+ All Categories
Home > Documents > Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus...

Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus...

Date post: 19-Oct-2020
Category:
Upload: others
View: 3 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
250
Analysis 1 WS 2014-2015 Michael Kaltenb ¨ ack
Transcript
Page 1: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Analysis 1

WS 2014-2015

Michael Kaltenback

Page 2: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren
Page 3: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Inhaltsverzeichnis

Vorwort iii

1 Mengen und Abbildungen 1

1.1 Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.2 Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.3 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2 Die reellen Zahlen 11

2.1 Algebraische Struktur der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.2 Ordnungsstruktur der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2.3 Die naturlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2.4 Der Ring der ganzen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

2.5 Eine alternative Konstruktion von Z* . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

2.6 Dividieren mit Rest* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

2.7 Der Korper Q . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

2.8 Archimedisch angeordnete Korper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

2.9 Das Vollstandigkeitsaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

2.10 Dedekindsche Schnitte* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

2.11 Die komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

2.12 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

3 Der Grenzwert 61

3.1 Metrische Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

3.2 Der Grenzwert in metrischen Raumen . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

3.3 Folgen reeller und komplexer Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

3.4 Monotone Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

3.5 Cauchy-Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

3.6 Konvergenz in weiteren metrischen Raumen . . . . . . . . . . . . . . 81

3.7 Konvergenz gegen unendlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

3.8 Konvergenz gegen ±∞ als metrische Konvergenz* . . . . . . . . . . . 86

3.9 Unendliche Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

3.10 Konvergenzkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

3.11 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

4 Die Konstruktion der reellen Zahlen 107

4.1 Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

4.2 Eindeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

i

Page 4: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

ii INHALTSVERZEICHNIS

5 Topologie metrischer Raume 115

5.1 ǫ-Kugeln, offene und abgeschlossene Mengen . . . . . . . . . . . . . 115

5.2 Kompaktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

5.3 Gerichtete Mengen und Netze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

5.4 Unbedingte Konvergenz und Umordnen von Reihen . . . . . . . . . . 132

5.5 Grenzwerte von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

5.6 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

6 Reelle und komplexe Funktionen 151

6.1 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

6.2 Der Zwischenwertsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

6.3 Gleichmaßige Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

6.4 Unstetigkeitsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

6.5 Monotone Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

6.6 Gleichmaßige Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

6.7 Reell- und komplexwertige Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . 175

6.8 Die Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

6.9 Fundamentalsatz der Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

6.10 Weitere wichtige elementare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 191

6.11 Abelscher Grenzwertsatz* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

6.12 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

7 Differentialrechnung 205

7.1 Begriff der Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

7.2 Mittelwertsatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

7.3 Motivation zum Taylorschen Lehrsatz* . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

7.4 Der Taylorsche Lehrsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

7.5 Stammfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

7.6 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

Literaturverzeichnis 239

Index 240

Page 5: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Vorwort

Mit diesem Skriptum, liebe Studenten, mochte ich zu einem reibungslosen Start in ihr

Mathematikstudium beitragen. Den in dieser Vorlesung auftretenden Begriffen, Kon-

zepten und Ergebnissen werden Sie im ganzen Studium immer wieder begegnen. So

Dinge wie Stetigkeit, Differenzierbarkeit und Konvergenz werden als selbstverstand-

lich vorausgesetzt werden.

Bei der Gestaltung dieses Skriptums habe ich versucht darauf zu achten, dass selbi-

ges nicht nur als Lernunterlage, sondern auch zum Nachschlagen in spateren Semestern

verwendet werden kann. Insbesondere findet sich ein ausfuhrlicher Index am Ende des

Skriptums.

Obwohl die erste Analysis Vorlesung inhaltlich nicht viel Spielraum fur den Vortra-

genden lasst, habe ich doch versucht, auf die Dinge besonderes Augenmerk zu legen,

die mir in meiner Arbeit als Mathematiker und im Hinblick auf zukunftige Vorlesun-

gen wichtig scheinen. Ich mochte aber auch betonen, dass das meine ganz personliche

Sicht der Materie ist. Es kann fur Sie daher nur von Nutzen sein, wenn sie auch in

andere Analysis Skripten bzw. Bucher schauen und daraus lernen, um einen großeren

Blickwinkel zu bekommen.

Das erste Kapitel ist als Einfuhrung in die mathematischen Grundlagen bewusst

kurz gehalten, da diese in der parallel gehaltenen Vorlesung Lineare Algebra 1 ohnehin

ausfuhrlicher behandelt werden, und somit allzu viele Doppelgleisigkeiten vermieden

werden.

Die mit * gekennzeichneten Abschnitte, Resultate bzw. Bemerkungen ist uber die

Vorlesung hinausfuhrendes Material, welches aber den Umfang der Vorlesung spren-

gen wurde.

Schließlich mochte ich den vielen Kolleginnen und Kollegen danken, die mich auf

Fehler in den vorherigen Versionen dieses Skriptums aufmerksam gemacht haben und

somit ein viel weniger holpriges Werk ermoglicht haben.

Bezuglich der noch versteckten Fehler mochte ich die Leser bitten, mir entdeckte

Druckfehler mit Seiten und Zeilenangabe per Email zu schicken:

[email protected]

Michael Kaltenback Wien, im September 2014

iii

Page 6: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

iv VORWORT

Page 7: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Kapitel 1

Mengen und Abbildungen

1.1 Mengen

Die Objekte der modernen Mathematik sind die Mengen. Obwohl die Logik einen

axiomatischen Zugang zur Mengenlehre bietet, wollen wir uns in dieser Vorlesung auf

den naiven Mengenbegriff stutzen. Interessierte Studenten seien auf die Vorlesungen

uber axiomatische Mengenlehre verwiesen.

1.1.1 Definition. Eine Menge ist eine Zusammenfassung von bestimmten, wohl un-

terschiedenen Objekten unserer Anschauung zu einem Ganzen. Die Objekte heißen

Elemente der Menge.

Ist x ein solches Element von M, so schreiben wir x ∈ M. Im Falle, dass x nicht

zu M gehort, schreiben wir x < M. Moglichkeiten Mengen darzustellen sind die

aufzahlende Schreibweise:

M = {a, b, c, d, e}, oder M = {1, 2, . . . }

und die beschreibende Schreibweise:

M = {x : x ist ungerade ganze Zahl}.

1.1.2 Definition. Sind A, B Mengen, so sagt man A ist gleich B (A = B), wenn sie die

selben Elemente enthalten. Man sagt A ist eine Teilmenge von B (A ⊆ B), falls jedes

Element von A auch ein Element von B ist. In diesem Fall bezeichnet man auch B als

Obermenge von A (B ⊇ A).

Will man zum Ausdruck bringen, dass dabei A mit B nicht ubereinstimmt, so

schreibt man A ( B.

Schreibweisen wie A , B, A ) B, o.a. sind dann selbsterklarend. Einer bestimmten

Menge werden wir oft begegnen, namlich der leeren Menge ∅, also der Menge, die

keine Elemente enthalt.

Man beachte zum Beispiel, dass die Menge {a, b, c} gleich der Menge {c, a, b, a} ist,

und dass z.B. die Menge {1, 3, 5, . . . } mit

{x : x ist ungerade naturliche Zahl}

ubereinstimmt.

1

Page 8: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2 KAPITEL 1. MENGEN UND ABBILDUNGEN

Hat man zwei oder mehrere Mengen, so kann man diese in verschiedener Weise

miteinander verknupfen.

1.1.3 Definition. Seien A und B zwei Mengen:

� Die Menge A ∪ B = {x : x ∈ A oder x ∈ B} heißt die Vereinigungsmenge von A

und B. Fur A ∪ B sagt man kurz auch A vereinigt B.

� Die Menge A ∩ B = {x : x ∈ A und x ∈ B} heißt die Schnittmenge von A und B.

Man sagt kurz auch A geschnitten B.

� Die Menge B \ A = {x : x ∈ B und x < A} ist die Differenz von B und A. Man

sagt kurz auch B ohne A.

� Betrachtet man Teilmengen A einer fixen Grundmenge M, so schreiben wir auch

Ac fur M \ A und nennen es das Komplement von A in M, kurz A Komplement.

� A × B := {(x, y) : x ∈ A, y ∈ B} das kartesische Produkt der Mengen A und B.

Das ist also die Menge, deren Elemente die geordneten Paare sind, deren erste

Komponente zu A und deren zweite Komponente zu B gehort1. Fur A×A schreibt

man auch A2.

Auch Durchschnitt und Vereinigung von mehr als zwei Mengen kann man analog

definieren. Ist Mi, i ∈ I, eine Familie von Mengen, welche mit der Indexmenge I durch

indiziert ist, so setzt man

i∈IMi := {x : x ∈ Mi fur alle i ∈ I},

i∈IMi := {x : es gibt ein i ∈ I mit x ∈ Mi}.

Das kartesische Produkt endlich vieler Mengen ist analog wie jenes fur zwei Mengen

erklart. Zum Beispiel ist

A × B ×C := {(x, y, z) : x ∈ A, y ∈ B, z ∈ C}.

Fur A × A × A schreibt man A3, u.s.w.

1.1.4 Beispiel.

Einfache Beispiele fur Durchschnitts- bzw. Vereinigungsbildung waren:

{1, 2, 3} ∩ {−1, 0, 1} = {1}, {a, b, 7} ∩ {3, 4, x} = ∅,

{2, 3, 4, 5} ∪ {4, 5, 6, 7} = {2, 3, 4, 5, 6, 7}, {a, b, c} ∪ ∅ = {a, b, c}.

Ist M2 = {x ∈ Z : es gibt ein y ∈ Z, sodass x = 2y}, so ware Z \ M2 gerade die

Menge der ungeraden ganzen Zahlen. Hier und im Folgenden bezeichnet Z die

Menge aller ganzen Zahlen.

Weiters ist

{1, 2, 3, 4} \ {4, 5, 6, 7} = {1, 2, 3}, {a, b, c} \ ∅ = {a, b, c}.1Anm.: Ist x , y, so ist (x, y) , (y, x).

Page 9: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

1.1. MENGEN 3

Bezeichnet man mit N die Menge der naturlichen Zahlen, dh. N = {1, 2, 3, . . . },und mit 2N die Menge der geraden naturlichen Zahlen, so ist das kartesische

Produkt N × 2N die Menge

N × 2N = {(1, 2), (1, 4), . . . , (2, 2), (2, 4), . . . , (3, 2), (3, 4), . . .}.

1.1.5 Definition. Ist M eine Menge, so bezeichnet man mit P(M) die Menge aller

Teilmengen von M,

P(M) = {A : A ⊆ M}.

Diese Menge heißt die Potenzmenge von M. Sie ist also die Menge, deren Elemente

alle Teilmengen von M sind.

1.1.6 Beispiel. Ist M = {1, 2, 3}, dann ist die Potenzmenge P(M) gleich

P(M) = {∅, {1}, {2}, {3}, {1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, {1, 2, 3}}.

Die Potenzmenge der Menge N ist schon viel zu groß, um sie noch in irgendeiner

aufzahlenden Weise anschreiben zu konnen. Sie enthalt ja neben Mengen des Typs

{1, 2, 3}, {4, 6, 7, 8, 1004}usw. auch noch unendliche Mengen wie zum Beispiel 2N oder

{n ∈ N : n ≥ 27} und viele mehr.

1.1.7 Bemerkung. Fur das Verknupfen von Mengen gelten diverse Rechenregeln. Es

gilt zum Beispiel das Distributivgesetz fur drei Mengen A, B,C:

A ∩ (B ∪C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C), (1.1)

A ∪ (B ∩C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C).

Um z.B. (1.1) nachzuweisen beachte man, dass zwei Mengen ubereinstimmen, wenn

ein beliebiges Element x genau dann in der einen Menge ist, wenn es auch in der

anderen Menge ist:

Ein x liegt in A ∩ (B∪ C)

genau dann, wenn

x ∈ A und x ∈ B ∪ C.

Das ist gleichbedeutend mit:

x ∈ A, und x liegt zumindest in einer der Mengen B bzw. C.

Diese Aussage ist aber aquivalent zu:

Zumindest eine der Aussagen - x ∈ A und x ∈ B - oder - x ∈ A und x ∈ C - trifft zu.

Nun ist das dasselbe, wie:

x ∈ A ∩ B oder x ∈ A ∩ C.

Schließlich gilt das genau dann, wenn

x ∈ (A ∩ B) ∪ (A ∩ C).

Den an einem kleinen Abriss des axiomatischen Zugangs zur Mengenlehre interes-

sierten Leser mochte ich hier an die Vorlesung Lineare Algebra verweisen.

Page 10: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

4 KAPITEL 1. MENGEN UND ABBILDUNGEN

1.2 Funktionen

1.2.1 Definition. Seien M und N Mengen. Eine Teilmenge f ⊆ M × N wird als Funk-

tion (oder auch als Abbildung) von M nach N bezeichnet, wenn

(i) fur alle x ∈ M gibt es ein y ∈ N : (x, y) ∈ f ;

(ii) sind (x, y1) ∈ f und (x, y2) ∈ f , so folgt y1 = y2.

Die Menge M wird als Definitionsmenge und die Menge N als Zielmenge bzw. Werte-

vorrat bezeichnet.

Die Bedingung (i) besagt, dass jedem x (mindestens) ein Funktionswert y zugeord-

net wird, man sagt auch f ist uberall definiert.

Die Bedingung (ii) besagt, dass einem x hochstens ein Funktionswert zugeordnet

wird. Man sagt auch f ist wohldefiniert.

Eine Funktion von M nach N lasst sich also als eine Vorschrift auffassen, durch die

jedem Element x aus der Menge M in eindeutiger Weise ein Element y aus der Menge

N zugeordnet wird. Man schreibt y = f (x) und bezeichnet y als den Funktionswert von

f an der Stelle x.

Offenbar stimmen zwei Funktionen f und g von M nach N uberein, also f = g,

genau dann, wenn f (x) = g(x) fur alle x ∈ M.

Sieht man eine Funktion eher als Abbildungsvorschrift, dann unterscheidet man

– obwohl mathematisch das Gleiche – die Funktion als Abbildungsvorschrift und die

Funktion als Teilmenge von M × N, und man bezeichnet diese Teilmenge von M × N

auch als Graph graph f von f .

1.2.2 Beispiel. Sei M die Menge aller Worter in einem Worterbuch. N = {1, 2, . . . } sei

die Menge der naturlichen Zahlen. Sei nun f jene Funktion auf M, die jedem Wort die

Anzahl seiner Buchstaben zuweist, d.h.

f (’gehen’) = 5.

1.2.3 Beispiel. Wir haben im Abschnitt uber Familien von Mengen Mi, i ∈ I, gespro-

chen, ohne genau zu sagen, was das bedeutet. Das ist namlich die Funktion i 7→ Mi von

der Indexmenge I in die Potenzmenge P(M), wobei M eine hinreichend große Menge

ist, die alle Mengen Mi enthalt, z.B. M = ∪i∈I Mi.

Als Abbildungsvorschrift gibt man eine Funktion f von M nach N auch oft an als

f :

{M → N

x 7→ f (x).

Eine wichtige Funktion soll nun derart angegeben werden.

1.2.4 Definition. Ist M eine Menge, so heißt die Abbildung

idM :

{M → M

x 7→ x

die identische Abbildung auf der Menge M. Daher idM : M → M mit idM(x) = x.

Page 11: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

1.2. FUNKTIONEN 5

1.2.5 Definition. Sei f eine Funktion von M nach N und sei A ⊆ M. Die Funktion, die

jedem x ∈ A den Funktionswert f (x) zuweist, heißt Einschrankung von f auf A und

wird mit f |A bezeichnet. Also

f |A = {(x, y) ∈ f : x ∈ A}.

Ist umgekehrt g eine Funktion von A nach N und M ⊇ A, so heißt eine Funktion

f : M → N Fortsetzung von g, falls g = f |A.

1.2.6 Definition. Sei f eine Funktion von M nach N.

� Fur eine Teilmenge A von M bezeichne

f (A) = {y ∈ N : es gibt ein x ∈ A, sodass f (x) = y},

das Bild der Menge A unter der Abbildung f .

� Fur f (M) schreibt man auch ran f (vom englischen Wort range). Diese Menge

wird als Wertebereich bzw. Bildmenge von f bezeichnet.

� Das vollstandige Urbild einer Teilmenge B von N ist die Menge

f −1(B) = {x ∈ M : f (x) ∈ B}.

Fur y ∈ N wird jedes x ∈ f −1({y}) als ein Urbild von y bezeichnet.

1.2.7 Bemerkung. Ist f : M → N eine Funktion, so muss die Zielmenge N im All-

gemeinen nicht mit der Bildmenge f (M) ubereinstimmen. Ist insbesondere B ⊆ N mit

f (M) ⊆ B, so kann man f auch als Funktion von M nach B betrachten.

1.2.8 Beispiel. Betrachte zum Beispiel die Funktion n 7→ 2n von N in N. Naturlich

kann man auch n 7→ 2n als Funktion von N in die Menge aller geraden naturlichen

Zahlen betrachten.

1.2.9 Bemerkung. In manchen Zusammenhangen betrachtet man auch Funktionen, die

nicht uberall definiert sind. Das sind Teilmengen von f ⊆ M × N, die nur die Eigen-

schaft (ii) aus Definition 1.2.1 haben, d.h. dass es zu jedem Wert x ∈ M hochstens

einen – also keinen oder genau einen – Funktionswert y ∈ N gibt.

Eine interessante Menge ist dann offenbar der Definitionsbereich dom f (vom eng-

lischen Wort domain) der Funktion f :

dom f = {x ∈ M : es gibt ein y ∈ N, sodass (x, y) ∈ f }.

Betrachte zum Beispiel

f := {(x, y) ∈ N2 : x = 2y}. (1.2)

Offenbar ist dieses f eine nur auf der Menge der geraden Zahlen definierte Funktion.

Folgende Begriffsbildung ist auf den ersten Blick nicht allzu kompliziert. Sie spielt

aber in der Mathematik eine immens wichtige Rolle.

1.2.10 Definition. Sei f : M → N eine Funktion. f heißt

Page 12: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6 KAPITEL 1. MENGEN UND ABBILDUNGEN

� injektiv, wenn gilt

f (x1) = f (x2) ⇒ x1 = x2,

d.h. zu jedem Wert y ∈ N gibt es hochstens ein Urbild. Aquivalent dazu ist, dass

aus x1 , x2 folgt, dass f (x1) , f (x2).

� surjektiv, wenn es zu jedem y ∈ N ein x ∈ M gibt, sodass f (x) = y, oder aquiva-

lent ran f = N.

� bijektiv, wenn sie sowohl injektiv als auch surjektiv ist.

1.2.11 Bemerkung. Man beachte, dass die Eigenschaft surjektiv, und somit auch bijek-

tiv, zu sein, ganz wesentlich von der betrachteten Zielmenge der Funktion f abhangt.

Denn ist etwa f : M → N eine beliebige Funktion, und betrachtet man f als

Funktion von M nach f (M) und nicht nach N, so ist f : M → f (M) immer surjektiv.

Vergleiche auch Bemerkung 1.2.7.

1.2.12 Beispiel. Folgende drei Beispiele zeigen insbesondere, dass keine der beiden

Eigenschaften injektiv und surjektiv zu sein, die jeweils andere impliziert.

Sei A die Menge aller in Osterreich amtlich registrierten Staatsburger, und sei f

jene Funktion, die einer Person aus A ihre Sozialversicherungsnummer zuordnet.

Dann ist f : A → N keine surjektive (es gibt ja nur endlich viele Osterreicher),

aber sehr wohl eine injektive Funktion, da zwei verschiedene Personen auch zwei

verschiedene Sozialversicherungsnummern haben.

Die Funktion g : A → N, die jeder Person ihre Korpergroße in Zentimeter (ge-

rundet) zuordnet, ist weder injektiv noch surjektiv.

Sei h : N → N die Funktion, die einer Zahl (dargestellt im Dezimalsystem) ihre

Ziffernsumme zuordnet. Diese Funktion ist nicht injektiv (h(11) = 2 = h(2)),

aber sie ist surjektiv, denn ist n ∈ N, so gilt sicherlich

h(11 . . .1︸ ︷︷ ︸n Stellen

) = n.

1.2.13 Lemma. Sei f eine Funktion von M nach N. Ist f bijektiv, so ist

f −1 = {(y, x) ∈ N × M : (x, y) ∈ f }

eine bijektive Funktion von N nach M.

Beweis. Ist y ∈ N, dann existiert ein x ∈ M mit y = f (x), da f surjektiv ist. Also ist

die Forderung (i) von Definition 1.2.1 fur f −1 erfullt. Um auch (ii) nachzuprufen, sei

(y, x1), (y, x2) ∈ f −1. Dann sind (x1, y), (x2, y) ∈ f und wegen der Injektivitat von f

folgt x1 = x2.

1.2.14 Bemerkung. Man sieht am obigen Beweis, dass die Inverse f −1 einer injektiven

Funktion f eine nicht notwendig uberall definierte Funktion ist, vgl. Bemerkung 1.2.9.

Ihr Definitionsbereich ist gerade ran f . Ist dagegen f nicht injektiv, so ist f −1 nicht

einmal mehr eine nicht uberall definierte Funktion.

Page 13: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

1.2. FUNKTIONEN 7

Durch unmittelbares Nachprufen der Definition sieht man, dass die Zusammenset-

zung von Funktionen wieder eine Funktion ist.

1.2.15 Definition. Seien f : M → N und g : N → P Funktionen. Dann bezeichne g◦ f

jene Funktion von M nach P, die durch

(g ◦ f )(x) = g( f (x)), x ∈ M,

definiert ist. Man bezeichnet g ◦ f oft auch als die zusammengesetzte Funktion oder als

die Hintereinanderausfuhrung von f und g.

Ist f eine Abbildung von M nach N, so gilt immer f = f ◦ idM = idN ◦ f .

Die Hintereinanderausfuhrung ist assoziativ: Sind f : M → N, g : N → P und

h : P→ Q Funktionen so gilt (x ∈ M)

((h ◦ g) ◦ f )(x) = (h ◦ g)( f (x)) = h(g( f (x))) =

h((g ◦ f )(x)) = (h ◦ (g ◦ f ))(x).

Also gilt (h ◦ g) ◦ f = h ◦ (g ◦ f ). Als Konsequenz schreiben wir auch h ◦ g ◦ f dafur.

1.2.16 Bemerkung (*). Man kann g ◦ f auch als

{(x, z) : ∃y ∈ N, (x, y) ∈ f , (y, z) ∈ g} (1.3)

schreiben.

Fur Mengen M,N, P und beliebige Teilmengen f ⊆ M × N, g ⊆ N × P – also f

und g sind nicht notwendigerweise Funktionen; man spricht von Relationen zwischen

M und N bzw. zwischen N und P – kann man vermoge (1.3) auch g◦ f definieren. Man

spricht vom Relationenprodukt von f und g.

1.2.17 Bemerkung. Sind f und g nicht mehr uberall definiert, so muss man bei der

Komposition darauf achten, dass die Definitionsbereiche so zusammenpassen, dass der

Bildbereich von f im Definitionsbereich von g enthalten ist.

1.2.18 Satz. Sei f : M → N eine Funktion.

� Ist f : M → N bijektiv, so gilt f −1 ◦ f = idM, f ◦ f −1 = idN .

� Ist umgekehrt g : N → M eine Funktion mit

g ◦ f = idM , f ◦ g = idN , (1.4)

so ist f bijektiv und es gilt g = f −1.

� Fur bijektives f ist f −1 auch bijektiv, wobei ( f −1)−1 = f .

� Sind f : M → N und h : N → P bijektiv, so gilt

(h ◦ f )−1 = f −1 ◦ h−1.

Page 14: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

8 KAPITEL 1. MENGEN UND ABBILDUNGEN

Beweis. Sei zunachst f bijektiv. Offenbar gilt

( f −1 ◦ f )(x) = x, x ∈ M ,

und

( f ◦ f −1)(y) = y, y ∈ N ,

wodurch f −1 ◦ f = idM , f ◦ f −1 = idN .

Sei nun die Existenz einer Funktion g vorausgesetzt, die (1.4) erfullt. Zu y ∈ N ist

x = g(y) ein Element aus M, welches f (x) = f (g(y)) = idN(y) = y erfullt. Also ist f

surjektiv. Aus f (x1) = f (x2) folgt

x1 = g( f (x1)) = g( f (x2)) = x2 ,

womit sich f als injektiv herausstellt. Also ist f bijektiv und hat damit eine Inverse, fur

die

g = idM ◦g = ( f −1 ◦ f ) ◦ g = f −1 ◦ ( f ◦ g) = f −1 ◦ idN = f −1

gilt.

Fur bijektives f gilt f −1 ◦ f = idM , f ◦ f −1 = idN . Somit kann man das eben

gezeigte auf f −1 : N → M anwenden, um die Bijektivitat von f −1 zu folgern. Dabei

gilt ( f −1)−1 = f .

Seien nun f : M → N und h : N → P bijektiv. Die Funktion e := f −1 ◦ h−1 erfullt

wegen der Assoziativitat der Hintereinanderausfuhrung

e ◦ (h ◦ f ) = f −1 ◦ (h−1 ◦ h) ◦ f = f −1 ◦ idN ◦ f = f −1 ◦ f = idM ,

sowie

(h ◦ f ) ◦ e = h ◦ ( f ◦ f −1) ◦ h−1 = h ◦ idN ◦h−1 = h ◦ h−1 = idP .

Nach dem ersten Teil des Satzes gilt e = (h ◦ f )−1.

1.3 Ubungsbeispiele

1.1 Seien A, B,C ⊆ M Mengen.

(i) Berechnen Sie A ∪ ∅, (A ∪ B)c ∪ (A \ B), ∅c, A × ∅.(ii) Zeigen Sie, dass A ⊆ B genau dann, wenn A ∩ B = A.

(iii) Was folgt aus A \ B = A ∪ B fur die Menge B?

(iv) Zeigen Sie, dass A ⊇ B genau dann, wenn A ∩ B = B.

1.2 Seien Xi, i ∈ I und Yi, i ∈ I Familien von Mengen.

(i) Zeigen Sie die de Morganschen Regeln

(⋃

i∈IXi

)c

=⋂

i∈IXc

i ,

(⋂

i∈IXi

)c

=⋃

i∈IXc

i .

(ii) Beweisen Sie (⋃

i∈I(Xi ∪ Yi)

)c

=

(⋂

i∈IXc

i

)∩

(⋂

i∈IYc

i

),

sowie (⋃

i∈IXi

)∩

(⋃

i∈IYi

)=

(i, j)∈I×I

(Xi ∩ Y j).

Page 15: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

1.3. UBUNGSBEISPIELE 9

1.3 Sei M eine Menge und sei A ⊆ P(M). Ausgehend von A konstruieren wir eine weitere

Menge B ⊆ P(M) von Teilmengen B von M, und zwar als die Menge aller moglichen

Vereinigungen von Mengen aus A, dh. die Menge aller B ⊆ M, sodass es eine Familie

(Ai)i∈I gibt mit Ai ∈ A, i ∈ I und B = ∪i∈I Ai. Man weise nach, dass ∪i∈I Bi ∈ B, wenn (Bi)i∈Ieine Familie von Mengen aus B ist.

1.4 (i) Man betrachte die Funktion f1 : X → Y als Teilmenge von X × Y . Ist f2 eine weitere

Funktion von X nach Y , sodass f1 ⊆ f2 als Teilmengen von X × Y , so zeige man, dass

f1 = f2.

(ii) Weiters sei X = {a, b, c}. Sei f : P(X) → P(X) eine Funktion, wobei f (A) = A ∪ {a}.Stellen Sie diese Funktion als Teilmenge von P(X)×P(X), also als Menge von Paaren

dar.

1.5 Sei N = {1, 2, 3, . . . } die Menge der naturlichen Zahlen, Z die Menge der ganzen Zahlen und

Q die Menge der rationalen Zahlen.

Mit den aus der Schule bekannten Eigenschaften betrachte man f : Z×N→ Q, (p, n) 7→ p

n.

Ist diese Funktion injektiv, surjektiv, bijektiv? Falls sie nicht bijektiv ist: Wie kann man den

Definitionsbereich einschranken, sodass man eine bijektive Funktion erhalt?

1.6 Seien f : X → Y und g : Y → Z Funktionen. Zeigen Sie:

(i) Sind f und g beide injektiv (surjektiv), so ist auch g ◦ f injektiv (surjektiv).

(ii) Ist g ◦ f bijektiv, so muss f injektiv und g surjektiv sein.

1.7 Sei f : X → Y eine Funktion und seien C,D ⊆ Y . Beweisen Sie:

(i) f −1(C ∩ D) = f −1(C) ∩ f −1(D) .

(ii) f −1(C ∪ D) = f −1(C) ∪ f −1(D).

(iii) Gilt C ⊆ D ⊆ Y , so folgt f −1(C) ⊆ f −1(D).

1.8 Sei f : X → Y eine Funktion und seien A, B ⊆ X. Zeigen Sie:

(i) f (A ∪ B) = f (A) ∪ f (B).

(ii) Gilt A ⊆ B ⊆ X, so folgt f (A) ⊆ f (B).

Gilt auch f (A ∩ B) = f (A) ∩ f (B)? Wenn nicht, dann gebe man ein Gegenbeispiel an.

1.9 Sei f : X → Y eine Funktion. Zeigen Sie, dass folgende Aussagen aquivalent sind.

(i) f ist injektiv.

(ii) f −1( f (A)) = A fur alle A ⊆ X.

(iii) f (A ∩ B) = f (A) ∩ f (B) fur alle A, B ⊆ X.

1.10 Sei M = {1, 2, . . . , 10}, N = {2, . . . , 9} und f : N → M, n 7→ n + 1. Wie viele Fortsetzungen

von f zu einer Funktion g : M → M gibt es? Weiters gebe man alle Fortsetzungen von f zu

einer Funktion g : M → M an, sodass g surjektiv ist.

1.11 Geben Sie eine Funktion an, die N bijektiv auf N × N abbildet.

Page 16: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

10 KAPITEL 1. MENGEN UND ABBILDUNGEN

Page 17: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Kapitel 2

Die reellen Zahlen

Die reellen Zahlen sind uns anschaulich schon aus der Schule bekannt. Wir wollen im

Folgenden die charakteristischen Eigenschaften der reellen Zahlen sammeln, von de-

nen wir dann sehen werden, dass diese die reellen Zahlen (bis auf isomorphe Kopien)

eindeutig bestimmen. Dass es die reellen Zahlen (also eine Menge mit den charakteris-

tischen Eigenschaften) unter der Annahme der Gultigkeit der Mengenlehre uberhaupt

gibt, werden wir spater sehen.

2.1 Algebraische Struktur der reellen Zahlen

Zuerst wollen wir uns den Operationen + und ·, also der algebraischen Struktur, zu-

wenden. Die reellen Zahlen mit diesen Operationen sind ein so genannter Korper:

2.1.1 Definition. Sei K eine nichtleere Menge, und es seien Abbildungen (sogenannte

Verknupfungen)

+ : K × K → K (Addition)

und

· : K × K → K (Multiplikation)

gegeben. Das Tripel 〈K,+, ·〉 heißt Korper, falls es zwei ausgezeichnete Elemente 0, 1 ∈K gibt, sodass folgende Gesetze (Axiome) gelten. Wir schreiben dabei x + y fur +(x, y)

und x · y fur ·(x, y).

(a1) Die Addition ist assoziativ:

(x + y) + z = x + (y + z), fur alle x, y, z ∈ K.

(a2) 0 ist ein neutrales Element bezuglich +:

x + 0 = x, fur alle x ∈ K.

(a3) Jedes Element x ∈ K besitzt ein Inverses −x ∈ K bezuglich +:

x + (−x) = 0, fur alle x ∈ K.

(a4) Die Addition ist kommutativ:

x + y = y + x, fur alle x, y ∈ K.

11

Page 18: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

12 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

(m1) Die Multiplikation ist assoziativ:

(x · y) · z = x · (y · z), fur alle x, y, z ∈ K.

(m2) 1 ist ein neutrales Element von K \ {0} bezuglich ·:

x · 1 = x, fur alle x ∈ K \ {0}.

(m3) Jedes von 0 verschiedene Element x besitzt ein Inverses bezuglich ·:

x · x−1 = 1, fur alle x ∈ K \ {0}.

(m4) Die Multiplikation ist kommutativ:

x · y = y · x, fur alle x, y ∈ K.

(d) Es gilt das Distributivgesetz:

x · (y + z) = (x · y) + (x · z), fur alle x, y, z ∈ K .

2.1.2 Bemerkung. Da 〈K,+〉 und 〈K \ {0}, ·〉 Gruppen sind, folgt, dass die jeweiligen

neutralen Elemente 0 bzw. 1 eindeutig bestimmt sind1. Ware namlich etwa 0 ein weiters

neutrales Element bezuglich +, so folgte aus (a2) und (a4), dass

0 = 0 + 0 = 0 .

Dasselbe gilt fur die Inversen −a und a−1. Ware etwa a ein weiteres additiv Inverses zu

a, also a + a = 0, so folgte

a = a + (a + (−a))︸ ︷︷ ︸=0

= (a + a)︸ ︷︷ ︸=0

+(−a) = 0 + (−a) = −a .

Somit ist x 7→ −x eine – wie aus unten stehenden Rechenregeln folgt – bijektive Funk-

tion von K auf sich selbst und x 7→ x−1 eine bijektive Funktion von K \ {0} auf sich

selbst. Siehe dazu die Lineare-Algebra Vorlesung.

2.1.3 Beispiel. Man betrachte die Menge K = {≬,⋔}. Die Verknupfungen+ und · seien

gemaß folgender Verknupfungstafeln definiert:

+ ≬ ⋔

≬ ≬ ⋔

⋔ ⋔ ≬

· ≬ ⋔

≬ ≬ ≬

⋔ ≬ ⋔

Man erkennt unschwer, dass alle Anforderungen an einen Korper, d.h. Axiome

(a1) − (a4), (m1) − (m4), (d), erfullt sind, wobei ≬ des neutrale 0 Element bezuglich +

und ⋔ des neutrale Element 1 bezuglich · ist.

Es sei noch bemerkt, dass jeder Korper mindestens zwei Elemente hat, und somit

der hier vorgestellte Korper kleinstmoglich ist.

1Die ausgezeichneten Elemente 0 und 1 sind zunachst von den gleich bezeichneten, bekannten ganzen

Zahlen zu unterscheiden. Sie haben lediglich ahnliche Eigenschaften. Um zu betonen, dass es sich um das

additiv bzw. multiplikativ neutrale Element von K handelt, schreibt man auch 0K bzw. 1K .

Page 19: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.2. ORDNUNGSSTRUKTUR DER REELLEN ZAHLEN 13

Wir werden xy fur x · y und, falls y , 0, fur xy−1 oft xy

schreiben. Um Klammern zu

sparen, wollen wir auch ubereinkommen, dass Punkt- vor Strichrechnung kommt, also

zB. xy + xz = (xy) + (xz). Schließlich werden wir fur x + (−y) bzw. (−x)+ y auch x − y

bzw. −x + y schreiben.

2.1.4 Lemma. Fur einen Korper 〈K,+, ·〉 gelten folgende Rechenregeln:

(i) Die Inverse von der Inversen ist die Zahl selbst:

−(−x) = x, x ∈ K und (x−1)−1 = x, x ∈ K \ {0}.

(ii) −(x + y) = (−x) + (−y), x, y ∈ K.

(iii) x · 0 = 0, x, y , 0 ⇒ x · y , 0 und (xy)−1 = x−1y−1, sowie (−x)−1 = −(x−1).

Insbesondere (−1)(−1) = 1.

(iv) x(−y) = −xy, (−x)(−y) = xy, x(y − z) = xy − xz.

(v) ab

cd= ac

bd.

Beweis. Exemplarisch wollen wir x · 0 = 0 und −(x + y) = (−x) + (−y) nachweisen.

Wegen (a2) gilt 0 + 0 = 0 und mit (d) damit auch x · 0 = x · (0 + 0) = x · 0 + x · 0.

Addieren wir das nach (a3) existierende additiv Inverse von x ·0, so folgt mit Hilfe von

(a1), dass

0 = x · 0+ (−x · 0) = (x · 0+ x · 0)+ (−x · 0) = x · 0+ (x · 0+ (−x · 0)) = x · 0+ 0 = x · 0

Wegen dem Kommutativgesetz und Assoziativgesetz gilt

(x + y) + ((−x) + (−y)) = ((x + y) + (−x)) + (−y) = ((y + x) + (−x)) + (−y) =

(y + (x + (−x))) + (−y) = ((y + 0) + (−y)) = y + (−y) = 0 .

Also ist (−x) + (−y) eine additiv Inverse von x + y. Wegen Bemerkung 2.1.2 ist diese

additiv Inverse aber eindeutig. Also (−x) + (−y) = −(x + y).

Schließlich wollen wir noch einige Schreibweisen festlegen: Ist A Teilmenge unse-

res Korpers K, so sei

−A = {−a : a ∈ A} .

Also ist −A das Bild von A unter der Abbildung − : K → K.

Sind A, B ⊆ K, so sei

A + B = {a + b : a ∈ A, b ∈ B} .

Somit ist A + B das Bild von A × B (⊆ K × K) unter der Abbildung + : K × K → K.

Entsprechend seien A−1, A − B, etc. definiert.

2.2 Ordnungsstruktur der reellen Zahlen

Eine weitere wichtige Eigenschaft der reellen Zahlen ist die, dass man je zwei Zahlen

x und y der Große nach vergleichen kann. Dabei ist bekannterweise x < y genau dann,

wenn y− x eine positive reelle Zahl ist. Um diesen Sachverhalt mathematisch zu fassen,

definieren wir

Page 20: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

14 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

2.2.1 Definition. Sei 〈K,+, ·〉 ein Korper und sei P ⊆ K. Dann heißt K (streng genom-

men 〈K,+, ·, P〉) ein angeordneter Korper, wenn gilt, dass

(p1) K = P∪{0}∪(−P),2 wobei P,−P disjunkt3, und beide 0 nicht enthalten;

(p2) x, y ∈ P⇒ x + y ∈ P;

(p3) x, y ∈ P⇒ xy ∈ P.

Die Menge P heißt die Menge der positiven Zahlen.

Fur x, y ∈ K sagen wir, dass

� x kleiner als y ist, in Zeichen x < y, wenn y − x ∈ P;

� x großer als y ist, in Zeichen x > y, wenn x − y ∈ P;

� x kleiner oder gleich y ist, in Zeichen x ≤ y, wenn x < y oder x = y;

� x großer oder gleich y ist, in Zeichen x ≥ y, wenn x > y oder x = y.

2.2.2 Lemma. In einem angeordneten Korper K gelten fur beliebige a, b, x, y, z ∈ K

folgende Regeln:

(i) x ≤ x (Reflexivitat).

(ii) (x ≤ y ∧ y ≤ x)⇒ x = y (Antisymmetrie).

(iii) (x ≤ y ∧ y ≤ z)⇒ x ≤ z (Transitivitat).

(iv) x ≤ y ∨ y ≤ x (Totalitat).

(v) (x ≤ y ∧ a ≤ b)⇒ x + a ≤ y + b.

(vi) x ≤ y⇒ −x ≥ −y.

(vii) (z > 0 ∧ x ≤ y)⇒ xz ≤ yz und (z < 0 ∧ x ≤ y)⇒ xz ≥ yz.

(viii) x , 0⇒ x2 > 0. Insbesondere: 1 > 0.

(ix) x > 0⇒ x−1 > 0 und x < 0⇒ x−1 < 0.

(x) 0 < x ≤ y⇒ ( xy≤ 1 ≤ y

x∧ x−1 ≥ y−1).

(xi) (0 < x ≤ y ∧ 0 < a ≤ b)⇒ xa ≤ yb.

(xii) x < y⇒ x <x+y

2< y, wobei 2 := 1 + 1.

Beweis. Wir beweisen exemplarisch (ii), (iii), (viii) und (xii):

(ii): (x ≤ y∧ y ≤ x) ist per Definitionem dasselbe, wie y− x ∈ P∪ {0} ∧ x− y ∈ P∪ {0}.Also y − x ∈ (P ∪ {0}) ∩ (−P ∪ {0}) = {0}, und damit x = y.

2Der Punkt uber ∪ soll die Disjunktheit der Mengen anzeigen.3Also ihr Schnitt ist leer.

Page 21: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.2. ORDNUNGSSTRUKTUR DER REELLEN ZAHLEN 15

(iii): (x ≤ y ∧ y ≤ z) ⇔ (y − x ∈ P ∪ {0} ∧ z − y ∈ P ∪ {0}). Aus (p2) folgt

z − x = (z − y) + (y − x) ∈ P ∪ {0}, also x ≤ z.

(viii): Aus x , 0 folgt x ∈ P ∪ −P. Ist x ∈ P, so folgt wegen (p3), dass x2 = xx ∈ P

und damit x2 > 0. Ist x ∈ −P, so folgt −x ∈ P und wieder wegen (p3), dass

x2 = xx = (−x)(−x) ∈ P.

(xii): Aus x < y und (v) folgt x+x < x+y < y+y. Nun ist wegen des Distributivgesetzes

x + x = x(1 + 1) und y + y = y(1 + 1). Da wegen (p2), 1 + 1 ∈ P, folgt aus (vii), dass

x <x+y

2< y.

2.2.3 Bemerkung. Die Eigenschaften (i)−(iii) besagen genau, dass ≤ eine Halbordnung

auf K ist. Eigenschaft (iv) bedeutet dann, dass diese Halbordnung sogar eine Totalord-

nung ist.

Man kann also einen angeordneten Korper als Gerade veranschaulichen, wobei eine

Zahl x genau dann links von einer anderen Zahl y liegt, wenn sie kleiner ist:

K0 x y

Abbildung 2.1: Zahlengerade

2.2.4 Definition. Sei K eine Menge und ≤ eine Totalordnung darauf.

� Sind x, y ∈ K, so sei max(x, y) das Maximum von x und y. Also max(x, y) = x,

falls x ≥ y, und max(x, y) = y falls y ≥ x. Entsprechend definiert man das

Minimum min(x, y) zweier Zahlen.

� Ist A ⊆ K, und gibt es ein a0 ∈ A, sodass a ≤ a0 (a0 ≤ a) fur alle a ∈ A, so nennt

man a0 das Maximum (Minimum) von A, und schreibt a0 = max A (a0 = min A).

Zum Maximum (Minimum) sagt man auch großtes (kleinstes) Element.

� Ist A ⊆ K, so heißt A nach oben beschrankt, falls es ein x ∈ K gibt, sodass

A ≤ x, sodass also a ≤ x fur alle a ∈ A. Jedes x ∈ K mit A ≤ x heißt dabei obere

Schranke von A. Entsprechend heißt eine Teilmenge A nach unten beschrankt,

wenn es eine untere Schranke in K hat, wenn also x ≤ A fur ein x ∈ K. Eine nach

oben und nach unten beschrankte Teilmenge heißt beschrankt.

� Sei A ⊆ K eine nach oben (unten) beschrankte Teilmenge. Hat nun die Menge

{x ∈ K : A ≤ x} ({x ∈ K : x ≤ A}) aller oberen (unteren) Schranken von A ein

Minimum (Maximum), so heißt dieses Supremum (Infimum) von A und wird mit

sup A (inf A) bezeichnet.

� Die Tatsache, dass eine Menge A ⊆ K nicht nach oben (nicht unten) beschrankt

ist, wollen wir mit der formalen Gleichheit sup A = +∞ (inf A = −∞) zum

Ausdruck bringen.

Page 22: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

16 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

sup MM

obere Schranken von M

Abbildung 2.2: Supremum der Menge M

2.2.5 Bemerkung. Man sieht leicht, dass jedes Maximum (Minimum) einer Teilmenge

auch Supremum (Infimum) dieser Teilmenge ist. Die Umkehrung gilt im Allgemeinen

nicht.

Es kann auch vorkommen, dass eine beschrankte Teilmenge von K weder ein Su-

premum, noch ein Infimum hat.

2.2.6 Bemerkung. Wenn das Supremum einer Teilmenge A existiert, so gilt gemaß der

Definition A ≤ sup A, und sup A ≤ x fur alle oberen Schranken x von A.

Ist umgekehrt y ∈ K mit A ≤ y und y ≤ x fur alle oberen Schranken x von A,

so folgt aus A ≤ y, dass y eine obere Schranke von A ist, und aus der zweiten Vor-

aussetzung, dass y das Minimum der oberen Schranken von A ist. Also ist y = sup A.

Entsprechendes lasst sich fur das Infimum sagen.

2.2.7 Lemma. Ist A ⊆ B ⊆ K, so gilt

(i) {x ∈ K : A ≤ x} ⊇ {x ∈ K : B ≤ x} und {x ∈ K : x ≤ A} ⊇ {x ∈ K : x ≤ B}.

(ii) Haben A und B ein Maximum (Minimum), so folgt max A ≤ max B

(min A ≥ min B).

(iii) Haben A und B ein Supremum (Infimum), so folgt sup A ≤ sup B (inf A ≥ inf B).

Beweis.

(i) t ∈ {x ∈ K : B ≤ x} bedingt b ≤ t fur alle b ∈ B. Wegen A ⊆ B gilt auch a ≤ t fur

alle a ∈ A, und daher t ∈ {x ∈ K : A ≤ x}. Die zweite Mengeninklusion beweist

man genauso.

(ii) Das Maximum von B erfullt definitionsgemaß max B ≥ b fur alle b ∈ B, und da-

mit insbesondere max B ≥ a fur alle a ∈ A. Wegen max A ∈ A folgt insbesondere

max B ≥ max A. Analog zeigt man min A ≥ min B.

(iii) Definitionsgemaß haben wir sup A = min{x ∈ K : A ≤ x} und

sup B = min{x ∈ K : B ≤ x}. Nach (i) ist {x ∈ K : B ≤ x} ⊆ {x ∈ K : A ≤ x} und

daher nach (ii)

sup A = min{x ∈ K : A ≤ x} ≤ min{x ∈ K : B ≤ x} = sup B .

Ist K ein angeordneter Korper, so gelten fur die oben eingefuhrten Begriffe einfach

nachzuprufende Rechenregeln:

(i) Aus x ≤ A ⇔ −x ≥ −A folgt, dass A ⊆ K genau dann nach oben (unten)

beschrankt ist, wenn −A nach unten (oben) beschrankt ist.

Page 23: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.2. ORDNUNGSSTRUKTUR DER REELLEN ZAHLEN 17

(ii) min(−A) = −max A, max(−A) = −min A,

(iii) inf(−A) = − sup(A), sup(−A) = − inf(A).

Diese Gleichheiten gelten in dem Sinn, dass die linke Seite des Gleichheitszeichen

genau dann existiert, wenn die rechte existiert.

2.2.8 Beispiel. Seien a, b ∈ K. Dann definiert man die Intervalle

(a, b) := {x ∈ K : a < x < b}, (a, b] := {x ∈ K : a < x ≤ b} ,

und entsprechend

[a, b] := {x ∈ K : a ≤ x ≤ b}, [a, b) := {x ∈ K : a ≤ x < b} .

