außenstelle Chemnitz „Zivilcou-rage“ (Industrie- und Handelskam-mer, Straße der Nationen 25)

2. bis 31. 5. 2006:Stuttgart

Ausstellungsreihe des LandesarchivsBaden-Württemberg – Hauptstaats-archiv Stuttgart „Archivale desMonats“: 450 Jahre Klosterschulen imHerzogtum Württemberg. Das Bei-spiel Adelberg (Landesarchiv Baden-Württemberg – HauptstaatsarchivStuttgart)

3. 5. bis 25. 6. 2006:Görslow

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR,Außenstelle Schwerin „Unverschäm-tes Glück – Fotografien aus Deutsch-land von Robert Lebeck“

4. 5. bis 28. 7. 2006:Coburg

Ausstellung des Staatsarchivs Co-burg und des Stadtmuseums Coburg

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„‚Im Zeichen von Veste und Mohr.‘Zum Stadtjubiläum 950 Jahre Co-burg. Eine Ausstellung über städti-sche Symbole und Geschichtskulturam Beispiel Coburgs“ (Staatsarchiv,Herrngasse 11)

12. 5. bis 18. 6. 2006:Lübben

Ausstellung des BrandenburgischenLandeshauptarchivs in Zusammen-arbeit mit dem Stadt- und Regional-museum Lübben „‚… Zierde desLandes gewest …‘ – Lübben (Spree-wald) im Spiegel archivalischerQuellen“ (Museum Schloss Lübben,Ernst-von-Houwald-Damm 15)

12. 5. bis 28. 6. 2006:Berlin

Ausstellung des Geheimen Staatsar-chivs Preußischer Kulturbesitz„Staatsbankrott! Bankrotter Staat?Finanzreform und gesellschaftlicherWandel in Preußen nach 1806“(Kunstbibliothek am KulturforumPotsdamer Platz)

13. 5. bis 29. 10. 2006:Sigmaringen

Ausstellung der Gesellschaft Ober-schwaben „Adel im Wandel. 200Jahre Mediatisierung in Oberschwa-ben“ (Landeshaus und Staatsarchiv)

17. 5. bis 24. 6. 2006:Speyer

Ausstellung des LandesarchivsSpeyer in Verbindung mit dem Lan-desbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz/Pfälzische LandesbibliothekSpeyer (LBZ) „‚Productum Spirae‘.Speyer, die Pfalz und das Reichskam-mergericht in alten Karten undBüchern“ (Landesarchiv Speyer/LBZ, Otto-Mayer-Str. 9)(Ergänzend wird die Wanderausstellung desReichskammergerichtsmuseums Wetzlar „Frie-den durch Recht“ gezeigt.)

18. 5. bis 6. 6. 2006:Gera

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR,Außenstelle Gera „Überweisung inden Tod. NS-‚Euthanasie‘ an Kindernin Thüringen“ (Stadt- und Regional-bibliothek, Puschkinplatz 7)

21. 5. bis 24. 6. 2006:Rostock

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR,Außenstelle Rostock „Todesstrafe inder DDR – Hinrichtungen in Leipzig“(Dokumentations- und Gedenkstätteder BStU, Hermannstr. 34b)

24. 5. bis 5. 6. 2006:Hessisch Lichtenau

Wanderausstellung der HessischenStaatskanzlei und des HessischenHauptstaatsarchivs „Hessen – Einestarke Geschichte. 60 Begegnungenmit unserem Land seit 1945“ (Hes-sentag)

29. bis 30. 5. 2006:Goslar

Regionaltagung Nord des Verbandeskirchlicher Archive

31. 5. bis 1. 6. 2006:Neuss

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivberatungsstelle Rheinland in Zu-sammenarbeit mit dem StadtarchivNeuss „Verzeichnung von Akten undSammlungsgut“ (Stadtarchiv)

1. bis 20. 6. 2006:Lippoldsberg

Wanderausstellung des Landeskirch-lichen Archivs Kassel „Von gebroche-nem Brot und zerbrochenen Bildern –Die zweite Reformation in Hessen-Kassel 1605“ (Ev. Kirchengemeinde)

1. bis 24. 6. 2006:Bonn

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR„Staatssicherheit – Garant der SED-Diktatur“ (WissenschaftszentrumBonn, Ahrstr. 45)

1. bis 30. 6. 2006:Dessau

Ausstellungsreihe des Landeshaupt-archivs Sachsen-Anhalt „Kostprobenaus dem Archiv“: Der AnhaltischeTeilungsrezess von 1603/06 (Landes-hauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abtei-lung Dessau, Heidestr. 21)

1. 6. bis 9. 7. 2006:Brandenburg/Havel

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR,Außenstelle Potsdam „‚Freiheit wol-len wir!‘ – Der 17. Juni im Land Bran-denburg“ (Petrikapelle DomstiftBrandenburg, Burghof)

2. 6. bis 17. 9. 2006:Sulzbach-Rosenberg

Ausstellung des Staatsarchivs Am-berg und des Stadtmuseums Sulz-bach-Rosenberg „‚Die Mitten imWinter grünende Pfaltz …‘ 350 JahreFürstentum Pfalz-Sulzbach“ (Außen-stelle des Staatsarchivs und Stadtmu-seum)

6. 6. bis 28. 7. 2006:Stuttgart

Ausstellungsreihe des LandesarchivsBaden-Württemberg – Hauptstaats-archiv Stuttgart „Archivale desMonats“: Der Ball ist rund! Fußballund andere Bälle im Archiv (Landes-archiv Baden-Württemberg – Haupt-staatsarchiv Stuttgart)

6. 6. bis 15. 10. 2006:Weida

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR,Außenstelle Gera „‚Verdeckt undgetarnt‘ – Mittel und Methoden dergeheimen Beobachtung“ (Museum inder Osterburg, Schlossberg 14)

8. bis 9. 6. 2006:Düsseldorf

40. Rheinischer Archivtag (SchlossBenrath)Thema: Wirtschaft und Archive

12. bis 14. 6. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 61: Digitale Bildbearbeitung imArchiv

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2226

(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

13. 6. 2006:Limburg

Hessischer ArchivtagThema: Lernort Archiv

14. 6. 2006:Sömmerda

55. Thüringischer ArchivtagThema: Wirtschaftsüberlieferung inThüringen – Tradition und Gegen-wart (Volkshaus)

15. 6. bis 27. 8. 2006:Zwickau

Wanderausstellung des SächsischenStaatsarchivs „In Fahrt – Autos ausSachsen“ (August-Horch-Museum)

16. bis 17. 6. 2006:Bremen

20. ArchivpädagogenkonferenzThema: Aufbruch! Konsolidierung!Kontinuität? 20 Jahre Archivpädago-gik in Deutschland

19. bis 20. 6. 2006:Berlin

Qualifizierungsprogramm der Fach-hochschule Potsdam für Führungs-kräfte im ArchivwesenModul W 6: Operatives Manage-ment: Prozess- und Qualitätsmana-gement (Tagungsgebäude des Wei-terbildungszentrums der Freien Uni-versität Berlin, Otto-von-Simson-Str.13/15)(Die Veranstaltungen des Qualifizierungspro-gramms können einzeln belegt werden. NähereInformationen unter www.fu-berlin.de/weiter-bildung.)

