Date post: | 19-Mar-2016 |
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ZZEITLOS Wenn ein Teppich nicht nur schmuckes Accessoire, sondern modernes Design ist. Wenn seine Ästhetik Räume durchflutetund ein Gefühl von stiller Intimität schafft. Dann steht gewiss der Name TISCA TIARA dahinter. Mit aussergewöhnlichen Materialien undfaszinierenden Strukturen. Für Teppich- und Stoffkreationen von bleibender Schönheit. www.tisca.ch TTHE TOTAL TEXTILE COMPANY
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architheseStrategies for the Sustainable Turn
Minergie – Superlabel in Erklärungsnot
Masdar City
Energetische Sanierung von Altbauten
Regimes of Waste
Anzeichen einer «Physiologischen Architektur»
«Tropical Architecture»
Klimakapseln
Minimum Impact House
Medienhaus Marburg
Thomas Schütte Haus in Südfrankreich
Wiedemann /Mettler Wohnhaus Campodels, Chur
6.2009
Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
International thematic review for architecture
Nachhaltigkeit
Sustainability
Leserdienst 106
2 archithese 6.2009
E D I T O R I A L
Nachhaltigkeit
Seit der Klimakonferenz von Kyoto ist der Begriff der sustainability – zu deutsch
Nachhaltigkeit – aus dem Architekturdiskurs nicht mehr wegzudenken. Kaum ein
Haus, kaum eine Siedlung, kaum eine Stadtplanung, die nicht mit dem Label der
Nachhaltigkeit versehen wäre. In der Schweiz setzt man auf Minergie, einen Stan-
dard, der ursprünglich von der Lüftungsindustrie erfunden wurde, inzwischen aber
beinahe zu einer offiziellen Norm avanciert ist. Langfristiges Ziel in Zürich und
anderswo ist darüber hinaus die 2000-Watt-Gesellschaft; erste Projekte wurden
im November im Rahmen der Ausstellung Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft
in Zürich vorgestellt.
Konzepte wie Minergie oder 2000-Watt-Gesellschaft werden mitunter vor-
schnell auf die Frage des energetischen Einsparungspotenzials reduziert. Dabei
muss Nachhaltigkeit komplexer, man könnte auch sagen ganzheitlicher gedacht
werden. Nimmt man die berühmte Trias von Vitruv – utilitas, firmitas, venustas –
als Grundlage, so liegen die Aufgaben einer zukünftigen Architektur auf der Hand:
Es geht um nachhaltige Nutzungen, nachhaltige Baustoffe und Ressourcen, aber
auch um eine nachhaltige Ästhetik.
Daher widmet sich archithese in diesem Heft dem Thema Nachhaltigkeit aus
verschiedenen Blickwinkeln. Konzepte wie Minergie werden ebenso einer kri-
tischen Betrachtung unterzogen wie die vorgebliche Öko-Stadt Masdar; Ideen
der «Tropical Architecture» oder von Klimakapseln zeigen, dass das Postulat der
Nachhaltigkeit keineswegs so neu ist, wie zuweilen behauptet wird. Schliesslich
gelingt es zeitgemässer architektonischer Forschung – etwa von R&Sie(n) – Fragen
der Nachhaltigkeit auf ungewohnte Weise neu zu stellen.
Redaktion
In eigener Sache: Seit Anfang Oktober ergänzt Hannes Mayer das Redaktionsteam.
Hannes Mayer studierte Architektur an der TU Cottbus, TU Eindhoven und der
Bartlett School of Architecture in London, wo er sowohl sein Diplom wie auch sei-
nen Master of Architecture erwarb. Er gründete M-A-O architecture and optimism
in London und hat bereits mehrfach in archithese publiziert.
