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ARCHIV NACHRICHTEN - landesarchiv-bw.de · Adolf Lüderitz seit 1883 in Südwest- und der...

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LANDESARCHIV BADEN-WÜRTTEMBERG Nr. 58 / März 2019 Koloniales Erbe – Spuren im Archiv Bloß nicht zu spät kommen! Bitterer Abschied aus Afrika „Archiv-to-go“ Karikaturen der Revolution 1848/49 ARCHIVNACHRICHTEN
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LANDESARCHIVBADEN-WÜRTTEMBERG

Nr. 58 / März 2019

Koloniales Erbe – Spurenim Archiv

Bloß nicht zu spät kommen!

Bitterer Abschied aus Afrika

„Archiv-to-go“

Karikaturen der Revolution1848/49

ARCHIVNACHRICHTEN

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ARCHIV AKTUELL

Nadine Seidu25 || Jahresbericht 2018

Nora Wohlfarth33 || Ein Abschluss… und doch keinEnde

Daniel Fähle / Thomas Fricke34 || „Archiv-to-go“. Online-Find-mittelsystem des Landesarchivs ist fürmobile Endgeräte optimiert

Thomas Fricke / Svenja Heidenreich35 || Hinter den Kulissen. Restaurie-rung im Landesarchiv mit neuem Soft-ware-Equipment

Nicole Bickhoff / Peter Rückert36 || Vor 750 Jahren – Das Ende derStaufer

Carmen Kschonsek / Peter Rückert37 || Erfolgreiche Ausbildung im geho-benen Archivdienst

Nils Meyer38 || Archivportal-D bald mit themati-schem Zugang

QUELLEN GRIFFBEREIT

Marius Golgath39 || Toulouse-Lautrec und Manet imStaatsarchiv Sigmaringen

Franz-Josef Ziwes40 || Digitalisierung von Protokollen desReichsstifts Obermarchtal im Ehrenamt

Johannes Renz41 || Ein archivalisches Schwergewicht

Rainer Brüning 42 || Sensationeller Fund im General-landesarchiv Karlsruhe zur Ermordungvon Gustav Landauer vor 100 Jahren

Sara Diedrich43 || Karikaturen der Revolution1848/49

KULTURGUT GESICHERT

Birgit Meyenberg44 || Unterwegs in Sachen fürstlicherHochzeit

Sibylle Brühl45 || In bunten Gewändern. Amts-bücher der Salemer Pflege Ehingen

ARCHIVE GEÖFFNET

Stephan Molitor46 || Der Schwäbische Dichterkreis von1938 und seine Entnazifizierung

Erwin Frauenknecht47 || Mechthild (1419–1482) im Spiegelder Zeit

Martin Stingl / Wolfgang Zimmermann48 || Ritter – Landespatron – Jugend-idol. Markgraf Bernhard II. von Baden

Rainer Brüning49 || La longue durée – ein Beitrag zurKolonialgeschichte in Algerien

JUNGES ARCHIV

Corinna Knobloch50 || Historische Bauunterlagen ausBacknang

GESCHICHTE ORIGINAL: QUELLEN FÜR DEN UNTERRICHT 57

Heike Bömicke51 || Das „Ortsstatut“ Freiburgs imBreisgau von 1887 – Symbol des Sonder-wegs einer Stadt?!

Verena Schweizer3 || Editorial

KOLONIALES ERBE – SPUREN IM ARCHIV

Wolfgang Reinhard4 || Kolonialismus

Ulrich Schludi / Jan Wiechert7 || Bloß nicht zu spät kommen! DieGründung des deutschen Kolonialvereins1882

Peter Schiffer8 || „mit meinen geringen Kräften beizu-tragen zum Aufblühen unserer Kolonie“

Ute Bitz10 || Sein stilles Grab im heißen Sand

Sara Diedrich12 || „Ich wünschte ihm guten Morgenund Weidmanns Heil…“

Laurencius Griener14 || „Gruß und Kuß“. Postkarten ausDeutsch-Südwestafrika

Jan Wiechert16 || Ich packe meinen Koffer undnehme mit…

Julia Kathke18 || Das Linden-Museum und seine kolonialgeschichtliche Vergangenheit

Wolfgang Mährle20 || Bitterer Abschied aus Afrika

Carl-Jochen Müller21 || Vom missionarischen Kakaokauf-mann zum mundtot gemachten Koloni-alpropagandisten

Christof Strauß22 || „Des types pas ordinaires…“

Nicole Bickhoff / Nadine Seidu24 || Von Stuttgart nach Windhoek

Archivnachrichten 58 / 20192

Inhalt

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Archivnachrichten 58 / 2019 3

Editorial

In den letzten Jahren ist die kolonialeVergangenheit und die damit verbun-dene Verantwortung Deutschlands in dasBewusstsein von Politik und Gesellschaftgerückt. Auch die Archive sind als Ver-wahrer der Quellen aufgerufen, an derSichtbarmachung von Kolonialgeschichtemitzuwirken. Unter dem Titel KolonialesErbe – Spuren im Archiv befassen sich dieAutorinnen und Autoren in den Archiv-nachrichtenmit der südwestdeutschenPerspektive auf die afrikanischen Kolo-nien.Die Gründungen der deutschen Kolo-nien in West-, Südwest- und Ostafrikasowie der Südsee erfolgten aus wirt-schaftlichen und strategischen Gründen,jedoch konnte das Deutsche Reich selbstkaum Gewinne aus den Kolonien erwirt-schaften. Vielmehr standen militärischeAuseinandersetzungen im Vordergrund,die vor allem für die Einheimischen Leidund Tod bis hin zum Völkermord mitsich brachten.Die Kolonialpolitik wurde zentral vomDeutschen Reich gelenkt, viele Doku-mente befinden sich darum heute imBundesarchiv. Aber auch Menschen ausdem deutschen Südwesten waren in denKolonien – beispielsweise als Geschäfts-leute, Angehörige des Militärs oder mit-reisende Familien. Deshalb befinden sichzahlreiche Zeugnisse über die Kolonial-zeit im Landesarchiv Baden-Württem-berg. In diesen Archivnachrichten gehenwir auf Spurensuche des kolonialenErbes. Dabei nehmen wir zwangsläufigdie Perspektive der Kolonialmacht ein,denn über das Leben der einheimischenBevölkerung erhalten wir durch dieQuellen im Landesarchiv nur indirektInformationen.Zur Verankerung der Kolonialzeit imöffentlichen Bewusstsein und damit un-sere Sicht auf diese facettenreicher undvollständiger wird, hat das Land Baden-Württemberg eine Initiative mit Nami-bia zur Umsetzung gemeinsamer Pro-jekte gestartet. Das Landesarchiv entwi-

ckelt derzeit im Rahmen dieser Namibia-Initiative eine Kooperation mit dem na-mibischen Nationalarchiv (siehe S. 24).Die Rubrik Archiv aktuell enthält denJahresbericht in veränderter Form – aus-führlicher und optisch in neuer Gestaltinformieren wir Sie über die Arbeit undErgebnisse des Landesarchivs im Jahr2018. Zudem berichten wir unter ande-rem über den Abschluss des ProjektsHeimerziehung in Baden-Württemberg1949–1975 und die Optimierung desOnline-Findmittelsystems für mobileEndgeräte. Dank Letzterer werden Siezukünftig in den Archivnachrichten re-gelmäßig QR-Codes ergänzend zu denInternet-Links finden, die Sie direkt zuunserem Online-Angebot führen.In der Rubrik Quellen griffbereit berich-ten wir über neu erschlossene oder digi-talisierte Bestände, beispielsweise übereinen sensationellen Fund unbekannterDokumente zur Ermordung von GustavLandauer und über die Digitalisierungder Protokolle des Reichsstifts Ober-marchtal in ehrenamtlicher Arbeit.Wir laden Sie herzlich zu den Ausstel-lungen des Landesarchivs ein – imHauptstaatsarchiv Stuttgart wird ab Maidie Präsentation Mechthild (1419–1482)im Spiegel der Zeit gezeigt, während imGenerallandesarchiv Karlsruhe die Aus-stellung Ritter – Landespatron – Jugend-idol. Markgraf Bernhard II. von Baden er-öffnet wird. Im Staatsarchiv Ludwigs-burg ist im Sommer eine Schau zumThema Der Schwäbische Dichterkreis von1938 und seine Entnazifizierung zu sehen.Als Quellen für den Unterricht stelltHeike Bömicke das Ortsstatut Freiburgsim Breisgau von 1887 vor und geht an-hand dieses Dokuments auf die städte-bauliche Entwicklung Freiburgs ein.Ihnen wünsche ich eine informativeLektüre und grüße Sie aus der Redaktion

IhreDr. Verena Schweizer

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Archivnachrichten 58 / 2019 Koloniales Erbe – Spuren im Archiv4

Kolonialismus und das eng damit zusam-menhängende Schlagwort Rassismus,beides mit dem Suffix -ismus negativmarkierte polemische Begriffe, gibt es alsselbstverständliche Schimpfwörter erstseit dem 20. Jahrhundert, die Sache hin-gegen seit Jahrhunderten oder gar Jahr-tausenden. Es waren freilich in ersterLinie die Europäer, die sich seit dem15. Jahrhundert die gesamte Erde etap-penweise direkt oder indirekt zu unter-werfen wussten. Zur Unterwerfung undAusbeutung anderer Völker gehörte aber

je länger desto mehr die Vorstellung, dassdiese anderen Völker aus verschiedenenGründen minderwertig seien. Die Folgewar unter anderem die Ermordung vonMillionen amerikanischer Ureinwohnerund die Versklavung von Millionen vonAfrikanern. Beides spielte sich in derNeuen Welt ab, wo Europa gegenüberden Ureinwohnern seine ersten kulturel-len und politischen Wettbewerbsvorteilehatte. Es brauchte nämlich die Entste-hung des modernen Staates im18./19. Jahrhundert, bis auch die altenImperien Asiens wie Indien, Japan undChina sowie zum Schluss ganz Afrikaunterworfen werden konnten.Als es um die Entstehung der Weltwirt-schaft im Allgemeinen und um das Welt-geschäft mit dem Sklavenhandel im Be-sonderen ging, waren Deutsche bei die-ser Unterwerfung der Welt zwar von An-fang an beteiligt, aber die längste Zeitmangels politischer Macht nur indirektund nie in maßgebendem Umfang. Ver-schiedene kolonialpolitische AnläufePreußens zwischen dem 17. und19. Jahrhundert verliefen nicht beson-ders erfolgreich. Nach Deutschlands undItaliens politischer Einigung 1871 wardann aber für beide Neulinge nicht mehrviel kolonialpolitische Beute zu holen.Im damaligen Zeitalter des Imperialismuswaren ältere Mächte, vor allem Großbri-tannien und Frankreich, nämlich längstdabei, sich zu bedienen. Allenfalls inAfrika und Teilen der Pazifischen Insel-welt gab es noch Optionen, es sei dennman drängte sich mehr oder gewaltsamzusammen mit anderen Konkurrenten in

weltpolitische Schwächezonen wie Chinaoder das Osmanische Reich.Deutsche kolonialpolitische Initiativenvon Missionaren und Auswanderern,von Geografen und Ethnologen, von Ge-schäftsleuten und nationalistischen Poli-tikern hatte es zwar schon früher im19. Jahrhundert gegeben. Aber erst nachder Reichsgründung entstanden ein-schlägige Interessenverbände. Die Betei-ligung der deutschen Wirtschaft hieltsich dabei freilich in Grenzen. Auchgroße Hamburger Handelshäuser wieWoermann oder Godeffroy setzten einst-weilen lieber auf weltweiten Freihandel.Immerhin machten Schnaps und Waffenmehr als die Hälfte der Hamburger Ex-porte nach Westafrika aus. Aber dermaßgebende Politiker, ReichskanzlerOtto von Bismarck, hielt von Haus ausnichts von Kolonien. Sie waren ihmschlicht zu aufwendig.Dennoch sollte es in den achtziger Jah-ren zu Koloniegründungen in West-,Südwest- und Ostafrika sowie in derSüdsee kommen, allerdings wie meistensin der Kolonialpolitik durchweg infolgeprivater Aktivitäten. So schlossen verwe-gene Gestalten, wie der TabakhändlerAdolf Lüderitz seit 1883 in Südwest- undder Historiker und Philosoph Carl Petersab 1884 in Ostafrika, ziemlich zweifel-hafte Schutzverträge über Hoheits- undGebietsabtretungen mit afrikanischenPotentaten. Ein Häuptling in Südwestberechnete dabei wie gewohnt englischeMeilen zu 1,6 km, sein deutscher Partneraber deutsche zu 7,5 km! Als Lüderitz1884 von Bismarck endlich den bean-

Kolonialismus

1 | Theodor Gotthilf Leutwein (1849–1921), Kom-mandeur der Kaiserlichen Schutztruppe und Gou-verneur von Deutsch-Südwestafrika 1895-1905.Vorlage: Bundesarchiv, Bild 146-2019-0001.

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Archivnachrichten 58 / 2019 5

tragten Reichsschutz erhielt, stand dieseEntscheidung bereits im Zusammenhangmit der Entwicklung in Westafrika, wodie Hanseaten angesichts der verschärf-ten britischen und französischen Kon-kurrenz jetzt ihrerseits in Togo und Ka-merun dankbar auf den Schutz des Rei-ches zurückgriffen. Ebenfalls 1884 wurdein Nordost-Neuguinea und benachbar-

Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

ten Gebieten die deutsche Flagge gehisst,um britisch-australischen Ansprüchenzuvorzukommen.Bismarcks plötzliche kolonialpolitischeSchwenkung ist umstritten gebliebenund wird immer noch den verschieden-sten Ursachen zugeschrieben. Mit Si-cherheit gehört sie aber in den Zusam-menhang eines weltpolitischen Kalküls

des Kanzlers unter besonders günstigenaußenpolitischen Bedingungen, als an-dere Mächte lahmgelegt waren. Im Übri-gen war seine Initiative 1885 bereits vor-über und bezweckte außerdem nicht dieErrichtung von regelrechter Kolonial-herrschaft, sondern die Schaffung bloßerSchutzgebiete von privilegierten Koloni-algesellschaften privater Träger nach

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3 | Gouverneur Theodor Leutwein, Hendrik Wit-booi, Kaptein der Nama, und Samuel Maharero,Kaptein der Herero, ca. 1898/1904.Vorlage: Bundesarchiv, Bild 146-2011-0066.

2 | Hendrik Witbooi (um 1830–1905), ca. 1900.Vorlage: Bundesarchiv, Bild 105-DSWA1035. Auf-nahme: Walther Dobbertin.

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Archivnachrichten 58 / 20196 Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

dem Muster britischer und französischerProtektorate. Aber der Mangel an Inve-storen führte zur Übernahme sämtlicherKolonien durch das Auswärtige Amt (ab1907 Reichskolonialamt): 1885 in Kame-run und Togo, 1887 in Südwestafrika,1891 in Ostafrika, zwischen 1889 und1899 in Neuguinea mit seinen Nebenlän-dern (Bismarck-Archipel, Bougainville,Buka, Karolinen, Marianen ohne Guam,Palau- und Marshall-Inseln mit Nauru)sowie Samoa. Denn inzwischen war ausden kolonialpolitischen Episoden Bis-marcks die aggressive WeltmachtpolitikKaiser Wilhelms II. geworden. Dabeikonnten Privatleute Profit machen – fürdas Reich blieben die Kolonien trotz derDiamantenfunde in Südwest 1908 weiterZuschussunternehmen. Das galt vorallem für das 1897 von China gepachteteJiaozhou mit der Hauptstadt Qingdao,das 10 Millionen Mark im Jahr kostete.Diese Vorzeigekolonie der Marine erhieltaußerdem 200 Millionen Mark für Inve-stitionen, wurde dabei aber durchaus er-folgreich entwickelt.Teurer war nur der Krieg gegen die He-rero und Nama in Südwestafrika 1904–07 mit 14.000 deutschen Soldaten, der585 Millionen Mark Kolonialanleihenkostete. Nach einer Rinderpest 1897 wardort die Brutalität der deutschen Siedlerund Händler 1904 unerträglich gewor-den. Angesichts des Aufstandes wurdeder behutsamere Gouverneur Theodor

Leutwein durch den schneidigeren Lotharvon Throtha ersetzt, denn die Zeichenstanden jetzt auf Völkermord. Der grö-ßere Teil der Herero und die Hälfte derNama kam ums Leben, darunter Leut-weins früherer Gegner und späterer poli-tischer Partner, der Namachef HendrikWitbooi, heute ein Nationalheld Nami-bias. Doch während dieser Krieg bisheute Aufsehen erregt und Wiedergut-machungsforderungen auslöst, gingenDeutsche anderswo zwar weniger aufse-henerregend, in der Sache aber kaumweniger roh und manchmal durchausverbrecherisch vor. Bei 61 Strafexpeditio-nen 1891–97 und im Maji-Maji-Krieg1905 sind in Deutsch-Ostafrika insge-samt wahrscheinlich noch mehr Men-schen getötet worden oder verhungertals in Südwest.Aber der Herero-Krieg löste Auseinan-dersetzungen im Reichstag, Wahlen undunter Staatssekretär Bernhard Dernburgeine kolonialpolitische Wende aus. Wäh-rend die Unterdrückungs- und Ausbeu-tungspolitik in Südwest eher verschärftwurde, durften Gouverneure wie Al-brecht von Rechenberg in Ostafrika undJulius von Zech in Togo jetzt statt weiterSiedler und Plantagen zu fördern einenegererhaltende Kleinbauernpolitik be-treiben, wie sie auch dem Vorgehen vonAlbert Hahl in Neuguinea und WilhelmSolf auf Samoa entsprach. Missionarebeider Konfessionen waren Schrittma-

cher des deutschen Kolonialismus gewe-sen und betrachteten sich weiterhin alsdessen Partner. Das brauchte aber Kon-flikte nicht auszuschließen. Aggressivekatholische Missionspolitik in China be-einträchtigte zum Beispiel das Verhältnisder deutschen Verwaltung zur Bevölke-rung. Auf der anderen Seite lehnte derprotestantische Missionar Franz MichaelZahn in Togo Kolonialherrschaft gegen-über dem Bruder Neger überhaupt ab. Esgab sogar christliche Kaufleute wie AlbertVietor in Togo, der nur freie und anstän-dig bezahlte Arbeiter beschäftigte undauf das Schnapsgeschäft verzichtete.Doch während man eben noch ein gi-gantisches deutsches Mittelafrika ein-schließlich des belgischen Kongo undder portugiesischen Besitzungen geplanthatte, war 1915, spätestens 1918 allesvorbei, trotz Kolonialnostalgie und denzum Teil bis heute erhaltenen Denkmä-lern.Während Großbritannien die Archiveseiner Unterdrückungspolitik bis vorkurzem geheim halten konnte und diefrühere italienische Regierung ihre Kolo-nialakten vorsorglich der Kontrolle ehe-maliger Kolonialbeamter im Außenmini-sterium überließ, hatte die Bundesrepu-blik Deutschland statt der längst vergan-genen Kolonialgeschichte ohnehinandere Vergangenheiten zu bewältigen.Außerdem hatte die Sowjetunion diedeutschen Kolonialakten der DeutschenDemokratischen Republik überlassen,deren Historiker durchaus mit diesemPfund zu wuchern wussten. Erst allmäh-lich entwickelte sich ebenfalls eine ein-schlägige Forschung im Westen, dieschließlich auch hierzulande in die aktu-elle post-koloniale Erinnerungskulturmündete, wo Denkmäler entsorgt undvölkerkundliche Beutestücke bis hin zuAfrikanerschädeln zurückgegeben wer-den müssen.

Wolfgang Reinhard

4 | [Staatssekretär Bernhard Dernburg auf Dia-mantensuche.Vorlage: Bundesarchiv, Bild 183-2019-0206-500.

Literaturhinweise:Horst Gründer: Geschichte der deutschenKolonien. Paderborn 72018.Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung derWelt. Globalgeschichte der europäischenExpansion. München 42018.Völkermord in Deutsch-Südwestafrika.Der Kolonialkrieg (1904–1908) in Na-mibia und seine Folgen. Hg. von JürgenZimmerer. Berlin 2004.

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Archivnachrichten 58 / 2019 7Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

stellt, das Verständnis der Notwendigkeit,die nationale Arbeit dem Gebiete der Ko-lonisation zuzuwenden, in immer weitereKreise zu tragen, für die darauf gerichte-ten in unserem Vaterlande bisher ge-trennt auftretenden Bestrebungen einenMittelpunkt zu bilden und eine prakti-sche Lösung der Kolonialfrage anzubah-nen.Der Nachlass von Fürst Hermann imHohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein(LABW HZAN La 140 und 140a) birgtentsprechend seiner hervorgehobenenRolle umfangreiche Unterlagen zur Ge-schichte des Deutschen Colonialvereinsund der aus ihm hervorgegangenenDeutschen Kolonialgesellschaft, zuderen Präsidenten er ebenso gewähltwurde. Er dokumentiert aus der Zeitvon 1879 bis 1910 verschiedenste Er-kundungen und Expeditionen, Ankäufeund die Gründung von Vereinen undGesellschaften zur Verwaltung derSchutzgebiete, Projekte zum Eisenbahn-bau und zur Einrichtung von Schulengenauso wie die Auswanderung nachDeutsch-Südwestafrika, wirtschaftlicheProjekte des Fürsten oder Antisklaverei-bestrebungen.

Ulrich SchludiJan Wiechert

neten Gebiete spärlicher, an denen diedeutsche Colonisation landen kann.Die konstituierende Versammlung desKolonialvereins fand am 6. Dezember1882 in Frankfurt am Main statt. DieEröffnungsrede hielt Fürst Hermann zuHohenlohe-Langenburg, danach ergriffder Schriftsteller, Forschungsreisendeund Zoologe Hermann von Maltzahndas Wort. Er legte besonderes Gewichtauf das Recht der Deutschen auf ihrenPlatz an der Sonne: Wir Deutschenhaben für die Erforschung vieler LänderGut und Blut eingesetzt; wenn wir jetztden Lohn für unsere Thaten fordern, ver-langen wir nur was recht und billig ist.[…] Die Furcht vor der Einmischung ei-fersüchtiger Nationen bei Erwerbung vondeutschem Colonial-Besitz ist eine reineGespensterfurcht. In allen Fällen aber istes der deutschen Nation nicht würdig,nationale Bedürfnisse unbefriedigt zulassen, lediglich aus Furcht, anderen Na-tionen zu mißfallen! Bezeichnenderweisebeschrieb von Maltzahn die angestreb-ten Kolonien als herrenlose Gebiete, diees zu kultivieren gelte.Zum Abschluss wählte die Versamm-lung Fürst Hermann zum Präsidentendes Vereins. In der Satzung wurde derVereinszweck festgelegt: Der DeutscheKolonial-Verein hat sich die Aufgabe ge-

Fürst Hermann zu Hohenlohe-Langen-burg konnte bereits auf eine jahrzehnte-lange politische Tätigkeit in der würt-tembergischen Kammer der Standesher-ren und dem Deutschen Reichstag zu-rückblicken, als er 1882 die Gründungeines deutschen Kolonialvereins insAuge fasste. Die illustre Gruppe, die sichzu diesem Zweck um den Fürsten ge-schart hatte, konnte sich sehen lassen:Neben ihm selbst gehörten etwa derTroja-Entdecker Heinrich Schliemann,der württembergische StaatsministerKarl von Varnbüler, der Forschungsrei-sende und Maler Franz Keller-Leuzingerund der Historiker Gustav Freytag zuden 79 Männern aus Adel und bürgerli-cher Upperclass, die zur konstituieren-den Versammlung einluden.Die Zielsetzungen des geplanten Ver-eins gehen schon aus dem Gründungs-aufruf deutlich hervor. Darin ist insbe-sondere von einer wachsenden Ueberfül-lung des Reichs, der notwendigen Er-schließung neuer Absatzgebiete und dersteigenden Bedeutung des überseeischenHandels die Rede. Auch der durch dieAktivitäten anderer Kolonialmächtehervorgerufene Zeit- und Konkurrenz-druck wurde hervorgehoben: Durch denrastlosen Eifer anderer Völker werden mitjedem Jahre, ja mit jedem Tage die geeig-

Bloß nicht zu spät kommen!Die Gründung des deutschen Kolonialvereins 1882

Fürst Hermann zu Hohenlohe-Langenburg (1832–1913) darf als maßgeblicher Initiator des „Deut-schen Colonialvereins“ gelten und wurde 1882 zuseinem ersten Präsidenten.Vorlage: LABW, HZAN, o. Sign.

Koloniale Träume in Aquarell: Die Arbeit des For-schungsreisenden, Malers und Gründungsmitgliedsdes „Deutschen Colonialvereins“ Franz Keller-Leu-zinger (1835–1890) zeigt eine Landschaft in Brasi-lien. Vorlage: LABW, HZAN La 140a Bü 46.