19. bis 20. 6. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 23: Vergabemanagement – Vorbe-reitung und Abwicklung von Restau-rierungsaufträgen(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

19. bis 23. 6. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 1-2: Einführung in die Ordnungund Verzeichnung von Archivgut(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

20. bis 21. 6. 2006:Lüneburg

3. Norddeutscher Archivtag und 16.Landesarchivtag Mecklenburg-Vor-pommern

23. bis 24. 6. 2006:Karlsruhe

66. Südwestdeutscher ArchivtagThema: Digitale Bildarchive – Marke-ting und Vermarktung

23. bis 25. 6. 2006:Schöntal

Tagung des Landesarchivs Baden-Württemberg – Landesbeschreibungund Landesforschung und des Histo-

rischen Vereins für WürttembergischFranken „Neue Forschungen zuHohenlohe“ (Bildungshaus des Klos-ters)

23. 6. bis 16. 7. 2006:Biedenkopf

Wanderausstellung des Landeskirch-lichen Archivs Kassel „Von gebroche-nem Brot und zerbrochenen Bildern –Die zweite Reformation in Hessen-Kassel 1605“ (HinterlandmuseumSchloss Biedenkopf)

26. bis 28. 6. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 71: Praktische Umsetzung vonQualitätsmanagement und Personal-entwicklung in Archiven(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

28. 6. bis 30. 8. 2006:Magdeburg

Wanderausstellung des Landes-hauptarchivs Sachsen-Anhalt„Leuna – Leben zwischen Werk undGartenstadt“ (Landtag von Sachsen-Anhalt, Am Domplatz 6–9)

30. 6. bis 20. 8. 2006:Karlsruhe

Ausstellung des Landesarchivs Ba-den-Württemberg und des Badi-schen Landesmuseums „1806 – Ba-den wird Großherzogtum“ (Badi-sches Landesmuseum)

1. 7. bis 31. 10. 2006:Dessau

Ausstellungsreihe des Landeshaupt-archivs Sachsen-Anhalt „Kostprobenaus dem Archiv“: 160 Jahre Anhalt-Dessauische Landesbank (Landes-hauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abtei-lung Dessau, Heidestr. 21)

2. bis 4. 7. 2006:Heidelberg

Fortbildungsveranstaltung der Verei-nigung deutscher Wirtschaftsarchi-vare e.V.57. VdW-Lehrgang: Standards erfül-len – Standards mitgestalten(Information und Anmeldung: Dr. Peter Blum,Fon: 06221/5819800, Fax: 06221/5849470,E-Mail: [email protected] – Infos auchunter www.wirtschaftsarchive.de)

3. bis 4. 7. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 13: Zugangsbearbeitung und Er-schließung von Archivgut als Füh-rungsaufgabe(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

3. bis 5. 7. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 32: Öffentlichkeitsarbeit im Ar-chiv

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 227

(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

10. bis 14. 7. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 2: Einführung in das Archivwe-sen(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

10. bis 22. 7. 2006:Baden-Baden

Ausstellung des Landesarchivs Ba-den-Württemberg – StaatsarchivFreiburg „Leo Wohleb 1888–1955. EinLeben für Baden“ (GymnasiumHohenbaden)

16. 7. bis 8. 10. 2006:Waldkraiburg

Ausstellung von Stadtarchiv undStadtmuseum Waldkraiburg „Ebing,Pürten und St. Erasmus im Wandelder Zeit – Geschichte der ländlichenOrtsteile von Waldkraiburg – 130Jahre Bahnhof in Waldkraiburg“(Haus der Kultur, Braunauer Str. 10)

17. bis 19. 7. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 41: Archivrecht und Rechtsfragenim Archivalltag(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

17. 7. bis 15. 9. 2006:München

Ausstellung der Keller-Haus-Stif-tung unter Mitwirkung des Bayeri-schen Hauptstaatsarchivs „Christli-che Missionare in Palästina“ (Haupt-staatsarchiv)

21. bis 22. 7. 2006:Würzburg

Wissenschaftliche Tagung des Baye-rischen Archivtags und der Bayeri-schen Staatlichen und Universitäts-bibliotheken „Bayerische Archiv-und Bibliothekskonferenz 2006“(Julius-Maximilians-Universität)(Das genaue Programm ist ab Frühjahr 2006 beider Generaldirektion der Staatlichen ArchiveBayerns erhältlich.)

27. 7. bis 15. 9. 2006:Karlsruhe

Ausstellung des Landesarchivs Ba-den-Württemberg – Generallandes-archiv Karlsruhe „Ein badischesIntermezzo? Die MarkgrafschaftBaden-Baden im 18. Jahrhundert“(Landesarchiv Baden-Württemberg –Generallandesarchiv Karlsruhe)

16. 8. 2006:Detmold

3. Detmolder SommergesprächThema: Familienbande, Lebensläufeund Alltagsgeschichte: Biographieund Genealogie (Staats- und Perso-nenstandsarchiv)(Um Anmeldung beim Staats- und Personen-standsarchiv Detmold wird gebeten.)

24. 8. 2006:Köln-Deutz

Tagung des LandschaftsverbandesRheinland „Mehrheitsgesellschaftund jüdische Minderheit – Inhaltli-che Zugänge und Fragestellungen“(Horion-Haus, Hermann-Pünder-Str. 1)

29. bis 30. 8. 2006:Ascona

Fortbildungsveranstaltung des cen-tro del bel libro ascona „Der Umgangmit grafischen und gebundenenKostbarkeiten“(Nähere Informationen unter www.cbl-ascona.ch)

30. bis 31. 8. 2006:Pulheim-Brauweiler

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivberatungsstelle Rheinland „Be-standserhaltung im Archiv“ (Archivdes Landschaftsverbandes Rhein-land)

4. bis 8. 9. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 1-3: Einführung in die Ordnungund Verzeichnung von Archivgut(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

5. bis 29. 9. 2006:Stuttgart

Ausstellungsreihe des LandesarchivsBaden-Württemberg – Hauptstaats-archiv Stuttgart „Archivale desMonats“: 200 Jahre Religionsfreiheitin Württemberg (Landesarchiv Ba-den-Württemberg – Hauptstaatsar-chiv Stuttgart)

6. bis 29. 9. 2006:Hildesheim

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR„Staatssicherheit – Garant der SED-Diktatur“ (Rathaushalle, Markt 1)

8. 9. 2006 bis1. 1. 2007:Lemgo

Ausstellung des LandesarchivsNordrhein-Westfalen Staats- undPersonenstandsarchiv Detmold unddes Städtischen Museums Lemgo„‚Wie Engel Gottes…‘ – 700 Jahre St.Marien in Lemgo“ (Hexenbürger-meisterhaus)

11. bis 12. 9. 2006:Berlin

Qualifizierungsprogramm der Fach-hochschule Potsdam für Führungs-kräfte im ArchivwesenModul A 1: Arbeit mit großen Grup-pen – Veränderungsprozesse initiie-ren und gestalten (Tagungsgebäudedes Weiterbildungszentrums derFreien Universität Berlin, Otto-von-Simson-Str. 13/15)(Die Veranstaltungen des Qualifizierungspro-gramms können einzeln belegt werden. DieseVeranstaltung richtet sich vor allem an ehema-lige Teilnehmer/innen der Bausteinprogramme„Management in Archiven“. Nähere Informa-tionen unter www.fu-berlin.de/weiterbildung.)

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2228

11. bis 13. 9. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 12: „Von der Truhe ins Magazin“– Nachlässe in Archiven(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

14. 9. 2006:Wertheim-Bronnbach

Bronnbacher Gespräche – Stadtge-schichte(n) (Landesarchiv Baden-Württemberg – Staatsarchiv Wert-heim)Vortrag: „Vollständig vom Weltver-kehr abgeschlossen …“ Infrastruk-turpolitik in Wertheim 1850–1939 amBeispiel der Flussschifffahrt

16. 9. 2006 bis31. 1. 2007:Nürnberg

Ausstellung des Stadtarchivs Nürn-berg und des Staatsarchivs Nürnbergin Zusammenarbeit mit den Stadtar-chiven Erlangen und Schwabach, derStadtbibliothek Nürnberg, dem Uni-versitätsarchiv Erlangen, der Univer-sitätsbibliothek Erlangen und derVereine Altnürnberger Landschaftund Verein für Geschichte der StadtNürnberg „Vom Adler zum Löwen –die Region Nürnberg wird baye-risch“ (Eingangshalle des Stadtar-chivs, Norishalle, Marientorgraben 8)

22. 9. 2006:Öhringen

Tagung des Landesarchivs Baden-Württemberg – Landesbeschreibungund Landesforschung „1806 –Hohenlohe wird württembergisch“(Schloss, Blauer Saal)

26. bis 29. 9. 2006:Essen

76. Deutscher ArchivtagThema: Archive und Öffentlichkeit

4. bis 31. 10. 2006:Stuttgart

Ausstellungsreihe des LandesarchivsBaden-Württemberg – Hauptstaats-archiv Stuttgart „Archivale desMonats“: Mozart auf dem Weg nachParis (Landesarchiv Baden-Würt-temberg – Hauptstaatsarchiv Stutt-gart)

4. 10. 2006 bis2. 2. 2007:Wien

Ausstellung des Wiener Stadt- undLandesarchivs „Kapuziner, Einspän-ner, Scharlerl Gold – Zur Geschichteder Wiener Kaffeehäuser“ (Gasome-ter D)

5. bis 7. 10. 2006:Karlsruhe

Tagung der Arbeitsgemeinschaft fürgeschichtliche Landeskunde amOberrhein „Zivilgesellschaft imKrieg. Der Oberrhein 1940–1945“(Landesarchiv Baden-Württemberg –Generallandesarchiv Karlsruhe)

12. 10. 2006:Wertheim-Bronnbach

Bronnbacher Gespräche – Stadtge-schichte(n) (Landesarchiv Baden-Württemberg – Staatsarchiv Wert-heim)

Vortrag: Ackerbürger in der Residenz– Stadtwirtschaft und Stadtverfas-sung in Wertheim und in Südwest-deutschland

12. 10. bis23. 11. 2006:Freiburg/Br.