Ausstellung Bauen
für die 2000-Watt-
Gesellschaft,
Zürich, November
2009, in einer Aus-
stellungsinstalla-
tion von Holzer Kob-
ler Architekturen
(Foto: Stadt Zürich)
121904_225x297_d_K_S1_Arc 1 29.9.2009 11:38:11 Uhr
20 archithese 6.2009
A R C H I T E K T U R A K T U E L L
Balanceakt zwischen Kunst und Architektur
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WIEDEMANN / METTLER: WOHNHAUS
CAMPODELS, CHUR
In der unmittelbaren Nähe des Spitals Chur steht
inmitten einer heterogenen, lockeren Überbauung
auf einem steil abfallenden Grundstück ein monoli-
thischer Körper aus Beton.
Das Künstler- und Architektenpaar Pascale Wie-
demann und Daniel Mettler hat sich mit dem Ge-
bäude an die schwierige Symbiose zwischen Kunst
und Architektur gewagt – für eine Bauherrschaft
mit einem hohen Gespür für Ästhetik und grosser
Erfahrung im Bauen und Einrichten. Eine banale Lö-
sung kam zu keiner Zeit infrage; vielmehr sollte das
geplante Haus das Resultat einer ungewöhnlichen
Zusammenarbeit sein: ein wagemutiges Experiment.
Anfänglich bestand die Idee eines Hauses mit
zwei Wohnungen, die über einen von zwei ineinander
verschachtelten Treppen gerahmten Lichtschacht
verbunden sein sollten. Die geplanten Räume waren
offen gestaltet, die Nasszellen mit Ledervorhängen
von den Zimmern abgetrennt; das Konzept scheiter-
te an der Durchführbarkeit hinsichtlich Grösse und
Schallübertragung. Grundrisse und Fassaden waren
eher von visuellen denn von praktischen Aspekten
bestimmt, und so musste das Projekt mehrmals
überarbeitet werden, bis es in seiner heutigen Form
gebaut werden konnte.
Geblieben sind immer noch zwei unabhängige
Geschosswohnungen, die sich um einen unsicht-
baren Mittelpunkt drehen, auch wenn sich das an
Grundriss und Fassade nicht direkt ablesen lässt.
Es handelt sich um ein Haus, das auch an einem
beliebigen anderen Ort stehen könnte; entscheidend
war der Wille zur Form, während der unmittelbare
Kontext, die Topografie und die Orientierung des
Gebäudes eher als nachrangig gewertet wurden. In
einem nur bedingt spezifischen Umfeld besteht eine
denkbare Lösung darin, sich von der städtebauli-
chen Umgebung bewusst zu distanzieren. Hinzu
kam hier eine künstlerische Herangehensweise: die
Gestaltung eines Objektes, das nur für sich alleine
steht und auf nichts Rücksicht zu nehmen hat.
Eine eigentliche Hauptfassade existiert nicht,
Flächen und Fenster wechseln einander ab und
1 Wohnbereich und
Terrasse im 2. OG
(Fotos: Wiedemann/Mettler)
2 Schlafzimmer
3 Aussenansicht
4 Schnitt
verschieben sich zueinander. Die Öffnungen lassen
keinerlei Rückschlüsse auf die innere Raumauftei-
lung zu, das Sichtbetonvolumen wirkt körperhaft und
strahlt eine gewisse Anonymität aus. Der expliziten
Neutralität widersetzt sich allerdings der polygonale
Grundriss – und der offene Abstellplatz mit den bei-
den Eingangstüren, die sich farblich von der zurück-
haltenden Gestaltung absetzen.