Außerdem setzt man (+∞,−∞ sind hier nur formale Ausdrucke)

(−∞, b) := {x ∈ K : x < b}, (−∞, b] := {x ∈ K : x ≤ b} ,

(a,+∞) := {x ∈ K : a < x}, [a,+∞) := {x ∈ K : a ≤ x} .

Ist a < b, so sind die Mengen (a, b), [a, b], (a,+∞) z.B. nach unten beschrankt.

Nach oben beschrankt sind dagegen nur die ersten beiden. Die Mengen (a, b), (a, b]

haben das Supremum b, aber nur fur die Menge (a, b] ist b ein Maximum.

Um etwa einzusehen, dass b = sup(a, b), argumentiert man folgendermaßen:

Zunachst ist wegen der Definition von Intervallen x ≤ b fur alle x ∈ (a, b), also

(a, b) ≤ b.

Angenommen es gabe eine obere Schranke y von (a, b) mit y < b. Im Falle y ≤ a

ware y ≤ a < a+b2

< b (vgl. Lemma 2.2.2, (xii)), womit aber y keine obere Schranke

sein kann, da a+b2∈ (a, b).

Im Falle a < y ware a < y <y+b

2< b, womit wiederum y keine obere Schranke sein

kann, day+b

2∈ (a, b).

Also ist b tatsachlich die kleinste obere Schranke von (a, b), sup(a, b) = b.

2.2.9 Beispiel. Dem Begriff der rationalen Zahlen vorgreifend seien K die rationalen

Zahlen und sei

M = {x ∈ K : x2 < 2} .

Dann hat diese Menge weder Maximum noch Supremum, obwohl sie nach oben be-

schrankt ist. Siehe dazu Satz 2.9.5.

Wir wollen noch zwei elementare Funktionen auf einem angeordneten Korper be-

trachten.

2.2.10 Definition. Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Die Signumfunktion sgn

sei jene Funktion von K nach K, sodass fur x ∈ K

sgn(x) =

1 , falls x ∈ P

0 , falls x = 0

−1 , falls x ∈ −P

.

Fur x , 0 heißt sgn(x) auch das Vorzeichen von x.

Page 24: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

18 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

Die Betragsfunktion |.| : K → K ist definiert durch

|x| ={

x , falls x ∈ P ∪ {0}−x , falls x ∈ −P

.

Sind x, y ∈ K, so bezeichnet man |x − y| auch als den Abstand von x und y.

2.2.11 Lemma. Fur x, y ∈ K gilt:

(i) |x| = sgn(x)x.

(ii) |xy| = |x||y|.

(iii) |x + y| ≤ |x| + |y| (Dreiecksungleichung).

(iv) |x + y| ≥ ||x| − |y|| (Dreiecksungleichung nach unten).

(v) max(x, y) =x+y+|x−y|

2, min(x, y) =

x+y−|x−y|2

.

Beweis. (i) und (ii) folgen ganz leicht, wenn wir die Falle x > 0, x = 0, x < 0 unter-

scheiden.

Die Dreiecksungleichung folgt unmittelbar, wenn eine der Zahlen x oder y Null ist.

Sonst unterscheiden wir folgende zwei Falle:

sgn(x) = sgn(y) , 0⇒ |x + y| = | sgn(x)(|x| + |y|)| = |x| + |y|

sgn(x) = − sgn(y) , 0⇒ |x + y| = | sgn(x)(|x| − |y|)| = ||x| − |y|| ≤ |x| + |y|

Letztere Ungleichung gilt, da sowohl |x| − |y| ≤ |x|+ |y|, als auch −(|x| − |y|) = |y| − |x| ≤|x| + |y|.

Um die Dreiecksungleichung nach unten einzusehen, bemerke

|x| = |(x + y) + (−y)| ≤ |x + y| + |y|, (2.1)

also |x| − |y| ≤ |x + y|. Analog folgt

|y| ≤ |x + y| + |x| ,

also auch |y| − |x| ≤ |x + y|.Mit einer ahnlichen Fallunterscheidung beweist man die Aussage (v).

2.3 Die naturlichen Zahlen

Ob es die oben diskutierten angeordneten Korper uberhaupt gibt, davon haben wir uns

bisher nicht uberzeugen konnen. Um solche Objekte zu konstruieren, wenden wir uns

zunachst den naturlichen Zahlen zu.

Die naturlichen Zahlen sind uns als Objekt des Alltages wohlvertraut, aber ihre

Existenz als mathematisches Objekt ist keine Trivialitat. Trotzdem wollen wir diese

voraussetzen. In der Tat folgt sie aus den Axiomen der Mengenlehre.

2.3.1 Definition. Die naturlichen Zahlen sind eine Menge N, in der ein Element 1 ∈N ausgezeichnet ist,4 und auf der eine Funktion (Nachfolgerabbildung) ′ : N → Ndefiniert ist, sodass gilt

4Die Bezeichnung 1 hat zumindest zum gegenwartigen Zeitpunkt nichts mit der gleichlautenden Bezeich-

nung fur das multiplikative neutrale Element in einem Korper zu tun.

Page 25: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.3. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 19

(S1) ′ ist injektiv.

(S2) Es gibt kein n ∈ N mit n′ = 1.

(S3) Ist M ⊆ N, 1 ∈ M und m′ ∈ M fur alle m ∈ M, so ist M = N.

Fur n′ wollen wir auch n + 1 schreiben.

2.3.2 Bemerkung. Wir wollen anmerken, dass wir zunachst weder die Abbildungen

+, ·, die N × N nach N abbilden, noch die Moglichkeit zwei naturliche Zahlen der

Große nach zu ordnen, zur Verfugung haben. Obige Festlegung, dass n′ = n + 1 ist nur

symbolisch zu verstehen.

Ehe wir uns an die Definition von Addition und Multiplikation machen, wollen wir

uns die Moglichkeit schaffen, Ausdrucke, wie nx, xn,∑n

k=1 c(k) fur n ∈ N zu definieren,

wenn z.B. x und c(k) fur k ∈ N Elemente eines Korpers sind.

Alle diese Ausdrucke haben gemein, dass sie Funktionen n 7→ φ(n) auf N sind,

wobei φ(1) bekannt ist, und wobei φ(n′) bekannt ist, wenn φ(n) es ist. Im Falle von

n 7→ xn ist etwa x1 = x und xn′ = xn · x.

Um einzusehen, warum solche Funktionen eindeutig definiert sind, zeigen wir den

2.3.3 Satz (Rekursionssatz). Sei A eine Menge, a ∈ A, g : A→ A (Rekursionsfunktion).

Dann existiert genau eine Abbildung φ : N→ A mit φ(1) = a und φ(n′) = g(φ(n)).

Beweis. Betrachte alle Teilmengen H ⊆ N × A mit den Eigenschaften

(a) (1, a) ∈ H

(b) Ist (n, b) ∈ H, so gilt auch (n′, g(b)) ∈ H.

Solche Teilmengen existieren, da z.B. N × A die Eigenschaften (a) und (b) hat. Sei D

der Durchschnitt aller solchen Teilmengen:

D :=⋂

H erfullt (a) und (b)

H

Da (1, a) ∈ H fur alle H, die (a) und (b) erfullen, ist auch (1, a) ∈ D. Ist (n, b) ∈ D, so

gilt (n, b) ∈ H fur alle (a) und (b) erfullenden H. Nach (b) folgt (n′, g(b)) ∈ H fur alle

solchen H, und somit (n′, g(b)) ∈ D.

Also hat D auch die Eigenschaften (a) und (b), und ist damit die kleinste Teilmenge

mit diesen Eigenschaften.

Wir behaupten, dass D eine Funktion vonN nach A ist, also, dass es zu jedem n ∈ Ngenau ein b ∈ A gibt, sodass (n, b) ∈ D, vgl. Definition 1.2.1. Dazu reicht es zu zeigen,

dass5

M = {n ∈ N : ∃! b ∈ A, (n, b) ∈ D}mit N ubereinstimmt. Wir prufen das mit Hilfe von (S 3) nach.

Zunachst ist 1 ∈ M, da einerseits (1, a) ∈ D. Gabe es andererseits ein weiteres

c ∈ A, c , a mit (1, c) ∈ D, so betrachte D \ {(1, c)}. Klarerweise hat D \ {(1, c)} die

Eigenschaft (a). Wegen (S 2) bleibt auch die Eigenschaft (b) erhalten. Ein Widerspruch

dazu, dass D kleinstmoglich ist.

Nun zeigen wir, dass mit n auch n′ in M liegt. Fur n ∈ M gibt es genau ein b ∈ A

mit (n, b) ∈ D. Also ist auch (n′, g(b)) ∈ D. Ware noch (n′, c) ∈ D mit c , g(b), so kann

man wieder D \ {(n′, c)} betrachten. Weil n′ , 1, erfullt D \ {(n′, c)} Eigenschaft (a).

5∃! steht fur: Es gibt genau ein

Page 26: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

20 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

Aus (k, d) ∈ D \ {(n′, c)} ⊆ D folgt (k′, g(d)) ∈ D. Ist k , n, so folgt wegen (S 1)

daher auch (k′, g(d)) , (n′, c). Ist n = k, so muss wegen n ∈ M die Gleichheit d = b

gelten. Es folgt (k′, g(d)) = (n′, g(b)) , (n′, c). In jedem Fall gilt also (k′, g(d)) ∈D \ {(n′, c)}, und D \ {(n′, c)} erfullt auch (b). Das ist wieder ein Widerspruch dazu, dass

D kleinstmoglich ist.

Aus (S 3) folgt M = N. Nach Definition 1.2.1 kann man also D auffassen als Abbil-

dung φ : N→ A. Die Eigenschaft (a) bedeutet φ(1) = a, und (b) besagt φ(n′) = g(φ(n)).

Ware φ eine weitere Funktion mit φ(1) = a und mit φ(n′) = g(φ(n)), und betrachtet

man φ als Teilmenge D von N × A, so erfullt D Eigenschaften (a), (b). Weil wir schon

wissen, dass D die kleinste solche Menge ist, folgt D ⊆ D. Da aber beide Funktionen

sind, muss D = D bzw. φ = φ.

2.3.4 Bemerkung. Satz 2.3.3 rechtfertigt rekursive Definitionen:

Zum Beispiel die Funktion n 7→ xn, wobei x in einem Korper K liegt. Dafur

nehmen wir A = K, a = x und g : K → K, y 7→ yx. Nach Satz 2.3.3 ist dann xn

fur alle n ∈ N eindeutig definiert.

Genauso kann man n 7→ nx definieren.

Um n 7→ ∏nk=1 c(k) zu definieren, wenn c : N → K ist, wenden wir Satz 2.3.3

mit A = N × K, a = (1, c(1)) und g : N × K → N × K, (n, x) 7→ (n′, x · c(n′)) an,

und definieren∏n

k=1 c(k) als die zweite Komponente von φ(n).

Genauso kann man n 7→ ∑nk=1 c(k), n 7→ maxk=1,...,n c(k) und ahnliche Ausdrucke

definieren.

Furn∑

k=1

c(k) schreiben wir auch c(1) + · · · + c(n). Entsprechend setzen wir

c(1) · · · · · c(n) :=

n∏

k=1

c(k) und max(c(1), . . . , c(n)) = maxk=1,...,n

c(k) .

Als weitere Anwendung des Rekursionssatzes erhalten wir, dass die naturlichen

Zahlen im Wesentlichen eindeutig sind.

2.3.5 Korollar. Seien N und N Mengen mit ausgezeichneten Elementen 1 ∈ N und

1 ∈ N und Abbildungen ′ : N → N, ˜ : N → N, sodass fur beide die Axiome (S1),

(S2) und (S3) gelten. Dann gibt es eine eindeutige bijektive Abbildung ϕ : N → N mit

ϕ(1) = 1 und ϕ(n) = ϕ(n′), n ∈ N.

Beweis. Wendet man den Rekursionssatz an auf A = N, a = 1, und g = , so folgt, dass

genau eine Abbildung ϕ : N → N existiert mit ϕ(1) = 1 und ϕ(n) = ϕ(n′), n ∈ N.

Durch Vertauschung der Rollen von N und N erhalt man eine Abbildung ψ : N → Nmit ψ(1) = 1 und ψ(x)′ = ψ(x), x ∈ N.

Betrachte die AbbildungΦ = ψ ◦ ϕ : N→ N. Es gilt Φ(1) = 1 und

Φ(n)′ = (ψ(ϕ(n)))′ = ψ(ϕ(n)) = (ψ ◦ ϕ)(n′) .

Die identische Abbildung idN hat die selben Eigenschaften, also folgt nach der

Eindeutigkeitsaussage des Rekursionssatzes Φ = idN. Analog zeigt man ϕ ◦ ψ = idN,

Page 27: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.3. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 21

also ist ϕ bijektiv und es gilt ϕ−1 = ψ.

Wenn wir uns den Beweis des Rekursionssatzes nochmals anschauen, so haben wir

gezeigt, dass D eine Funktion auf N ist, es also zu jedem n ∈ N genau ein b ∈ A gibt

mit (n, b) ∈ D, indem wir die Menge M aller in diesem Sinne”guten“ n ∈ N hernehmen

und davon zeigen, dass sie die Voraussetzungen von (S 3) erfullen.

Diese Vorgangsweise kann man auf alle Aussagen A(n) ausdehnen, die fur alle

naturliche Zahlen n gelten sollen. Das fuhrt zum so genannten:

Prinzip der vollstandigen Induktion: Fur jedes n ∈ N sei A(n) eine Aussage uber die

naturliche Zahl n. Gilt

(i) Induktionsanfang: Die Aussage A(1) ist wahr.

(ii) Induktionsschritt: Fur jedes n ∈ N ist wahr, dass aus der Gultigkeit von A(n) die

Gultigkeit von A(n′) folgt.

Dann ist die Aussage A(n) fur jede naturliche Zahl n richtig.

Um das einzusehen, betrachte man die Menge M aller n ∈ N, fur die A(n) richtig

ist. Ist nun A(1) richtig, so ist 1 ∈ M, und aus A(n)⇒ A(n′) sehen wir, dass mit m ∈ M

auch m′ ∈ M. Nach Axiom (S 3) ist M = N. Also ist A(n) fur jede naturliche Zahl n

richtig.

Als Anwendung der Beweismethode der vollstandigen Induktion bringen wir die

spater verwendete Bernoullische Ungleichung.

2.3.6 Lemma. Ist 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper, und bezeichnen wir das multi-

plikative neutrale Element mit 1K , so folgt fur x ∈ K, x ≥ −1K , und n ∈ N, dass

(1K + x)n ≥ 1K + nx .

Beweis. Induktionsanfang: Ist n = 1, so besagt die Bernoullische Ungleichung (1K +

x)n = 1K + x ≥ 1K + x, was offenbar stimmt.

Induktionsschritt: Angenommen die Bernoullische Ungleichung sei nun fur n ∈ Nrichtig. Dann folgt wegen 1K + x ≥ 0, dass

(1K + x)n′ = (1K + x)n(1K + x) ≥ (1K + nx)(1K + x) = 1K + (n′)x + nx2 ≥ 1K + n′x .

Eine andere unmittelbare Anwendung des Beweisprinzipes der vollstandigen In-

duktion ist die Verifikation der offensichtlich fur Ausdrucke wie∑n

k=1 c(k) geltenden

Rechenregeln. Zum Beispiel das Distributivgesetz

a

n∑

k=1

c(k) =

n∑

k=1

(ac(k)) .

Induktionsanfang: Ist n = 1, so gilt a∑1

k=1 c(k) = ac(1) =∑1

k=1(ac(k)).

Induktionsschritt: Angenommen die Rechenregel gilt fur n, so rechnen wir:

a

n′∑

k=1

c(k) = a(

n∑

k=1

c(k)

+ c(n′)) = a

n∑

k=1

c(k)

+ ac(n′) =

Page 28: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

22 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

n∑

k=1

(ac(k)) + ac(n′) =n′∑

k=1

(ac(k)) .

Entsprechend zeigt man auch andere Rechenregeln fur solche induktiv definierten Aus-

drucke.

Wir kommen nun zur Diskussion der algebraischen Operationen Addition und Mul-

tiplikation, sowie der Ordnungsrelation auf N. Ihre Existenz und ihre Eigenschaften

mussen wir nun mit mathematischer Strenge herleiten, d.h. sie alleine aus den Axiomen

(S 1),(S 2),(S 3) mittels logischer Schlusse zeigen. Hauptinstrument dabei wird wieder

der Rekursionssatz Satz 2.3.3 sein.

2.3.7 Definition. Wir definieren fur jedes m ∈ N Abbildungen +m : N → N und

·m : N→ N rekursiv:

+m(1) := m′ und +m (n′) := (+m(n))′ ,

·m(1) := m und ·m (n′) := +m(·m(n)) .

Weiters definieren wir Relationen < und ≤ auf N durch

n < m :⇐⇒ (∃t ∈ N : +t(n) = m) ,

n ≤ m :⇐⇒ (n = m) oder (n < m) .

Sind m, n ∈ N, so schreibt man

+m(n) =: m + n, ·m(n) =: m · n,

und spricht von der Addition bzw. Multiplikation auf N.

2.3.8 Satz.

Fur jedes m ∈ N sind die Abbildungen +m und ·m injektiv, wobei +m(n) , m fur

alle n ∈ N.

Die Addition im Bereich N der naturlichen Zahlen erfullt die Gesetze

� Fur alle a, b, c ∈ N gilt (a + b) + c = a + (b + c). (Assoziativitat)

� Fur alle a, b ∈ N gilt a + b = b + a. (Kommutativitat)

sowie die Kurzungsregel

� Sind n,m, k ∈ N und gilt k + m = k + n, so folgt m = n.

Die Multiplikation ist ebenfalls assoziativ, kommutativ und erfullt die Kurzungs-

regel. Zusatzlich gilt noch

� Fur jedes a ∈ N ist a · 1 = 1 · a = a. (Existenz des neutralen Elementes)

Die Addition hangt mit der Multiplikation zusammen uber das Distributivgesetz

� Fur a, b, c ∈ N gilt stets (b + c) · a = (b · a) + (c · a).

Die Relation ≤ ist eine Totalordnung mit 1 als kleinstes Element, und aus m < n

folgt m , n. Zudem gelten folgende Vertraglichkeiten mit den Operationen Plus

und Mal:

Page 29: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.3. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 23

� Sind a, b, c ∈ N und gilt a < b (a ≤ b), so folgt a+c < b+c (a+c ≤ b+c).

� Sind a, b, c ∈ N und gilt a < b (a ≤ b), so folgt a · c < b · c (a · c ≤ b · c).

Es gilt weiters

� Sind n,m, l ∈ N mit n+ l < m+ l (n+ l ≤ m+ l) oder n · l < m · l (n · l ≤ m · l),so folgt n < m (n ≤ m).

� Sind n,m ∈ N, n < m, so gibt es ein eindeutiges t ∈ N, sodass m = n + t.

Wir setzen in diesem Falle

m − n := t . (2.2)

� Sind m, n, t ∈ N, t < n < m, so folgt n − t < m − t.

� Sind l,m, n ∈ N, n + m < l, so folgt n < l − m und

l − (m + n) = (l − m) − n . (2.3)

Beweis.

Zur Assoziativitat von +:

Seien k,m ∈ N fest gewahlt, wir fuhren Induktion nach n durch.

Induktionsanfang: (k + m) + 1 = +k(m)′ = +k(m′) = k + (m + 1).

Induktionsschritt: Nach Induktionsvoraussetzung gilt (k + m) + n = k + (m + n).

Es folgt

(k + m) + (n′) = +k+m(n′) = +k+m(n)′ = ((k + m) + n)′ =

= (k + (m + n))′ = +k(m + n)′ = +k((m + n)′) = k + (m + n′) ,

wobei letztere Gleichheit wegen des schon gezeigten Induktionsanfangs folgt.

Zur Kommutativitat von +:

Wir zeigen ∀m, n ∈ N : m + n = n + m mittels Induktion nach m.

Induktionsanfang (m = 1): Wir zeigen

∀n ∈ N : 1 + n = n + 1 (2.4)

mittels Induktion nach n. Der Fall n = 1 ist klar, denn 1 + 1 = 1 + 1. Fur

den Induktionsschritt n → n′ gehen wir aus von der Induktionsvoraussetzung

1 + n = n + 1. Daraus folgt

n′ + 1 = n′′ = (n + 1)′ = (1 + n)′ = 1 + n′ .

Induktionsschritt (m→ m′): Wir zeigen

(∀n ∈ N : m + n = n + m) =⇒ (∀n ∈ N : m′ + n = n + m′) .

Dazu fuhren wir Induktion nach n durch. Betrachte also zuerst den Fall n = 1.

Nach der bereits bewiesenen Aussage (2.4) mit vertauschten Rollen von m und

n gilt m′ + 1 = 1 + m′.

Der Induktionsschritt n → n′ hat nun als Induktionsvoraussetzung m′ + n =

n + m′ und wir erhalten

m′ + n′ = (m′ + n)′ = (n + m′)′ = (n + m)′′∗= (m + n)′′ =

= (m + n′)′∗= (n′ + m)′ = n′ + m′ .

An den mit ∗ gekennzeichneten Stellen ist die Induktionsvoraussetzung des In-

duktionsschritts (m→ m′) benutzt worden.

Page 30: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

24 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

Zur Injektivitat von +m und der Tatsache, dass +m(n) , m, fur alle n ∈ N:

Fur m = 1 ist +m(n) = n′. Nach (S 1) ist +1 injektiv und nach (S 2) gilt +1(n) , 1.

Sei nun m ∈ N und +m injektiv und erfulle +m(n) , m fur alle n ∈ N.

Es folgt +m′(n) = m′ + n = m + (n+ 1) = +m(n′). Also ist +m′ die Zusammenset-

zung der injektiven Abbildungen (n→ n′) und +m und somit selbst injektiv.

Aus m + 1 = m′ = +m′(n) = (m+ n)+ 1 folgt wegen der Injektivitat von +1, dass

m = m + n = +m(n) im Widerspruch zur Induktionsvoraussetzung.

Die Kurzungsregel fur + folgt sofort aus der Injektivitat von +k.

m < n bedeutet n = m + k mit einem k ∈ N. Aus m = n wurde der Widerspruch

m = m + k = +m(k) folgen.

Es gilt a · 1 = 1 · a = a, a ∈ N:

Unmittelbar aus der Definition 2.3.7 folgt a ·1 = ·a(1) = a. Die zweite Gleichheit

zeigen wir mittels Induktion nach a:

Induktionsanfang (a = 1): 1 · a = 1 · 1 = 1 = a.

Induktionsschritt (a→ a′): Wir nehmen also 1 · a = a an und schließen

1 · (a′) = ·1(a′) = +1(·1(a)) = +1(1 · a) = 1 + a = a′ .

Zur Kommutativitat von ·:Wir zeigen ∀m, n ∈ N : m · n = n · m mittels Induktion nach m.

Induktionsanfang (m = 1): Nach dem letzten Punkt gilt ∀n ∈ N : 1 ·n = n = n ·1.

Induktionsschritt (m→ m′): Wir zeigen

(∀n ∈ N : m · n = n · m) =⇒ (∀n ∈ N : m′ · n = n · m′) .

Dazu fuhren wir Induktion nach n durch. Betrachte also zuerst den Fall n = 1.

Wieder nach dem letzten Punkt gilt (m′) · 1 = m′ = 1 · m′.Der Induktionsschritt n→ n′ hat nun als Induktionsvoraussetzung m′ · n = n · m′und wir erhalten

m′ · n′ = m′ + (m′ · n) = m′ + (n · m′) = (m + 1) + (n + (n · m)) =

(n + 1) + (m + (n · m))∗= (n + 1) + (m + (m · n)) =

n′ + (m · n′) ∗= n′ + (n′ · m) = n′ · m′ .

An den mit ∗ gekennzeichneten Stellen ist die Induktionsvoraussetzung des In-

duktionsschritts (m→ m′) benutzt worden.

Zum Distributivgesetz:

Vollstandige Induktion nach a:

Induktionsanfang (a = 1): Da 1 bezuglich · ein neutrales Element ist, folgt

(b + c) · 1 = b + c = (b · 1) + (c · 1) .

Induktionsschritt:

(b + c) · (a + 1) = (b + c) + ((b + c) · a)∗= (b + c) + ((b · a) + (c · a)) =

(b + (b · a)) + (c + (c · a)) = (b · (a + 1)) + (c · (a + 1)) .

An der mit ∗ gekennzeichneten Stelle ist die Induktionsvoraussetzung eingegan-

gen.

Page 31: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.3. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 25

Zur Assoziativitat von ·:Wir zeigen a · (b · c) = (a · b) · c mittels Induktion nach b.

Induktionsanfang: a · (1 · c) = a · c = (a · 1) · c.

Induktionsschritt: Nach Induktionsvoraussetzung gilt also (a · b) · c = a · (b · c).

Mittels Distributivgesetz folgt

(a · (b + 1)) · c = ((a · b) + (a · 1)) · c = ((a · b) · c) + ((a · 1) · c) =

(a · (b · c)) + (a · (1 · c)) = a · ((b · c) + (1 · c)) = a · ((b + 1) · c) .

Zur Totalitat von ≤ und zur Tatsache 1 ≤ n, n ∈ N:

Wir wollen zeigen, dass je zwei n,m ∈ N bezuglich ≤ vergleichbar sind, was wir

mittels Induktion nach m beweisen werden.

Fur m = 1 zeigt man leicht mittels Induktion nach n, dass immer n = 1, oder

∃t ∈ N, n = 1 + t, also immer 1 ≤ n.

Gelte die Vergleichbarkeit von m mit allen n ∈ N. Um sie fur m′ zu zeigen,

machen wir eine Fallunterscheidung: Ist m = n, so folgt n + 1 = m′ also n ≤ m′.

Aus n < m folgt m = n + t fur ein t ∈ N, und daher m′ = n + (t + 1), also n < m′.Ist n = m + 1, so folgt m′ = n.

Ist schließlich m < n, n , m + 1, so gilt n = m + t mit t , 1. Aus der schon

bewiesenen Vergleichbarkeit mit 1 folgt, dass 1 < t, und somit t = 1 + s, s ∈ N.

Aus der Assoziativitat folgt n = m′ + s, also m′ < n.

Die Reflexivitat von ≤ ist klar.

Zur Transitivitat von < und damit von ≤:

Sei k, l,m ∈ N und k ≤ l, l ≤ m. Ist k = l oder l = m, so sieht man sofort, dass

k ≤ m.

Im Fall k < l, l < m gibt es i, j ∈ Nmit k+ i = l, l+ j = m. Es folgt k+ (i+ j) = m

und daher k < m.

Die Antisymmetrie von ≤ folgt, da aus n ≤ m und m ≤ n im Falle m , n wegen

des vorletzten Punktes und wegen der Transitivitat von < folgt n < n, was dem

vorletzten Punkt widerspricht.

Zur Vertraglichkeit von < mit + und ·:Sei n < m und k ∈ N. Somit ist n + t = m mit t ∈ N, und es gilt

m + k = (n + t) + k = n + (t + k) = n + (k + t) = (n + k) + t ,

sowie

m · k = (n + t) · k = (n · k) + (t · k) .

Also folgt n + k < m + k und n · k < m · k.

Die Injektivitat von ·k bzw. – was das selbe ist – die Kurzungsregel fur · folgt

nun aus den gezeigten Eigenschaften von ≤:

Seien k,m, n ∈ N mit m , n. Wegen der Totalitat gilt m < n oder n < m, was mit

der Vertraglichkeit von < mit · bedingt, dass k · m < k · n oder k · n < k · m und

somit k · m , k · n.

Page 32: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

26 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

Zum Kurzen in Ungleichungen:

Aus n+ l < m+ l folgt definitionsgemaß m+ l = (n+ l)+ k fur ein k ∈ N. Gemaß

der Kurzungsregel fur + folgt m = n + k und somit n < m.

Sei nun n · l < m · l. Ware m ≤ n, so folgte aus dem letzten Punkt der Widerspruch

m · l ≤ n · l. Wegen der Totalitat muss n < m gelten.

Zur Wohldefiniertheit von m − n:

Sei also n < m. Definitionsgemaß ist m = n+ t fur ein t ∈ N. Ist nun m = n+ s fur

eine weitere Zahl s ∈ N, so folgt aus der Kurzungsregel fur + und n + t = n + s,

dass s = t. Also ist m − n := t eindeutig dadurch definiert, dass n + t = m.

Zur Vertraglichkeit von < mit −:

Ist t < n < m, so folgt n = t + s und m = n + l fur s, l ∈ N, und weiters

m = t + (l + s). Somit ist m − t = l + s und n − t = s, und daher n − t < m − t.

Zu (2.3):

Die Ungleichung m + n < l bedeutet l = (m + n) + k fur ein eindeutiges k ∈ N.

Definitionsgemaß ist daher k = l− (m+n). Andererseits gilt wegen m < m+n < l

auch l = m + s, s ∈ N.

Wegen der Kurzungsregel fur + folgt s = n + k, und somit n < s = l − m.

Außerdem ist k = s − n = (l − m) − n.

2.3.9 Bemerkung. Ist N eine Kopie von N wie in Korollar 2.3.5, und werden die Ope-

rationen + und ·, sowie ≤ auf N genauso definiert wie auf N, so sieht man leicht, dass

die nach Korollar 2.3.5 existierende Abbildung ϕ : N→ N mit den Operationen und ≤vertraglich ist:

ϕ(n + m) = ϕ(n) + ϕ(m), ϕ(n · m) = ϕ(n) · ϕ(m),

n ≤ m⇔ ϕ(n) ≤ ϕ(m) .

Folgende Eigenschaft der naturlichen Zahlen werden wir oft verwenden.

2.3.10 Satz. Ist ∅ , T ⊆ N, so hat T ein Minimum.

Beweis. Wir nehmen das Gegenteil an. Sei

M = {n ∈ N : ∀m ∈ T ⇒ n < m}.

Es ist nun 1 ∈ M, da sonst 1 das Minimum von T ware.

Ist n ∈ M, und m ∈ T , so gilt n < m. Daraus schließen wir n + 1 ≤ m. Ware

n + 1 = m0 fur ein m0 ∈ T , so hatte T das Minimum m0. Wir nehmen aber an, dass es

ein solches nicht gibt.

Also gilt immer n + 1 < m, m ∈ T , bzw. n + 1 ∈ M. Nach (S 3) folgt M = N. Ist

m ∈ T ⊆ N, so folgt m ∈ M und daher der Widerspruch m < m.

Diese Eigenschaft der naturlichen Zahlen konnen wir hernehmen, um folgende

Varianten des Prinzips der vollstandigen Induktion zu rechtfertigen. Zum Beispiel ist

Page 33: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.3. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 27

es oft zielfuhrender die folgende Version zu benutzen:

Sei A(n), n ∈ N, eine Aussage uber die naturliche Zahl n. Gilt

(i) Die Aussage A(1) ist wahr.

(ii) Es gelte fur jedes n ∈ N, n > 1: Ist die Aussage A(m) wahr fur alle m < n, so ist

auch A(n) wahr.

Dann ist die Aussage A(n) fur alle n ∈ N wahr. Denn ware die Menge der n ∈ N, fur

die A(n) falsch ist, nicht leer, so hatte sie ein Minimum n. Wegen (i) ist aber n > 1,

wegen (ii) ist A(n) wahr, was offensichtlich ein Widerspruch ist.

Ist eine Aussage erst ab einer gewissen Zahl n0 richtig, so kann man folgende

Varianten des Prinzips der vollstandigen Induktion anzuwenden versuchen:

Gilt

(i) Die Aussage A(n0) ist wahr.

(ii) Ist A(n) wahr fur ein n ≥ n0, dann ist A(n + 1) wahr.

oder gilt

(i) Die Aussage A(n0) ist wahr.

(ii) Ist n > n0 und ist A(m) wahr fur alle m mit n0 ≤ m < n, dann ist A(n) wahr.

Dann ist die Aussage A(n) fur alle n ≥ n0 richtig.

2.3.11 Beispiel. Mit fast dem selben Beweis wie in Lemma 2.3.6, jedoch mit einer

Induktion bei 2 startend, zeigt man, dass fur x ≥ −1K und x , 0 sowie n ≥ 2 sogar

(1K + x)n > 1K + nx .

Induktionsanfang: Ist n = 2, so gilt wegen x2 > 0, dass (1K+x)2 = 1K+2x+x2 > 1K+2x.

Induktionsschritt: Angenommen die Ungleichung ist fur n ∈ N richtig. Dann folgt

wegen 1K + x ≥ 0 und nx2 > 0, dass

(1K + x)n′ = (1K + x)n(1K + x) ≥ (1K + nx)(1K + x) = 1K + (n′)x + nx2 > 1K + n′x .

Klarerweise haben unendliche Teilmengen vonN kein Maximum. Aber wie intuitiv

klar ist, hat jede endliche Teilmenge einer total geordneten Menge ein Maximum und

ein Minimum. Um das exakt nachzuweisen, benotigen wir die genaue Definition von

Endlichkeit.

2.3.12 Definition. Eine nichtleere Menge M heißt endlich, wenn es ein k ∈ N und eine

bijektive Funktion f : {n ∈ N : n ≤ k} → M gibt. Die Zahl k ist dann die Machtigkeit

von M6. Man sagt auch, dass M genau k Elemente hat. Die leere Menge nennen wir

auch endlich, und ihre Machtigkeit sei Null.

6Damit die Machtigkeit wohldefiniert ist, muss man noch zeigen, dass es im Fall k1 , k2 keine bijek-

tive Funktion von {n ∈ N : n ≤ k1} auf {n ∈ N : n ≤ k2} gibt, was sich durch vollstandige Induktion

bewerkstelligen lasst.

Page 34: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

28 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

2.3.13 Bemerkung. Man zeigt elementar durch vollstandige Induktion nach der

Machtigkeit der endlichen Menge M, dass alle ihre Teilmengen auch endlich sind.

2.3.14 Lemma. Jede endliche nichtleere Teilmenge M einer total geordneten Men-

ge 〈T,≤〉 hat ein Minimum und ein Maximum, das wir mit min(M) bzw. mit max(M)

bezeichnen.

Insbesondere gilt diese Aussage fur endliche Teilmengen von angeordneten

Korpern und von N.

Beweis. Hat M nur ein Element, d.h. M = {m}, so ist klarerweise m das Maximum von

M.

Angenommen alle M ⊆ T mit n Elementen haben ein Maximum. Hat nun M ⊆ T

genau n + 1 Elemente und ist m1 ∈ M, so hat M \ {m1} genau n Elemente und laut

Induktionsvoraussetzung ein Maximum m2 ∈ M \ {m1}. Da 〈T,≤〉 eine Totalordnung

ist, gilt m1 ≤ m2 oder m1 ≥ m2. Im ersten Fall ist dann m2 das Maximum von M und

im zweiten ist m1 das Maximum von M.

Eine immer wieder verwendete Tatsache ist im folgenden Lemma vermerkt.

2.3.15 Lemma. Sei M ⊆ N nicht endlich. Dann gibt es eine streng monoton wachsende

Bijektion φ von N auf M. Fur eine solche gilt immer φ(n) ≥ n.

Beweis. Sei g : M → M definiert durch g(s) = min{m ∈ M : m > s}, und sei

a = min M. Man beachte, dass g(s) fur alle s ∈ M definiert ist, da {m ∈ M : m > s}voraussetzungsgemaß niemals leer ist.

Nach dem Rekursionssatz gibt es eine eindeutige Abbildung φ : N→ M mit φ(1) =

a = min M und so, dass φ(n + 1) = g(φ(n)) = min{m ∈ M : m > φ(n)}.Offensichtlich gilt φ(n+ 1) > φ(n). Daraus folgt durch vollstandige Induktion, dass

φ(l) > φ(n), wenn l > n. Also ist φ streng monoton wachsend und somit auch injektiv.

Durch vollstandige Induktion zeigt man auch leicht, dass φ(n) ≥ n fur alle n ∈ N.

Ware ein m1 ∈ M nicht im Bild von φ, so ist klarerweise m1 > min M = φ(1).

Angenommen m1 > φ(n). Dann ist m1 ∈ {m ∈ M : m > φ(n)} und wegen m1 ,

φ(n + 1) = min{m ∈ M : m > φ(n)} muss m1 > φ(n + 1).

Es folgt φ(n) < m1 fur alle n ∈ N, was aber φ(m1) ≥ m1 widerspricht.

2.4 Der Ring der ganzen Zahlen

Im Bereich der naturlichen Zahlen haben wir zuletzt Operationen + und · definiert. Ist

m < n, so haben wir auch n−m ∈ N definiert. Wir wollen nun aus den naturlichen Zah-

len die ganzen Zahlen Z konstruieren, und die Operationen + und · auf Z so fortsetzen,

dass wir einen Ring 〈Z,+, ·〉 erhalten. Die Menge Z zu definieren, ist kein Problem.

2.4.1 Definition. Seien N1 und N2 zwei disjunkte Kopien der naturliche Zahlen, und

sei 0 ein Element, das in keiner dieser Mengen enthalten ist7. Wir definieren

Z := N1∪{0}∪N2.

7Man kann z.B. fur N j einfach die Menge N × { j} hernehmen, und fur 0 das Element (1, 3)

Page 35: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.4. DER RING DER GANZEN ZAHLEN 29

Ist ϕ : N1 → N2 eine bijektive Abbildung wie in Korollar 2.3.5, so definieren wir eine

Abbildung − : Z→ Z

−n =

ϕ(n) , falls n ∈ N1

0 , falls n = 0

ϕ−1(n) , falls n ∈ N2

Schreiben wir nun N fur N1, so gilt

Z = −N∪{0}∪N.

Man erkennt unschwer, dass − eine Bijektion ist, die mit sich selber zusammengesetzt

die Identitat ergibt, also eine Involution ist.

Nun definieren wir die Operationen auf Z in der Art und Weise, wie wir sie der

Anschauung nach erwarten.

2.4.2 Definition. Fur n ∈ N setzen wir sgn(n) := 1, sgn(−n) := −1, sgn(0) = 0 sowie

|n| := n, | − n| := n und |0| := 0. Weiters sei + : Z × Z→ Z definiert durch

p + q :=

p + q , p, q ∈ N−(|p| + |q|) , −p,−q ∈ N

p − |q| , p,−q ∈ N, p > −q

−(|q| − p) , p,−q ∈ N, p < −q

−(|p| − q) , −p, q ∈ N, − p > q

q − |p| , −p, q ∈ N, − p < q

0 , q = −p

p , q = 0

q , p = 0

,

und · : Z × Z→ Z durch

p · q :=

|p| · |q| , q, p , 0, sgn(q) = sgn(p)

−(|p| · |q|) , q, p , 0, sgn(q) = − sgn(p)

0 , q = 0 ∨ p = 0

.

Sind p, q ∈ Z, so schreibt man wie schon zuvor fur p + (−q) meist p − q.

2.4.3 Satz. 〈Z,+, ·〉 ist ein kommutativer Integritatsring mit Einselement. Es gilt also:

� Die Addition ist kommutativ und assoziativ, 0 ist ein bzgl. + neutrales Element

und −p ist das zu p ∈ Z bzgl. + inverse Element. Also gelten (a1)-(a4) von

Definition 2.1.1.

� Die Multiplikation ist kommutativ und assoziativ, und 1 ist ein bzgl. · neutrales

Element. Also gelten (m1),(m2),(m4) von Definition 2.1.1.

� Es gilt das Distributivgesetz.

� Aus p , 0 ∧ q , 0 folgt pq , 0 (Integritatseigenschaft).

Beweis. Seien p, q ∈ Z. Zunachst folgen p+ q = q+ p und p · q = q · p unmittelbar aus

der Definition und eben der Tatsache, dass diese Operationen auf N kommutativ sind.

Page 36: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

30 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

Ebenfalls unmittelbar aus der Definition sieht man, dass p + 0 = p und p · 1 = p.

Also ist 0 ein bezuglich + und 1 ein bezuglich · neutrales Element. Genauso elementar

verifiziert man p + (−p) = 0 und p · q , 0, wenn p und q beide , 0.

Es bleibt die Assoziativitat und das Distributivgesetz nachzuprufen. Das ist in

der Tat muhsam und durch zahlreiche Fallunterscheidungen zu bewerkstelligen. Wir

wollen daher nur r + (q + p) = (r + q) + p im exemplarischen Fall r, q ∈ N, − p ∈ Nbetrachten:

Ist |p| > r + q, so folgt (r + q) + p = −(|p| − (r + q)), und nach (2.3) ist dieser

Ausdruck gleich −((|p| − q) − r). Wegen |p| − q > r und |p| > q folgt definitionsgemaß

−((|p| − q) − r) = r + (−(|p| − q)) = r + (p + q).

Im Falle |p| = r + q gilt einerseits (r + q) + p = 0 und andererseits wegen |p| > q

und |p| − q = r (siehe (2.2)), dass r + (q + p) = r + (−(|p| − q)) = 0.

Sei nun |p| < r + q. Dann folgt (r + q) + p = (r + q) − |p| =: k ∈ N. Also ist k jene

Zahl, sodass |p| + k = r + q.

Ist q > |p|, so gilt andererseits r + (q + p) = r + (q − |p|), und wegen der bekannten

Rechenregeln auf N, |p| + (r + (q − |p|)) = r + q, also k = r + (q + p).

Wenn q = |p|, so folgt r+(q+p) = r, und ebenfalls |p|+r = r+q, d. h. k = r+(q+p).

Ist schließlich q < |p|, so folgt r + (q + p) = r + (−(|p| − q)). Da |p| < r + q folgt

r > |p| − q, und somit r + (−(|p| − q)) = r − (|p| − q) =: l ∈ N. Das ist also jene Zahl,

sodass (|p| − q) + l = r. Addiert man hier q und verwendet die Assoziativitat von + auf

N, so folgt |p| + l = r + q, also l = k.

2.4.4 Bemerkung. In Integritatsringen gilt die Kurzungsregel:

m , 0, xm = ym⇒ y = x ,

denn aus xm − ym = (x − y)m = 0 folgt ja x − y = 0.

Wir benotigen noch eine Totalordnung auf Z, welche ≤ auf N erweitert.

2.4.5 Definition. Wir definieren fur p, q ∈ Z

q < p⇔ p − q ∈ N und q ≤ p⇔ q < p ∨ q = p. (2.5)

Man sieht leicht ein, dass mit ≤ eine Totalordnung auf Z definiert ist, die ≤ auf Nerweitert, und die mit den Operationen + und · vertraglich ist.

2.4.6 Bemerkung. Wenn man sich an die Definition eines angeordneten Korpers in

Definition 2.2.1 erinnert, so haben wir die Existenz einer Teilmenge P ⊆ K verlangt,

die (p1) - (p3) erfullt. Genau diese Situation haben wir hier mit P = N, nur, dass Z kein

Korper, sondern ein Ring ist.

Die von uns definierte Totalordnung ≤ auf Z erfullt nun auch alle Eigenschaften,

die fur die entsprechende Totalordnung auf einem angeordneten Korper gelten (vgl.

Lemma 2.2.2). Ausgenommen sind nur die Eigenschaften, die sich auf die multiplikativ

Inverse beziehen.

Die ganzen Zahlen sind eindeutig in dem Sinn, dass wenn Z neben Z eine weite-

re Menge versehen mit einer Involution − : Z → Z, mit Operationen +, · und einer

Page 37: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.4. DER RING DER GANZEN ZAHLEN 31

Relation ≤ ist, sodass Z eine Kopie N der naturlichen Zahlen enthalt, Z geschrieben

werden kann als die disjunkte Vereinigung von −N, {0} und N, die Operationen + und ·wie in Definition 2.4.2 durch die entsprechenden Operationen auf N (siehe Bemerkung

2.3.9) definiert sind, und sodass ≤ wie in (2.5) definiert ist, es eine eindeutige Bijektion

φ : Z→ Z gibt, sodass

φ(−p) = −φ(p), φ(1) = 1, φ(n + 1) = φ(n)+1, p ∈ Z, n ∈ N .

Um das zu zeige, setzt man einfach die Bijektion ϕ aus Korollar 2.3.5 zu einer

Bijektion φ von Z auf Z gemaß der Forderung φ(−p) = −φ(p) fort. Die erhaltene

Bijektion Z→ Z ist mit +, ·,− und ≤ vertraglich. Siehe dazu auch Bemerkung 2.3.9.

Wir haben im Abschnitt uber die naturlichen Zahlen fur eine Zahl x aus einem

Korper ihre Potenzen xn, n ∈ N definiert (siehe Bemerkung 2.3.4). Das wollen wir auf

Z ausdehnen.

2.4.7 Definition. Sei 〈K,+, ·〉 ein Korper. Fur eine ganze Zahl p und eine Zahl x ∈K, x , 0 definieren wir

xp =

xp , falls p ∈ N1 , falls p = 01

x−p , falls −p ∈ N.

Fur x ∈ K \ {0}, p, q ∈ Z gelten die aus der Schule bekannten Rechenregeln:

xp xq = xp+q, (xp)q = xpq, x−p =1

xp. (2.6)

Den Beweis fur diese Rechenregeln fuhrt man mittels vollstandige Induktion fur

p, q ∈ N, und dann durch Fallunterscheidung fur den allgemeinen Fall p, q ∈ Z.

2.4.8 Lemma. Ist 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper, so gilt fur n ∈ N und x, y ≥ 0

x < y⇔ xn < yn ,

und fur x, y > 0

x < y⇔ x−n > y−n .

Beweis. Zunachst zeigt man leicht durch vollstandige Induktion und mit Hilfe von

(p3), dass aus 0 < t immer 0 < tn folgt.

Ist x < y, so folgt im Falle x = 0 daher xn = 0 < yn. Ist 0 < x < y, so zeigt man

xn < yn durch vollstandige Induktion:

Fur n = 1 ist xn < yn offensichtlich. Gilt xn < yn, so folgt aus Lemma 2.2.2 und der

rekursiven Definition von xn (siehe Bemerkung 2.3.4)

xn+1 = xn · x < yn · x < yn · y = yn+1 .

Ist umgekehrt xn < yn, so muss x < y, da sonst y ≤ x, und aus dem eben bewiesenem

yn ≤ xn folgte.

Die letzte Behauptung folgt sofort aus x < y⇔ x−1 > y−1 fur alle x, y > 0.

Also ist x 7→ xn eine streng monoton wachsende Funktion und somit injektive

Funktion von P ∪ {0} nach P ∪ {0}. Wir werden spater sehen, dass diese Funktionen in

vollstandig angeordneten Korpern auch surjektiv sind.

Fur p ∈ Z, p < 0 ist x 7→ xp eine streng monoton fallende Funktion und somit eine

injektive Funktion von P nach P.