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Archivnachrichten 58 / 20198

Rudolf Gansser, Sohn eines hohen würt-tembergischen Militärs, hatte die Offi-zierslaufbahn eingeschlagen und war 30Jahre alt, als er sich zum Kolonialdienstmeldete. Entschlossen wollte er beimAufbau der jungen deutschen KolonieDeutsch-Ostafrika mitwirken, zum Wohlund Segen des heimatlichen Mutterlandes.Im Dezember 1896 kam er in Daressa-lam an. Sein Motto Dem Mutigen gehörtdie Welt bezeugt seinen Optimismus undElan.Gansser sollte die westliche Usambara-Region vermessen, die für den Bau einerEisenbahnlinie vorgesehen war. An er-höhten Punkten im Gelände waren zahl-reiche Holz-Gerüste (sogenannte Sig-nale) zu errichten, die man von verschie-denen Orten aus für Winkelmessungen

anpeilen konnte. Bäume waren zu fällen,das Holz zurechtzuschneiden und aufdie Höhe zu schleppen und dort pyrami-denartige Signale mit gut sichtbarerSpitze zu zimmern. Sodann war eine so-genannte Basis im gut zugänglichen Ge-biet präzise zu vermessen. Trigonome-trisch ließen sich aus einer Seite undzwei Winkeln eines Dreiecks die unbe-kannten Seiten errechnen. Aus der ge-messenen Basis und den errechneten Sei-ten konnte er über ein Netz aus Dreiek-ken die Entfernungen in der bergigenRegion ermitteln, die sich einer direktenMessung im unzugänglichen Geländeentzogen. Im November 1899 waren dieArbeiten abgeschlossen und Gansserkonnte in die Heimat zurückkehren.Die Pause war nur kurz. Im Januar

1900 betrat Gansser Deutsch-Ostafrikaerneut mit einer neuen Aufgabe: Er warKompanie- und Bezirkschef von Tabora,einer kaum erschlossenen Region im In-neren der Kolonie. Sein Verwaltungsbe-zirk entsprach der Größe der drei König-reiche Bayern, Sachsen und Württem-berg zusammen. Hier hatte er die militä-rische und zivile Verwaltung zu leiten.Das Straßen- und Wegenetz war auszu-bauen, die Verwaltungsgrenzen warengenau festzulegen, Gerichtssitzungen ab-zuhalten und Streitigkeiten in der Bevöl-kerung zu schlichten. Außerdem warendie Einheimischen auf die Erhebung vonSteuern vorzubereiten.Der ursprüngliche Elan wich bald derErnüchterung. 1901 reifte der Entschluss,nach Beendigung der Aufgabe in Tabora

Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

„mit meinen geringen Kräften beizutragenzum Aufblühen unserer Kolonie“Rudolf Gansser in Deutsch-Ostafrika

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nicht weiter in der Kolonialverwaltungzu bleiben. Gansser war zwar überzeugt,das Beste für seinen Bezirk getan zuhaben. Aber insgesamt resignierte er: Erhabe zu wenig europäische Bedienstete,zu wenig Geldmittel und der Gouver-neur zeige zu wenig Verständnis. Ganzbesonders enttäuschte ihn, dass die vonihm projektierten Brunnenbohrungenzur Modernisierung der Wasserversor-gung am fehlenden Geld scheiterten. Anden Kolonialdienst schloss sich einesechsmonatige Weltreise von Daressalambis Hamburg an. Dann begab Ganssersich wieder in die Dienste des württem-bergischen Militärs.Doch Afrika ließ ihn nicht los. Als inSüdwestafrika die Hereros rebellierten,wurde Gansser 1904 als Kompaniechefdorthin abkommandiert. Gleich im er-sten bedeutenderen Gefecht am Water-berg fiel er. Rudolf Gansser starb nochnicht 40-jährig.Seine hinterlassenen Tagebücher,Briefe, Fotos und Kopien dienstlicherAkten berichten beredt über seine Erleb-nisse, seine Beobachtungen und seineAnsichten während seiner Zeit inDeutsch-Ostafrika (Bestand LABW,HStAS Q 2/48).

Peter Schiffer

Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

1 | Rudolf Gansser auf einem Esel reitend, im Hin-tergrund das Gebäude mit seiner Wohnung in dervorderen Ecke (Parterre) in Daressalam, 1897.Vorlage: LABW, HStAS Q 2/48 Bü 44.

2 | Rudolf Gansser in Kolonialuniform von Deutsch-Ostafrika, Porträtfoto mit Widmung an seineSchwester Luise Gansser, um 1900.Vorlage: LABW, HStAS Q 2/48 Bü 40.

3 | Ausgelassene „Kolonialherren“ beim Erkletterneiner Palme, ganz oben Rudolf Gansser, ca. 1899.Vorlage: LABW, HStAS Q 2/48 Bü 57 [16].

Titelbild | Signal zur Vermessung des Geländes,unten Einheimische, auf der Plattform links Gans-ser, ca. 1899.Vorlage: LABW, HStAS Q 2/48 Bü 51 [8]. 3

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1 | Erich von Woellwarth (1876–1904).Vorlage: LABW, StAL PL 9/3 Bü 1632.

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bilde im Feldlager Epako die neuenMannschaften aus.Ich erzähle euch von meiner Pad(Marsch) nach Outjo: Die größte Se-henswürdigkeit der Kolonie ist KapitänBanjo, der schwerste Herero. Derselbesitzt schon seit Jahren von morgens bisabends im Kreis seiner „Grootleute“. Erist so korpulent, dass er seit 6 Jahren nurvon 2 starken Männern gestützt werdenkann. Er schickte ein Schaf als Geschenkund wollte dagegen Tabak, Schnaps undTee haben. Am nächsten Vormittagkamen wir in eine andere große Hererowerst zum Kapitän Kajewaro, frühereiner der berüchtigtsten Wegelagerer, derkeinen Frachtfahrer oder Kaufmann un-gerupft vorüberließ. Jetzt ist er natürlichzahm geworden. Er hat anscheinenddabei recht gute Geschäfte gemacht.Im Süden des Schutzgebiets soll einefortgesetzte große Boereneinwanderungstattfinden. Jetzt ist’s aber bald genug,sonst kann es passieren, dass wir dieSchutztruppe verstärken müssen, nichtgegen die Eingeborenen, sondern gegendie Boeren.Im Mai 1902 habe ich nun nach 2 Jah-ren auch die Malaria, noch 39 Mann derKompanie liegen auf der Nase.

Nach einem Heimaturlaub von Februarbis Juli 1903 wieder zurück in Afrika,sollte es mit der afrikanischen Gemüt-lichkeit auf der Militärstation Omarurubald vorbei sein. Erich berichtet ab No-vember 1903 von Unruhen im Süden,die im Distrikt Warmbad unter den Bon-delswart-Hottentotten ausgebrochenseien. Er wartet auf Marschbefehl, am30. Dezember 1903 rückt seine Kompa-nie schließlich ins Feld aus. Der Kriegs-

Dem jungen Baron Erich, geboren 1876,ist ein Lebensweg als Offizier vorbe-stimmt. Als 18-Jähriger tritt er als Fähn-rich bei den 20. Ulanen in Ludwigsburgein. Im Juni 1898 meldet er sich zurSchutztruppe für Südwestafrika, AnfangApril 1900 bekommt er seine Einberu-fung. Ankunft am 29. Mai 1900 in Swa-kopmund: Das Abenteuer auf demschwarzen Kontinent beginnt! Seine Lie-ben jenseits von Afrika lässt er intensivan seinem Alltag in der fernen Kolonieteilhaben. An die 60 Briefe schreibt er indrei Jahren an seine Familie auf GutSchnaitberg in Essingen und reichert alsleidenschaftlicher Fotograf seine lebhaf-ten Berichte mit vielen selbstentwickel-ten Fotografien an. Die – mit einer Aus-nahme – nicht im Original erhaltenenBriefe hat Erichs Schwester Sophie späterin einem Gedenkbuch veröffentlicht.Hier einige Eindrücke daraus:

Mir geht es ausgezeichnet, draußen aufder Station Omaruru ist es gar nicht soübel, wenn auch nicht so schön wie umWindhuk. Mit dem Kasernenbau ist jetztbegonnen worden, wir wohnen vorerstin Zelten. Die ganze Mannschaft brenntZiegel und ist mit Maurerarbeiten be-schäftigt. Der Bezirk von Omaruru ist sogroß wie das Königreich Bayern, da hatman einen ziemlich großen Spielraum.Es ist hier die schöne Bestimmung, dassjeder Offizier, wenn er nichts anderes zutun hat, sich in seinem Bezirk herumtrei-ben darf um das Land möglichst genaukennenzulernen.Ich habe jetzt einen 14jährigen Bambu-sen (Diener) namens Wilhelm und alsOrdonanz einen Hererosoldaten namensOtto. Ich hätte auch eine weiße Ordo-nanz haben können, aber die Schwarzensind mir viel lieber. Die Weißen sind hierviel zu sehr Herren, außerdem sind aufder Jagd die Eingeborenen viel prakti-scher.Alle Augenblicke wieder ein neues Pan-orama. Es ist geradezu fabelhaft, wie diePferde hier über Felsen klettern. Ich jageSpring- und Steinböcke, Schakale undHyänen durch Klippen und Dornbüsche,es gibt Unmassen von Perl- und Fasa-nenhühnern. Ich habe jetzt eine Deckevon 30 ausgesuchten Schakalfellen. Ichhabe es auf einen Leoparden abgesehen,der uns seit einiger Zeit nächtliche Besu-che abstattet.Mit dem Kasernenbau sind wir glück-lich so weit, dass wir schießen und exer-zieren können. Nachdem ich in den letz-ten Monaten so wenig Soldat gespielthabe und auf den Impfposten bei derBekämpfung der Rinderpest aushalf,habe ich jetzt ziemlich viel Dienst und

Archivnachrichten 58 / 201910 Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

Sein stilles Grab im heißen SandErich von Woellwarth, ein junger Leutnant der Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika

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die ein tolles Feuer eröffnet hatten, zu säu-bern. Im Sturm geht es darauf zu. Erichliegt auf einmal da und ächzt nach Was-ser. Eine Kugel hat den linken Ober-schenkel durchschlagen und sitzt nochim Bein. Er wird in den Schatten getra-gen, endlich kommt ein Eselskarren.Neun Stunden muss er aushalten, bevordie Soldaten mit Aufbietung der letztenKraft die Station Omaruru befreit haben.Am 11. Februar wird dem armen Woell-warth das Bein abgenommen. Die Ärztesagen, dass er ohne Amputation sicher,voraussichtlich wegen Herzschwäche aberauch bei der Operation sterben würde. DieAmputation überlebt er nicht. Die ganzeKompanie ist geknickt, sie liebten ihn, denflotten, netten Kerl, alle zärtlich. Am13. Februar 1904 wird Erich unter einermächtigen Dornakazie in Omaruru bei-gesetzt.

Ute Bitz

schauplatz ist ungefähr 1.000 km ent-fernt. Am 13. Januar 1904 bricht ein all-gemeiner Herero-Aufstand aus, alle Sta-tionen sind stark belagert, auf den Far-men werden Gräueltaten verübt. DieKerls schießen aber zu schlecht, sodass wirnur Leichtverwundete haben. Die Kugelnklatschten alle neben uns ins Wasser. Essind gestern 25 Hereros gefallen, aber alleauf der Flucht, da ihre Stellungen so vor-züglich gedeckt waren. Wir erbeuteten 2 Pferde, eine Kiste Dynamit und gestohle-nes Sattelzeug, schreibt er in seinem letz-ten Brief am 28. Januar. Vier siegreicheGefechte, Gesund, Erich! telegrafiert er noch am 3. Februar von Karibib nachHause.Die weiteren dramatischen Gescheh-nisse berichtet ein beteiligter Kameradund Vetter: Nach den Gefechten in Oka-handja erreicht Erichs Zug am Vormittagdes 4. Februar nach vierstündigem schar-fen Ritt die Ebene Omaruru um das felsigeund mit Büschen ungleich bewachsene Ge-lände von den sich verschanzten Hereros,

Archivnachrichten 58 / 2019 11Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

2 | „Epako – Pferde der Kompanie an der Tränke“.Vorlage: LABW, StAL PL 9/3 Bü 1632.

3 | „Omaruru - Meine Wohnung besteht aus 2 Zimmern mit Veranda und liegt in einem Neben-gebäude der Kaserne“.Vorlage: LABW, StAL PL 9/3 Bü 1632.

4 | „Feldlager Epako Sept. -Okt. 1901“.Vorlage: LABW, StAL PL 9/3 Bü 1632.

5 | „Feldlager Okuakatjiwi. Der Herr Kompaniefüh-rer beim Frühstück.“ Vorlage: LABW, StAL PL 9/3 Bü 1632.

Aufnahmen: Erich von Woellwarth.

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Der Krieg ist für uns Deutsche jedenfallsder schwerste, den wir seit 1870/71 gehabthaben, denn die Hereros fechten ausge-zeichnet und sind ein gewandter sehr be-weglicher Gegner. Dies schrieb Emil Reißin seinem letzten Brief an seine Elternam 12. März 1904 aus Windhuk, Deutsch-Südwestafrika, über den Hereroaufstand.Die auf dem Gebiet der Kolonie leben-den Herero hatten sich aus verschiede-nen Gründen gegen die deutsche Koloni-almacht gewandt, unter anderem weilman ihnen Land und Vieh nahm. DerAufstand begann mit Überfällen aufdeutsche Siedlungen Anfang Januar1904. Zur Niederwerfung bat die Schutz-truppe von Deutsch-Südwestafrika umVerstärkungen aus dem DeutschenReich. Oberleutnant Emil Reiß, geborenam 9. September 1872 in Karlsruhe, ausdem 3. Badischen Dragoner-Regiment

Südwestafrika gewesen. In einem Briefaus Epukiro 1898 an seine Eltern schil-dert er seine Erlebnisse, worin sich auchder Umgang der Deutschen mit der ört-lichen Bevölkerung, den Eingeborenen,zeigt, darunter eine Auseinandersetzungmit widerständigen Herero. Im Morgen-grauen war er mit einer kleinen Truppeunbemerkt in eine Hererowerft einge-drungen und hatte die Bewohner gefan-gen genommen: Es waren 250 Köpfe mitFrauen und Kindern […]. Einen Teil derjungen Leute habe ich als Arbeiter nachWindhoek für die Regierung geschickt,während ich die andern, nachdem ich siemit Groß- und Kleinvieh bestraft […],wieder im Damara-Land angesiedelthabe. Daneben erzählt er von privatenVergnügungen, wie Jagden und Pferde-rennen. Das anstrengende, wilde Leben,wie er es bezeichnet, schade allerdings

Nr. 22, trat sogleich in die Schutztruppeein. Neben ihm meldeten sich auchFriedrich von Klüber (1870–1909) ausdemselben Regiment und Angehörigeanderer badischer Regimenter für dieSchutztruppe, wie aus Akten des badi-schen Armeekorps im Generallandesar-chiv Karlsruhe hervorgeht. Über Famili-ennachlässe gelangten Briefe und andereDokumente von Reiß und seinen Kame-raden ins Archiv, in denen sie ihr persön-liches Erleben und ihre Sicht des Gesche-hens schildern, und die so die deutscheSicht der Zeit widerspiegeln. Auch Foto-grafien vom Schauplatz, die der oben er-wähnte Friedrich von Klüber angefertigthat, sind im Generallandesarchiv Karls-ruhe im Nachlass der Familie von Klüberüberliefert.Bereits von 1896 bis 1900 war EmilReiß in der Schutztruppe für Deutsch-

Archivnachrichten 58 / 201912 Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

„Ich wünschte ihm guten Morgen und Weidmanns Heil…“Erlebnisse von Emil Reiß in Deutsch-Südwestafrika

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Archivnachrichten 58 / 2019 13Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

seiner Gesundheit und er habe es dochziemlich satt.Im Januar 1904 brach Emil Reiß zumKampf gegen die Herero wieder in dieKolonie auf. Dort fiel er am 13. April1904 bei Okatumba, östlich von Oka-handja. Sein letzter Brief und der Briefeines Kameraden verraten uns Absich-ten, Taten und Kriegserlebnisse. In derdeutschen Überlieferung tritt uns Reißals Held entgegen, der sein Leben ein-setzte, um mit den Herero für ihr Vorge-hen gegen deutsche Farmer – um es mitseinen Worten zu sagen – etwas abzu-rechnen. Ein Kamerad schildert in einemBrief an Reiß‘ Eltern ihre letzte Begeg-

nung: Ich wünschte ihm guten Morgenund Weidmanns Heil, worauf er mitWeidmanns Dank antwortete. Dies wardas letzte Mal, daß ich seine Stimmehörte.Wie zwei Jäger begrüßten sie sich,obwohl sie sich im Kampf gegen Men-schen befanden. Die Sprache verrät denkolonialen Rassismus, der den Gegner indie Nähe eines Tieres rückte.Die Eltern erhielten eine kurze Mittei-lung über den Heldentod ihres Sohnes,der noch posthum für seinen Einsatz imKampf gegen die Herero gewürdigtwurde.

Sara Diedrich

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1 | Blick auf Hütten in einem Dorf in Deutsch-Süd-westafrika. Foto von Friedrich von Klüber, ca.1904/06.Vorlage: LABW, GLAK 69 von Klüber 58.

2 | Porträt von Oberleutnant Emil Reiß. Druck: F.E. Metzler, Frankfurt am Main.Vorlage: LABW, GLAK 456 G 2 Nr. 350.

3 | Friedrich von Klübers Wohnhaus auf dem Pferdeposten Okawayo, Deutsch-Südwestafrika.Foto von Friedrich von Klüber, ca. 1904/06.Vorlage: LABW, GLAK 69 von Klüber 58.

4 | „Oberleutnant Reiß sein Grab mit Hut usw.“ beiOkatumba. Foto von Friedrich von Klüber, ca.1904/06.Vorlage: LABW, GLAK 69 von Klüber 58.

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Der Nachlass des Kaufmanns Robert Ar-naud (1885–1945) im Staatsarchiv Sig-maringen beinhaltet eine umfangreichePostkartensammlung aus aller Welt. Dar-unter sind auch elf Postkarten aus derehemaligen Kolonie Deutsch-Südwest-afrika, welche Hede, eine Verwandte odergute Freundin von Arnauds spätererFrau Amelie Dieringer, zwischen 1907und 1909 schrieb. Aus ihnen werden dieunterschiedlichen Lebenswelten von Ko-lonisten und Kolonialisierten deutlich,sowie die Sichtweise der Kolonialherrenauf sich selbst, die Einheimischen undden Herero-Aufstand. Zu dieser Zeitbrauchten die Postkarten etwa einenMonat von Windhuk nach Sigmaringen.Der Begriff Kaffer, mit dem eine derPostkarten betitelt ist (Abb. 1), wirdheute als rassistisch angesehen, war da-mals aber eine übliche, wenn auch ab-wertende Bezeichnung für die Bantu-Völker, die unter anderem auf dem Ge-biet des damaligen Deutsch-Südwestafri-kas lebten. Auf der Postkarte klar zuerkennen sind die extrem aufgeblähtenBäuche der Kinder, die durch eine Man-gelernährung nach dem Stillen entste-hen. Im Hintergrund sind die typischenBehausungen der Bantu zu sehen. Aufder Rückseite der Postkarte schreibtHede, dass sie enttäuscht sei, so wenigeBriefe von Amelie Dieringer zu bekom-men. Während die Einheimischen alsohungern und in einfachen Hütten leben,scheint es Hedes größtes Problem zusein, nur wenige Briefe aus der Heimatzu bekommen.Auf einer anderen Postkarte (Abb. 2)schreibt Hede: Umstehendes Bild ist eineAnsicht von unserer Farm, die wir unskürzlich erworben haben. 12.780 ha groß.

Alles Eigentum, ein wonniges Gefühl,sagen zu können: soweit das Auge reicht,alles ist mein Eigentum! Und eine wun-derbare Jagd. Kürzlich habe ich hier eineRiesenschlange gekauft. 6,80 Meter lang.Von der Haut wollen wir uns Gürtel ma-chen lassen. Ich weiß nur vorläufig keinenFabrikanten in Deutschland dafür. Sonstmusst du eben noch warten. Innigen Grußund Kuß, deine Hede.Eine weitere Postkarte (Abb. 3) ist Teileiner Serie, in der mit Gedichten undLiedern die Kämpfe zwischen gut ausge-bildeten deutschen Soldaten und denKriegern der Herero während des He-rero-Aufstandes propagandistisch ideali-siert wurden. Der Verleger der Postkar-tenserie Franz Spenker ist selbst Soldatin Deutsch-Südwestafrika gewesen.Die Herero hatten 1904 in einem Auf-stand gegen Landenteignungen und ras-sistische Behandlung durch die Siedlerund ihre Institutionen rebelliert. AmWaterberg fand die entscheidendeSchlacht statt. Deren Ausgang zwang dieHerero, mit ihrem gesamten Volk in eineWüste zu flüchten, wo ihnen sowohl dasVerlassen der Wüste als auch der Zugangzu Wasserstellen innerhalb der Wüstevon deutschen Truppen verwehrt wurde.Größtenteils durch Verdursten verlorendeshalb etwa 40.000–60.000 Herero unddamit bis zu 80 Prozent des Volkes ihrLeben, was heute von Historikern alsVölkermord eingestuft wird. Im Gedichtauf der Postkarte wird dennoch eine eh-renhafte Schlacht beschrieben und denHerero Hinterhältigkeit unterstellt sowieder Mut der deutschen Soldaten be-schworen.

Laurencius Griener

Archivnachrichten 58 / 201914 Koloniales Erbe – Spuren im Archiv14

„Gruß und Kuß“Postkarten aus Deutsch-Südwestafrika

1 | „Kaffernfamilie“.Vorlage: LABW, StAS N 1/78 T 1 Nr. 732.

2 | „Zur Regenzeit“.Vorlage: LABW, StAS N 1/78 T 1 Nr. 733.

3 | „Kriegsbilder – Am Waterberg“.Vorlage: LABW, StAS N 1/78 T 1 Nr. 735.

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schen Kolonien und natürlich jede MengeAdressen. Egal ob man einen Bergwerks-eigner in Deutsch-Süd-Ost, einen Impor-teur in Tsingtau oder einen Pflanzer aufSamoa suchte: Das Kolonial-Handels-Adressbuch half weiter.Kein Wunder, dass das Adressbuch auchUnternehmer anzog, die ihre mehr oderminder tropenspezifischen Produkte be-warben. Neben einem alphabetischen Ver-zeichnis von Fabrikanten, das von A wieAtlanten über E wie Erdnuß-Schälmaschi-nen und T wie Tropenhelm bis Z wie Ziga-rillos reichte, enthielt jede Ausgabe auchzahlreiche Annoncen. Viele von ihnenwaren direkt auf die persönlichen Bedürf-nisse der privat oder dienstlich Reisendenund Auswanderer ausgerichtet.

Jan Wiechert

Ich packe meinen Koffer und nehme mit…

HZAN La 140 und 140a) gehören, habensich auch etliche Druckwerke erhalten, dieim Hohenlohe-Zentralarchiv eingesehenwerden können.Deutsches Kolonialblatt, Der Tropenpflan-zer, Afrika-Post, Kolonie und Heimat oderÜbersee: Die deutsche Kolonialbegeiste-rung brachte eine Vielzahl von Fachzeit-schriften und ähnlichen Druckerzeugnis-sen hervor. Zu den Must-haves dieser Peri-odika gehörte das seit 1897 jährlich er-scheinende Kolonial-Handels-Adressbuch,das vom Kolonial-Wirtschaftlichen Komiteein Berlin herausgegeben wurde. Das om-nipotente Nachschlagewerk enthielt far-bige Landkarten, die aktuellen Fracht-und Zolltarife, Umrechnungstabellen fürGeld und Maße, eine Anleitung für Aus-wanderer und Stellensuchende in den deut-

Archivnachrichten 58 / 201916 Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

Es mag auf den ersten Blick überraschen,dass im Hohenlohe-Zentralarchiv in Neu-enstein eine nicht unbedeutende Samm-lung von Dokumenten zum deutschenKolonialwesen aufbewahrt wird. Der idyl-lische Landstrich zwischen Kocher, Jagstund Tauber erinnert kaum an den Platz ander Sonne, den Kaiser Wilhelm II. für seinReich beanspruchte.Hintergrund der Sammlung ist das kolo-niale Engagement des Fürsten Hermannzu Hohenlohe-Langenburg (1832–1913),der Gründungsmitglied und erster Präsi-dent des Deutschen Kolonialvereins warund rege Korrespondenz mit Kolonialpo-litikern, Kolonisten und anderen Gleich-gesinnten unterhielt. Neben diesen Brief-wechseln und einigen Bilddokumenten,die zum Nachlass des Fürsten (LABW,

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Archivnachrichten 58 / 2019 17Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

Annoncen im „Kolonial-Handels-Adressbuch“ ausden ersten Jahren des 20. Jahrhunderts.Vorlage: LABW, HZAN.