Archivalienpräsentation des Landes-archivs Baden-Württemberg – Staats-archiv Freiburg „200 Jahre Breisgauin Baden“ (Regierungspräsidium)

16. bis 17. 10. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 51-2: Elektronische Unterlagen I:IT-gestützte Vorgangsbearbeitungund elektronische Aussonderung(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

16. bis 18. 10. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgAK 22: Schäden an Archivgut erken-nen, begrenzen und behandeln(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

18. bis 19. 10. 2006:Pulheim-Brauweiler

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivberatungsstelle Rheinland inZusammenarbeit mit dem Kreisar-chiv Siegburg „Urheberrecht imarchivischen Alltag: Sammlungsbe-reich und Publikation“ (Archiv desLandschaftsverbandes Rheinland)

23. bis 27. 10. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 3: Aufgaben und Betrieb kleinerund mittlerer Archive(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

25. 10. bis20. 12. 2006:Düsseldorf

Ausstellung des Landesarchivs Nord-rhein-Westfalen und des LandtagsNRW „1946 – Politik und Alltag vor 60Jahren“ (Landtag NRW, Platz desLandtags 1)

26. 10. bis26. 11. 2006:Düsseldorf

Ausstellung des Landesarchivs Nord-rhein-Westfalen und des LandtagsNRW „1946 – Politik und Alltag imGründungsjahr des Landes Nord-rhein-Westfalen“ (Landtag NRW,Platz des Landtags 1)

30. 10. bis 1. 11. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 5: Einführung in die Paläogra-phie – 18.–20. Jahrhundert(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 229

Gesetzliche Bestimmungen und Verwaltungsvorschriften für das staatlicheArchivwesen und zur Archivpflege in der Bundesrepublik Deutschland

Zusammengestellt mit Unterstützung der Landesarchivverwaltungen von Peter Dohms und Meinolf WosteVorbemerkungen: Diese Übersicht berücksichtigt die vom 1. Januar bis 30. Juni 2005 erlassenen bzw. in diesem Zeit-

raum veröffentlichten gesetzlichen Bestimmungen und Verwaltungsvorschriften und setzt damit die Zusammenstel-lung von Heft 4/2005 (S. 334–335) fort. Die Bestimmungen werden mit ihrer Fundstelle (Veröffentlichungsblatt und,wenn bekannt, auch Internet) genannt. Erläuterungen oder Zusätze der Bearbeiter sind kursiv gebracht.Übersicht: 1. Baden-Württemberg, 2. Bayern, 3. Hessen, 4. Niedersachsen, 5. Sachsen

1. Baden-Württemberg1. Gemeinsame Verwaltungsvorschrift der Ministerien

über die Aussonderung von Verschlusssachen undderen Übernahme durch das Verschlusssachenarchivder staatlichen Archivverwaltung vom 20. Dezember2004. Gemeinsames Ministerialblatt Baden-Württem-berg, S. 218.Im Internet unter www.vd-bw.de nach kostenloserRegistrierung einsehbar.

2. Bayern1. Aufhebung von Bekanntmachungen aus dem Ge-

schäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums fürWirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie.Bekanntmachung vom 29. Dezember 2004. AllgemeinesMinisterialblatt 2005, S. 17.Aufgehoben wird dadurch die Regelung zu „Aufbewah-rungsfristen für erledigte Karteikarten und Akten der Zulas-sungsstellen und der Führerscheinstellen“ vom 11. 10. 1983.

[email protected], Fax: 06421/16971-10)

2. bis 3. 11. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgGK 6: Einführung in die Paläogra-phie – 15.–17. Jahrhundert(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

5. bis 10. 11. 2006:Heidelberg

Fortbildungsveranstaltung der Verei-nigung deutscher Wirtschaftsarchi-vare e.V.58. VdW-Lehrgang: Einführung indas Wirtschaftsarchivwesen (Einstei-gen – Aufsteigen – Auffrischen)(Information und Anmeldung: Dr. Peter Blum,Fon: 06221/5819800, Fax: 06221/5849470,E-Mail: [email protected] – Infos auchunter www.wirtschaftsarchive.de)

8. bis 30. 11. 2006:Osnabrück

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR„Staatssicherheit – Garant der SED-Diktatur“ (BBS Osnabrück, NatruperStr. 50)

13. bis 14. 11. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 52-2: Elektronische Unterlagen II:Archivierung(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

13. bis 15. 11. 2006:Marburg

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivschule MarburgEK 62: MidosaXML-Schulung

(Anmeldeschluss: 8 Wochen vor Veranstal-tungsbeginn. Kontakt: Archivschule Marburg,Bismarckstraße 32, 35037 Marburg, Telefon:06421/16971-12 (Christa Kieselbach), E-Mail:[email protected], Fax: 06421/16971-10)

15. bis 16. 11. 2006:Pulheim-Brauweiler

Fortbildungsveranstaltung der Ar-chivberatungsstelle Rheinland „Ar-chivische Öffentlichkeitsarbeit“ (Ar-chiv des LandschaftsverbandesRheinland)

16. bis 17. 11. 2006:Zwolle

14. Deutsch-Niederländisches Ar-chivsymposionThema: Archivgut im digitalen Zeit-alter (Historisches Zentrum Over-ijssel)

20. bis 21. 11. 2006:Ascona

Fortbildungsveranstaltung des cen-tro del bel libro ascona „Der Umgangmit grafischen und gebundenenKostbarkeiten“(Nähere Informationen unter www.cbl-ascona.ch)

27. bis 30. 11. 2006:Hofgeismar

Wanderausstellung des Landeskirch-lichen Archivs Kassel „Von gebroche-nem Brot und zerbrochenen Bildern –Die zweite Reformation in Hessen-Kassel 1605“ (Herbstsynode derEvangelischen Kirche von Kurhes-sen-Waldeck)

8. 12. 2006 bis21. 1. 2007:Paderborn

Ausstellung der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR„Staatssicherheit – Garant der SED-Diktatur“ (Historisches Museum imMarstall, Marstall 9)

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2230

MITTEILUNGEN DES VdA – VERBAND DEUTSCHERARCHIVARINNEN UND ARCHIVARE e.V.

Aktuelle Mitteilungen

Geschäftsverteilung im Geschäftsführenden Vorstand

In der Sitzung des Geschäftsführenden Vorstandes des VdAam 20. Januar 2006 in Stuttgart wurde die Geschäftsverteilungim Geschäftsführenden Vorstand abgestimmt und von derGesamtvorstandssitzung am 8. März 2006 bestätigt. Nach die-ser Geschäftsverteilung ergeben sich folgende Zuständigkei-ten:

Der Vorsitzende, Dr. Robert Kretzschmar, ist zuständig fürgrundsätzliche Fach- und Rechtsfragen; daneben obliegt ihmdie Verantwortung für die Organisation und Durchführungder Archivtage. Der Vorsitzende nimmt die Vertretung desVerbandes im nationalen und internationalen Bereich wahrund kümmert sich in diesem Zusammenhang federführendum die Zusammenarbeit mit anderen Fachverbänden.Gemeinsam mit dem Geschäftsführer zeichnet der Vorsit-zende für die Pressearbeit des Verbandes verantwortlich.

Der Stellvertretende Vorsitzende, Dr. Michael Diefenbacher,übernimmt die Betreuung der Landesverbände des VdA undist verantwortlich für die gesamte Regionalarbeit des Verban-des. Außerdem ist er für den Geschäftsführenden VorstandMitglied im Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit.

Der 2. Stellvertretende Vorsitzende, Stefan Benning, ist für alleAusbildungsfragen zuständig und betreut die berufspoliti-schen und tarifvertraglichen Fachangelegenheiten. Er vertrittden VdA im Beirat der Archivschule Marburg.