Page 38: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

32 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

2.5 Eine alternative Konstruktion von Z*

Wir wollen in diesem Abschnitt einen alternativen Zugang zu den ganzen Zahlen vor-

stellen. Der Vorteil dieser vordergrundig aufwendigeren Methode ist, dass die Beweise

der Rechengesetze struktureller und kurzer sind.

2.5.1 Definition. Sei ∼⊆ (N × N)2 die Relation

(x, n) ∼ (y,m) :⇐⇒ x + m = y + n .

2.5.2 Lemma. Die Relation ∼ ist eine Aquivalenzrelation.

Beweis. Die Reflexivitat und Symmetrie ist klar. Um zu zeigen, dass ∼ transitiv ist,

seien (x, n) ∼ (y,m) und (y,m) ∼ (z, k) gegeben. Dann gilt x+m = y+n und y+k = z+m.

Es folgt

(x + k) + m = (x + m) + k = (y + n) + k = (y + k) + n = (z + m) + n = (z + n) + m ,

und wegen der Kurzungsregel in N daher x + k = z + n; also (x, n) ∼ (z, k).

2.5.3 Definition. Wir bezeichnen mit Z die Faktormenge (N × N)/∼.

Auf Z definieren wir algebraische Operationen + und · . Die Vorgangsweise dazu

ist, zunachst Addition und Multiplikation auf N × N zu definieren, und diese dann auf

Z zu ubertragen.

+ :

{(N × N)2 → N × N

((x, n), (y,m)) 7→ (x + y, n + m)

· :{

(N × N)2 → N × N((x, n), (y,m)) 7→ (xy + nm, xm + ny)

2.5.4 Lemma. Die Operationen + und · auf N × N sind kommutativ, assoziativ und es

gilt das Distributivgesetz.

Beweis. Seien (x, n), (y,m) ∈ N × N. Dann ist

(x, n) + (y,m) = (x + y, n + m) = (y + x,m + n) = (y,m) + (x, n) ,

(x, n) · (y,m) = (xy + nm, xm + ny) = (yx + mn, yn + mx) = (y,m) · (x, n) .

Sei zusatzlich (z, k) ∈ N × N. Dann gilt

((x, n) + (y,m)

)+ (z, k) = (x + y, n + m) + (z, k) =

((x + y) + z, (n + m) + k

)=

=(x + (y + z), n + (m + k)

)= (x, n) +

((y,m) + (z, k)

).

Die Gultigkeit der Assoziativitat der Multiplikation sowie des Distributivgesetzes

rechnet man ahnlich, aber deutlich muhsamer, nach.

Um diese Operationen auf Z ubertragen zu konnen, benotigen wir die Vertraglich-

keit mit der Relation ∼.

2.5.5 Lemma. Sind (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) ∼ (y, m), so folgt, dass auch

(x, n) + (y,m) ∼ (x, n) + (y, m), (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m) .

Page 39: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.5. EINE ALTERNATIVE KONSTRUKTION VON Z* 33

Beweis. Seien (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) ∼ (y, m) gegeben. Dann gilt

(x + y) + (n + m) = (x + n) + (y + m) = (x + n) + (y + m) = (x + y) + (n + m) ,

und wir sehen, dass (x, n) + (y,m) ∼ (x, n) + (y, m).

Um die Aussage fur · zu zeigen, betrachten wir zuerst (x, n) ∼ (x, n) und ein (y,m).

Dann gilt

(xy + nm) + (xm + ny) = (x + n)y + (x + n)m =

= (x + n)y + (x + n)m = (xy + nm) + (xm + ny) ,

und wir erhalten (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y,m). Wegen der Kommutativitat von · folgt

auch, dass fur (x, n) und (y,m) ∼ (y, m) stets (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m) gilt. Die

Aussage fur · folgt nun aus der Transitivitat von ∼ angewandt auf

(x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m) .

2.5.6 Definition. Auf Z seien zwei algebraische Operationen + und · definiert,

indem wir fur a, b ∈ Z Paare (x, n), (y,m) ∈ N × N so wahlen, dass [(x, n)]∼ = a und

[(y,m)]∼ = b, und dann

a + b :=[(x, n) + (y,m)

]∼, a · b :=

[(x, n) · (y,m)

]∼

setzen.

Dass durch diese Vorschrift tatsachlich zwei Funktionen wohldefiniert sind, ver-

danken wir gerade der Vertraglichkeitsaussage in Lemma 2.5.5.

Im nachsten Schritt definieren wir die Relation ≤ auf Z. Dazu sei

(x, n) ≤ (y,m) :⇐⇒ x + m ≤ y + n, (x, n), (y,m) ∈ N × N .

2.5.7 Lemma. Die Relation ≤ auf N × N ist reflexiv, transitiv und total, dh. (x, n) ≤(y,m) ∨ (y,m) ≤ (x, n) fur alle (x, n), (y,m) ∈ N × N. Zudem gilt

(x, n) ≤ (y,m) und (y,m) ≤ (x, n) ⇐⇒ (x, n) ∼ (y,m). (2.7)

Außerdem folgt aus (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) ∼ (y, m), dass

(x, n) ≤ (y,m) ⇐⇒ (x, n) ≤ (y, m) .

Beweis. Die Reflexivitat folgt unmittelbar aus der Definition. Sei (x, n) ≤ (y,m) und

(y,m) ≤ (z, k). Dann gilt x + m ≤ y + n und y + k ≤ z + m, und wir erhalten

(x + k) + m = (x + m) + k ≤ (y + n) + k = (y + k) + n ≤ (z + m) + n = (z + n) + m .

Daraus folgt nun x + k ≤ z + n, d.h. (x, n) ≤ (z, k). Die Totalitat folgt aus der Tatsache,

dass ≤ eine Totalordnung auf N ist.

Da (x, n) ≤ (y,m) und (y,m) ≤ (x, n) mit x + m = y + n gleichbedeutend ist, folgt

(2.7). Die letzte Aussage folgt unmittelbar aus (2.7) und der Transitivitat von ≤ auf

N × N.

Wegen der letzte Aussage von Lemma 2.5.7, ist folgende Definition unabhangig

von den Reprasentanten der Restklassen a bzw. b. Wir erhalten damit eine Totalord-

nung auf Z.

Page 40: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

34 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

2.5.8 Definition. Seien a, b ∈ Z, a = [(x, n)]∼, b = [(y,m)]∼. Dann schreiben wir a ≤ b,

falls (x, n) ≤ (y,m).

2.5.9 Satz. Die Addition und Multiplikation auf Z sind kommutativ, assoziativ und

es gilt das Distributivgesetz. Das Element 0 := [(1, 1)]∼ bzw. 1 := [(2, 1)]∼ ist neu-

trales Element bezuglich + bzw. ·. Jedes Element besitzt ein additiv Inverses Element.

Fur · gilt die Kurzungsregel, d.h. ist a, b, c ∈ Z, c , 0, und gilt a ·c = b ·c, so folgt a = b.

Die Relation ≤ ist eine Totalordnung. Fur alle a, b, c ∈ Z, a ≤ b, gilt auch

a + c ≤ b + c und, falls c ≥ 0, auch a · c ≤ b · c. Umgekehrt, ist c > 0 und a · c ≤ b · c,

so folgt a ≤ b.

Die naturlichen Zahlen N sind in Z injektiv eingebettet vermoge der Abbildung

φ :

{N → Zx 7→ [(x + 1, 1)]∼

Diese Einbettung erhalt Addition, Multiplikation und Ordnung.

Beweis. Die Gultigkeit von Assoziativitat, Kommutativitat sowie Distributivitat folgt

wegen Lemma 2.5.4.

Sei a = [(x, n)]∼ ∈ Z. Dann gilt

a + 0 = [(x, n)]∼ + [(1, 1)]∼ = [(x + 1, n + 1)]∼ = [(x, n)]∼ = a ,

sowie

a · 1 = [(x, n)]∼ · [(2, 1)]∼ = [(2x + n, x + 2n)]∼ = [(x, n)]∼ = a ,

also ist 0 neutrales Element der Addition und 1 neutrales Element der Multiplikation.

Setze a := [(n, x)]∼, dann gilt

a + a = [(x, n)]∼ + [(n, x)]∼ = [(x + n, n + x)]∼ = [(1, 1)]∼ = 0 ,

also hat a ein additives Inverses, namlich a.

Wegen Lemma 2.5.7 ist ≤ auf Z eine Totalordnung. Seien a, b, c ∈ Z, a =

[(x, n)]∼, b = [(y,m)]∼, c = [(z, k)]∼. Dann gilt

a + c ≤ b + c ⇐⇒ (x + z, n + k) ≤ (y + z,m + k) ⇐⇒ x + z + m + k ≤ y + z + n + k

⇐⇒ x + m ≤ y + n ⇐⇒ a ≤ b .

Sei nun angenommen, dass a < b, d.h. dass x + m < y + n, und dass c ≥ 0, d.h. z ≥ k.

Dann gibt es t ∈ N mit y + n = (x + m) + t. Wegen z ≥ k folgt tz ≥ tk und daher auch

(y + n)z = (x + m)z + tz ≥ (x + m)z + tk und schließlich

(x + m)k + (y + n)z ≥ (x + m)z + tk + (x + m)k = (x + m)z + (y + n)k .

Also haben wir (xk + nz) + (yz + mk) ≥ (xz + nk) + (yk + mz), und das heißt gerade

a · c ≤ b · c.

Sei umgekehrt a · c ≤ b · c, d.h. nach obiger Rechnung (x + m)k + (y + n)z ≥(x+m)z+(y+n)k, und c > 0, d.h. z > k. Angenommen es ware a > b, d.h. x+m > y+n.

Dann gibt es t ∈ N mit (y + n) + t = x + m. Damit erhalten wir

tk + (y + n)(k + z) ≥ tz + (y + n)(z + k)

Page 41: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.5. EINE ALTERNATIVE KONSTRUKTION VON Z* 35

und daraus tk ≥ tz und schließlich den Widerspruch k ≥ z. Also muss a ≤ b gelten. Die

Kurzungsregel fur · folgt aus der gerade bewiesenen Kurzungsregel fur ≤.

Die Injektivitat der Abbildung φ gilt, da (x + 1, 1) ∼ (y + 1, 1) gerade x + 2 = y + 2

bedeutet, und damit x = y folgt. Außerdem gilt

φ(x) + φ(y) = [((x + 1) + (y + 1), 1 + 1)]∼ = [((x + y) + 1, 1)]∼ = φ(x + y) ,

φ(x) · φ(y) =[((x + 1)(y + 1) + 1, (x + 1) + (y + 1))

]∼ =[

(xy + x + y + 1 + 1, x + y + 1 + 1)]∼ = [(xy + 1, 1)]∼ = φ(xy) ,

φ(x) ≤ φ(y) ⇐⇒ (x + 1) + 1 ≤ (y + 1) + 1 ⇐⇒ x ≤ y .

Folgendes Resultat liefert insbesondere, dass die hier konstruierten ganzen Zahlen

eine Kopie der eingangs konstruierten ganzen Zahlen sind.

2.5.10 Proposition. Versteht man die naturlichen Zahlen via φ eingebettet in Z wie in

Satz 2.5.9, so gilt

Z = −N∪{0}∪N,

wobei diese drei Mengen disjunkt sind. Dabei gilt p ∈ N ⇔ p > 0 und p ∈ −N ⇔ p <

0.

Definieren wir sgn(x) = 0, wenn x = 0, sgn(x) = 1, wenn x ∈ N, und sgn(x) = −1,

wenn x ∈ −N, und setzen |p| = sgn(p)p, so gilt fur p, q ∈ Z

p + q =

p + q , p, q ∈ N−(|p| + |q|) , −p,−q ∈ N

p − |q| , p,−q ∈ N, p > −q

−(|q| − p) , p,−q ∈ N, p < −q

−(|p| − q) , −p, q ∈ N, − p > q

q − |p| , −p, q ∈ N, − p < q

0 , q = −p

p , q = 0

q , p = 0

,

und

p · q =

|p| · |q| , q, p , 0, sgn(q) = sgn(p)

−(|p| · |q|) , q, p , 0, sgn(p) = − sgn(p)

0 , q = 0 ∨ p = 0

.

Schließlich gilt p < q⇔ q − p ∈ N und p ≤ q⇔ (p = q ∨ p < q).

Beweis. Ist [(x, n)]∼ ∈ Z, [(x, n)]∼ > 0 = [(1, 1)]∼, so gilt x + 1 > n + 1. Damit ist

x − n ∈ N, und wegen (x − n + 1, 1) ∼ (x, n) folgt φ(x − n) = [(x, n)]∼. Umgekehrt ist

fur y ∈ N φ(y) = [(y + 1, 1)]∼ > [(1, 1)]∼ = 0.

Ist [(x, n)]∼ ∈ Z, [(x, n)]∼ < 0 = [(1, 1)]∼, so folgt aus den Rechenregeln von

Satz 2.5.9 0 > −[(x, n)]∼ = [(n, x)]∼. Aus dem schon Bewiesenen folgt −[(x, n)]∼ =−φ(n−x), wobei n−x ∈ N. Umgekehrt ist fur y ∈ N −φ(y) = [(1, y+1)]∼ < [(1, 1)]∼ = 0.

Also kann man N mit {p ∈ Z : p > 0} und −N mit {p ∈ Z : p < 0} identifizieren.

Z = −N∪{0}∪N,

Page 42: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

36 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

folgt nun aus der Tatsache, dass ≤ eine Totalordnung ist.

Die restlichen Aussagen folgen aus der Definition von |.|, sgn(.) und der Tatsache,

dass p < q⇔ 0 < q − p, siehe Satz 2.5.9.

2.6 Dividieren mit Rest*

Ausgerustet mit unserem Grundwissen uber die naturlichen und die ganzen Zahlen

konnen wir nun in diesem Kapitel das aus der Schule bekannte Dividieren mit Rest

mathematisch rechtfertigen.

2.6.1 Satz. Sind m ∈ N, n ∈ Z, so gibt es eindeutige Zahlen l ∈ Z und r ∈ {0, . . . ,m −1}8, sodass n = ml + r. Dabei ist n ≥ 0 genau dann, wenn l ≥ 0.

Beweis. Sei zunachst n ∈ N∪{0} beliebig. Da die Menge aller l ∈ N∪{0}mit m·l+m > n

nicht leer ist (n ist sicher in dieser Menge), hat sie ein Minimum (Variante von Satz

2.3.10). Ist l = 0, so muss n ∈ {0, . . . ,m − 1}, und ist l > 0, so folgt wegen der

Minimalitat ml = m(l − 1) + m ≤ n < ml + m. Also muss immer n = ml + r fur ein

l ∈ N ∪ {0} und ein r ∈ {0, . . . ,m − 1}.Ist nun auch n = ml+ r fur l ∈ N∪{0} und r ∈ {0, . . . ,m−1}, so folgt ml+m > n und

wegen der Minimalitatseigenschaft von l auch l ≥ l. Andererseits gilt ml ≤ n, weshalb

nicht l > l sein kann, da sonst n ≥ ml = ml + m(l − l) ≥ ml + m ware. Somit gibt es

eindeutige l ∈ N ∪ {0} und r ∈ {0, . . . ,m − 1}, sodass n = ml + r.

Fur n < 0 ist −n − 1 ≥ 0. Somit gibt es eindeutige s ∈ N ∪ {0}, t ∈ {0, . . . ,m − 1},sodass −n−1 = sm+ t = (s+1)m+ (t−m), und daher sodass −n = (s+1)m+ (t−m+1),

bzw. n = −(s+ 1)m+ (−t+m− 1). Setzen wir l = −(s+ 1) und r = −t+m− 1, so sehen

wir, dass n = ml + r fur ein eindeutiges l < 0 und ein eindeutiges r ∈ {0, . . . ,m − 1}.❑

2.6.2 Bemerkung. Die geraden (ungeraden) Zahlen sind genau alle ganzen Zahlen der

Form 2k (2k + 1) fur ein k ∈ Z. Aus Satz 2.6.1 folgt insbesondere, dass jede gegebene

ganze Zahl gerade oder ungerade ist, wobei aus der Eindeutigkeitsaussage in Satz 2.6.1

folgt, dass sie nicht gleichzeitig gerade und ungerade sein kann. Also gilt Z = 2Z∪(2Z+1). Entsprechendes gilt, wenn man 2 durch eine andere naturliche Zahl m ersetzt, wobei

dann

Z = mZ∪(mZ + 1)∪ . . . ∪(mZ + m − 1).

2.6.3 Definition. Eine Zahl q ∈ N teilt eine Zahl p ∈ N, falls es ein m ∈ N gibt, sodass

mq = p. Wir schreiben q|p dafur. Teilt q die Zahl p nicht, so schreiben wir q ∤ p.

Außerdem setzen wir p : q := m9.

Eine Zahl p ∈ N \ {1} heißt Primzahl, wenn p nur von 1 und p geteilt wird. Die

Menge aller Primzahlen sei P.

2.6.4 Fakta.

Falls q|p, so folgt aus mq = p und 1 ≤ m, dass q ≤ p, wobei q = p genau dann,

wenn m = 1.

8{0, . . . ,m − 1} steht fur {k ∈ N ∪ {0} : 0 ≤ k < m}9Da wir in Z kurzen durfen, ist p : q eindeutig definiert.

Page 43: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.6. DIVIDIEREN MIT REST* 37

Um zu sehen, ob eine Zahl p eine Primzahl ist, genugt es somit zu uberprufen,

dass q ∤ p fur alle q ∈ N, 1 < q < p.

Man sieht sofort, dass 2, 3, 5, . . . Primzahlen sind.

Ist n ∈ N \ {1} und M = {r ∈ N \ {1} : r|n}, so ist M nicht leer, da zumindest

n ∈ M. Gilt M = {n}, so ist n definitionsgemaß eine Primzahl. Anderenfalls sei

m das kleinste Element von M und k so, dass km = n. Nun ist m eine Primzahl,

da sonst m = pq mit 1 < p, q < m, und weiter p(qk) = n. Es ware p ∈ M im

Widerspruch zur Minimalitat von m.

Insbesondere wird jede Zahl in N \ {1} von einer Primzahl geteilt.

2.6.5 Lemma. Seien a, b ∈ N und p ∈ P. Gilt p|(ab), so folgt p|a ∨ p|b.

Beweis. Sei T ⊆ P die Menge aller Primzahlen, sodass die Aussage fur gewisse a, b ∈N falsch ist. Wir bringen die Annahme T , ∅ auf einen Widerspruch.

Sei also T , ∅ und p die kleinste Zahl in T (siehe Satz 2.3.10). Somit gibt es

a, b ∈ N mit p ∤ a ∧ p ∤ b, aber p|(ab), bzw. pn = ab fur ein n ∈ N. Daher ist

S = {n ∈ N : ∃a, b ∈ N : p ∤ a ∧ p ∤ b ∧ pn = ab},

die Menge aller solchen n nicht leer. Somit hat auch diese Menge ein Minimum s.

Seien c, d ∈ N, sodass p ∤ c, p ∤ d und ps = cd. Aus den ersten beiden Tatsachen folgt

c, d , p, c, d , 1, und daraus zusammen mit der Tatsache, dass p eine Primzahl ist,

folgt s > 1.

Nun muss c < p sein, da sonst c − p ∈ N und damit p(s − d) = (c − p)d, was

s − d ∈ N implizieren und somit der Minimalitat von s widersprechen wurde. Genauso

gilt d < p.

Daraus schließen wir wegen ps = cd auf s < p. Gemaß Fakta 2.6.4 gibt es eine

Primzahl p′ ≤ s < p, sodass p′|s, d.h. s = p′s′ fur ein s′ ∈ N, s′ < s. Somit folgt

p′(ps′) = cd, also p′|(cd). Wegen der Minimalitat von p muss p′|c oder p′|d. O.B.d.A.

sei c = c′p′, c′ ∈ N, womit

p′(ps′) = p′(c′d) und daraus ps′ = c′d

folgt. Nun widerspricht das aber ebenfalls der Minimalitat von s.

2.6.6 Satz. Ist n ∈ N \ {1}, so gibt es eindeutige Primzahlen p1, . . . , pm ∈ P und

Exponenten e1, . . . , em ∈ N, sodass

n = pe1

1· . . . pem

m . (2.8)

Diese Zerlegung heißt Primfaktorzerlegung.

Beweis. Wir zeigen zuerst die Existenz einer solche Zerlegung. Fur n = 2 ist diese klar.

Angenommen fur ein n > 2 gibt es zu allen k < n, k ≥ 2 eine solche Zerlegung.

Nach Fakta 2.6.4 gibt es eine Primzahl p ≤ n mit p|n. Ist n = p, so haben wir unsere

Zerlegung. Ist p < n, so folgt n = (n : p)p, wobei nach Voraussetzung n : p (< n) eine

solche Zerlegung hat. Somit hat auch n eine solche Zerlegung. Nach einer Variante

des Prinzips der vollstandigen Induktion gibt es eine Primfaktorzerlegung fur alle n ∈N \ {1}.

Page 44: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

38 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

Die Eindeutigkeit ist fur n = 2 wieder klar, da alle Produkte der Form (2.8) einen

Wert > 2 ergeben, außer fur m = 1 und e1 = 1, p1 = 2.

Angenommen mit einem n > 2 ist die Primfaktorzerlegung eindeutig fur alle k <

n, k ≥ 2, und angenommen

qf11· . . .q fl

l= n = p

e1

1· . . . pem

m ,

mit l,m ∈ N und e1, . . . , em, f1, . . . , fl ∈ N sowie p1, . . . , pm, q1, . . . , ql ∈ P. Insbe-

sondere gilt q1|pe1

1· . . . p

emm . Nach Lemma 2.6.5 muss q1|p j und daher q1 = p j fur ein

j ∈ {1, . . . ,m}. Durch Umnummerierung konnen wir q1 = p1 annehmen. Es folgt

qf1−1

1· . . .q fl

l= n : q1 = p

e1−1

1· . . . pem

m .

Ist n : q1 = 1, so muss n = p1 = q1 und l = 1 = m, e1 = 1 = f1. Sonst folgt wegen

1 < n : q1 < n aus unserer Annahme, dass auch l = m und e j = f j sowie p j = q j,

j = 1, . . . , l.

2.7 Der Korper Q

Oben haben wir den kommutativen Integritatsring 〈Z,+, ·〉 konstruiert. Diesen werden

wir nun zu einem angeordneten Korper, dem Korper der rationalen Zahlen erweitern,

und damit sehen, dass es zumindest einen angeordneten Korper gibt.

Der Grundgedanke der folgenden Konstruktion entspringt der Tatsache, dass in

einem Korperp1

q1=

p2

q2genau dann gilt, wenn p1q2 = p2q1.

2.7.1 Definition. Sei ∼⊆ (Z × N)2 die Relation

(x, n) ∼ (y,m) :⇐⇒ xm = yn .

2.7.2 Lemma. Die Relation ∼ ist eine Aquivalenzrelation.

Beweis. Die Reflexivitat und Symmetrie sind offensichtlich. Sei nun (x, n) ∼ (y,m) und

(y,m) ∼ (z, k) dann gilt also xm = yn und yk = zm. Es folgt

(xk)m = (xm)k = (yn)k = (yk)n = (zm)n = (zn)m ,

und da 〈Z,+, ·〉 ein Integritatsring ist, gilt die Kurzungsregel, und wir erhalten xk = zn,

d.h. (x, n) ∼ (z, k).

2.7.3 Definition. Wir bezeichnen mit Q die Menge (Z×N)/∼ aller Aquivalenzklassen.

Q heißt der Korper der rationalen Zahlen.

Um auf Q die algebraischen Operationen + und · zu definieren, definieren wir

zunachst Addition und Multiplikation auf Z × N, und ubertragen diese dann durch

Faktorisieren auf Q.

+ :

{(Z × N)2 → Z × N

((x, n), (y,m)) 7→ (xm + yn, nm)

Page 45: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.7. DER KORPER Q 39

· :{

(Z × N)2 → Z × N((x, n), (y,m)) 7→ (xy, nm)

Die Motivation fur unsere Definition ergibt sich aus den Regeln der Bruchrechnung.

x

n+

y

m=

xm

nm+

yn

mn=

xm + yn

nm,

x

n· y

m=

xy

nm.

2.7.4 Lemma. Fur die Verknupfungen +, · gilt das Kommutativ- und das Assoziativge-

setz.

Beweis. Die Gesetze gelten, da man sie leicht auf die Gultigkeit dieser Gesetze auf Zzuruckfuhrt. Zum Beispiel gilt das Assoziativgesetz wegen

((x, n) + (y,m)) + (z, k) = (xm + yn, nm) + (z, k) = ((xm + yn)k + z(nm), (nm)k) =

(x(mk) + (yk + zm)n, n(mk)) = (x, n) + ((y,m) + (z, k)).

Um Q anordnen zu konnen, definieren wir noch

sgn :

{(Z × N) → Z

(x, n) 7→ sgn(x).

2.7.5 Lemma. Sind (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) ∼ (y, m), so folgt sgn((x, n)) = sgn((x, n))

und

(x, n) + (y,m) ∼ (x, n) + (y, m), (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m) .

Beweis. Seien (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) gegeben. Zunachst folgt aus xn = xn und

n, n ∈ N, dass sgn((x, n)) = sgn(x) = sgn(x) = sgn((x, n)). Weiters gilt

(xm + yn)nm = xmnm + ynnm =

= (xn − xn)︸ ︷︷ ︸=0

mm + xnmm + ynnm = (xm + yn)nm ,

also (x, n) + (y,m) ∼ (x, n) + (y,m). Wegen der Kommutativitat folgt daraus mit ver-

tauschter Notation, dass fur (x, n) und (y,m) ∼ (y, m) stets auch (x, n) + (y,m) ∼(x, n) + (y, m). Wegen der Transitivitat folgt

(x, n) + (y,m) ∼ (x, n) + (y, m) .

Bei der Multiplikation geht man analog vor. Seien (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) gegeben.

Dann gilt

xynm = (xn − xn)︸ ︷︷ ︸=0

ym + xnym = xynm ,

also (x, n) ·(y,m) ∼ (x, n) ·(y,m). Wegen der Kommutativitat folgt daraus mit vertausch-

ter Notation, dass fur (x, n) und (y,m) ∼ (y, m) stets auch (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m).

Wegen der Transitivitat folgt schließlich

(x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m) .

Page 46: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

40 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

2.7.6 Definition. Auf Q seien zwei algebraische Operationen + und · dadurch defi-

niert, dass wir fur a, b ∈ Q Paare (x, n), (y,m) ∈ Z×Nmit [(x, n)]∼ = a und [(y,m)]∼ = b

wahlen, und sgn(a) := sgn((x, n)) sowie

a + b :=[(x, n) + (y,m)

]∼ , a · b :=

[(x, n) · (y,m)

]∼

setzen.

Wegen Lemma 2.7.5 hangen sgn(a), a + b und a · b nicht von den gewahlten Re-

prasentanten (x, n) bzw. (y,m) ab.

2.7.7 Satz. Setzt man nun P = {a ∈ Q : sgn(a) = 1}, so ist 〈Q,+, ·, P〉 ist ein angeord-

neter Korper.

� Dabei ist [(0, 1)]∼ das neutrale Element bzgl. +,

� [(1, 1)]∼ das neutrale Element bezuglich ·.

� Zu [(x, n)]∼ ∈ Q ist [(−x, n)]∼ das additiv Inverse, und

� zu [(x, n)]∼ ∈ Q \ {0} ist [(sgn(x)n, |x|)]∼ das multiplikativ Inverse.

� Außerdem gilt

[(x, n)]∼ ≤ [(y,m)]∼ ⇔ xm ≤ ny. (2.9)

� Die ganzen Zahlen Z sind in Q eingebettet durch

φ :

{Z → Qx 7→ [(x, 1)]∼

Diese Einbettung erhalt Addition, Multiplikation und Ordnung.

� Schließlich hat Q die Eigenschaft, dass die Teilmenge φ(N) von Q keine obere

Schranke hat.

Beweis. Die Gultigkeit der Rechenregeln wie Kommutativitat und Assoziativitat ergibt

sich aus den entsprechenden Regeln fur + und · auf Z × N. Das Distributivgesetz gilt,

da fur [(x, n)]∼, [(y,m)]∼, [(z, k)]∼ ∈ Q

([(x, n)]∼ + [(y,m)]∼) · [(z, k)]∼ = [(xm + yn,mn)]∼ · [(z, k)]∼ = [((xm + yn)z, kmn)]∼ =

[(xzkm + yzkn, (km)(kn))]∼ = [(x, n)]∼ · [(z, k)]∼ + [(y,m)]∼ · [(z, k)]∼ .

Fur a = [(x, n)]∼ ∈ Q gilt

a + [(0, 1)]∼ = [(x + 0, n · 1)]∼ = a, a · [(1, 1)]∼ = [(x · 1, n · 1)]∼ = a .

Weiters hat man fur b := [(−x, n)]∼

a + b = [(xn − xn, nn)]∼ = [(0, nn)]∼ = [(0, 1)]∼ = 0 .

Sei nun a , 0, d.h. (x, n) / (0, 1) oder aquivalent x , 0. Mit c := [(sgn(x)n, |x|)]∼ folgt

ac = [(sgn(x)xn, n|x|)]∼ = [(1, 1)]∼.

Page 47: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.7. DER KORPER Q 41

Wegen sgn([(−x, n)]∼) = sgn(−x) = − sgn([(x, n)]∼) und sgn([(x, n)]∼) = 0 ⇔ x =

0⇔ [(x, n)]∼ = [(0, 1)]∼ gilt fur a ∈ Q

a ∈ P ⇔ sgn(a) = 1

a ∈ {0} ⇔ sgn(a) = 0

a ∈ −P ⇔ sgn(a) = −1

Daraus folgt sofort

Q = P∪{0}∪ − P,

wobei das eine Vereinigung paarweiser disjunkter Mengen ist.

Aus sgn([(x, n)]∼+ [(y,m)]∼) = sgn(xm+yn) und sgn([(x, n)]∼ · [(y,m)]∼) = sgn(xy)

erhalten wir, dass a, b ∈ P die Tatsache a + b, a · b ∈ P nach sich zieht. Somit ist

〈Q,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper, und wir haben damit eine Totalordnung ≤ auf Q.

(2.9) folgt aus

[(y,m)]∼ − [(x, n)]∼ = [(yn − xm,mn)]∼ ∈ {0} ∪ P⇔ sgn(yn − xm) ≥ 0⇔ xm ≤ yn.

Betrachte nun die Abbildung φ : Z → Q. Diese ist injektiv, denn (x, 1) ∼ (y, 1) gilt

genau dann, wenn x = y. Dass φ die algebraischen Operationen erhalt, rechnet man

leicht nach. Die Vertraglichkeit mit der Ordnung gilt, da wegen (2.9)

x ≤ y⇔ x · 1 ≤ y · 1⇔ [(x, 1)]∼ ≤ [(y, 1)]∼ ⇔ φ(x) ≤ φ(y).

Angenommen [(x, n)]∼ ist eine obere Schranke von φ(N), also mn ≤ x fur alle

m ∈ N. Das ist aber offensichtlich falsch, wenn x ≤ 1 und man zum Beispiel m = 2

setzt. Ist x > 1, so erhalt man mit m = x2 den Widerspruch x ≤ xn ≤ 1.

Wir werden im Folgenden fur die rationale Zahl [(x, n)]∼ stets das Symbol xn

schrei-

ben. Dieses Symbol druckt tatsachlich die Division von x durch n aus, denn man hat

[(x, 1)]∼ = [(x, n)]∼ · [(n, 1)]∼

Wir sehen insbesondere, dass jede rationale Zahl der Quotient von zwei ganzen Zahlen

ist.

Nun wollen wir zeigen, dass jeder angeordnete Korper die rationalen Zahlen, und

damit insbesondere auch die ganzen Zahlen, enthalt.

2.7.8 Proposition. Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Dann gibt es eine eindeuti-

ge Abbildung φ : Q→ K, die nicht identisch gleich 0K ist, und welche mit der Addition

und Multiplikation vertraglich ist. Diese Abbildung ist dann injektiv und auch mit −sowie mit den Ordnungen < und ≤ vertraglich.

Beweis.

Fur n ∈ N und x ∈ K haben wir im Abschnitt uber die naturlichen Zahlen eine

Funktion n 7→ nx von N nach K rekursiv durch 1x = x und (n′)x = nx + x

definiert; siehe Bemerkung 2.3.4. Nun nehmen wir fur x ∈ K das multiplikativ

neutrale Element 1K von K, und bezeichnen mit φ : N → K die entsprechende

Funktion n 7→ n1K , welche offensichtlicherweise φ(1) = 1K und φ(n + 1) =

φ(n) + 1K erfullt.

Mit vollstandiger Induktion nach m zeigt man leicht, dass φ(n+m) = φ(n)+φ(m)

und φ(n · m) = φ(n) · φ(m) fur alle n,m ∈ N.

Wegen 1K ∈ P (siehe Lemma 2.2.2) sieht man ebenfalls mit vollstandiger Induk-

tion, dass φ(n) ∈ P fur alle n ∈ N. Insbesondere gilt immer φ(n) , 0K .

Page 48: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

42 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

Nun setzen wir φ auf Z dadurch fort, dass wir φ(0) = 0K und φ(−n) = −φ(n), n ∈N setzen. Man beweist durch Fallunterscheidungen mit der in Definition 2.4.2

angegebenen Form von + und · auf Z auf elementare Art und Weise, dass diese

Fortsetzung die Addition und Multiplikation erhalt.

Wegen (p, q ∈ Z)

p < q⇔ q − p ∈ N⇔ φ(q − p) = φ(q) − φ(p) ∈ P⇔ φ(p) < φ(q)

ist φ auch mit der Ordnung vertraglich.

Da ganz Q von den Quotienten xn

mit x ∈ Z, n ∈ N, ausgeschopft wird, lasst sich

φ durch die Vorschrift

φ

(x

n

):=

φ(x)

φ(n)

zu einer Abbildung von Q nach K fortsetzen. Man beachte hier, dass aus xn= x

n

folgt, dass xn = xn und daher φ(x)φ(n) = φ(x)φ(n) bzw.φ(x)

φ(n)=

φ(x)

φ(n). Also ist diese

Abbildung wohldefiniert.

Diese Fortsetzung erhalt ebenfalls die Addition und Multiplikation, denn furxn,

y

m∈ Q gilt

φ

(x

n+

y

m

)= φ

(xm + yn

nm

)=φ(xm + yn)

φ(nm)=

φ(x)φ(m) + φ(y)φ(n)

φ(n)φ(m)=φ(x)

φ(n)+φ(y)

φ(m)= φ

(x

n

)+ φ

(y

m

),

φ

(x

n· y

m

)= φ

(xy

nm

)=φ(xy)

φ(nm)=

φ(x)φ(y)

φ(n)φ(m)=φ(x)

φ(n)· φ(y)

φ(m)= φ

(x

n

)· φ

(y

m

).

Sie erhalt auch die Ordnung, denn es gilt

x

n<

y

m⇐⇒ xm < yn ⇐⇒ φ(x)φ(m) < φ(y)φ(n) ⇐⇒ φ(x)

φ(n)<φ(y)

φ(m).

Es folgt insbesondere, dass φ injektiv ist.

Um die Eindeutigkeit von φ nachzuweisen, sei φ eine weitere mit Addition und

Multiplikation vertragliche Abbildung, sodass φ(x) , 0 fur zumindest ein x ∈ Q.

Aus φ(x)φ(1) = φ(x1) = φ(x) folgt φ(1) = 1K , und aus φ(0) + φ(0) = φ(0 + 0) =

φ(0) folgt φ(0) = 0K .

Durch vollstandige Induktion zeigt man, dass φ(n) = φ(n) fur n ∈ N. Aus φ(−n)+

φ(n) = φ(0) = 0K = φ(−n) + φ(n) folgt φ(p) = φ(p), p ∈ Z. Schließlich folgt aus

φ(p

n)φ(n) = φ(p) = φ(p) = φ(

p

n)φ(n), dass φ = φ.

Das letzte Resultat zeigt uns, dass die rationalen Zahlen in einem gewissen Sinn

der kleinste angeordnete Korper ist.

Page 49: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.8. ARCHIMEDISCH ANGEORDNETE KORPER 43

Wenn wir im Folgenden von den naturlichen (ganzen, rationalen) Zahlen als Teil-

menge eines angeordneten Korpers sprechen, so wollen wir darunter die gemaß Pro-

position 2.7.8 existierende isomorphe Kopie φ(N) = {n1k : n ∈ N}, φ(Z), bzw. φ(Q)

verstehen und nicht mehr z.B. zwischen n und n · 1K unterscheiden.

2.7.9 Bemerkung (*). Die am Beginn vom Beweis von Proposition 2.7.8 konstruierte

Einbettung φ der naturlichen Zahlen in einen angeordneten Korper lasst sich auch auf

beliebigen Korpern K durchfuhren.

Dabei kann es passieren, dass φ(n) = 0K fur ein n ∈ N. Das kleinste derartige n ist

dann eine Primzahl und heißt die Charakteristik des Korpers K.

Ist hingegen immer φ(n) , 0K , so sagt man, dass K von Charakteristik Null ist.

Insbesondere sind angeordnete Korper von Charakteristik Null. Man sieht leicht ein,

dass dann φ injektiv ist, und man denselben Beweis wie den von Proposition 2.7.8

hernehmen kann, um zu zeigen, dass sich Q injektiv in jeden Korper der Charakteristik

Null einbetten lasst.

2.7.10 Bemerkung (*). Die angegebene Art und Weise, aus Z die rationalen Zahlen zu

konstruieren, lasst sich auf beliebige kommutative Integritatsringe R ausdehnen. Dazu

betrachtet man R× (R \ {0}) und die Aquivalenzrelation ∼mit (x, a) ∼ (y, b)⇔ xb = ya

darauf.

Die in diesem Abschnitt gebrachten Ergebnisse (samt Beweise) gelten sinngemaß

auch in dieser allgemeineren Situation, wobei man hier i.A. keine sgn-Funktion hat,

und wobei das multiplikativ Inverse zu [(x, n)]∼ genau [(n, x)]∼ ist. (R × (R \ {0}))/∼ ist

dann ein Korper (Quotientenkorper von R), aber i.A. kein angeordneter Korper.

Wendet man diese Konstruktion auf Z an, so erhalt man wieder Q.

2.8 Archimedisch angeordnete Korper

2.8.1 Definition. Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Dann heißt K archimedisch

angeordnet, wenn N als Teilmenge von K nicht nach oben beschrankt ist.

In Satz 2.7.7 haben wir gesehen, dass die rationalen Zahlen archimedisch ange-

ordnet sind. Wir werden auch sehen, dass die reellen Zahlen archimedisch angeordnet

sind.

2.8.2 Beispiel. Die Eigenschaft, dass 〈K,+, ·, P〉 ein archimedisch angeordneter Korper

ist, ermoglicht es uns etwa das Infimum von Mengen wie

M =

{1

n: n ∈ N

}

zu berechnen. Der Vermutung nach ist inf M = 0.

Um das zu beweisen, sei zunachst bemerkt, dass 0 offensichtlich eine untere

Schranke von M ist. Ware ǫ > 0 eine weitere untere Schranke von M, d.h. 0 < ǫ <1n, n ∈ N, so folgte n < 1

ǫ, was aber der Eigenschaft von K, archimedisch angeordnet

zu sein, widerspricht.

In archimedisch angeordneten Korpern gilt der folgende fur die spater zu entwi-

ckelnde Konvergenztheorie wichtige

Page 50: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

44 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

2.8.3 Satz. Sei 〈K,+, ·, P〉 ein archimedisch angeordneter Korper. Sind x, y ∈ K, x < y,

dann existiert p ∈ Q mit x < p < y 10.

Beweis. Seien zunachst x, y ∈ K mit 0 ≤ x < y gegeben. Dann ist y − x > 0 und damit

auch 1y−x

> 0. Da K archimedisch angeordnet ist, gibt es ein n ∈ N mit n > 1y−x

und

daher n(y − x) > 1.

Nach Satz 2.3.10 hat {k ∈ N : k > nx} ein Minimum, und somit gibt es eine kleinste

naturliche Zahl m ∈ N, sodass m > nx. Ist m > 1, so folgt aus der Wahl von m, dass

m− 1 ≤ nx. Ist m = 1, so folgt gemaß unserer Voraussetzung m− 1 = 0 ≤ nx. Also gilt

immer m − 1 ≤ nx < m. Kombiniert man diese Ungleichung mit n(y − x) > 1, so folgt

nx < m ≤ nx + 1 < ny ,

und damit x < mn< y.

Ist schließlich x < 0, so konnen wir ein k ∈ N wahlen mit k ≥ |x|, da N ja nicht

nach oben beschrankt ist. Es folgt 0 ≤ x + k < y + k, und nach dem eben Bewiesenen

x + k < mn< y + k. Nun ist m

n− k eine rationale Zahl mit x < m

n− k < y.

2.8.4 Bemerkung. Da man obigen Satz induktiv immer wieder anwenden kann, sieht

man, dass zwischen zwei Zahlen sogar unendlich viele rationale Zahlen liegen.

Ist Q ( K, so kann man mit einer linearen Transformation sogar zeigen, dass es

eine nicht rationale Zahl zwischen 0 und 1 gibt, und weiters unter Verwendung von

Satz 2.8.3, dass es zwischen zwei Zahlen von K auch eine nicht rationale Zahl gibt.

2.9 Das Vollstandigkeitsaxiom

Wie wir spater sehen werden, ist die Vollstandigkeit die Eigenschaft der reellen Zahlen,

die sie unverwechselbar von anderen angeordneten Korpern unterscheidet.

2.9.1 Definition. Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Dann heißt K vollstandig

angeordnet, wenn jede nach oben beschrankte Menge ein Supremum hat. Diese Eigen-

schaft nennen wir (s).

Wie schon im vorhergehenden Abschnitt erwahnt, gilt

2.9.2 Lemma. Ist 〈K,+, ·, P〉 ein vollstandig angeordneter Korper, so ist er archime-

disch angeordnet.

Beweis. Ware namlich N nach oben beschrankt, so existierte wegen (s)

η = supN.

Sei n beliebig in N. Mit n gehort aber auch n + 1 zu N. Also gilt n + 1 ≤ η, und

somit n ≤ η − 1. Daher ist η − 1 eine obere Schranke von N, was den Widerspruch

η − 1 ≥ supN = η nach sich zieht.

Nun gilt folgender wichtige Satz, dessen Beweis wir spater (am Ende dieses Ab-

schnittes bzw. im Kapitel 4) bringen werden.

10Diese Aussage nennt man auch die Dichteeigenschaft von Q in K.

Page 51: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.9. DAS VOLLSTANDIGKEITSAXIOM 45

2.9.3 Satz. Es gibt einen vollstandig angeordneten Korper 〈L,+, ·, L+〉.Ist 〈K,+, ·, P〉 ein weiterer vollstandig angeordneter Korper, so gibt es einen ein-

deutigen Isomorphismus φ : L→ K, also eine Bijektion, sodass φ mit den Operationen

vertraglich ist und sodass φ(L+) = P.

Wenn wir ab jetzt von den reellen Zahlen sprechen, dann sei immer ein

vollstandig angeordneter Korper 〈L,+, ·, L+〉 gemeint. Wir schreiben im Folgenden im-

mer 〈R,+, ·,R+〉 dafur. Wegen Satz 2.9.3 ist 〈R,+, ·,R+〉 bis auf Kopien eindeutig. Es

sei aber bemerkt, dass diese Eindeutigkeit fur die restlichen Aussagen dieses Kapitels

und auch fur Kapitel 3 unerheblich sind – diese also in jedem vollstandig angeordneten

Korper gelten.

2.9.4 Bemerkung. Zusammenfassend sei nochmals betont, dass die reellen Zahlen Reinen vollstandig angeordneter Korper bilden, der die Korperaxiome (a1)-(a4), (m1)-

(m4), (d), die Axiome eines angeordneten Korpers (p1)-(p3) und das Vollstandig-

keitsaxiom (s) erfullt.

Alle bisher gezeigten Rechenregeln und Eigenschaften von R lassen sich alle aus

diesen Axiomen herleiten, bzw. haben wir hergeleitet. Auch die im Folgenden aufge-

baute Analysis setzt nur auf diese Axiome auf.

Die Vollstandigkeit von R garantiert zum Beispiel, dass es n-te Wurzeln von nicht-

negativen Zahlen gibt.

2.9.5 Satz. Sei x ∈ R, x ≥ 0, und n ∈ N. Dann existiert genau eine Zahl y ∈ R, y ≥ 0,

sodass yn = x.

Beweis. Im Fall n = 1 ist die Aussage trivial. Sei also n ≥ 2.

Die Eindeutigkeit von y folgt unmittelbar aus Lemma 2.4.8, da aus 0 ≤ y1 < y2

immer yn1< yn

2folgt. Somit konnen nicht beide der Gleichung yn = x genugen.

Zur Existenz: Ist x = 0, so ist klarerweise yn = x fur y = 0. Im Fall x > 0 sei

E := {t ∈ R : t > 0, tn < x}.

Diese Menge ist nicht leer, denn fur s = x1+x

gilt 0 < s < min(x, 1) und daher sn < s <

x; also s ∈ E.

Fur τ := 1 + x gilt τ > 1 und daher τn > τ > x. Aus t ≥ τ folgt dann tn ≥ τn > x

und damit t < E. Also muss τ eine obere Schranke von E sein.

Da R vollstandig angeordnet ist, existiert y := sup E. Wegen 0 < x1+x∈ E ist sicher

y > 0. Wir zeigen im Folgenden, dass yn = x, und zwar indem wir die beiden anderen

Moglichkeiten yn < x und yn > x ausschließen.

Dazu benotigen wir, dass die fur beliebige Elemente a, b ∈ R geltende und mit

vollstandiger Induktion nach n zu beweisende Gleichung

bn − an = (b − a)(bn−1 + bn−2a + . . . + ban−2 + an−1) . (2.10)

Fur 0 < a < b erhalten wir daraus die Abschatzung

bn − an < (b − a)nbn−1 . (2.11)

Angenommen yn < x, so gibt es gemaß Satz 2.8.3 ein ǫ ∈ Q mit

0 < ǫ < min

(x − yn

n(y + 1)n−1, 1

).

Page 52: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

46 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

Setzen wir in (2.11) a = y und b = y + ǫ, so folgt

(y + ǫ)n − yn < ǫn(y + ǫ)n−1 < ǫn(y + 1)n−1 < x − yn .

Also gilt (y + ǫ)n < x und daher y + ǫ ∈ E im Widerspruch zu y = sup E.

Ware yn > x, so setze man

δ :=yn − x

nyn−1.

Dann gilt 0 < δ <y

n< y.

Wir zeigen, dass y − δ eine obere Schranke von E ist. Ware dem nicht so, dann gilt

t > y − δ fur ein t ∈ E. Aus (2.11) folgt aber mit b = y, a = (y − δ)

yn − tn < yn − (y − δ)n < δnyn−1 = yn − x .

Also tn > x, und daher der Widerspruch t < E.