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Das Linden-Museum und seine kolonial-geschichtliche Vergangenheit im Spiegel seiner Archivalien

Archivnachrichten 58 / 201918

Sammlungen präsentiert werden. Hierzuzählen Angebote von Fotografien ausTogo, Kamerun, Südwestafrika und Ost-afrika oder dem inneren Afrika ebensowie eine Sammlung, bestehend aus Waf-fen, Schädeln, ethnologischen Gegenstän-den, welche ein Ingenieur Fritz ausDeutsch-Ostafrikamitgebracht hatte,einem Gebiet, das heute die Länder Tan-sania, Burundi und Ruanda sowie kleineTeile Mosambiks umfasst (LABW, StALEL 232 Bü 376).Gleichzeitig warb Graf von Lindenauch selbst interessante Artefakte ein. Sostand er im Jahr 1903 mit dem Oberst-leutnant Frank in der Schutztruppe fürKamerun in Kontakt, der ihm aber mit-teilen musste, dass er sein Wort in Bezugauf ethnografische Sammlungen nicht invollem Umfang halten können wird.Während der Expedition ins Innere desLandes war keine Zeit gewesen, so dassan ein richtiges Sammeln ethnografischerGegenstände nicht zu denken war. Er ver-wies Graf von Linden aber an seine Ka-meraden, den Hauptmann Engelbarthund den Oberleutnant Förster, die mehrGlück gehabt haben. Beide Namen sindim Schreiben blau markiert und hervor-gehoben worden, vermutlich, um zu bei-den in Kontakt zu treten. Weitere Korre-spondenzen mit in Afrika lebenden oder

Der 1882 gegründete Württembergische Verein für Handelsgeographie und Förde-rung Deutscher Interessen im Ausland wurde am 1. Juni 1889 in ein Völkerkun-demuseum umgewandelt, das später den Namen Linden-Museum erhielt.Die schriftliche Überlieferung des Ver-eins und späteren Museums befindet sich im Staatsarchiv Ludwigsburg im Be-stand EL 232. Der Bestand enthält die zahlreiche Korrespondenz des ersten Vorsitzenden des Vereins, Graf Karl von Linden, sowie weiterer Persönlichkeiten, später auch die Korrespondenz des wis-senschaftlichen Direktors, besonders von Dr. Augustin Krämer und seinem Nach-folger Heinrich Fischer. Sachakten, di-verse Druckschriften, umfangreiche Zei-tungsausschnittsammlungen, Erinne-rungsstücke und Bilddokumente runden den Bestand ab.Die Korrespondenz macht die weltwei-ten Kontakte, die Karl von Linden pflegte, sehr anschaulich, zeigen sie doch die Vernetzung mit deutschen Kolonial-beamten, Kolonialoffizieren, der deut-schen Kolonialgesellschaft, Übersee-Kaufleuten, Kapitänen und Missionaren. Sie gibt einen eindrücklichen Einblick in die Sammlungstätigkeit des Museums: So finden sich zahlreiche Angebote an das Museum, in denen verschiedene

das Land bereisenden Personen befindensich ebenfalls im Bestand (Bü 72).Neben den Angeboten und den Einwer-bungen finden sich in den Beständenaber auch Listen von Sammlungen, Eth-nografica, die dem Museum überlassenbzw. von diesem angekauft wurden. Solistet das Verzeichnis der von Freiherrvon Bülow gesandten Ethnografica einenFrauenkopfschmuck der Hereros sowieArm- und Beinschmuck, eine Milchkale-basse und andere Gefäße, Löffel, Messer,einen Musikbogen, ein Kuduhorn undweitere Hörner von verschiedenen Tie-ren auf. Eine andere Liste führt u. a. fünfvergiftete Pfeile, einen Sultansstab, Tabakpfeifen und Bekleidung auf (Bü1186).Der guten Vernetzung des Grafen ist es wohl zu verdanken, dass die Samm-lung schon 1903 zu den drei größten der-artigen Sammlungen in Deutschlandzählte. Graf von Linden beschrieb sie alsdie wohl schönste diesfallsige Ausstellungin Deutschland aus den deutschen Schutz-gebieten: sie gebe ein nahezu lückenlosesBild des Lebens und Treibens, des Fühlensund Glaubens der zahllosen teils sesshaft,teils nomadisierend in dem schwarzenContinent lebenden Völkerschaften (Bü 72).

Julia Kathke

Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

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Archivnachrichten 58 / 2019 19Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

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1 | Saiteninstrument aus Ukerewe, Deutsch-Ost-afrika, Linden-Museum Stuttgart, Inventarnummer45379.Vorlage: LABW, StAL EL 232 Bü 125.

2 | Leier aus Uganda, Ostafrika, Linden-MuseumStuttgart, Inventarnummer 32986.Vorlage: LABW, StAL EL 232 Bü 125.

3 | Verzeichnis der von Freiherr von Bülow an Grafvon Linden gesandten Ethnografica.Vorlage: LABW, StAL EL 232 Bü 1186.

4 | Schreiben von L. Illich, Pächter der DomäneKwai in Westusambara vom 25. Januar 1907 anGraf von Linden.Vorlage: LABW, StAL EL 232 Bü 376.

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enteignet. Verschiedentlich kam es zuKopfgeldjagden, häufig zu Demütigun-gen, zu Nötigung und zu körperlicherGewalt. Die hygienischen Verhältnisse inden Lagern und auf den Schiffen, die die Deutschen außer Landes brachten,waren katastrophal. Besonders inhu-mane Bedingungen herrschten in einemInternierungslager in Abomey in derfranzösischen Kolonie Dahomey (heuteBenin). Die dorthin verbrachten Deut-schen aus Togo und Kamerun musstenZwangsarbeit leisten. Sie litten unterbrutalen Misshandlungen und Folterdurch das Wachpersonal.Die Dokumentationen des Reichskolo-nialamts beleuchten einen vergessenenAspekt der Geschichte des Ersten Welt-krieges. Sie sind darüber hinaus ein ein-drucksvolles Zeugnis des vor einhundertJahren allgemein verbreiteten Rassismus.Nicht nur für Berta Gutbrod war es eineZumutung, von schwarzen Truppen ver-haftet zu werden und in einer Negerhüttenächtigen zu müssen. Die Publikationenbelegen, dass für viele Deutsche dieschlimmste Erfahrung darin bestand,von den Engländern oder Franzosen vorder afrikanischen Bevölkerung gedemü-tigt zu werden: Dem Spott der Schwarzenwar man verschiedentlich ausgesetzt gabvoller Abscheu Hermine Koch, die Ehe-frau eines Tübinger Regierungsbaumei-sters, zu Protokoll.

Wolfgang Mährle

Band – versuchte das Reichskolonialamt,völkerrechtswidrige Übergriffe der En-tente-Truppen gegen die Kolonialdeut-schen in Westafrika bekannt zu machen.Eine auffallend große Zahl an Aussagenstammt von Württembergern. Diesewirkten in Kamerun oder Togo häufigals Missionare, daneben als Regierungs-beamte, Kaufleute, Soldaten oder medi-zinisches Personal. Oder sie waren – wieBerta Gutbrod – Familienangehörigedeutscher Funktionäre und Repräsen-tanten.Während die schwachen kaiserlichenPolizeitruppen in Togo bereits im August1914 kapitulieren mussten, dauerten dieKämpfe im erheblich größeren Kamerunbis Anfang 1916 an. Doch waren wesent-liche Teile der Kolonie schon im Herbst1914 in die Hände der alliierten Truppengefallen. In den Gebieten, in denen dasenglische, französische oder belgischeMilitär die Kontrolle übernahm, wurdendie deutschen Bewohner zu Gefangenenerklärt, anschließend verhaftet, interniertund deportiert.Anhand von Zeugenaussagen solltendie Veröffentlichungen des Reichskoloni-alamts die Vorgänge in Afrika erhellen.Dies geschah entsprechend dem propa-gandistischen Zweck der Publikationenin sehr einseitiger Weise. Nichtsdesto-trotz finden viele der erwähnten Faktenin anderen Quellen Bestätigung. Die Be-sitzungen der Kolonialdeutschen wurdendemnach in der Regel entschädigungslos

Bitterer Abschiedaus AfrikaDas Reichskolonialamt dokumentiert die Verhaftung, Internierung und Depor-tation württembergischer Siedler in Kamerun und Togo während des ErstenWeltkrieges

Archivnachrichten 58 / 201920 Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

Gefangennahme erfolgte durch englischeOffiziere mit schwarzen Truppen, binnen1 ½ Stunden mußten wir reisefertig sein.Wegführung von der Station […] unterZurücklassung sämtlichen Besitztums mitAusnahme eines kleinen Koffers für michund eines ebensolchen für meinen Mann.Transport nach Duala im Kanu […]. Un-terwegs übernachtet in einer Negerhütteohne Bett […]. Nach der GefangennahmeInternierung in einem Haus der BaslerMissionshandlung zusammen mit einerAnzahl anderer Frauen. Behandlung inDuala durchaus unwürdig. In Duala vom9. November bis 22. November 1914; aufdem Dampfer vom 22. November bis29. Dezember 1914.Berta Gutbrod befand sich bereits wie-der in Württemberg, als sie am 7. Mai1915 über ihre Gefangennahme auf derMissionsstation Mangamba in Kamerun,die anschließende Verbringung nachDuala, der Hauptstadt der deutschen Ko-lonie, und den Weitertransport nachGroßbritannien berichtete. Das Zitatentstammt Gutbrods beeidigter Aussagevor dem Amtsgericht Welzheim.Der Bericht der Missionarsfrau fandEingang in eine vom Reichskolonialamt1916 herausgegebene Veröffentlichung,in der das Verhalten des englischen undfranzösischen Militärs gegenüber derdeutschen Bevölkerung in den KolonienKamerun und Togo während des ErstenWeltkrieges dokumentiert wurde. Mitder Publikation – 1917 folgte ein zweiter

Zwangsarbeit deutscher Gefangener: Wegeausbesse-rung in Abomey. Aus: Die Kolonialdeutschen ausKamerun und Togo in französischer Gefangenschaft,Berlin 1917.Vorlage: LABW, HStAS M 635/2 Bd. 87, S. 15.

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Archivnachrichten 58 / 2019 21Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

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Vom missionarischen Kakaokaufmann zummundtot gemachten KolonialpropagandistenEin „Opfer“ der NS-Propagandamaschinerie in den Akten des Reichskolonialbunds

tamt, schon nach vier Monaten aber ineine fünf Jahre währende britische Ge-fangenschaft. Auch danach ließ ihn dieErinnerung an Afrika nicht los, leibhaftigdurch ein chronisches Darmleiden imGefolge einer dort erworbenen Amöben-ruhr. Ein Souvenir, so nachhaltig wienützlich, denn mehrere Heilaufenthalteim Tübinger Tropengenesungsheim er-laubten es ihm, im Erfahrungsaustauschmit Tropenrückkehrern eigene Kennt-nisse zu vertiefen und zu aktualisieren.Zugleich belebte dies seinen Drang nachSensibilisierung der Öffentlichkeit, dafür,wie viel wir durch unsere Kolonien verlo-ren haben und wie nötig es ist, daß wirdieselben an einem geeigneten Tag wiederbekommen müssen. Für die Überzeu-gungsarbeit konnte Desselberger zudemauf Fotoserien und Elaborate zurück-greifen, die sich unter Titeln wie UnserKamerun und Nötige Rohstoffe aus deut-schen Schutzgebieten Westafrikas in seinerPrivatpropaganda schon bewährt hatten.Dass diese kolonialrevisionistische Vor-tragskarriere gleichwohl ein abruptesEnde fand, noch ehe sie recht in Schwunggekommen war, lag an den alten Bezie-hungen zur Mission. Das Gaupropagan-daamt verfolgte den Kurs, alle früherenMissionskaufleute und ähnliche Geistes-verwandte als Redner unter allen Umstän-den auszuschalten. Ermahnt, diese Leutefür alles mögliche zu verwenden, aber nie-mals als Redner, legte der Reichskolonial-bund das Mitglied Desselberger sogleichstill.

Carl-Jochen Müller

Der Verlust der deutschen Überseeterri-torien bedeutete mitnichten das Endeder Kolonialpropaganda im Mutterland.Dafür sorgten etliche Organisationen,die 1933 der Reichskolonialbund auffing,mit zuletzt (im Februar 1943) über zweiMillionen Mitgliedern, davon rund49.000 im Gau Württemberg-Hohenzol-lern. Aus diesem Gauverband verwahrtdas Staatsarchiv Ludwigsburg Schriftgut-reste (Bestand LABW, StAL PL 520),überwiegend Personaldossiers von Mit-arbeitern, aber auch Korrespondenz auseinigen Kreisen.In beiden Überlieferungssträngen fin-den sich Hinweise auf Anstrengungendes Bundes, Referenten zu gewinnen, dieaus eigener Anschauung vom friedlichenwie kriegerischen Leben in den vormali-gen Schutzgebieten berichten konnten.Das Engagement prominenter Kolonial-veteranen war nicht billig: Ein Star wiePaul von Lettow-Vorbeck nahm pro Auf-tritt zwischen 170 und 190 Reichsmark(PL 520 Bü 564) – auf heutige Verhält-nisse umgerechnet also zwischen 700und 780 Euro. Es lag daher nahe, sich inlokalen Mitgliederkreisen nach poten-ziellen Rednern umzusehen.Im Ortsverband Bönnigheim wurde –bzw. schien – ein solcher in der PersonErnst Desselbergers gefunden (PL 520Bü 558). Seit 1912 für die Basler Missionals Kakaoeinkäufer in den kameruni-schen Städten Duala und Victoria (demheutigen Limbe) tätig, führte ihn derKrieg zwei Jahre später in den Dienst fürdas Vaterland, in den Einsatz bei der Kü-stenpatrouille und in einem Provian-

1 | Ernst Desselberger, dekoriert mit NS-Abzeichenan Krawatte und Revers.Vorlage: LABW, StAL PL 520 Bü 558.

2 | Die Intervention des Gaupropagandaamts derNSDAP in Sachen Desselberger.Vorlage: LABW, StAL PL 520 Bü 558.

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1 | Auszug aus dem Bericht des Badischen Ministe-riums der Justiz „Anteil der Bewerber und An-gehörigen der französischen Fremdenlegion an derKriminalität in Offenburg/Baden […]“ vom 28. Februar 1951.Vorlage: LABW, StAF C 17/2 Nr. 156.

2 | „Staatliche Kriminalpolizeistelle Offenburg – Erkennungsdienst – 1955: Auffanglager der Frem-denlegionäre Offenburg-Holderstock“.Vorlage: LABW, StAF B 728/1 Nr. 4482.

drohe zu einem Kriminalitätsmittel-punkt im Süden zu werden. Ein vom ba-dischen Justizministerium eigens erstell-ter, auf Polizeiangaben fußender Berichtan die Staatskanzlei vom Februar 1951offenbarte, dass sich unter den 109 imJahr 1950 steckbrieflich verfolgten und vonder Kriminalpolizei Offenburg festgenom-menen Personen 90 aus dem Lager entlas-sene oder ins Lager strebende Männerbefanden. Mehr und mehr Stimmen for-derten eine Verlegung des Lagers nachFrankreich.Im September 1951 wandte sich Staats-präsident Wohleb mit diesem Anliegenan das Auswärtige Amt in Bonn, das ver-sprach, ein entsprechendes vorbereiten-des Gespräch mit einem französischenMitglied der Hohen Kommission zu füh-ren. Im folgenden Jahr wurde das Lagertatsächlich aufgehoben. Für die Stadt Of-fenburg endete damit die Verstrickung inFrankreichs Kolonialkriege. Der verlu-streiche Indochinakrieg dauerte nochweitere zwei Jahre und endete 1954 miteiner französischen Niederlage. Unterden Kriegstoten waren auch zahlreicheFremdenlegionäre.

Christof Strauss

Archivnachrichten 58 / 201922

Dass die französische Fremdenlegionnicht aus gewöhnlichen Typen besteht,davon kündet nicht nur ihr MarschliedLe Boudin. Nach dem Zweiten Weltkriegzog sie neben Abenteuerlustigen auchMänner mit zweifelhafter Vergangenheitan. Die Legion kämpfte seinerzeit in In-dochina gegen den Việt Minh und ange-sichts dort erlittener Verluste brauchte esneue Rekruten. So geriet die badischeKleinstadt Offenburg in den Sog einesfernab tobenden Konflikts – mit spürba-ren Konsequenzen für das Alltagslebender einheimischen Bevölkerung.Ende 1948 hatten die Franzosen in Of-fenburg eine zentrale Auffangstelle derfranzösischen Fremdenlegion für dasBundesgebiet eingerichtet, in der Bewer-ber gemustert wurden, um im Fall derAnnahme über Marseille in ein Ausbil-dungslager nach Algerien transportiertzu werden. Zudem wurden vor allem ausDeutschland und Österreich stammendeLegionäre nach Beendigung ihrerDienstzeit vom Offenburger Lager ausentlassen. Ein Bericht des LandratsamtesOffenburg an den badischen Staatspräsi-denten Wohleb vom Februar 1951 be-tonte, anfänglich hätten sich viele Ar-

Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

„Des types pas ordinaires…“Die Rekrutierung von Fremdenlegionären in Offenburg

beitslose, dem Militärleben geneigte oderauch abenteuerlustige junge Menschen auswirtschaftlicher Not oder jugendliche[m]Idealismus heraus im Lager befunden.Doch seit den schweren Kämpfen in Indo-china habe sich das Bild dahingehendverschoben, dass sich dort zunehmendkriminelle oder polizeilich gesuchte Ele-mente und lichtscheues Gesindel sammel-ten.Etliche Bewerber wurden entweder ab-gelehnt oder verzichteten letztlich aufeinen Eintritt in die Legion. Zudem ver-blieben manche Ex-Legionäre nach ihrerEntlassung im Raum Offenburg. Dieseweitgehend mittellosen und oft entwur-zelten Männer aus dem In- und Ausland,manche bereits zuvor wegen Kapitalver-brechen zur Fahndung ausgeschrieben,sorgten im Landkreis für einen signifi-kanten Anstieg der Kriminalitätsrate,nicht nur bei unerlaubten Grenzübertrit-ten, sondern auch im Bereich der Ein-brüche und Raubdelikte. Generalstaats-anwalt Karl Siegfried Baader äußerte zu-spitzend in einem Plädoyer gegen dreijunge Angeklagte aus Deutschland, die1950 bei einem Raubüberfall zwei Men-schen schwer verletzt hatten, Offenburg

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Archivnachrichten 58 / 2019 23Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

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Archivnachrichten 58 / 201924 Koloniales Erbe – Spuren im Archiv

Von Stuttgart nach Windhoek Das Landesarchiv Baden-Württemberg und das Namibische Nationalarchiv starten Kooperation

Zeugnisse der historischen Verbindun-gen werden im Namibischen Nationalar-chiv in Windhoek verwahrt. Dort liegenbis heute zahlreiche historische Quellenaus der Kolonialzeit – zum Teil verfasstin deutscher Kurrentschrift und damitfür die afrikanischen Archivmitarbeiterkaum verständlich. Um eine nachhaltige Basis für die wis-senschaftliche Aufarbeitung zu schaffen,haben das Nationalarchiv in Windhoekund das Landesarchiv Baden-Württem-berg ein gemeinsames Austausch- undTrainingsprogramm konzipiert. Im Rah-men dieser Initiative sollen verschiedeneWorkshops in Deutschland und Namibiastattfinden, in denen ein Know-how-Transfer hinsichtlich archivischer Kern-aufgaben erfolgen wird. Zudem wird dis-kutiert, wie die kulturellen Schätze inWindhoek dauerhaft erhalten, digitali-siert und zugänglich gemacht werdenkönnen. Nach einer ersten Testphase, dieauf eineinhalb Jahre angelegt ist, soll daspartnerschaftliche Programm verstetigtwerden.

Nicole BickhoffNadine Seidu

Es ist Ende Februar, als das Flugzeug vonAir Namibia mit einer Delegation vonVertreterinnen und Vertretern aus Poli-tik, Kultur, Wissenschaft und Medien ausBaden-Württemberg in Richtung Wind-hoek startet. Gut 100 Jahre nach demEnde der deutschen Kolonialherrschaftim damaligen Deutsch-Südwestafrikasollen stärkere Bande mit dem seit 1990unabhängigen Namibia geknüpft wer-den. Ziel der Reise ist die Konzeption ge-meinsamer Projekte namibischer unddeutscher Partner als Teil der sogenann-ten Namibia-Initiative des Ministeriumsfür Wissenschaft, Forschung und KunstBaden-Württemberg.Im Zentrum der baden-württembergi-schen Bemühungen steht die Rückgabeder von Kolonialtruppen erbeuteten Fa-milienbibel und Peitsche des Nama-An-führers Hendrik Witbooi, die sich seit1902 im Stuttgarter Linden-Museum be-funden haben. Mit der Restitution fälltgleichzeitig der Startschuss für eine Viel-zahl von kulturellen und wissenschaftli-chen Kooperationen, die der Aufarbei-tung der gemeinsamen Geschichte ge-widmet sind. Besonders aussagekräftige

1 | Das namibische Nationalarchiv befindet sich imRegierungsviertel von Windhoek.Aufnahme: LABW.

2 | Besprechung mit den Kolleginnen vom Namibi-schen Nationalarchiv.Aufnahme: LABW.

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Archiv aktuell Archivnachrichten 58 / 2019 25

Das vergangene Jahr begann im Landesarchiv Baden-Württem-berg mit einem Führungswechsel. Präsident Prof. Dr. RobertKretzschmar verabschiedete sich bei einem Festakt im Januar inden wohlverdienten Ruhestand. Zugleich wurde sein bisherigerStellvertreter Prof. Dr. Gerald Maier zum neuen Präsidenten er-nannt. Bei seiner Antrittsrede kündigte Gerald Maier an, die dreiSäulen des Landesarchivs als Partner für die Verwaltung, als wis-senschaftlicher Informationsdienstleister sowie als landeskundli-ches Kompetenzzentrum zu stärken und weiterhin auszubauen.Den Chancen des Digitalen Zeitalters wolle er offensiv begegnenund neue digitale Initiativen aktiv mitgestalten. Darüber hinaussei es ihm ein großes Anliegen, das Landesarchiv stärker für diebreite Bevölkerung zu öffnen, niedrigschwellige Angebote zuschaffen und verstärkt über die Aktivitäten der Institution zu in-formieren.

Prof. Kretzschmar (links) und sein Nachfolger Prof. Maier beim Amtswechsel.Aufnahme: LABW.

Staatssekretärin Olschowski bei der Festrede. Aufnahme: LABW.

Das Landesarchiv im Jahr 2018

Kooperationen und ProjekteAuch im vergangenen Jahr schloss das Landesarchiv neue Ko-operationen und führte zahlreiche Projekte durch, die an dieserStelle nur exemplarisch genannt werden können.Ein besonderes Highlight ist die internationale Zusammenar-beit mit dem namibischen Nationalarchiv in Windhoek. ImRahmen der Namibia-Initiative des Ministeriums für Wissen-schaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg entwickeltendas Landesarchiv Baden-Württemberg, das Bundesarchiv unddas namibische Nationalarchiv ein Austauschprogramm zumnachhaltigen Know-how-Transfer, das voraussichtlich im Som-mer 2019 starten wird.

Die namibische Hauptstadt Windhoek ist Dreh- und Angelpunkt der „Namibia-Initiative“. Aufnahme: LABW.

Das Projekt Heimerziehung in Baden-Württemberg zwischen1949 und 1975 fand seinen Abschluss im Rahmen einer Tagung,bei der auch ein Abschlussbericht in Form der Publikation Auf-arbeiten im Archiv. Beiträge zur Heimerziehung in der baden-württembergischen Nachkriegszeit vorgelegt wurde. Seit Anfang2019 widmet sich das Projektteam nun verstärkt den Recherchenfür Menschen, die zwischen 1949 und 1975 in Heimen der Be-hindertenhilfe oder auch in Psychiatrien untergebracht waren.Ein Mitmach-Projekt zur Verortung historischer Karten undLuftbilder lud im vergangenen Jahr zum Forschen ein. Die Ak-tion, die auf die Kompetenzen der Bürgerinnen und Bürger alsHobby-Wissenschaftler zurückgriff, war so erfolgreich, dass alleKarten nach kürzester Zeit fertig bearbeitet waren.Darüber hinaus startete 2018 ein gemeinsames Projekt desLandesarchivs Baden-Württemberg mit dem Bundesarchiv, derDeutschen Nationalbibliothek und FIZ Karlsruhe – Leibniz-In-stitut für Informationsinfrastruktur zur Entwicklung neuer the-matischer Zugänge für das Archivportal-D, das bereits seit 2014

Ein Rückblick auf das Jahr 2018Jahresbericht des Landesarchivs Baden-Württemberg

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Archivnachrichten 58 / 201926 Archiv aktuell

Publikationsübergabe an Sozialminister Manfred Lucha (rechts) im Rahmen der Abschlusstagung. Aufnahme: LABW.

einen deutschlandweiten Zugang zu Archivgut bietet. Der ersteThemenzugang wird exemplarisch für die Weimarer Republikkonzipiert und später für weitere Themen geöffnet.Des Weiteren wurden auf Basis großzügiger Förderungen, u. a.durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Stiftung Kul-turgut Baden-Württemberg und das Bundesministerium für Bil-dung und Forschung, einige Digitalisierungs-, Erschließungs-und Retrokonversionsprojekte gestartet. Nach Abschluss derMaßnahmen können so z. B. württembergische Kabinetts- undMinisterialbestände aus der Abteilung Hauptstaatsarchiv Stutt-gart und die Luftbilder der Befliegungen des Landes Baden-Württemberg aus dem Jahr 1968 online präsentiert werden.Ein großangelegtes Vorhaben ist zudem die vom Bund finan-zierte themenorientierte Erschließung von Quellen zur Prove-nienzforschung in den Staatsarchiven in Freiburg, Ludwigsburgund Sigmaringen. Nachdem bereits 2017 mit der Durchsicht derBestände des Staatsarchivs Ludwigsburg und Recherchen imStaatsarchiv Freiburg begonnen wurde, startete im Juni 2018 dieSichtung einschlägiger Archivbestände im Staatsarchiv Sigma-ringen. Darüber hinaus sind Nachforschungen auch an den an-deren Standorten des Landesarchivs geplant.