Die Aufgaben des Schatzmeisters, Dr. Martin Dallmeier,umfassen sämtliche Finanzgeschäfte des Verbandes und ins-besondere die Planung und Organisation der Archivistica.

Der Schriftführer, Dr. Heiner Schmitt, erstellt die Protokolleder Vorstandssitzungen und der VdA-Mitgliederversamm-lung auf den deutschen Archivtagen. Der Schriftführer über-nimmt darüber hinaus den Vorsitz in dem zum jeweiligenArchivtag ad hoc zu berufenden Herausgebergremium fürden Protokollband des Archivtages.

Einweihung der neuen Geschäftsstelle des VdA

Die neue Geschäftsstelle des VdA, Wörthstraße 3 in 36037Fulda, wurde am 8. März 2006 im Rahmen einer kleinen Feier,an die sich die erste Sitzung des Gesamtvorstandes anschloss,

offiziell eröffnet. Der Fuldaer Oberbürgermeister GerhardMöller richtete eine Grußadresse an den VdA und sagte demVerband die tatkräftige Unterstützung der Stadt zu. Diese hatsich bereits im Zusammenhang mit dem Umzug von Weimarnach Fulda und bei der Einrichtung der Geschäftsstelle bes-tens bewährt. Der VdA-Vorsitzende, Dr. Robert Kretz-schmar, bezeichnete die Einrichtung einer festen, vomStandort des Vorsitzenden unabhängigen Geschäftsstelle alseinen weiteren Schritt zur Professionalisierung des Verban-des. Kretzschmar dankte dem Oberbürgermeister für dieUnterstützung der Stadt und sagte, er sei sehr zuversichtlich,dass in Fulda erfolgreiche Arbeit für den Verband und dasdeutsche Archivwesen geleistet werden könne.

Inzwischen ist neben dem Geschäftsführer des VdA, ThiloBauer, Frau Gabriele Bug in der Geschäftsstelle tätig.

Aktivitäten zur Gewinnung neuer Mitglieder

Die Mitgliederentwicklung im VdA ist stabil. Dennoch ist derVorstand der Auffassung, dass zusätzliche Aktivitäten zurGewinnung neuer Mitglieder notwendig sind. Dies zumeinen, um dem Anspruch des VdA, das deutsche Archivwe-sen kompetent und wirkungsvoll zu vertreten, gerecht wer-den zu können, und zum anderen, um im Interesse der Fach-kollegen berufsständische Interessen wirksam vertreten unddurchsetzen zu können. In diesem Zusammenhang wird sichder Arbeitskreis „Ausbildung und Berufsbild“ auch um dasThema Neuordnung des Tarifgefüges und um eine neue Defi-nition der Tätigkeitsmerkmale kümmern.

Zur Gewinnung neuer Mitglieder soll verstärkt Werbungin den Ausbildungseinrichtungen Marburg, Potsdam undMünchen sowie bei regionalen Archivtagen betrieben wer-den; hierfür wird der Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit einenVorschlag entwickeln.

77. Deutscher Archivtag in Mannheim

Der 77. Deutsche Archivtag, der 2007 in Mannheim stattfin-den wird, steht unter dem Generalthema „Lebendige Erinne-rungskultur für die Zukunft“, das auf einen Vorschlag desMannheimer Stadtarchivars Ulrich Nieß zurückgeht. Die

3. Hessen1. Benutzungsordnung für das Archiv des Hessischen

Landtags (Archivordnung) vom 16. November 2004.Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen,Teil I, Nr. 1 vom 11. Januar 2005, S. 2.Im Internet unter http://www.hessenrecht.hes-sen.de/gesetze/GVBl_I/2005/1/Seiten2-3.pdf einseh-bar.

4. Niedersachsen1. Erlass der Staatskanzlei zu den dienstrechtlichen Befug-

nissen des Niedersächsischen Landesarchivs vom21. Dezember 2004. Niedersächsisches MinisterialblattNr. 44/2005, S. 936.

2. Beschluss der Landesregierung vom 3. Mai 2005 überdie Errichtung der Stiftung „Niedersächsisches Wirt-schaftsarchiv Braunschweig“ (NiedersächsischesMinisterialblatt Nr. 20/2005, S. 410).Beide Vorschriften sind im Internet unter www.rechts-vorschriften-niedersachsen.de einsehbar (kostenpflich-tig).

5. Sachsen1. Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeri-

ums der Finanzen über die Aufbewahrung und Aus-sonderung von Unterlagen bei den Finanzämtern vom4. Januar 2005. Sächsisches Ministerialblatt des Sächsi-schen Ministeriums der Finanzen, Jg. 2005, Bl.-Nr. 2,S. 15.Im Internet nicht einsehbar.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, H. 2 231

Programmkommission für den Mannheimer Archivtag wirdim Frühjahr 2006 ihre Arbeit aufnehmen.

78. Deutscher Archivtag

Für den 78. Archivtag 2008, der voraussichtlich in Erfurt statt-findet, wurde als inhaltlicher Schwerpunkt „Archive im digi-talen Kontext“ (Arbeitsthema) beschlossen.

Zusammenarbeit zwischen VdA und Deutschem Biblio-theksverband (dbv)

Im Deutschen Bibliotheksverband (dbv) besteht seit einigerZeit eine Arbeitsgruppe Kooperation Archive/Bibliotheken, ander sich für den VdA das Vorstandsmitglied Dr. MichaelHäusler beteiligt. Nunmehr hat sich die Vorsitzende des dbv,Dr. Claudia Lux, an den VdA mit dem Vorschlag gewandt,ein gemeinsames Gremium einzurichten, um übergreifendefachliche Fragen zu beraten und Vorschläge zu entwickeln.Der Vorstand des VdA beschloss, sich an einer verbandsüber-greifenden Arbeitsgruppe VdA/dbv zu beteiligen, für die einKonzept entwickelt werden soll. Dabei wird sie durchMichael Häusler vertreten.

Ehrungen

Der VdA beabsichtigt, jährlich eine Persönlichkeit, die sich inbesonderer Weise um das Archivwesen verdient gemacht hat,zu ehren. Mit der näheren Ausgestaltung der Preisverleihung,die erstmals im Jahre 2007 stattfinden soll, wird sich der Aus-schuss für Öffentlichkeitsarbeit unter Vorsitz von Dr. ClemensRehm näher befassen.

Stellungnahmen des VdA

Der VdA unterstützt, so beschloss der Vorstand am 8. März2006, nachdrücklich die Beteiligung der nichtstaatlichenArchive am Notfall Register Archive (NORA).

In Abstimmung mit dem Vorsitzenden des Gesamtvereinsder deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, Prof. Dr. Man-fred Treml, wird der Vorsitzende des VdA eine Stellung-nahme zur Reduktion des Geschichtsunterrichts an bayeri-schen Gymnasien gegenüber der bayerischen Landesregie-rung abgeben.

Ingelheim am Rhein, 28. März 2006Dr. Heiner Schmitt

Schriftführer des VdA

Die deutschen Archive, der Föderalismus und die kommunale SelbstverwaltungFestvortrag anlässlich der Verleihung des Hessischen Archivpreises am 17. November 2005 in der ehemaligenSynagoge in PfungstadtVon Robert Kretzschmar

Sehr gerne bin ich heute zu dieser Preisverleihung nachPfungstadt gekommen, um den Preisträgern meine Gratu-lation und die guten Wünsche des Verbands deutscherArchivarinnen und Archivare zu überbringen. Ich möchtedamit zum Ausdruck bringen, wie sehr es der Vorstanddes Verbands schätzt, dass der Landesverband Hessen dasEngagement für das Archivwesen in dieser Weise ehrt –das institutionelle und das ehrenamtliche Engagement.Für den Verband deutscher Archivarinnen und Archivaredarf ich als dessen Vorsitzender allen Beteiligten an dieserPreisverleihung unseren herzlichen Dank aussprechen –den Preisträgern für ihr Engagement, dem LandesverbandHessen, dass er diese Preisverleihung initiiert hat, undnatürlich dem Land Hessen und der Sparkassen-Kultur-stiftung Hessen-Thüringen für die Stiftung und Verlei-hung des Preises.