Über zwei gegenläufige, miteinander verschränk-
te Treppen gelangt man von der Eingangsebene
aus in die Wohnungen im ersten und zweiten Ober-
geschoss. Nichts wurde dabei dem Zufall überlas-
sen. Vier gleichwertige Räume bilden jeweils eine
Wohneinheit. Der eigentliche Wohnraum öffnet sich
zur Treppe. Das Schlafzimmer, zur Strasse hin ori-
entiert, besitzt direkten Zugang zum Bad, das der
Eingangszone gegenüberliegt. Die Küche zeigt sich
grosszügig und weist im ersten Obergeschoss einen
direkt angegliederten Gartensitzplatz auf. Ein weite-
res Zimmer, über die Küche erschlossen, dient als
Arbeits- oder Kinderzimmer. Im zweiten Geschoss
ist der Wohnraum zugunsten einer introvertierten
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42 archithese 6.2009
Verwaltungsgebäude der Stiftung Marburger Medien Die Stiftung Marburger Medien wünschte sich für ihr
neues Domizil ein in jeder Hinsicht nachhaltiges Gebäude. In parkartigem Ambiente gelegen, überzeugt das
Medienhaus nicht nur durch ein ausgeklügeltes energetisches und haustechnisches Konzept, sondern auch eine
zeitgemässe Ästhetik, die weder Richtung Öko noch Richtung Hightech tendiert.
MISSION ERFÜLLT
1 Südwestfassade
(Fotos: Walter Mair)
2 Gesamtansicht
3 Büro mit Aussen-
raum
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Text: Hubertus Adam
Mit der Zeit gehen, aber nicht blindlings dem Zeitgeist fol-
gen – so könnte man die Haltung der Stiftung Marburger
Medien umreissen. Vor knapp hundert Jahren als Marburger
Blätter-Mission gegründet, erhielt die Organisation 2001 ei-
nen neuen Namen. Billige Traktate unter die Leute zu brin-
gen – mit diesem Image möchten die heutigen Verantwort-
lichen nicht mehr viel zu tun haben. «Verteilschriften» und
Karten, kleine Präsente, Broschüren und Losungshefte sind
die Produkte, welche über die Stiftung bezogen werden kön-
nen und christliche Werte im Alltag vermitteln. Der Verlag
ist der evangelischen Kirche verbunden, bedient aber auch
katholische oder freikirchliche Auftraggeber. Die Verteilung
erfolgt nach dem Solidarprinzip: Wer Artikel erhalten möchte,
erhält sie gratis, wird aber entsprechend seinen finanziel-
len Möglichkeiten um eine Spende gebeten. Dieses Prinzip
funktioniert offenkundig gut; in den vergangenen Jahren ist
die Zahl der Produkte und daher auch diejenige der Mitar-
beiterInnen gewachsen. Die stiftungseigene Liegenschaft
in der Marburger Südstadt erwies sich als zu klein, und so
entschied man sich zu einem Neubau, der durch den Verkauf
des bisherigen Grundstücks sowie durch Spenden finanziert
wurde. In der Strasse Am Schwanhof, unweit des bisherigen
Domizils, hatte die Stiftung ein Grundstück erworben und
von einem ortsansässigen Architekten ein Bauprojekt erar-
beiten lassen. Als Zweifel an dessen Qualität laut wurden,
begann die Stiftungsleitung, Gespräche mit dem Luzerner
Architekten Luca Deon aufzunehmen, zu dem persönliche
Kontakte bestanden. Und man entschied sich, mit Deon wei-
terzuarbeiten, was ohne Zweifel als ein Glücksfall zu wer-
ten ist. Eines war den Verantwortlichen klar: Ein beliebiges
Renditeobjekt, das nach 25 Jahren abgeschrieben ist, sollte
auf dem Grundstück nicht entstehen. Die christliche Orien-
tierung der Stiftung führte zu einem nachhaltigen Konzept:
Ziel war ein langlebiges Gebäude mit adäquaten Materialien,
niedrigen Unterhaltskosten und minimalen Energieaufwen-
dungen. Ausserdem wünschte man sich ein Bauwerk, wel-
ches das Selbstverständnis der Stiftung auch nach aussen
kommuniziert: Offenheit, Modernität und Transparenz. Als
Christ in der heutigen Gesellschaft zu agieren, so formuliert
es der Geschäftsführer der Stiftung, Jürgen Mette, bedeute,
sich nicht abzuschotten, sich der Gesellschaft gegenüber zu
öffnen und zeitgemäss zu sein.