Die Tatsache, dass y−δ eine obere Schranke von E ist, widerspricht aber y = sup E.

2.9.6 Definition. Die nach obigem Satz eindeutig bestimmte Zahl y ≥ 0, die n-te

Wurzel von x, schreibt man auch als n√

x oder x1n .

2.9.7 Bemerkung. Man betrachte die Funktion

{R+ ∪ {0} → R+ ∪ {0}

y 7→ yn .

Gemaß Lemma 2.4.8 ist diese Funktion streng monoton wachsend und daher injektiv.

Zu gegebenem x ist y = n√

x jene Zahl, sodass yn = x. Also ist y 7→ yn auch surjektiv

als Funktion von R+ ∪ {0} nach R+ ∪ {0}. Sie ist also bijektiv und ihre Umkehrfunktion

ist genau x 7→ n√

x. Wegen Lemma 2.4.8 ist auch x 7→ n√

x streng monoton wachsend.

2.9.8 Bemerkung. Nun sehen wir auch, dass R nicht nur aus rationalen Zahlen bestehen

kann, also Q ( R gilt. Ware namlich

√2 =

p

q∈ Q, (2.12)

so kann man p, q teilerfremd wahlen, d.h. es gibt kein k ∈ N \ {1}, welches p und q

teilt11. Insbesondere ist nur hochstens eine der Zahlen p oder q gerade. Ausquadrieren

und mit q2 Multiplizieren in (2.12) ergibt 2q2 = p2. Da eine Zahl genau dann gerade

ist, wenn ihr Quadrat es ist, folgt, dass p gerade und damit q ungerade ist; siehe Satz

2.6.6. Schreibt man p = 2m, so folgt 2q2 = 4m2, und damit q2 = 2m2. Wir erhalten

daraus den Widerspruch, dass auch q gerade sein musste.

2.9.9 Definition. Ist x > 0 und ist r ∈ Q dargestellt in der Form r =p

qmit p ∈ Z, q ∈ N,

so definieren wir

xr :=(

q√

x)p.

11Eine ganze Zahl k , 0 teilt eine ganze Zahl n, wenn es ein m ∈ Z gibt, sodass km = n.

Page 53: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.9. DAS VOLLSTANDIGKEITSAXIOM 47

Da die Darstellung einer rationalen Zahl als Bruch nicht eindeutig ist, mussen wir

nachweisen, dass die Definition von xr nicht von der Wahl von p, q abhangt. Dazu

brauchen wir

2.9.10 Lemma. Sind x > 0, z > 0 und p ∈ Z, q ∈ N, so giltq

√1x= 1

q√x, q√

xz = q√

x q√

z

sowie

(q√

x)p =q√

xp. (2.13)

Beweis.q

√1x= 1

q√xfolgt aus ( 1

q√x)q = 1

( q√x)q =1x

und der Tatsache, dass nach Satz 2.9.5

q

√1x

die eindeutige Losung y von yq = 1x

ist.

Wegen ( q√

x q√

z)q = ( q√

x)q( q√

z)q = xz muss q√

x q√

z mit q√

xz ubereinstimmen.

Ist p = 0, so ist (2.13) trivialerweise richtig, da jaq√

1 = 1. Sonst folgt (2.13) wegen

(2.6) aus (( q√

x)p)q = (( q√

x)q)p = xp und aus der Tatsache, dass nach Satz 2.9.5q√

xp die

eindeutige Losung y von yq = xp ist.

Ist jetzt r =p

q= m

n, so folgt wegen pn = qm

(q√

xp)n =

q√

xpn=

q√

xqm= (

q√

xq)m = xm.

Zieht man links und rechts die n-te Wurzel, so gilt wegen (2.13)

q√

xp=

n√

xm,

und damit ist xr wohldefiniert. Außerdem gelten die (mit einer Beweisfuhrung ahnlich

wie der von Lemma 2.9.10 zu zeigenden) Rechenregeln (r, s ∈ Q, x > 0)

xr+s = xr xs, (xr)s = xrs, x−r =1

xr.

2.9.11 Lemma (Lemma vom iterierten Supremum). Seien M,N zwei nichtleere Men-

gen und f : M × N → R eine nach oben beschrankte Funktion, dh. { f (m, n) : (m, n) ∈M × N} ist nach oben beschrankt. Dann gilt

sup{sup{ f (m, n) : m ∈ M} : n ∈ N} = sup{ f (m, n) : (m, n) ∈ M × N} =

sup{sup{ f (m, n) : n ∈ N} : m ∈ M}.Sind umgekehrt alle Mengen { f (m, n) : m ∈ M}, n ∈ N, nach oben beschrankt genauso

wie {sup{ f (m, n) : m ∈ M} : n ∈ N}, bzw. gilt entsprechendes mit M und N vertauscht,

so ist auch { f (m, n) : (m, n) ∈ M × N} nach oben beschrankt, womit obige Gleichung

wieder gilt. 12

Eine entsprechende Aussage gilt furs Infimum.

Beweis. Wir setzen s = sup{ f (m, n) : (m, n) ∈ M × N} und fur festes q ∈ N auch

sq = sup{ f (m, q) : m ∈ M}. Aus { f (m, q) : m ∈ M} ⊆ { f (m, n) : (m, n) ∈ M × N} folgt

dann sq ≤ s fur jedes q ∈ N; also auch sup{sq : q ∈ N} ≤ s.

Umgekehrt folgt fur festes (m, n) ∈ M ×N, dass f (m, n) ∈ { f (m, q) : m ∈ M}, wenn

nur q = n. Fur dieses q ist f (m, n) ≤ sq; also gilt auch f (m, n) ≤ sup{sq : q ∈ N}. Da

(m, n) ∈ M × N beliebig war, folgt schließlich s ≤ sup{sq : q ∈ N}.❑

12Also gilt obige Gleichung auch fur nicht notwendigerweise nach oben beschrankte Funktionen, wenn

man auch den Wert +∞ zulasst.

Page 54: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

48 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

2.10 Dedekindsche Schnitte*

Am Ende dieses Abschnitts werden wir beweisen, dass vollstandig angeordnete Korper

tatsachlich existieren, und dass alle solche immer Kopien von einander sind. Eine an-

dere Art und Weise, das zu tun, findet sich in Kapitel 4.

Um diese anspruchsvolle Konstruktion zu motivieren, denken wir uns eine Gerade

gemeinsam mit einer Einheitsstrecke gezeichnet. Auf dieser Geraden denken wir uns

die rationalen Zahlen durch fortgesetztes unterteilen der Einheitsstrecke aufgetragen.

Obwohl es anschaulich beliebig nahe an jedem Punkt eine rationale Zahl gibt, gibt es

gemaß Bemerkung 2.9.8 Punkte, welche nicht rational sind.

Unsere Konstruktion beruht auf der folgenden Bemerkung, die R.Dedekind13 ge-

macht hat: Zerfallen alle Punkte der Geraden in zwei Klassen von der Art, dass jeder

Punkt der ersten Klasse links von jedem Punkt der zweiten Klasse liegt, so existiert

ein und nur ein Punkt, welcher diese Einteilung aller Punkte in zwei Klassen, diese

Zerschneidung der Geraden in zwei Stucke, hervorbringt.

Man kann also einen Punkt P der Geraden identifizieren mit der Menge aller Punk-

te, die links von ihm liegen. Da man nun aber mit den rationalen Punkten beliebig nahe

an den Punkt P herankommt, genugt es, alle rationalen Punkte, die links von P liegen,

zu kennen, um P selbst eindeutig zu rekonstruieren.

2.10.1 Satz. Es gibt einen vollstandig angeordneten Korper. Dieser ist bis auf Isomor-

phie eindeutig bestimmt.

Beweis. Der Beweis dieses Satzes ist relativ lang und wird in mehreren Schritten

gefuhrt, von denen wir auch nicht alle im Detail ausfuhren werden.

Schritt 1: Eine Teilmenge α von Q heißt ein Dedekindscher Schnitt, wenn sie die

folgenden drei Eigenschaften besitzt:

(I) α , ∅, α , Q.

(II) Aus p ∈ α folgt (−∞, p] ⊆ α.

(III) Ist p ∈ α, so existiert ein ǫ ∈ Q, ǫ > 0, sodass p + ǫ ∈ α.

Die Menge aller Dedekindschen Schnitte bezeichnen wir mit K.

Dieser Begriffmodelliert die Anschauung der Menge aller rationalen Punkte, die

”links von dem Punkt der Geraden liegen“.

Die Eigenschaft (III) besagt, dass α kein großtes Element hat. Aus der Eigen-

schaft (II) erhalt man unmittelbar die folgenden beiden Aussagen.

(i) Ist p ∈ α und q < α, dann ist p < q.

(ii) Ist r < α und s > r, so ist s < α.

Schritt 2: Wir definieren eine Relation ≤ auf K durch

α ≤ β :⇐⇒ α ⊆ β, α, β ∈ K ,

Diese Relation ist offenbar eine Halbordnung. Wir zeigen, dass sie sogar eine

Totalordnung ist. Seien α, β ∈ K und sei angenommen, dass α � β, d.h. α * β.

13Richard Dedekind. 6.10.1831 Braunschweig - 12.2.1916 Braunschweig

Page 55: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.10. DEDEKINDSCHE SCHNITTE* 49

Dann existiert also p ∈ α mit p < β. Also folgt aus q > p, dass q < β, und aus

q < p, dass q ∈ α. Ist also q ∈ β, so muss q < p sein und daher zu α gehoren.

Somit gilt β ≤ α.

Fur α ( β schreiben wir auch α < β.

Schritt 3: In diesem Schritt zeigen wir, dass K mit der Ordnung ≤ die Supremums-

eigenschaft besitzt. Sei A ⊆ K eine nichtleere und nach oben beschrankte Teil-

menge von K, und setze

γ :=⋃

α∈Aα .

Wir zeigen, dass γ ∈ K. Da A nichtleer ist, existiert ein α0 ∈ A. Nun ist α0

nichtleer und α0 ⊆ γ, also gilt auch γ , ∅. Da A nach oben beschrankt ist,

existiert β ∈ K mit α ⊆ β fur alle α ∈ A, was γ ⊆ β nach sich zieht. Wegen β , Qist auch γ , Q. Also erfullt γ die Eigenschaft (I). Ist p ∈ γ, so existiert α ∈ A

mit p ∈ α. Also folgt (−∞, p] ⊆ α ⊆ γ. Weiters existiert ein rationales ǫ > 0 mit

r + ǫ ∈ α ⊆ γ. Wir sehen also, dass γ die Eigenschaften (II) und (III) hat.

Es bleibt γ = sup A zu zeigen. Offenbar gilt α ≤ γ fur alle α ∈ A. Ist β ∈ K mit

β ≥ α bzw. β ⊇ α fur alle α ∈ A, so folgt β ⊇ γ. Also ist γ tatsachlich die kleinste

obere Schranke von A.

Schritt 4: Wir definieren eine Addition auf K. Fur α, β ∈ K setze

α + β :={r + s : r ∈ α, s ∈ β} .

Weiters setze 0∗ := {p ∈ Q : p < 0}.Als erstes zeigen wir, dass α + β ∈ K. Da α , ∅ und β , ∅, folgt auch α + β , ∅.Wahle r′ < α und s′ < β, dann ist r′ > r, r ∈ α, und s′ > s, s ∈ β. Also erhalten

wir r′ + s′ > r + s, r ∈ α, s ∈ β. Damit kann r′ + s′ nicht zu α + β gehoren.

Wir sehen, dass α + β die Eigenschaft (I) besitzt. Sei nun p ∈ α + β gegeben,

und schreibe p = r + s mit gewissen r ∈ α, s ∈ β. Fur q < p folgt q − s < r

und daher q − s ∈ α. Also q = (q − s) + s ∈ α + β, und wir sehen, dass (II)

gilt. Zu p = r + s ∈ α + β wahle ein rationales ǫ > 0 mit r + ǫ ∈ α, dann folgt

r + s + ǫ ∈ α + β, also gilt auch (III).

Die Addition ist kommutativ, denn

α + β = {r + s : r ∈ α, s ∈ β} = {s + r : r ∈ α, s ∈ β} = β + α .

Sie ist assoziativ, denn

α + (β + γ) ={r + u : r ∈ α, u ∈ (β + γ)

}=

={r + (s + t) : r ∈ α, s ∈ β, t ∈ γ} = {

(r + s) + t : r ∈ α, s ∈ β, t ∈ γ} =

={v + t : v ∈ (α + β), t ∈ γ} = (α + β) + γ .

Nun identifizieren wir 0∗ als das neutrale Element bezuglich der Addition: Ist

r ∈ α und s ∈ 0∗, so folgt r + s < r, also r + s ∈ α. D.h. α + 0∗ ≤ α.

Sei umgekehrt p ∈ α, und wahle ein rationales ǫ > 0 mit p + ǫ ∈ α. Dann gilt

p = p + ǫ + (−ǫ) ∈ α + 0∗.

Page 56: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

50 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

Es bleibt zu zeigen, dass jedes Element von K ein additives Inverses besitzt. Sei

also α ∈ K gegeben. Setze

β :={p ∈ Q : ∃ ǫ > 0 : p + ǫ < −α} .

Als erstes zeigen wir, dass β ∈ K. Sei s < α und setze p := −s − 1, dann ist

p + 1 = −s < −α, also p ∈ β, d.h. β , ∅. Aus q ∈ α folgt −q < β, da sonst

q − ǫ < α, und somit q < α; also β , Q. Damit gilt (I). Sei nun p ∈ β gegeben.

Wahle ǫ > 0, sodass −p − ǫ < α. Ist q < p, so gilt −q − ǫ > −p − ǫ und

daher −q − ǫ < α, d.h. q ∈ β. Es gilt also (II). Mit t := p + ǫ2

ist t > p und

−t − ǫ2= −p − ǫ < α, d.h. t ∈ β. Also gilt (III).

Ist r ∈ α und s ∈ β, so ist −s < α und daher r < −s. Daher ist r + s < 0, bzw,

r + s ∈ 0∗. Wir sehen, dass α + β ≤ 0∗.

Umgekehrt sei v ∈ 0∗. Setze w := − v2> 0. Sei q < α. Da Q archimedisch

angeordnet ist, gibt es ein n1 ∈ N mit n1w > q und daher mit n1w < α. Zu q ∈ αgibt es auch ein n2 ∈ N mit n2w > −q und daher mit −n2w ∈ α.

Es existiert also ein n ∈ Z mit nw ∈ α und (n + 1)w < α. Setze p := −(n + 2)w.

Dann ist p ∈ β, denn −p − w < α. Wir haben also

v = nw + p ∈ α + β .

Schritt 5: Die Addition ist mit der Ordnung vertraglich. Ist namlich α ≤ β, d.h. α ⊆ β,

und ist γ ∈ K, so folgt α + γ ⊆ β + γ. Addieren von −γ zeigt, dass in der Tat

α ≤ β⇔ α + γ ≤ β + γ.

Daraus folgt unmittelbar α < β ⇔ β − α ∈ P := {γ ∈ K : γ > 0}, und die

Tatsache, dass mit α, β ∈ P auch α + β > α + 0∗ > 0∗ und somit α + β ∈ P.

Schritt 6: Wir definieren eine Multiplikation auf K. Seien zunachst α, β > 0. Dann

setze

α · β :={p ∈ Q : ∃r ∈ α, s ∈ β, r, s > 0 : p ≤ rs

}.

Man zeigt genauso wie in Schritt 4, dass α · β tatsachlich ein Element von K ist,

dass die Multiplikation kommutativ und assoziativ ist, und dass das Distributiv-

gesetz gilt.

Weiters definieren wir

1∗ := {p ∈ Q : p < 1} .Wieder sieht man analog wie in den vorherigen Beweisschritten, dass 1∗ neutra-

les Element bezuglich der Multiplikation ist, und dass jedes Element α > 0 ein

multiplikatives Inverses

β :={p ∈ Q : ∃ ǫ > 0 : p + ǫ < {1

q: q ∈ α, q > 0}}

besitzt.

Um nun die Multiplikation auch fur Elemente α < 0 zu definieren, setze

α · β :=

(−α) · (−β) , falls α < 0∗, β < 0∗

(−α) · β , falls α < 0∗, β > 0∗

α · (−β) , falls α > 0∗, β < 0∗

0∗ , falls α = 0∗ oder β = 0∗

Page 57: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.10. DEDEKINDSCHE SCHNITTE* 51

Der Beweis der Rechengesetze folgt aus den bereits bekannten Regeln fur die

Multiplikation von positiven Zahlen durch Fallunterscheidungen.

Um α, β ∈ P ⇒ α · β ∈ P einzusehen, wahle man a ∈ α \ 0∗, b ∈ β \ 0∗. Also

a, b ≥ 0. Wegen (III) konnen wir sogar a, b > 0 annehmen. Es folgt a·b ∈ α·β\0∗und somit α, β ∈ P.

Wir haben also bewiesen, dass 〈K,+, ·, P〉 ein vollstandig angeordneter Korper

ist.

Schritt 7: Wie jeder angeordnete Korper enthalt K eine Kopie von Q, daher eine mit

den Operationen und mit ≤ Vertragliche Injektion φ : Q → K, vgl. Proposition

2.7.8. Aus φ(1) = 1∗ folgt mit vollstandiger Induktion φ(n) = {p ∈ Q : p < n}.Außerdem zeigt man, dass fur r, s ∈ Q und αr = {p ∈ Q : p < r}, αs = {p ∈ Q :

p < s}

αr + αs = {p ∈ Q : p < r + s}, − αr = {p ∈ Q : p < −r},

αr · αs = {p ∈ Q : p < rs}, α−1r = {p ∈ Q : p <

1

r}.

Fur r > 0 sieht man z.B. letztere Tatsache folgendermaßen:

α−1r =

{p ∈ Q : ∃ ǫ > 0 : p + ǫ < {1

q: q ∈ Q, 0 < q < r}} =

{p ∈ Q : ∃ ǫ > 0 : p + ǫ ≤ 1

r

}= {p ∈ Q : p <

1

r}.

Aus φ( xn) = sgn(x)

φ(|x|)φ(n)

fur x ∈ Z, n ∈ N, folgt somit φ(r) = αr, r ∈ Q.

Schritt 8: Wir zeigen, dass jeder vollstandig angeordnete Korper L isomorph zu dem

oben konstruierten Korper K ist. Beachte, dass L und K als angeordnete Korper

den Korper der rationalen Zahlen enthalten. Definiere

ω :

{L → K

x 7→ {p ∈ Q : p < x} , ψ :

{K → L

α 7→ supα

Die Abbildung ω ist wohldefiniert, denn {p ∈ Q : p < x} ist, wie man unmit-

telbar uberpruft, ein Dedekindscher Schnitt. Auch ψ ist wohldefiniert, denn α ist

eine nichtleere und beschrankte Teilmenge von Q ⊆ L und besitzt daher in L ein

Supremum.

Außerdem sind diese beiden Abbildungen streng monoton wachsend, und fur

p ∈ Q gilt ω(p) = αp und ψ(αp) = supαp = p.

Aus dem noch zu zeigenden Lemma 2.10.2 folgt, dass ω und ψ mit den Opera-

tionen vertraglich sind. Wendet man Lemma 2.10.2 nun auch auf ω◦ψ und ψ◦ωan, so folgt aus der Eindeutigkeitsaussage, dass ω ◦ ψ = idK und ψ ◦ ω = idL.

Also sind ω und ψ zueinander inverse Bijektionen, welche mit Addition, Mul-

tiplikation und Ordnung vertraglich sind. Daher sind L und K als angeordnete

Korper isomorph. Mit derselben Argumentation zeigt man auch, dass der von

uns angegebene Isomorphismus eindeutig ist.

Page 58: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

52 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

2.10.2 Lemma. Seien K1 und K2 zwei vollstandig angeordnete Korper, und bezeichne

Q1 bzw. Q2 die gemaß Proposition 2.7.8 existierende Kopie von Q, welche in K1 bzw.

K2 enthalten ist. Seien φ j : Q→ K j, j = 1, 2, die entsprechenden Einbettungen.

Ist ω : K1 → K2 streng monoton wachsend und so, dass ω(φ1(p)) = φ2(p) fur alle

p ∈ Q, dann ist ω mit + und · vertraglich.

Schließlich muss jede weitere streng monoton wachsende Abbildung ω : K1 → K2

mit ω(φ1(p)) = φ2(p), p ∈ Q schon mit ω ubereinstimmen.

Beweis. Zunachst beweisen wir die letzte Aussage. Angenommen es gabe ein x ∈ K1,

sodass ω(x) , ω(x). O.B.d.A. sei ω(x) < ω(x). Nach Satz 2.8.3 gibt es ein p ∈ Q mit

ω(x) < φ2(p) < ω(x).

Nun muss x < φ1(p), da widrigenfalls φ1(p) ≤ x und daher ω(φ1(p)) = φ2(p) ≤ω(x). Andererseits muss aber φ1(p) < x, da sonst x ≤ φ1(p) und daher ω(x) ≤ φ2(p) =

ω(φ1(p)). Beides kann aber nicht gleichzeitig gelten. Somit muss ω = ω.

Zur Vertraglichkeit mit + halte man zunachst ein p ∈ Q fest, und betrachte

ωp :

{K1 → K2

x 7→ ω(x + φ1(p)) − φ2(p).

Wegen den Eigenschaften von φ1, φ2 aus Proposition 2.7.8 folgt ωp(φ1(q)) = ω(φ1(q +

p)) − φ2(p) = φ2(q) fur alle q ∈ Q. Außerdem ist ωp offensichtlicherweise streng

monoton wachsend.

Nach obiger Eindeutigkeitsaussage folgtω = ωp bzw.ω(x+φ1(p)) = ω(x)+φ2(p) =

ω(x) + ω(φ1(p)) fur alle x ∈ K1 und wegen der Beliebigkeit von p auch fur alle p ∈ Q.

Nun betrachte man fur ein festes y ∈ K1 die Abbildung ωy(x) = ω(x + y) − ω(y).

Wegen dem eben gezeigten erfullt diese ωy(φ1(q)) = φ2(q), q ∈ Q, und sie ist ebenfalls

streng monoton wachsend. Also folgt ωy = ω, bzw. ω(x + y) = ω(x) + ω(y), x, y ∈ K1.

Indem man zunachst x 7→ ω(x·φ1(p))

φ1(p)fur festes p ∈ Q \ {0} und dann x 7→ ω(x·y)

ω(y)fur

festes y ∈ K1 \ {0} betrachtet, folgt wie oben auch die Vertraglichkeit mit · .

2.11 Die komplexen Zahlen

Betrachtet man die quadratische Gleichung x2 + 1 = 0 und sucht die Losungen davon,

indem man formal rechnet, so erhalt man x1,2 = ±√−1, also eigentlich kein Ergebnis.

Das stimmt mit der Tatsache uberein, dass die Gleichung x2 + 1 = 0 keine reellen

Losungen hat. Aus vielen Grunden ware es trotzdem wunschenswert, mit Wurzeln aus

negativen Zahlen rechnen zu konnen. Insbesondere hatte x2 + 1 = 0 zwei Losungen.

Wir formalisieren nun das Konzept der Wurzel aus einer negativen Zahl.

2.11.1 Definition. Die Menge der komplexen Zahlen C wird definiert als die Menge

der Paare reeller Zahlen,C := R2 = R×R. Wir schreiben eine komplexe Zahl (a, b) ∈ Can als a + ib. Hierbei ist i ein formales Symbol, die sogenannte imaginare Einheit.

Ist z = a+ ib ∈ C, so heißt a der Realteil und b der Imaginarteil von z. Man schreibt

auch a = Re z und b = Im z.

Fur zwei komplexe Zahlen a + ib und c + id definieren wir eine Addition und eine

Multiplikation, indem wir

(a + ib) + (c + id) := (a + c) + i(b + d), (2.14)

(a + ib) · (c + id) := (ac − bd) + i(bc + ad). (2.15)

Page 59: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.11. DIE KOMPLEXEN ZAHLEN 53

setzen.

Ist (a, b) ∈ C mit b = 0, so schreibt man auch a anstatt a + i0, und ist a = 0, so

schreibt man ib anstatt 0 + ib. Falls a = 0 und b = 1, so schreibt man kurz i. Anstatt

0 + i0 schreibt man auch 0.

Wir wollen die triviale aber nutzliche Tatsache bemerken, dass zwei komplexe Zah-

len genau dann ubereinstimmen, wenn ihre Realteile und ihre Imaginarteile uberein-

stimmen.

Die imaginare Einheit modelliert den Ausdruck√−1. Tatsachlich gilt gemaß

(2.15), dass i2 = −1 sowie (−i)2 = −1.

2.11.2 Satz. Die komplexen Zahlen 〈C,+, ·〉 sind ein Korper, wobei 0+ i0 das neutrale

Element bezuglich +, 1 + i0 das neutrale Element bezuglich ·, (−a) + i(−b) die additiv

Inverse zu a + ib, unda

a2 + b2+ i

−b

a2 + b2(2.16)

die multiplikativ Inverse zu a + ib , 0 + i0 ist.

Beweis. Wir mussen die Korperaxiome aus Definition 2.1.1 nachweisen. Die Kommu-

tativitat von + und ·, daher Axiome (a4),(m4), folgt unmittelbar aus der Definition in

(2.14) und (2.15). Genauso schnell uberzeugt man sich von der Gultigkeit der Assozia-

tivitat von +, dh. (a1). Wegen

((a + ib) · (c + id)) · (x + iy) = ((ac − bd) + i(bc + ad)) · (x + iy) =

(acx − bdx − bcy − ady) + i(bcx + adx + acy − bdy) =

= (a + ib) · ((cx − dy) + i(cy + dx)) = (a + ib) · ((c + id) · (x + iy))

gilt (m1). Ganz leicht sieht man, dass 0 + i0 das additiv neutrale Element von C ist –

(a2) –, und dass (−a) + i(−b) das zu a + ib additiv inverse Element ist, dh. (a3).

Genauso elementar sieht man, dass 1 + i0 das multiplikativ neutrale Element ist –

(m2) –, und dass die in (2.16) angegebene komplexe Zahl das zu a + ib multiplikativ

inverse Element ist, dh. (m3). Schließlich gilt (d), da in R das Distributivgesetz gilt und

da

(x + iy) · ((a + ib) + (c + id)) = (x + iy) · ((a + c) + i(b + d)) =

(xa + xc − yb − yd) + i(xb + xd + ya + yc) =

((xa− yb)+ i(xb+ ya))+ ((xc− yd)+ i(xd + yc)) = (x+ iy) · (a+ ib)+ (x+ iy) · (c+ id).

Die reellen Zahlen sind in C eingebettet vermoge der Abbildung a 7→ a + i · 0. Of-

fenbar ist diese Einbettung ein Korperhomomorphismus, dh. vertraglich mit den Ver-

knupfungen +, ·. Insbesondere sehen wir, dass C ein R-Vektorraum ist. Die dafur noti-

gen Rechengesetze gelten, da sie einfach Spezialfalle der Rechenregeln des Korpers Csind. Eine Basis von C als R-Vektorraum lasst sich leicht angeben, namlich {1, i}. Denn

es lasst sich ja jede komplexe Zahl in eindeutiger Weise als Linearkombination a·1+b·imit den reellen Koeffizienten a, b anschreiben. Wir sehen also, dass die Dimension von

C als R-Vektorraum zwei ist.

Page 60: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

54 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

C

Re

Im

ib

−ib

a

z = a + ib

z = a − ib

0

|z|

|z| = |z|

Abbildung 2.3: Zahlenebene

Graphisch lassen sich die Zahlen aus C als Punkte in der Ebene veranschaulichen,

man spricht auch von der Gaußschen Zahlenebene14. Dabei ist

|z| :=√

a2 + b2 (≥ 0) (2.17)

die Lange des Vektors von (0, 0) nach (a, b). Wir nennen |z| auch den Betrag von z.

Der Betrag auf den komplexen Zahlen wird gleich wie die Betragsfunktion auf

einem angeordneten Korper bezeichnet. Es gelten namlich vergleichbare Regeln (z,w ∈C):

(i) |Re z | ≤ |z|, | Im z | ≤ |z|

(ii) |zw| = |z||w|.

(iii) |z + w| ≤ |z| + |w|.

(iv) |z + w| ≥∣∣∣|z| − |w|

∣∣∣.

(i) und (ii) lassen sich dabei elementar nachprufen. Die Dreiecksungleichung folgt

durch Ausquadrieren, und die Dreiecksungleichung nach unten beweist man genauso,

wie bei den angeordneten Korpern (siehe (2.1)).

Eine weitere Begriffsbildung im Zusammenhang mit den komplexen Zahlen ist die

der konjugiert komplexen Zahl z zu einer komplexen Zahl z = a + ib:

z := a − ib .

14Carl-Friedrich Gauß. 30.4.1777 Braunschweig - 23.2.1855 Gottingen

Page 61: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.12. UBUNGSBEISPIELE 55

Offenbar gilt |z| = |z|, |z|2 = zz, und z−1 = z|z|2 wenn z , 0. Der Ubergang von z zu

seiner konjugierten z entspricht bei der graphischen Veranschaulichung der komplexen

Zahlen genau dem Spiegeln an der reellen Achse.

2.12 Ubungsbeispiele

2.1 Sei K = {0, 1, 2}. Man definiere + und · so, dass (K,+, ·) ein Korper wird. Lasst sich dieser

Korper anordnen? Begrundung!

2.2 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man zeige (x, y, a, b ∈ K):

x ≤ y ∨ y ≤ x,

x , 0⇒ x2 > 0,

(x ≤ y ∧ a ≤ b)⇒ x + a ≤ y + b,

2.3 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man zeige (x, y, z ∈ K):

(z > 0 ∧ x ≤ y)⇒ xz ≤ yz,

(z < 0 ∧ x ≤ y)⇒ xz ≥ yz.

Außerdem beweise man − 23> − 3

4, wobei 2 := 1K + 1K , 3 := 1K + 1K + 1K , 4 := 1K + 1K +

1K + 1K .

2.4 Sei 〈K,+, ·〉 ein Korper, und seien p, q ∈ K. Man betrachte die Funktion f (x) = x2 + px + q

von K nach K.

Man zeige, dass wenn x1 eine Nullstelle ist, dann auch x2 := −p− x1 eine Nullstelle ist, dass

dann f (x) = (x − x1)(x − x2), und dass es dann keine weitere Nullstellen von f gibt. Also

hat f hochstens zwei Nullstellen. Dabei heißt x0 eine Nullstelle von f , wenn f (x0) = 0.

Hinweis: Ist x1 eine feste Nullstelle und x ∈ K, so gilt f (x) = f (x) − f (x1). Man berechne

die rechte Seite unter zu Hilfenahme von x2 − x21= (x − x1)(x + x1).

2.5 Sei 〈K,+, ·〉 ein Korper, sodass 2 := 1K+1K , 0 und damit 4 := 1K+1K+1K+1K = 2 ·2 , 0,

und seien p, q ∈ K. Man betrachte die Funktion f (x) = x2 + px + q von K nach K. Man

zeige, dass f genau dann eine Nullstelle hat, falls es ein y ∈ K gibt, sodass y2 =p2

4− q. In

diesem Falle zeige man, dass dann − p

2+ y und − p

2− y genau die Losungen von f (x) = 0

sind.

Hinweis: Quadratische Erganzung.

2.6 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Um die Losungsmenge einer Ungleichung z.B. der

Form

|2 − x| ≥ 4 ,

zu erhalten (2 := 1K + 1K , 4 := 2 + 2) geht man folgendermaßen vor: Betrachte zuerst den

Fall x < 2. Dann schreibt sich unsere Ungleichung als 2 − x ≥ 4, was zu x ≤ −2 aquivalent

ist. Also ist unsere Losungsmenge in diesem Fall {x ∈ K : x < 2} ∩ {x ∈ K : x ≤ −2} = {x ∈K : x ≤ −2}.Ist x ≥ 2, so schreibt sich unsere Ungleichung als x−2 ≥ 4, und somit x ≥ 6 := 4+2. Unsere

Losungsmenge ist in diesem Fall {x ∈ K : x ≥ 2} ∩ {x ∈ K : x ≥ 6} = {x ∈ K : x ≥ 6}.Die Losungsmenge insgesamt ist somit {x ∈ K : x ≤ −2} ∪ {x ∈ K : x ≥ 6} = (−∞,−2] ∪[6,+∞).

Man bestimme auf analoge Weise die Menge aller x ∈ K, x , 1, sodass

4x

|1 − x| ≤ 2 .

2.7 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man bestimme die Menge aller x ∈ K, sodass

4|x| + |5 − 2x| ≤ 8.

Page 62: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

56 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

2.8 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man zeige: Die Abbildung φ : x 7→ x1K+|x| ist eine

bijektive Abbildung von K auf (−1K , 1K) = {x ∈ K : −1K < x < 1K }. Man gebe auch die

Inverse φ−1 : (−1K , 1K)→ K von φ an.

Weiters zeige man, dass φ streng monoton steigend ist, dh. x < y⇒ φ(x) < φ(y).

2.9 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man bestimme Minimum, Maximum, Infimum und

Supremum (falls existent) der Menge

(−1K ,

1K

2 · 1K

]∪

{1K +

1K

n · 1K

: n ∈ N}∪ (2 · 1K , 3 · 1K ] .

Begrunden Sie ihre Antwort in mathematisch stichhaltiger Art und Weise!

2.10 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man bestimme Minimum, Maximum, Infimum und

Supremum (falls existent) der Menge

0<x<y<1K

{t ∈ K :1K

y< t <

1K

x}

Begrunden Sie ihre Antwort in mathematisch stichhaltiger Art und Weise!

2.11 Sei 〈K,+, ·,P〉 ein angeordneter Korper. Sei M ⊆ K so, dass inf M existiert, und s ∈ K.

Man zeige: Es gilt s < inf M genau dann, wenn es ein t ∈ K gibt, sodass s < t ≤ m fur alle

m ∈ M. Weiters zeige man: s ≤ inf M ⇔ s ≤ m, ∀m ∈ M.

2.12 Man zeige: Ist M ⊆ K, so existiert sup M genau dann, wenn inf(−M) existiert. In diesem

Falle gilt − sup M = inf(−M).

2.13 Sei 〈K,+, ·,P〉 ein angeordneter Korper.

Sei M ⊆ K nach oben beschrankt, und bezeichne O die Menge aller oberen Schranken. Man

zeige, dass O ∩ M = ∅ oder O ∩ M = {z}, und dass die zweite Moglichkeit genau dann

eintritt, wenn M ein Maximum hat.

2.14 Man stelle eine Formel fur (n ∈ N)

p(n) := 12 + 22 + 32 + · · · + n2

auf, und beweise diese mittels vollstandiger Induktion.

Hinweis: Setzen Sie unbestimmt p(n) = an3 + bn2 + cn + d an, und ermitteln Sie die unbe-

kannten Koeffizienten durch Einsetzen von n = 1, n = 2, usw. .

2.15 Man stelle eine Formel fur (n ∈ N)

p(n) :=

n∑

k=1

(2k − 1)2 = 12 + 32 + · · · + (2n − 1)2

auf, und beweise diese mittels vollstandiger Induktion.

Hinweis: Setzen Sie unbestimmt p(n) = an3 + bn2 + cn + d an, und ermitteln Sie die unbe-

kannten Koeffizienten durch Einsetzen von n = 1, n = 2, usw. .

2.16 Zeige mittels vollstandiger Induktion, dass fur n ∈ N, n ≥ 2,

n∑

k=2

1

k2 − 1=

3

4− 2n + 1

2n(n + 1).

2.17 Zeige mittels vollstandiger Induktion, dass fur n ∈ N,

n∑

k=1

k(k + 1) =1

3n(n + 1)(n + 2) .

Page 63: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.12. UBUNGSBEISPIELE 57

2.18 Zeige mittels vollstandiger Induktion, dass fur n ∈ N, n ≥ 2,

n∏

k=2

(1 − 2

k(k + 1)

)=

1

3(1 +

2

n) .

2.19 Zeige mittels vollstandiger Induktion:

(a) 2n > n fur n ∈ N und 2n > n2 fur n ∈ N, n ≥ 5.

(b) Fur ein beliebiges x ≥ 2 aus einem angeordneten Korper, folgere man xn > n fur

n ∈ N und xn > n2 fur alle n ∈ N, n ≥ 5.

2.20 Zeige mittels vollstandiger Induktion: Fur beliebige Elemente a, b aus einem Korper und

n ∈ N gilt

bn+1 − an+1 = (b − a)

n∑

j=0

a jbn− j .

Leite daraus fur x , 1 die Formel

n∑

k=0

xk =1 − xn+1

1 − x, n ∈ N .

her.

2.21 Die Zahlen an ∈ N (n ∈ N) sind rekursiv definiert durch

a1 = 1, an+1 = a1 + a2 + . . . + an .

Zeige, dass an = 2n−2 fur n ≥ 3.

Anmerkung: Die Existenz dieser Zahlen an folgt aus dem Rekursionssatz, wenn fur A die

Menge ∪k∈NNk, also die Menge aller endlichen geordneten Tupel, fur a das Element 1 ∈ N ⊆

A gewahlt, und g durch g((b1, . . . , bk)) := (b1, . . . , bk,∑k

j=1 b j) definiert wird. Die gesuchten

Zahlen an sind dann genau die letzten Eintrage von φ(n).

2.22 Eine Zahl p ∈ N, p > 1, heißt Primzahl, wenn aus m · n = p fur m, n ∈ N folgt, dass n = 1

oder m = 1.

Sei A(n), n ∈ N, n ≥ 2, die Aussage:

Es gibt endlich viele (nicht notwendigerweise verschiedene) Primzahlen p1, . . . , pm, sodass

n =

m∏

j=1

p j .

Beweise diese Aussage mit Hilfe einer im Skriptum angegebenen Variante der vollstandigen

Induktion.

2.23 Fur n ∈ N und k ∈ {0, . . . , n}, sei der Binomialkoeffizient(

n

k

)durch

(n

0

)= 1 und durch

(n

k

)=

n

1· n − 1

2· . . . · n − k + 1

k=

n!

k!(n − k)!fur n ≥ k ≥ 1

definiert, wobei n! durch 0! = 1, 1! = 1 und (n+ 1)! = n!(n+ 1) induktiv definiert ist. Zeige,

dass fur n ≥ k ≥ 1 (n

k

)+

(n

k − 1

)=

(n + 1

k

).

Weiters beweise den Binomischen Lehrsatz mittels vollstandiger Induktion:

(a + b)n =

n∑

k=0

(n

k

)an−kbk ,

wobei a, b Elemente aus einem beliebigen Korper sind.

Anmerkung: Ist k ∈ Z \ {0, . . . , n}, so definiere(

n

k

):= 0. Dann gilt die Gleichung

(n

k

)+

(n

k−1

)=(

n+1

k

)fur alle n ∈ N, k ∈ Z.

Page 64: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

58 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

2.24 Sei p, q ∈ Z mit p ≤ q. Zeige, dass {r ∈ Z : p ≤ r ≤ q} eine endliche Teilmenge von Z ist.

Dabei ist die Definition 2.3.12 zu verwenden.

2.25 Sei 〈K,+, ·〉 ein Korper, und sei x ∈ K \ {0}, p, q ∈ Z. Zeige mittels vollstandiger In-

duktion fur naturliche p, q und/oder mittels Fallunterscheidungen im allgemeinen Fall:

x−p = 1xp , xp xq = xp+q, (xp)q = xpq.

2.26 Zeigen Sie, dass fur m < n, m, n ∈ N und k = 2, . . . , n, folgende Ungleichungskette gilt:

1

mk

(m

k

)<

1

nk

(n

k

)≤ 1

k!≤ 1

2k−1,

wobei(

m

k

):= 0, falls m < k.

Weiters beweise man, dass fur k ≥ 2, k ∈ N,(

2k

k

)

22k=

1 · 3 . . . (2k − 1)

2 · 4 . . . (2k).

2.27 Sei 〈K,+, ·〉 ein archimedisch angeordneter Korper. Dieser enthalt bekanntlich Q – genauer,

eine Kopie der rationalen Zahlen. Ist nun Q ( K, so zeige man, dass es sogar ein η ∈ K \ Qgibt mit 0 < η < 1.

Weiters zeige man, dass zwischen je zwei x < y aus K ein nicht rationales ξ mit x < ξ < y

gibt.

Hinweis: Zeigen Sie die letzte Behauptung zunachst fur x, y ∈ Q.

2.28 Sei K ein archimedisch angeordneter Korper. Man bestimme das Supremum und Infimum

der Menge

M =

{(−1)n +

2

n: n ∈ N

}.

2.29 Sei (K,+, ·, P) ein archimedisch angeordneter Korper. Man bestimme die Menge aller oberen

Schranken und die Menge aller unteren Schranken der Teilmenge

M := {(−1)n − (−1)n

n: n ∈ N} ∪ [

1

2, 1) ⊆ K .

Hat diese Menge ein Infimum bzw. ein Supremum in K? Falls ja, dann bestimme man diese

und uberprufe, ob diese auch Minimum bzw. Maximum von M sind!

2.30 Sei p(x) = ak xk + · · · + a0 ein Polynom mit reellen Koeffizienten a j, sodass ak > 0. Zeigen

Sie, dass es ein N ∈ N gibt, sodass p(n) > 0 fur alle n ≥ N, n ∈ N.

Hinweis: Zeigen Sie, dass man ak = 1 annehmen kann, und dass wenn n >

k max(|ak−1|, . . . , |a0|) auch p(n) > 0 gilt.

2.31 Zeigen Sie fur eine Teilmenge M von R und x ∈ R, dass inf({x} + M) = x + inf M in dem

Sinne, dass die linke Seite genau dann existiert, wenn die rechte es tut!

Unter der Annahme, dass ∅ , M1, M2 ⊆ R nach unten beschrankt sind, zeigen Sie weiters,

dass inf(M1 + M2) = inf M1 + inf M2

2.32 Betrachte die quadratische Ungleichung (p, q ∈ R)

x2 + px + q ≥ 0 .

Man beweise, dass die Menge aller x ∈ R, fur die diese Ungleichung stimmt, mit R uberein-

stimmt, wenn x2 + px + q keine Nullstellen in R hat, und sonst gleich (−∞, x1] ∪ [x2,+∞)

ist, wobei

x1 = − p

2−

√p2

4− q, x2 = − p

2+

√p2

4− q.

Wie schauen die Losungsmengen fur die Ungleichungen x2 + px + q > 0, x2 + px + q ≤ 0,

x2 + px + q < 0 aus?

Hinweis: Man beachte x2 + px + q = (x +p

2)2 + q − p2

4und verwende die Tatsache, dass

x 7→ x2 die Menge R+ ∪ {0} bijektiv auf R+ ∪ {0} abbildet.

Page 65: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

2.12. UBUNGSBEISPIELE 59

2.33 Man bestimme die Menge aller x ∈ R, sodass 6|x| + (1 − 3x)2 ≤ 37.

2.34 Man rechne nach,

(i) dass 1 + i0 das multiplikativ neutrale Element von C ist.

(ii) dass fur z ∈ C \ {0} tatsachlich w := z

|z|2 das multiplikativ Inverse Element zu z ist, dass

also wz = 1 + 0i gilt.

(iii) dass |zw| = |z||w|, |z + w| ≤ |z| + |w| fur z,w ∈ C.

2.35 Man berechne: 3+i9−2−i3

, (−1 + i2)−2, (1 + i)2,∑17

j=0 i j.

2.36 Sei z = a + ib ∈ C. Man zeige mit den Mitteln der Vorlesung (also ohne Polarkoordinaten),

dass z Quadratwurzeln hat, dass es also ein w ∈ C gibt, sodass w2 = z. Wie viele Losungen

gibt es? Man berechne damit alle Quadratwurzeln von i und von 3 − i2.

Hinweis: Man setze w = c + id unbestimmt an und lose die gewunschte Gleichung.

2.37 Man betrachte die Intervalle In :=(− 1

n, 1

n

)⊆ R und bestimme ∩n∈NIn.

Weiters sei Bn := {z ∈ C : Re(z) + Im(z) ∈ In}. Man bestimme B = ∩n∈NBn und skizziere die

Lage von B und Bn in der Zahlenebene.

Page 66: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

60 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN

Page 67: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Kapitel 3

Der Grenzwert

In der Mathematik hat sich schon bald herausgestellt, dass eine rein algebraische Be-

trachtungsweise der reellen Zahlen nicht immer das geeignete Instrument zur Modellie-

rung der in den Naturwissenschaften auftretenden Phanomene ist. Probleme wie”un-

endlich oft immer kleiner werdende Großen zusammenzahlen“ oder”einer gewissen

Zahl immer naher kommen“, lassen sich mit den bisher rein algebraischen Methoden

nicht betrachten.

Man denke zum Beispiel an die Approximation der Zahl 2π, indem man einem

Kreis mit Radius eins regelmaßige n-Ecke einschreibt, von diesen den Umfang berech-

net, und dann n immer großer werden lasst.

Das fuhrt zu dem Begriff des Grenzwertes einer Folge von Zahlen. Dazu wollen

wir das”Einer-Zahl-immer-naher-Kommen“ bzw. Konvergieren mathematisch exakti-

fizieren:

Eine Folge x1, x2, x3, . . . von reellen Zahlen heißt konvergent gegen eine reelle Zahl

x, falls es zu jedem beliebig kleinen Abstand ǫ > 0 einen Folgenindex N gibt, sodass

ab diesem Index alle Folgenglieder einen Abstand von x kleiner als ǫ haben; sodass

also

|xn − x| < ǫ,

fur alle n ≥ N.

Wir wollen nun aber Konvergenzbetrachtungen nicht nur fur Folgen von reellen

Zahlen betrachten, sondern auch z.B. fur Folgen von komplexen Zahlen oder fur Folgen

von Punkten im Raum. Wie man aus der Definition der Konvergenz erahnen kann,

benotigt man dazu lediglich einen Abstandsbegriff auf dem betrachteten Objekt. Wir

fuhren dazu den Begriff des metrischen Raumes ein.

3.1 Metrische Raume

Um zu sagen, wann ein Punkt x”nahe“ bei einem anderen Punkt y liegt, mussen wir in

irgendeiner Weise den Abstand von x zu y messen konnen. Betrachten wir zum Beispiel

die Menge X aller Punkte der Ebene. Dann ist es naheliegend, als Abstand zwischen

x und y die Lange lx,y der Strecke, die die beiden Punkte verbindet, zu nehmen. Man

erkennt dabei, dass folgende Regeln gelten: Stets ist lx,y ≥ 0, denn Langen sind im-

mer positiv. Dabei gilt”=“ genau dann, wenn x = y, denn eine Strecke hat dann und

nur dann Lange 0, wenn Anfangs- und Endpunkt gleich sind. Es ist stets lx,y = ly,x,

denn vertauscht man Anfangs- und Endpunkt, so bleibt die Lange der Strecke erhalten.