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen sehr,dass Sie heute persönlich den Preis oder besser: die Preiseübergeben. Damit unterstreichen Sie als Vertreter der Poli-tik, wie wichtig die Arbeit der Archive ist – für die Gesell-schaft insgesamt, für die Forschung und die Erinnerungs-kultur, für die Identität der Menschen, der Orte und Regio-nen. Ohne die Arbeit der Archive wäre die Beschäftigungmit der Geschichte und der Entwicklung unserer Gesell-schaft undenkbar. Archivarbeit ist insofern etwas, das füreinen jeden in der Gesellschaft von Nutzen ist, mittelbaroder unmittelbar.

Geleistet wird diese Arbeit in der Bundesrepublik indezentralen Strukturen, in Eigenverantwortung, mit vielEigeninitiative und Engagement, vielfach auch im Ehren-amt. Wenn heute der Landesverband Hessen im VdA einStadtarchiv auszeichnet sowie drei Persönlichkeiten, die

sich ehrenamtlich für das Archivwesen engagiert haben,dann spiegelt sich darin viel vom Archivwesen der Bun-desrepublik Deutschland und seiner eigenen Geschichte.Wir haben in Deutschland kein zentralisiertes Archivwe-sen wie in anderen Ländern, wie etwa in Frankreich oderItalien, sondern ein Archivwesen, das auf den föderalenStrukturen unserer Verfassung aufbaut, ein Archivwesen,dem die Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltungzugrunde liegen und das die Eigeninitiative fördert.

Dies hat in Deutschland eine lange Tradition. StaatlicheArchive als öffentlich nutzbare Dienstleister, die mit ihrenBeständen der Forschung und allen interessierten Bürge-rinnen und Bürgern zur Verfügung stehen, haben sich seitder ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den deutschenLändern ausgebildet, in einem längeren Prozess, der meh-rere Jahrzehnte umfasste und den man zu Recht einmal inAnlehnung an Habermas mit dem „Strukturwandel derÖffentlichkeit“ in Verbindung gebracht hat.1

Unabhängig von jedweder zentralen Steuerung hat sichin Deutschland auch das kommunale Archivwesen entwi-ckelt. Und ein wirkungsvolles, nachhaltiges Engagement

1 J. Friedrich Battenberg: Der Funktionswandel des Archivwesens imfrühen 19. Jahrhundert. Das Beispiel Hessen-Darmstadt. In: VolkerRödel (Hrsg.): Umbruch und Aufbruch. Das Archivwesen nach 1800 inSüddeutschland und im Rheinland. Tagung zum 200-jährigen Bestehendes Generallandesarchivs Karlsruhe am 18./19. September 2003 inKarlsruhe (Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-WürttembergA 20). Stuttgart 2005. S. 281–297, hier S. 295; vgl. auch J. Friedrich Bat-tenberg, Der Funktionswandel der Archive vom 18. Jahrhundert biszum Beginn des 20. Jahrhunderts. In: 50 Jahre Verein deutscher Archi-vare. Bilanz und Perspektiven des Archivwesens in Deutschland. Refe-rate des 67. Deutschen Archivtags 1996 in Darmstadt. Redaktion: DietherDegreif (Der Archivar, Beiband 2). Siegburg 1997. S. 101–114, hier S. 112.

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ehrenamtlicher Kräfte lässt sich in der deutschen Archiv-geschichte ebenfalls bereits im 19. Jahrhundert nachwei-sen. Um nur ein Beispiel aus Württemberg zu geben (ichbin ja heute Morgen aus Stuttgart angereist): Um die Siche-rung des Archivguts der säkularisierten Stifte und Klöstersowie der mediatisierten Reichsstädte und Herrschaftenhaben sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Württem-berg private Einzelpersonen große Verdienste erworben –vor allem Pfarrer und Lehrer, die auch selbstbewusst beiden professionellen Archivaren ein Engagement in derSache einforderten, ja die wohl bestallten Archivare zumTeil erst aktiviert haben. Und in gleicher Weise gingen inWürttemberg Initiativen zur Erarbeitung von Urkunden-büchern, zur Publikation von „Quellensammlungen zurvaterländischen Geschichte“, wie das damals hieß, aufeinen solchen aktiven und aktivierenden Personenkreiszurück.2 Da ist viel Eigeninitiative zu entdecken und danneben auch ein ehrenamtliches Engagement zur Unterstüt-zung der Arbeit der staatlichen Archive.

Dass die Jahre zwischen 1933 und 1945 einen tiefen Ein-schnitt in dieser Hinsicht bedeuteten, dies wurde geradevor wenigen Wochen auf dem 75. Deutschen Archivtagdeutlich, der sich mit dem Archivwesen, den Archivenund Archivaren im Nationalsozialismus befasst hat.3 Ander Spitze der Preußischen Archivverwaltung und desReichsarchivs verfolgte man seit 1933 mit viel Energie dieZentralisierung und Verreichlichung des Archivwesens.Archivpolitisch zielte man dabei auf „Totalität“. Staatli-ches und nichtstaatliches Archivgut sollte unter zentralerLeitung umfassend gesichert und verwaltet werden. Diestaatlichen Archive – in Preußen und in den nichtpreußi-schen Ländern – wollte man einer Reichsleitung unterstel-len. Die kommunalen und alle nichtstaatlichen Archivesollten in ein hierarchisches System eingebunden werdenund unter staatlicher Aufsicht stehen.

Zur Umsetzung dieses Ziels der Verreichlichung undZentralisierung wurde tatkräftig ein Archivpflegesystemausgebaut, in dem gerade auch ehrenamtliche Kräfte alsArchivpfleger Einsatz fanden. Sie wurden in archivpoliti-sche Programme einbezogen, die der Sicherung bestimm-ter Unterlagen galten, z. B. solcher, die man als wertvollfür die so genannte Sippenkunde erachtete. Und in Pro-gramme zum Schutz des Archivguts – dies vor allem beiAltpapiersammlungen zur Rohstoffgewinnung. 4

Überhaupt wurde die Politik der Zentralisierung undVerreichlichung des Archivwesens mit dem Begriff desArchivgutschutzes verbunden. Die zentrale Steuerungsollte dem Schutz des Archivgutes jedweder Herkunftunter staatlicher Aufsicht dienen und eine gesetzlicheGrundlage durch ein Archivgutschutzgesetz erhalten,dessen Verabschiedung jedoch misslang.5

Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismushat man noch einmal an diesen Versuch einer Archivgut-

2 Robert Kretzschmar: Zögerlicher Pragmatismus ohne Vision. Daswürttembergische Archivwesen nach 1800. In: Volker Rödel, Umbruchund Aufbruch (wie Anm. 1) S. 215–280, hier S. 234, 246 ff.

3 Das deutsche Archivwesen und der Nationalsozialismus. 75. DeutscherArchivtag in Stuttgart. Der Tagungsband ist in Vorbereitung.

4 Dies habe ich in meinem Referat „Überlieferungsbildung im Nationalso-zialismus und in der unmittelbaren Nachkriegszeit“ auf dem 75. Deut-schen Archivtag näher ausgeführt.

5 Norbert Reimann: Kulturgutschutz und Hegemonie. Das Bemühen derstaatlichen Archive um ein Archivalienschutzgesetz in Deutschland1921 bis 1972. Münster 2003. Der Tagungsband zum 75. DeutschenArchivtag wird einen weiteren Beitrag von Reimann zu diesem Themaenthalten.

schutzgesetzgebung angeknüpft, jedoch wiederum erfolg-los.6 In der entstehenden Bundesrepublik mit ihren föde-ralen Strukturen hatte ein zentralisiertes Archivwesenkeine Zukunft. In den Ländern bzw. unter der Kulturho-heit der Länder bildeten sich vielmehr eigenständige Lan-desarchivverwaltungen heraus. Und das kommunaleArchivwesen entwickelte sich – unabhängig von einerstaatlichen Aufsicht – nach den Grundsätzen der kommu-nalen Selbstverwaltung. Die staatlich gelenkte Archiv-pflege verlor die Bedeutung, die sie zwischen 1933 und1945 hatte, und kam in der während des Nationalsozialis-mus entwickelten Form zum Erliegen.7 EhrenamtlichesEngagement entfaltete sich wieder in dezentralen Struktu-ren – mit viel Eigeninitiative.