Innen und aussen
Das Grundstück, das Deon vorfand, zeichnete sich durch ei-
nen parkartigen Charakter aus, und so bildete der Gedanke
eines «Hauses im Park» den Ausgangspunkt seines Entwurfs.
Mit seinen unterschiedlich weit auskragenden Vordächern
und mit seiner zurücktretenden Verglasung – sämtliche
Fassaden sind in Glas aufgelöst – wirkt das dreigeschos-
sige Gebäude, dessen Sockelgeschoss zu zwei Dritteln im
Boden versenkt ist, eher wie ein Pavillon als ein klassisches
Bürogebäude. Dazu passt, dass die Unterseiten der Dach-
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46 archithese 6.2009
Text: Norman Foster
Masdar has far reaching significance in global terms, in that
it tackles design in a holistic sense. It is not specific in terms
of individual buildings, important though they may be. In-
stead it looks at the bigger picture. If energy consumption
is a consequence of demand, then you could argue that de-
mand is a consequence of design – and that everything in our
world is the result of a conscious act of design. In that sense,
you cannot divorce the issue of energy from architecture
and urban planning. But really architecture comes down to
buildings, and urban planning comes down to infrastructure.
Those two elements are normally considered separately, but
Masdar brings them together as its central thesis – and you
can only do that at the level of community planning. That is
what makes Masdar so critically important and progressive
in a global context. Another way of describing this process is
‘urbanisation’. If we look at what urbanisation really means,
The City of the Future Like many Middle-Eastern states, Abu Dhabi built its modern economy on oil production.
However, it has recognized that we must develop alternative energy models if we are to reduce the environmental
impact of our contemporary lifestyles. The Masdar Initiative was established in order to create a model for future
energy security within a wholly sustainable framework.
MASDAR
in an industrialised society, and look at energy consumption,
you find that transport represents some 35 per cent of the
total and buildings 44 per cent. There is a critical interac-
tion between the two in design terms. As we look at global
population and its redistribution, it is also important to note
that that process of urbanisation is changing rapidly. Today,
more people live in cities than in the whole history of civil-
isation and that pattern is accelerating. What took two hun-
dred years in Europe or North America is now taking twenty
years in countries such as China – acceleration by a factor of
ten. It was not that long ago, in 1939, that London was the
most populous city in the world, with a population of 8.6
million, but it has been overtaken by a number of megacities
around the world, with populations in excess of 15 million.
That raises several questions: what are the models for these
new cities; and how do we adapt existing communities to
accommodate rising populations?
47
A better world
First, as an optimist, I would say that to believe in a sustain-
able future is to trust that it will result in a better world. The
city of the future has to be a more attractive place in which
to live and work. If Masdar or any sustainable initiative does
not result in a great place to be, if it isn’t a city that you real-
ly want to live in or visit, if it does not lift the spirits, then it
is not fulfilling a central part of its function. Second, to be
sustainable, we have to build for the long term. Flexibility
is a key consideration. Masdar is being planned in 2008 and
will be finished in 2018, so it has to be able to respond to new
technologies that will have an impact on the way we live in
the next ten years and beyond – things which have yet to be
invented and that we can only dream about now.
It would be wrong, however, to focus wholly on technol-
ogy in this context. There is a very simple pyramid diagram
that says the biggest environmental gain really comes from
the least financial investment: it rests on primary decisions
about the city’s orientation and form. This is equally true of
the buildings that separately comprise the city. As you move
closer to the apex of the pyramid – to more active controls –
the environmental gains reduce. However, somewhere in the
middle through passive controls such as responsive shading,
the use of daylight and natural ventilation, you will find very
good value for money. Currently the smaller contributions for
the higher cost are coming from emerging systems such as
photovoltaics. That situation will change of course. In five or
ten years this diagram may very likely be described in differ-
ent terms. However, even if we could reach the point where
we could design a building that consumed zero energy, we
would still have a problem. This is because we also have to
look at transport. If you analyse that energy figure of 35 per
cent, you find that a large majority of it – some 26 per cent
of the energy total – is consumed by people commuting on a
daily basis. Add that to the 44 per cent figure for buildings
and you see that some 70 per cent of all the energy we use is
accounted for by the daily interaction between buildings and
transport systems. Obviously we have to look at this pattern
of consumption in an integrated way if we are to shrink that
figure. (There are complicating factors at play too: you can
have a beautifully designed car that operates on a thimble
full of petrol, but you can still be stuck in a traffic jam.)