ÜberlieferungsbildungAuch 2018 hatte das Landesarchiv zahlreiche bedeutsame Neu-zugänge von Archivgut zu verzeichnen. 1.228 Regalmeter kamenim vergangenen Jahr hinzu. Exemplarisch zu nennen sind hierdie Übergabe der bis ins 19. Jahrhundert zurückreichendenAkten aus der Psychiatrischen Anstalt Winnenden an das Staats-archiv Ludwigsburg, die Aufnahme der Kunstwerke-Datenbankdes Regierungspräsidiums Tübingen im Staatsarchiv Sigmarin-gen oder die Übernahme von nahezu 330 Regalmeter Schriftgut

aus den Registraturen der Ministerien und des Landtags, die nun im Hauptstaatsarchiv Stuttgart verwahrt werden.Damit sind inzwischen 93 Prozent der Magazinflächen desLandesarchivs ausgelastet. Durch Faktoren wie die Notariatsre-form in Baden-Württemberg, aber vor allem durch die geplanteEinführung der E-Akte, an der das Landesarchiv konzeptionellund organisatorisch mitwirkt, wird für die nächsten Jahre ein er-heblicher Mehrbedarf an Flächen und Personal erwartet.

Das Digitale Magazin des Landesarchivs Baden-Württemberg(DIMAG)Mit dem Aufbau einer DIMAG-Supportstelle wurde die Betreu-ung der kommunalen Anwenderinnen und Anwender in Baden-Württemberg entscheidend intensiviert. Im Rahmen verschiede-ner Schulungen und mithilfe der DIMAG-Wissensplattform,eines Newsletters und dem Aufbau eines DIMAG-Forums wer-den den Anwenderinnen und Anwendern nun Informationenzur Verfügung gestellt und Support geleistet.Darüber hinaus erweiterte sich der DIMAG-Anwenderkreis2018 erheblich auf 60 Archive. Zudem entschlossen sich die viergroßen kirchlichen Archive des Landes zur Nutzung des digita-len Archivs für die Langzeitspeicherung von Daten. Danebenläuft bereits seit einem Jahr ein zweijähriges Projekt der Univer-sitäten zum Einstieg in die digitale Archivierung mit DIMAG.Außerdem wurde nun auch die Internationalisierung des Ange-bots vorbereitet – für 2019 ist eine Partnerschaft mit Österreichund der Schweiz geplant.

Erschließung und DigitalisierungUm die Erschließung im Landesarchiv stetig zu verbessern, wirdderzeit eine neue Erschließungsstrategie für das LandesarchivBaden-Württemberg entwickelt. Zu diesem Zweck fanden imvergangenen Jahr zwei Workshops statt, in denen strategischeWeichenstellungen und konkrete Maßnahmen für die nächstenJahre diskutiert wurden.Um Erschließungsinformationen leichter recherchierbar zumachen, kommen auch im Landesarchiv Baden-Württembergseit einigen Jahren sogenannte Normdaten zum Einsatz, alsoIdentifikationsnummern, die z. B. die eindeutige Zuordnung vonPersonen oder Orten ermöglichen. Um diese notwendige Stan-dardisierung übergreifend für alle Kultursparten in Deutschlandvoranzutreiben, beteiligt sich das Landesarchiv am Kooperati-onsprojekt GND4C – GND für Kulturdaten. Ziel des Vorhabensist die Öffnung der sogenannten Gemeinsamen Normdatei(GND) für nicht-bibliothekarische Einrichtungen wie Museen,Denkmalbehörden, wissenschaftliche Institutionen, Mediathe-ken und Archive.

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Archivnachrichten 58 / 2019 27Archiv aktuell

Digitalisierung von Archivgut wurde 2018 nicht nur im Rahmenvon Drittmittelprojekten vorangetrieben, sondern auch durchzahlreiche weitere Digitalisierungsmaßnahmen. Exemplarischsollen an dieser Stelle folgende nun fertig digitalisierten Be-stände genannt werden: die Kriegsstammrollen des Landwehr-Infanterie-Regiments Nr. 124 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart), dieBeständegruppe 52 Politische Nachlässe (GenerallandesarchivKarlsruhe) und die Amtsbücher der Klosterherrschaft Ober-marchtal aus dem 17. und 18. Jahrhundert (Staatsarchiv Sigma-ringen).

Bereitstellung für die Nutzung und Online-AngeboteErgänzend zum klassischen Besuch im Lesesaal gewann die On-line-Nutzung von Archivgut 2018 weiter an Bedeutung. Diemittlerweile über 11 Millionen Digitalisate von Archivgut, diedas Landesarchiv online präsentiert, werden rege genutzt. Fast 73Millionen Zugriffe auf das Online-Angebot konnte das Landes-archiv im Berichtsjahr verzeichnen. Davon entfielen knapp 64Millionen Zugriffe auf Findmittelseiten.Kontinuierlich erweitert das Landesarchiv Baden-Württem-berg sein Serviceangebot im Internet. So wurde das Online-Findmittelsystem im vergangenen Jahr für mobile Endgeräte op-timiert und eine neue Präsentation für Findmittel mit Digitalisa-ten entwickelt.

Neue mobile Version des Online-Findmittelsystems. Vorlage: LABW.

Darüber hinaus war das Landesarchiv als Piloteinrichtung undPartner des Innen- und Finanzministeriums an der Einführungeiner landesweiten Online-Bezahlplattform beteiligt. 2018 wurdediese im Staatsarchiv Freiburg erprobt. Ab 2019 wird sie dann inallen Standorten des Landesarchivs eingesetzt.Weiterhin wurde der Aufbau eines Online-Bestell- und Liefer-systems für Digitalisate mit Digitization on Demand vorbereitet,

GND4C-Logo.

für das ein erster Probebetrieb in den kommenden Monaten imStaatsarchiv Ludwigsburg geplant ist.Um die Chancen des digitalen Zeitalters aktiv zu nutzen, be-schäftigt sich das Landesarchiv seit 2018 verstärkt mit der digita-len Transformation und hat begonnen, eine digitale Strategie zuerarbeiten. Darüber hinaus ist eine Beteiligung am Aufbau einernationalen Forschungsinfrastruktur (NFDI-Prozess) geplant.

Das Landeskundeportal LEO-BWGleich zu Beginn des Jahres konnte mit dem Abschluss des Pro-jekts Südwestdeutsche Archivalienkunde das zweite Themenmo-dul im vom Landesarchiv betriebenen Landeskundeportal LEO-BW etabliert werden. Die neue Präsentationsform wurde vonden Nutzerinnen und Nutzern des Online-Angebots gut ange-nommen, sodass zeitnah mit dem Aufbau eines weiteren The-menmoduls zur Alltagskultur begonnen wurde. Damit ist auchdie Erneuerung der Dateningest-Architektur des Portals verbun-den.

Veranstaltung zur Freischaltung des Themenportals „Südwestdeutsche Archiva-lienkunde“. Aufnahme: LABW.

In Vorbereitung sind seit letztem Jahr zusätzliche, größere Wei-terentwicklungen: Mit dem Projekt Mein LEO-BW sind zukünf-tig alle Nutzerinnen und Nutzer eingeladen, interaktiv am Portalmitzuarbeiten und ihre eigenen Kommentare beizusteuern. EineApp wird darüber hinaus die Möglichkeit bieten, selbst Inhaltehochzuladen.Zudem konnte LEO-BW im vergangenen Jahr mit mehr als 1,1Millionen Nutzerinnen und Nutzern einen neuen Rekord auf-stellen.

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Archivnachrichten 58 / 201928 Archiv aktuell

BestandserhaltungZu Beginn des Jahres wurde im Landesarchiv die intern entwik-kelte webbasierte digitale Restaurierungsdokumentation in Be-trieb genommen, die seit ihrer Einführung schon intensiv ge-nutzt wird. Die gut besuchte Jahresfortbildung des Instituts fürErhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut (IfE) im Rahmen desLandesrestaurierungsprogramms beschäftigte sich diesmal mitdem Thema Einsatz von Klebstoffen bei Restaurierungsmaßnah-men. Ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt in der Bestandserhal-tung ist die Sicherungsverfilmung. Hier konnten insgesamt rund220 laufende Meter Archivgut auf Mikrofilme langzeitgesichertwerden, die dann im Zentralen Bergungsort der BundesrepublikDeutschland (Barbarastollen) in Oberried eingelagert werden.

Kommunikation und BildungDas Landesarchiv Baden-Württemberg widmet sich seit letztemJahr verstärkt der Öffentlichkeitsarbeit. Hierfür wurden beimPräsidenten eine eigene Stelle für Kommunikation, Presse undMarketing geschaffen und eine neue Arbeitsgruppe Kommunika-tion und Bildung ins Leben gerufen, die 2019 das erste Mal tagenwird. Der Arbeitskreis möchte zur Ausweitung der kommunika-tiven Maßnahmen des Landesarchivs beitragen und neue For-men der Öffentlichkeitsarbeit, Ausstellungsgestaltung und Ver-mittlung entwickeln.Um vermehrt über aktuelle Neuigkeiten zu informieren, wur-den gleich im Frühjahr ein Twitter- und ein Instagram-Kanal insLeben gerufen. Darüber hinaus begannen die Vorarbeiten füreinen Webseiten-Relaunch, der 2019 umgesetzt werden soll.Basis dafür wird ein neues Corporate Design sein, welches eben-falls seit 2018 vorbereitet und entwickelt wird.

Filmdreh zum Thema Heimerziehung. Aufnahme: LABW.

Zum 19. Mal fand zudem die Karlsruher Tagung für Archivpäd-agogik zum Thema 1918 – Demokratischer Aufbruch? Die Wei-marer Republik in Archiv und Schule statt. Im Rahmen der Veran-staltung wurden Quellen zur Orts- und Regionalgeschichte prä-sentiert und pädagogische Konzepte und Ideen zur historischenBildung diskutiert. Ziel war es, Impulse für eine Spurensucheund Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit derersten deutschen Demokratie zu geben.

Das Landesarchiv als Arbeitgeber und AusbildungsstätteDas Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nahm 2018einen großen Stellenwert ein. So wurde damit begonnen, dieDienstvereinbarungen für Telearbeit und betriebliche Eingliede-rungsmaßnahmen zu optimieren und ein Pilotprojekt zur Reser-vierung von Kita-Plätzen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiteram Standort Stuttgart gestartet. Im Rahmen einer Klausurta-gung der Führungskräfte im Herbst 2018 wurde erörtert, wieman die vorhandenen Arbeitsmodelle, insbesondere das Arbeits-zeitmodell, flexibilisieren kann.Die bedarfsgerechte Ausbildung in allen Laufbahnen des Ar-chivdienstes wurde ebenfalls erfolgreich fortgesetzt. Acht Absol-ventinnen und Absolventen des gehobenen Dienstes haben ihreAusbildung am 25. September 2018 erfolgreich beendet. Im hö-heren Dienst haben ebenfalls acht Absolventinnen und Absol-venten des 51. Lehrgangs die Ausbildung am 30. April 2018 er-folgreich beendet. Zum 1. Mai 2018 hat der 53. wissenschaftlicheLehrgang mit acht Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Refe-rendariat im Landesarchiv Baden-Württemberg angetreten.

Dank des Präsidenten Prof. Dr. Gerald MaierAllen Partnern des Landesarchivs aus Verwaltung, Justiz, Kulturund Wissenschaft sei an dieser Stelle für die erfolgreiche und angenehme Zusammenarbeit im vergangenen Jahr gedankt.Ein großer Dank gebührt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und KunstBaden-Württemberg, die sich für das Landesarchiv einsetzen.Herzlich gedankt sei aber besonders allen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern des Landesarchivs für ihre hervorragende Arbeitund den engagierten Einsatz!

Prof. Dr. Gerald Maier. Aufnahme: LABW, HStAS,

Marcella Müller.

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Archivnachrichten 58 / 2019 29Archiv aktuell

Das Landesarchiv in Zahlen

Das Wesentliche auf einen Blick (Stand zum 31.12.2018)Gesamtumfang des Archivguts (in Metern) 156.066Urkunden (Stück) 316.094Karten, Pläne (Stück) 361.968Bilder (Stück) 2.056.964Digitales und digitalisiertes Archivgut (in Terabyte) 45,79Auslastung der Magazine (in %) 93,1%Zu betreuende Registraturen 2.742Erschlossenes Archivgut (Anteil des Gesamtumfangs) 88,5%In Online-Findmitteln nachgewiesenes Archivgut (Anteil des Gesamtumfangs) 59,1%Digitalisate von Archivgut im Internet 11.190.596Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 304

Unsere Leistungen im Jahr 2018Nutzungen (Nutzertage) 9.988Vorgelegte Archivalien 77.384Abgegebene Reproduktionen 352.954Schriftliche Auskunfte 11.117Online-Zugriffe auf Informationsangebote (in Mio.) 72,7davon Zugriffe auf Findmittelseiten (in Mio.) 63,9Neu hinzugekommenes Archivgut (in Metern) 1.228Fachgerecht verpackte Archivalien (in Metern) 2.461Erschlossenes Archivgut (in Metern) 3.390Restauriertes Archivgut (Anzahl Archivalieneinheiten) 3.211Verfilmtes Archivgut (in Metern) 219,4Ausstellungen und Präsentationen 19Besucherinnen und Besucher bei Ausstellungen und Präsentationen 51.758Fuhrungen 678Gefuhrte Personen 18.650davon Schulerinnen und Schuler 3.132

GrundbuchzentralarchivGesamtumfang der Unterlagen zum 31.12.2018 (in Metern) 161.790Neu hinzugekommene Unterlagen im Jahr 2018 (in Metern) 5.597,0Fachgerecht verpackte Unterlagen (Anteil des Gesamtumfangs) 88,6%Erfasste Unterlagen (Umfang in Metern) 150.266Erfasste Unterlagen (Anteil des Gesamtbestands) 92%Anzahl der bereitgestellten Einheiten fur die amtliche Nutzung 214.314

Statistik

Kreisarchivarin Claudia Wieland beim Gesprächmit den Bürgermeistern der beteiligten Kommunen(von links nach rechts Thomas Schreglmann, HeinzHofmann, Wolfgang Stein, Ottmar Dürr, JoachimDöffinger) anlässlich der Einweihung der Magazin-erweiterung in Wertheim. Aufnahme: Gerd Brander.

Die Praline zum 150-jährigen Jubiläum des Staats-archivs Ludwigsburg mit dem Abbild von Eduardvon Seckendorff. Aufnahme: Inga Häussermann.

Landtagspräsidentin Muhterem Aras und Dr. PeterExner, der Kurator der Ausstellung „Demokratiewagen?“. Aufnahme: LABW.

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Die Präsidentin des Landtags von Baden-Württem-berg, Muhterem Aras MdL, spricht bei der Eröff-nung der Ausstellung „Demokratie wagen? Baden1818–1919“. Aufnahme: LABW.

Prominente Gäste bei der AusstellungDemokratie wagen? im Generallandes-archiv KarlsruheMit der Ausstellung Demokratie wagen?Baden 1818–1919 konnte sich das Gene-rallandesarchiv Karlsruhe 2018, im Jahrder Jubiläen der Badischen Verfassungund der Revolution 1918 in Baden, er-folgreich als Ort der historisch-politi-schen Bildungsarbeit weiter profilieren.Die Ausstellung wurde insbesonderedurch die Besuche der Präsidentin desLandtages von Baden-Württemberg,Muhterem Aras, bei ihrer Eröffnungsowie des Präsidenten des DeutschenBundestages, Dr. Wolfgang Schäuble, beiihrer Finissage gewürdigt.

Höhepunkte an unserenStandorten

Restauratoren aus dem Nordirak bei einem Work-shop im IfE. Aufnahme: LABW.

Internationale Besuche

Auch in diesem Jahr konnte das Landes-archiv wieder zahlreiche internationaleGäste begrüßen. Besonders weit ange-reist waren eine kurdische Delegationaus dem Nordirak und eine chinesischeExpertengruppe von der renommiertenFudan-Universität in Shanghai, die sichim Institut für Erhaltung von Archiv-und Bibliotheksgut (IfE) in Ludwigsburgüber die neuesten Restaurierungstechni-ken informierten.

Erste Nutzer im Grundbuchzentralarchiv. Auf-nahme: LABW.

Letzte Handgriffe im Grundbuch-zentralarchivDie riesige Menge von 161,91 km anGrundbuchunterlagen aus ganz Baden-Württemberg wurden in den vergange-nen sieben Jahren im Grundbuchzentral-archiv in Kornwestheim erfasst, magazi-niert und nutzbar gemacht. Das sindneben sämtlichen jemals im Land in Pa-pierform entstandenen Grundbüchernund Grundakten auch historische Unter-lagen aus der Zeit vor der Einführungder Grundbuchordnung im Jahre 1900.2018 wurden die Arbeiten abgeschlossen,sodass mittlerweile bereits erste Nutze-rinnen und Nutzer in Empfang genom-men werden konnten.

Bau und Unterhaltung des Schulhauses in Teger-nau, 1765–1863. Vorlage: LABW, StAF B 740/1Nr. 1968.

Umfassender Bestand der südbadischenBezirksämter im Staatsarchiv FreiburgerschlossenEin gewaltiges Erschließungsprojektkonnte im Januar 2018 im StaatsarchivFreiburg abgeschlossen werden: Zusämtlichen Beständen der südbadischenBezirks- bzw. Landratsämter wurden seit2004 insgesamt 44 Online-Findbüchererstellt – jetzt sind diese für die regionaleGeschichtsforschung wichtigen Quellenüber das Netz zugänglich. Die Beständehaben einen Umfang von über 1.500 lau-fenden Metern und wurden im Rahmender Arbeiten auch archivgerecht ver-packt.

Archivnachrichten 58 / 201930 Archiv aktuell

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Andreas Schüle vom Ministerium für Wissenschaft,Forschung und Kunst Baden-Württemberg bei derAusstellungseröffnung. Aufnahme: LABW.

Ausstellung zu Herzog Wilhelm vonUrach – eine der faszinierendsten Per-sönlichkeiten der württembergischenGeschichte – im HauptstaatsarchivStuttgartDas 175-jährige Jubiläum des Württem-bergischen Geschichts- und Altertums-vereins bot den Anlass zur AusstellungRomantiker auf dem Lichtenstein. Lebens-welten Herzog Wilhelms von Urach(1810–1869), die den bislang kaum er-forschten Gründungsvorsitzenden erst-mals ins Blickfeld rückte. Wertvolle Ex-ponate beleuchteten die Person und Fa-milie Wilhelms, zeichneten seine militä-rische Karriere nach und verankertenihn im Hochadel des 19. Jahrhunderts.Besonderes Augenmerk galt seinenkünstlerischen und wissenschaftlichenAktivitäten und dem Bau von SchlossLichtenstein.

Stefan Aust als Festredner bei der Jubiläumsveran-staltung. Aufnahme: Inga Häussermann.

Das Staatsarchiv Ludwigsburg feiert150-jähriges JubiläumDas Staatsarchiv Ludwigsburg feierte2018 sein 150-jähriges Bestehen miteinem Festakt. Die Festrede hielt der frü-here Chefredakteur von Der Spiegel undDie Welt, Stefan Aust, der die Bedeutungdes Staatsarchivs als Ort der Rechercheund Wahrheitsfindung betonte. Einge-rahmt wurde die Veranstaltung von einerJubiläumsausstellung über den Nachlassdes ersten Ludwigsburger Archivdirek-tors Eduard von Seckendorff, realisiertvon den Kalligraphen Sigrid Artmann(Ludwigsburg) und Patrick Leung(Hongkong).

Percussion-Künstler Thomas Hupp beim Spiel aufArchivboxen und zweckentfremdeten Ordnern beider Magazineinweihung. Aufnahme: Gerd Brander.

Trilogie im Staatsarchiv Wertheim: 40 Jahre Staatsarchiv Wertheim – 30 Jahre Archivverbund Main-Tauber –Einweihung MagazinerweiterungIm März 2018 war die Freude in Wert-heim groß, bestand doch ein dreifacherAnlass zum Feiern: das StaatsarchivWertheim feierte sein 40-jähriges Beste-hen, der Archivverbund Main-Tauberseine Gründung vor 30 Jahren und dielange benötigte Magazinerweiterungkonnte ihrer Bestimmung übergebenwerden. Für den Festakt kamen die amArchivverbund beteiligten Partner, poli-tische Entscheidungsträger sowie frühereWeggefährten zusammen.

Die Waldschützin Dietmann, Neufra, Juli 1975.Vorlage: LABW, StAS Dep. 44 T 3 Nr. 659.

Fotografien von Botho Walldorf zumAlltag auf der Alb im Staatsarchiv Sig-maringenBemerkenswerte Fotografien zum Alltagauf der Schwäbischen Alb in den 1960erund 1970er Jahren waren ab Juli 2018 ineiner Ausstellung im Staatsarchiv Sigma-ringen zu sehen. Im Laufe von 45 Jahrenhat der Hobbyfotograf Botho Walldorfin Zehntausenden von Aufnahmen dieEntwicklung des Eisenbahnwesens unddie Alltagsgeschichte im Raum Gammer-tingen festgehalten und damit eine visu-elle Dokumentation geschaffen, die imsüddeutschen Raum ihresgleichen sucht.Es ist ein Glücksfall, dass Botho Wall-dorf seine Fotografien sowie weitereschriftliche und audiovisuelle Samm-lungsunterlagen seit 1987 im Staatsar-chiv hinterlegt hat. Die Ausstellung, vonMaster-Studierenden des Instituts fürMedienwissenschaft der Universität Tü-bingen konzipiert, zeigte eine kleine re-präsentative Auswahl seiner Bilder.

Archivnachrichten 58 / 2019 31Archiv aktuell

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Archivnachrichten 58 / 201932 Archiv aktuell

Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Publikationsverzeichnis

Veranstaltungen und Ausstellungen (in Auswahl)– Einweihung des neuen Magazins des Staatsarchivs Wertheim(21. März 2018).– Demokratie wagen? Baden 1818–1919, GenerallandesarchivKarlsruhe, Regierungspräsidium Freiburg und Museum im Ritterhaus Offenburg (ab 10. April 2018).– Sigrid Artmann | Patrick Leung – Erinnerungen werdenRaum, Staatsarchiv Ludwigsburg (16. Mai bis 6. November2018).- Christian Großbayer 1718–1782 Baumeister aus Haigerloch,Kunstmuseum Schüz Haigerloch (17. Mai bis 15. Juli 2018).– Alltag auf der Alb. Fotografien von Botho Walldorf, Staats-archiv Sigmaringen (26. Juli bis 5. Oktober 2018).– Romantiker auf dem Lichtenstein. Lebenswelten Herzog Wilhelms von Urach (1810–1869), Hauptstaatsarchiv Stuttgart(8. Juni bis 12. Oktober 2018).– Abschlusstagung des Projekts Heimerziehung in Baden-Würt-temberg 1949–75 (17. Oktober 2018).– Festakt zum 150. Jubiläum des Staatsarchivs Ludwigsburg(6. November 2018).– mit brieff und sigel. Formen der Schriftlichkeit im Mittelalter,Generallandesarchiv Karlsruhe (14. November 2018 bis 1. März2019).– Olympische Spiele: Architektur und Gestaltung. Berlin –München – Stuttgart, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (15. Novem-ber 2018 bis 30. März 2019).– Ein Leben für Recht und Republik. Ludwig Marum 1882–1934, Gedenkstätte Deutscher Widerstand (15. November 2018bis 10. Januar 2019).– Menschen im Krieg 1914–1918 am Oberrhein / Vivre entemps de guerre des deux côtés du Rhin 1914–1918, InstitutFrançais Algier, Algerien (18. November bis 20. Dezember 2018)und Vertretung des Landes Baden-Württemberg bei der EU inBrüssel (7. bis 30. November 2018).– Fließende Räume. Karten des Donauraums 1650–1800, Eger,Budapest, Pecs und Györ, Ungarn (ab 6. April 2018).– Der Wunschlose. Prinz Max von Baden und seine Welt, Ver-tretung des Landes Baden-Württemberg in Berlin (25. April bis9. Mai 2018)

Publikationen des Landesarchivs– Archive heute – Vergangenheit für die Zukunft. Archivgut – Kulturerbe – Wissenschaft.– Demokratie wagen? Baden 1818–1919. Katalog zur Ausstel-lung.– Romantiker auf dem Lichtenstein. Lebenswelten Herzog Wilhelms von Urach (1810–1869). Begleitbuch zur Ausstellung.

– Archivnutzer im Wandel. Vorträge des 77. Südwestdeutschen Archivtags am 22. und 23. Juni 2017 in Bretten.– Die Ehrenmitglieder der Staatstheater Stuttgart 1912–2018.Theatergeschichte in Porträts.– Alltag auf der Alb. Fotografien von Botho Walldorf. Katalogzur Ausstellung im Staatsarchiv Sigmaringen und Schönbuch-museum Dettenhausen.– Evaluierung von Bewertungsdokumenten. Beiträge zur archivischen Überlieferungsbildung.– Aufarbeiten im Archiv. Beiträge zur Heimerziehung in derbaden-württembergischen Nachkriegszeit.– Olympische Spiele: Architektur und Gestaltung. Berlin – München – Stuttgart. Begleitbuch zur Ausstellung.– Deutsch-französische Besatzungsbeziehungen im 20. Jahr-hundert.Archivnachrichten– Nr. 56: Von der Monarchie zur Republik.– Nr. 57: 1618–1648: Krieg. Leid. Verwüstung.