61

Page 68: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

62 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

Schwieriger einzusehen, aber anschaulich doch klar, ist die Gultigkeit der Dreiecks-

ungleichung: In jedem Dreieck ist die Lange einer Seite hochstens so groß, wie die

Summe der Langen der anderen Seiten; also fur je drei Punkte – die Eckpunkte des

Dreiecks – gilt lx,z ≤ lx,y + ly,z.

Es sind genau diese drei Eigenschaften, die es ausmachen, dass”die Lange der

Verbindungsstrecke“ ein vernunftiger Abstandsbegriff ist.

3.1.1 Definition. Sei X eine Menge, d : X × X → R1 eine Funktion. Dann heißt d eine

Metrik auf X, und 〈X, d〉 ein metrischer Raum, wenn gilt

(M1) Fur alle x, y ∈ X ist d(x, y) ≥ 0. Dabei gilt d(x, y) = 0 genau dann, wenn x = y.

(M2) Fur alle x, y ∈ X gilt d(x, y) = d(y, x).

(M3) Sind x, y, z ∈ X, so gilt die Dreiecksungleichung:

d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) .

3.1.2 Bemerkung. Man kann allgemeiner auch Metriken d betrachten, die X × X nicht

nach R, sondern nach K abbilden, wobei 〈K,+, ·, P〉 ein archimedisch angeordneter

Korper ist. Wir werden darauf im Kapitel 4 zuruck kommen.

3.1.3 Beispiel.

Ist X = R und d(x, y) = |x − y| fur x, y ∈ R, so sieht man sofort, dass (M1) und

(M2) erfullt sind. (M3) folgt aus der Dreiecksungleichung fur den Betrag (siehe

Lemma 2.2.11):

|x − z| = |(x − y) + (y − z)| ≤ |x − y| + |y − z|, x, y, z ∈ R. (3.1)

Ist X = C � R2 und d(z,w) = |z − w| fur z,w ∈ C, wobei |.| hier der komplexe

Betrag ist, so erfullt d offensichtlich (M2) und d(z,w) ≥ 0. Schreibt man z = a+ib

und w = c + id, so gilt d(z,w) =√

(a − c)2 + (b − d)2 = 0 genau dann, wenn

a − c = 0 und b − d = 0, also z = w. Somit ist (M1) erfullt. (M3) folgt aus der

Dreiecksungleichung fur den komplexen Betrag ahnlich wie in (3.1).

Um eine Metrik auf X := Rp zu definieren, setzen wir

d2(x, y) :=( p∑

j=1

(x j − y j)2) 1

2, x = (x1, . . . , xp), y = (y1, . . . , yp) ∈ X .

Man spricht von der euklidischen Metrik auf Rp. Die Gultigkeit von (M1) und

(M2) ist aus der Definition offensichtlich. Die Dreiecksungleichung (M3) folgt

hingegen aus dem unten folgenden Lemma 3.1.4.

Im Falle p = 1, also X = R, gilt d2(x, y) = |x − y|. Damit ist der Abstand zweier

Zahlen bzgl. der euklidischen Metrik nichts anderes als der Betrag der Differenz

dieser Zahlen.

Die euklidische Metrik auf R2 hat eine analoge Interpretation mit Hilfe des Be-

trages einer komplexen Zahl. Fur z = a+ib ∈ C haben wir den Betrag definiert als

|z| =√

a2 + b2. Daraus erkennt man, dass die euklidische Metrik auf R2 gerade

d2(z,w) = |z − w|, z,w ∈ C ,1Wie unmittelbar nach Satz 2.9.3 bemerkt, ist R ein vollstandig angeordneter Korper.

Page 69: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.1. METRISCHE RAUME 63

ist, wobei wir hier die komplexen Zahlen in der Gaußschen Zahlenebene, also

als Elemente von R2 interpretieren.

(M3) folgt in den Fallen p = 1, 2, wie schon oben gezeigt, aus der bereits bewie-

senen Dreiecksungleichung fur die Betragsfunktion.

3.1.4 Lemma. Seien p ∈ N, a1, . . . , ap, b1, . . . , bp ∈ R. Dann gilt (Cauchy-

Schwarzsche Ungleichung2)

p∑

i=1

aibi

2

p∑

i=1

a2i

·

p∑

i=1

b2i

,

und (Minkowskische Ungleichung3)

p∑

i=1

(ai + bi)2

12

p∑

i=1

a2i

12

+

p∑

i=1

b2i

12

.

Beweis. Wir verwenden die Bezeichnungen a := (a1, . . . , ap), b := (b1, . . . , bp) ∈ Rp

und definieren4

(a, b) :=

p∑

i=1

aibi.

Fur Zahlen λ, µ ∈ R und a, b ∈ Rp setzen wir

λa + µb := (λa1 + µb1, . . . , λap + µbp) .

Offenbar gilt fur a, b, c ∈ Rp

(λa + µb, c) =

p∑

i=1

(λai + µbi)ci =

p∑

i=1

λaici +

p∑

i=1

µbici = λ(a, c) + µ(b, c) .

Man spricht von der Linearitat von (., .) in der vorderen Komponente. Wegen (a, b) =

(b, a) ist (., .) auch in der hinteren Komponente linear (vgl. den Begriff des Skalarpro-

duktes auf einem Vektorraum in der Linearen Algebra).

Um die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung zu zeigen, gehen wir von der trivialen

Bemerkung aus, dass fur jedes p-Tupel x = (x1, . . . , xp) ∈ Rp

(x, x) =

p∑

i=1

x2i ≥ 0. (3.2)

Fur alle t ∈ R gilt nun

0 ≤ (a + tb, a + tb) = (a, a) + 2t(a, b) + t2(b, b).

2Hermann Amandus Schwarz. 25.1.1843 Hermsdorf (Sobiecin, Polen) - 30.11.1921 Berlin3Hermann Minkowski. 22.6.1864 Alexoten (bei Kaunas, Litauen) - 12.1.1909 Gottingen4Also ist (., .) eine Abbildung von Rp × Rp nach R.

Page 70: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

64 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

Ist (b, b) , 0, so setze man t = − (a,b)

(b,b)in obige Ungleichung ein, und erhalt

0 ≤ (a, a) − (a, b)2

(b, b).

Daraus folgt unmittelbar die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung.

Im Falle (b, b) = 0 folgt b = (0, . . . , 0), und damit (a, b) = 0. Es gilt also auch in

diesem Fall die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung.

Die Minkowskische Ungleichung folgt wegen (ai + bi)2 = ai · (ai + bi) + bi(ai + bi)

aus

p∑

i=1

(ai + bi)2 =

p∑

i=1

ai(ai + bi) +

p∑

i=1

bi(ai + bi) ≤∣∣∣∣∣∣∣

p∑

i=1

ai · (ai + bi)

∣∣∣∣∣∣∣+

∣∣∣∣∣∣∣

p∑

i=1

bi · (ai + bi)

∣∣∣∣∣∣∣

p∑

i=1

a2i

12

·

p∑

i=1

(ai + bi)2

12

+

p∑

i=1

b2i

12

·

p∑

i=1

(ai + bi)2

12

=

=

p∑

i=1

a2i

12

+

p∑

i=1

b2i

12

·

p∑

i=1

(ai + bi)2

12

.

Beispiele von Metriken gibt es viele, und sie treten in verschiedensten Zusam-

menhangen auf.

3.1.5 Beispiel.

(i) Sei noch einmal X := R2 und setze

d1(x, y) := |x1 − y1| + |x2 − y2|, x = (x1, x2), y = (y1, y2) ∈ R2 .

Dann ist d1 eine Metrik. Die Gultigkeit von (M1) und (M2) ist wieder aus der

Definition offensichtlich. Um die Dreiecksungleichung einzusehen, seien x, y, z ∈R gegeben. Dann folgt mit Hilfe der Dreiecksungleichung fur |.|

d1(x, z) = |x1 − z1| + |x2 − z2| ≤(|x1 − y1| + |y1 − z1|

)+

(|x2 − y2| + |y2 − z2|)=

=(|x1 − y1| + |x2 − y2|

)+

(|y1 − z1| + |y2 − z2|)= d1(x, y) + d1(y, z) .

Diese Metrik ist offenbar ungleich der euklidischen Metrik, denn es gilt etwa

d1((0, 0), (2, 1)) = 3 ,√

5 = d2((0, 0), (2, 1)).

Anschaulich interpretiert bezeichnet man d1 manchmal als New York-Metrik.

Denn stellt man sich in der Ebene einen Stadtplan mit lauter rechtwinkeligen

Straßen – wie etwa in New York – vor, dann misst d1(x, y) gerade die Lange des

Fußweges von der Kreuzung x zur Kreuzung y.

Ganz analog definiert man eine Metrik am Rp

d1(x, y) =

p∑

j=1

|x j − y j|, x = (x1, . . . , xp), y = (y1, . . . , yp) ∈ Rp .

Der Nachweis von (M1)-(M3) geht genauso wie im oben betrachteten Fall p = 2.

Page 71: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.1. METRISCHE RAUME 65

(ii) Ist wieder X = Rp, so definieren wir nun die Metrik

d∞(x, y) := maxj=1,...,p

|x j − y j|, x = (x1, . . . , xp), y = (y1, . . . , yp) ∈ Rp .

(M1),(M2) sind klar. Die Dreiecksungleichung folgt aus der Tatsache, dass fur

alle nichtnegativen Zahlen

max{a1 + b1, . . . , ap + bp} ≤ max{a1, . . . , ap} +max{b1, . . . , bp} .

Auch diese Metrik unterscheidet sich tatsachlich von den schon eingefuhrten Me-

triken d1 und d2, da etwa im Falle p = 2 gilt, dass d∞((0, 0), (2, 1)) = 2.

(iii) Ist X = Cp, so definiert man fur z = (z1, . . . , zp),w = (w1, . . . ,wp) ∈ Cp

d2(z,w) =

√√√ p∑

j=1

|z j − w j|2 .

Identifiziert man z mit dem Vektor x ∈ R2p, indem man x1 = Re z1, x2 =

Im z1, . . . , x2p−1 = Re zp, x2p = Im zp setzt, und identifiziert man w entsprechend

mit dem Vektor y ∈ R2p, so gilt

d2(z,w) =

√√√ p∑

j=1

(Re(z j − w j)2 + Im(z j − w j)2) = d2(x, y) .

Insbesondere ist auch Cp versehen mit d2 ein metrischer Raum.

(iv) Eine hauptsachlich aus theoretischer Sicht wichtige Metrik ist die diskrete Metrik.

Sie findet man auf jeder nichtleeren Menge X, indem man

d(x, y) =

{0 , falls x = y

1 , falls x , y

setzt.

3.1.6 Beispiel (*). Betrachte die ganzen Zahlen X := Z und halte eine Primzahl p fest.

Setze

d(p)(x, y) :=

{1

pn(p) , falls x , y, x − y = ±∏q prim qn(q)

0 , falls x = y

Dabei ist ±∏q prim qn(q) die eindeutige Primfaktorzerlegung von x − y. Dann ist d(p)

eine Metrik auf Z. Denn (M1) ist nach Definition erfullt, (M2) ist ebenfalls richtig,

denn vertauscht man x und y, so andert sich bei der Differenz x− y nur das Vorzeichen,

nicht jedoch die Primfaktoren und ihre Potenzen. Die Dreiecksungleichung ist wieder

schwieriger einzusehen. Wir zeigen, dass in diesem Fall sogar die starkere Ungleichung

d(p)(x, z) ≤ max{d(p)(x, y), d(p)(y, z)}, x, y, z ∈ Z ,

gilt. Diese Ungleichung impliziert tatsachlich sofort die Dreiecksungleichung, denn fur

je zwei Zahlen a, b ≥ 0 ist stets max(a, b) ≤ a + b.

Schreibe

x − z = ±∏

q prim

qn1(q), x − y = ±∏

q prim

qn2(q), y − z = ±∏

q prim

qn3(q) ,

Page 72: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

66 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

sodass also

d(p)(x, z) =1

pn1(p), d(p)(x, y) =

1

pn2(p), d(p)(y, z) =

1

pn3(p).

Betrachte den Fall, dass d(p)(x, y) ≥ d(p)(y, z), d.h. n2(p) ≤ n3(p). Wegen n2(p) ≤ n3(p)

teilt pn2(p) sowohl x − y als auch y− z, und daher auch (x− y)+ (y− z) = x − z. Es folgt

n2(p) ≤ n1(p), und somit d(p)(x, y) ≥ d(p)(x, z).

Der Fall d(p)(x, y) ≤ d(p)(y, z) wird genauso behandelt.

Auf Z haben wir naturlich auch die euklidische Metrik d2(x, y) = |x − y|, denn Z ist

ja eine Teilmenge von R. Diese ist verschieden von der Metrik d(p), denn zum Beispiel

ist d(p)(0, p) = 1p, wogegen d2(0, p) = p.

3.1.7 Bemerkung. Auf R stimmen die Metriken d1, d2, d∞ alle uberein.

3.1.8 Bemerkung. Die oben kennengelernten Metriken d2, d1, d∞ auf dem Rp sind al-

lesamt von Normen erzeugte Metriken.

Eine Norm ‖.‖ auf Rp ist eine Funktion von Rp → R mit folgenden drei Eigen-

schaften x, y ∈ Rp, λ ∈ R:

(i) ‖x‖ ≥ 0, wobei ‖x‖ = 0⇔ x = 0.

(ii) ‖λx‖ = |λ| · ‖x‖.

(iii) ‖x + y‖ ≤ ‖x‖ + ‖y‖.

Es gilt nun d(x, y) = ‖x − y‖2, d1(x, y) = ‖x − y‖1, d∞(x, y) = ‖x − y‖∞, wobei diese

drei Normen durch ‖x‖2 :=√∑p

j=1|x j|2, ‖x‖1 :=

∑p

j=1|x j|, ‖x‖∞ = max{|x1|, . . . , |xp|}

definiert sind.

3.2 Der Grenzwert in metrischen Raumen

Wir kommen nun zuruck zu dem am Anfang des Kapitels motivierten Begriff der Kon-

vergenz einer Folge.

3.2.1 Definition. Eine Folge in einer Menge X ist aus mathematischer Sicht nichts

anderes als eine Funktion

y : N→ X,

wobei der Funktionswert y(n) von y an der Stelle n meist als yn geschrieben wird.

Fur die Folge y als solche schreiben wir meist (yn)n∈N. Folgen werden auch oft als

y1, y2, y3, . . . angeschrieben.

3.2.2 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, (xn)n∈N eine Folge in X, und x ein

Element von X. Dann heißt (xn)n∈N konvergent gegen x, wenn gilt 5

∀ǫ ∈ R, ǫ > 0∃N ∈ N : d(xn, x) < ǫ fur alle n ≥ N . (3.3)

In diesem Fall schreibt man limn→∞ xn = x.

5Kurzer lasst sich das folgendermaßen schreiben: ∀ǫ ∈ R, ǫ > 0∃N ∈ N : ∀n ≥ N ⇒ d(xn , x) < ǫ.

Page 73: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.2. DER GRENZWERT IN METRISCHEN RAUMEN 67

ǫ′

xN′

ǫ

xN

x

x1

Ist (xn)n∈N eine Folge, und gibt es ein Ele-

ment x ∈ X, sodass limn→∞ xn = x, so sagt

man die Folge (xn)n∈N ist konvergent. Ist

eine Folge nicht konvergent, so sagt man

sie ist divergent.

Man verwendet auch andere Schreibwei-

sen fur limn→∞ xn = x, wie zum Beispiel

(xn)n∈N → x, n → ∞, oder xn

n→∞−→ x, oder

auch nur xn → x.

3.2.3 Bemerkung. Wegen |d(x, xn) − 0| = d(x, xn) konvergiert eine Folge (xn)n∈N in ei-

nem metrischen Raum 〈X, d〉 genau dann gegen ein x ∈ X, wenn die Folge (d(x, xn))n∈Nin R (versehen mit der euklidischen Metrik) gegen 0 konvergiert.

Folgen mussen nicht immer mit dem Index 1 anfangen. Ist k eine feste ganze Zahl,

so setzen wir Z≥k := {n ∈ Z : n ≥ k}. Eine Abbildung x : Z≥k → X nennen wir ebenfalls

Folge, wobei ihre Konvergenz in analoger Weise wie in Definition 3.2.2 definiert ist.

3.2.4 Beispiel.

(i) Sei 〈X, d〉 ein beliebiger metrischer Raum, und sei x ∈ X. Betrachte die konstante

Folge x1 = x2 = x3 = . . . = x. Dann gilt lim j→∞ x j = x.

Um dies einzusehen, sei ein ǫ ∈ R, ǫ > 0, gegeben. Wir mussen eine Zahl N ∈ Nfinden, sodass d(x j, x) < ǫ fur alle j ≥ N. Wahle N := 1, dann gilt

d(x j, x) = d(x, x) = 0 < ǫ fur alle j ≥ N .

Dieses Beispiel ist naturlich in gewissem Sinne trivial, denn die Folgenglieder x j

sind ja schon alle gleich dem Grenzwert x, kommen diesem also naturlich beliebig

nahe.

(ii) Sei X = R und d = d2 die euklidische Metrik d2(x, y) = |x − y|. Dann gilt

lim j→∞1j= 0.

Um dies einzusehen, sei ein ǫ ∈ R, ǫ > 0, gegeben. Wir mussen eine Zahl N ∈ Nfinden, sodass | 1

j− 0| = 1

j< ǫ gilt, wenn nur j ≥ N. Dazu benutzen wir die

Tatsache, dass N als Teilmenge von R nicht nach oben beschrankt ist. Wahle

N ∈ N mit 1ǫ< N. Fur alle j ∈ N mit j ≥ N gilt dann 1

j≤ 1

N< ǫ.

(iii) Aus dem letzten Beispiel zusammen mit Bemerkung 3.2.3 schließen wir auf

lim j→∞(1 + 1j) = 1, da |(1 + 1

j) − 1| = 1

j→ 0.

(iv) Sei q ∈ R, 0 ≤ q < 1, und betrachte die Folge (qn)n∈N. Dann gilt limn→∞ qn = 0.

Um das einzusehen, konnen wir q > 0 voraussetzen, da sonst die betreffliche

Folge identisch gleich Null ist. Wir verwenden zum Beweis die Bernoullische

Ungleichung aus Lemma 2.3.6. Setzt man in der Bernoullischen Ungleichung

x = 1q− 1 > 0, so erhalt man

(1

q

)n

≥ 1 + n

(1

q− 1

).

Page 74: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

68 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

Da R archimedisch angeordnet ist, gibt es zu jedem ǫ > 0 eine Zahl N ∈ N mit

1 + N( 1q− 1) > 1

ǫund damit auch ( 1

q)N > 1

ǫ, also qN < ǫ. Es folgt d(0, qn) = qn ≤

qN < ǫ fur alle n ≥ N.

(v) Sei z ∈ C mit |z| < 1. Setzen wir q := |z|, so folgt aus dem vorherigen Beispiel,

dass d(0, zn) = |zn − 0| = qn → 0 fur n→ ∞. Also gilt auch limn→∞ zn = 0 in C.

3.2.5 Beispiel. Es gibt viele Folgen, die nicht konvergieren. Die Folge zn := in in C,

dh.

i,−1,−i, 1, i,−1,−i, 1, . . . ,

zum Beispiel, ist divergent, wobei wir immer, wenn wir nichts anderes explizit ange-

ben, C mit der euklidischen Metrik versehen.

Um das nachzuprufen, nehmen wir an, dass zn → z fur ein gewisses z ∈ C. Wahlt

man N ∈ N, sodass |zn − z| < 12

fur alle n ≥ N, und nimmt ein n0 ≥ N, welches durch 4

teilbar ist, so folgt der Widerspruch

2 = |1 − (−1)| = |zn0− zn0+2| ≤ |zn0

− z| + |z − zn0+2| <1

2+

1

2= 1 .

Es gelten folgende, zu (3.3) aquivalente Konvergenzbedingungen.

3.2.6 Lemma. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, x ∈ X und (xn)n∈N eine Folge aus X.

Dann gilt limn→∞ xn = x, dh. es gilt (3.3), genau dann, wenn fur gewisse K ∈ (0,+∞)

und α ∈ (0,+∞) ∪ {+∞}

∀ǫ ∈ (0, α)∃N ∈ N : d(xn, x) < K · ǫ fur alle n ≥ N. (3.4)

Die Konvergenz von (xn)n∈N gegen x ist auch aquivalent zu (3.3) bzw. (3.4), wenn man

in diesen Bedingungen · · · < ǫ bzw. · · · < K · ǫ durch · · · ≤ ǫ bzw. · · · ≤ K · ǫ ersetzt.

Beweis. Offenbar folgt (3.4) aus (3.3). Gelte umgekehrt (3.4). Fur ǫ > 0 gilt

min( ǫ

K, α

2

) ∈ (0, α). Nimmt man diese Zahl als ǫ in (3.4), so gibt es ein N ∈ N, so-

dass

d(xn, x) < K ·min

K,α

2

)≤ ǫ, fur alle n ≥ N .

Also gilt auch (3.3).

Dass aus (3.3) bzw. (3.4) die jeweiligen Bedingungen mit ≤ anstatt < folgt, ist klar,

da aus < ja immer ≤ folgt.

Fur die Umkehrung wende die Bedingungen mit ≤ statt < auf ǫ2

an. Man erhalt

dann · · · ≤ ǫ2< ǫ bzw. · · · ≤ K · ǫ

2< K · ǫ.

3.2.7 Definition. Ist (xn)n∈N eine Folge und n : N→ N eine streng monoton wachsende

Funktion6, dh. n(1) < n(2) < n(3) < . . . , so nennt man (xn( j)) j∈N eine Teilfolge von

(xn)n∈N.

Folgende elementare Sachverhalte sind von großer Bedeutung und werden in Be-

weisen immer wieder Verwendung finden.

6Klarerweise ist eine solche Funktion n immer injektiv, und es gilt n( j) ≥ j.

Page 75: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.2. DER GRENZWERT IN METRISCHEN RAUMEN 69

3.2.8 Satz. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum und sei (xn)n∈N eine Folge von Elementen

aus X.

(i) Die Folge (xn)n∈N hat hochstens einen Grenzwert.

(ii) (xn)n∈N konvergiert gegen x ∈ X genau dann, wenn es ein k ∈ N gibt, sodass

(xn)n∈Z≥kgegen x ∈ X konvergiert. Es kommt also nicht auf endlich viele Folgen-

glieder an, ob und wogegen eine Folge konvergiert.

(iii) Ist limn→∞ xn = x und k ∈ N, so konvergieren auch (xn+k)n∈N und (xn−k)n∈Z≥k+1

gegen x.

(iv) Ist limn→∞ xn = x, so konvergiert auch jede Teilfolge (xn( j)) j∈N gegen x.

Beweis. Wir zeigen zunachst (i). Es gelte xn → x und xn → y, wobei x , y, dh.

d(x, y) > 0. Wahle N1 ∈ N, sodass d(xn, x) <d(x,y)

3, n ≥ N1, und N2 ∈ N, sodass

d(xn, y) <d(x,y)

3, n ≥ N2. Dann folgt fur N := max{N1,N2} der Widerspruch

d(x, y) ≤ d(x, xN) + d(xN , y) <d(x, y)

3+

d(x, y)

3=

2d(x, y)

3< d(x, y) ,

Wir zeigen auch noch (iv). Die restlichen Aussagen sind noch elementarer nachzuwei-

sen. Sei also (xn( j)) j∈N eine Teilfolge der gegen x konvergenten Folge (xn)n∈N. Ist ǫ > 0,

so gibt es ein N ∈ N, sodass d(xn, x) < ǫ, wenn nur n ≥ N.

Ist nun i0 ∈ N so groß, dass n(i0) ≥ N (z.B. i0 = N), so folgt fur i ≥ i0 auch

n(i) ≥ N und somit d(xn(i), x) < ǫ. Somit gilt lim j→∞ xn( j) = x.

3.2.9 Beispiel.

(i) Ist p ∈ N, so gilt limn→∞1np = 0. Das folgt unmittelbar aus Satz 3.2.8 und der

Tatsache, dass diese Folge eine Teilfolge von(

1n

)n∈N

ist.

(ii) Sei z ∈ C, |z| < 1. Betrachte die Folge (die sogenannte geometrische Reihe)

S n :=

n∑

k=0

zk = 1 + z + z2 + . . . + zn .

Aus (2.10) folgt

1n − zn = (1 − z)(1n−1 + 1n−2z + . . . + 1zn−2 + zn−1) = (1 − z)(1 + z + . . . + zn−1) ,

und wir erhalten

S n−1 =1

1 − z− zn

1 − z. (3.5)

Sei nun beliebig ǫ > 0 vorgegeben. Wahle N ∈ N mit |z|n < ǫ, n ≥ N (vgl.

Beispiel 3.2.4, (iv)), dann folgt

∣∣∣S n−1 −1

1 − z

∣∣∣ = |z|n|1 − z| <

ǫ

|1 − z| , n ≥ N .

Wegen Lemma 3.2.6 gilt somit S n−1 → 11−z

, und wegen Satz 3.2.8 auch

limn→∞ S n =1

1−z.

Page 76: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

70 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

3.2.10 Lemma. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum und seien (xn)n∈N, (yn)n∈N Folgen von

Elementen von X, sodass limn→∞ xn = x und limn→∞ yn = y. Dann folgt

limn→∞

d(xn, yn) = d(x, y).

Beweis. Zunachst wollen wir folgende Ungleichung

∣∣∣ d(a1, b1) − d(a2, b2)∣∣∣ ≤ d(a1, a2) + d(b1, b2), a1, a2, b1, b2 ∈ X . (3.6)

beweisen. Aus der Dreiecksungleichung folgt d(a1, b1) − d(a2, b1) ≤ d(a1, a2) sowie

d(a2, b1) − d(a1, b1) ≤ d(a1, a2) und damit |d(a1, b1) − d(a2, b1)| ≤ d(a1, a2). Entspre-

chend gilt |d(a2, b1) − d(a2, b2)| ≤ d(b1, b2). Also erhalten wir

∣∣∣ d(a1, b1) − d(a2, b2)∣∣∣ ≤

∣∣∣ d(a1, b1) − d(a2, b1)∣∣∣ +

∣∣∣ d(a2, b1) − d(a2, b2)∣∣∣ ≤

d(a1, a2) + d(b1, b2) .

Sei nun ǫ > 0 und N ∈ N so groß, dass d(xn, x), d(yn, y) < ǫ2, wenn n ≥ N. Aus (3.6)

folgt ∣∣∣ d(xn, yn) − d(x, y)∣∣∣ ≤ d(xn, x) + d(yn, y) < ǫ

fur alle n ≥ N.

Ein weiterer Begriff, der im Zusammenhang mit konvergenten Folgen auftritt, ist

der der Beschranktheit.

3.2.11 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, und sei Y ⊆ X. Dann heißt Y be-

schrankt, wenn es eine Zahl C > 0 und einen Punkt x0 ∈ X gibt, sodass

d(x0, y) ≤ C, y ∈ Y .

Eine Folge (xn)n∈N heißt beschrankt, wenn die Bildmenge {xn : n ∈ N} beschrankt ist.

Allgemeiner heißt eine Funktion f : E → X beschrankt, wenn die Bildmenge f (E)

beschrankt ist.

Die Menge Y ist also beschrankt, wenn sie ganz in einem gewissen Kreis7 (Mittel-

punkt x0, Radius C) liegt.

3.2.12 Bemerkung. Y ist beschrankt genau dann, wenn es zu jedem Punkt x ∈ X eine

Zahl Cx > 0 gibt mit d(x, y) ≤ Cx, y ∈ Y. Denn ist x ∈ X gegeben, so setze Cx :=

d(x, x0) + C. Dann gilt fur jedes y ∈ Y

d(x, y) ≤ d(x, x0) + d(x0, y) ≤ d(x, x0) +C = Cx .

Mit Hilfe dieser Tatsache sieht man auch, dass Y ⊆ C (Y ⊆ R) versehen mit der

euklidischen Metrik genau dann beschrankt ist, wenn fur ein gewisses C > 0 gilt, dass

|x| = d(x, 0) ≤ C fur alle x ∈ Y .

Im Falle Y ⊆ R stimmt somit diese Definition von Beschranktheit mit der von Defini-

tion 2.2.4 uberein.

7Ein Kreis in einem metrischen Raum 〈X, d〉 ist hier zu verstehen als {y ∈ X : d(x0 , y) ≤ C}.

Page 77: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.3. FOLGEN REELLER UND KOMPLEXER ZAHLEN 71

3.2.13 Proposition. In einem metrischen Raum ist jede konvergente Folge (xn)n∈N auch

beschrankt.

Beweis. Wahle N ∈ N mit d(xn, x) < 1 fur alle n ≥ N. Setzt man

C := 1 +max{d(x1, x), . . . , d(xN−1, x)} ,

so erhalt man d(xn, x) ≤ C fur jedes n ∈ N.

Insbesondere gibt es zu jeder konvergenten reell- bzw. komplexwertigen Folge

(xn)n∈N eine Konstante C > 0, sodass |xn| ≤ C, n ∈ N.

3.2.14 Bemerkung (*). Die Umkehrung von Proposition 3.2.13 ist falsch und zwar in

jedem metrischen Raum, der mehr als einen Punkt enthalt. In der Tat gilt fur x, y ∈ X

mit x , y, dass die Folge x, y, x, y, x, y, x, . . . zwar beschrankt, aber nicht konvergent ist.

3.2.15 Beispiel. Man betrachte die Folge (S n)n∈N aus Beispiel 3.2.9, (ii), fur den Fall

|z| = 1 aber z , 1. Wegen (3.5) gilt

S n =1 − zn+1

1 − z;

also |S n| ≤ 1+|zn+1||1−z| =

2|1−z| . Die Folge (S n)n∈N ist damit beschrankt. Sie ist aber nicht kon-

vergent, denn gemaß den Ergebnissen im nachsten Abschnitt ware dann auch (zn)n∈Nkonvergent. Das ist aber nicht der Fall. Man setze z.B. z = i oder z = −1.

3.3 Folgen reeller und komplexer Zahlen

Wir wollen uns hier zunachst mit dem metrischen Raum 〈R, d〉 beschaftigen, und fol-

gendes einfaches, aber sehr nutzliches Lemma bringen.

3.3.1 Lemma. Fur zwei konvergente Folgen (xn)n∈N, (yn)n∈N reeller Zahlen mit den

Grenzwerten x bzw. y gilt:

(i) Ist c ∈ R mit x < c (c < x), so gibt es ein N ∈ N, sodass xn < c (c < xn) fur alle

n ≥ N.

(ii) Ist x < y, so gibt es ein N ∈ N, sodass xn < yn fur alle n ≥ N.

(iii) Gilt ab einem gewissen N ∈ N die Ungleichung xn ≤ yn, so folgt x ≤ y.

Beweis.

(ii) Setzt man ǫ =y−x

2, so folgt aus der Konvergenz die Existenz eines N ∈ N, sodass

|xn − x| < y−x

2und |yn − y| < y−x

2fur n ≥ N. Somit gilt

−(yn − y) − (x − xn) ≤ |yn − y| + |x − xn| < (y − x) ;

also

yn − xn = (y − x) + (yn − y) + (x − xn) > 0.

(i) Folgt aus (ii), wenn wir (yn)n∈N ((xn)n∈N) als die identische Folge (c)n∈N wahlen.

Page 78: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

72 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

(iii) Ware x > y, so wurde aus (ii) folgen, dass xn > yn fur alle n ≥ k mit einem

hinreichend großen k ∈ N. Das widerspricht der Annahme.

Der nachste Satz dient haufig als Werkzeug zur Berechnung von Grenzwerten.

3.3.2 Satz (Einschluss-Satz). Seien (xn)n∈N, (yn)n∈N und (an)n∈N drei reelle Folgen mit

xn ≤ an ≤ yn fur alle bis auf endlich viele n ∈ N.

Existieren zudem die Grenzwerte limn→∞ xn und limn→∞ yn, und gilt

limn→∞

xn = limn→∞

yn,

so existiert auch der Grenzwert limn→∞ an und stimmt mit dem gemeinsamen Grenzwert

von (xn)n∈N und (yn)n∈N uberein.

Beweis. Setze a := limn→∞ xn. Zu ǫ > 0 wahle N ∈ N mit |xn − a|, |yn − a| < ǫ und

xn ≤ an ≤ yn fur n ≥ N. Fur solche n folgt

−ǫ < xn − a ≤ an − a ≤ yn − a < ǫ,

d.h. |an − a| < ǫ.❑

3.3.3 Beispiel. Als einfaches Beispiel betrachte man die Folge(

1n2−3n+3

)n∈N

. Man sieht

leicht, dass

0 ≤ 1

n2 − 3n + 3≤ 1

n, fur n ≥ 3.

Also folgt mit Satz 3.3.2, dass limn→∞1

n2−3n+3= 0.

3.3.4 Beispiel.

Jede Zahl x ∈ R ist Limes einer Folge (rn)n∈N bestehend aus rationalen Zahlen.

Um das einzusehen, wahle gemaß Satz 2.8.3 fur jedes n ∈ N eine Zahl rn ∈ Q,

sodass x < rn < x + 1n. Aus Satz 3.3.2 folgt limn→∞ rn = x. Genauso gibt es eine

Folge irrationaler Zahlen großer x, die gegen x konvergiert.

*Arbeitet man mit großerer mathematischen Strenge, so muss man obiges Argu-

ment folgendermaßen prazisieren: Nach Satz 2.8.3 ist die Menge Mn der r ∈ Qmit x < r < x + 1

nnicht leer. Nun sei ρ einfach eine nach dem Auswahlaxiom

existierende Funktion von N nach ∪n∈NMn, sodass ρ(n) ∈ Mn. Nun setze einfach

rn = ρ(n).

Mit einer etwas feineren Argumentation kann man (rn)n∈N sogar streng monoton

fallend (rn1> rn2

wenn n1 < n2) wahlen. Dazu definiert man rn induktiv so, dass

x < rn < min(x + 1n, rn−1). Genauso kann man eine streng monoton wachsende

Folge aus Q konstruieren, die gegen x konvergiert.

Page 79: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.3. FOLGEN REELLER UND KOMPLEXER ZAHLEN 73

*Lasst man auch hier mehr Strenge walten, so benotigt man zur Existenz der

Folge (rn)n∈N den Rekursionssatz:

Fur jedes y > x und jedes n ∈ N ist die MengeQ∩(x,min(y, x+ 1n)) nicht leer. Sei

: N×(x,+∞)→ Q eine Auswahlfunktion, sodass (n, y) ∈ Q∩(x,min(y, x+ 1n)).

Nun sei a := (1, r1) ∈ N × ((x,+∞) ∩ Q) =: A und g : A → A definiert durch

g(n, y) = (n + 1, (n, y)). Nach dem Rekursionssatz gibt es eine Funktion φ :

N → A mit φ(1) = a und φ(n + 1) = g(φ(n)). Ist fur n ∈ N nun rn die zweite

Komponente von φ(n), so hat (rn)n∈N die geforderten Eigenschaften.

Sei F ⊆ R nach oben beschrankt und x := sup F. Gemaß der Definition des

Supremums gilt (x− 1n, x]∩F , ∅ fur alle n ∈ N. Wahlt man fur jedes n ∈ N eine

reelle Zahl xn ∈ (x − 1n, x] ∩ F, so erhalt man eine Folge (xn)n∈N, in F, die gegen

sup F konvergiert. Man kann ahnlich wie oben (xn)n∈N sogar monoton wachsend

wahlen.

Entsprechendes gilt fur nach unten beschrankte Mengen und deren Infimum.

Im nachsten Satz wollen wir zeigen, dass die algebraischen Operationen und die

Betragsfunktion auf R und C mit dem Grenzwertbegriff vertraglich sind.

3.3.5 Satz (Rechenregeln fur Folgen). Seien (zn)n∈N und (wn)n∈N konvergente Folgen

reeller oder komplexer Zahlen, limn→∞ zn =: z, limn→∞ wn =: w, und sei λ ∈ R bzw.

λ ∈ C. Dann gilt fur k ∈ N

(i) limn→∞ |zn| = |z|, limn→∞ zn = z.

(ii) limn→∞(zn + wn) = z + w, limn→∞(−zn) = −z.

(iii) Ist z = 0, also zn → 0, n→ ∞, und ist (un)n∈N eine beschrankte Folge aus R bzw.

C, dann gilt limn→∞(zn · un) = 0.

(iv) limn→∞(λzn) = λz und limn→∞(zn · wn) = z · w.

(v) limn→∞ zkn = zk.

(vi) Falls z , 0 ist, gilt limn→∞1zn= 1

z.

(vii) Ist zn ∈ R und zn ≥ 0, so folgt limn→∞ k√

zn =k√

z.

3.3.6 Bemerkung. Bis auf den letzten Punkt werden wir Satz 3.3.5 fur komplexe Folgen

beweisen. Fast derselbe Beweis funktioniert fur reellwertige Folgen.

Man kann aber die Rechenregeln fur reellwertige Folgen auch aus denen fur

komplexwertige Folgen herleiten, da – wie wir gleich zeigen wollen – eine Folge

(xn)n∈N in R genau dann konvergiert, wenn (xn + i0)n∈N in C konvergiert. Dabei gilt

limn→∞(xn + i0) = (limn→∞ xn) + i0.

Ist (xn)n∈N eine reellwertige Folge, welche gegen ein x ∈ R konvergiert, so konver-

giert (xn+ i0)n∈N gegen x+ i0, da ja |(xn+ i0)− (x+ i0)| = |xn − x| → 0; vgl. Bemerkung

3.2.3.

Konvergiert umgekehrt fur eine reellwertige Folge (xn)n∈N die Folge (xn + i0)n∈N in

C gegen x + iy ∈ C, so muss wegen

0 ≤ max(|xn − x|, |0 − y|) ≤ |(xn + i0) − (x + iy)| → 0, n→ ∞,

gemeinsam mit Satz 3.3.2 folgen, dass xn → x und |y| → 0, d.h. y = 0.

Page 80: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

74 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

Beweis. (Satz 3.3.5)

(i) Zu ǫ > 0 wahle N ∈ N, sodass |zn−z| < ǫ fur n ≥ N. Mit der Dreiecksungleichung

nach unten erhalt man

∣∣∣|zn| − |z|∣∣∣ ≤ |zn − z| < ǫ, |zn − z| = |zn − z| < ǫ.

Man kann limn→∞ |zn| = |z| auch als Spezialfall von Lemma 3.2.10 sehen: |zn| =d(zn, 0)→ d(z, 0) = |z|.

(ii) Sei ǫ > 0 gegeben. Wahle N so, dass |zn − z| < ǫ2

und auch |wn − w| < ǫ2

fur alle

n ≥ N. Es gilt fur solche n

|(zn + wn) − (z + w)| = |(zn − z) + (wn − w)| ≤ |zn − z| + |wn − w| < ǫ

2+ǫ

2= ǫ.

Also ist (zn + wn)n∈N konvergent und der Grenzwert ist z + w. Weiters gilt fur N

so groß, dass |zn − z| < ǫ, wenn nur n ≥ N, auch

|(−zn) − (−z)| = | − (zn − z)| = |zn − z| < ǫ, n ≥ N.

Also konvergiert (−zn)n∈N gegen −z.

(iii) Ist C > 0 so, dass |un| ≤ C, n ∈ N, und ist ǫ > 0, so gibt es wegen zn → 0 ein

N ∈ N, sodass |zn| < ǫC, n ≥ N. Es folgt |zn ·un| < ǫ fur alle n ≥ N, also zn ·un → 0.

(iv) Ist N so groß, dass |zn − z| < ǫ fur n ≥ N, so gilt

|λzn − λz| = |λ| · |zn − z| < λ · ǫ, n ≥ N.

Gemaß (3.4) folgt daher λzn → λz.

Um znwn → zw nachzuweisen, sei daran erinnert, dass gemaß Proposition 3.2.13

konvergente Folgen beschrankt sind. Nach (ii) konvergiert (zn − z) gegen Null,

und mit (iii) daher auch (zn − z)wn → 0, n → ∞. Der schon bewiesene Teil von

(iv) gibt nun zusammen mit (ii)

znwn = (zn − z)wn + zwn

n→∞−→ 0 + zw.

(v) Das folgt durch vollstandige Induktion nach k aus (iv).

(vi) Sei nun z , 0. Wegen (i) und Lemma 3.3.1 folgt aus zn → z fur hinreichend

großes n, dass |zn| > |z|2

. Es folgt die Abschatzung

∣∣∣∣∣1

zn

− 1

z

∣∣∣∣∣ =|z − zn||z| · |zn|

≤ |z − zn| ·2

|z|2 ,

und damit wird die Differenz 1zn− 1

zfur große n beliebig klein.

Page 81: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.3. FOLGEN REELLER UND KOMPLEXER ZAHLEN 75

(vii) Sei zunachst z > 0. Wegen (i) und Lemma 3.3.1 folgt aus zn → z die Existenz von

N ∈ N, sodass fur n ≥ N sicher zn >z2> 0 und |zn − z| < ǫ. Gemaß (2.10) gilt fur

solche n

| k√

zn − k√

z| = |zn − z|| k√

zk−1+ k√

zk−2 k√

zn + . . . +k√

znk−2 k√

z + k√

znk−1|≤

|zn − z|| k√

z2

k−1+ k

√z2

k−2k√

z2+ . . . + k

√z2

k−2k√

z2+ k

√z2

k−1|<

ǫ

k k√

z2

k−1,

da klarerweise auch z > z2. Gemaß (3.4) folgt k

√zn → k

√z.

Ist z = 0, so sei ǫ > 0 vorgegeben. Ist nun N ∈ N so, dass zn = |zn − 0| < ǫk fur

n ≥ N, dann folgt aus der Monotonie der Wurzelfunktion (vgl. Bemerkung 2.9.7)

| k√

zn − 0| = k√

zn < ǫ. Also k√

zn → 0.

3.3.7 Beispiel.

(i) Wegen limn→∞1n= 0 folgt aus Satz 3.3.5, (vii), dass limn→∞

1p√n= 0. Zusammen

mit Satz 3.3.5, (v), erhalt man also, dass fur alle r ∈ Q, r > 0,

limn→∞

1

nr= 0 .

(ii) Um fur xn =√

n3 + 1 −√

n3 + 2n den Grenzwert zu berechnen, verwenden wir

(2.10) und erhalten

√n3 + 1 −

√n3 + 2n =

(n3 + 1) − (n3 + 2n)√

n3 + 1 +√

n3 + 2n=

1 − 2n√

n3 + 1 +√

n3 + 2n=

1n− 2

√n + 1

n2 +

√n + 2

n

.

Wegen

0 ≤ 1√

n + 1n2 +

√n + 2

n

≤ 1√

n

ergibt Satz 3.3.2, dass der mittlere Ausdruck gegen Null konvergiert. Zusammen

mit Satz 3.3.5, (iv), folgt limn→∞ xn = 0.

(iii) Die Folge xn =n√

n konvergiert gegen 1. In der Tat gilt fur die Folge an := xn − 1,

dass an ≥ 0 und (1 + an)n = n. Nach dem Binomischen Lehrsatz gilt

n = (an + 1)n =

n∑

k=0

(n

k

)ak

n1n−k ≥ 1 +n(n − 1)

2a2

n.

Damit folgt a2n ≤

2(n−1)

n(n−1)= 2

n→ 0. Gemaß Satz 3.3.5, (vii), gilt an → 0 und damit

xn → 1, n→ ∞.

Page 82: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

76 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

(iv) Ist q > 0 fest, so gilt limn→∞ n√

q = 1. Betrachte zunachst den Fall q ≥ 1. Dann

gilt fur n ≥ q

1 ≤ n√

q ≤ n√

n .

Nach Satz 3.3.2 folgt n√

q → 1. Im Fall 0 < q < 1 betrachte 1n√

q= n

√1q

und

verwende Satz 3.3.5.

(v) Um fur z ∈ C mit |z| < 1 und k ∈ N den Grenzwert limn→∞ nk · zn zu berechnen,

sei N ∈ N so groß, dass | n√

nk · z| < 1+|z|2

(< 1) fur alle n ≥ N, was wegen

limn→∞n√

nk · |z| = |z| zusammen mit Lemma 3.3.1 moglich ist. Fur n ≥ N gilt

dann

0 ≤ |nk · zn| ≤(1 + |z|

2

)n

,

und somit limn→∞ nk · zn = 0.

3.4 Monotone Folgen

Bisher haben wir zwar gesehen, was aus der Konvergenz einer oder mehrerer Folgen

folgt. Das Problem, ob eine gegebene Folge konvergiert oder nicht, haben wir jedoch

nicht betrachtet. Die definierende Eigenschaft von R, vollstandig angeordnet zu sein,

wird uns in R die Existenz von Grenzwerten bestimmter Folgen liefern.

3.4.1 Definition. Eine Folge (an)n∈N in R heißt monoton wachsend, falls an ≤ an+1 fur

alle n ∈ N, dh.

a1 ≤ a2 ≤ a3 ≤ . . .

Sie heißt monoton fallend, falls an ≥ an+1 fur alle n ∈ N, dh.

a1 ≥ a2 ≥ a3 ≥ . . .

Eine Folge heißt monoton, wenn sie monoton wachsend oder monoton fallend ist.

3.4.2 Satz. Sei (xn)n∈N eine monoton wachsende und nach oben beschrankte Folge.

Dann konvergiert (xn)n∈N, wobei

limn→∞

xn = sup{xn : n ∈ N} .

Entsprechend konvergiert eine monoton fallende und nach unten beschrankte Folge

(xn)n∈N gegen inf{xn : n ∈ N}.

Beweis. Sei (xn)n∈N monoton wachsend und nach oben beschrankt. Somit existiert

x := sup{xn : n ∈ N}. Wir zeigen, dass limn→∞ xn = x. Sei ǫ > 0. Wegen x− ǫ < x kann

x − ǫ keine obere Schranke der Menge {xn : n ∈ N} sein. Es gibt also ein N ∈ N mit

xN > x − ǫ. Wegen der Monotonie folgt auch xn > x − ǫ fur alle n ≥ N. Da stets x ≥ xn

gilt, erhalt man fur n ≥ N

0 ≤ x − xn < ǫ,

und damit |xn − x| < ǫ.Fur monoton fallende Folgen schließt man in analoger Art und Weise.

3.4.3 Beispiel.

Page 83: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.4. MONOTONE FOLGEN 77

(i) Betrachte die Folge(

1n

)n∈N

. Gemaß Beispiel 2.8.2 gilt inf{ 1n

: n ∈ N} = 0. Also

folgt aus Satz 3.4.2, dass limn→∞1n= 0. Dieses Konvergenzverhalten haben wir

ubrigens auch schon in Beispiel 3.2.4, (ii), festgestellt.

(ii) Die Bedingung in Satz 3.4.2 ist hinreichend fur Konvergenz, aber nicht notwen-

dig. Betrachte dazu die Folge(

(−1)n

n

)n∈N

.