Density
There is a crucial relationship in urban terms between energy
consumption and density. The lowest density cities, those
that sprawl, are huge per capita energy consumers. At the
other end of the scale, very high density cities have low levels
of energy consumption. Somewhere in the middle there is an
interesting balance – a city that is high density, economical
and civilised. That city has a mixture of uses; it is socially
diverse; people live and work in the same environment; it
is well served by public transport and the pedestrian experi-
ence is enjoyable. Such cities – Zurich, Geneva, Copenhagen –
become destinations or tourist attractions. In any quality-of-
life survey they come out on top. Interestingly, Hong Kong, one
of the highest density cities, has the greatest life expectancy
of any city. Monaco, which is very high density, also sustains
one of the most affluent communities in the world, even if a
significant proportion of its residences are second homes.
You could polarise it and say that there are traditional cit-
ies that have taken one thousand years to evolve and newer
cities that are perhaps less than one hundred years old –
roughly the same age as the car. What can we learn from
these models? If you take a new city like Detroit and compare
it with an old one like Copenhagen, you find that the old
is twice the density of the new, and the difference in fuel
consumption is a factor of ten. You also have to factor in the
quality of life in terms of downtown Detroit and downtown
Copenhagen.
Interestingly, if you look at densities you find that Monaco
has just over 16,000 people per square km; Hong Kong has
17,000. The most desirable areas of London – Mayfair, Chel-
sea, Knightsbridge – are of remarkably similar densities. Yet,
if one says that the answer is high density, people tend to
assume that they are going to have to make sacrifices, that it
is a poverty driven future scenario. That is why it is critical to
learn lessons from the past. Look at the most desirable areas
of London and you find that they are built to higher densities
than the poorer parts of the city and significantly higher than
typical modern developments. People that live there have
access to public transport; they can walk to a restaurant or
theatre; there are parks and generous public spaces. These
attributes have a value, which is reflected in property prices.
1 Visualisierung
Masdar
(Foster + Partners)
62 archithese 6.2009
Text: Hannes Mayer
Seit jeher überwältigt die Natur die Menschheit und zieht
sie in ihren Bann. Das Streben, ihre Phänomene verstehen
zu wollen, führte zur Entwicklung der Naturwissenschaften,
das Streben, dieses Wissen zu nützen und von Menschen-
hand auf die Welt zu übertragen, zur Technik. Die Technik
wurde das menschliche Imitat von Natur, jedoch kein auto-
Anzeichen einer «Physiologischen Architektur» Nachhaltigkeit wird als das Wirtschaften im Hinblick auf zukünftige Ge-
nerationen definiert. Der Begriff steht für die Akzeptanz der natürlichen Gesetze und damit für einen Wandel unseres Tech-
nikverständnisses als Gestalter des Fortschritts. Eine Betrachtung möglicher und erster Auswirkungen auf die Architektur.
NATÜRLICHE FASZINATIONEN
nomes, sondern ein im höchsten Masse von der Natur abhän-
giges; eine zumeist zweitklassige Verlängerung mit schlech-
tem Energie- und Kräftefluss. Über lange Zeit schien man
dennoch, geblendet durch den von der Natur geborgten und
in doppelter Hinsicht von ihr angetriebenen Erfindungsreich-
tum, die Technik der Natur als ebenbürtig, wenn nicht gar
als besser gegenüberzustellen. Vorhandene Abhängigkeiten
traten angesichts dieses Fortschritts in den Hintergrund, und
es galt die Welt entsprechend menschlicher Imitate umzuge-
stalten – man wähnte sich autonom. Dennoch ist die Mensch-
heit weit davon entfernt, die natürlichen Prozesse in ihrer
Komplexität und ihren Wirkungsebenen vollständig zu durch-
dringen, und es ist noch stets die Natur, welche das Handeln
des Menschen lenkt und seine Innovationskraft speist. In
diesem Sinne ist das Thema der Nachhaltigkeit weniger ein
Paradigmenwechsel als vielmehr eine neue Stufe von integ-
rierter Intelligenz, ein Fortschritt auf dem Weg, die Technik
als menschliches Imitat wahrlich natürlich zu machen.