Laufende Drittmittelprojekte im Jahr 2018(siehe https://www.landesarchiv-bw.de/web/49153)– Aufbau eines Themenmoduls Alltagskultur in Verbindung mit der Erneuerung der Dateningest-Architektur für das landes-kundliche Portal LEO-BW (Förderlinie digital@bw des Landes/MWK)– Digitalisierung von Ministerialbeständen aus der AbteilungHauptstaatsarchiv Stuttgart (DFG)– Themenorientierte Erschließung von Quellen zur Provenienz-forschung im Staatsarchiv Freiburg, Staatsarchiv Ludwigsburgund Staatsarchiv Sigmaringen (Deutsches Zentrum für Kultur-gutverluste)– Aufbau einer Infrastruktur zur Implementierung sachthema-tischer Zugänge im Archivportal-D am Beispiel des Themen-komplexes Weimarer Republik (DFG)– GND4C – GND für Kulturdaten (DFG)– Digitalisierung und Georeferenzierung der 1968 durchgeführ-ten Luftbildbefliegung des Landes Baden-Württemberg (zusam-men mit LGL, Förderung: BMBF)– Mitmach-Projekt zur Verortung historischer Karten und Luft-bilder (ohne Drittmittelförderung)– Entsäuerung und Verpackung gefährdeter Archivbestände zurGeschichte Badens im 19. und 20. Jahrhundert (BKM-Sonder-programm 2018)– Drei Projekte Retrokonversion von Findmitteln des Landes-archivs Baden–Württemberg (DFG)– Heimerziehung 1949–1975 (Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg)– Digitalisierung und Online-Stellung von Überlieferungen derSüdbadischen Landeskommissäre im Staatsarchiv Freiburg (Stiftung Kulturgut BW)– Erschließung des Familienarchivs Westphal als Teil des Ober-rheinischen Adelsarchivs im Staatsarchiv Freiburg (Stiftung Kulturgut BW)

Nadine Seidu

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Archivnachrichten 58 / 2019 33

Die Abschlussveranstaltung des ProjektsHeimerziehung in Baden-Württemberg1949–1975 am 17. Oktober 2018 war imbesten archivarischen Sinne janusköpfig:Rückblickend konnten die bisherigen Er-gebnisse des bereits 2012 begonnenenProjekts diskutiert werden. Zugleichwurde bereits das Nachfolgeprojekt an-gekündigt.Sechseinhalb Jahre lang hat das Pro-jektteam des Landesarchivs Baden-Württemberg ehemalige Heimkinder aufder Suche nach Dokumenten unter-stützt. Die dabei gewonnenen Erkennt-nisse wurden nun, systematisch darge-stellt und wissenschaftlich ausgewertet,in einer Abschlusspublikation zusam-mengefasst und auf der Veranstaltungvorgestellt. Auch die bereits früher veröf-fentlichte Heimliste und das Inventareinschlägiger Bestände im Landesarchivzählen zu den präsentierten Ergebnissen.Manne Lucha, Minister für Soziales undIntegration Baden-Württemberg, ent-schuldigte sich auf der Veranstaltung imNamen der Landesregierung bei denehemaligen Heimkindern. Beendet istauch die Arbeit der Anlauf- und Bera-

tungsstelle, mit der das Landesarchiv engzusammengearbeitet hat.Nicht beendet sind hingegen die Wan-derausstellung und ebenso die Recherchefür ehemalige Heimkinder. Denn dasProjekt Heimerziehung geht in einezweite Runde: Gefördert von der Baden-Württemberg-Stiftung wird ab diesemJahr weiter geforscht und recherchiertund zwar für Menschen, die zwischen1949 und 1975 in Heimen der Behinder-tenhilfe oder Psychiatrien untergebrachtwaren. Sie haben ganz ähnliche Erfah-rungen gemacht wie diejenigen ehemali-gen Heimkinder, die den Fonds Heimer-ziehung erkämpft haben. Dennoch können sie erst jetzt Anträge auf Aner-kennung und finanzielle Ausgleichszah-lungen stellen. Nun beginnen beim Lan-desarchiv die Recherchen nach Unterla-gen für diesen Personenkreis, um auchfür diese Menschen erfolgreich Doku-mente zu ermitteln. Die in den letztenJahren gewonnenen Erfahrungen werdendabei sehr weiterhelfen:Der Kontakt zu den Mitarbeiterinnendes Landesarchivs gehörte zu den positiv-sten Erfahrungen, die ich in vielen Jahren

machen durfte. […] Es hat keine drei Wo-chen gedauert, bis ich eine weitere Nach-richt bekommen habe, dass Teile der FEH-Akte (Freiwillige Erziehungshilfe) ineinem Kreisarchiv gefunden wordenwaren. Es hat dann zwar noch zwei wei-tere quälende Wochen gedauert […]. Aberdie Akte war existent. Meine Erinnerun-gen hatten eine reale Basis.Der Aufarbeitungsprozess ist tatsäch-lich in vielerlei Hinsicht nicht beendet,wie wir in zahlreichen Gesprächen mitehemaligen Heimkindern erfahren. Undso bewegt sich das kommende Projektweiter zwischen zwei Polen der Aufarbei-tung: Das ist zum einen die wissen-schaftliche, historische Aufarbeitung inForm von Ausstellungen, Tagungen undPublikationen und zum anderen die in-dividuelle, biografische Aufarbeitung –also die Recherchen für Betroffene. Sieund ihre Bedürfnisse nach Aufarbeitungstehen erneut im Zentrum des Projekts.Die Ergebnisse der Forschung werdenwieder der Öffentlichkeit zugänglich ge-macht.

Nora Wohlfarth

Archiv aktuell

Ein Abschluss… und doch kein Ende

Das Zitat im Text von Andreas Blumestammt aus der Publikation (dort S. 65):Aufarbeiten im Archiv. Beiträge zur Heim-erziehung in der baden-württembergi-schen Nachkriegszeit. Hg. von ChristianKeitel, Nastasja Pilz und Nora Wohlfarth.Stuttgart 2018.

Sozialminister Manne Lucha entschuldigte sich imRahmen der Abschlusstagung bei ehemaligen Heim-kindern.Aufnahme: LABW, Nadine Seidu.

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Archivnachrichten 58 / 201934 Archiv aktuell

„Archiv-to-go”Online-Findmittelsystem des Landesarchivs ist für mobile Endgeräte optimiert

Die Entwicklung verläuft mit rasanterGeschwindigkeit: Internetangebote wer-den immer häufiger mobil genutzt, stattstationärer Geräte kommen Smartpho-nes, Tablets oder ultrakompakte Note-books zum Einsatz. Ob daheim oder un-terwegs, sie sind stets griffbereit und er-möglichen an nahezu jedem Ort einespontane Recherche. Nun stellen abereben diese mobilen Endgeräte mit ihrenklein(er)en Bildschirmgrößen und aufBerührungs- und Gestensteuerung basie-renden Bedienkonzepten deutlich andersgeartete Anforderungen an die Gestal-tung und Nutzbarkeit von Websites undInformationssystemen. Die Suchmaschi-nenanbieter – allen voran Google –haben längst auf das veränderte Medien-nutzungsverhalten reagiert und ihrerseitsdie Devise Mobile First ausgegeben. Dasbedeutet letztlich, mobil optimierte An-gebote werden bevorzugt erfasst undprominenter in den Trefferlisten ange-zeigt. Klar, dass auch das Landesarchivvor dem Hintergrund dieser Entwick-lungen den Handlungsbedarf erkannteund eine Optimierung des hauseigenenOnline-Findmittelsystems für Mobilge-räte in Angriff nahm. Mit der nun fertig-gestellten Mobilversion gehört das Lan-desarchiv Baden-Württemberg zu denersten Archiven in Deutschland, die die-

sen Service hinsichtlich von Rechercheund Bestellung bieten.Was genau zeichnet die Mobilversiondes Online-Findmittelsystems aus? Zu-nächst enthält sie nahezu alle Funktiona-litäten der Desktopversion. Dennoch istsie etwas einfacher aufgebaut und gestal-tet. Die Informationen und Optionenkonzentrieren sich auf das Wesentliche.Deshalb ist sie für Nutzerinnen und Nut-zer ohne archivische Vorkenntnisse viel-leicht sogar leichter zu bedienen und zuverstehen als die herkömmliche Version.Vereinfacht werden auch Bestellungenvon unterwegs. Sogar im Lesesaal kanndiese technische Neuerung eine Erleich-terung bringen. Man kann nun recher-chieren und bestellen, ohne den Arbeits-platz zu verlassen, selbst wenn man keinNotebook dabei hat. Auch wenn der Le-sesaal-PC einmal belegt ist, gibt es eineAusweichmöglichkeit. Ein ganz zentralerVorteil der Mobilversion liegt natürlichdarin, dass die zahlreichen historischenDokumente und Fotos, die das Landes-archiv als Reproduktionen online zurVerfügung stellt, nun ebenfalls bequemvon unterwegs angesehen, gelesen undheruntergeladen werden können. Übri-gens sind auch die Quellensammlungendes Landesarchivs jetzt für Mobilgeräteoptimiert. Da gibt es wichtige und inter-

essante Themen wie z. B. Von der Monar-chie zur Republik 1918–23 oder Heimer-ziehung in Baden-Württemberg.Abschließend sei ergänzt, dass sich dieBereitstellung der Mobilversion des On-line-Findmittelsystems bereits in zählba-ren Erfolgen niedergeschlagen hat. So istnicht nur die Zahl der mobilen Nutzun-gen des Angebots angestiegen, sonderninfolge der erhöhten Attraktivität fürSuchmaschinen finden nun deutlichmehr Nutzerinnen und Nutzer überGoogle & Co. den Weg zu den jeweils re-levanten Informationen im Internetan-gebot des Landesarchivs. Probieren Sie esaus – wir freuen uns auf Ihr Feedback!

Daniel FähleThomas Fricke

Mobilversion des Online-Findmittelsystems desLandesarchivs Baden-Württemberg.Aufnahme: LABW, Zentrale Dienste.

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Archivnachrichten 58 / 2019 35

nen erstellt, welche das bisherige wind-owsbasierte Datenbankprogramm von1997 ersetzt. Nun kann sogar die Kom-munikation mit den Auftraggebern, alsodenjenigen, die dem Institut Objekte ausihrem Bestand zur Restaurierung über-geben, über das Internet abgewickeltwerden. Das Institut erhält nicht nurAufträge von den Archivabteilungen desLandesarchivs, sondern auch von zahl-reichen anderen Institutionen, die demLandesrestaurierungsprogramm ange-schlossen sind, so z. B. von den großenBibliotheken in Baden-Württembergund den Universitätsarchiven.Es besteht die Möglichkeit, im Online-Findmittelsystem direkt beim Objekt zuden Restaurierungsdokumentationen zuverlinken. Die Datenbanken der Restau-rierungsdokumentation und des Online-Findmittelsystems sind über archivischeIdentifikatoren miteinander verbunden.Auf diese Weise ist es den Archivarinnenund Archivaren und den interessiertenNutzerinnen und Nutzern möglich,neben den Bildern der restaurierten Ob-jekte ausführliche Beschreibungen zurMaterialsubstanz, den Herstellungstech-niken sowie angewandter Restaurie-rungsmethoden einzusehen und vomFachwissen des Restaurators zu profitie-ren.Der Restaurator fertigt die Dokumen-tation auf mobilen Detachable PCs di-

Das Landesarchiv Baden-Württembergverfügt nicht nur über mehrere Archiv-abteilungen, sondern auch über einezentrale Restaurierungswerkstatt mitzahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern. Diese Werkstatt bildet einen Teildes Instituts für Erhaltung von Archiv-und Bibliotheksgut in Ludwigsburg. Hierwerden historische Objekte unterschied-lichster Art, z. B. Karten, Bände, Aktenoder Urkunden, und unterschiedlichsterHerkunft mit größter Sorgfalt in arbeits-teiligen Prozessen restauriert. Die histo-rische Substanz der Objekte muss hierbeiso weit wie möglich konserviert und ge-sichert werden, damit die Authentizitätder Objekte erhalten bleibt. Ziel ist es au-ßerdem, die Objekte soweit wiederher-zustellen, dass sie benutzt oder auch di-gitalisiert werden können.Zur Arbeit des Restaurators gehört abernicht nur die praktische handwerklicheTätigkeit, sondern auch das genaue Do-kumentieren der an den Objekten vorge-nommenen Änderungen bzw. der Zu-stände der Objekte vor und nach der Re-staurierung in Wort und Bild. So ist spä-ter noch rekonstruierbar, was ergänztwurde und welche Teile original sind.Um diese Dokumentation und die Ar-beitsorganisation im Institut zu erleich-tern, wurde vom Landesarchiv in Eigen-leistung eine ganz neue webbasierte Soft-ware mit vielen komfortablen Funktio-

rekt am Arbeitsplatz in der Werkstatt an,wodurch sämtliche Informationen überdie Objekte und die Restaurierung vorOrt in die Dokumentation einfließen.Während Vor- und Nachzustandsfotosstandardmäßig im hauseigenen Fotostu-dio aufgenommen werden, kann der Re-staurator diese durch weitere Bilder undSkizzen ergänzen, die direkt während derRestaurierung unter Verwendung desmobilen PCs entstehen.Sämtliche Arbeitsprozesse von der An-meldung zu restaurierender Objekte biszu deren Rücklieferung werden von derSoftware unterstützt. So werden unteranderem Transportscheine generiertoder die beteiligten Institutionen vordem Versand von Objekten durch auto-matisch verschickte E-Mails informiert.Ob ein Objekt beispielsweise aktuell inBearbeitung ist und wo und bei welchemBearbeiter es sich befindet, ist nun fürdie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter je-derzeit und überall bequem einsehbar,wodurch die Arbeitsorganisation im In-stitut erleichtert wird.

Thomas FrickeSvenja Heidenreich

Archiv aktuell

Hinter den KulissenRestaurierung im Landesarchiv mit neuem Software-Equipment

Internetanwendung auf mobilem Gerät. Auf demBildschirm: Angaben zu Objektidentifikation, Her-kunft, Bearbeitungsvorgaben und Dokumentations-fotos. Aufnahme: LABW, IfE.

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Prof. Hansmartin Schwarzmaier und BernhardPrinz von Baden bei der Vorstellung der Testamentevon Konradin von Hohenstaufen und Friedrich vonBaden-Österreich vom 29. Oktober 1268.Aufnahme: LABW, HStAS.

Literaturhinweis:Hansmartin Schwarzmaier: Realität undMythos. Ein rätselhaftes Dokument ausden letzten Stunden König Konradins undseines Freundes Friedrich von Baden-Österreich. In: Zeitschrift für Württember-gische Landesgeschichte 77 (2018), S. 63–84.

Archivnachrichten 58 / 201936 Archiv aktuell

Vor 750 Jahren – Das Ende der StauferBernhard Prinz von Baden im Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Konradin von Staufen (1252–1268),Enkel Kaiser Friedrichs II. und SohnKonrads IV., zog im September 1267 mitzahlreichen Verbündeten über die Alpen,um seine Herrschaftsansprüche aus demväterlichen Erbe in Nord- und Süditaliengeltend zu machen. Auf der Palatini-schen Ebene unweit von Tagliacozzokam es am 23. August 1268 zur Entschei-dungsschlacht mit dem Heer von Karlvon Anjou, dem Bruder des französi-schen Königs, der als Parteigänger desPapstes von diesem mit dem KönigreichSizilien belehnt worden war und diestaufische Macht ein für alle Mal been-den wollte. Die militärische Auseinan-dersetzung endete mit der NiederlageKonradins. Zwar gelang ihm zusammenmit einigen Getreuen zunächst dieFlucht, doch fielen sie alsbald Karl vonAnjou in die Hände, der sie in Neapelfestsetzte. In einem Hochverratsprozess,dessen Ausgang von vornherein fest-stand, erging das Todesurteil.Am 29. Oktober 1268 wurde Konradinvon Hohenstaufen auf dem Marktplatzvon Neapel hingerichtet; mit ihm seinFreund Friedrich von Baden-Österreichund weitere Ritter schwäbischer Her-kunft. Dieses gewaltsame Ende des letz-ten Staufers bedeutete gleichzeitig dasEnde der Stauferherrschaft im Reich.Angeregt von der Neuentdeckungzweier Testamente, die Konradin undFriedrich am Tag ihrer Hinrichtung hin-terlassen haben, besuchte BernhardPrinz von Baden im September 2018 dasHauptstaatsarchiv Stuttgart, um dieseWillensbekundungen im Original zusehen. Dazu fand sich eine kleine Exper-tenrunde aus Vertretern der benachbar-

ten Universitäten und Archive ein, umdie Urkunden zu präsentieren. ProfessorHansmartin Schwarzmaier stellte dabeiseine aktuellen Forschungsergebnisse zuden beiden unscheinbaren Testamentenvor, die anschließend im Kontext ihrerluziden Entstehung und Überlieferungdiskutiert wurden. Gleichzeitig wurdedamit an den markanten Einschnitt inder deutschen Geschichte erinnert, dermit dem Tod Konradins und dem Endeder Staufer einherging.Erstaunlicherweise hat sich die Erinne-rung an das Todesjahr Konradins ausAnlass seiner 750. Wiederkehr in derdeutschen Öffentlichkeit kaum bemerk-bar gemacht: Weder wissenschaftlicheTagungen noch Ausstellungen oder Prä-sentationen thematisierten 2018 dasEnde der staufischen Herrschaft, waseinen deutlichen Kontrast zur Erinne-rungskultur des 19. und frühen 20. Jahr-hunderts erkennen lässt. Angeregt durchBernhard Prinz von Baden fand aller-dings am 29. Oktober 2018, dem Todes-tag, eine Tagung an der Universität Nea-pel statt, die sich mit Konradin von Ho-henstaufen und seinem historischenUmfeld beschäftigte. Italienische unddeutsche Experten stellten dabei den in-ternationalen Forschungsstand zum po-litischen Umfeld, zum Tod und dem an-schließenden Mythos um Konradin vor.Eine zweisprachige italienisch-deutschePublikation der Vorträge ist in Vorberei-tung und wird sicher über den deutschenSüdwesten hinaus großes Interesse fin-den.

Nicole BickhoffPeter Rückert

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Archivnachrichten 58 / 2019 37

Die Auszubildenden haben den dreijäh-rigen Vorbereitungsdienst seit Oktober2015 am Hauptstaatsarchiv Stuttgart, ander Hochschule für öffentliche Verwal-tung und Finanzen Ludwigsburg, an derArchivschule Marburg – Hochschule fürArchivwissenschaft und im Abschlus-spraktikum an einem öffentlichen Archivin Baden-Württemberg absolviert. Siehaben Ende September 2018 die archiva-rische Staatsprüfung nach einem schrift-lichen und einem mündlichen Prüfungs-teil erfolgreich abgelegt. Damit konnteallen acht Absolventinnen und Absolven-ten der Titel Diplom-Archivarin (FH)bzw. Diplom-Archivar (FH) verliehenwerden.Dr. Bickhoff würdigte die beachtlichenLeistungen der Auszubildenden in denvergangenen drei Jahren und dankte den

Ausbildungsstellen für ihre Arbeit. Pro-fessor Dr. Gerald Sander von der Hoch-schule Ludwigsburg schloss sich denGlückwünschen und dem Dank an.Für die berufliche Zukunft sind diefrischgebackenen Archivarinnen und Ar-chivare gut gerüstet. Die Berufsaussich-ten für ausgebildete Archivarinnen undArchivare sind zurzeit sehr gut: Alle Ab-solventinnen und Absolventen konntendirekt im Anschluss an die Ausbildung ineine Beschäftigung wechseln. Sie werdennicht nur das Landesarchiv Baden-Württemberg selbst, sondern vor allemdie baden-württembergischen Kommu-nalarchive personell verstärken und vonihrer breiten Ausbildung im Archiv- undVerwaltungswesen profitieren.

Carmen KschonsekPeter Rückert

Das Landesarchiv Baden-Württembergbildet in regelmäßigem Turnus Archiva-rinnen und Archivare sowohl für den ge-hobenen als auch für den höheren Ar-chivdienst aus. Als zentrales Ausbil-dungsarchiv fungiert das Hauptstaatsar-chiv Stuttgart, das die praktischenAusbildungsteile koordiniert und größ-tenteils durchführt.Ende September 2018 haben die Aus-zubildenden des 54. Lehrgangs die Aus-bildung für den gehobenen Archivdiensterfolgreich beendet. In einer kleinen Fei-erstunde verabschiedete die stellvertre-tende Präsidentin des LandesarchivsBaden-Württemberg und Leiterin desAusbildungsarchivs, Dr. Nicole Bickhoff,die acht Archivinspektoranwärterinnenund -anwärter nach einem sehr erfreuli-chen Abschluss ihrer Ausbildung.

Archiv aktuell

Der 54. Lehrgang des gehobenen Archivdienstesnach dem Abschluss der Staatsprüfung mit Ausbil-dungsbetreuern und Prüfungsausschuss im Haupt-staatsarchiv Stuttgart.Aufnahme: LABW, HStAS.

Erfolgreiche Ausbildung im gehobenen ArchivdienstZum Abschluss des 54. Lehrgangs der Anwärterinnen und Anwärter

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Wikipedia vergleicht, und automatischVorschläge für die thematische Zuord-nung macht. Diese Werkzeuge sollen dasFachpersonal in den Archiven dabei un-terstützen, mehr Archivalien für denneuen thematischen Zugang verfügbarzu machen. Auch Nutzende sollen künf-tig Zugriff auf diese Werkzeuge erhaltenund so an der Verbesserung des Ange-bots mitwirken können.Das Projekt wird von der DeutschenForschungsgemeinschaft (DFG) geför-dert und läuft noch bis zum 31. Mai2020. Projektpartner sind neben demLandesarchiv Baden-Württemberg dasBundesarchiv, die Deutsche Nationalbi-bliothek (für die Projektkoordinationder Deutschen Digitalen Bibliothek)und FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut fürInformationsinfrastruktur.

Nils Meyer

Das Archivportal-D wird in den näch-sten anderthalb Jahren um einen neuenThemenzugang erweitert. Bisher könnenNutzende auf www.archivportal-d.deentweder mit der Archivsuche einzelneArchive und ihre Bestände erkundenoder über den Suchschlitz eine Volltext-recherche durchführen. Künftig wirdNutzenden darüber hinaus die Möglich-keit geboten, Quellen zu ausgewähltenThemenbereichen zu recherchieren undnach inhaltlichen Kriterien auszuwählen.Der erste Themenzugang wird die Epo-che der Weimarer Republik in den Fokusnehmen. Als Grundlage dienen das imNovember 2017 abgeschlossene Digitali-sierungsprojekt des Landesarchivs Vonder Monarchie zur Republik sowie dasProjekt Weimar – die erste deutsche De-mokratie des Bundesarchivs. Weitere Be-stände zum Thema Weimarer Republiksollen darüber hinaus nach Projektende

online zur Verfügung gestellt werden –auch andere Archiveinrichtungen sindeingeladen, sich mit ihren Beständen zubeteiligen.Gemeinsam mit Vertreterinnen undVertretern der Wissenschaft und For-schung werden ein Schlagwortkatalogund eine Themengliederung zur Weima-rer Republik erarbeitet, mit denen die Ar-chivalien sortiert und durchsucht werdenkönnen. Mithilfe neu entwickelter Tech-nologien wird die Themengliederung an-schließend in das bestehende Archivpor-tal-D integriert. Später soll der Ansatzauch auf weitere Themenbereiche undhistorische Epochen übertragen werden.Für die Zuordnung der Quellen zurThemengliederung werden neue digitaleWerkzeuge entwickelt, darunter ein Algo-rithmus, der die Erschließungsdaten dereinzelnen Archivalien analysiert, sie mitexternen Datenquellen, wie beispielsweise

Archivportal-D bald mit thematischem Zugang

Archivnachrichten 58 / 201938 Archiv aktuell

Noch im Entwurfsstadium: So könnte der neueThemenbereich „Weimarer Republik“ einmalaussehen.Vorlage: FIZ Karlsruhe - Leibniz-Institut für In-formationsinfrastruktur.

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Archivnachrichten 58 / 2019 39Quellen griffbereit

gerichtlichen Einigung kam. Währendim Fall Goldschmidt der Verbleib seinerenteigneten Bilder geklärt werdenkonnte, gelang dies anderen Geschädig-ten oder ihren Erben nicht immer. Dieim Projekt ermittelten neuen Hinweiseauf in der NS-Zeit widerrechtlich entzo-gene Kunstobjekte können deshalb An-knüpfungspunkte für eine zukünftigeRestitution liefern.