Gerade durch den Vergleich mit den Entwicklungen inden Jahren zwischen 1933 und 1945 ist mir in den letztenMonaten wieder sehr bewusst geworden, worin der spezi-fische Reiz des deutschen Archivwesens liegt: Er liegtdarin, dass es mit den föderalen Strukturen der Bundesre-publik und der kommunalen Selbstverwaltung im Ein-klang steht. Denn dieser Rahmen ermöglicht es, Archivar-beit auf den verschiedenen Ebenen des Bundes, der Län-der, der Kommunen und auch im nichtstaatlichen Bereichin starkem Maße selbst gestaltend, mit viel Eigenverant-wortung zu leisten. Oder anders herum formuliert: unab-hängig von einer zentralen Steuerung, die ja oft auch Über-steuerung und Bürokratisierung bedeutet.

Ich erinnere mich noch gut an einen der ersten Archiv-tage, an denen ich teilnahm. Beim abendlichen Empfangbegrüßte der Oberbürgermeister den Präsidenten desBundesarchivs als obersten Chef aller Archivare. Ein Rau-nen ging durch den Saal. „So etwas gibt es gar nicht“, riefdann jemand sehr selbstbewusst, übrigens mit südhessi-schem Akzent.

Archivarinnen und Archivare sind – entgegen landläu-figer Klischees – nach meiner langjährigen Beobachtungvon ihrem Naturell her Menschen, die gerne selbst gestal-ten wollen. Sie sind eher nicht so veranlagt, dass sie nurausführen wollen, was andere ihnen vorgeben, sonderneben Menschen, die gerne Initiativen entfalten und Verant-wortung übernehmen. Die Strukturen des Archivwesensder Bundesrepublik Deutschland bieten dafür einen gutenRahmen. Die Archivverwaltungen der einzelnen Länder –wie immer sie auch organisiert sind – können ein eigenesSelbstverständnis definieren und Schwerpunkte in derArbeit setzen.

So haben wir für die staatliche ArchivverwaltungBaden-Württemberg letztes Jahr in einem Workshop, dermehrere Sitzungen umfasste und von der Führungsakade-mie Baden-Württemberg moderiert wurde, unser Selbst-verständnis geklärt.8 Wir haben uns als landeskundlichesKompetenzzentrum definiert und uns auf vorrangigeZiele verständigt, ein übergeordnetes Wirkungsziel unddavon abgeleitete Ergebnisziele.

6 Reimann, Kulturgutschutz und Hegemonie (wie Anm. 5) S. 24 ff.7 Beispielhaft Jürgen Treffeisen: Der behördliche Archivpfleger bei den

Justiz- und Verwaltungsbehörden. Einrichtung und Aufhebung inHohenzollern und Württemberg (1937–1964). In: Konrad Krimm, Her-wig John (Hrsg.): Archiv und Öffentlichkeit. Aspekte einer Beziehungim Wandel (Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-WürttembergA 9). Stuttgart 1997. S. 131–143.

8 Robert Kretzschmar: Auf einer Stufe zukunftsfähig? Die staatlicheArchivverwaltung Baden-Württemberg in der Verwaltungsreform. In:Der Archivar 59 (2006) S. 6–12.

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Ich glaube, dass es gut ist, dass die Archivverwaltungender Länder in solchen fachlichen und archivpolitischenDiskussionsprozessen auch zu unterschiedlichen Sicht-weisen und Schwerpunkten kommen können, unterBerücksichtigung der spezifischen Verhältnisse und Erfor-dernisse in den einzelnen Ländern. Und es ist sicherebenso gut, dass die Archive der Städte und Gemeindenihre Arbeit selbst gestaltend ausrichten können, geradeauch die kleineren Archive. Wer vor Ort ist, weiß meist ambesten selbst, was zu tun ist, welche Bedürfnisse die Nut-zer und Partner des Archivs haben, wo die Probleme beider Überlieferungsbildung liegen, wo sich neue Perspekti-ven eröffnen, wo Schwerpunkte zu setzen sind. Dies istvor Ort zu klären, im Dialog mit dem Träger, der die Res-sourcen zur Verfügung stellt.

Archivarbeit ist etwas, über das man laufend reflektie-ren muss, eine Arbeit, deren Ergebnisse kontinuierlich zuevaluieren sind. Archivarbeit erfordert in hohem Maßeeigenverantwortliches Handeln, sei es in größeren Archiv-organisationen, sei es in kleineren Archiven. Nicht zuletztist dies darin begründet, dass Archivarbeit einen wissen-schaftlichen Charakter hat. Ihre theoretische Basis ist dieArchivwissenschaft, wesentliche Aufgaben – man denkenur an die Erschließung historischer Bestände – erfordernwissenschaftliche Kenntnisse und sind nach wissenschaft-lichen Methoden zu bearbeiten.

Die dezentralen Strukturen des deutschen Archivwe-sens stehen damit bestens im Einklang.

Die deutschen Archive, der Föderalismus und die kommunaleSelbstverwaltung. Unter diesem Titel möchte ich aber nichtnur Vorzüge der gegebenen Strukturen herausheben.Denn natürlich sind damit auch Gefahren verbunden. DieMöglichkeit des eigenverantwortlichen Arbeitens darfnicht so (miss-)verstanden werden, dass jede Archivver-waltung, jedes Archiv – um es salopp zu formulieren – sovor sich hinwursteln kann, ohne über den Tellerrand zublicken. Vielmehr sind aus den Strukturen fachliche Ver-pflichtungen abzuleiten, vor allem die Verpflichtung, imNetzwerk der Archive mitzuwirken an einem nutzer-freundlichen Archivwesen, das den Herausforderungenunserer Zeit gerecht wird und effizient arbeitet, nach fach-lichen Standards.

Wie notwendig eine landesweite Koordination derarchivischen Arbeit ist, hat sich auf der staatlichen Ebenein den letzten Jahrzehnten immer wieder bestätigt.9 Es istsicher nicht effizient, wenn in einem Bundesland jedesStaatsarchiv für sich Verfahren der Bestandserhaltungerprobt, eigene Erschließungsrichtlinien anwendet oderdas Verfahren für die Verkürzung von Sperrfristen nur fürsich regelt. Dies wäre auch nicht bürgernah, denn wie soll-ten sich die Bürgerinnen und Bürger im Dschungel unter-schiedlicher Findmittel und Verfahrensweisen zurechtfin-den? Insbesondere haben sich bei der Überlieferungsbil-dung archivübergreifende Ansätze bewährt – sowohl inder Theorie als auch in der Praxis. Der Öffentlichkeit wärees jedenfalls kaum zu vermitteln, wenn die Unterlagenderselben Behörden, etwa der Finanzämter, von den ein-zelnen Archiven eines Landes unterschiedlich mit völligabweichenden quantitativen und qualitativen Ergebnis-sen bewertet würden. Hier stellt sich vielmehr die Frage,

9 Vgl. zum Folgenden meinen Beitrag: Staatliche Archive als bürgernaheEinrichtungen mit kulturellem Auftrag. In: Der Archivar 56 (2003)S. 213–220.

ob nicht sogar bundesweit eine weitaus engere Abstim-mung erforderlich ist. Ich glaube, dass sich die staatlichenArchivverwaltungen über die Ländergrenzen hinaus nochviel stärker auf einheitliche Standards der Aufgabenwahr-nehmung, vielleicht sogar auf gemeinsame Arbeitspro-gramme verständigen sollten. Denn was innerhalb einesLandes gilt, hat auch darüber hinaus Geltung: Es ist kaumkundenfreundlich, wenn sich der Nutzer von Land zuLand mit den Ergebnissen unterschiedlicher Strategienzur Überlieferungsbildung oder mit abweichendenErschließungsstandards und -traditionen auseinander set-zen muss. Von außen wird das staatliche Archivwesen oftals unübersichtlich und wenig homogen wahrgenommen.Vertreter der Forschung haben dem Verfasser gegenüberimmer wieder angemerkt, dass der Föderalismus auch imArchivwesen zum Teil Blüten treibt, die nicht geradeerfreulich sind. Warum vergleichbare Unterlagen in deneinzelnen Ländern nach unterschiedlichen Sperrfristennutzbar sind, ist jedenfalls ebenso schwer zu vermittelnwie die Tatsache, dass man sich als Nutzer noch nicht überein bundesweites Internet-Portal zum Archivwesen orien-tieren kann. Die übergreifende Archivbenutzung ist auchim Zeitalter des Internet etwas für Eingeweihte geblieben.So anarchisch das Medium naturgemäß ist, hier täte eineweiter gehende Strukturierung gut.