Mit dem Nachdenken über das Wirtschaften für zukünf-
tige Generationen verliert das Autonomieprinzip seine Legi-
timität und die Natur wird der Technik wieder als Autorität
und Korrektiv übergestellt. Die damit einhergehenden Unter-
suchungen zur Rohstoffknappheit und der Klimaerwärmung
durch Emissionen verdeutlichen die Grenzen eines linear-
akkumulativen Denkens und des Ideals einer Unveränderlich-
keit auf Basis eines fiktiven autonomen Wirtschaftens.
In Reaktion auf die Auflösung genannter Prinzipien ge-
winnen Konzepte der Lebensdauer, Zersetzung, zu Verfall
und Spaltung sowie Mutation und Veränderung an Bedeu-
tung und untergraben die Relikte einer klassizistisch–mo-
dernen Weltvorstellung. Dessen Stelle nimmt ein Konzept
ein, welches bereits im frühen 19. Jahrhundert mit dem Auf-
kommen der Biologie als Wissenschaftsgebiet beschrieben
wurde: die Ökologie (ecology). Bereits im Jahr 1800 schrieb
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der Naturforscher Georges Cuvier hierzu: «tout être organisé
forme un ensemble, un système unique et clos, dont les par-
ties se correspondent mutuellement, et concourent a la même
action définitive par une réaction réciproque. Aucune des ces
parties ne peut changer sans que les autres changent aussi;
et par conséquent chacune d’elles, prise séparément, indique
et donne toutes les autres.»1 Noch heute gilt die Ökologie im
Kern als das Feld der Wissenschaft, welches die Strukturen
der Beziehungen zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen
zueinander und zur Umwelt untersucht. Grundlage ist also
ein dynamisches System poly-direktionaler Wechselwir-
kungen (Abhängigkeiten), das die statische, klassizistische
Idee einer linearen Verkettung (Konkatenation) ablöst. In der
Folge verlor im 19. Jahrhundert die reine Naturbeobachtung
an Bedeutung und man begann die Funktionsweise von Orga-
nismen zu studieren. Innere Prozesse wurden in Beziehung
zu den äusseren Wechselwirkungen im Lebensraum, dem
Habitat oder Milieu, gesetzt – gemäss dem romantischen Dik-
tum des Mikrokosmos, welcher den Makrokosmos reflektiert.
Mit den Ausweitungen der Analyse, angetrieben durch
die Wissensfortschritte in Chemie und Physik, wurden die in-
neren Gesetzmässigkeiten der Organismen zum Gegenstand
der Physiologie.
Von der Ökologie zum Oikos
In der Architektur tut man sich schwer mit dem Epheme-
ren und Veränderlichen. Die für die Natur kennzeichnenden
Kreisläufe, Wechselwirkungen und Umwandlungen sind
der Architektur weitgehend fremd. Im Bauen sind Zerset-
zung und Verrottung unerwünschte Erscheinungen, deren
Werk es mit Lacken und Pestiziden zu verhindern gilt. Die
Architektur der Romantik zelebrierte zwar die Ruine, doch
sie war als perfekt inszeniertes Ideal eines Stimmungsbildes
keineswegs dem Verfall bestimmt. Cedric Prices mittlerweile
abgerissenes Inter-Action Centre in Londons Kentish Town
von 1976, das als kleiner Bruder des Fun Palace von 1961 und
veränderliche Spielwiese die englische Tradition der Kyber-
netik abbildete, kommt dem Ephemeren und Transformati-
ven nahe. Doch eigentlich widerspricht zuviel gestalterische
Selbstverwaltung der Profession der Architektur.