Marius Golgath

Seit der Verabschiedung der Washing-toner Erklärung zur Identifizierung vonRaubkunst im Jahre 1998 hat die Her-kunftsgeschichte von Kulturgütern anBedeutung gewonnen. Aus diesemGrund wurde im Juni 2018 im Staatsar-chiv Sigmaringen, gefördert mit Mittelndes Deutschen Zentrums für Kulturgut-verluste, mit einem Projekt zur Prove-nienzforschung in Hohenzollern undSüd-Württemberg begonnen. Das Zielist es, Provenienzforschern durch die ge-zielte Sichtung und Nutzbarmachungder einschlägigen Archivbestände dasAuffinden von NS-verfolgungsbedingtentzogenen Kunstobjekten und von Hin-weisen auf deren Verbleib zu ermögli-chen.Ein solcher Fall ist die Enteignungsge-schichte des jüdischen Bankiers JakobGoldschmidt aus Berlin, die sich aus denSigmaringer Akten rekonstruieren lässt.Goldschmidt war Inhaber der Darm-städter und Nationalbank (Danat-Bank),bis diese 1931 als Folge der Weltwirt-schafts- und Bankenkrise mit derDresdner Bank fusionieren musste. Nachder Machtübernahme der Nationalsozia-listen emigrierte er 1934 über dieSchweiz nach New York. Seine inDeutschland verbliebene Kunstsamm-lung wurde 1941 als reichsfeindliches Ei-

gentum durch das Finanzamt Moabiteingezogen und durch das AuktionshausHans W. Lange in Berlin versteigert. Beidieser Versteigerung erwarb die Gräfinvon der Goltz das Gemälde Junges Mäd-chen im Bett sitzend von Henri de Tou-louse-Lautrec und das Aquarell ZweiPflaumen von Édouard Manet.Das Gemälde von Toulouse-Lautrecwar spätestens 1931 in den Besitz vonGoldschmidt gekommen. Nach der Er-steigerung durch die Gräfin von derGoltz für 64.000 RM, wurde es vor 1945an den norwegischen Anwalt Hjort inOslo verkauft, wie im Nachhinein ermit-telt wurde. Die Zwei Pflaumen vonManet, für 10.000 RM ersteigert, bliebenhingegen im Besitz der Gräfin von derGoltz und wurden in den Bomben-schutzraum des Gutshauses Großkreuzbei Berlin verbracht, der 1945 durch diesowjetische Armee beschlagnahmtwurde. Über einen nicht näher genann-ten Weg gelangte das Manet-Aquarell andie Erbin Astrid von der Goltz in Reut-lingen.Jakob Goldschmidt konnte nachKriegsende die Familie von der Goltz alsErsterwerber der beiden Kunstwerkeausfindig machen und forderte dieRückgabe. Aus den Sigmaringer Quellengeht hervor, dass es 1950 zu einer außer-

Toulouse-Lautrec und Manet im Staatsarchiv SigmaringenDer Enteignungsfall Jakob Goldschmidt

Weitere Informationen über das Erschlie-ßungsprojekt von Quellen zur Provenienz-forschung im Staatsarchiv Sigmaringenfinden Sie unter: https://www.landesar-chiv-bw.de/web/63831

1 | Schreiben von Jakob Goldschmidt an die in derZwischenzeit verstorbene Gräfin von der Goltz(Berlin-Wannsee), das an ihre in Reutlingen le-bende Tochter Astrid weitergeleitet wurde. ZurFristwahrung meldete Astrid von der Goltz dieGemälde bei der Restitutionskammer des Landge-richts Tübingen.Vorlage: LABW, StAS Wü 28/3 T 15 Nr. 261.

2 und 3 | Photostatische Kopien aus dem Aukti-onskatalog des Auktionshauses Hans W. Langevon 1941: Aquarell „Zwei Pflaumen“ von Édou-ard Manet und Gemälde „Junges Mädchen imBett sitzend“ von Henri de Toulouse-Lautrec.Vorlage: LABW, StAS Wü 28/3 T 15 Nr. 261.

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Reinhold Schmid (rechts) mit einem der 28 früh-neuzeitlichen Protokollbände, die er im Auftrag derForschergruppe Oberschwaben im Ehrenamt digita-lisiert hat.Aufnahme: LABW, StAS, Rainer Preussner.

Archivnachrichten 58 / 201940

nen von Unterlagen verfügt, stellte sichspontan zur Verfügung. Nach einer aus-führlichen Einweisung in die archivei-gene Scantechnik und in die konservato-rischen Vorgaben waren die 28 volumi-nösen Amtsbücher bereits nach zehnWochen in etwa 60 Ehrenamtsstundenauf fast 10.000 doppelseitige Scans ge-bannt.Unmittelbar nach Abschluss des Pro-jekts wurden die Digitalisate online ge-stellt. Mit den Protokollen aus dem 17.,18. und frühen 19. Jahrhundert stehender Forschung jetzt wichtige Quellendauerhaft zur Verfügung. Davon profi-tieren nicht nur die Mitglieder der For-schergruppe Oberschwaben, sondernauch alle anderen Interessierten – unddas rund um die Uhr, kostenlos undweltweit.

Franz-Josef Ziwes

Quellen griffbereit

Das Stöbern und Recherchieren in jahr-hundertealten Akten, das Entziffern ver-blasster Handschriften, das Aufspürenlängst vergessener Siedlungen und ihrerBewohner kann überaus spannend sein.Manch einer entwickelt daraus eine re-gelrechte Leidenschaft. Nicht nur Histo-riker, sondern auch Familienforscherund Heimatkundler wissen den Wert ge-schichtlicher Unterlagen zu schätzen.Dabei ist das Studium der historischenQuellen oft zeitaufwendig und nichtjeder, der die Archivalien gerne einsehenmöchte, kann die mitunter lange Anfahrtin ein Archiv ermöglichen. Nicht zuletztaus diesen Gründen stellen immer mehrArchive digitale Abbilder ihrer Schätzeins Internet; so auch das LandesarchivBaden-Württemberg, das mit einer lang-fristig angelegten Digitalisierungsstrate-gie inzwischen schon mehr als zehn Mil-lionen Digitalisate veröffentlicht hat.Doch das Scannen ist teuer und erfor-dert umsichtige Vorbereitungen. Längstnicht alle Wunschprojekte, die von

außen an die Staatsarchive herangetra-gen werden, lassen sich mittelfristig um-setzen. Dabei schont das Digitalisierennicht nur den Geldbeutel der Forscher,sondern auch das Archivgut selbst.Das Staatsarchiv Sigmaringen und dieForschergruppe Oberschwaben für Hei-matkunde und Familienforschung habendeshalb aus der Not eine Tugend ge-macht. Weil die Forschergruppe einenihrer Arbeitsschwerpunkte auf die Aus-wertung der in Sigmaringen verwahrtenfrühneuzeitlichen Amtsprotokolle desReichsstifts Obermarchtal gelegt hat,haben die Heimatforscher dem Staatsar-chiv vorgeschlagen, das Einscannen derhistorischen Bände im Ehrenamt zuübernehmen. Zwischen der Anregungdes Projekts und dem Start der Digitali-sierung im Staatsarchiv lagen schließlichnicht einmal zwei Monate. Ein Ehren-amtlicher aus den Reihen der Forscher-gruppe war rasch gefunden. ReinholdSchmid aus Unlingen, der bereits übereinschlägige Erfahrungen mit dem Scan-

Digitalisierung von Protokollen des Reichs-stifts Obermarchtal im Ehrenamt

Im Internetangebot des LandesarchivsBaden-Württemberg findet man die eh-renamtlich digitalisierten Protokolle desReichsstifts Obermarchtal unterhttp://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=6-532439.Projekte, Quellen und Publikationen derForschergruppe Oberschwaben sind zu-gänglich unter http://www.forscher-gruppe-oberschwaben.de.

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Archivnachrichten 58 / 2019 41

Im Jahr 1692 wurden die Herzöge vonBraunschweig-Lüneburg von Kaiser Leo-pold I. zu Kurfürsten von Hannover er-hoben. Mit dieser Standeserhöhung warauch die Verleihung des zeremoniellenAmts eines Erzbannerträgers verbunden.Herzog Eberhard Ludwig von Württem-berg protestierte gegen diese Amtsverlei-hung, da seine Vorfahren bereits seitGraf Ulrich III., seit dem Erwerb derehemaligen Reichsstadt (Mark-)Grönin-gen im Jahr 1336, das Erblehen derReichssturmfahne innehatten. Diesesdurften sie seit der Erhebung Württem-bergs zum Herzogtum auch in ihremWappen führen.Im Zusammenhang mit dem Reichs-sturmfahnenstreit ließ Eberhard Ludwigim Jahr 1693 ein Gutachten anfertigenund drucken, welches auch Darstellun-gen von Graf Ulrich III., Ulrich V. demVielgeliebten und Herzog Eberhard I. imBart als Träger der Reichssturmfahneenthielt. Außerdem wurden Abbildungendes Herzogswappens und weiterer ein-schlägiger Belege des württembergischenReichssturmfahnenlehens angefertigt. Im Bestand A 81 des HauptstaatsarchivsStuttgart, dem altwürttembergischenMembrum Privilegien und Freiheiten,wird ein Teil der Überlieferung zumReichssturmfahnenstreit verwahrt. ImZuge der Neuerschließung des Bestan-des, die im Sommer 2018 erfolgte, fan-den sich neben der Deduktion von 1693überraschenderweise auch die Kupfer-platten, aus denen der Augsburger Kup-ferstecher Andreas Matthäus Wolfgang(1660–1736) die Stiche für das Gutach-ten fertigte.Der Kupferstecher Wolfgang ist eine in-teressante Persönlichkeit: Er hatte zu

dem Zeitpunkt, als er von Württembergden Auftrag erhielt, bereits ein rechtabenteuerliches Leben hinter sich. Mitseinem jüngeren Bruder Johann Georg,ebenso Kupferstecher wie ihr aus Chem-nitz stammender Vater, war er in den1680er-Jahren bei der Rückkehr voneiner Studienreise nach England in alge-rische Sklaverei geraten und kam nurdurch eine Lösegeldzahlung des Vaterswieder in Freiheit.Die Technik des Kupferstichs war zudiesem Zeitpunkt zwar bereits über 250Jahre alt, dennoch kann man derartigeVorlagen innerhalb von Archivgut alsSeltenheit betrachten. Die Anwendungdieses aufwendigen Verfahrens zeugt vonder hohen Symbolkraft der Reichssturm-fahnenangelegenheit für das Haus Würt-temberg und der Entschlossenheit, sei-nen zeremoniellen Status gegenüber demHaus Hannover zu behaupten. Dies gilterst recht im durch Prunk, Repräsentati-onsbedürfnis und Verschwendungssuchtan den europäischen Fürstenhöfen ge-kennzeichneten Zeitalter des Barock. ImJahr 1706 schließlich war dem württem-bergischen Ansinnen Erfolg beschiedenund das Amt des Reichserzbannerträgerswurde fortan nicht mehr an die Kurfür-sten von Hannover vergeben.Das im wahrsten Sinne des Wortesschwergewichtige Archivale – bei weni-ger als zwei lfd. Regalzentimetern wiegtes immerhin stolze fünf Kilogramm –wurde inzwischen digitalisiert und dieDigitalisate der originalen und der ge-spiegelten Kupferplatten sowie der Ab-drucke zusammen mit dem Findmittelins Internet gestellt.

Johannes Renz

Quellen griffbereit

Württembergisches Herzogswappen von 1495 mitder Reichssturmfahne: Kupferplatte und Abdruck.Vorlage: LABW, HStAS A 81 Bü 23.

Ein archivalisches SchwergewichtKupferstichplatten im altwürttembergischen Membrum „Privilegien und Freiheiten“

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Sensationeller Fund im GenerallandesarchivKarlsruhe zur Ermordung von Gustav Landauervor 100 Jahren

Archivnachrichten 58 / 201942 Quellen griffbereit

Der am 7. April 1870 in Karlsruhe gebo-rene Schriftsteller, Anarchist und PazifistGustav Landauer wurde bei der gewalt-samen Niederschlagung der MünchnerRäterepublik durch Regierungstruppenvor 100 Jahren am 2. Mai 1919 im Ge-fängnis Stadelheim brutal umgebracht.Bei der Darstellung der Ermordung Gu-stav Landauers stützte sich die histori-sche Forschung bisher weitgehend aufdamalige Zeitungsberichte, einen BriefErnst Tollers an Maximilian Harden von1920 sowie in erster Linie auf eine Denk-schrift des bayerischen Justizministeri-ums von 1922, deren Inhalt der Publizistund Pazifist Emil Julius Gumbel in seiner1924 herausgegebenen Denkschrift desReichsjustizministers zu »Vier Jahre politi-scher Mord« (S. 91–93) und in der Welt-bühne, Jg. 20, Nr. 7 vom 14. Februar 1924(S. 191–193) mitteilte.Dort wird beschrieben, wie der UlanEugen Digele einen von mehreren Schüs-sen auf den bereits schwer verletztenLandauer abgab und dem Toten dannseine Uhr stahl. Für diese Tat wurde Di-gele am 19. März 1920 vom Gericht desAuflösungsstabes 56 (29. Infanterie-Divi-sion) in Freiburg im Breisgau zu einerGefängnisstrafe von fünf Wochen wegengefährlicher Körperverletzung und Heh-lerei verurteilt, von der Anklage des Tot-schlags jedoch freigesprochen. Die Frei-burger Tageszeitung Volkswacht berich-tete darüber am 22. März und 23. März1920.Bei der Erschließung des BadischenXIV. Armeekorps konnte ManfredHennhöfer nun drei bislang unbekannteStrafakten zu Eugen Digele (geboren am3. März 1893 in Schwäbisch Hall, 1. Es-kadron des 1. Württembergischen Frei-willigen Regiments Abteilung Haas) auf-

finden, in denen minutiös über die Un-tersuchung des Verbrechens, die Rekon-struktion des Tathergangs und die nach-folgende Gerichtsverhandlung berichtetwird. So werden neue Details sichtbar,die der Forschung bisher verborgen ge-blieben waren und das Bild über Lan-dauers Tod substanziell ergänzen.Diese Originalakten wird das General-landesarchiv Karlsruhe erstmals der Öf-fentlichkeit von April bis Mai 2019 prä-sentieren, dort findet auch am 30. April2019 in Kooperation mit dem BadischenStaatstheater eine Lesung aus den Ge-richtsakten statt. Eine Edition der wich-tigsten Schriftstücke wird im Herbst2019 in der Zeitschrift für die Geschichtedes Oberrheins erscheinen.

Rainer BrüningFolgende Strafakten berichten über die Er-mordung von Gustav Landauer:LABW, GLAK 456 F 10, Nr. 2518 ist dieUntersuchungsakte des Generalkomman-dos Oven in München mit umfangreichenZeugenaussagen (6.5.1919–10.2.1920).LABW, GLAK 456 F 10, Nr. 2519 enthältals Beilagen die bei Digele beschlagnahm-ten privaten Schriftstücke (Januar–Juni1919).LABW, GLAK 456 F 10, Nr. 2520 ist dieUntersuchungsakte des Gerichts des Auflö-sungsstabes 56 (29. Infanterie-Division) inFreiburg (6.2.1920–21.2.1921). Sie bein-haltet u. a. das Verhandlungsprotokoll unddas Urteil gegen Digele vom 19. März1920.Das Landesarchiv Baden-Württembergwird der Forschung aufgrund des hohenhistorischen Quellenwerts die AktenLABW, GLAK 456 F 10, Nr. 2518–2520als Digitalisat in seinem Internetangebotzur Verfügung stellen.

1 | Gustav Landauer bei seiner Gefangennahme am1. Mai 1919 auf dem Weg ins Starnberger Gefäng-nis, einen Tag vor seiner Ermordung.Vorlage: Internationales Institut für SozialgeschichteAmsterdam, IISG BG A8/125.

2 | Urteil gegen einen der Mörder Gustav Lan-dauers, den Unteroffizier Eugen Digele, vom19. März 1920.Vorlage: LABW, GLAK 456 F 10, Nr. 2520, Bl. 50r.

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Archivnachrichten 58 / 2019 43

Mit Ausbruch der Revolution wurde dieZensur der Presse im Frühjahr 1848 inden meisten deutschen Einzelstaatenaufgehoben, wie es zuvor mehrfach inder Bevölkerung gefordert worden war.Seit den Karlsbader Beschlüssen 1819hatte die Presse zur Unterdrückung derFreiheits- und Nationalbewegung unterstrenger Kontrolle gestanden. Mit dernun erlangten Pressefreiheit begannneben einer vielfältigen und kritischenpolitischen Diskussion in Wort undSchrift auch eine bis dahin in den deut-schen Einzelstaaten in diesem Maßenicht dagewesene rege Produktion vonKarikaturen.Das Generallandesarchiv Karlsruhekann eine bedeutende Sammlung dieserKarikaturen der Revolutionszeit undauch aus dem Vormärz aufweisen(LABW, GLAK J-S Karikaturen). Sie istnun online recherchierbar und stehtvollständig digitalisiert zur Verfügung.Die Karikaturen stellen Ereignisse derRevolution sowie politische Themen undDiskussionen bildlich dar. Sie spiegelndie Positionen der verschiedenen politi-schen Lager im Frankfurter Paulskir-chenparlament und in der Öffentlichkeitwider. Zum Beispiel finden sich Karika-turen über die Grundrechtsdebatte unddie Judenemanzipation sowie Karikatu-ren der Akteure der Revolution, vorallem Abgeordnete des Parlaments: Gu-

stav Adolf Rösler von Oels (1818–1855)wurde von Alfons von Boddien (1802–1857), ebenfalls ein Abgeordneter, auf-grund seiner oft gelben Kleidung alsReichskanarienvogel karikiert und be-zeichnet, während Alfons von Boddienaufgrund seines Zeichentalents als Natio-nalpinsel dargestellt wurde.Allerdings sind die Karikaturen für denheutigen Betrachter mit Verständnispro-blemen behaftet. Deshalb sind sie engmit der schriftlichen Überlieferung die-ser Zeit verbunden, aus der sich das nö-tige Hintergrundwissen über politischeThemen und Ereignisse ergibt. Bei derErschließung der Sammlung J-S Karika-turen wurden, sofern möglich, Personenidentifiziert und die Karikaturen mitkurzen Erläuterungen und Literaturhin-weisen versehen. Damit vermitteln unsdie Karikaturen die politischen Stim-mungen in den deutschen Einzelstaatenwährend der Revolution 1848/49 sowieInformationen über Art und Strukturder öffentlichen Meinung und Mei-nungsbildung.Mit der Niederschlagung der Revolu-tion endete auch die rege Produktionvon Karikaturen. Am Ende musste derdeutsche Michel, wie es uns eine Karika-tur vor Augen führt, die Pressefreiheitund andere Errungenschaften der Revo-lution doch wieder von sich geben.

Sara Diedrich

Quellen griffbereit

1 | „Wie der deutsche Michel Alles wieder von sichgibt.“ Lithografie von Ernst Schalck 1849. Nach derWahl des preußischen Königs zum deutschen Kaiseram 28. März 1849 wird dem deutschen Michel soübel, dass er die Errungenschaften der Revolutionwieder von sich gibt.Vorlage: LABW, GLAK J-S Karikaturen 96.

2 | O. T., Radierung von Friedrich Pecht 1848. Prä-sident Heinrich von Gagern versucht zwischenRechten und Linken die Balance zu halten. Die Ka-rikatur greift das Lavieren im Parlament zwischenden politischen Lagern auf.Vorlage: LABW, GLAK J-S Karikaturen 248.

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Karikaturen der Revolution 1848/49Bildbestand geht online

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Die digitalisierten Karikaturen finden sichim Online-Angebot des Landesarchivsunter: https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/startbild.php?bestand=14248

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Unterwegs in Sachen fürstlicher Hochzeit

Archivnachrichten 58 / 201944 Kulturgut gesichert

prinz Karl von Hohenzollern-Sigmarin-gen mit Prinzessin Antoinette Murat am3. Februar 1808 im Elyséepalast zu Parisgefeiert wurde. Die Eheverbindung hatteder französische Außenminister Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord bereitsim Mai 1806 angeregt. Da war die Braut,Nichte Joachim Murats, Großherzog vonBerg und später König von Neapel, aller-dings erst knapp 13 Jahre alt. Vor allemdiesem Umstand dürfte es geschuldet ge-wesen sein, dass sich die Hochzeit nochum knapp zwei Jahre verzögerte. DieHochzeitsfeier selbst, aber auch die Aus-arbeitung des Heiratsvertrages bedurfteeiniger Vorbereitung. Die Ratifizierungdes Vertrages erfolgte schließlich am Tagder Hochzeit. Zuvor war die immer nochsehr junge Braut zur kaiserlichen Prin-zessin Frankreichs erhoben worden.Als im Juli 1808 Erbprinz Karl seinejunge Gemahlin in das heimatliche Für-stentum Hohenzollern-Sigmaringenführte, wurden sie von dessen Mutter,Fürstin Amalie Zephyrine von Hohen-zollern-Sigmaringen, begleitet. Und inderen Gefolge befand sich Charles deVoumard. Der im Fürstentum Neuen-burg 1761 geborene Voumard hatte zu-

nächst eine klerikale Laufbahn einge-schlagen, war dann zum französischenMilitär gewechselt, wo er den Rang einesObersts erreichte, bis er schließlich alsErzieher des Erbprinzen Friedrich, desNeffen von Fürstin Amalie Zephyrine, indie Dienste des Hauses Salm-Kyrburgeintrat. Voumard, der später ein Wohn-recht in Amalies Schlößle in Sigmaringenbesaß und vom Fürsten 1818 mit demAdelsprädikat Voumard von Wehrburgbedacht wurde, erwarb 1819 Schloss undHerrschaft Worblingen. Verstorben istVoumard dort im Jahr 1841.Die Bevollmächtigung des OberstsVoumard, die im Fürstlich Hohenzol-lernschen Haus- und Domänenarchivbisher lediglich als Konzept vorhandenwar, blieb wohl im Besitz Voumards undseiner Erben, bis sie das Fürstenhaus2018 als wertvolle Ergänzung seines Ar-chivs kaufte.

Birgit Meyenberg

Für das im Staatsarchiv Sigmaringen alsDepositum verwahrte Fürstlich Hohen-zollernsche Haus- und Domänenarchivhat das Fürstenhaus Hohenzollern eineVollmachtsurkunde aus dem Jahr 1807erworben.Mit dieser Urkunde bevollmächtigteFürst Anton Aloys von Hohenzollern-Sigmaringen am 7. Oktober 1807 Char-les de Voumard, Oberst im Dienst desHauses Salm, in seinem Namen den Hei-ratsvertrag für die Ehe seines SohnesKarl mit Prinzessin Antoinette Murat zuunterzeichnen. Die Echtheit von Unter-schrift und Siegel des Fürsten bestätigtenmit Unterschriften und Siegel die Verant-wortlichen der fürstlichen Regierung zuSigmaringen, die wiederum vom badi-schen Gesandten in Paris, Freiherrn Em-merich Joseph von Dalberg, bestätigtwurden. Die Authentizität von dessenSiegel und Unterschrift beglaubigte derdamalige französische AußenministerJean-Baptiste Nompère de Champagny.Um die Echtheit des Dokumentes auchdem letzten Zweifel zu entziehen, wurdees notariell beglaubigt.Es war dann ein rauschendes Fest, dasim Anschluss an die Trauung von Erb-

Vollmachtsurkunde für Charles de Voumard zurUnterzeichnung des Ehevertrages des ErbprinzenKarl von Hohenzollern-Sigmaringen mit AntoinetteMurat.Vorlage: LABW, StAS FAS HS 1-80 T 7 R 53,67.

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Archivnachrichten 58 / 2019 45Kulturgut gesichert

Das Staatsarchiv Sigmaringen verwahrtim Bestand Dep. 30/11 T 2 die Amts-buchüberlieferung der Ehinger Pflegedes Klosters Salem. Ein beträchtlicherTeil der Amtsbücher präsentiert sich indekorativen Buntpapiereinbänden. Unterder Bezeichnung Buntpapier verstehtman Papier, dessen Oberfläche nach derHerstellung als Rohpapier mit Farbe be-strichen, bedruckt, getränkt oder geprägtwird. Buntpapiere müssen folglich nichtmehrfarbig sein. Historische, von Handgefertigte Buntpapiere faszinieren bisheute nicht nur Wissenschaftler, Künst-ler und Sammler.Seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhun-derts nachweisbar sind die mit Pinseloder Bürste einfarbig gestrichenen Bunt-papiere. Sie ersetzten teures farbiges Per-gament als Bucheinband.Zu den ältesten Buntpapiersorten zäh-len die schlichten gesprenkelten Papiere.Bei der Herstellung dieser preiswertenArt wurden einfarbige Buntpapiere mitFarbsprenkeln gemustert. Sie verschö-nern Einbände seit dem späten 16. Jahr-hundert.Im selben Zeitraum gelangte von Japanüber Persien und die Türkei die Kunstdes Marmorierens nach Europa. Mar-morpapier wurde seiner Herkunft wegenauch als Türkisch Papier bezeichnet. Mitdieser neuen Farbtunktechnik entstan-den farbenfrohe Stein-, Kamm- oderFantasiemarmormuster. MarmoriertePapiere entwickelten sich schnell zumModeartikel und wurden auch zum Aus-kleiden von Schachteln und Möbelnoder als Tapeten verwandt.Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts er-freuten sich Buchumschläge aus Kleister-papieren großer Beliebtheit. Die mitKleisterfarbe grundierten Papierbögenbestachen mit ihren reizvollen Farbeffek-ten und schwungvollen Dekors.Die Übertragung des Textil-Model-drucks auf die Papierveredelung schuf ab

In bunten GewändernAmtsbücher der Salemer Pflege Ehingen

1 | Marmoriertes Papier: Kamm-Marmor, ca. 1730.Flüssige Farben wurden auf dem Marmoriergrundaufgebracht und mit einem Kamm verzogen. Durchdie Ablage eines Papierbogens auf der Farbschichtübertrug sich das Dekor auf das Papier.Vorlage: LABW, StAS Dep. 30/11 T 2 Nr. 471.