(iii) Nach dem Rekursionssatz Satz 2.3.3 ist durch a1 =√

2 und an+1 =√

2 + an eine

Folge in [0,+∞) wohldefiniert. Wir behaupten, dass dabei an ≤ 2 und an ≤ an+1

fur alle n ∈ N, was wir mittels vollstandiger Induktion zeigen wollen.

Fur n = 1 gilt offenbar a1 =√

2 ≤ 2 und a1 =√

2 ≤√

2 +√

2 ≤ a2.

Gelte nun an ≤ 2 und an ≤ an+1. Daraus folgt an+1 =√

2 + an ≤√

2 + 2 = 2 und

auch an+1 =√

2 + an ≤√

2 + an+1 = an+2.

Gemaß Satz 3.4.2 konvergiert (an)n∈N gegen a = sup{an : n ∈ N}, welches sicher

a ≥ a1 =√

2 > 0 erfullt. Um a genau zu berechnen, sei bemerkt, dass auch (vgl.

Satz 3.3.5)

a = limn→∞

an+1 = limn→∞

√2 + an =

√2 + a .

Somit erfullt a die Gleichung a2 − a − 2 = 0. Also gilt a = 2 oder a = −1, wobei

die zweite Moglichkeit wegen a > 0 ausgeschlossen werden kann.

(iv) Fur n ∈ N sei

en =

(1 +

1

n

)n

und fn =

(1 +

1

n

)n+1

.

Offenbar gilt immer 1 < en < fn. Wir rechnen mit Hilfe der Version der Bernoul-

lische Ungleichung aus Beispiel 2.3.11

en+1

en

=

(1 +

1

n

) 1 + 1

n+1

1 + 1n

n+1

=n + 1

n

(n2 + 2n + 1 − 1

n2 + 2n + 1

)n+1

=

n + 1

n

(1 − 1

(n + 1)2

)n+1

>n

n + 1

(1 − (n + 1)

1

(n + 1)2

)=

n + 1

n

n

n + 1= 1.

Ahnlich gilt

fn

fn+1

=1

1 + 1n

1 + 1

n

1 + 1n+1

n+2

=n

n + 1

(n2 + 2n + 1

n2 + 2n

)n+2

=

n

n + 1

(1 +

1

n2 + 2n

)n+2

>n

n + 1

(1 + (n + 2)

1

n2 + 2n

)=

n

n + 1

n + 1

n= 1 .

Also ist (en)n∈N streng monoton wachsend und ( fn)n∈N streng monoton fallend.

Wegen 1 < en < fn ≤ f1 = 4 fur alle n ∈ N sind diese Folgen auch beschrankt,

und somit konvergent, wobei

limn→∞

fn = limn→∞

(1 +

1

n

)· en = 1 · lim

n→∞en .

Den gemeinsamen Grenzwert dieser Folgen nennt man die Eulersche Zahl e.

Page 84: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

78 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

Fur beschrankte, aber nicht notwendigerweise monotone Folgen gilt folgende

schwachere Aussage.

3.4.4 Lemma. Sei (xn)n∈N eine beschrankte Folge aus R. Fur N ∈ N sei

yN := inf{xn : n ≥ N}.

Dann ist die Folge (yN)N∈N monoton wachsend, beschrankt, und konvergiert daher ge-

gen sup{yN : N ∈ N}. Also existiert der sogenannte Limes Inferior

lim infn→∞

xn := supN∈N

infn≥N

xn = limN→∞

infn≥N

xn.

Schließlich gibt es eine Teilfolge (xn( j)) j∈N von (xn)n∈N, die ebenfalls gegen

lim infn→∞ xn konvergiert.

Entsprechendes gilt, wenn man alle Infima durch Suprema und umgekehrt ersetzt.

Also ist (zN)N∈N mit zN = sup{xn : n ≥ N} monoton fallend und beschrankt. Ihren

Grenzwert nennt man Limes Superior

lim supn→∞

xn := infN∈N

supn≥N

xn = limN→∞

supn≥N

xn.

Beweis. Gemaß Voraussetzung gilt |xn| ≤ C, n ∈ N fur ein reelles C > 0. Somit

existiert fur jedes N ∈ N

yN := inf{xn : n ≥ N} ≤ C ,

und in Folge auch y := sup{yN : N ∈ N}. Aus {xn : n ≥ N + 1} ⊆ {xn : n ≥ N} folgt

yN+1 ≥ yN , und aus Satz 3.4.2 die Tatsache limn→∞ yn = y, wobei ym ≤ y fur alle m ∈ N.

Wir definieren nun rekursiv eine Teilfolge8 (xn( j)) j∈N von (xn)n∈N, indem wir

zunachst n(1) = 1 setzen. Ist n( j) ∈ N definiert, so existiert wegen yn( j)+1 ≤ y ein

n( j + 1) ∈ N derart, dass n( j + 1) > n( j) und

yn( j)+1 = inf{xk : k > n( j)} ≤ xn( j+1) < y +1

j + 1.

Wegen yn( j) ≤ yn( j)+1 ≤ xn( j+1) < y + 1j+1

liefert das Einschlusskriterium Satz 3.3.2 die

Konvergenz von (xn( j)) j∈N gegen y.

Der Beweis fur den Limes Superior verlauft entsprechend.

3.4.5 Fakta.

1. Aus infn≥N xn ≤ supn≥N xn, N ∈ N folgt unmittelbar

lim infn→∞

xn ≤ lim supn→∞

xn.

2. Weiters folgt aus den Rechenregeln fur Suprema und Infima sofort, dass

lim supn→∞(−xn) = − lim infn→∞ xn sowie lim supn→∞ an ≤ lim supn→∞ bn und

lim infn→∞ an ≤ lim infn→∞ bn fur beschrankte Folgen (an)n∈N, (bn)n∈N mit an ≤bn ab einem Index N ∈ N.

8Dass man so verfahren kann, wird durch den Rekursionssatz gewahrleistet.

Page 85: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.5. CAUCHY-FOLGEN 79

3. Ist (xn)n∈N konvergent, so folgt aus Lemma 3.4.4 und Satz 3.2.8, (iv), dass

lim infn→∞

xn = limn→∞

xn = lim supn→∞

xn. (3.7)

4. Gilt umgekehrt y := lim infn→∞ xn = lim supn→∞ xn, so gibt es zu jedem ǫ > 0

ein N1 ∈ N, sodass y− ǫ < infn≥N xn ≤ y fur alle N ≥ N1, und ein N2 ∈ N, sodass

y ≤ supn≥N < y + ǫ fur alle N ≥ N2. Fur N ≥ max(N1,N2) folgt

y − ǫ < infn≥N

xn ≤ xN ≤ supn≥N

< y + ǫ ,

und damit die Konvergenz von (xn)n∈N gegen y; also gilt (3.7).

5. Aus lim supn→∞ xn = limN→∞ supn≥N xn zusammen mit Satz 2.8.3 und Lemma

3.3.1 zeigt man, dass lim supn→∞ xn < ξ genau dann, wenn es ein q < ξ gibt,

sodass xn ≤ q fur alle bis auf endlich viele n ∈ N. Entsprechendes gilt fur

lim infn→∞ xn > ξ.

6. Ahnlich gilt lim supn→∞ xn > ξ genau dann, wenn es ein q > ξ gibt, sodass xn ≥ q

fur unendlich viele n ∈ N. Entsprechendes gilt fur lim infn→∞ xn < ξ.

3.4.6 Bemerkung (*). In der Tat ist lim supn→∞ xn jene eindeutige Zahl x, fur die gilt:

Fur jedes ǫ > 0 gibt es nur fur endlich viele n ∈ N, die der Ungleichung xn ≥ x + ǫ

genugen, wogegen fur unendlich viele n ∈ N die Ungleichung xn ≥ x − ǫ gilt. Auch

hier gilt entsprechendes fur lim infn→∞ xn.

3.5 Cauchy-Folgen

Um in allgemeinen metrischen Raumen Folgen auf Konvergenz zu untersuchen, fuhrt

man den Begriff der Cauchy-Folge ein.

3.5.1 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Eine Folge (xn)n∈N von Elementen

aus X heißt Cauchy-Folge9, falls

∀ǫ ∈ R, ǫ > 0∃N ∈ N : d(xn, xm) < ǫ fur alle n,m ≥ N . (3.8)

3.5.2 Bemerkung. Da es wegen Satz 2.8.3 zwischen jedem ǫ ∈ R, ǫ > 0 und der Zahl 0

ein ε ∈ Qmit 0 < ε < ǫ gibt, erhalt man eine zu Definition 3.5.1 aquivalente Definition,

wenn man in (3.8) statt ∀ǫ ∈ R, ǫ > 0 . . . den Ausdruck ∀ǫ ∈ Q, ǫ > 0 . . . schreibt.

Aus dem selben Grund lasst sich die Konvergenz einer Folge durch (3.3) charakte-

risieren, wenn man in eben dieser Gleichung ∀ǫ ∈ Q, ǫ > 0 . . . anstatt ∀ǫ ∈ R, ǫ > 0 . . .

schreibt.

Ahnlich wie in Proposition 3.2.13 gilt:

3.5.3 Proposition. Sei (xn)n∈N eine Cauchy-Folge. Dann ist {xn : n ∈ N} beschrankt.

9Augustin Louis Cauchy. 21.8.1789 Paris - 22.5.1857 Sceaux (bei Paris)

Page 86: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

80 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

Beweis. Wahle N ∈ N mit d(xn, xm) < 1 fur n,m ≥ N. Setzt man

C := 1 +max{d(x1, xN), . . . , d(xN−1, xN)} ,

so gilt d(xn, xN) ≤ C fur jedes n ∈ N.

Aus dem nachsten Resultat erkennt man einen Zusammenhang zum Begriff der

Konvergenz.

3.5.4 Proposition. Jede konvergente Folge (xn)n∈N ist eine Cauchy-Folge.

Beweis. Sei ǫ > 0 gegeben. Aus der Definition der Konvergenz folgt die Existenz

einer Zahl N ∈ N mit der Eigenschaft, dass d(xn, x) < ǫ2, n ≥ N. Hier bezeichnet

x den Grenzwert der Folge (xn)n∈N, der zwar nach Voraussetzung existiert, uber den

sonst aber nichts bekannt zu sein braucht. Dann gilt nach der Dreiecksungleichung fur

n,m ≥ N

d(xn, xm) ≤ d(xn, x) + d(x, xm) <ǫ

2+ǫ

2= ǫ.

Also ist jede konvergente Folge eine Cauchy-Folge. Wurde nun umgekehrt jede

Cauchy-Folge konvergieren, so konnten wir die Konvergenz einer Folge nachweisen,

ohne ihren Grenzwert explizit in der Hand zu haben. Leider ist dies bei vielen metri-

schen Raumen nicht der Fall.

3.5.5 Definition. Ein metrischer Raum 〈X, d〉 heißt vollstandig, wenn jede Cauchy-

Folge von Elementen aus X in X einen Grenzwert besitzt.

3.5.6 Beispiel. Die rationalen Zahlen sind nicht vollstandig. Dazu betrachte man z.B.

eine Folge (rn)n∈N bestehend aus rationalen Zahlen wie in Beispiel 3.3.4, die gegen√2 ∈ R \ Q konvergiert.

Diese ist eine Cauchy-Folge in R und daher auch in Q. Sie konvergiert aber nicht

in Q. Denn wurde sie das tun, so wurde sie in R einerseits gegen√

2 und anderer-

seits gegen einen Grenzwert in Q konvergieren. Das widerspricht der Eindeutigkeit des

Grenzwertes in R.

3.5.7 Lemma. Sei (xn)n∈N eine Cauchy-Folge in einem metrischen Raum 〈X, d〉, die

eine konvergente Teilfolge hat. Dann ist (xn)n∈N konvergent.

Beweis. Sei (xn(k))k∈N die konvergente Teilfolge mit limk→∞ xn(k) = x. Zu ǫ > 0 wahle

N1 so groß, dass d(xn, xm) < ǫ fur n,m ≥ N1. Wahle N2 so groß, dass d(xn(k), x) < ǫ fur

k ≥ N2. Setze N := max{N1,N2}. Wahlt man nun k ≥ N, so folgt n(k) ≥ k ≥ N, und

man erhalt fur n ≥ N

d(xn, x) ≤ d(xn, xn(k)) + d(xn(k), x) < ǫ + ǫ = 2ǫ.

Das wichtigste Beispiel fur einen vollstandig metrischen Raum sind die reellen

Zahlen.

Page 87: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.6. KONVERGENZ IN WEITEREN METRISCHEN RAUMEN 81

3.5.8 Satz (Cauchysches Konvergenzkriterium). Sei (xn)n∈N eine Cauchy-Folge reeller

Zahlen. Dann existiert eine reelle Zahl x, sodass (xn)n∈N gegen x konvergiert.

Beweis. Gemaß Proposition 3.5.3 ist die Cauchy-Folge (xn)n∈N beschrankt. Nach

Lemma 3.4.4 hat (xn)n∈N eine konvergente Teilfolge. Schließlich konvergiert gemaß

Lemma 3.5.7 auch die Folge (xn)n∈N selbst.

3.5.9 Beispiel.

Der metrische Raum X = [0, 1] versehen mit der euklidischen Metrik ist auch

vollstandig, denn ist (xn)n∈N eine Cauchy-Folge in X, so ist sie das auch in R.

Wegen Satz 3.5.8 gilt limn→∞ xn = x fur ein x ∈ R.

Wegen 0 ≤ xn ≤ 1, n ∈ N, folgt aus Lemma 3.3.1, (iii), dass auch x ∈ X. Also

hat jede Cauchy-Folge in X einen Grenzwert in X.

Ist dagegen etwa X = (0, 1] versehen mit der euklidischen Metrik, so ist(

1n

)n∈N

eine Cauchy-Folge in X. Sie hat aber in X keinen Grenzwert, denn sonst wurde(1n

)n∈N

auch in R gegen diesen Grenzwert x ∈ X ⊆ R und andererseits gegen 0

streben. Wegen 0 < X muss x , 0 im Widerspruch zu Satz 3.2.8, (i).

3.6 Konvergenz in weiteren metrischen Raumen

Wir betrachten die Menge Rp (p ∈ N) und versehen diese mit den drei schon vorge-

stellten Metriken d1, d2, d∞. Wie bereits bemerkt, unterscheiden sich diese Metriken

voneinander.

Der Unterschied ist aber nicht allzu groß. In der Tat werden wir sehen, dass wenn

eine Folge bezuglich einer der drei Metriken konvergiert, diese dann auch bezuglicher

der anderen zwei konvergiert10.

Der Grund dafur liegt in der Ungleichungskette

maxk=1,...,p

{|xk |} ≤( p∑

k=1

|xk|2) 1

2 ≤p∑

k=1

|xk | ≤ p · maxk=1,...,p

{|xk|} . (3.9)

Das zweite”≤“ sieht man durch quadrieren. Das erste und dritte ist klar.

3.6.1 Proposition. Sei (xn)n∈N eine Folge von Punkten xn = (xn,1, . . . , xn,p) ∈ Rp, und

x = (x1, . . . , xp) ∈ Rp. Dann impliziert limn→∞ xn = x bezuglich einer der Metriken d1,

d2, d∞ auch limn→∞ xn = x bezuglich der anderen zwei Metriken aus d1, d2, d∞.

Die Konvergenz von (xn)n∈N gegen x bezuglich einer und daher aller dieser Metri-

ken ist wiederum aquivalent zur komponentenweisen Konvergenz 11

limn→∞

xn,k = xk fur alle k = 1, . . . , p . (3.10)

Insbesondere konvergiert eine Folge (zn)i∈N komplexer Zahlen gegen ein z ∈ C genau

dann, wenn12

limn→∞

Re(zn) = Re z und limn→∞

Im(zn) = Im z .

10Es sei aber hier auch darauf hingewiesen, dass es auf ein und der selben Menge Metriken d, d geben

kann, sodass eine gewisse Folge (xn)n∈N in dieser Menge bezuglich d konvergiert, aber bezuglich d divergiert.11Diese Konvergenz versteht sich in R bezuglich der euklidischen Metrik.12Vergleiche Bemerkung 3.3.6.

Page 88: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

82 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

Beweis. Aus Ungleichung (3.9) schließen wir auf

d∞(xn, x) ≤ d2(xn, x) ≤ d1(xn, x) ≤ p · d∞(xn, x).

Das Einschlusskriterium Satz 3.3.2 liefert nun sofort, dass, wenn eine der Folgen(d1(xn, x)

)n∈N,

(d2(xn, x)

)n∈N bzw.

(d∞(xn, x)

)n∈N eine Nullfolge ist, es dann die beiden

anderen Folgen auch sind. Aus Bemerkung 3.2.3 folgt, dass die Konvergenzbegriffe

bzgl. der drei Metriken ubereinstimmen.

Sei nun limn→∞ xn = x bezuglich bezuglich einer dieser Metriken und daher insbe-

sondere bezuglich d∞. Fur k = 1, . . . , p gilt

0 ≤ |xn,k − xk | ≤ maxj=1,...,p

{|xn, j − x j|} = d∞(xn, x) .

Wieder nach dem Einschlusskriterium Satz 3.3.2 zusammen mit Bemerkung 3.2.3 folgt

limn→∞ xn,k = xk.

Sei umgekehrt (3.10) vorausgesetzt und ǫ > 0 gegeben. Wahle N1, . . . ,Np, sodass

fur k = 1, . . . , p folgt |xn,k − xk | < ǫ, n ≥ Nk. Setzt man N := max{N1, . . . ,Np}, so folgt

d∞(xn, x) = maxk=1,...,p

{|xn,k − xk |} < ǫ .

Also gilt xn → x bezuglich d∞.

3.6.2 Beispiel. Man betrachte die Folge (xn)n∈N im R3 gegeben durch

xn =1

n·(−1)n, 2 − 3n,

n∑

k=0

1

2k

.

Wegen | 1n· (−1)n| = 1

n→ 0 und

∣∣∣ 1n·∑n

k=012k

∣∣∣ ≤ 2n→ 0 konvergieren die erste und die

dritte Komponente gegen 0.

Die zweite konvergiert wegen 1n(2− 3n) = 2

n− 3 gegen −3. Also konvergiert unsere

Folge bezuglich d1, d2, d∞ gegen (0,−3, 0).

3.6.3 Korollar. Der Raum Rp versehen mit einer der Metriken d1, d2, d∞ ist

vollstandig. Insbesondere sind die komplexen Zahlen vollstandig.

Beweis. Zunachst sei bemerkt, dass wenn eine Folge (xn)n∈N von Punkten des Rp eine

Cauchy-Folge bezuglich einer der Metriken d1, d2, d∞ ist, so ist sie das wegen

d∞(xn, xm) ≤ d2(xn, xm) ≤ d1(xn, xm) ≤ p · d∞(xn, xm)

auch bezuglich der beiden anderen Metriken.

Sei nun (xn)n∈N eine Cauchy-Folge von Punkten des Rp (bzgl. d1, d2, d∞), wobei

xn = (xn,1, . . . , xn,p). Dann gibt es zu jedem vorgegebenen ǫ > 0 eine Zahl N ∈ N mit

d∞(xn, xm) < ǫ fur n,m ≥ N. Es folgt fur jedes k ∈ {1, . . . , p}

|xn,k − xm,k| ≤ d∞(xn, xm) < ǫ, n,m ≥ N ,

d.h. jede der Folgen (xn,k)n∈N, k = 1, . . . , p, ist eine Cauchy-Folge reeller Zahlen. Daher

existieren y1, . . . , yp ∈ R mit

limi→∞

xi,k = yk, k = 1, . . . , p .

Wegen Proposition 3.6.1 folgt limn→∞ xn = y mit y = (y1, . . . , yp).

Page 89: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.6. KONVERGENZ IN WEITEREN METRISCHEN RAUMEN 83

3.6.4 Bemerkung. Die in Satz 3.3.5 hergeleiteten Rechenregeln gelten zum Teil auch

in Rp, wenn Rp mit der euklidischen Metrik und mit den Verknupfungen”+“ und

”skalares Multiplizieren“ wie aus der Linearen Algebra bekannt versehen wird. Sind

also (xn)n∈N, (yn)n∈N Folgen in Rp, die gegen x bzw. y konvergieren, und ist (λn)n∈Neine gegen ein λ ∈ R konvergente Folge in R, so gilt

(i) limn→∞(xn + yn) = x + y.

(ii) limn→∞ λnxn = λx.

(iii) limn→∞(xn, yn) = (x, y) (∈ R) (vgl. (3.2)).

Das folgt aus Proposition 3.6.1, da man die jeweiligen Konvergenzen auf die Kompo-

nenten von Rp zuruckfuhren kann. Eine andere Moglichkeit, diese Behauptungen zu

beweisen, besteht darin, den euklidischen Abstand d2(x, y) zweier Punkte x, y ∈ Rp als

‖x − y‖2 zu schreiben, wobei ‖x‖2 =√∑p

k=1|xk|2, und im Beweis von Satz 3.3.5 den

Betrag durch ‖.‖ ersetzt. Siehe Bemerkung 3.1.8.

Dass es auf ein und derselben Menge zwei Metriken geben kann, sodass die Kon-

vergenz einer Folge bezuglich der einen Metrik nicht die Konvergenz bezuglich der

anderen bedingt, zeigt folgendes Beispiel.

3.6.5 Beispiel. Man betrachteR einerseits versehen mit der Euklidischen Metrik d2, al-

so die von |.| induzierte Metrik, und andererseits mit der diskreten Metrik d aus Beispiel

3.1.5, (iv).

Außerdem betrachte man die Folge(

1n

)n∈N

, welche bekannterweise gegen 0 kon-

vergiert. Bezuglich d tut sie das nicht, da ja immer d(0, 1n) = 1, n ∈ N.

Man zeigt unschwer, dass eine Folge (xn)n∈N bezuglich d genau dann gegen x kon-

vergiert, wenn xn = x ab einem Index n0.

3.6.6 Beispiel (*). Sei p eine feste Primzahl. Die Folge (pn)n∈N ist bezuglich der Me-

trik d(p) auf Z gegen 0 konvergent, bezuglich der euklidischen Metrik d2 auf Z jedoch

divergent. Um das einzusehen, sei ǫ > 0 gegeben. Wahlt man N ∈ N mit 1pN < ǫ, so

gilt fur alle n ≥ N

d(p)(pn, 0) =1

pn≤ 1

pN< ǫ .

Angenommen es existiere x ∈ Z, sodass pn → x bezuglich d2. Wahle N ∈ N, sodass

d2(pn, x) < 1, n ≥ N. Dann folgt mit der Bernoullischen Ungleichung

1 + n(p − 1) ≤ pn = d2(pn, 0) ≤ d2(pn, x) + d2(x, 0) < 1 + |x|, n ≥ N ,

und weiter, dass n(p− 1) ≤ |x|, n ≥ N, was der Tatsache widerspricht, dass R archime-

disch angeordnet ist.

Tatsachlich sind in 〈Z, d2〉 nur die ab einem Index konstanten Folgen konvergent,

da konvergente Folgen auch Cauchy-Folgen sind, und damit insbesondere ab einem

gewissen Index der Abstand zweier Folgenglieder kleiner als 1 ist. Zwei verschiedene

ganze Zahlen haben aber sicher einen Abstand von mindestens 1.

Page 90: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

84 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

3.7 Konvergenz gegen unendlich

Die Folge xn = n, n ∈ N, als Folge in R ist nicht konvergent. Sie ist ja nicht einmal

beschrankt. Trotzdem zeigt sie ein doch recht determiniertes Verhalten. Aus dem Bauch

heraus wurde man sagen, dass sie”gegen unendlich“ strebt.

3.7.1 Definition. Eine Folge (xn)n∈N aus R heißt konvergent gegen +∞, in Zeichen

xn → +∞, n→ ∞, falls

∀M > 0∃N ∈ N : xn > M fur n ≥ N . (3.11)

Entsprechend sagen wir, dass eine Folge (xn)n∈N aus R gegen −∞ strebt, in Zeichen

xn → −∞, n→ ∞, wenn

∀M < 0∃N ∈ N : xn < M fur n ≥ N . (3.12)

Folgen, die im obigen Sinne gegen +∞ oder −∞ streben, heißen auch bestimmt diver-

gent.

3.7.2 Bemerkung. Unmittelbar aus (3.11) bzw. (3.12) und Lemma 3.3.1, (i), erkennt

man, dass sich fur eine Folge (xn)n∈N und ein x ∈ R die Konvergenzen limn→∞ xn = +∞und limn→∞ xn = x gegenseitig ausschließen. Genauso kann limn→∞ xn = −∞ und

limn→∞ xn = x nicht gleichzeitig stattfinden. Ebenso schließen sich limn→∞ xn = +∞und limn→∞ xn = −∞ gegenseitig aus.

Ist (xn)n∈N in R und x ∈ R oder x = ±∞, so kann man x = limn→∞ xn einheitlich

folgendermaßen schreiben:

(∀ξ ∈ R, ξ < x∃N ∈ N : ∀n ≥ N ⇒ xn > ξ) ∧(∀η ∈ R, η > x∃N ∈ N : ∀n ≥ N ⇒ xn < η).

Fur die Konvergenzbegriffe aus Definition 3.7.1 gelten ahnliche Regeln wie bei der

Konvergenz gegen Zahlen.

3.7.3 Satz. Fur Folgen (xn)n∈N und (yn)n∈N aus R, sodass limn→∞ xn = +∞, gelten

folgende Aussagen.

(i) Ist die Menge {yn : n ∈ N, n ≥ k} fur ein gewisses k ∈ N nach unten beschrankt,

dann gilt

limn→∞

(xn + yn) = +∞.

(ii) limn→∞(−xn) = −∞.

(iii) Ist yn ≥ C fur ein gewisses C > 0 und fur alle n ∈ N, n ≥ k mit einem gewissen

k ∈ N, so gilt limn→∞ xnyn = +∞.

(iv) Ist xn ≤ yn, fur alle n ∈ N, n ≥ k fur einen gewissen Index k ∈ N, so folgt

limn→∞ yn = +∞.

(v) Seien alle bis auf endlich viele, d.h. alle ab einem Index k ∈ N, yn positiv (negativ).

Dann gilt limn→∞ yn = +∞ (−∞) genau dann, wenn limn→∞1yn= 0.

(vi) Sei (yn)n∈N monoton wachsend (fallend). Ist (yn)n∈N beschrankt, so ist diese Folge

konvergent gegen eine reelle Zahl. Ist (yn)n∈N unbeschrankt, so konvergiert sie

gegen +∞ (−∞).

Page 91: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.7. KONVERGENZ GEGEN UNENDLICH 85

Analoge Aussagen gelten im Fall limn→∞ xn = −∞.

Beweis.

(i) Sei C eine untere Schranke von {yn : n ∈ N, n ≥ k}. Zu M > 0 wahle N so groß,

dass xn > M −C fur alle n ≥ N, so folgt fur n ≥ max(N, k)

xn + yn > (M −C) +C = M ;

also (xn + yn)→ +∞.

(ii) Folgt unmittelbar aus xn > M ⇔ −xn < −M.

(iii) Wahle N so, dass xn >MC

fur n ≥ N und sodass N ≥ k. Dann folgt fur n ≥ N auch

xnyn >M

C·C = M,

d.h. xnyn → +∞.

(iv) Ist xn > M, so erst recht yn > M.

(v) Seien alle yn mit n ≥ k positiv. Wir nehmen zuerst an, dass 1yn→ 0. Zu vorgege-

benem M wahle N ≥ k so groß, dass fur n ≥ N gilt 1yn< 1

M. Es folgt yn > M.

Gilt umgekehrt yn → +∞, und ist ǫ > 0, so wahle N so groß, dass fur n ≥ N gilt

yn >1ǫ. Daraus folgt | 1

yn| = 1

yn< ǫ.

(vi) Ist (yn)n∈N beschrankt, so folgt die Aussage aus Satz 3.4.2. Im Fall der Unbe-

schranktheit gibt es eben wegen dieser zu jedem M > 0 ein N ∈ N, sodass

yN > M. Wegen der Monotonie folgt dann auch yn > M fur alle n ≥ N

3.7.4 Beispiel. Sei q ∈ R und betrachte die Folge qn, n ∈ N. Dann gilt

limn→∞

qn =

+∞ , falls q > 1

1 , falls q = 1

0 , falls −1 < q < 1

∄ , falls q ≤ −1

Dabei haben wir den Fall 0 ≤ q < 1 schon in Beispiel 3.2.9 behandelt. Der Fall q = 1 ist

klar. Fur q > 1 folgt aus 0 < 1q< 1 durch Anwendung von Satz 3.7.3, dass qn → +∞.

Ist −1 < q < 0, so beachte |qn| = |q|n → 0. Ist q ≤ −1, so hat man qn ≥ 1 fur n gerade

und qn ≤ −1 fur n ungerade. Insbesondere ist der Abstand zweier aufeinanderfolgender

Folgenglieder ≥ 2, und wir sehen, dass qn keine Cauchy-Folge und erst recht keine

konvergente Folge sein kann. Konvergenz gegen +∞ oder −∞ kann aber auch nicht

stattfinden, denn dann mussten ja die Folgenglieder insbesondere ab einem Index alle

das gleiche Vorzeichen haben.

Page 92: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

86 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

3.7.5 Beispiel. Seien p, q aus R[x], p, q , 0, dh. zwei Polynome mit reellen Koeffizi-

enten ungleich dem Nullpolynom. Betrachte die Folge

xn :=p(n)

q(n)

fur alle n ∈ N mit q(n) , 0. Da Polynome nur endlich viele Nullstellen haben, ist xn

sicher fur alle n ∈ N, n ≥ n0 mit einem gewissen n0 ∈ N definiert. Schreiben wir p und

q als p(x) = amxm + . . . + a0 und q(x) = bk xk + . . . + b0 mit am, bk , 0 an, so gilt

limn→∞

xn =

0 , falls m < kam

bk, falls m = k

+∞ , falls m > k,am

bk> 0

−∞ , falls m > k, am

bk< 0

Um dieses einzusehen, betrachte zuerst den Fall, dass m ≤ k, und schreibe

xn =amnm + am−1nm−1 + . . . + a0

bknk + bk−1nk−1 + . . . + b0

=amnm−k + am−1nm−1−k + . . . + a0n−k

bk + bk−1n−1 + . . . + b0n−k.

Dann konvergiert der Nenner dieses Bruches gegen bk , 0. Ist m < k, so konvergiert

der Zahler gegen 0, insgesamt also xn → 0. Ist m = k, so strebt der Zahler gegen am

und wieder folgt unsere Behauptung.

Ist m > k, so schreiben wir xn als

nm−k am + am−1n−1 + . . . + a0n−m

bk + bk−1n−1 + . . . + b0n−k.

Also gilt xn = nm−kyn, wobei yn → am

bk. Nach Lemma 3.3.1 hat yn fur hinreichend große

Indizes dasselbe Vorzeichen wie am

bk. Wegen 1

xn→ 0 folgt aus Satz 3.7.3 das behauptete

Konvergenzverhalten fur xn.

3.7.6 Beispiel. Ist (xn)n∈N eine Folge aus R, die nicht nach oben beschrankt ist, es also

kein reelles C > 0 gibt mit xn ≤ C fur alle n ∈ N, so hat (xn)n∈N eine Teilfolge (xn(k))k∈N,

die limk→∞ xn(k) = +∞ erfullt.

Dazu wahlt man n(1) ∈ N so, dass xn(1) ≥ 1, und definiert n(k + 1) ∈ N rekursiv so,

dass n(k+1) > n(k) und xn(k+1) ≥ k+1. Aus Satz 3.7.3, (iv), folgt dann wegen xn(k) ≥ k,

dass limk→∞ xn(k) = +∞.

3.8 Konvergenz gegen ±∞ als metrische Konvergenz*

Am Ende dieses Kapitels wollen wir eine Moglichkeit vorstellen, wie man die ein-

gefuhrte Konvergenz gegen ±∞ als herkommliche Konvergenz in einem metrischen

Raum auffassen kann.

Als erstes mussen wir ±∞ als Elemente unseres Raumes anerkennen, denn eine

Folge von Elementen eines Raumes X kann gegen ein Element von X konvergieren,

aber nicht gegen irgendetwas. Betrachte also die Menge R = R∪{+∞,−∞}, wobei +∞und −∞ zwei verschiedene formale Elemente sind, die nicht in R liegen.

Nun versehen wir die Menge R in naheliegender Weise mit einer Relation:

x ≤ y :⇐⇒ (x ≤ y, x, y ∈ R) oder x = −∞ oder y = +∞ .

Page 93: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.8. KONVERGENZ GEGEN ±∞ ALS METRISCHE KONVERGENZ* 87

R +∞−∞

Abbildung 3.1: Veranschaulichung von R

Diese Relation ist offensichtlicherweise eine Totalordnung, die die Supremumseigen-

schaft hat.

3.8.1 Lemma. Die Funktion φ : R → (−1, 1), wobei φ(x) = x1+|x| , bildet R bijektiv

auf das offene Intervall (−1, 1) ab. Ihre Inverse φ−1 : (−1, 1) → R ist gegeben durch

φ−1(y) =y

1−|y| .

Schließlich sind φ und ihre Inverse φ−1 streng monoton wachsend.

Beweis. Als erstes wollen wir festhalten, dass fur x ∈ R stets |φ(x)| < 1, d.h. φ(x) ∈(−1, 1) gilt, und dass φ(x) das gleiche Vorzeichen wie x hat.

Ist ψ : (−1, 1)→ R definiert durch ψ(y) =y

1−|y| , so folgt

φ ◦ ψ(y) =

y

1−|y|

1 +|y|

1−|y|

=y

(1 − |y|) + |y| = y,

und

ψ ◦ φ(x) =

x1+|x|

1 − |x|1+|x|=

x

(1 + |x|) − |x| = x.

Somit ist nach Satz 1.2.18 die Abbildung φ bijektiv, und ψ ist die Inverse von φ.

Fur die behaupteten Monotonieeigenschaft seien x1, x2 ∈ R mit x1 = 0 oder x2 = 0

oder sgn(x1) = sgn(x2). Wegen x1|x2| = |x1|x2 gilt dann

x1 < x2 ⇔ x1(1 + |x2|) = x1 + x1|x2| < x2 + x2|x1| = x2(1 + |x1|)⇔ φ(x1) < φ(x2).

Da x und φ(x) dasselbe Vorzeichen haben, folgt fur den verbleibenden Fall

x1, x2 , 0, sgn(x1) = − sgn(x2), wobei o.B.d.A. x1 < x2, dass sowohl x1 < 0 < x2 als

auch φ(x1) < 0 < φ(x2).

Nun setzten wir φ fort zu einer Abbildung R→ [−1, 1], indem wir

φ(x) :=

x1+|x| , falls x ∈ R

1 , falls x = +∞−1 , falls x = −∞

definieren.

Offensichtlich ist diese Fortsetzung, die wir ebenfalls φ nennen wollen, auch bijek-

tiv und streng monoton wachsend, wobei

φ−1(y) :=

y

1−|y| , falls −1 < y < 1

+∞ , falls y = 1

−∞ , falls y = −1

Wir definieren nun eine Metrik auf R, indem wir die euklidische Metrik mittels φ nach

R ubertragen.

Page 94: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

88 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

R

+∞

−∞

φ

φ−1

[−1, 1]

Abbildung 3.2: Die Abbildung φ

3.8.2 Definition. Definiere eine Abbildung d : R × R→ R als

d(x, y) :=∣∣∣φ(x) − φ(y)

∣∣∣ .

3.8.3 Lemma. Die Abbildung d ist eine Metrik.

Dabei konvergiert eine Folge (xn)n∈N in R gegen ein x ∈ R bezuglich d genau dann,

wenn die Folge (φ(xn))n∈N in [−1, 1] gegen φ(x) ∈ [−1, 1] bezuglich der euklidischen

Metrik d2 konvergiert.

Beweis. Zunachst sei bemerkt, dass die Abbildung (a, b) 7→ |a − b| eine Metrik und φ

injektiv ist. Setze a := φ(x), b := φ(y), dann gilt

(M1): d(x, y) = |a − b| ≥ 0, und d(x, y) = 0 genau dann, wenn a = b. Da φ injektiv ist,

ist dies aquivalent zu x = y.

(M2): d(x, y) = |a − b| = |b − a| = d(y, x)

(M3): Sei zusatzlich z ∈ R und setze c := φ(z). Dann ist

d(x, z) = |a − c| ≤ |a − b| + |b − c| = d(x, y) + d(y, z) .

Die Aussage uber die Konvergenz folgt leicht aus Bemerkung 3.2.3, da

xn → x (bzgl. d)⇔ d(xn, x) = d2(φ(xn)→ 0⇔ φ(xn)→ φ(x) (bzgl. d2).

Wir wissen jetzt also, was es bedeutet, dass eine Folge reeller Zahlen in 〈R, d〉gegen +∞ bzw. −∞ konvergiert. Haben wir unser Modell nun richtig in dem Sinne

gebaut, dass dieser Begriff von Konvergenz gegen ±∞ tatsachlich mit dem eingangs

eingefuhrten Begriff von Konvergenz gegen ±∞ ubereinstimmt?

3.8.4 Proposition. Sei (xn)n∈N eine Folge reeller Zahlen. Dann gilt limn→∞ xn = +∞im Sinne einer Konvergenz im metrischen Raum 〈R, d〉 genau dann, wenn (3.11) gilt.

Analog gilt limn→∞ xn = −∞ in 〈R, d〉 genau dann, wenn (3.12) gilt.

Bleibt die Folge weg von ±∞, so bleibt unser alter Konvergenzbegriff reeller Zahlen

erhalten: Sei x ∈ R, dann gilt limn→∞ xn = x in 〈R, d〉 genau dann, wenn limn→∞ xn = x

in R bezuglich der euklidischen Metrik d2.

Page 95: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.9. UNENDLICHE REIHEN 89

Beweis. Angenommen xn → +∞ in 〈R, d〉. Zu gegebenem M > 0 setze ǫ := 1−φ(M) >

0 und wahle N ∈ N mit d(xn,+∞) < ǫ, n ≥ N. Dann folgt

1 − φ(xn) = |φ(xn) − 1| = d(xn,+∞) < ǫ = 1 − φ(M) ,

und daher φ(M) < φ(xn), also xn > M.

Gelte umgekehrt (3.11), und sei 0 < ǫ < 1 gegeben. Setze M := φ−1(1 − ǫ) > 0,

und wahle N ∈ N so, dass xn > M fur n ≥ N. Dann folgt

d(xn,+∞) = |φ(xn) − 1| = 1 − φ(xn) < 1 − φ(M) = ǫ, n ≥ N .

Wir sehen, dass xn → +∞ in 〈R, d〉 aquivalent zu (3.11) ist. Die Behauptung fur xn →−∞ sieht man genauso.

Sei nun x ∈ R, und xn → x in R bezuglich d2. Dann folgt, wegen unserer Rechen-

regeln fur Folgen, Satz 3.3.5, dass auch φ(xn) → φ(x). Wegen Lemma 3.8.3 erhalten

wir xn → x in 〈R, d〉.Gelte nun xn → x in 〈R, d〉, d.h. φ(xn) → φ(x) in R (Lemma 3.8.3). Die Abbildung

φ−1 ist von der gleichen Gestalt wie φ, und wir schließen wieder wegen unserer

Rechenregeln fur Folgen, dass xn = φ−1(φ(xn))→ φ−1(φ(x)) = x in R bezuglich d2.

Wir haben nun unser Zahlensystem etwas erweitert, um den Begriff des”Strebens

gegen unendlich“ als Konvergenz in metrischen Raumen interpretieren zu konnen. Wir

haben dabei jedoch auch sehr viel verloren, namlich unsere algebraischen Operationen

+ und ·. Gemaß Satz 3.7.3 macht es zwar Sinn

x + (+∞) = +∞,−(+∞) = −∞, y(+∞) = +∞, 1

±∞ = 0, usw.

fur x, y ∈ R, y > 0 zu setzen, damit die Operationen mit den Grenzwertregeln ver-

traglich bleiben. Aber wie sollte man z.B. +∞ + (−∞) oder 0 · (+∞) definieren?

Als einfachstes Beispiel betrachte man xn = 2n, yn = n. Es gilt xn, yn → +∞. Es

gilt aber xn − yn = n → +∞, was auf”(+∞) − (+∞) = +∞“ deuten wurde, wogegen

yn − xn = −n→ −∞, also”(+∞) − (+∞) = −∞“.

3.9 Unendliche Reihen

Wir sind schon einmal einer Folge (S n)n∈N begegnet, die von der speziellen Gestalt

S n =∑n

k=0 ak mit gewissen Zahlen ak war. In Beispiel 3.2.9 haben wir namlich die

Folge S n = 1 + z + . . . + zn mit |z| < 1 betrachtet. Dort haben wir gezeigt, dass diese

Folge gegen den Grenzwert 11−z

konvergiert. Das heißt also, dass fur große Werte von

n die Summe∑n

k=0 zk den Wert 11−z

beliebig gut approximiert. Es ist also naheliegend

zu schreiben1

1 − z=

∞∑

k=0

zk .

3.9.1 Definition. Sei (ak)k∈N eine Folge reeller oder komplexer Zahlen13. Bezeichne

mit S n, n ∈ N die n-te Partialsumme

S n := a1 + a2 + . . . + an .

13Allgemeiner kann (ak)k∈N auch eine Folge von Elementen eines metrischen Raumes sein, auf dem man

eine Verknupfung + hat; zum Beispiel im Rp.

Page 96: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

90 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

Die Folge (S n)n∈N nennen wir auch die Reihe mit den Summanden ak.

Hat die Folge (S n)n∈N einen Grenzwert, so sagen wir die Reihe sei konvergent. In

diesem Fall nennen wir ihren Grenzwert limn→∞

S n die Summe der Reihe und benutzen

die Schreibweise∞∑

k=1

ak := limn→∞

S n .

Falls der Grenzwert limn→∞

S n nicht existiert, so heißt die Reihe divergent.

Sind die ak alle reell und gilt limn→∞

S n = +∞ bzw. limn→∞

S n = −∞ im Sinne von

Definition 3.7.1, so heißt die Reihe konvergent gegen +∞ bzw. −∞, und man schreibt

∞∑

k=1

ak = +∞ bzw.

∞∑

k=1

ak = −∞ .

Man nennt die Reihe dann auch bestimmt divergent gegen +∞ bzw. −∞.

Um die Notation zu vereinfachen, benutzt man die Schreibweise∞∑

k=1

ak auch fur die

Reihe (S n)n∈N selbst, und sagt dann∞∑

k=1

ak sei konvergent oder divergent.

Ausdrucke, wie etwa∞∑

k=6

ak haben eine sinngemaß analoge Interpretation durch

Grenzwerte von Partialsummen.

3.9.2 Bemerkung (*). Eine unendliche Reihe ist per definitionem die Folge ihrer Parti-

alsummen, d.h. die Theorie der Reihen ist ein Spezialfall jener der Folgen. Umgekehrt

kann man auch jede Folge reeller oder komplexer Zahlen als Folge der Partialsummen

einer Reihe auffassen: Ist (cn)n∈N irgendeine Folge, so setze

a1 := c1, a2 := c2 − c1, a3 := c3 − c2, . . . , ak := ck − ck−1, . . . .

Dann gilt cn =n∑

k=1

ak.

Auf Grund der Definition einer unendlichen Reihe als Limes ihrer Partialsummen

konnen wir Aussagen uber Folgen sofort auf Reihen ubertragen.

3.9.3 Korollar. Sind∞∑

k=1

ak und∞∑

k=1

bk konvergent, so ist auch∞∑

k=1

(ak + bk) konvergent.

Es gilt∞∑

k=1

(ak + bk) =

∞∑

k=1

ak

+∞∑

k=1

bk

.

Ist∑∞

k=1 ak konvergent und λ eine feste (reelle oder komplexe) Zahl, so sind auch∑∞k=1 ak und

∑∞k=1(λak) konvergent. Weiters gilt

∞∑

k=1

ak =

∞∑

k=1

ak,

∞∑

k=1

(λak) = λ ·∞∑

k=1

ak .

Beweis. Fur die entsprechenden Partialsummen S n =n∑

k=1

ak, Tn =n∑

k=1

bk und Un =

n∑k=1

(ak + bk) gilt S n + Tn = Un.

Page 97: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.9. UNENDLICHE REIHEN 91

Weiters gilt fur Vn =n∑

k=1

(λak) und Wn =n∑

k=1

ak sicher Vn = λS n und Wn = S n. Also

folgen auch diese Rechenregeln aus den entsprechenden Regeln fur Folgen.

Beim letzten Beweis haben wir die Rechengesetze wie Kommutativitat, Distributi-

vitat u.a. fur endliche Summen benutzt. Das Verhalten dieser Rechenregeln bei unend-

lichen Reihen ist wesentlich komplizierter, vgl. u.a. Beispiel 5.4.1.

3.9.4 Fakta.

1. Man beachte, dass man endlich viele Reihenglieder beliebig abandern kann, oh-

ne das Konvergenzverhalten zu storen. Das gilt deshalb, weil sich dabei die neue

Folge der Partialsummen ab einem gewissen Index von der alten nur um eine

additive Konstante unterscheidet. Naturlich verandert sich dabei die Summe der

Reihe.

Ahnlich konvergiert fur ein k ∈ Z \ {0} mit∑∞

n=1 an auch die Reihe∑∞

n=1 an+k,

wobei man im Falle k < 0 die Summanden ak+1, . . . , a−1, a0 alle Null setzt. In

der Tat gilt fur k > 0 immer∑N

n=1 an+k =∑N+k

n=1 an −(∑k

n=1 an

)und damit fur

N → ∞, dass mit der rechten Seite auch die linke konvergiert. Fur k < 0 gilt∑Nn=1 an+k =

∑N+kn=1 an fur alle N ∈ N, N > −k.

2. Hat man eine konvergente Reihe∑∞

j=1 a j gegeben, so durfen beliebig Klammern

gesetzt werden, ohne das Konvergenzverhalten der Reihe zu verandern. Exakt

formuliert bedeutet das, dass fur jede streng monoton wachsende Folge (k(n))n∈Nnaturlicher Zahlen

∞∑

j=1

a j =

∞∑

n=1

An ,

gilt, wobei A1 = a1 + · · · + ak(1) und An = ak(n−1)+1 + · · · + ak(n) fur n ≥ 2.

Dieser Sachverhalt folgt aus der einfachen Beobachtung, dass die Folge der Par-

tialsummen unserer neuen Reihe∑∞

n=1 An genau die Teilfolge (S k(n))n∈N der Folge

(S k)k∈N der Partialsummen von∑∞

j=1 a j ist; vgl. Satz 3.2.8, (iv).

Die Umkehrung gilt hier nicht. Es kann namlich vorkommen, dass∑∞

n=1 An kon-

vergiert, aber∑∞

k=1 ak nicht. Man betrachte nur die Reihe 1 − 1 + 1 − 1 + . . . und

klammere immer zwei aufeinanderfolgende Summanden ein.

