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Anredeformen im Deutschen

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Anredeformen im Deutschen Luisa Dewitz, Julian Fietkau Universität Hamburg 26. April 2010 Luisa Dewitz, Julian Fietkau Anredeformen im Deutschen 26.04.10 1 / 30
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Page 1: Anredeformen im Deutschen

Anredeformen im Deutschen

Luisa Dewitz, Julian Fietkau

Universität Hamburg

26. April 2010

Luisa Dewitz, Julian Fietkau Anredeformen im Deutschen 26.04.10 1 / 30

Page 2: Anredeformen im Deutschen

Organisatorisches vorweg

Diese Folien sind unter CC-BY-SA 3.0 freigegeben.Alle Illustrationen, soweit sie nicht von uns erstelltwurden, stammen aus dem OpenClipArt-Projekt.

Folien-Download und Feedback-Möglichkeit:http://www.julian-fietkau.de/

anredeformen_im_deutschen

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Page 3: Anredeformen im Deutschen

Video zum Einstieg

Joschka Fischer im Bundestag,1984

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Inhaltsverzeichnis

Übersicht

1 Entstehung und Entwicklung

2 Im Vergleich

3 Höflichkeit

4 Plenumsdiskussion

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Page 5: Anredeformen im Deutschen

Entstehung und Entwicklung

Übersicht

1 Entstehung und EntwicklungWiederholung: Deixis und PhorikVom Mittelalter bis in die ModerneProbleme und Entwicklungen

2 Im Vergleich

3 Höflichkeit

4 Plenumsdiskussion

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Entstehung und Entwicklung

LeittheseHöflichkeit ist die treibende Wesensgröße bei der historischen Entwicklungder deutschsprachigen Anredeformen.

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Entstehung und Entwicklung Wiederholung: Deixis und Phorik

Die deiktische Prozedur

Abbildung: Schematische Darstellung der deiktischen Prozedur, nach: [Hof07]

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Entstehung und Entwicklung Wiederholung: Deixis und Phorik

Zeigewörter-Kategorien

Personalpronomen sind deiktische:1. und 2. Person; ich, du, wir, ihrsowie gleichzeitig phorische Ausdrücke:3. Person; er/sie/es, sie

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Page 9: Anredeformen im Deutschen

Entstehung und Entwicklung Wiederholung: Deixis und Phorik

Das höfliche „Sie“

die Höflichkeitsform Sie ist ein paradeiktischer (abgeleitet-deiktischer)Ausdruckmittels Feldtranspostion ist sie vom „Feld des innersprachlichenBezugs“ – Phorik – in das „Feld des außersprachlichen Verweises“ –Deixis – gerücktSie stammt von der 3. Person Plural, steht jedoch für die 2. PersonSingular

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Page 10: Anredeformen im Deutschen

Entstehung und Entwicklung Vom Mittelalter bis in die Moderne

Vom Mittelalter bis in die Moderne

bis 9. Jh.: ausschließlich du9. bis 16. Jh.: du sowie ir16. Jh.: er / sie kommt hinzuEnde 17. Jh.: Sie ist zusätzlich konventionalisiert, Rangfolge derAnredeformen von hoch formal bis intim:

Titelabstrakta (Gnaden, Hoheit) gekoppelt mit anaphorischem sie oderdieselben, Sie, er / sie, Ihr, du

18. / 19. Jh.: Beginn der Reduktion auf du und Sie„Aus einem primär sozial markierenden System wuchs allmählich eineduale Beziehungsmarkierung heraus (. . . ).“ [BBRS00]

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Page 11: Anredeformen im Deutschen

Entstehung und Entwicklung Vom Mittelalter bis in die Moderne

Vom Mittelalter bis in die Moderne

Abbildung: Rekonstruktion der Anredeformen in ihrem historischen Wandel, nach:[Hof07]

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Page 12: Anredeformen im Deutschen

Entstehung und Entwicklung Vom Mittelalter bis in die Moderne

Vom Mittelalter bis in die Moderne

Seit den 1968ern Expansion des du, ausgehend von bundesweiterStudentenbewegung; ein neues Verständnis desAnredeformen-Systems entsteht

„Hier wird mit einiger Entrüstung ein Du eingefordert, ein solidarischesDu (. . . ). Das Du wird zum Erkennungszeichen.“ [BBRS00]

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Page 13: Anredeformen im Deutschen

Entstehung und Entwicklung Vom Mittelalter bis in die Moderne

Vom Mittelalter bis in die Moderne

Verwendung Anredeform richtet sich an: drückt aus: semantischeDimension

Standardanrede SIE1 prinzipiell alle Kom-munikationspartnermit Ausnahmeintimer Bekannter

Akzeptieren des Ge-genüber als mündi-ger Mitbürger undRollenträger

Formalität

differenzierendeAlternative

DU1 intime Bekannte undFreunde

in der Interaktion in-dividuell erworbeneIntimität mit demAngesprochenen Intimität