2 | Marmoriertes Papier: Steinmarmor, ca. 1788.Vorlage: LABW, StAS Dep. 30/11 T 2 Nr. 418.

3 | Mehrfarbiges Kleisterpapier mit Äderung,ca. 1757. Zwei mit gefärbtem Kleister überzogenePapierbögen wurden zusammengedrückt und wie-der auseinandergezogen.Vorlage: LABW, StAS Dep. 30/11 T 2 Nr. 226.

1690 prunkvolle, üppig ornamentierte,aber eher seltene Bronzefirnis- und Bro-katpapiere. Ihnen folgten Kattunpapiere.Sie wurden zum Teil mit Modeln derKattunfabrikation gedruckt, die aus derMode gekommen oder unbrauchbar ge-worden waren. Ihrer liebenswerten For-menvielfalt verdanken sie die großeNachfrage zwischen 1750 und 1830.Für das Gelingen ästhetisch anspre-chender Buntpapiere waren Fantasie,Sinn für Farbharmonie und eine sichereHand erforderlich. Anfangs fertigtenHandwerker der Papierverarbeitung,aber auch Frauen und Kinder in Heim-arbeit die Schmuckpapiere. Im 18. Jahr-hundert, der Blütezeit der Buntpapiere,etablierte sich infolge des steigenden Be-darfs der Beruf Buntpapierer. Mit der in-dustriellen Fertigung des Buntpapiersnach 1840 wurde ein neues Kapitel auf-geschlagen.Das Landesrestaurierungsprogrammermöglichte 2018 die archivgerechte Ver-packung der Amtsbücher der EhingerPflege des Klosters Salem. Damit stehensie nun geschützt in Archivbehältnissen,ihre bunte Pracht ist dem Betrachteraber zumindest auf den ersten Blick ent-zogen.

Sibylle Brühl

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Archivnachrichten 58 / 201946 Archive geöffnet

einzigen Brunnen des Bluts. Andere Mit-glieder hielten sich mit solchen Lobhude-leien und ideologisch konformen Äuße-rungen eher zurück und ließen sich an-scheinend nur widerwillig vereinnahmen.Bei der Vorbereitung der Ausstellunghaben etwas mehr als zehn Tübinger Stu-denten im Rahmen eines neuen ge-schichtswissenschaftlichen Master-Studi-engangs der Universität Tübingen erst-mals die Möglichkeit, bestimmte Studi-enleistungen durch die Mitarbeit an einersolchen Ausstellung zu erbringen. Dieswird im Wesentlichen durch biografischeSkizzen zu einzelnen Schriftstellern, aberauch durch redaktionelle Mitarbeit ander Begleitpublikation oder konkrete Ge-staltungstätigkeit mit Exponaten erfol-gen. Im Mittelpunkt stehen dabei verglei-chende Untersuchungen: Zum einen dieKonfrontation der schriftstellerischenund sonstigen Verlautbarungen der ein-zelnen Angehörigen des Dichterkreisesvor 1945 mit dem, was sie selbst nachKriegsende in ihren Spruchkammerver-fahren zu ihrer Rechtfertigung vortrugen.Zum anderen verspricht der Vergleich dereinzelnen Schriftsteller und ihres Verhal-tens mit dem ihrer Dichterkollegen inter-essante Einblicke in die mehr oder weni-ger geglückten Versuche, schwäbische Hei-matdichtung in den Dienst der NS-Herr-schaft zu stellen. Weiterhin werden auchdie Lebenswege der Schwäbischen Dichternach Kriegsende betrachtet, wobei indivi-duelle Verstrickungen zum Teil lange undsogar bis in die Gegenwart hinein ausge-blendet wurden.Die mit den Studenten erarbeitete Aus-stellung wird am 4. Juni 2019 mit einemVortrag von Prof. Dr. Stefan Keppler-Ta-saki, Tokyo, Dichter für Heimat undReich: Identitätsvorstellungen im Schwäbi-schen Dichterkreis von 1938 eröffnet.

Stephan Molitor

Der Schwäbische Dichterkreis von 1938 und seine EntnazifizierungEin Ausstellungsprojekt des Staatsarchivs Ludwigsburg mit Studenten des Tübinger Instituts für Geschichtliche Landeskunde

Im Dezember 1938, anlässlich des 50. Ge-burtstags des württembergischen Reichs-statthalters Wilhelm Murr, wurde derSchwäbische Dichterkreis gegründet.Unter den rund zwei Dutzend Mitglie-dern finden sich auch heute noch be-kannte Namen wie August Lämmle, HansHeinrich Ehrler, Ludwig Finckh, AnnaSchieber und Auguste Supper. Zum Leiterdes Zusammenschlusses wurde der Dra-matiker und NS-Kulturfunktionär GeorgSchmückle bestimmt. Die Aufnahme indiesen elitären Zirkel war für einen Teilder Betroffenen offenbar mit der Hoff-nung auf einen kräftigen Karriereschubverbunden. So hat sich etwa AugustLämmle in dankbarer Gesinnung und mittreuesten Wünschenmit einer Huldigungfür Wilhelm Murr revanchiert, in der erden Staat glücklich pries, dem gütige Göt-ter gegeben Führer und Volk aus dem ewig-

AusstellungDer Schwäbische Dichterkreis von 1938und seine Entnazifizierung

Öffnungszeiten5. Juni – August 2019Montag bis Donnerstag 9.00–16.30 UhrFreitag 9.00–15.30 Uhr

Landesarchiv Baden-Württemberg- Staatsarchiv Ludwigsburg -Arsenalplatz 371638 LudwigsburgTel. 07141/64854-6310E-Mail: [email protected]/stal

Holzschnitt-Porträt August Lämmles (1876–1962)im Alter von 50 Jahren („aet[atis] suae L“) vonGottfried Graf (1881–1938).Vorlage: Schwäbisches Heimatbuch 13 (1927) S. 7.

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Archivnachrichten 58 / 2019 47

Bis heute ist die Erinnerung an Mecht-hild lebendig geblieben; dies gilt beson-ders für ihr Wirken in Rottenburg. Daherwird die Ausstellung im Anschluss an diePräsentation in Stuttgart auch in Rotten-burg und Bad Urach gezeigt werden.

Erwin Frauenknecht

sers, verheiratet. Ihr politisches und ge-sellschaftliches Wirken, vor allem alsWitwe, ist beeindruckend und wird inder Ausstellung durch einzigartige Expo-nate aus ihrem persönlichen Umfeld zumAusdruck gebracht.Als Mutter von Eberhard im Bart hatteMechthild im Spannungsfeld zwischenPfalz, Württemberg und Habsburg einengewichtigen Einfluss. Vor allem aberbesaß ihr sogenannter Musenhof in Rot-tenburg eine großartige Ausstrahlung alsZentrum von Literatur und Kunst.Mechthild repräsentierte ihren Hof alsgebildete Mäzenin und Muse.

2019 jährt sich der Geburtstag vonMechthild von der Pfalz zum 600. Mal.Aus diesem Grund präsentiert dasHauptstaatsarchiv eine kulturhistorischeAusstellung, die an die Persönlichkeitund die biografischen Stationen dieserbemerkenswerten Fürstin erinnern soll.Mechthild von der Pfalz gilt als eine derbedeutendsten Frauengestalten in derGeschichte des deutschen Südwestens.Als Tochter des Kurfürsten Ludwig II.von der Pfalz war sie mit Graf Ludwigvon Württemberg († 1450) und in zwei-ter Ehe mit Erzherzog Albrecht VI. vonÖsterreich († 1463), dem Bruder des Kai-

Mechthild (1419–1482) im Spiegel der ZeitEine Sonderausstellung im Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Pfalzgräfin Mechthild schaut in ihren Spiegel. Dieberühmte Darstellung stammt aus dem sogenanntenIngeram Codex und erinnert an die HochzeitMechthilds mit Erzherzog Albrecht VI. im Jahr1452.Vorlage: KHM-Museumsverbund Wien.

Archive geöffnet

AusstellungMechthild (1419–1482) im Spiegel derZeit

Öffnungszeiten9. Mai – 30. August 2019Montag 10.00–17.00 UhrDienstag und Mittwoch 8.30–17.00 UhrDonnerstag 8.30–19.00 UhrFreitag 8.30–16.00 Uhr

Landesarchiv Baden-WürttembergHauptstaatsarchiv StuttgartKonrad-Adenauer-Straße 470173 StuttgartTelefon: 0711/212-4335Telefax: 0711/212-4360E-Mail: [email protected]/hstas

Öffentliche FührungenMittwochs 11.30 Uhr sowie für Gruppennach Vereinbarung

Weitere Präsentationsorte:Rottenburg, Sülchgau-Museum, Zehnt-scheuer: 13. September – 17. November2019Bad Urach, Residenzschloss: 27. Novem-ber 2019 – 1. März 2020

Zur Ausstellung erscheint eine Begleit-publikation.

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Archivnachrichten 58 / 201948 Archive geöffnet

1769 – also vor nunmehr 250 Jahren –wurde Markgraf Bernhard II. von Badenvom Papst seliggesprochen. Wer wardieser Mann, der im Sommer 1458 inMoncalieri bei Turin einem Fieber erlag?Die zeitgenössischen Quellen sind spär-lich, sie lassen somit viel Raum für Deu-tungen und Zuschreibungen. In Monca-lieri wurde schon bald von Wundern be-richtet, die man der Fürsprache des ba-dischen Markgrafen zusprach. In seinerHeimat am Oberrhein blieb die Vereh-rung auf das Haus Baden beschränkt.Erst im frühen 18. Jahrhundert – alsozu einer Zeit, als Markgraf Ludwig Wil-helm als Türkenlouis glänzende militäri-sche Siege gegen die Osmanen auf demBalkan errang – wurde Bernhard alschristlicher Ritter, der für einen Kreuz-zug zur Befreiung der heiligen Stättenim Orient warb, verehrt. Das drohendeErlöschen der katholischen Linie der ba-dischen Markgrafen 1771 vor Augen,wurde Bernhard zum konfessionellenSchutzpatron der katholischen Bevölke-rung in der vereinigten lutherischenMarkgrafschaft. Der Bernhardusbrun-nen in Rastatt wurde errichtet, zahlrei-che Gemälde in den katholischen Pfarr-kirchen des Landes vermittelten derbreiten Bevölkerung ein plastisches Bildvom seligen Markgrafen Bernhard.

Bernhard war stets ein politischer Heili-ger – ohne jemals heiliggesprochen wor-den zu sein. Das 1827 gegründete Erz-bistum Freiburg wählte ihn zu seinemMitpatron. In den Jahren des Kirchen-kampfs in Baden während der Amtszeitdes Erzbischofs Hermann von Vicari(1842–1868) und in der unmittelbarnachfolgenden Ära des Kulturkampfsder Reichsgründungszeit diente der se-lige Markgraf als Leitfigur einer wieder-erstarkenden katholischen Kirche, diesich der Auseinandersetzung mit demkonstitutionellen Staat zu stellen hatte,ohne die regierende Dynastie als Stabili-tätsfaktor in der Umbruchzeit der Indu-strialisierung angreifen zu wollen. AmEnde der Epoche wurde der selige Bern-hard zur Symbolfigur der Aussöhnungzwischen katholischer Kirche und staat-licher Obrigkeit in Baden.Als nach dem Zusammenbruch desNationalsozialismus die Bevölkerungneue Vorbilder suchte oder sich alterHelden erinnerte, wurde Bernhard vonBaden zum Jugendstar, zu einem Idol imKampf gegen die Versuchungen der Mo-derne, zu denen die Konsumfreude derWirtschaftswunderzeit ebenso zählte wieeine um sich greifende vermeintlicheSittenlosigkeit. Die Bedrohung desAbendlandes durch die Gefahr aus dem

Osten in der Epoche des Kalten Kriegeskonnte mühelos an das Bild des tapferenKreuzzugsritters anknüpfen.Die Ausstellung im Generallandesar-chiv präsentiert – erstmals in Karlsruhe– anhand zahlreicher wertvoller Expo-nate diesen Wandel im Bild eines Heili-gen.

Martin StinglWolfgang Zimmermann

Bernhard von Baden als Ritter Christi: Das 1480/84entstandene Andachtsbild zeigt den jugendlichenMarkgrafen in prächtiger Rüstung. Engel halteneinen Vorhang und unterstreichen so Rang undWürde Bernhards.Vorlage: Haus Baden.

AusstellungRitter – Landespatron – Jugendidol.Markgraf Bernhard II. von Baden

Öffnungszeiten21. Mai – 31. Oktober 2019Dienstag bis Donnerstag 8.30–17.30 UhrFreitag 8.30–19.00 UhrSonntag 13.00–17.30 Uhr Montags und samstags sowie an Feier-tagen geschlossen

Landesarchiv Baden-Württemberg- Generallandesarchiv Karlsruhe -Nördliche Hildapromenade 376133 KarlsruheTel. 0721 / 926-2206E-Mail: [email protected]/glak

Ritter – Landespatron – Jugendidol. Markgraf Bernhard II. von BadenAusstellung im Generallandesarchiv Karlsruhe

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der Lage sind, ein gemeinsames Bild ihrerleidvollen Geschichte zu entwerfen, dasdem Frieden dient. Wegen des großen Er-folgs ist daher geplant, nicht nur die Bil-dungsarbeit mit algerischen Schülern undStudenten zu intensivieren, sondern dieAusstellung noch zusätzlich durch weitereOrte in Algerien wandern zu lassen, damitmöglichst viele Besucher nachvollziehenkönnen, wie die Aufarbeitung eines ge-meinsamen historischen Erbes dazu die-nen kann, aus Feinden Freunde werden zulassen.

Rainer Brüning

Archivnachrichten 58 / 2019 49Archive geöffnet

führte ein erster Weg zum späteren Befrei-ungskampf und zur Unabhängigkeit Alge-riens im Jahr 1962.Eröffnet wurde die Ausstellung am18. November 2018 durch den französi-schen Botschafter Xavier Driencourt undden deutschen Gesandten Andreas Fiedler,denen sich weitere Redner anschlossen. Siealle unterstrichen vor ca. 100 Gästen ausden Bereichen Diplomatie, Bildung undKultur die von der Ausstellung ausgehendeAufforderung zu Frieden und Verständi-gung. Die beiden Kuratoren Dr. RainerBrüning (Karlsruhe) und Mme LaëtitiaBrasseur-Wild (Colmar) wiesen in ihrerabwechselnd gehaltenen Einführungsredebesonders auf den exemplarischen Cha-rakter des Ausstellungsprojekts hin. Vielealgerische Besucher zeigten sich sehr be-eindruckt von dem Gedanken, dass dieehemaligen Kriegsgegner Deutschlandund Frankreich sich nicht nur versöhnthaben, sondern darüber hinaus sogar in

La longue durée – ein Beitrag zur Kolonialgeschichte in AlgerienDie Ausstellung „Menschen im Krieg 1914–1918“ hilft in Algier, sich mit der eigenen kolonialen Vergangenheit

intensiv auseinanderzusetzen

Nach ihrer vierjährigen Reise erreichte diedeutsch-französische Gemeinschaftsaus-stellung Menschen im Krieg 1914–1918 amOberrhein / Vivre en temps de guerre desdeux côtés du Rhin 1914–1918 im Novem-ber 2018 schließlich Brüssel. 35 Stationenmit über 60.000 Besuchern lagen bereitshinter unserer Ausstellung über den Er-sten Weltkrieg. Damit sollte ihre erfolgrei-che Wanderung offiziell beendet sein – ei-gentlich.Doch dank einer Initiative der deutschenund französischen Botschaften in Algerienwurde sie nun ebenfalls im Institut fran-çais in Algier gezeigt. Ausgangspunktwaren hier die örtlichen Feierlichkeitenzum Kriegsende vor 100 Jahren. Auch inder algerischen Öffentlichkeit wurde derca. 250.000 Soldaten aus dem Maghreb ge-dacht, die im Ersten Weltkrieg für die Ko-lonialmacht Frankreich tapfer gekämpftund wenig Dank dafür geerntet hatten.Von diesen schmerzlichen Erfahrungen

Ausstellungseröffnung in Algier am 18. November2018 (von links nach rechts): Frau Rita Sachse-Toussaint, M. Grégor Trumel, Mme Laëtitia Bras-seur-Wild, Herr Andreas Fiedler, S.E. M. XavierDriencourt, Mme Bernadette Groff, Dr. Rainer Brü-ning, M. Jean-Jacques Beucler.Aufnahme: Institut français Alger.

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Archivnachrichten 58 / 201950 Junges Archiv

Bei historischen Bauakten stehen interes-sierte Personen häufig vor dem Problem,dass die heutige Adresse keinen direktenZugriff auf die Unterlagen erlaubt. Füreine zielgerichtete Suche sind guteKenntnisse der Geschichte des Gebäudesnotwendig. Selbst eine tiefe Erschließungder Akten enthält normalerweise nurden damaligen Bauherrn, den Bauort,das Baujahr und den Baugegenstand(z. B. Erbauung einer Scheune oderWohnhausanbau).Dagegen hilft die Kenntnis einer imBauort eindeutigen Adresse mit Haus-nummer meistens nicht weiter. Nach derVergabe von Straßennamen wird eineRecherche zwar oft unproblematischer.Allerdings haben sich die Namen vielerStraßen und Plätze mehrfach geändert.Unter anderem konnten die Umbenen-nungen aufgrund von politischen Verän-derungen (beispielsweise Benennungvon Straßen nach nationalsozialistischenPolitikern) oder von Eingemeindungenerfolgen. Um eine eindeutige Identifika-tion der Adresse in der neu gebildetenGemeinde zu ermöglichen, durfte jederStraßenname nur einmal auftreten. Die

Folge war, dass zahlreiche häufige Stra-ßennamen (z. B. Goethestraße, Stuttgar-ter Straße) in Ortsteilen geändert werdenmussten.Im Sommer 2015 begannen das Staats-archiv Ludwigsburg, das StadtarchivBacknang und mehrere Vermessungs-fachleute mit einem Projekt, das neueRecherche- und Nutzungsmöglichkeitenfür die historischen Bauakten aus Back-nang und seinen Stadtteilen (Rems-Murr-Kreis) bieten soll. Mehrere jungePersonen, die im Staatsarchiv Ludwigs-burg ein Freiwilliges Kulturelles Jahroder einen Bundesfreiwilligendienst ab-solvierten, ermittelten und digitalisiertenalle Pläne der in der Überlieferung desOberamts Backnang (Bestand LABW,StAL F 152 IV) verwahrten Bauakten zuder heutigen Gemeinde Backnang. DieScans wurden danach im Online-Find-buch im Internet zur Verfügung gestellt.Im Anschluss begannen die ortskundi-gen Vermessungsfachleute unter der Lei-tung von Erich Mögle mit einer Auswer-tung der Pläne. Es gelang ihnen, fastjeder Bauakte eine Hausnummer undmindestens eine Adresse zuzuweisen –

bei Straßenumbenennungen auch meh-rere Adressen.Diese Angaben, die langfristig für alleStadtteile von Backnang zur Verfügungstehen sollen, ermöglichen nun eine ge-zielte Suche mit der heutigen Adresse(Stand: 2018). Die digitalisierten Plänegeben überdies einen ersten Eindruckder Bausituation. Eine Einsichtnahme inden weiteren Schriftverkehr der Bauakteist im Lesesaal des Staatsarchivs Lud-wigsburg möglich.

Corinna Knobloch

Historische Bauunterlagen aus BacknangEin Crowdsourcing-Projekt des Staatsarchivs Ludwigsburg und des Stadtarchivs Backnang

zur Eröffnung neuer Recherche- und Nutzungsmöglichkeiten

Zum Bestand: LABW, StAL F 152 IVOberamt Backnang: Bauaktenhttps://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/struktur.php?be-stand=18482

2 | Titelaufnahme zu einer Bauakte aus Backnang-Heiningen.Vorlage: LABW, StAL.

3 | Die vier Freiwilligen Tim Brück, Neda Tadjalli-Mehr, Sebastian Saalbach und Nadja Feucht (vonlinks) mit Bauplänen aus der Überlieferung desOberamts Backnang.Aufnahme: LABW, StAL.

1 | Bauplan aus dem Jahr 1907.Vorlage: LABW, StAL F 152 IV Bü 6921.

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Quellen für den Unterricht 57

2. Das „Ortsstatut“ von 1887

Freiburg wies aufgrund seiner Standort-faktoren einige Nachteile für eine inten-sive Industrialisierung auf, insbesonderebezüglich der Infrastruktur und Energie-gewinnung. So erreichte die Eisenbahnin Gestalt der Nord-Süd-Strecke zwarbereits 1845 die Stadt, in Ost-West-Rich-tung konnte aber erst 1887 die Höllen-talbahn eröffnet werden, die zudem auf-grund der starken Höhenunterschiededes Schwarzwaldes teilweise Spezialloko-motiven mit Zahnradantrieb benötigte,um über eine Zahnschiene die größtenSteigungen überwinden zu können. VomRhein lag Freiburg zu weit entfernt, umden Bau eines schiffbaren Kanals letzt-lich lohnend erscheinen zu lassen. DieWasserkraft aus dem Schwarzwald, dieseit dem Mittelalter mit dem Gewerbeka-nal genutzt wurde, erwies sich als für in-dustrielle Ansprüche ungeeignet, da derWasserstand je nach Jahreszeit undKlima im Schwarzwald stark variierte.Dennoch gab es erste Ansiedelungen vonIndustrien im 19. Jahrhundert, vor allemöstlich des Stadtzentrums in der soge-nannten Oberau. Beispielsweise sind hierdie Seidenzwirnerei Karl Mez oder diePorzellanknopffabrik Jeremias Risler zunennen. Später kamen industrielle Anla-gen im Stadtteil Im Grün südwestlich derInnenstadt dazu.Für ihre Produktion brauchen FabrikenPlatz, sie stoßen Emissionen aus undbringen Arbeiter mit sich. Diese Folgenentsprachen nicht wirklich dem Selbst-bild Freiburgs, weshalb sich die städti-schen Behörden im ausgehenden19. Jahrhundert nicht weiter um indu-strielle Ansiedelungen bemühten und1887 das Ortsstatut (M 1) erließen. Die-

Das „Ortsstatut“ Freiburgs im Breisgau von 1887 –Symbol des Sonderwegs einer Stadt?!

Archivnachrichten 58 / 2019 51

1. Einleitung

Zunächst ist Freiburg ein Rentnerheim,die alldeutsche Pensionopolis. […] Frei-burg ist jedoch nicht nur Rentnerheim,sondern auch eine der hervorragendstenLebensstätten Deutschlands. […] Die Stu-denten haben an Zahl gewaltig zugenom-men. Der Reichstagskandidat der Fort-schrittspartei, Dr. von Schulze-Gaever-nitz, sah Freiburgs Zukunft in dieservielbejubelten Rede von 1911 in seinerAttraktivität für vermögende Rentiers,Privatiers und Studenten (von Schulze-Gaevernitz, S. 3–5). Dieses Zitat steht fürdie Zusammenfassung einer Kommunal-politik, die sich im 19. Jahrhundert be-wusst von der Industrialisierung abge-wandt und auf alternative Einkommens-quellen gesetzt hatte. Freiburg hattedamit nach einem eigenen, singulärenWeg gesucht, für den die Stadt mit demOrtsstatut 1887 den Grundstein gelegthatte. Ausgehend vom Ortsstatut wurdedas Beschreiten besondererWege wichtigfür das städtische Selbstverständnis, wasexemplarisch anhand dreier Beispiele er-läutert werden wird: erstens mittels derAmtszeit des Oberbürgermeisters Dr.Otto Winterer von 1888 bis 1913, zwei-tens mit der Umsetzung der Gartenstadt-idee in Freiburg-Haslach und drittens inder Verwirklichung individualistischerLebensformen im Stadtteil Vauban. Umden Erfolg dieser alternativen Raumpla-nung einzuschätzen, wäre es interessantzu schauen, ob und inwiefern sich in derGreen City, wie Freiburg sich heute gernenennt, die – um aktuelle Begriffe zu ver-wenden – Ziele der Lebensqualität undNaturverbundenheit verwirklichen lie-ßen.

ses legte fest, dass die Errichtung vonneuen gewerblichen Anlagen […] in denStadtteilen östlich des Hauptbahnkörpersund südlich der Dreisam künftig nichtmehr zugelassen werde. Die Korrespon-denz mit anderen deutschen Großstäd-ten, darunter Mannheim und Hamburg,aus den Jahren 1884 bis 1887, die in derAkte des Stadtrats der Stadt Freiburg zumOrtsstatut enthalten ist, legt die Vermu-tung nahe, dass negative Folgen der In-dustrialisierung gleichsam ausgelagertwerden sollten. Das Bürgertum wolltevon den Segnungen der Industrie profi-tieren, ohne die Schadstoffquellen sowiepolitischen und sozialen Auswirkungeneiner Arbeiterschaft zu spüren. Fabrikenund deren Klientel sollten weder sicht-,noch riech- oder fühlbar für die vermö-genden Bürger sein und sich möglichstnicht im nach außen wirksamen Stadt-bild widerspiegeln. Konsequenterweiselegte die Stadt zugleich mit dem Ortssta-tut eine Bauordnung als städtebaulichesSteuerungsinstrument auf, mit dem Ziel,den Prozess sozialräumlicher Differenzie-rung zu befördern.Der damit begonnene Prozess kanndem Selbstverständnis Freiburgs entspre-chend durchaus als Alternative bezeich-net werden. Eine relativ unverschmutzteNatur sowie angenehme Wohn- und Le-bensverhältnisse konnten für die groß-bürgerliche Schicht – östlich der Bahnwohnend – sicherlich erreicht werden.Für die Arbeiterschaft bedeutete es hin-gegen eine Verdrängung an den westli-chen Stadtrand, was mit dem BezirkStühlinger einen Namen bekam. Bereits1875 war begonnen worden, das Gebietwestlich des Bahnhofs, bis dahin eineeher sumpfige, flache Brache, zu erschlie-ßen. Erst zehn Jahre später wurde der

Quellen für den Unterricht 57 Heike Bömicke

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tivität und Lebensqualität stringent um,jedoch nur für das gehobene Bürgertum.Arbeiter und die damit verbundenen so-zialen Probleme wurden möglichst ge-ringgehalten bzw. nur in Randbezirkenangesiedelt, was die im Ortsstatut 1887begonnene Segregation verstärkte. Dahergalten die Kriterien der Lebensqualitätund Naturverbundenheit weiterhin nurfür eine ausgewählte Bevölkerungs-schicht.