Mit den Möglichkeiten des Computers und damit einher-
gehenden Steuerungsmechanismen eigneten sich die Archi-
tekten im ausgehenden 20. Jahrhundert jedoch ein Mittel an,
das Gestaltungshoheit über mutative Systeme versprach.
Gleichzeitig entstanden Schnittstellen mit den Natur- und
Ingenieurswissenschaften, denn Daten und digitale Modelle
waren plötzlich austauschbar. Simulationsprogramme für
Wind, Wasser, Kräfte und Strömungen, welche die Erkennt-
nisse der Naturwissenschaften zusammenfassen, bilden
überschaubare Erweiterungen zur herkömmlichen Zeichen-
software. Diese selbst verabschiedet sich langsam von ko-
ordinatenbasierten Systemen (Linie von x/y/z zu x/y/z) und
erlaubt namens- und relationsbasierte, also koordinatenun-
abhängige, dynamische Arbeitsweisen (Linie AB). Mathe-
matisch, physikalisch und geometrisch fassbare Phänomene
lassen sich auf diese Weise direkt in den Entwurf integrieren.
1 R&Sie(n), Things
which Necrose,
Louisiana Museum
of Modern Art,
Humlebæk,
Dänemark 2009
2 R&Sie(n), Things
which Necrose,
Stockholm 2010.
Visualisierung des
geplanten Pavillons
3 R&Sie(n), Things
which Necrose,
Louisiana Museum
of Modern Art,
Humlebæk,
Dänemark 2009 und
Stockholm 2010.
Zersetzungstest des
Biopolymers aus
Maisstärke
72 archithese 6.2009
Text: Friedrich von Borries
1. Die Rhetorik des Verzichts: Die Mitigationsblase
Fast immer, wenn es heute um Klimawandel geht, reden wir
über Einsparungen – im Fachdiskurs Mitigation bezeich-
net. Meistens sollen die CO2-Emissionen reduziert, manch-
mal auch Baumaterial eingespart, zumindest aber recycelt
werden. Aber wenn wir ehrlich sind, geht es nicht nur ums
Einsparen, sondern auch um etwas anderes: Geldverdienen.
Schliesslich ist nachhaltige Architektur ein Wachstumsmarkt,
und bei steigenden Energiepreisen kann natürlich durch Op-
timierung von Wärmeverbrauch auch Geld verdient werden.
2. Adaptation: Worüber zu wenig geredet wird
Doch ist Mitigation wirklich der Königsweg im Umgang mit
dem Klimawandel? Liest man die Zeitungen, wachsen die
Zweifel, ob in Kopenhagen tatsächlich ein tragfähiger Ent-
schluss über Klimaziele erreicht wird. Und selbst wenn – ob
im Kontext globaler ökonomischer Entwicklungen tatsächlich
die vielfach beschworenen zwei Grad maximale Erwärmung
bis zum Jahr 2050 eingehalten werden können, steht in den
Sternen. Nun könnte man sich den sogenannten Klimaskep-
tikern anschliessen und der Meinung sein, der Klimawandel
werde ohnehin überschätzt. Ist man aber etwas vorsichtiger,
stellt sich die Frage, was passiert, wenn die vorhergesehe-
nen Folgen des Klimawandels tatsächlich eintreten, und wie
man darauf reagieren muss. Denn dann reden wir nicht mehr
nur über Einsparung, sondern über Anpassung – für Archi-
tekten übrigens auch ein attraktiver Wachstumsmarkt.
Fünf Thesen zu Architektur und Klimawandel Wenn Einsparen nicht mehr hilft,
heisst es Anpassen. Anpassungsmassnahmen führen in letzter Konsequenz zu Kapselräumen,
in denen strikt zwischen drinnen und draussen getrennt wird. Ist der Preis für die Klima-
adaptation am Ende die Aufgabe der eigenen Freiheit?