3. Sind∞∑

k=1

ak und∞∑

k=1

bk zwei konvergente Reihen mit reellen Summanden, sodass

ak ≤ bk fur alle k ∈ N, so gilt fur die Partialsummen klarerweise auchn∑

k=1

ak ≤n∑

k=1

bk fur alle n ∈ N. Aus Lemma 3.3.1 erhalten wir dann fur die Grenzwerte

dieser zwei Folgen von Partialsummen

∞∑

k=1

ak ≤∞∑

k=1

bk .

Ist nun zusatzlich sogar al < bl fur zumindest ein l ∈ N, so folgt al + δ ≤ bl fur

ein hinreichend kleines δ > 0. Somit gilt fur n ≥ l, dass δ +n∑

k=1

ak ≤n∑

k=1

bk. Fur

Page 98: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

92 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

n→ ∞ folgt wieder aus Lemma 3.3.1, dass

∞∑

k=1

ak < δ +

∞∑

k=1

ak ≤∞∑

k=1

bk.

3.9.5 Beispiel.

Betrachte die Reihe∞∑

k=1

1k(k+1)

. Wegen 1k(k+1)

= 1k− 1

k+1gilt

S n :=

n∑

k=1

1

k(k + 1)=

n∑

k=1

(1

k− 1

k + 1

)= 1 − 1

n + 1.

Die Reihe∞∑

k=1

1k(k+1)

konvergiert also gegen limn→∞

S n = 1. Reihen, deren Grenzwert

sich derartig berechnen lasst, nennt man auch Teleskopreihen.

Lasst man die ersten drei Terme weg, d.h. ersetzt sie durch 0, so gilt fur die

entsprechenden Partialsummen S ′n stets (n ≥ 3)

S ′n = S n −1

1 · 2 −1

2 · 3 −1

3 · 4 =(1 − 1

n + 1

)− 3

4→ 1

4.

Somit ist die Reihe∞∑

k=4

1k(k+1)

ebenfalls konvergent. Ihre Summe ist 14.

Fasst man immer zwei Summanden der Reihe∞∑

k=1

1k(k+1)

zusammen, so erhalt man

die Reihe∞∑

k=1

2(2k−1)(2k+1)

, welche nach Fakta 3.9.4, 2, ebenfalls die Summe 1 hat.

3.9.6 Bemerkung. Aus dem entsprechenden Resultat fur Folgen erhalt man, dass ei-

ne Reihe∑∞

n=1 zn bestehend aus komplexen Zahlen genau dann konvergiert, wenn die

reellen Reihen∑∞

n=1 Re zn und∑∞

n=1 Im zn beide konvergieren. In diesem Fall gilt

∞∑

n=1

zn = (

∞∑

n=1

Re zn) + i(

∞∑

n=1

Im zn) .

Folgendes Resultat liefert uns eine einfache notwendige Bedingung fur die Kon-

vergenz einer Reihe. Wie wir in Beispiel 3.9.9 sehen werden, ist diese notwendige

Bedingung bei weitem nicht hinreichend.

3.9.7 Proposition. Ist∞∑

k=1

ak konvergent, so folgt limk→∞ ak = 0.

Beweis. Betrachte die Reihe∞∑

k=1

bk, wobei b1 = 0 und bk+1 = ak fur k ∈ N. Sind (S n)n∈N

und (Tn)n∈N die Folgen der Partialsummen von∞∑

k=1

ak bzw.∞∑

k=1

bk, so folgt

S n − Tn =

n∑

k=1

ak −n∑

k=2

ak−1 = an .

Page 99: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.9. UNENDLICHE REIHEN 93

Wegen Tn+1 = S n folgt aus Satz 3.2.8, dass (Tn)n∈N gegen den gleichen Grenzwert,

wie (S n)n∈N konvergiert. Somit erhalten wir S n − Tn = an → 0.

3.9.8 Lemma. Sei∞∑

k=1

ak eine Reihe mit reellen nichtnegativen Summanden, d.h. ak ∈R, ak ≥ 0.

(i) Die Reihe ist genau dann konvergent, wenn die Folge (S n)n∈N der Partialsummen

beschrankt ist. In diesem Fall ist auchn∑

k=1

ak ≤∞∑

k=1

ak fur alle n ∈ N. Anderenfalls

ist sie bestimmt gegen +∞ divergent.

(ii) Ist∞∑

k=1

bk eine divergente Reihe nichtnegativer reeller Zahlen mit ak ≥ bk, k ∈ N,

so ist auch∞∑

k=1

ak divergent (Minorantenkriterium).

(iii) Ist∞∑

k=1

bk eine konvergente Reihe nichtnegativer reeller Zahlen mit ak ≤ bk, k ∈ N,

so ist auch∞∑

k=1

ak konvergent (Majorantenkriterium), und∞∑

k=1

ak ≤∞∑

k=1

bk.

Beweis. Wegen der Voraussetzung ak ≥ 0 ist (S n)n∈N monoton wachsend. Somit folgt

(i) aus Satz 3.7.3, (vi). Die behauptete Ungleichung gilt, da im Falle der Konvergenz

der monoton wachsenden Folge (S n)n∈N der Grenzwert gemaß Satz 3.4.2 nichts anderes

als sup{S n : n ∈ N} ist.

Ist nun bk ≥ 0 und (Tn)n∈N der Folge Partialsummen der Reihe∞∑

k=1

bk, so ist auch

diese monoton wachsend.

Ist diese divergent, und ak ≥ bk, so gilt sicherlich S n ≥ Tn. Also kann die Folge

(S n)n∈N nicht beschrankt sein.

Ist dagegen∞∑

k=1

bk konvergent, und ak ≤ bk, so ist S n ≤ Tn, und mit (Tn)n∈N ist auch

die Folge (S n)n∈N nach oben beschrankt. Die behauptete Ungleichung folgt aus Fakta

3.9.4, 3.

3.9.9 Beispiel. Betrachte die harmonische Reihe

∞∑

k=1

1

k.

Diese Reihe ist nicht konvergent. Genauer gesagt ist sie bestimmt divergent gegen +∞.

Betrachtet man namlich die Partialsummen S n = 1 + 12+ · · · + 1

n, so ist diese monoton

wachsend. Fur die Existenz des Limes ist es also notwendig und hinreichend, dass diese

Folge beschrankt ist; vgl. Lemma 3.9.8, i. Somit ware auch jede Teilfolge beschrankt.

Nun gilt jedoch

S 2l = 1 +1

2+

1

3+

1

4+

1

5+

1

6+

1

7+

1

8+

1

9+ . . . +

1

2l≥

1 +1

2+

1

4+

1

4︸ ︷︷ ︸= 1

2

+1

8+

1

8+

1

8+

1

8︸ ︷︷ ︸= 1

2

+1

16+ . . . +

1

2l= 1 + l · 1

2,

Page 100: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

94 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

Insbesondere ist die Teilfolge (S 2l )l∈N nicht beschrankt.

3.9.10 Beispiel. Durch Vergleich mit der harmonischen Reihe ist nach dem Minoran-

tenkriterium die Reihe∞∑

k=1

1kα

fur α < 1 divergent14.

3.9.11 Lemma (Cauchysches Konvergenzkriterium). Die Reihe∞∑

k=1

ak mit reellen oder

komplexen Summanden ist genau dann konvergent, wenn gilt

∀ǫ > 0∃N ∈ N :

∣∣∣∣∣∣∣

n∑

k=m+1

ak

∣∣∣∣∣∣∣< ǫ, n > m ≥ N . (3.13)

Beweis. Da R und C vollstandig metrische Raume sind, ist die Konvergenz der

Folge der Partialsummen S n =n∑

k=1

ak mit der Tatsache gleichbedeutend, dass (S n)n∈N

eine Cauchy-Folge ist. Wegen S n−S m =∑n

k=m+1 ak ist das aber zu (3.13) aquivalent.

Wir werden spater weitere Konvergenzkriterien kennenlernen. Diesen Abschnitt

beenden wir mit einer weiteren ganz wichtigen Begriffsbildung.

3.9.12 Definition. Sei (ak)k∈N eine Folge reeller oder komplexer Zahlen. Die Reihe∑∞k=1 ak heißt absolut konvergent, wenn die Reihe der Betrage

∑∞k=1 |ak| konvergiert.

3.9.13 Lemma. Jede absolut konvergente Reihe ist auch konvergent.

Beweis. Laut Voraussetzung und gemaß Lemma 3.9.11 gibt es zu jedem ǫ > 0 ein

N ∈ N, sodass∑n

k=m+1 |ak| =∣∣∣∑n

k=m+1 |ak|∣∣∣ < ǫ fur alle n > m ≥ N. Daraus und aus der

Dreiecksungleichung erhalt man

∣∣∣∣∣∣∣

n∑

k=m+1

ak

∣∣∣∣∣∣∣≤

n∑

k=m+1

| ak |< ǫ .

Wieder wegen Lemma 3.9.11 konvergiert damit die Reihe.

Die Umkehrung von Lemma 3.9.13 gilt im Allgemeinen nicht.

3.9.14 Beispiel. Die alternierende harmonische Reihe∑∞

k=1(−1)k+1 1k

ist konvergent,

wie man aus dem Leibnizschen Konvergenzkriterium, Korollar 3.10.7, weiter unten

erkennt. Die Reihe der Betrage∑∞

k=11k

ist gemaß Beispiel 3.9.9 aber divergent.

3.10 Konvergenzkriterien

Wir wollen das Majorantenkriterium ausnutzen, um durch Vergleich mit der geometri-

schen Reihe zwei oft einsetzbare hinreichende Bedingungen fur die absolute Konver-

genz einer Reihe herzuleiten.

14Bemerke, dass wir kα erst fur rationales α definiert haben.

Page 101: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.10. KONVERGENZKRITERIEN 95

3.10.1 Satz (Wurzelkriterium). Sei∞∑

n=1

an eine Reihe mit reellen oder komplexen Sum-

manden.

Gibt es eine feste Zahl q ∈ [0, 1) und ein N ∈ N, sodass

n√|an| ≤ q fur alle n ≥ N , (3.14)

oder gilt die aquivalente Bedingung, dass (n√|an|)n∈N beschrankt ist mit

lim supn→∞n√|an| < 1, so ist die Reihe

∞∑n=1

an absolut konvergent.

Gibt es dagegen eine Teilfolge (an(k))k∈N mit n(k)√|an(k)| ≥ 1, k ∈ N, so ist die Rei-

he∞∑

n=1

an divergent. Diese Teilfolgenbedingung ist sicher dann erfullt, wenn (n√|an|)n∈N

nach oben nicht beschrankt ist oder wenn lim supn→∞n√|an| > 1.

Beweis. Dass (3.14) zur Beschranktheit von (n√|an|)n∈N samt der Bedingung

lim supn→∞n√|an| < 1 aquivalent ist, folgt unmittelbar aus Fakta 3.4.5, 5.

Ausn√|an| ≤ q folgt |an| ≤ qn fur alle n ≥ N. Da die Reihe

∞∑n=N

qn konvergiert,

zeigt das Majorantenkriterium aus Lemma 3.9.8, dass auch∞∑

n=N

|an|, und damit∞∑

n=1

|an|konvergiert.

Ist (n√|an|)n∈N nach oben nicht beschrankt, so haben wir in Beispiel 3.7.6 eine Teil-

folge konstruiert, die n(k)√|an(k)| ≥ k, k ∈ N, erfullt. Ist (

n√|an|)n∈N nach oben beschrankt

und gilt lim supn→∞n√|an| > 1, so folgt aus Fakta 3.4.5, 6, und Lemma 3.3.1, (i), dass

n(k)√|an(k)| > 1, k ∈ N, fur eine gewisse Teilfolge von (

n√|an|)n∈N.

Gibt es eine Teilfolge (an(k))k∈N mit n(k)√|an(k)| ≥ 1, so folgt |an(k)| ≥ 1. Also kann

(|an(k)|)k∈N keine und damit auch (an)n∈N keine Nullfolge sein. Wegen Proposition 3.9.7

ist∞∑

n=1

an divergent.

3.10.2 Beispiel.

(i) Betrachte die Reihe∑∞

n=11

(3+(−1)n)n . Die Folge der n-ten Wurzeln

n

√1

(3 + (−1)n)n=

1

(3 + (−1)n)

hat zwar keinen Grenzwert, aber ihre Glieder sind alle ≤ 12. Somit kann man

auch Satz 3.10.1 anwenden. Der Grenzwert der Reihe lasst sich mit Hilfe der

hergeleiteten Regeln fur Reihen berechnen:

∞∑

n=1

1

(3 + (−1)n)n=

∞∑

k=1

(1

22k−1+

1

42k

)=

∞∑

k=1

1

22k−1+

∞∑

k=1

1

42k=

2

∞∑

k=1

1

4k+

∞∑

k=1

1

16k= 2

1

1 − 14

− 1

+

1

1 − 116

− 1

.

Page 102: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

96 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

(ii) Wie wir in Beispiel 3.10.8 sehen werden, ist die Reihe∞∑

n=1

1nα

fur rationales α > 1

absolut konvergent. Das Wurzelkriterium konnen wir wegen (vgl. Satz 3.3.5 und

Beispiel 3.3.7)

lim supn→∞

n√|n−α| = lim

n→∞(

n√

n)−α︸ ︷︷ ︸<1

= 1

weder dazu verwenden, um auf absolute Konvergenz noch auf Divergenz zu

schließen.

3.10.3 Satz (Quotientenkriterium). Sei∞∑

n=1

an eine Reihe mit reellen oder komplexen

Summanden.

Gibt es eine feste Zahl q ∈ [0, 1) und ein N ∈ N, sodass15

|an+1||an|

≤ q fur alle n ≥ N , (3.15)

oder gilt die aquivalente Bedingung, dass (|an+1 ||an | )n∈Z≥N

fur ein gewissen N ∈ N be-

schrankt ist mit lim supn→∞|an+1 ||an | < 1, so ist die Reihe

∞∑n=1

an absolut konvergent.

Gibt es dagegen einen Index N ∈ N, sodass an , 0 und|an+1 ||an | ≥ 1 fur n ≥ N, so ist

die Reihe∞∑

n=1

an divergent.

Beweis. Dass (3.15) zur Beschranktheit von (|an+1||an | )n∈Z≥N

samt der Bedingung

lim supn→∞|an+1 ||an | < 1 aquivalent ist, folgt unmittelbar aus Fakta 3.4.5, 5.

Unter dieser Voraussetzung gilt |an+1| ≤ q|an| fur alle n ≥ N. Durch vollstandige

Induktion erhalten wir

|an| ≤ qn |aN |qN

fur alle n ≥ N ,

worausn√|an| ≤ q · n

√|aN |qN fur n ≥ N folgt. Da der zweite Faktor mit n → ∞ gegen 1

strebt, gilt wegen Lemma 3.3.1, (i), dassn√|an| < 1+q

2fur alle n ≥ N′ mit einem N′ ≥ N.

Also konnen wir das Wurzelkriterium anwenden und erhalten die absolute Konvergenz.

Aus|an+1 ||an| ≥ 1 fur n ≥ N folgt |an+1| ≥ |an| ≥ · · · ≥ |aN | > 0. Also kann (an)n∈N keine

Nullfolge sein.

3.10.4 Beispiel.

(i) Betrachte die Reihe∑∞

n=0zn

n!, wobei n! := 1 · 2 · 3 · . . . · n die Zahl n-faktorielle

bezeichnet und z ∈ C beliebig ist. Diese Reihe ist konvergent, denn es gilt

∣∣∣∣∣∣∣∣

zn+1

(n+1)!

zn

n!

∣∣∣∣∣∣∣∣=

1 · 2 · . . . · n1 · 2 · . . . · n · (n + 1)

|z| = |z|n + 1

→ 0 .

Insbesondere ist auch der Limes Superior der linken Seite gleich Null und damit

kleiner 1.

15Dies beinhaltet die Bedingung an , 0 fur n ≥ N.

Page 103: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.10. KONVERGENZKRITERIEN 97

(ii) Bezeichne mit τ(n) die Anzahl der Teiler der naturlichen Zahl n. Wir betrachten

die Reihe∑∞

n=1 τ(n)xn, wobei x > 0 ist. Wegen τ(n) ≤ n gilt

n√τ(n)xn = x · n

√τ(n) ≤ x · n

√n→ x .

Ist also x < 1, so ist die Reihe konvergent. Fur x ≥ 1 ist sie sicher divergent, denn

dann bilden die Summanden keine Nullfolge.

Im Beweis von Satz 3.10.3 haben wir das Wurzelkriterium verwendet, um das

Quotientenkriterium herzuleiten. Also ist ersteres starker, wenn auch nicht immer

am praktikabelsten. Das eben betrachtete Beispiel – genauso wie Beispiel 3.10.2

– ist gerade eines, wo uns das Wurzelkriterium zum Ziel fuhrt, das Quotienten-

kriterium aber versagen wurde. Denn ist n > 2 eine Primzahl, so gilt τ(n) = 2.

Weiters ist n sicher ungerade, und damit kann n+ 1 keine Primzahl sein. Also gilt

τ(n + 1) ≥ 3. Wir erhalten damit

τ(n + 1)xn+1

τ(n)xn≥ 3

2· x .

Fur x ≥ 23

ist daher der Quotient ≥ 1. Da es unendlich viele Primzahlen gibt,

konnen wir somit das Quotientenkriterium nicht anwenden.

Die nachsten Kriterien basieren auf folgendem, auch spater verwendeten Lemma.

3.10.5 Lemma. Seien a1, . . . , am und b1, . . . , bm komplexe oder reelle Zahlen, so gilt

m∑

n=1

anbn = amβm −m−1∑

n=1

(an+1 − an)βn ,

wobei die βn die Partialsummenn∑

j=1

b j = βn bezeichnen.

Beweis.m−1∑

n=1

(an+1 − an)βn =

m−1∑

n=1

an+1βn −m−1∑

n=1

anβn =

m∑

n=2

anβn−1 −m−1∑

n=1

anβn = amβm−1 −m−1∑

n=2

an(βn − βn−1) − a1β1 =

amβm − ambm −m−1∑

n=2

anbn − a1b1 = amβm −m∑

n=1

anbn .

3.10.6 Satz (Dirichletsches16Kriterium). Sei (an)n∈N eine monotone Nullfolge reeller

Zahlen und sei (bn)n∈N eine Folge reeller oder komplexer Zahlen. Gilt fur eine Zahl

C > 0 ∣∣∣∣∣∣∣

N∑

n=1

bn

∣∣∣∣∣∣∣≤ C, N ∈ N ,

so ist die Reihe∞∑

n=1

anbn konvergent.

16Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet. 13.2.1805 Duren (bei Aachen) - 5.5.1859 Gottingen

Page 104: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

98 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

Beweis. Sei N so groß, dass |an| < ǫ fur n ≥ N. Dann folgt fur m > k ≥ N aus Lemma

3.10.5 und der Dreiecksungleichung

∣∣∣∣∣∣∣

m∑

n=k+1

anbn

∣∣∣∣∣∣∣≤

∣∣∣∣∣∣∣am

( m∑

i=k+1

bi

)∣∣∣∣∣∣∣+

m−1∑

n=k+1

|an+1 − an|∣∣∣∣∣∣∣

n∑

i=k+1

bi

∣∣∣∣∣∣∣

.

Wegen |∑ni=k+1 bi| ≤ |

∑ki=1 bi| + |

∑ni=1 bi| ≤ 2C schatzen wir diesen Ausdruck weiter

nach oben durch

2C|am| + 2C

m−1∑

n=k+1

|an+1 − an|

ab. Voraussetzungsgemaß haben die Ausdrucke der Form (an+1 − an) niemals verschie-

denes Vorzeichen. Also gilt

2C(|am| +

m−1∑

n=k+1

|an+1 − an|)= 2C

|am| +∣∣∣∣∣∣∣

m−1∑

n=k+1

(an+1 − an)

∣∣∣∣∣∣∣

2C (|am| + |am| + |ak+1|) ≤ 2C · 3ǫ .

Nach dem Cauchyschen Kriterium, Lemma 3.9.11, ist die Reihe∞∑

n=1

anbn konvergent.

3.10.7 Korollar (Leibniz17Kriterium). Sei∞∑

n=1

(−1)nan eine alternierende Reihe, d.h.

an ∈ R, an ≥ 0, n ∈ N. Ist (ak)k∈N monoton fallend und gilt limn→∞

an = 0, so konvergiert

∞∑n=1

(−1)nan.

Beweis. Setze im Dirichletschen Kriterium bn = (−1)n.

3.10.8 Beispiel. Fur α > 1 ist die Reihe∞∑

k=1

1kα

konvergent18.

Wegen m+1m→ 1 kann man m ∈ N so wahlen, dass m+1

m≤ α. Nach dem Majoran-

tenkriterium genugt es, die Behauptung fur den Exponenten m+1m

zu zeigen.

Betrachte die nach dem Leibnizschen Kriterium konvergente Reihe∞∑

k=1

(−1)k+1 1

k1m

.

Fassen wir immer je zwei Summanden zusammen, so konvergiert nach Fakta 3.9.4, 2,

auch die Reihe∞∑

k=1

(1

(2k − 1)1m

− 1

(2k)1m

).

Nun ist1

(2k − 1)1m

− 1

(2k)1m

=(2k)

1m − (2k − 1)

1m

(2k − 1)1m (2k)

1m

=1

(2k − 1)1m (2k)

1m

·

· (2k) − (2k − 1)

(2k)m−1

m + (2k)m−2

m (2k − 1)1m + . . . + (2k)

1m (2k − 1)

m−2m + (2k − 1)

m−1m

≥ 1

(2k)2m m(2k)

m−1m

=1

m2m+1

m

· 1

km+1

m

17Gottfried Wilhelm Leibniz. 1.7.1646 Leipzig - 14.11.1716 Hannover18Bemerke, dass wir kα erst fur rationales α definiert haben.

Page 105: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.10. KONVERGENZKRITERIEN 99

Nach dem Majorantenkriterium folgt somit, dass auch die Reihe∞∑

k=1

1

km+1

mkonvergiert.

3.10.9 Korollar (Abelsches19Kriterium*). Sei die reell- oder komplexwertige Reihe∞∑

n=1

bn konvergent, und sei (an)n∈N eine monotone und beschrankte Folge aus R. Dann

ist die Reihe∞∑

n=1

anbn konvergent.

Beweis. Gemaß Satz 3.4.2 konvergiert die Folge (an)n∈N gegen ein a. Fur N → ∞existiert in

N∑

n=1

anbn =

N∑

n=1

(an − a)bn + a

N∑

n=1

bn

fur jeden der beiden Summanden auf der rechten Seite der Grenzwert, denn die Reihe∑∞n=1(an − a)bn konvergiert nach dem Dirichletschen Kriterium und die Reihe

∑∞n=1 bn

nach Voraussetzung.

3.10.10 Satz (Kriterium von Raabe20*). Sei (an)n∈N eine Folge reeller oder komplexer

Zahlen. Gibt es eine Zahl β > 1, sodass ab einem Index k0 alle ak , 0 sind, und

|ak+1||ak|

≤ 1 − βk, k ≥ k0 ,

so ist die Reihe∞∑

k=1

ak absolut konvergent.

Ist ab einem gewissen Index k0 jedoch |ak+1 ||ak | ≥ 1 − 1

k, so ist sie nicht absolut konver-

gent, also hochstens bedingt konvergent.

Beweis. Fur k ≥ k0 gilt wegen unserer Voraussetzung k|ak+1| ≤ k|ak| − β|ak| und daher

(β − 1)|ak| ≤ (k − 1)|ak| − k|ak+1| . (3.16)

Wegen β > 1 ist (k − 1)|ak| > k|ak+1| > 0. Somit ist die Folge ((k − 1)|ak|)k∈Z≥2monoton

und beschrankt, und daher konvergent. Daraus ergibt sich die Konvergenz der Folge (in

k)k∑

n=2

((n − 1)|an| − n|an+1|) = |a2| − k|ak+1|

von Partialsummen. Wegen (3.16) konvergiert die Reihe∑∞

n=1 |an|.Gilt nun

|ak+1 ||ak | ≥ 1− 1

kfur k ≥ k0(> 1), so folgt k|ak+1| ≥ (k− 1)|ak| ≥ (k0 − 1)|ak0

| :=α > 0. Also ist |ak+1| ≥ α

k, und nach dem Minorantenkriterium kann

∑∞n=1 |an| nicht

konvergieren.

Wir wollen noch anmerken, dass man die Konvergenz von ( 1nα

)n∈N fur α ∈ N, n ≥ 2,

mit dem Kriterium von Raabe und der Bernouillschen Ungleichung zeigen kann.

19Niels Henrik Abel. 5.8.1802 Finno (Norwegen) - 6.4.1829 Froland (Norwegen)20Josef Ludwig Raabe. 1801 - 1859

Page 106: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

100 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

3.11 Ubungsbeispiele

3.1 Welche der folgenden Paare sind metrische Raume, und warum oder warum nicht?

(i) 〈Cn, d〉, wobei (vgl. (2.17))

d((z j)nj=1, (w j)

nj=1

) =∑n

j=1 |z j − w j|, (z j)nj=1, (w j)

nj=1∈ Cn.

(ii) 〈R+, d〉, wobei d(x, y) = xy.

(iii) 〈R \ {0}, d〉, wobei d(x, y) = | 1x− 1

y|, x, y ∈ R \ {0}.

3.2 Welche der folgenden Paare sind metrische Raume, und warum oder warum nicht?

(i) 〈X, d〉, wobei X eine nichtleere Menge ist, und d : X × X → R mit

d(x, y) =

0 falls x = y,

1 falls x , y.

(ii) 〈X, d〉, wobei X eine nichtleere Menge ist, und d : X × X → R mit d(x, y) = 0 fur alle

x, y ∈ X.

3.3 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!

(i)(2 + (−1)n 3

n

)n∈N

in R, versehen mit der euklidischen Metrik.

(ii)((−1)n + 1

n6

)n∈N

in R, versehen mit der euklidischen Metrik.

3.4 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!

(i) (3 + (−1)n 4n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.

(ii) ((−1)n + 1

n4 )n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.

3.5 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!

(i) ( 1

n+ 1

n2

)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.

(ii) ((−1)n

3n+1+ i

3n+1 )n∈N in C versehen mit der euklidischen Metrik.

3.6 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!

(i)(( 1

2+ i 1

2)n)

n∈Nin C, versehen mit der euklidischen Metrik.

(ii) (S n)n∈N in R, versehen mit der euklidischen Metrik, wobei S n =∑n

j=1

(1

j( j+1)

).

Beachte: 1n(n+1)

= 1n− 1

n+1.

3.7 Man betrachte die Folge(

4n2+n

4n2+n−4

)n∈N

in R und bestimme ihren Grenzwert x. Weiters bestim-

me man zu einem gegebenen ε > 0 das kleinst mogliche N ∈ N, sodass

∣∣∣∣∣∣x −4n2 + n

4n2 + n − 4

∣∣∣∣∣∣ < ε

fur alle n ≥ N gilt.

3.8 Man betrachte die Folge ( 2n2+4n

2n2+4n−3)n∈N in R. Man bestimme ihren Grenzwert x. Weiters be-

stimme man zu einem gegebenen ǫ > 0 das kleinst mogliche N ∈ N, sodass

|x − 2n2 + 4n

2n2 + 4n − 3| < ǫ, ∀n ≥ N.

Page 107: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.11. UBUNGSBEISPIELE 101

3.9 Man betrachte die Folge ( 1n+in)n∈N inC. Geben Sie ein ǫ > 0 und eine Teilfolge ( 1

n(k)+in(k))k∈N

von ( 1n+ in)n∈N an, sodass

d2(1,1

n(k)+ in(k)) ≥ ǫ,

fur alle k ∈ N.

3.10 Geben Sie eine unbeschrankte Folge in R an, die eine konvergente Teilfolge hat! Weiters

geben Sie eine unbeschrankte Folge in R an, die keine konvergente Teilfolge hat, die aber

auch nicht monoton wachsend ist! Schließlich geben Sie eine beschrankte Folge in R an, die

nicht konvergent ist, aber eine streng monoton wachsende Teilfolge besitzt.

3.11 Sei M , ∅ versehen mit der diskreten Metrik d; vgl. Beispiel 3.1.5, (iv). Zeigen Sie, dass

eine Folge in M genau dann konvergiert, wenn sie ab einem gewissen Index konstant ist.

3.12 Sei (xn)n∈N eine Folge in einem metrischen Raum. Zeigen Sie, dass (xn)n∈N genau dann gegen

ein x konvergiert, wenn (x2n)n∈N und (x2n−1)n∈N beide gegen x konvergieren.

Anmerkung: Hat man zwei Folgen (an)n∈N, (bn)n∈N, die beide gegen den selben Grenzwert

x konvergieren, so zeigt dieses Beispiel, dass die gemischte Folge (cn)n∈N auch gegen x

konvergiert, wobei c2k = ak, k ∈ N und c2k−1 = bk , k ∈ N.

3.13 Sei k ∈ N fest. Man berechne limn→∞nk

2n .

Hinweis: Man zeige mit Hilfe des Binomischen Lehrsatzes, dass fur p(n) :=(

n

k+1

)= n

1· n−1

. . . · n−kk+1

ein Polynom in n vom Grad > k ist, sodass 2n ≥ p(n) fur n > k + 1.

3.14 Ist die Folge (xn)n∈N

xn =1

n + 1+

1

n + 2+ · · · + 1

2n,

konvergent? Wenn ja, warum?

3.15 Es sei (an)n∈N eine reelle Folge, die gegen ein a ∈ R konvergiere. Man beweise, dass dann

die Folge (bn)n∈N definiert durch

bn :=1

n

n∑

j=1

a j

ebenfalls gegen a konvergiert.

Hinweis: Zeigen Sie, dass bn − a = bn − 1n

∑nj=1 a gegen Null geht.

3.16 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!

(i) ((1 − 1n)n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik. Hinweis: Sie durfen verwen-

den, dass die Folge ((1 + 1n)n)n∈N konvergiert, wobei der Grenzwert als Eulersche Zahl

e bezeichnet wird; vgl. Beispiel 3.4.3.

(ii) ((−1 + 2i + 1−in

)10 − 1)n∈N in C versehen mit der euklidischen Metrik.

3.17 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!

(i) ((1− 12n

)n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik. Hinweis: Sie durfen verwen-

den, dass die Folge ((1 + 1n)n)n∈N konvergiert, wobei der Grenzwert e getauft wird.

(ii) (√

9n2 + 2n + 1 −√

3n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.

3.18 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!

(i) ((1 + 1

n2 )n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik. Hinweis: Betrachte eins

durch die Folge, wende die Bernouillsche Ungleichung an und gehe wieder zu den

Kehrwerten uber!

(ii) (1 + 1n)n∈N in R versehen mit der DISKRETEN Metrik aus Beispiel 3.1.5, (iv).

3.19 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!

Page 108: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

102 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

(i) ((1 + 1

n2 )2n−2)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik. Hinweis: Betrachte eins

durch die Folge, wende die Bernouillsche Ungleichung an und gehe wieder zu den

Kehrwerten uber!

(ii) (√

16n2 + 2n + 1 −√

4n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.

3.20 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!

(i) ((1 − 3n)n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik. Hinweis: Sie durfen verwen-

den, dass die Folge ((1 + 1n)n)n∈N konvergiert, wobei der Grenzwert als Eulersche Zahl

e bezeichnet wird; vgl. Beispiel 3.4.3.

(ii) ((3 + 4i + 1−i2n

)7 − 1)n∈N in C versehen mit der euklidischen Metrik.

3.21 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!

(i)(3−n((−1)nn, 2n + 3, 2

n2+1))

n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.

(ii)(( −1

3n+1, 1

3n+1 , (−1)n 1n))

n∈N in R3 versehen mit der euklidischen Metrik.

3.22 Untersuchen Sie folgende rekursiv definierte Folge (xn)n∈N auf Konvergenz und berechnen

Sie gegebenenfalls den Grenzwert!

xn+1 =1

2(a + x2

n), n ≥ 1, x1 = 0, 0 ≤ a ≤ 1.

Hinweis: Uberprufen Sie zuerst auf Monotonie und Beschranktheit. Beweise dafur mittels

vollstandiger Induktion! Der Grenzwert (falls existent) erfullt limn→∞ xn = limn→∞ xn+1 =

limn→∞12(a + x2

n) = . . .

3.23 Sind folgende metrische Raume vollstandig oder nicht? Begrunden Sie ihre Antwort! Hier

ist d2 die euklidische Metrik.

(i) 〈C \ {0}, d2〉.(ii) 〈[0, 1] ∪ [2, 3], d2〉.

(iii) 〈Z, d2〉 (Hier ist Z als Teilmenge von R zu sehen).

3.24 Sei (cn)n∈N eine Folge positiver reeller Zahlen, die gegen eine positive reelle Zahl c konver-

giert. Wohin konvergiert (cn)1n ? Warum ?

Hinweis: Ist b < c < d fur positive b, d, so erfullt cn ab einem Index b < cn < d.

3.25 Als Intervallschachtelung in R wird eine Folge (In)n∈N von Intervallen In = [an, bn] bezeich-

net, wobei an, bn ∈ R, an < bn, In+1 ⊆ In und limn→∞(bn − an) = 0.

Man zeige, dass unter diesen Voraussetzungen (an)n∈N und (bn)n∈N gegen den selben Grenz-

wert konvergieren.

Weiters zeige man fur feste 0 < a < b: Die rekursiv definierten Folgen (an)n∈N und (bn)n∈Nmit a1 = a, b1 = b und

an+1 =2anbn

an + bn

,

bn+1 =an + bn

2,

bilden eine Intervallschachtelung, welche gegen das geometrische Mittel√

ab von a und b

konvergiert.

Hinweis: anbn = ab fur alle n ∈ N.

3.26 Zifferndarstellung reeller Zahlen:

Sei b ∈ N, b ≥ 2. Wir betrachten Folgen (zn)n∈N∪{0} bestehend aus ganzen Zahlen, sodass

zn ∈ {0, 1, . . . , b − 1} fur n ≥ 1. Weiters fordern wir, dass die Folge nicht ab einem gewissen

Index aus lauter Zahlen b − 1 besteht, d.h. ∀N ∈ N ∃n ≥ N : zn , b − 1. Die Menge aller

solchen Folgen bezeichnen wir mit D.

Page 109: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.11. UBUNGSBEISPIELE 103

Man zeige: Zu jeder reellen Zahl x gibt es eine Folge (zn)n∈N∪{0} ∈ D, sodass die durch

an = z0 +

n∑

j=1

z j

1

b j,

definierte Folge rationaler Zahlen (an)n∈N gegen x konvergiert.

Hinweis: Fur x ≥ 0 setze z0 = [x] (großte ganze Zahl ≤ z). Dann definiere zn rekursiv,

sodass an ≤ x und dass der Abstand von x zu an moglichst klein wird. Dieser Abstand ist

dann ≤ b−n.

Bemerkung: Fur b = 10 erhalt man die Dezimaldarstellung einer reellen Zahl, wenn x ≥ 0.

3.27 Mit der Notation aus dem obigen Beispiel weise man nach, dass fur jedes (zn)n∈N∪{0} ∈ D die

Folge (an)n∈N mit

an = z0 +

n∑

j=1

z j

1

b j,

eine Cauchy-Folge ist. Weiters zeige man, dass zu zwei verschiedenen

(zn)n∈N∪{0}, (wn)n∈N∪{0} ∈ D fur die entsprechenden Folgen (an)n∈N und (bn)n∈N gilt:

limn→∞ an , limn→∞ bn.

Bemerkung: Zusammen mit dem obigen Beispiel sieht man, dass es uber diese Folgen eine

bijektive Beziehung zwischen D und R gibt. Fur b = 10 und fur Zahlen ≥ 0 ist das genau

die bekannte Dezimaldarstellung der reellen Zahlen.

3.28 Mit der Notation aus den beiden vorherigen Beispielen, sei (zn)n∈N∪{0} die b-Darstellung einer

reellen Zahl x.

Eine solche Darstellung heißt periodisch ab dem Index m ∈ N, wenn es eine naturliche Zahl

p gibt, sodass zm+ j = zm+kp+ j fur j = 0, . . . , p − 1 und allen k ∈ N.

Zeigen Sie, dass die Zahl x genau dann rational ist, wenn ihre Dezimaldarstellung ab einem

gewissen Index periodisch ist.

Hinweis: Beim Dividieren einer naturlichen Zahl durch die naturliche Zahl m ist der Rest

immer in der endlichen Menge {0, . . . ,m − 1}.3.29 Sei (xn)n∈N eine reelle Folge und sei ξ ∈ R. Zeigen Sie, dass lim supn→∞ xn < ξ genau dann,

wenn es ein q < ξ gibt, sodass xn ≤ q fur alle bis auf endlich viele n ∈ N.

Zeigen Sie auch, dass lim supn→∞ xn > ξ genau dann, wenn es ein q > ξ gibt, sodass xn ≥ q

fur unendlich viele n ∈ N; vgl. Fakta 3.4.5.

3.30 Weisen Sie den in Bemerkung 3.4.6 erwahnten Sachverhalt nach.

3.31 Man betrachte die Menge C := C ∪ {∞}, wobei ∞ ein nicht in C enthaltenes Element ist.

Man sagt, dass eine komplexe Folge (zn)n∈N gegen∞ konvergiert (in Zeichen limn→∞ zn = ∞oder zn →∞), falls

∀M ∈ R, M > 0 ∃N ∈ N : |zn| > M, ∀n ≥ N.

Man zeige, dass zn → ∞ genau dann, wenn |zn| → +∞ im Sinne der Vorlesung.

Weiters zeige man: Sind p(z) und q(z) zwei Polynome mit komplexen Koeffizienten, sodass

p einen hoheren Grad als q hat, dann konvergiert die komplexe Folge (p(n)

q(n)) gegen ∞ im

obigen Sinne.

Bemerkung: Ist k der Grad von q und bk , 0 der Fuhrungskoeffizient von q, so gilt n−kq(n) →bk und daher |n−kq(n)| → |bk | > 0. Somit ist q(n) sicher nicht Null, wenn nur n ≥ K fur ein

K ∈ N. Also ist die Folge (p(n)

q(n)) ab n = K wohldefiniert.

3.32 Ist die Folge (an)n∈N konvergent, divergent, bestimmt divergent? Berechnen Sie gegebenen-

falls ihren Grenzwert!

(i) an = n(1 −√

1 − 1n),

Page 110: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

104 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

(ii) an =√

n5+3

n2−2n+6,

(iii) an = (1 + 1n)n2

,

3.33 Ist die Folge (an)n∈N konvergent, divergent, bestimmt divergent? Berechnen Sie gegebenen-

falls ihren Grenzwert!

(i) an = (−1)n(n −√

n2 + 1),

(ii) an =3√

2n7+7n3+1

3n2−1,

(iii) an =

√n +√

n −√

n −√

n.

3.34 Ist die Folge (an)n∈N konvergent, divergent, bestimmt divergent? Berechnen Sie gegebenen-

falls ihren Grenzwert!

(i) an =1

n√n!

,

(ii) an = (1 + 1

n2 )n3,

(iii) an =n√

an + bn, wobei a, b ∈ R+.

3.35 Man zeige, dass man auch fur eine nicht notwendigerweise beschrankte reelle Folge (xn)n∈Ndie Ausdrucke lim infn→∞ xn und lim infn→∞ xn sinnvoll definieren kann, wenn man das In-

fimum (Supremum) einer nicht nach unten (nicht nach oben) beschrankten Menge als +∞(−∞) definiert. Unter welchen Umstanden gilt dann lim infn→∞ xn = limN→∞ infn≥N xn bzw.

lim supn→∞ xn = limN→∞ supn≥N xn.

Schließlich zeige man, dass auch hier (xn)n∈N genau dann gegen ein x ∈ R∪{−∞,+∞} kon-

vergiert, wenn lim infn→∞ xn = x = lim supn→∞ xn.

3.36 Man untersuche ob folgende Reihen absolut konvergieren, und berechnen gegebenenfalls

ihren Grenzwert:∞∑

n=1

1

n(n + 1)(n + 2),

∞∑

n=0

(1

2n+

(−1)n

2n).

3.37 Man untersuche ob folgende Reihen absolut konvergieren, konvergieren oder divergieren:

∞∑

n=1

(−1)n

4√n3 + n

,

∞∑

n=1

(−1)n

(n + 1)n1+(−1)n .

3.38 Man untersuche ob folgende Reihen absolut konvergieren, konvergieren oder divergieren:

∞∑

n=1

n!2n

(2n)!,

∞∑

n=1

(−1)n

√n + 1 −

√n

4√

n3

.

3.39 Man untersuche ob folgende Reihen konvergieren oder divergieren:

∞∑

n=1

n!

nn,

∞∑

n=1

(n2

n2 + 1

)n3

.

3.40 Man untersuche ob folgende Reihe konvergiert oder divergiert:

∞∑

n=1

1

n(e − (1 +

1

n)n).

Hinweis: Suchen Sie mit Hilfe von (1 + 1n)n < e < (1 + 1

n)n+1 eine konvergente Majorante.

3.41 Fur welche x ∈ R ist die Reihe∞∑

n=1

3xn

2 + x4n

konvergent und fur welche divergent?

Page 111: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

3.11. UBUNGSBEISPIELE 105

3.42 Fur welche z ∈ C mit |z| = 1 ist die komplexe Reihe∑∞

n=1zn

nkonvergent bzw. absolut

konvergent?

3.43 Sei (an)n∈N rekursiv definiert durch a1 = 3 undan+1

an= 2

3+

(−1)n

2. Zeigen Sie, dass

∑∞n=1 an

konvergiert!

3.44 Man zeige die Cauchy-Schwarzsche und die Minkowskische Ungleichung fur komplexe

Zahlen, d.h. sind z1, . . . , zp,w1, . . . ,wp ∈ C, so gilt:

∣∣∣∣∣∣∣

p∑

j=1

z jw j

∣∣∣∣∣∣∣≤

p∑

j=1

|z jw j| ≤

√√√ p∑

j=1

|z j |2 ·

√√√ p∑

j=1

|w j|2,

√√√ p∑

j=1

|z j + w j |2 ≤

√√√ p∑

j=1

|z j|2 +

√√√ p∑

j=1

|w j|2.

Hinweis: Fuhren Sie diese Ungleichungen auf die schon bekannten reellen Versionen dieser

Ungleichungen zuruck.

3.45 Sein (zn)n∈N und (wn)n∈N zwei Folgen von komplexen Zahlen, sodass∑∞

n=1 |zn|2 und∑∞

n=1 |wn|2konvergieren.

Man zeige, dass dann∑∞

n=1 znwn absolut konvergiert und∑∞

n=1 |zn+wn|2 konvergiert, und dass

|∞∑

n=1

znwn|2 ≤ (

∞∑

n=1

|zn|2)(

∞∑

n=1

|wn|2)

und dass

(

∞∑

n=1

|zn + wn|2)12 ≤ (

∞∑

n=1

|zn|2)12 + (

∞∑

n=1

|wn|2)12 .

Bezeichne nun ℓ2(N,C) die Menge aller Folgen (zn)n∈N, sodass∑∞

n=1 |zn |2 konvergiert, dann

zeige man unter Verwendung obiger Ungleichung, dass (ℓ2, d) ein metrischer Raum ist, wo-

bei d((zn), (wn)) := (∑∞

n=1 |zn − wn|2)12 .

Hinweis: Ist ((zkn)n∈N)k∈N eine Cauchy-Folge, so auch (zk

n)k∈N fur alle n ∈ N. Warum?. Man

zeige fur zn := limk→∞ zkn die Folge (zn)n∈N in ℓ2(N,C) liegt und dass limk→∞(zk

n)n∈N = (zn)n∈Nbzgl. d.

Anmerkung: ℓ2(N,C) ist auch ein Vektorraum uber dem Korper C, und 〈ℓ2(N,C), d〉 ist ein

vollstandig metrischer Raum.

3.46 Sei (zn)n∈N eine Folge reeller oder komplexer Zahlen. Man sagt, dass∏∞

n=1 zn konvergiert,

wenn die Folge PN =∏N

n=1 zn fur N → ∞ konvergiert. In diesem Falle bezeichnet∏∞

n=1 zn

den Grenzwert dieser Folge.

Man zeige, dass dann im Fall∏∞

n=1 zn , 0 immer limn→∞ zn = 1.

Page 112: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

106 KAPITEL 3. DER GRENZWERT

Page 113: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Kapitel 4

Die Konstruktion der reellen

Zahlen

Wir wollen in diesem Kapitel die am Anfang verschobene Konstruktion der reellen

Zahlen nachholen und zeigen, dass diese eindeutig dadurch charakterisiert sind, dass Rein vollstandig angeordneter Korper ist.

4.1 Existenz

4.1.1 Bemerkung. Hat man die reellen Zahlen als vollstandig angeordneten Korper zur

Verfugung – was ja noch nicht der Fall ist, so wissen wir aus Beispiel 3.3.4, dass sich

jedes x ∈ R als Grenzwert einer Folge bestehend aus rationalen Zahlen darstellen lasst.

Diese Folgen sind gemaß Proposition 3.5.4 auch Cauchy-Folgen.

Da R ein vollstandig metrischer Raum ist, konvergiert andererseits jede Cauchy-

Folge bestehend aus rationalen Zahlen gegen ein x ∈ R. Dabei konvergieren offenbar

zwei solche Folgen genau dann gegen dieselbe reelle Zahl, wenn die Differenzenfolge

eine Nullfolge ist.

Die Uberlegung in Bemerkung 4.1.1 legt es nahe, einen vollstandig angeordneten

Korper als Menge von rationalen Cauchy-Folgen zu konstruieren, wobei zwei solche

Folgen identifiziert werden, wenn ihre Differenzenfolge eine Nullfolge ist.

Ein Problem dabei ist, dass wir die Begriffe Cauchy-Folge bzw. konvergente Folge

in Definition 3.5.1 bzw. Definition 3.2.2 mit Hilfe der reellen Zahlen definiert haben,

da in (3.8) bzw. (3.3) die ǫ > 0 aus den reellen Zahlen sind. Wie wir in Bemerkung

3.5.2 gesehen haben, konnen wir diese ǫ > 0 auch aus Q wahlen, und erhalten den

selben Begriff von Cauchy-Folge bzw. von konvergenter Folge.

Eine weitere Obstruktion ist die Tatsache, dass wir Konvergenztheorie immer von

Folgen in metrischen Raumen betrieben haben. Die Metrik hat definitionsgemaß aber

Werte in R. Diesem Problem konnen wir dadurch begegnen, dass wir den Begriff des

metrischen Raumes 〈X, d〉 leicht dadurch verandern, dass wir annehmen, dass d nur

Werte in Q hat; siehe Definition 3.1.1 und Bemerkung 3.1.2. Ein solcher metrischer

Raum ist klarerweise 〈Q, d〉, wobei d(x, y) = |x − y|.Eine Folge (xn)n∈N in einem solchen metrischen Raum X heißt dann konvergent

107

Page 114: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

108 KAPITEL 4. DIE KONSTRUKTION DER REELLEN ZAHLEN

gegen x ∈ X, wenn

∀ǫ ∈ Q, ǫ > 0∃N ∈ N : d(xn, x) < ǫ fur alle n ≥ N ,

und sie heißt Cauchy-Folge, wenn

∀ǫ ∈ Q, ǫ > 0∃N ∈ N : d(xn, xm) < ǫ fur alle m, n ≥ N .