3b. Alternative Ideen – die Gartenstadt

Die Gründung der Gemeinnützigen Bau-genossenschaft Gartenstadt Freiburg 1913gilt als Geburtsstunde der Gartenstadtim heutigen Freiburg-Haslach mit demZiel kostengünstigen Wohnraum [zuschaffen …], den [...] Mietskasernen einmenschliches Maß entgegenzusetzen, hy-gienisches und gesundes Wohnen zu er-möglichen und mit Gärten und Ställen[… die] Möglichkeit der Selbstversorgunginsbesondere für Arbeiter zu bieten. DenBewohnern der Gartenstadt sollte einAusgleich zur monotonen Lohnarbeit ge-boten und das Gefühl vermittelt werdenmitten in der Natur zu leben. Ein Bebau-ungsplan sollte maximale Besonnung undDurchlüftung der Häuser sowie der gro-ßen Gärten erreichen, mittels stilistischerArchitekturelemente und ganzheitlicherRaumordnung wurde das Viertel berei-chert und bewusst gestaltet. Ursprüng-lich waren öffentliche Gebäude aufeinem zentralen, gartenähnlich gestalte-ten Platz vorgesehen, darum Wohnbe-bauung und erst außerhalb davon Indu-strie- und Gewerbeansiedlungen, die ggf.durch eine Eisenbahn mit der Stadt ver-bunden werden sollten. Ziel war dieKombination der Vorteile eines ländli-chen Lebens mit städtischer Infrastruk-tur. Das Modell planmäßiger Stadtent-wicklung dazu hatte der Brite EbenezerHoward bereits 1898 entwickelt. SeineIdee ging über das reine Wohnen hinaus,indem sozialreformerische Ziele mit ihrverbunden wurden, wie lebenslangesMietrecht oder Mitbestimmungsrechteder Bewohner.Das weitere Ziel der Kostenreduktionwurde mittels verschiedener Maßnah-men umgesetzt, um die Gartenstadt füreinkommensschwache Schichten attrak-tiv zu machen. So nutzte man in Frei-burg sieben standardisierte Haustypenzur Verringerung der Baukosten. Die

dehnten Sozialpolitik, weshalb hier voneiner Vorreiter-Rolle gesprochen werdenkann.Gemäß seinem stadtplanerischen Kon-zept wies Winterer den süd- und nörd-lich der Altstadt gelegenen VorortenWiehre und (später) Herdern die (groß-)bürgerliche und gehobene Wohnbebau-ung zu. Bis zu seinem Ausscheiden 1913verfolgte er die Entwicklung Freiburgs zueinem Wahlwohnort vermögender Pri-vatiers konsequent weiter und sorgte füreine Verdoppelung der Einwohner- undGebäudezahl. Dazu beauftragte derOberbürgermeister die Erneuerung bzw.Neuerrichtung wichtiger Infrastruktur-einrichtungen wie Wasserversorgung,Abwasserbeseitigung, Ausbau von Elek-trizität und Straßenbahn sowie Neu-gründung von Schulen. Um weitere rei-che Neubürger anzulocken, baute Winte-rer das kulturelle Leben der Stadt konse-quent aus, beispielsweise mittels einesNeubaus des Stadttheaters, welcher 1910fertiggestellt wurde. In seine Amtszeitfallen die Gründung der StädtischenSammlungen, der Umbau des NeuenRathauses sowie der Bau des heutigenKollegiengebäudes I der Albert-Ludwigs-Universität. Winterer lockte Studenten,Gelehrte und Offiziere an, bewarb nebenUniversität und Garnison die landschaft-lich reizvolle Lage sowie das prachtvolleMünster und suchte für Freiburg alsFremdenstadt den Tourismus zu erschlie-ßen. Frühzeitig sorgte er für den An-schluss des Stadtteils Günterstal an dasStraßenbahnnetz, um den Besuchernden Zugang zum Freiburger Hausberg,dem Schauinsland, zu erleichtern. Dane-ben wurden Panoramawege im Stadt-wald und um den Waldsee angelegt.Zwecks weiterer Steigerung der Attrakti-vität Freiburgs gestaltete Winterer dasStadtbild planmäßig zur mittelalterlichenStadt um. So initiierte er nicht nur denFreiburger Münsterbauverein und setztesich leidenschaftlich für den Erhalt desMünsters ein, sondern sorgte auch fürdie Erhaltung von Schwaben- und Mar-tinstor trotz Komplikationen mit demStraßenbahnbau und ließ diese gemäßseiner Mittelaltervorstellung umgestaltenund aufstocken. Berühmt ist sein Aus-spruch: Das Dorf hat Dächer – die Stadthat Türme (Müller, S. 123 und S. 16f.).Otto Winterer setzte seine klaren Vor-stellungen über eine (mittelalterliche)Identität Freiburgs und sein ganzheitli-ches Konzept zur Steigerung von Attrak-

Archivnachrichten 58 / 201952 Quellen für den Unterricht 57

Stadtteil mit dem Bau einer Eisenbrückeüber die Bahngleise an die Innenstadtangeschlossen und 1886 nach demAdelsgeschlecht der Stühlinger benannt.Mit dem Ortsstatut erhielt er nun 1887seinen Ritterschlag.

3a. Die Stadtplanung unterOberbürgermeister Dr. OttoWintererDie planmäßige weitere Erschließung desStühlingers erfolgte unter dem für Frei-burg wegweisenden OberbürgermeisterDr. Otto Winterer ab 1888. Winterer ent-wickelte aus Ortsstatut und Bauordnungein zusammenhängendes stadtplaneri-sches Konzept, welches den einzelnenStadtbereichen unterschiedliche Funktio-nen zu[wies], u. a. der Arbeiterschaft denStühlinger. Symbolisch dafür steht dieVerlegung des städtischen Gaswerks ausder Wiehre in den Stadtteil hinter demBahnhof, an dessen alter Stelle die monu-mentale Johanneskirche gebaut wurde.Geplant wurde dieser Bezirk mit ortho-gonal zueinander liegenden Straßenzü-gen und geschlossener Bauweise ohneVorgärten als gewerbliches Mischgebiet,dessen Bebauung neben eher kleinen,handwerklichen Betrieben im Erdge-schoss die dazu gehörigen Arbeiter imoberen Stockwerk wohnend aufnehmensollte. Größere Betriebe waren nur ver-einzelt vorhanden, wie beispielsweise dieOrchestrionfabrik Welte. Einzige Auflok-kerung fand das Rechteckmuster durchdie ursprünglich nicht vorgeseheneHerz-Jesu-Kirche auf dem heutigenStühlinger Kirchplatz. Dieser Bau er-folgte von 1892–1897 und wurde durchzwei Schulgebäude hinter dem Chor er-gänzt. Die dadurch erfolgte Aufwertungtrug u. a. dazu bei, fast bürgerlich anmu-tende Häuserzeilen entstehen zu lassen,in denen die Wohnverhältnisse zwarauch eng und unhygienisch waren, abernicht wie in den Mietskasernen undHinterhöfen anderer Städte. Ein weitererGrund mag die quantitative Entzerrungder Arbeiterschaft gewesen sein. Zumeinen verfügte Freiburg über relativwenig industrielle Großbetriebe, zumanderen gab es frühe Bestrebungen einessozialen Wohnungsbaus, beispielsweisein den Stadtteilen Beurbarung undFreiau, den die Stadt ab 1886 selbst in dieHand nahm. Das soziale Engagementvon Fabrikanten, Bürgern und der Stadtentwickelte sich zu einer bewusst ausge-

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Archivnachrichten 58 / 2019 53

Baugenossenschaft kaufte beim erst 1890eingemeindeten noch recht dörflichenHaslach billiges Ackerland, um dieses inwertvolleres Bauland umzuwandeln. Derdabei entstehende Spekulationsgewinnsollte einen Teil der Baukosten tragen.Das Land selbst wurde über Erbpachtvergeben und blieb damit genossen-schaftliches Gemeinschaftseigentum. DieMieter sollten Genossenschaftsmitgliederwerden und neben einem Dauermiet-recht auch von niedrigen Mieten profi-tieren, die lediglich nach dem Kosten-deckungsprinzip erhoben werden soll-ten.Zwar siedelte auch die Gartenstadtideedie Arbeiterschaft vor der Stadt an undtrug so zu einer Segregation bei, wie sieauch das Ortsstatut 1887 vorsah. Jedochherrschte hier das hehre Ziel eines ge-sunden Lebens im Grünen, von Lebens-qualität und Naturnähe für die Arbeiter,womit die Gartenstadt gleichsam als Ge-genentwurf zum Stühlinger gelten kann.Das Ziel der lebenswerten Stadt sollte denmenschenunwürdigen Lebensbedingungenin den Mietskasernen der Städte entge-gengesetzt werden. Leider meinte es dieRealität nicht gut mit der Gartenstadt.U. a. der Erste Weltkrieg sorgte dafür,dass unter Mithilfe der Bewohner mög-lichst billiger Wohnraum gebaut werdenmusste, der den Menschen die Möglich-keit zur Selbstversorgung bot, weshalbdie Gartengrundstücke prioritär demObst- und Gemüseanbau sowie derKleintierhaltung dienten. Bemängeltwurden neben der schlechten Bausub-stanz kleine Küchen und fehlende Bäder.Dennoch wurde der Wohnraum in derFreiburger Gartenstadt schnell für deneinfachen Arbeiter zu teuer, sodass letzt-endlich mit niedrigen Angestellten zwarimmer noch kleinbürgerliche Schichtendavon profitierten, aber nicht die ur-sprüngliche Zielgruppe. Auch wurdenMitbestimmung und freie Entfaltungbeispielsweise durch eine strenge Haus-ordnung, die die Tierhaltung und ge-naue Nutzung der Gärten regelte, dieeinen ordentlichen Eindruck zu machenhatten, eingeschränkt, sodass sich dieUmsetzung insgesamt vom eigentlichenIdeal einer Gartenstadt entfernt zeigte.

3c. Alternative Ideen – das Vauban

Seit 1991 entstand auf dem ehemaligenKasernengelände der französischen

Streitkräfte im damaligen Stadtteil Frei-burg-St. Georgen nach deren Abzug dasQuartier Vauban, benannt nach demfranzösischen Festungsbaumeister Séba-stien Le Prestre de Vauban. EngagierteBewohner suchten ihre städteplanerischeVision eines neuen Stadtteils mit konse-quent nachhaltiger Umweltpolitik unterEinsatz von erneuerbaren Energien, bür-gerschaftlicher Zusammenarbeit, sozia-lem Miteinander sowie lebendiger Nach-barschaft umzusetzen. Der Stadtteilsollte zum Modellprojekt für eine nach-haltige und an ökologischen Zielen ausge-richtete Stadtentwicklung werden. ZurUmsetzung dieser Ideen gründete sich1994 das Forum Vauban, dem 2005 derStadtteilverein Vauban e. V. folgte.Das Ziel der ökologischen Verantwor-tung und Nachhaltigkeit wurde einer-seits mittels eines autoreduzierten Ver-kehrskonzept[es] realisiert, für das sehrgute Straßenbahn- und Busverbindun-gen sowie kurze Versorgungswege ge-plant wurden. Andererseits gibt es einenweitreichenden Einsatz von Solarenergieund Passivhaus- bzw. Niedrigenergie-bauweise sowie die Nutzung nachwach-sender Rohstoffe zur Wärmegewinnungmittels eines Blockheizkraftwerkes, wel-ches mit Holz bzw. Erdgas betriebenwird und neben einigen Photovoltaikan-lagen auch für die Stromversorgung zu-ständig ist. Mit dem Green-City-Hotelentstand eine Herberge mit Passivhaus-Standard als Inklusionsunternehmen,was zum selbstgewählten Anspruch dessozialen Engagements führt. Dieser An-spruch fand seinen Niederschlag u. a. imVorrang privater Baugruppen und genos-senschaftlicher Wohn-Projekte. Zu nennenwäre hier beispielsweise die sozialinte-grative Baugruppe GENOVA, das genera-tionenübergreifende Wohnprojekt Son-nenhof oder der Erhalt einiger Kasernen-gebäude im Rahmen der Selbstorgani-sierte Unabhängige Siedlungsinitiative(Projekt – für günstigen Wohnraum),des Studentenwerks bzw. als Veranstal-tungszentrum im Haus 037, einem selbst-verwalteten Stadtteilzentrum oder derDienstleistungs-, Kunst- und Handwerks-haus. Zur Unterstützung von nachbar-schaftlicher Zusammenarbeit wurde eingenossenschaftlich organisierter Quar-tiersladen gegründet, es gibt Second-handläden, einen gemeinsam zu nutzen-den Backofen und vieles mehr zur För-derung von Gemeinschaftssinn und of-fene[r] Lebenskultur. Nahe bei

entstanden ein Kinderabenteuerhof amDorfbach und ein Grünareal mit Wei-dendom sowie Möglichkeiten des urba-nen Gärtnerns. Die nahen Schönberg-wiesen und eingeplante Grünspangentragen viel zur hohen Lebensqualität desStadtteils bei.Auffällig sind die sehr dichte Besiede-lung des Stadtteils und das im Durch-schnitt junge Alter der Bewohner. Letzte-res lässt darauf schließen, dass das Quar-tier vor allem von Familien mit (kleinen)Kindern bewohnt wird. Zusammen mitder niedrigen Arbeitslosenrate, demhohen Akademikeranteil und dem gerin-gen Anteil von Bewohnern mit Migrati-onshintergrund lässt das auf eine relativgroße Homogenität der Bevölkerungschließen. Die meisten Einwohner schei-nen sich in einer ähnlichen Lebenssitua-tion mit einem vergleichbaren Hinter-grund und einer übereinstimmendenSozialisation zu befinden. Sie interessie-ren sich für Umwelt, Nachhaltigkeit unddie politische Ausrichtung ist eher grün-alternativ. Bestätigung findet diese An-nahme in der im Stadtteil sehr gebräuch-lichen Formulierung des Wohnens aufVauban, die den Vergleich mit einer Inselsuggeriert, auf der man lebt im Gegen-satz zum Wohnen in einem Bezirk odereiner Stadt. Ist dadurch ein Rückschlussauf eine besondere Geschlossenheit desViertels möglich? Tatsache ist, dass imVauban viele Ideen der Nachhaltigkeit,des Umweltschutzes und der Naturnäheumgesetzt wurden. Die Lebensqualitätscheint relativ hoch zu sein. Die Anlagevon solidarisch zu nutzenden Angebotenstärkt den kommunalen Zusammenhaltim Stadtteil. Inwiefern das zu einerselbstgewählten Segregation führt, lässtsich nur vermuten. Interessant wäre die-ses in Bezug auf eine Umkehrung desOrtsstatutes, welches die Industrie undArbeiterschaft absondern wollte, wäh-rend sich hier das Bürgertum selbst ab-und eingrenzen würde. In jedem Fall er-scheint das Vauban als ein besonderesQuartier, das sich vor allem aus bürger-schaftlichem Engagement entwickelte,aber vielleicht die Atmosphäre einerStadt wie Freiburg brauchte, um auffruchtbaren Boden zu fallen.

4. Fazit

Interessant ist abschließend ein kurzerVergleich der exemplarisch betrachtetenFreiburger Stadtteile, um mit einem

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M 1 Ortsstatut über Anlage gewerblicher Etablisse-ments mit Stadtplan, 1884/87.Vorlage: Stadtarchiv Freiburg, Sign. C2/71/7.

Archivnachrichten 58 / 201954

Bezug zum Ortsstatut zu schließen. Allendrei Bezirken gemeinsam sind ein kon-struktiver Umgang mit örtlichen Beson-derheiten bzw. die Suche nach regiona-len Alternativen sowie eine daraus er-wachsene konsequente und holistischeStadtplanung. Überall fand eine Art vonSegregation statt, ob erzwungen oderselbstgewählt, und in jedem Stadtteil istdie Suche nach einem ganzheitlichenSelbstkonzept zu finden, wobei immerwieder die Ziele Lebensqualität und Na-turnähe aufblitzen. Die raumplanerischeUmsetzung erscheint bisweilen fast diri-gistisch und relativ geschlossen, oft visio-när, aber auch ein wenig dogmatisch.Städtebaulicher Wildwuchs wurde kaumgeduldet und wenig dem Zufall überlas-sen.Aufgrund der Bereitschaft, Neues aus-zuprobieren und umzusetzen, kann Frei-burgs Weg seit der Industrialisierung zu-sammenfassend zu Recht als Sonderwegbezeichnet werden. Das Ortsstatut von1887 hat sicherlich keine Auswirkungenmehr auf die Raumplanungen des 20.und 21. Jahrhunderts, dennoch kannihm eine symbolische Bedeutung als

Ausgangspunkt einer Suche Freiburgsnach stadtplanerischen Alternativen zu-geschrieben werden, in der eine Atmo-sphäre entstand, die Innovationenimmer wieder zu- und entstehen ließ.

Literatur

Wolfgang Zamzow: Die Industrialisie-rung im 19. und 20. Jh. am Beispiel Frei-burg. Dokumentationsarbeit R11 SSDLBS Freiburg.Heinrich Müller: OberbürgermeisterDr. Otto Winterer – ein Vierteljahrhun-dert Entwicklungsgeschichte der StadtFreiburg. Freiburg 1916.John Mez: Freiburger Verkehrspro-bleme. Freiburg 1913.Geschichte der Stadt Freiburg i.B. – Vonder badischen Herrschaft bis zur Gegen-wart. Hg. von Heiko Haumann undHans Schadek. Bd. 3. Stuttgart 1992.100 Jahre Stühlinger: 1885–1985. Hg.vom Lokalverein Freiburg-Stühlingere. V. Freiburg 1885.

Der Stühlinger – Festschrift zur 850-Jahrfeier der Stadt Freiburg i. B. Hg. vomLokalverein Freiburg-Stühlinger e. V.Freiburg 1970.Aktionskomitee 100 Jahre Gartenstadt;Geschichte und Geschichten – 100 JahreGartenstadt Freiburg-Haslach. Freiburg22015.Infotafel Quartier Vaubanhttps://www.freiburg.de/pb/site/Freiburg/get/params_E1371700308/647912/Info-tafeln_Vauban_de.pdf [aufgerufen am02.01.2019].Gerhart von Schulze-Gaevernitz:Wovon lebt Freiburg? – Rede des Reichs-tagskandidaten Dr. v. Schulze-Gaevernitzin der Festhalle zu Freiburg i. B. am7. Dezember 1911. Freiburg 1911.

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Archivnachrichten 58 / 201956 Quellen für den Unterricht 57

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Archivnachrichten 58 / 2019 57Quellen für den Unterricht 57

Heike Bömicke ist Landeskundebeauf-tragte des Kultusministeriums Baden-Württemberg und lehrt am StaatlichenSeminar für Didaktik und Lehrerbildung(Berufliche Schulen) Freiburg.

M 2 „Vogelperspektive von Freiburg im Breisgau“,1852, von Joseph Wilhelm Lerch (1817–1901).Vorlage: Augustinermuseum Freiburg, Inv.Nr. D2875.

M 3 Freiburg im Breisgau um 1900, Photochrom-druck.Vorlage: Library of Congress, Prints and Photo-graphs Division, Photochrom Prints Collection, LC-DIG-ppmsca-00298.

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Deutsch–französische Besatzungs-beziehungen im 20. JahrhundertHerausgegeben von Frank Engehausen,Marie Muschalek und Wolfgang Zimmer-mannVerlag W. Kohlhammer 2018Werkhefte der Staatlichen Archivverwal-tung Baden-Württemberg Serie A Heft 27234 Seiten, fester Einband/Fadenheftung€ 20,–ISBN 978-3-17-034383-2

Olympische Spiele: Architektur und Gestaltung. Berlin — München — Stutt-gartBegleitbuch zur AusstellungHerausgeben von Peter Bohl und Markus FriedrichVerlag W. Kohlhammer 2018192 Seiten, fester Einband/Fadenheftung€ 18,–ISBN 978-3-17-036208-6

Aufarbeiten im ArchivBeiträge zur Heimerziehung in derbaden-württembergischen Nachkriegs-zeitHerausgegeben von Christian Keitel, Nastasja Pilz und Nora WohlfarthVerlag W. Kohlhammer 2018160 Seiten, kartoniert€ 16,–ISBN 978–3–17–035362–6

Neue Veröffentlichungen des Landesarchivs Baden-Württemberg

Archivnachrichten 58 / 201958

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Landesarchiv Baden-WürttembergEugenstraße 7, 70182 StuttgartTelefon 0711/212-4238Telefax 0711/212-4283E-Mail: [email protected]: www.landesarchiv-bw.de

Redaktion: Dr. Verena SchweizerGestaltung: volker müller grafik design, Königsbach-SteinDruck: Printsystem GmbH, Heimsheim

Das Heft erscheint halbjährlich und wird kostenlos abgegeben.ISSN 1437-0018

Archivnachrichten 58 / 2019 59

Impressum

Evaluierung von BewertungsdokumentenBeiträge zur archivischen Überlieferungs-bildungHerausgegeben von Arbeitskreis „Archi-vische Bewertung“ im Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e. V. (VdA)Verlag W. Kohlhammer 201858 Seiten, kartoniert€ 8,–ISBN 978–3–17–036209–3

Alltag auf der Schwäbischen Alb. Fotografien von Botho WalldorfKatalog zur Ausstellung im StaatsarchivSigmaringen und SchönbuchmuseumDettenhausenHerausgegeben von Ulrich HägeleVerlag W. Kohlhammer 2018128 Seiten, kartoniert€ 12,–ISBN 978–3–17–035359–6

Ehrenmitglieder der Staatstheater Stuttgart 1912–2018Theatergeschichte in PorträtsHerausgegeben von Hanns-Werner HeisterVerlag W. Kohlhammer 2018280 Seiten, fester Einband/Fadenheftung€ 20,–ISBN 978–3–17–036094–5

Neue Veröffentlichungen des Landesarchivs Baden-Württemberg

Die Bände sind im Buchhandel oder direkt beim Verlagerhältlich.

Alle Neuerscheinungen finden Sie auf der Homepage desLandesarchivs Baden-Württemberg (www.landesarchiv-bw.de) unter „Aktuelles > Neue Publikationen“.

Archivnachrichten und Quellen für den Unterricht findenSie auch auf der Homepage des Landesarchivs Baden-Würt-temberg (www.landesarchiv-bw.de) unter „Landesarchiv > Publikationen“.

Titelfoto: Signal zur Vermessung des Geländes in Deutsch-Ostafrika, unten Einheimi-sche, auf der Plattform links Rudolf Gansser, ca. 1899 (siehe Beitrag Seite 8–9).Vorlage: LABW, HStAS Q 2/48 Bü 51 [8].

Page 60: ARCHIV NACHRICHTEN - landesarchiv-bw.de · Adolf Lüderitz seit 1883 in Südwest- und der Historiker und Philosoph Carl Peters ab 1884 in Ostafrika, ziemlich zweifel-hafte Schutzverträge

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Nördliche Hildapromenade 376133 KarlsruheTelefon: 0721/926-2206Telefax: 0721/926-2231E-Mail: [email protected]

Arsenalplatz 371638 LudwigsburgTelefon: 07141/64854-6310Telefax: 07141/64854-6311E-Mail: [email protected]

Außenstelle des Staatsarchivs LudwigsburgSchloss74632 NeuensteinTelefon: 07942/94780-0Telefax: 07942/94780-19E-Mail: [email protected]

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mit:Institut für Erhaltung vonArchiv- und BibliotheksgutSchillerplatz 1171638 LudwigsburgTelefon: 07141/64854-6600Telefax: 07141/64854-6699E-Mail: [email protected]

Landesarchiv Baden-WürttembergArchivischer GrundsatzEugenstraße 770182 StuttgartTelefon: 0711/212-4272Telefax: 0711/212-4283E-Mail: [email protected]

mit:GrundbuchzentralarchivStammheimer Straße 1070806 KornwestheimTelefon: 07154/17820-500Telefax: 07154/17820-510E-Mail: [email protected]

Landesarchiv Baden-WürttembergEugenstraße 770182 StuttgartTelefon: 0711/212-4272Telefax: 0711/212-4283E-Mail: [email protected]

Karlstraße 1+372488 SigmaringenTelefon: 07571/101-551Telefax: 07571/101-552E-Mail: [email protected]

Konrad-Adenauer-Straße 470173 StuttgartTelefon: 0711/212-4335Telefax: 0711/212-4360E-Mail: [email protected]

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