Ein Mehr an Einheitlichkeit auf Bundesebene würdealso dem staatlichen Archivwesen nicht schaden, ohnedem Föderalismus in irgendeiner Weise Abbruch zu tun.Grundsätzlich möchte ich die Archive der Bundesrepublikals Netzwerk verstanden wissen, als Netzwerk unabhän-gig voneinander, eigenverantwortlich agierender Ebenenund Einrichtungen, die sich zur Optimierung ihrer Fachar-beit zu einem Netzwerk verknüpfen – überall dort, wo esSinn macht, auf freiwilliger Basis und als Ergebnis eineroffenen Diskussion, im Interesse ihrer Nutzer.

Im Diskurs der letzten Jahre über die Ziele und Metho-den archivischer Überlieferungsbildung hat sich aus mei-ner Sicht herauskristallisiert, dass die Archive bei derBewertung ihrer Unterlagen Abstimmungen vornehmensollten, korrespondierende Überlieferungen in anderenArchiven in den Blick nehmen sollten, gemeinsame Archi-vierungsmodelle und Arbeitsprogramme in einem archiv-übergreifenden Rahmen entwickeln sollten. Letzten Endeshat dabei die archivübergreifende Bewertung ihre Begrün-dung in den Verfassungsprinzipien der BundesrepublikDeutschland. Als Gegenmodell zur zentralen Lenkung derBewertung ist sie aus ihnen abzuleiten.

Für die Erschließung bieten sich heute angesichts dertechnischen Entwicklung vielfältige Möglichkeiten derVerknüpfung von Informationen über verschiedene Ein-richtungen hinweg – bis hin zu virtuellen Bereinigungen.Über den Bildschirm lässt sich leicht zusammenführen,was zusammengehört, und das wäre für den Nutzer eingewaltiger Fortschritt.

Dass sich schon unter dem Gesichtspunkt der Wirt-schaftlichkeit die Kooperation zwischen Archiven anbie-tet, liegt auf der Hand. Gemeinsame Arbeitsprogrammeerhöhen die Wirksamkeit und entlasten die einzelnenArchive. Dies gilt für alle Arbeitsbereiche. Besonders aberin Bereichen, die hohe Investitionen und Spezialkennt-nisse erfordern, wie etwa die Restaurierung oder Archivie-rung elektronischer und audiovisueller Unterlagen, sindVerbundlösungen sinnvoll.

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Und kleinere Archive können sich insgesamt zusam-menschließen, um sich kostensparend eine gemeinsameInfrastruktur zu schaffen – von den Magazinen bis hinzum Lesesaal. Dafür gibt es ja positive Beispiele.10

Dass ein Netzwerk auch Lücken hat, liegt im System,dass man seitens der Archive Anstrengungen unterneh-men sollte, diese Lücken zu schließen, aber ebenso. Diegrößten Lücken im Netzwerk der Archive sehe ich nachwie vor bei der nichtstaatlichen Überlieferung, also bei derSicherung relevanter Unterlagen der Vereine, Verbändeoder auch der neuen sozialen Bewegungen.11 Hier liegt einweites Feld für Eigeninitiative und ehrenamtliche Arbeit.Gerade aus dem Bereich der neuen sozialen Bewegungensind mir viele Fälle bekannt, in denen man sich aus eigenerWurzel im Ehrenamt der Archivierung seiner Unterlagenangenommen hat. Gerne habe ich zum Beispiel vor eini-gen Jahren ein sich neu bildendes Archiv der Frauenbewe-gung beraten und unterstützt, im Bewusstsein, dass sichhier jemand um eine wichtige Überlieferung kümmert.Letzen Monat hat in Frankfurt der Dachverband der femi-nistischen Archive getagt – ein schönes Beispiel der Bil-dung neuer Archive in der pluralistischen Gesellschaft,aus eigener Wurzel und aus eigener Initiative. SolcheArchivbildungen als Reflex gesellschaftlicher Entwicklun-gen sind im Netzwerk der Archive wichtig und zu fördern.Entsprechende Überlieferungen sollten aber auch die sogenannten „etablierten“ Archive viel stärker in den Blicknehmen. Denn sie sollten sich verpflichtet sehen, wichtigeUnterlagen aus dem privaten Bereich, für die sich keineArchivbildung in Eigenregie abzeichnet, arbeitsteilig zusichern – im Rahmen ihres jeweiligen Dokumentations-profils und nach den archivfachlichen Grundsätzen derErgänzungsdokumentation, eben als Teil eines Netz-werks.

Seitens des Verbands deutscher Archivarinnen undArchivare werden wir 2006 am TAG DER ARCHIVE dieÖffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass Unterla-gen der Sportvereine vielfach gefährdet sind. Die Fußball-weltmeisterschaft bietet ja Gelegenheit, einmal öffentlichdanach zu fragen, wie es denn um die Sicherung der histo-risch bedeutsamen Überlieferung der Sportvereine steht.Und da könnte ich mir als Modell sehr gut vorstellen, dassman gezielt das Verbandsschriftgut in den Staatsarchivenbetreut, während bei den lokalen Sportvereinen die kom-munalen Archive in der Pflicht stehen. Aus meiner Sichtwäre eine solche Überlieferungsbildung im Verbundjedenfalls wünschenswert, beim Sport, aber auch in vielenanderen Lebensbereichen. Empfohlen hat eine solcheÜberlieferungsbildung im Verbund auch vor kurzem derArbeitskreis Archivische Bewertung im Verband deut-scher Archivarinnen und Archivare mit seinem Positions-papier.12

In der Bundesrepublik Deutschland kommt dem Ver-band deutscher Archivarinnen und Archivare, dem VdA,die Rolle zu, die Interessen des Archivwesens zu vertretenund die Fachdiskussion zu fördern. Diese Rolle des VdA,

10 Das Staatsarchiv Wertheim und der Archivverbund Bautzen wären sol-che Beispiele.

11 Vgl. dazu jetzt die Zusammenstellung bei Bernd Hüttner: Archive vonunten. Bibliotheken und Archive der neuen sozialen Bewegungen undihre Bestände. Neu-Ulm 2003.

12 Robert Kretzschmar: Positionen des Arbeitskreises Archivische Be-wertung im VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare zurarchivischen Bewertung. Einführung und Textabdruck. In: Der Archivar58 (2005) S. 88–94, hier Punkt II.6 S. 92.

Sprachrohr des Archivwesens zu sein, ist in Deutschland –im Vergleich mit den Archivarsverbänden anderer Staaten– um so bedeutsamer, als es bei der föderativen Strukturder Bundesrepublik neben dem VdA keine sonstige über-greifende und nationale Vertretung des Archivwesens, derArchive, der Archivarinnen und Archivare geben kann.13

Und in der Organisation des VdA als Berufs- und Fachver-band selbst spiegeln sich ja auch die Verfassungsstruktu-ren der Bundesrepublik, indem eigene Fachgruppen ein-gerichtet sind für die Archivare an staatlichen und kom-munalen Archiven, an kirchlichen Archiven, an solchender Wirtschaft, der Medien, der Parteien, der Universitä-ten und des Adels, und indem Zusammenschlüsse aufLandesebene bestehen, Landesverbände, wie der Landes-verband Hessen, dessen Gründung ich nur begrüßenkann. Ich denke, dies ist eine sehr gute Entwicklung, dasswir zumindest in Teilen der Bundesrepublik diese Landes-verbände als regionale Zusammenschlüsse haben, alsregionales Netzwerk. Gerade für die kleineren Archive istdas wichtig. Und ebenso ist erfreulich, dass sich in denletzten Jahren immer stärker auch Arbeitskreise entwi-ckelt haben, die sich im VdA über die verschiedenenArchivsparten hinweg bestimmter archivpolitischer undfachlicher Fragen annehmen.14 Im VdA, in seinen Fach-gruppen, Landesverbänden und Arbeitskreisen spiegeltsich aus meiner Sicht das deutsche Archivwesen als Netz-werk kommunizierender und kooperierender Einrichtun-gen in ganz besonderem Maße.

Und auch im VdA spielt die Eigeninitiative, spielt dieEigenverantwortung eine große Rolle. Die Arbeitskreisesind aus eigener Initiative entstanden, der LandesverbandHessen ebenso, und nicht zuletzt auch – und damitkomme ich zum Schluss – der Hessische Archivpreis, derdieses Jahr erstmals vergeben wird. Ihn verdanken wireiner Eigeninitiative des Landesverbands Hessen im VdA.