Tabelle: Die Anredepronomen Du und Sie, Möglichkeit 1, nach [BBRS00]

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Entstehung und Entwicklung Vom Mittelalter bis in die Moderne

Vom Mittelalter bis in die Moderne

Verwendung Anredeform richtet sich an: drückt aus: semantischeDimension

Standardanrede DU2 alle Mitglieder ei-ner Bezugsgruppe, inder Solidarität be-steht oder erwünschtist

Solidarität, Grup-penzugehörigkeit,Interessen- oderMeinungsüberein-stimmung

Solidarität

differenzierendeAlternative

SIE2 Inhaber höherersozialer Positionen,Mitglieder andererGruppen mit ande-ren Interessen oderAuffassungen

Distanz, Nicht-Solidarität, Kon-frontation mitgesellschaftlichbestimmter Rollen-struktur

soziale Di-stanz

Tabelle: Die Anredepronomen Du und Sie, Möglichkeit 2, nach [BBRS00]

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Page 15: Anredeformen im Deutschen

Entstehung und Entwicklung Probleme und Entwicklungen

Probleme und Entwicklungen

Problemfelder:

Kommunikation von Muttersprachlern (FT) mit unsicheren Sprechern:du als Komponente der Sprachvereinfachung seitens des FT bzw.unsicherer Umgang mit Anredeformen seitens desnichtmuttersprachlichen SprechersÜberschneidung zweier Verständnisse bzw. Konflikte bezüglich derExpansion des duWo ist heute die Altersgrenze zum Sie?

Entwicklung:

Im beruflichen Bereich geht der Trend vermehrt zum informellen(zwanglosen) Duzen – verbessertes ArbeitsklimaGesamtgesellschaftliche Entwicklung?

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Page 16: Anredeformen im Deutschen

Im Vergleich

Übersicht

1 Entstehung und Entwicklung

2 Im VergleichEinheitliche AnredeT/V-SystemMehr Differenziertheit„Deutsch – topologisch“

3 Höflichkeit

4 Plenumsdiskussion

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Page 17: Anredeformen im Deutschen

Im Vergleich Einheitliche Anrede

Einheitliche Anrede

Beispiel: Englisch

einziges Anredewort: you(historisch ist das thou verloren gegangen)scheinbare EinfachheitHöflichkeit, Distanz etc. wird durch andereHilfsmittel ausgedrückt, z.B. Sir/Madam

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Page 18: Anredeformen im Deutschen

Im Vergleich T/V-System

T/V-System

Beispiel: Französisch

zwei Anredemöglichkeiten: tu (2. Sg.) und vous (2. Pl.)tu ist direkt, vertraut, nahevous ist höflich, distanziertentspricht in etwa unserem „du/Sie“-SystemVariation in Ausdruck und Verwendung je nach Sprache und Region,z.B. starke Tendenz zum „Sie“zen im Französischen (etwa auch unterVerwandten), dagegen fast nur „du“zen im Schwedischen (auch in derArbeitswelt)

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Page 19: Anredeformen im Deutschen

Im Vergleich Mehr Differenziertheit

Mehr Differenziertheit

Beispiel: JapanischAnredeformen in Gestalt von vielen möglichen Namens-Suffixen

-chan: Diminutiv, verwendet für Kinder, Mädchen oder unter gutenFreunden-kun: normale Anrede unter männlichen Jugendlichen, meist mitVornamen verwendet-san: „neutrale“ Anrede unter Erwachsenen-sama: z.B. gegenüber Geschäftskunden, hochgestellten Personen oderGöttern verwendet-sensei : verwendet für Lehrer, Ärzte, Anwälte, Politiker. . .. . .

sehr komplexe Regeln und viele Möglichkeiten für Fremdsprachler,versehentlich unhöflich zu sein

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Im Vergleich „Deutsch – topologisch“

„Deutsch – topologisch“

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Page 21: Anredeformen im Deutschen

Höflichkeit

Übersicht

1 Entstehung und Entwicklung

2 Im Vergleich

3 HöflichkeitWas ist Höflichkeit?Wie „gelingt“ Höflichkeit?Benimmregeln und Tipps für den Alltag

4 Plenumsdiskussion

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Page 22: Anredeformen im Deutschen

Höflichkeit Was ist Höflichkeit?

Was ist Höflichkeit?

Definition [Glü93]„Ausdruck zur Qualifizierung sozialen – insbesondere auch sprachlichen –Handelns, bei der ein diesem Handeln zugrundegelegter Maßstab desEntgegenkommens in bezug auf die Bedürfnisse des/der anderenangewendet wird. (. . . )“

Definition Wikipedia„Die Höflichkeit ist eine Tugend, deren Folge eine rücksichtsvolleVerhaltensweise ist, die den Respekt vor dem Gegenüber zum Ausdruckbringen soll. Ihr Gegenteil ist die Grobheit.“

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Page 23: Anredeformen im Deutschen

Höflichkeit Was ist Höflichkeit?