KLIMAKAPSELN
Und auch wenn im öffentlichen Diskurs nur wenig über
Anpassung gesprochen wird – in Forschung und Politik wird
daran gearbeitet. In Deutschland möchte das Umweltminis-
terium bis 2011 einen «Aktionsplan Anpassung» entwickeln,
«um Risiken für die Bevölkerung, die natürlichen Lebens-
räume und die Volkswirtschaft vorzubeugen». Bereits 2006
wurde Kompass, das Kompetenzzentrum Klimawandel und
Anpassung eingerichtet. Ziel ist es, «rechtzeitig und aktiv
auf Klimaänderungen zu reagieren, die bereits nicht mehr
vermeidbar sind». Letztlich hat man in unserer Gesellschaft
mit Anpassungsmassnahmen mehr Erfahrungen als mit Ein-
sparungen. Jeder Deichbau ist nichts anderes als eine Anpas-
sungsmassnahme an eine klimatisch «feindliche» Umgebung.
Dementsprechend wird gerade in europäischen Küstenre-
gionen intensiv an adaptativen Strategien gearbeitet, da hier
die Gefahren des Klimawandels aufgrund von Überschwem-
mungen besonders präsent sind. So forscht beispielsweise
das Projekt Klimzug-Nord disziplinen- und institutsübergrei-
fend an Lösungsansätzen, mit denen künftig Folgen des Kli-
mawandels in der Metropolregion Hamburg begegnet wer-
den kann.
Auch in den USA wird über Adaptationsmassnahmen
nachgedacht; die US Environmental Protection Agency
schreibt: «Adaptation to environmental change is not a new
concept. Human societies have shown throughout history a
strong capacity for adapting to different climates and envi-
ronmental changes. For example, farmers, foresters, civil en-
gineers, and their supporting institutions have been forced
73
to adapt to numerous challenges to overcome adversity or
to remove important impediments to sustained productivity.
Examples of adaptation and coping strategies with current
climate fluctuations include farmers planting different crops
for different seasons, and wildlife migrating to more suitable
habitats as the seasons change.»
Dementsprechend werden auch in den USA Anpassungs-
strategien entwickelt. Sie reichen von (praktischen) Ideen
für eine bessere Gesundheitsversorgung bis hin zu Mass-
nahmen zur Sicherung wichtiger Infrastrukturen gegen Zer-
störung durch extreme Klimaereignisse, also Stürme, Über-
schwemmungen, Hitzewellen.
Da wir in einem wirtschaftlichen System leben, in dem
alle Handlungen in finanzielle Werte übersetzt werden, wird
hierbei auch der ökonomische Aspekt des Klimawandels
betrachtet: «For humans, adaptation is a risk-management
strategy that has costs and is not foolproof. The effective-
ness of any specific adaptation requires consideration of the
expected value of the avoided damages against the costs of
implementing the adaption strategy.»
3. Die Ökonomie des Klimawandels: Klimasegregation
Genau so, wie die Vermeidungsstrategien einer wirtschaft-
lichen Logik folgen – wir können weitermachen wie bisher,
nur etwas grüner – haben auch die Anpassungsstrategien
einen ökonomischen Hintergrund: Wir müssen aufpassen,
dass die Schäden nicht teurer sind als die vorauseilenden
Anpassungen. Eine entscheidende Frage bleibt dabei aber
ausgeklammert: Wer kann sich Anpassungsmassnahmen ei-
gentlich finanziell leisten?
Vermeidungsstrategien folgen einem globalen Ansatz.
Denn dem Klima ist es relativ egal, wo das CO2 eingespart
oder nicht eingespart wird. Deshalb sind Vermeidungsstra-
tegien abhängig von Vereinbarungen der Weltgemeinschaft.
1–3 Klimakapseln
in China
(Fotos: Flickr / Ar-chiv von Borries)
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