Und ich begrüße es sehr, dass mit diesem Preis geradekleinere Archive und ehrenamtliche Archivarinnen undArchivare ausgezeichnet werden, die sich durch ihr beson-deres persönliches Engagement um das Archivwesen ver-dient gemacht haben, ohne über große Budgets oder einenbreiteren Personalstamm zu verfügen. Denn nur durch einsolches Engagement kann das Netzwerk funktionieren,das ich aus den Verfassungsstrukturen der Bundesrepu-blik Deutschland abgeleitet wissen möchte.

Für dieses Engagement danke ich nochmals den Preis-trägern namens des Verbands deutscher Archivarinnenund Archivare ganz herzlich. Und ich wünsche Ihnen wei-terhin viel Freude und persönliche Erfüllung bei der tägli-chen Archivarbeit.

13 Norbert Reimann: 50 Jahre Verein deutscher Archivare. In: 50 Jahre Ver-ein deutscher Archivare (wie Anm. 1) S. 1–12, hier S. 10; Norbert Rei-mann: Der Verein deutscher Archivare nach 10 Jahren deutscher Ein-heit. – Wandel und Perspektive. In: Die Archive am Beginn des 3. Jahr-tausends. Archivarbeit zwischen Rationalisierungsdruck und Service-leistungen. Referate des 71. Deutschen Archivtags 2000 in Nürnberg.Redaktion: Diether Degreif (Der Archivar, Beiband 6). Siegburg 2002.S. 307–329, hier S. 326 ff.

14 Eine Übersicht über die Fachgruppen, Landesverbände und Arbeits-kreise findet sich auf der Homepage des VdA.

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Büttner, Edgar, Military Personal Files in the Federal Archives.Der Archivar, Jg. 59, 2006, S. 143–146.

At December 31st 2005 the „Zentralnachweisstelle“, a branch ofthe Federal Archives, was closed down. Its documents were divi-ded between the Federal Archives’ department „DeutschesReich“ (150m personal files of RAD and OT), the „DeutscheDienststelle“ (8300m personal files of the Wehrmacht – ranksbelow lieutenant), both in Berlin, and the Military Archives inFreiburg (2650m personal files of the Wehrmacht – officers). Themilitary personal files are highly valued by the users, becausesearch for information on ancestors is becoming more and more anew form of remembrance culture („Erinnerungskultur“). At pre-sent user-friendly access via electronic data management systemsdoes not exist. So in its new places these documents have to bebrought on an acceptable level of access and conservation.

Kunz, Andreas, The Records of the Central Office of Land Judi-cial Authorities of the Federal States for the Investigation ofNational Socialist Crimes in Ludwigsburg – Archival Preserva-tion and Access by the Federal Archives.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, S. 146–153.The mandate for the Central Office pursuant to administrativeagreements states that it should collect and examine all relevantrecords on criminal acts inspired by a Nazi mentality which areobtainable, that it should define delimited series of crimes andthat it should determine the whereabouts of the perpetrators. Thefacts ascertained are then to be handed over to the public prosecu-tor who institutes the formal preliminary and criminal procee-ding. Besides, the public prosecutors are obliged to forward allfindings they obtain to the Central Office and to notify legal mea-sures and decisions pronounced during the proceedings. – Theamount of files in itself offers an almost complete survey of inves-tigation and prosecution of Nazi crimes in the Federal Republic ofGermany. The documents deal with a wide as various range ofviolent crimes under the National Socialist regime 1933–1945, as,for example, with murder of political opponents, homicidal cri-mes within the so-called Euthanasia-program, mass crimes com-mitted by members of the SS and security police within the opera-tional groups in Poland and in former Soviet Union, in the concen-tration and extermination camps, in the numerous forced labouras well as POW camps and in other institutions for detention. – Alarge and detailed card index contains some 1,6 million entriesnaming persons, institutions or units and locations. This indexprovides exceptional conditions for Holocaust researchers andother historians. The records reveal the involvement of perpetra-tors and their motivation. Witnesses and to a smaller extend survi-ving victims testify the vast number of crimes extending on all ter-ritories occupied by the Germans. The documents give outstan-ding evidence of the difficulties of prosecution of Nazi crimes dueto legal measures and are therefore an important source for theresearch of judicial history of the post-war German democracy.

Wolf, Jürgen Rainer, The Saxon State Archives set up in 2005.Der Archivar, Jg. 59, 2006, S. 154–159.

Germany’s archival landscape is undergoing a process of funda-mental restructuring. Formerly independent institutions havebeen merged. In Saxony, January 1st 2005 marked the end of fif-teen years of lively debate. The responsibilities of the former unitof archival affairs in the Saxon State Ministry of Interior werehanded over to two departments dealing with matters of staffadministration and development, budget, organisation, archivalstrategies, public relations, preservation, and IT. The State Archi-ves of Dresden with branches in Chemnitz and Freiberg and ofLeipzig are now parts of the new State Archives, preserving theirlocal status and keeping their names.

Moritz, Werner, „Moderieren in der Nische“. – The Situation ofthe University Archives in Western Germany.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, S. 160–166.Fifty years after Franz Gall’s shocking survey of the situation ofGerman university archives („Archivalische Zeitschrift” 50/51,

1995, pg. 141–151), an examination of the current status of the(now) „old“ German states reveals great inconsistencies. At newlyfounded universities, new archives have been established and atsome of the older universities investments have been made intheir archives, in large part to make up for past short-comings. Onthe other hand, many university archives in former West Ger-many have not yet adopted general operating standards andalmost all of them face wide-spread compulsory reductions intheir budgets which makes the daily running of the archivesexceedingly difficult. The faculties’ noticeable involvement in thefinancing of archives, different from the hitherto form of involve-ment only through centralized financing, could possibly improvethe situation but only if it succeeds in spreading the feeling ofresponsibility within the university for the archives’ existence andmaintenance.

Bacia, Jürgen, Leidig, Dorothée, Social Contemporary Historyout of Favour: What can be done to Secure the Future of Inde-pendent Archives?

Der Archivar, Jg. 59, 2006, S. 166–172.The documentation of the social movements is not being adequa-tely collected in national or state archives. Over the past ten years,many archives have closed and research into contemporary his-tory has suffered as a result. Independent archives, however, haveincreased in number and are of a better quality and more variedthan ever before. This is despite operating in very difficult finan-cial conditions. The largest independent archive in Germany is the„Archiv für alternatives Schrifttum (afas)“ which has existed forover twenty years. This article gives an overview of the work andthe collections of the archives. It also pleads for better funding ofindependent archives in general by local authorities, the state andnon profit making organizations, in order to secure records anddocuments of the new social movements. Finally the articleargues for a single independent archives for the whole of Ger-many.

Richter, Sabine, Comparison of Cataloguing Rules in Librariesand Archival Description with Regard to a Joint Data Pool.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, S. 172–176.The Internet has created new possibilities for data searches both inarchives and cross-sectional in archives and libraries. The diffe-rences between archive and library materials lead to differentmanuals for the description of documents with varying degree ofbinding character. The elements of description are compared aswell between archival manuals as between archival and bibliogra-phical manuals. Most archival elements could be offered alongwith bibliographical elements in the same data pool, but the crea-tion of such a pool would be much easier if there were more obli-gatory manuals in the archival science.Weber, Matthias, Report on the Archives in The Netherlands1995–2005: Availability and Orientation to the Public as Para-digms and the Development of the ”Regionale Historische Cen-tra”.

Der Archivar, Jg. 59, 2006, S. 176–179.In the recent past, especially between 2000 and 2005, the Dutchnational archives services (Rijksarchiefdienst) was subject to con-siderable changes. Responsible Dutch politicians found that thearchives do not get the recognition of the public they woulddeserve and demanded a strong orientation to the public. To reachthat ambitious goal, the archives should use more electronicresources, especially the internet, listen to the “customers” inte-rests and look for partners with similar objectives. Less but largerarchives came to existence, and the provincial archives of theRijksarchiefdienst were obliged to merge with other comparableinstitutions, especially municipal archives. As so-called RegionaleHistorische Centra, the merged archives shall play a prominentrole in the cultural life in the Netherlands on national as well as onregional or local level. Not only the traditional users of the archi-ves such as historians or genealogists shall visit their websites orreading rooms, but all who have a certain or even uncertain inte-rest in history which is considered to be a „growing market“.


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