Was ist Höflichkeit?

Die Höflichkeit im heutigen Sinne entstandim späten Mittelalter, aber ihre Wurzelngehen zurück bis in alttestamentarische ZeitHöflichkeit ist eine subjektive Qualitätsozialen HandelnsAn höflichen Handlungen sind immermehrere Akteure beteiligtDamit Höflichkeit funktioniert, müssen dieAkteure einen gewissen gemeinsamenStandard höflichen Handelns teilen

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Page 24: Anredeformen im Deutschen

Höflichkeit Wie „gelingt“ Höflichkeit?

Wie „gelingt“ Höflichkeit?

Nach dem Face-System[BL87] gibt es negative und positiveHöflichkeit

positive Höflichkeit: sprachliche/soziale Handlungen, die das Selbstbilddes Empfängers aktiv stärken, z.B. positive Bestätigung, Herausstellungvon Gemeinsamkeiten, Anerkennungnegative Höflichkeit: sprachliche/soziale Handlungen, die denEmpfänger von unangenehmen Konsequenzen abschirmen, seineAutonomie wahren und die Distanz nicht verletzen, z.B. Indirektheit inder Ansprache, Entschuldigungen oder Verzicht auf die Erfüllung vonAnsprüchen

wie sich anhand der Historie erkennen lässt, zählt hierzu das „Sie“

Fremdzwänge wurden über die Jahrhunderte zu Selbstzwängen –heute empfinden beide Kommunikationspartner höfliches Handeln alsangenehm

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Page 25: Anredeformen im Deutschen

Höflichkeit Benimmregeln und Tipps für den Alltag

Benimmregeln und Tipps für den Alltag

Geduzt werden (in Deutschland) in erster Linie Familienmitgliederund FreundeFremde Personen werden gesiezt, es sei denn es handelt sich umKinderIn bestimmten sozialen Umfeldern (z.B. unter Studenten, beimSportverein) wird i.d.R. generell geduzt„das Du anbieten“ darf normalerweise nur der ältere oder höhergestellte KommunikationspartnerWenn zwei Personen sich ein mal duzen, wird i.d.R. nie mehr zumSie zurückgekehrt - auch nicht, wenn man sich jahrelang nichtgesehen hat. Ausnahme: flüchtige Situationen wie BetriebsfeiernAchtung: Ein unerwünschtes du kann in Deutschland als Beleidigunggelten und strafrechtlich belangt werden!

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Zusammenfassung

Das Wichtigste auf einen BlickHöflichkeit, das Entgegenkommen auf die Bedürfnisse desGegenübers, bedingt formalisierte Versionen der AnredeDurch höfliche Anrede wird ein „indirektes Zeigen“ ermöglicht,das die Intimität des Hörers schützt„(. . . ) Indirektheit als Steigerungselement sozialer Distanz.“[BBRS00]Im Laufe der Zeit hat sich im Deutschen ein zweigliedrigesAnredesystem (du, 2. Sg.; Sie, historisch entwickelt aus der 3.Pl.) gebildetZur Zeit überschneiden sich zwei Verständnisse dieses Systems(Intimität – Formalität • Solidarität – soziale Distanz [Bay79])

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Page 27: Anredeformen im Deutschen

Plenumsdiskussion

Übersicht

1 Entstehung und Entwicklung

2 Im Vergleich

3 Höflichkeit

4 Plenumsdiskussion

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Page 28: Anredeformen im Deutschen

Plenumsdiskussion

Plenumsdiskussion

Wann wart ihr schon einmal unsicher im Bezug auf du/Sie?

Wäre eine einheitliche Anrede wie im Englischen besser? Oder würdeuns etwas verloren gehen?

Gibt es universelle Höflichkeitsstandards oder ist Höflichkeit reinkulturhistorisch bedingt?

Welche Unterschiede bemerkt ihr zu anderen Sprachen, die ihrsprecht?

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Page 29: Anredeformen im Deutschen

Ende

Ende

Danke für die Aufmerksamkeit!

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Literatur

Bayer, Klaus:Die Anredepronomina DU und SIE. Thesen zu einem semantischen Konflikt imHochschulbereich.In: Deutsche Sprache 7 (1979), S. 212–219

Kapitel Anredeformen des Deutschen im geschichtlichen Wandel.In:Besch, Werner ; Betten, Anne ; Reichmann, Oskar ; Sonderegger, Stefan:Sprachgeschichte: ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrerErforschung.Walter de Gruyter, 2000, S. 2599–2628

Brown, Penelope ; Levinson, Stephen C.:Politeness: some universals in language usage.Cambridge University Press, 1987

Kapitel Höflichkeit.In:Glück, Helmut:Metzler Lexikon Sprache.Metzler, 1993, S. 249

Kapitel Persondeixis, Objektdeixix (Kameyama, Shinichi).In:Hoffmann, Ludger:Handbuch der deutschen Wortarten.Walter de Gruyter, 2007, S. 577–600

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