Fasst man eine Q-wertige Metrik wieder als R-wertig auf, so wissen wir aus Bemer-

kung 3.5.2, dass diese Konvergenzbegriffe mit den schon bekannten ubereinstimmen.

Die Konstruktion eines vollstandig angeordneten Korpers erfolgt nun in einigen

Schritten.

(i) Sei X die Menge aller rationalen Cauchy-Folgen, und sei ∼⊆ X × X die Relation

(rn)n∈N ∼ (sn)n∈N :⇐⇒ limn→∞

(rn − sn) = 0.

Diese Relation ist eine Aquivalenzrelation. Dabei ist Reflexivitat und Symmetrie

klar. Um die Transitivitat nachzuweisen, seien (rn)n∈N ∼ (sn)n∈N und (sn)n∈N ∼(tn)n∈N gegeben. Es ist limn→∞(rn − sn) = limn→∞(sn − tn) = 0, und somit gilt fur

die Summe dieser Folgen limn→∞(rn − tn) = 0. Also ist (rn)n∈N ∼ (tn)n∈N.

Es sei bemerkt, dass wir die verwendeten Regeln fur Folgen in Q-wertigen metri-

schen Raumen nicht hergeleitet haben, obwohl wir sie hier und im Folgenden des

ofteren verwenden. Das zu tun ist aber nur eine Abschreibubung fur die Ergeb-

nisse aus Proposition 3.5.3, Lemma 3.3.1 und Satz 3.3.5, indem wir immer dann,

wenn von R die Rede ist, diese durch Q ersetzen.

(ii) Unser Ziel soll sein, X/∼ zu einem vollstandig angeordneten Korper zu machen.

Dazu brauchen wir Operationen, die wir zunachst auf X definieren:

(rn)n∈N + (sn)n∈N := (rn + sn)n∈N ,

−(rn)n∈N := (−rn)n∈N ,

(rn)n∈N · (sn)n∈N := (rn · sn)n∈N .

Mit (rn)n∈N, (sn)n∈N sind auch (rn)n∈N + (sn)n∈N, −(rn)n∈N und (rn)n∈N · (sn)n∈NCauchy-Folgen. Um das z.B. fur die Multiplikation zu zeigen, sei C ∈ Q,C > 0,

sodass |rn|, |sn| ≤ C, n ∈ N (siehe Proposition 3.5.3), und rechne

|rnsn − rmsm | ≤ |rnsn − rnsm | + |rnsm − rm sm| ≤ C|sn − sm | +C|rn − rm|.

Dieser Ausdruck ist kleiner als ein vorgegebenes rationales ǫ > 0, wenn man N

so groß wahlt, dass

|sn − sm|, |rn − rm | < ǫ2C

fur m, n ≥ N.

(iii) Da die Verknupfungen + und · gliedweise definiert sind, folgt aus den Rechenre-

geln auf Q, dass fur + und · das Kommutativgesetz, das Assoziativgesetz und das

Distributivgesetz gelten. Klarerweise gilt auch

(rn)n∈N + (0)n∈N = (rn)n∈N, − (rn)n∈N + (rn)n∈N = (0)n∈N,

(rn)n∈N · (1)n∈N = (rn)n∈N.

Wir konnen aber X nicht zu einem Korper machen, denn zu (rn)n∈N , (0)n∈Nkonnen wir im Allgemeinen kein multiplikativ Inverses finden.

Page 115: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

4.1. EXISTENZ 109

(iv) Die Aquivalenzrelation ∼ lasst sich nun mit Hilfe obiger Verknupfungen charak-

terisieren:

(rn)n∈N ∼ (sn)n∈N ⇔ (rn)n∈N + (−(sn)n∈N) ist Nullfolge,

und

(rn)n∈N ist Nullfolge ⇔ (rn)n∈N ∼ (0)n∈N.

Daraus sieht man leicht, dass obige Verknupfungen mit den Operationen ver-

traglich sind. Sind namlich (rn)n∈N ∼ (r′n)n∈N und (sn)n∈N ∼ (s′n)n∈N, so folgt

(rn)n∈N + (sn)n∈N ∼ (r′n)n∈N + (s′n)n∈N, −(rn)n∈N ∼ −(r′n)n∈N sowie (rn)n∈N · (sn)n∈N ∼(r′n)n∈N · (s′n)n∈N. Letztere Relation etwa folgt aus

(rn)n∈N · (sn)n∈N + (−(r′n)n∈N · (s′n)n∈N) =

(rn(sn − s′n) + s′n(rn − r′n)

)n∈N ∼ (0)n∈N,

da mit (sn − s′n)n∈N und (rn − r′n)n∈N auch(rn(sn − s′n) + s′n(rn − r′n)

)n∈N Nullfolgen

sind.

(v) Setzt man1

P = {(rn)n∈N ∈ X : ∃δ ∈ Q, δ > 0, rn ≥ δ fur fast alle n ∈ N},

und −P = {(−rn)n∈N ∈ X : (rn)n∈N ∈ P}, so gehort jede Folge (rn)n∈N ∈ X zu

genau einer der drei Teilmengen P, [(0)n∈N]∼, − P. Ist (rn)n∈N ∼ (ρn)n∈N, so

gehort (ρn)n∈N zur selben Teilmenge.

Beweis. Da nicht gleichzeitig −rn ≥ δ und rn ≥ δ fur fast alle n ∈ N sein kann,

folgt −P∩P = ∅. Aus (rn)n∈N ∼ (0)n∈N folgt rn → 0. Also unterschreitet |rn| jedes

vorgegebene δ > 0, wenn nur n hinreichend groß ist. (rn)n∈N kann damit weder in

P noch in −P liegen.

Seien (rn)n∈N, (ρn)n∈N ∈ X aquivalent, aber beide nicht aquivalent zu (0)n∈N. Also

sind beide keine Nullfolgen. Fur (rn)n∈N bedeutet das

∃δ ∈ Q, δ > 0 : ∀N ∈ N ∃ : m(N) ≥ N : |rm(N)| ≥ δ . (4.1)

Sei N ∈ N, sodass |rn − rm | < δ4, |ρn − rn| < δ

4, m, n ≥ N. Aus der Dreiecksunglei-

chung folgt unmittelbar |ρn − rm| < δ2

und weiter

|rn| ≥ |rm| − |rn − rm| > |rm| −δ

4, |ρn| ≥ |rm| − |ρn − rm| > |rm| −

δ

2. (4.2)

Wahlt man hier m = m(N) wie in (4.1), so folgt wegen |rm| ≥ δ aus |rn − rm| < δ4

und |ρn − rm | < δ2, dass

sgn(rn) = sgn(rm) = sgn(ρn) .

Aus (4.2) folgt |rn|, |ρn| ≥ δ2. Also liegen (rn)n∈N und (ρn)n∈N gemeinsam in P

bzw. −P je nach dem Vorzeichen von rm.

1Fast alle bedeutet hier”alle bis auf endlich viele“.

Page 116: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

110 KAPITEL 4. DIE KONSTRUKTION DER REELLEN ZAHLEN

(vi) Man sieht auch ganz leicht, dass aus (rn)n∈N, (sn)n∈N ∈ P folgt, dass (rn)n∈N +(sn)n∈N, (rn)n∈N · (sn)n∈N ∈ P.

(vii) Nun betrachten wir X/∼ und definieren

[(rn)n∈N]∼ + [(sn)n∈N]∼ := [(rn)n∈N + (sn)n∈N]∼,

[(rn)n∈N]∼ · [(sn)n∈N]∼ := [(rn)n∈N · (sn)n∈N]∼,

−[(rn)n∈N]∼ = [−(rn)n∈N]∼,

P/∼ = {[(rn)n∈N]∼ : (rn)n∈N ∈ P}.

Aus (iv) wissen wir, dass die Verknupfungen damit wohldefiniert sind und aus (v),

dass P/∼, [(0)n∈N]∼, −P/∼ paarweise disjunkte Mengen sind, deren Vereinigung

X/∼ ist.

Nun ubertragen sich das Kommutativgesetz, das Assoziativgesetz und das Distri-

butivgesetz fur + und · . Die Restklasse [(0)n∈N]∼ ist das additiv neutrale Element,

und [(1)n∈N]∼ ist das multiplikativ neutrale Element. Weiters ist −[(rn)n∈N]∼ das

additiv Inverse von [(rn)n∈N]∼.

Was X/∼ noch fehlt, ein Korper zu sein, ist die Existenz einer multiplikativ Inver-

sen. Dazu sei [(rn)n∈N]∼ , [(0)n∈N]∼.

Nach (v) wissen wir, dass |rn| > δ fur ein rationales δ > 0 und alle n ∈ N, n ≥ N.

Also gilt fur m, n ≥ N ∣∣∣∣∣1

rn

− 1

rm

∣∣∣∣∣ ≤|rn − rm |

δ,

und wir sehen, dass (qn)n∈N mit qn =1rn

fur n ≥ N, und qn = 0 fur n < N, eine

Cauchy-Folge ist, und dass [(rn)n∈N]∼ · [(qn)n∈N]∼ = [(1)n∈N]∼.

Schließlich ist 〈X/∼,+, ·,P/∼〉 wegen (vi) sogar ein angeordneter Korper. Wir

bemerken noch, dass wegen (v) fur die Ordnung ≤ auf X/∼ gilt, dass

[(rn)n∈N]∼ < [(sn)n∈N]∼ ⇔ rn + δ ≤ sn, n ≥ N

fur ein δ > 0 und ein N ∈ N. Insbesondere folgt aus rn ≤ sn, n ≥ N fur ein N ∈ N,

dass [(rn)n∈N]∼ ≤ [(sn)n∈N]∼.

(viii) Die Abbildung r 7→ [(r)n∈N]∼ von Q nach X/∼ ist offenbar nicht identisch gleich

[(0)n∈N]∼ und mit der Addition und Multiplikation vertraglich. Somit ist dies die

eindeutige Abbildung φ : Q → X/∼ aus Proposition 2.7.8, die fur jeden angeord-

neten Korper existiert. Wegen Proposition 2.7.8 ist diese Abbildung auch injektiv

und mit −, < und ≤ vertraglich.

(ix) 〈X/∼,+, ·,P/∼〉 ist ein archimedisch angeordneter Korper, denn fur jedes

[(rn)n∈N]∼ ∈ X/∼, ist (rn)n∈N eine Cauchy-Folge und daher beschrankt. Da Q ar-

chimedisch angeordnet ist, gibt es ein N ∈ N, sodass rn ≤ N, n ∈ N. Das bedingt

aber [(rn)n∈N]∼ ≤ [(N)]∼ < [(N+1)]∼, womit [(rn)n∈N]∼ keine obere Schranke von

{[(k)n∈N]∼ : k ∈ N} sein kann.

(x) Nun wollen wir zeigen, dass unser Korper vollstandig angeordnet ist. Dazu sei

A ⊆ X/∼ eine nach oben beschrankte, nicht leere Menge. Wegen dem vorherigen

Punkt gilt somit A ≤ [(N+)]∼ fur ein festes N+ ∈ N. Wegen A , ∅ existiert

Page 117: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

4.2. EINDEUTIGKEIT 111

ebenfalls nach dem vorherigen Punkt auch ein N− ∈ Z, sodass [(N−)]∼ keine

untere Schranke von A ist.

Fur j ∈ N sei 1j!Z die Menge aller rationalen Zahlen der Form

p

qmit p ∈ Z und

q = j!. Man sieht leicht, dass Z ⊆ 1j!Z ⊆ 1

( j+1)!Z ⊆ Q. Weiters sei

D j = {r ∈1

j!Z : A ≤ [(r)n∈N]∼} ,

fur die D j ⊆ D j+1 gilt.

Wegen N+ ∈ D j ist D j nicht leer und wegen N− < D j ist D j nach unten be-

schrankt. Somit ist ( j!)(D j−N−)+1 eine nicht leere Teilmenge von N und hat so-

mit ein Minimum. Also existiert auch das Minimum x j von D j. Wegen D j ⊆ D j+1

gilt x j+1 ≤ x j.

Wegen D j = {r ∈ 1j!Z : x j ≤ r} ist die Zahl y j := x j − 1

j!∈ 1

j!Z das Maximum aller

r ∈ 1j!Z, die keine obere Schranke von A sind, also das Maximum von 1

j!Z \ D j.

Aus 1j!Z \ D j ⊆ 1

( j+1)!Z \ D j+1 folgt y j+1 ≥ y j. Wegen

0 ≤ xm − xn < xm − yn ≤ xm − ym =1

m!und

0 ≤ yn − ym < xn − ym ≤ xm − ym =1

m!fur m < n ,

fur m < n gilt (xn)n∈N, (yn)n∈N ∈ X, wobei (xn)n∈N ∼ (yn)n∈N; also s :=

[(xn)n∈N]∼ = [(yn)n∈N]∼.

Nun gilt A ≤ s, denn anderenfalls gabe es ein a ∈ A mit s < a und gemaß Satz

2.8.3 weiter ein r ∈ Q mit s < [(r)n∈N] < a. Fur j0 ∈ N mit r ∈ 1j0!Z – ein solches

gibt es offenbar – gilt r ∈ 1j!Z \ D j und somit r ≤ y j fur alle j ≥ j0. Es folgt der

Widerspruch [(r)n∈N] ≤ [(yn)n∈N]∼ = s.

Nun ist s die kleinste obere Schranke von A, da aus A ≤ b < s wieder mit Satz

2.8.3 die Existenz eines r ∈ Q mit A ≤ b < [(r)n∈N] < s folgte. Fur j0 ∈ Nmit r ∈ 1

j0!Z gilt r ∈ D j und somit x j ≤ r fur alle j ≥ j0. Das ergibt aber den

Widerspruch s = [(xn)n∈N]∼ ≤ [(r)n∈N].

Also konnen wir uns nun sicher sein, dass es vollstandig angeordnete Korper gibt.

4.2 Eindeutigkeit

4.2.1 Satz. Ist 〈K,+, ·, P〉 ein vollstandig angeordneter Korper und 〈X/∼,+, ·,P/∼〉 der

soeben konstruierte Korper, dann gibt es eine eindeutige Abbildung φ : X/∼ → K, die

nicht identisch gleich 0K und mit Addition und Multiplikation vertraglich ist. Diese

Abbildung ist dann auch bijektiv, mit − sowie mit den Ordnungen < und ≤ vertraglich.

Beweis. Nach Proposition 2.7.8 gibt es eine verknupfungs- und ordnungstreue injektive

Abbildung φ : Q → K. Wegen Bemerkung 3.5.2 sind die Bilder von Nullfolgen bzw.

Cauchy-Folgen wieder Nullfolgen bzw. Cauchy-Folgen.

Ist [(rn)n∈N]∼ ∈ X/∼, so definieren wir

φ([(rn)n∈N]∼) := limn→∞

φ(rn).

Page 118: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

112 KAPITEL 4. DIE KONSTRUKTION DER REELLEN ZAHLEN

Man beachte, dass der Grenzwert existiert, da K wegen Satz 3.5.8 ein vollstandig an-

geordneter Korper ist, und dass der Grenzwert nicht von der Wahl des Reprasentanten

(rn)n∈N der Restklasse [(rn)n∈N]∼ abhangt. Ist namlich (rn)n∈N ∼ (sn)n∈N, so folgt

limn→∞

φ(rn) = limn→∞

φ(sn) + limn→∞

φ(rn − sn) = limn→∞

φ(sn).

φ ist injektiv, da

[(rn)n∈N]∼ = [(sn)n∈N]∼ ⇔ limn→∞

(rn − sn) = 0⇔

limn→∞

φ(rn − sn) = 0⇔ limn→∞

φ(rn) = limn→∞

φ(sn).

Die Surjektivitat folgt aus der Tatsache, dass jede Zahl aus K durch eine Folge ratio-

naler Zahlen approximiert werden kann; vgl. Beispiel 3.3.4. Die Vertraglichkeit mit +

folgt aus (siehe Satz 3.3.5)

φ([(rn)n∈N]∼ + [(sn)n∈N]∼) = limn→∞

φ(rn + sn) =

limn→∞

φ(rn) + limn→∞

φ(sn) = φ([(rn)n∈N]∼) + φ([(sn)n∈N]∼),

und die fur − sowie · zeigt man genauso. Um die Vertraglichkeit mit der Ordnung zu

zeigen, sei bemerkt, dass wegen Lemma 3.3.1 und Satz 2.8.3

φ([(rn)n∈N]∼) ∈ P⇔ limn→∞

φ(rn) > 0⇔ ∃δ > 0, φ(rn) ≥ δ fur alle n ≥ N.

Da φ ordnungstreu ist, bedeutet das aber genau [(rn)n∈N]∼ ∈ P/∼.

Sei φ : X/∼ → K eine weitere, mit + und · vertragliche Abbildung mit φ . 0K .

Aus φ(x)φ([(1)n∈N]∼) = φ(x · [(1)n∈N]∼) = φ(x) fur ein x ∈ X/∼ mit φ(x) , 0K folgt

φ([(1)n∈N]∼) = 1K ; also ist insbesondere die Abbildung r 7→ φ([(r)n∈N]∼) nicht identisch

gleich 0K und offenbar mit + und · vertraglich.

Die Eindeutigkeitsaussage in Proposition 2.7.8 impliziert φ([(r)n∈N]∼) = φ(r) fur

alle r ∈ Q, woraus wegen φ(a) + φ(−a) = φ([(0)n∈N]∼) = 0K und daher φ(−a) =

−φ(a) fur jedes a ∈ X/∼ auch die Vertraglichkeit mit − folgt. Fur a , [(0)n∈N]∼ folgt

φ(a) · φ(a−1) = φ(a · a−1) = 1K , und daher φ(a) , 0K .

Fur [(rn)n∈N]∼ ∈ X/∼ folgt aus [(rn)n∈N]∼ > [(0)n∈N]∼ wegen Satz 2.9.5

∃[(sn)n∈N]∼ ∈ X/∼, [(sn)n∈N]∼ , [(0)n∈N]∼ : [(sn)n∈N]2∼ = [(rn)n∈N]∼ .

Wegen φ([(sn)n∈N]∼) , 0K ⇔ [(sn)n∈N]∼ , [(0)n∈N]∼ folgt daraus φ([(rn)n∈N]∼) =

φ([(sn)n∈N]∼)2 > 0K . Somit ist φ mit < und daher auch mit ≤ vertraglich.

Ware nun φ(x) < φ(x) fur ein x ∈ X/∼, und sind r, ρ ∈ Q gemaß Satz 2.8.3 so

gewahlt, dass φ(x) < φ(r) < φ(ρ) < φ(x), so erhielten wir

x < [(r)n∈N]∼ und [(ρ)n∈N]∼ < x , (4.3)

da aus x ≥ [(r)n∈N]∼ ( x ≤ [(ρ)n∈N]∼ ) wegen der Ordnungstreue von φ ( φ ) die

Beziehung φ(x) ≥ φ([(r)n∈N]∼) = φ(r) ( φ(x) ≤ φ([(ρ)n∈N]∼) = φ(ρ) ) folgt. (4.3)

impliziert ρ < r, wogegen φ(r) < φ(ρ) die Ungleichung r < ρ nach sich zieht.

Da man genauso aus φ(x) > φ(x) einen Widerspruch erhalt, muss φ = φ.

Somit haben wir die Existenz und die Eindeutigkeit eines vollstandig angeordneten

Korpers und damit auch Satz 2.9.3 bewiesen.

Page 119: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

4.2. EINDEUTIGKEIT 113

4.2.2 Bemerkung. Die in diesem Abschnitt angegebene Vorgangsweise aus Q die reel-

len Zahlen zu konstruieren lasst sich auch anwenden um zu zeigen, dass es zu jedem

metrischen Raum 〈X, d〉 einen vollstandigen metrischen Raum 〈X, d〉 gibt, sodass 〈X, d〉isometrisch und dicht in 〈X, d〉 enthalten ist.

In der Tat nimmt man auch hier die Menge X aller Cauchy-Folgen in 〈X, d〉, be-

trachtet genauso die Aquivalenzrelation ∼, die zwei Folgen identifiziert, falls deren

Differenz eine Nullfolge ist, und beweist, dass X/∼ versehen mit einer geeigneten Me-

trik der gesuchte metrische Raum ist.

Page 120: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

114 KAPITEL 4. DIE KONSTRUKTION DER REELLEN ZAHLEN

Page 121: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Kapitel 5

Topologie metrischer Raume

5.1 ǫ-Kugeln, offene und abgeschlossene Mengen

Als erstes wollen wir uns dem anschaulich leicht verstandlichen Begriff der Kugel in

metrischen Raumen zuwenden.

5.1.1 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum und x ∈ X. Dann heißt die Menge

Uǫ (x) := {y ∈ X : d(y, x) < ǫ} die offene ǫ-Kugel um den Punkt x, und die Menge

Kǫ (x) := {y ∈ X : d(y, x) ≤ ǫ} die abgeschlossene ǫ-Kugel um den Punkt x.

5.1.2 Beispiel.

(i) Man betrachte R versehen mit der euklidischen Metrik. Fur x ∈ R ist dann

Uǫ (x) = (x − ǫ, x + ǫ) und Kǫ(x) = [x − ǫ, x + ǫ].

(ii) Sei X eine Menge, und sei diese mit der diskreten Metrik aus Beispiel 3.1.5 verse-

hen. Ist ǫ ≤ 1, so gilt dann in diesem Raum Uǫ (x) = {x}. Fur ǫ > 1 gilt Uǫ(x) = X.

(iii) BetrachteR2, und versehe diese Menge mit den drei Metriken d1, d2 und d∞; siehe

Beispiel 3.1.5. Die ǫ-Kugeln U1ǫ (0) bzgl. d1 sowie U2

ǫ (0) bzgl. d2 bzw. U∞ǫ (0)

bzgl. d∞ lassen sich folgendermaßen darstellen:

ǫ

ǫ

U1ǫ (0)

ǫ

ǫ

U2ǫ (0)

ǫ

ǫ

U∞ǫ (0)

Abbildung 5.1: ǫ-Umgebungen von 0

115

Page 122: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

116 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

5.1.3 Bemerkung. Die Konvergenz einer Folge (xn)n∈N in metrischen Raumen lasst sich

durch obige Mengen folgendermaßen formulieren:

x = limn→∞

xn ⇔ ∀ǫ > 0 ∃N ∈ N : {xn : n ≥ N} ⊆ Uǫ(x).

Wegen Uǫ (x) ⊆ Kǫ (x) ⊆ U2ǫ (x) konnen wir hier genauso Kǫ (x) anstatt Uǫ (x) schreiben.

Diese Sichtweise des Grenzwertbegriffes gewinnt zum Beispiel dann an Bedeu-

tung, wenn man den Konvergenzbegriff bezuglich verschiedener Metriken vergleichen

will.

Betrachten wir etwa die Metriken d und d∞ aus Beispiel 5.1.2, (iii), so folgt aus

(3.9), dass U2ǫ (x) ⊆ U∞ǫ (x) ⊆ U2

2ǫ(x). Nimmt man nun obiges Konvergenzkriterium

her, so sieht man unmittelbar, dass eine Folge genau dann bzgl. d konvergiert, wenn sie

es bzgl. d∞ tut; siehe Proposition 3.6.1.

5.1.4 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Eine Teilmenge O von X heißt offen,

wenn es zu jedem Punkt x ∈ O eine ǫ-Kugel gibt mit Uǫ (x) ⊆ O.

O

x

ǫ

x′

ǫ′x′′

ǫ′′

Abbildung 5.2: Offene Mengen

5.1.5 Beispiel.

In (R, d) sind z.B. die Mengen (a, b) und R \ {0} offen. Denn ist etwa x ∈ (a, b),

so folgt fur ǫ = min( x−a2, b−x

2), dass Uǫ (x) = (x − ǫ, x + ǫ) ⊆ (a, b).

Man sieht sofort, dass in jedem metrischen Raum 〈X, d〉 die Mengen ∅ und X

immer offen sind.

5.1.6 Bemerkung. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, x ∈ X und ǫ ∈ R, ǫ > 0. Ist

y ∈ Uǫ (x), dh. d(x, y) < ǫ, und ist 0 < δ ≤ ǫ − d(x, y), so folgt fur z ∈ Uδ(y) aus

d(y, z) < δ, dass

d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) < d(x, y) + δ ≤ d(x, y) + ǫ − d(x, y) = ǫ ,

und somit z ∈ Uǫ(x). Also gilt Uδ(y) ⊆ Uǫ (x). Insbesondere sind alle offenen Kugeln

in metrischen Raumen offen.

Page 123: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.1. ǫ-KUGELN, OFFENE UND ABGESCHLOSSENE MENGEN 117

5.1.7 Proposition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Dann gilt

� Ist n ∈ N und sind O1, . . . ,On offene Teilmengen von X, so ist auch⋂n

i=1 Oi offen.

� Ist I eine beliebige Indexmenge, und sind Oi offene Teilmengen von X, so auch⋃i∈I Oi.

Beweis. Seien O1, . . . ,On offen und x ∈ O1 ∩ . . . ∩ On. Definitionsgemaß gibt es

ǫ1, . . . , ǫn > 0 mit Uǫi(x) ⊆ Oi, i = 1, . . . , n. Es folgt

Umin{ǫ1,...,ǫn}(x) = Uǫ1(x) ∩ . . . ∩ Uǫn

(x) ⊆ O1 ∩ . . . ∩On.

Damit ist O1 ∩ . . . ∩On offen.

Seien Oi, i ∈ I, offen, und x ∈ ⋃i∈I Oi. Dann existiert ein i ∈ I mit x ∈ Oi, und

daher ein ǫ > 0 mit Uǫ(x) ⊆ Oi. Insgesamt folgt Uǫ (x) ⊆ ⋃i∈I Oi.

5.1.8 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, E ⊆ X und x ∈ X.

� Man nennt x einen Haufungspunkt von E, wenn jede ǫ-Kugel um x einen Punkt

aus E \ {x} enthalt, dh.

∀ǫ > 0⇒ Uǫ(x) ∩ (E \ {x}) , ∅ ,

oder anders formuliert,

∀ǫ > 0 ∃y ∈ E, x , y : d(x, y) < ǫ.

� Wenn x ∈ E kein Haufungspunkt ist, so nennen wir ihn isolierten Punkt von E.

Das ist also ein Punkt aus E, sodass

∃ǫ > 0, Uǫ(x) ∩ E = {x}.

� Wir sagen eine Menge A ⊆ X ist abgeschlossen, wenn jeder Haufungspunkt von

A schon in A enthalten ist.

5.1.9 Bemerkung. Sei E ⊆ X. Fur jedes x ∈ X tritt genau einer der folgenden Falle ein:

(i) x ist isolierter Punkt von E.

(ii) x ∈ E und x ist Haufungspunkt von E.

(iii) x < E und x ist Haufungspunkt von E.

(iv) x < E und x ist nicht Haufungspunkt von E.

5.1.10 Definition. Die Menge aller x, die eine der Bedingungen (i), (ii) oder (iii)

erfullen, wollen wir mit Abschluss der Menge E, in Zeichen c(E), bezeichnen.

Sind E ⊆ F ⊆ X derart, dass c(E) ⊇ F, so nennt man E dicht in F.

Page 124: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

118 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

5.1.11 Fakta.

1. Man zeigt unmittelbar, dass aus E ⊆ F die Inklusion c(E) ⊆ c(F) folgt.

2. Klarerweise ist E ⊆ c(E), wobei c(E) = E genau dann, wenn E abgeschlossen

ist.

3. Fur ein x ∈ X gilt x ∈ c(E) genau dann, wenn

∀ǫ > 0 ∃y ∈ E : d(x, y) < ǫ

bzw. genau dann, wenn

∀ǫ > 0⇒ E ∩ Uǫ(x) , ∅. (5.1)

4. Ist x ∈ c(c(E)), so folgt aus dieser Bedingung angewandt auf c(c(E)), dass

c(E) ∩ U ǫ2(x) fur beliebiges ǫ > 0 ein y enthalt. Nochmals diese Bedingung

angewandt auf c(E) ergibt E ∩ U ǫ2(y) , ∅, was zusammen mit U ǫ

2(y) ⊆ Uǫ (x)

(siehe Bemerkung 5.1.6) E∩Uǫ (x) , ∅ nach sich zieht. Also gilt x ∈ c(E) und so-

mit c(c(E)) ⊆ c(E). Die umgekehrte Inklusion gilt ohnehin, dh. c(c(E)) = c(E).

Insbesondere ist c(E) immer abgeschlossen.

5. In jeder ǫ-Kugel Uǫ(x) um einen Haufungspunkt x von E liegen sogar unend-

lich viele Punkte von E \ {x}. Denn angenommen es waren nur endlich viele

x1, . . . , xn, so erhielten wir mit δ := min{ǫ, d(x, x1), . . . , d(x, xn)} > 0 den Wider-

spruch Uδ(x) ∩ E \ {x} = ∅.

5.1.12 Beispiel.

Sei E = [0, 1) ∪ {2} als Teilmenge von R. Dann ist 1 ein Haufungspunkt von

E, da jede ǫ-Kugel (1 − ǫ, 1 + ǫ) um 1 sicherlich Punkte aus E enthalt – etwa

max(1 − 12ǫ, 1

2). Da 1 nicht zu E gehort, ist E nicht abgeschlossen.

Fur x ∈ [0, 1) und jedes ǫ > 0 gilt sicher

x < y := min(x + 1

2, x +

1

2ǫ) < min(x + ǫ, 1) ,

also y ∈ E ∩ Uǫ(x) \ {x}. Somit sind auch alle Punkte aus [0, 1) Haufungspunkt

von E.

Fur x < [0, 1] folgt mit ǫ = min(|x|, |x− 1|) sicherlich E ∩Uǫ(x) \ {x} = ∅, womit

[0, 1] genau die Menge aller Haufungspunkte von E und 2 ein isolierter Punkt

ist. Also gilt schließlich c(E) = [0, 1] ∪ {2}.

Ist 〈X, d〉 ein beliebiger metrischer Raum, so sind auch ∅ und X abgeschlossen.

Erstere Menge hat offenbar keine Haufungspunkte und enthalt somit trivialer-

weise alle solchen, und X enthalt auch alle seine Haufungspunkte, da diese ja als

Punkte von X definiert sind.

Ist 〈X, d〉 ein beliebiger metrischer Raum, und E ⊆ X eine endliche Teilmenge,

so hat E keine Haufungspunkte, besteht daher nur aus isolierten Punkten und ist

daher immer abgeschlossen.

Page 125: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.1. ǫ-KUGELN, OFFENE UND ABGESCHLOSSENE MENGEN 119

5.1.13 Lemma. Ein Punkt x ist ein Haufungspunkt einer Menge E genau dann, wenn

es eine Folge (xn)n∈N von Punkten xn ∈ E \ {x} gibt mit xn → x.

Ein Punkt x liegt genau dann in c(E), wenn es eine Folge (xn)n∈N von Punkten

xn ∈ E gibt mit xn → x.

Beweis. Ist x Haufungspunkt von E, so gibt es zu jedem n ∈ N ein xn ∈ E \ {x} mit

d(x, xn) < 1n, also xn → x.

Ist x isolierter Punkt von E, so konvergiert die identische Folge x = xn, n ∈ N gegen

x. Diese Folge ist klarerweise aus E.

Sei nun umgekehrt x = limn→∞ xn fur eine Folge aus E. Ist fur ein n ∈ N, xn = x,

so folgt trivialerweise x = xn ∈ E ⊆ c(E).

Im Fall xn , x fur alle n ∈ N ist die Folge (xn)n∈N sicher in E \ {x} enthalten, und

zu jedem ǫ > 0 gibt es ein N ∈ N, sodass ∅ , {xn : n ≥ N} ⊆ Uǫ(x). Jedes Element der

Menge auf der linken Seite ist in Uǫ(x) ∩ E \ {x} enthalten. x ist somit Haufungspunkt

von E.

5.1.14 Beispiel.

Ist F ⊆ R abgeschlossen und nach oben beschrankt, so sei x := sup F. Nach

Beispiel 3.3.4 gibt es in F eine Folge, die gegen sup F konvergiert. Die Abge-

schlossenheit von F impliziert sup F ∈ F, d.h. sup F = max F.

Entsprechendes gilt fur nach unten beschrankte Mengen und deren Infimum.

Ist 〈X, d〉 ein beliebiger metrischer Raum, so ist jede abgeschlossene Kugel Kǫ (x)

abgeschlossen. Ist namlich y ∈ c(Kǫ(x)) von Kǫ(x), so gibt es gemaß Lemma

5.1.13 eine Folge (yn)n∈N aus Kǫ (x) mit limn→∞ yn = y. Wegen Lemma 3.2.10

und Lemma 3.3.1 folgt

d(x, y) = limn→∞

d(x, yn) ≤ ǫ .

Also haben wir y ∈ Kǫ (x). Somit gilt c(Kǫ(x)) = Kǫ (x), weshalb Kǫ(x) abge-

schlossen ist; vgl. Fakta 5.1.11.

Die rationalen Zahlen liegen dicht in R. In der Tat haben wir in Beispiel 3.3.4 fur

ein beliebiges x ∈ R eine Folge aus Q \ {x} konstruiert, die gegen x konvergiert.

Wegen Lemma 5.1.13 ist x somit Haufungspunkt von Q.

5.1.15 Proposition. Ist 〈X, d〉 ein metrischer Raum und A ⊆ X, so sind folgende Aus-

sagen aquivalent.

(i) Ac(= X \ A) ist offen.

(ii) A ist abgeschlossen.

(iii) Ist (xn)n∈N eine Folge von Punkten aus A und ist (xn)n∈N konvergent, so liegt auch

ihr Grenzwert in A.

Beweis.

(i)⇒ (ii): Ein Punkt x ∈ c(A) kann nicht in Ac liegen, denn anderenfalls folgt aus Ac

offen, dass Uǫ(x) ⊆ Ac fur ein ǫ > 0, und damit der Widerspruch Uǫ(x) ∩ A = ∅zu (5.1). Also muss x ∈ A und daher A = c(A).

Page 126: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

120 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

(ii)⇒ (i): Da A abgeschlossen ist, ist jedes x ∈ Ac kein Haufungspunkt von A. Also

gibt es ein ǫ > 0 mit Uǫ (x)∩A = Uǫ (x)∩A\{x} = ∅. Das ist aber gleichbedeutend

mit Uǫ(x) ⊆ Ac. Also ist Ac offen.

(ii)⇔ (iii): Folgt unmittelbar aus der Tatsache, dass A genau dann abgeschlossen ist,

wenn c(A) = A, und aus Lemma 5.1.13.

Diese einfache Charakterisierung von abgeschlossenen Mengen zusammen mit

( n⋃

i=1

Ai

)c=

n⋂

i=1

(Aci ),

(⋂

i∈IAi

)c=

i∈I(Ai)

c

und Proposition 5.1.7 liefert uns sofort das folgende

5.1.16 Korollar. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Dann gilt

� Sind n ∈ N und A1, . . . , An abgeschlossen, so auch⋃n

i=1 Ai.

� Ist I eine beliebige Indexmenge, und sind alle Mengen Ai, i ∈ I, abgeschlossen,

so folgt, dass auch⋂

i∈I Ai abgeschlossen ist.

5.1.17 Beispiel.

Korollar 5.1.16 gestattet uns z.B. die Einheitskreislinie

T := {z ∈ C : |z| = 1}

als abgeschlossene Teilmenge von C zu identifizieren. In der Tat ist T = K1(0)∩(U1(0))c, und damit Durchschnitt von abgeschlossenen Mengen.

Man betrachte M = {z ∈ C : Re z ≥ 0} als Teilmenge von C. Ist (zn)n∈N eine

Folge aus M, die gegen z ∈ C konvergiert, so muss nach Proposition 3.6.1 die

Folge (Re zn)n∈N in R gegen Re z konvergieren. Wegen Lemma 3.3.1 folgt aus

Re zn ≥ 0, n ∈ N, dass auch Re z ≥ 0 und damit z ∈ M. Nach Proposition 5.1.15

ist M abgeschlossen.

Die Teilmenge {z ∈ C : 0 ≤ Re z ≤ 1} von C lasst sich als Durchschnitt von

{z ∈ C : Re z ≥ 0} und {z ∈ C : Re z ≤ 1} schreiben. Nach dem vorhergehenden

Beispiel ist die erste Menge abgeschlossen. Entsprechendes gilt fur die zweite

Menge. Also ist {z ∈ C : 0 ≤ Re z ≤ 1} der Durchschnitt von abgeschlossenen

Mengen und damit selber abgeschlossen.

Das Quadrat {z ∈ C : Re z ∈ [0, 1], Im z ∈ [0, 1]} ist der Durchschnitt der

abgeschlossenen Mengen {z ∈ C : 0 ≤ Re z ≤ 1} und {z ∈ C : 0 ≤ Im z ≤ 1}, und

daher auch abgeschlossen.

Da die Menge {z ∈ C : Re z ≥ 0} abgeschlossen ist, folgt, dass ihr Komplement

M := {z ∈ C : Re z < 0} in C offen ist. Das kann man auch direkt nachweisen:

Ist z ∈ M beliebig, so wahle ǫ = −Re z > 0. Ist w ∈ Uǫ(z), so folgt wegen

−Re z + Re w ≤ |Re z − Re w| ≤ |z − w| und damit −Re w ≥ −Re z − |z − w| >−Re z − ǫ = 0, dass auch w ∈ M, und daher Uǫ (z) ⊆ M.

Page 127: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.1. ǫ-KUGELN, OFFENE UND ABGESCHLOSSENE MENGEN 121

Das Quadrat M = {z ∈ C : Re z ∈ (0, 1), Im z ∈ (0, 1)} lasst sich als Durchschnitt

von endlich vielen offenen Mengen schreiben:

M = {z ∈ C : Re z > 0}∩{z ∈ C : Re z < 1}∩{z ∈ C : Im z > 0}∩{z ∈ C : Im z < 1} .

Sie ist daher selber offen.

Um sich c(M) fur M aus dem vorherigen Beispiel auszurechnen, sei zunachst

bemerkt, dass c(M) ⊆ c({z ∈ C : Re z ∈ [0, 1], Im z ∈ [0, 1]}) = {z ∈ C : Re z ∈[0, 1], Im z ∈ [0, 1]}; vgl. Fakta 5.1.11.

Sei nun z ∈ C mit Re z ∈ [0, 1], Im z ∈ [0, 1]. Im Fall Re z ∈ (0, 1), Im z ∈ (0, 1)

gilt offenbar z ∈ M ⊆ c(M). Anderenfalls muss Re z = 0, Re z = 1, Im z = 0 oder

Re z = 1 sein.

Im ersten Fall ist ( 1n+1+ i Im z)n∈N eine Folge aus M, die gegen z konvergiert,

dh. z ∈ c(M). In den anderen Fallen konstruiert man ahnliche Folgen und erhalt

genauso z ∈ c(M). Insgesamt gilt also

c(M) = {z ∈ C : Re z ∈ [0, 1], Im z ∈ [0, 1]} .

Betrachte die Teilmenge M von R definiert durch

M =⋃

n∈2N(

1

n + 1,

1

n) .

Diese Menge ist als Vereinigung von offenen Mengen offen.

Um alle Haufungspunkte zu ermitteln, sei zunachst x ∈ ⋃n∈2N[ 1

n+1, 1

n], also 1

n+1≤

x ≤ 1n

fur ein n ∈ 2N. Fur jedes ǫ > 0 gilt

M ∩ Uǫ(x) \ {x} ⊇ (1

n + 1,

1

n) ∩ (x − ǫ, x + ǫ) \ {x} =

(max(x − ǫ, 1

n + 1),min(x + ǫ,

1

n)) \ {x} .

Da fur 1n+1≤ x ≤ 1

nimmer max(x−ǫ, 1

n+1) < min(x+ǫ, 1

n), folgt M∩Uǫ(x)\{x} ,

∅. Somit ist x ein Haufungspunkt. Da die Folge(

12

( 12k+1+ 1

2k

))k∈N

aus M heraus

gegen 0 konvergiert, muss auch 0 ein Haufungspunkt sein; vgl. Lemma 5.1.13.

Also ist die Menge

H = {0} ∪⋃

n∈2N

[1

n + 1,

1

n

]

in der Menge aller Haufungspunkte von M enthalten.

Ist andererseits x ein Haufungspunkt von M und (x j) j∈N eine Folge aus M mit

Grenzwert x, so gibt es zwei Moglichkeiten:

Falls fur jedes n ∈ 2N nur endlich viele j ∈ Nmit x j ∈ ( 1n+1

, 1n) existieren, so gibt

es zu jedem ǫ > 0 ein K ∈ N mit 12K+2

< ǫ und in Folge nur endlich viele j ∈ Nmit x j ∈

⋃k∈{1,...,K}(

12k+1

, 12k

). Insbesondere gibt es ein J ∈ N, sodass

x j ∈ M \⋃

k∈{1,...,K}(

1

2k + 1,

1

2k) ⊆

k∈{K+1,k+2,... }(

1

2k + 1,

1

2k)

⊆ (− 1

2K + 2,

1

2K + 2) ⊆ (−ǫ, ǫ),

Page 128: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

122 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

fur alle j ≥ J, womit x = lim j→∞ x j = 0.

Falls es ein n ∈ 2N gibt, sodass x j ∈ ( 1n+1

, 1n) fur unendlich viele j ∈ N, so liegt

eine Teilfolge von (x j) j∈N ganz in ( 1n+1

, 1n) ⊆ [ 1

n+1, 1

n]. Wegen Satz 3.2.8 ist x auch

Grenzwert dieser Teilfolge, der wegen Lemma 3.3.1 auch in [ 1n+1

, 1n] liegt.

Also haben wir gezeigt, dass jeder Haufungspunkt von M in H liegt, und damit

H genau die Menge der Haufungspunkte von M ist. Schließlich gilt noch c(M) =

M ∪ H = H.

Um zu zeigen, dass es außerhalb von H keine anderen Haufungspunkte von M

gibt, kann man alternativ auch

R \ H = (−∞, 0) ∪⋃

n∈2N(

1

n + 2,

1

n + 1) ∪ (

1

2,+∞)

nachweisen und damit R \ H als offen bzw. H als abgeschlossen identifizieren.

Als abgeschlossene Teilmenge enthalt H daher alle Haufungspunkte von H und

damit auch von M.

5.2 Kompaktheit

Wir wollen auch Haufungspunkte fur Folgen einfuhren.

5.2.1 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Dann heißt ein x ∈ X Haufungspunkt

einer Folge (xn)n∈N, falls es eine gegen x konvergente Teilfolge von (xn)n∈N gibt.

5.2.2 Lemma. Sei (xn)n∈N eine Folge in einem metrischen Raum 〈X, d〉.

(i) Konvergiert (xn)n∈N gegen x, so ist x der einzige Haufungspunkt.

(ii) Ist (xn( j)) j∈N eine Teilfolge von (xn)n∈N, so ist die Menge aller Haufungspunkte

von (xn( j)) j∈N eine Teilmenge von der Menge aller Haufungspunkte von (xn)n∈N.

(iii)* x ist Haufungspunkt der Folge (xn)n∈N genau dann, wenn fur jedes N ∈ N der

Punkt x in c({xn : n ≥ N}) liegt.

Beweis.

(i) Das folgt unmittelbar aus Satz 3.2.8, da Teilfolgen konvergenter Folgen auch

gegen den Grenzwert der Folge streben.

(ii) Da jede Teilfolge von (xn( j)) j∈N erst recht eine Teilfolge von (xn)n∈N ist, muss

jeder Haufungspunkt von (xn( j)) j∈N auch einer von (xn)n∈N sein.

(iii)* Sei zunachst x Haufungspunkt der Folge (xn)n∈N. Also x = lim j→∞ xn( j). Wir

halten N fest und wahlen J ∈ N, sodass n(J) ≥ N. Dann ist (xn( j+J)) j∈N eine

Folge in {xn : n ≥ N}, die gegen x konvergiert. Es folgt x ∈ c({xn : n ≥ N}) nach

Lemma 5.1.13.

Ist umgekehrt x ∈ c({xn : n ≥ N}) fur alle N ∈ N, so sei n(1) ∈ N, sodass

d(x, xn(1)) < 1. Haben wir n(1) < · · · < n(k) gewahlt, so sei n(k + 1) ∈ N mit

n(k + 1) > n(k) derart, dass d(x, xn(k+1)) <1

k+1. So ein n(k + 1) existiert, weil

x ∈ c({xn : n ≥ n(k) + 1}). Wir haben somit eine Teilfolge konstruiert, die gegen

x konvergiert. x ist somit Haufungspunkt der Folge (xn)n∈N.

Page 129: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.2. KOMPAKTHEIT 123

Bezuglich Haufungspunkte von Folgen aus R haben wir

5.2.3 Proposition. Fur eine beschrankte Folge (xn)n∈N reeller Zahlen ist lim supn→∞ xn

der großte Haufungspunkt und lim infn→∞ xn der kleinste Haufungspunkt von (xn)n∈N.

Insbesondere hat jede beschrankte Folge reeller Zahlen mindestens einen Haufungs-

punkt.

Außerdem ist eine beschrankte Folge (xn)n∈N in R genau dann konvergent, wenn ihr

Limes Inferior mit dem Limes Superior ubereinstimmt, bzw. genau dann, wenn (xn)n∈Ngenau einen Haufungspunkt hat.

Beweis. Dass lim infn→∞ xn und lim supn→∞ xn Haufungspunkte von (xn)n∈N sind, folgt

aus Lemma 3.4.4. Ist y ein weiterer Haufungspunkt samt dazugehoriger Teilfolge

(xn( j)) j∈N, so folgt

sup{xn : n ≥ n( j)} ≥ xn( j)

fur alle j ∈ N, und daher

y = limj→∞

xn( j) ≤ limj→∞

sup{xn : n ≥ n( j)} = limN→∞

sup{xn : n ≥ N} = lim supn→∞

xn .

Entsprechend zeigt man lim infn→∞ xn ≤ y.

Dass (xn)n∈N genau dann konvergiert, wenn lim infn→∞ xn = lim supn→∞ xn, haben

wir in Fakta 3.4.5 gesehen. Da lim infn→∞ xn der kleinste und lim supn→∞ xn der großte

Haufungspunkt ist, gibt es genau einen solchen, wenn der kleinste und der großte

ubereinstimmen.

5.2.4 Beispiel. Man betrachte die Folge xn = (−1)n(1 + 1n), n ∈ N in R. Die Teilfolge

x2k = 1 + 12k

konvergiert fur k → ∞ gegen 1, und die Teilfolge x2k−1 = −1 − 12k−1

konvergiert fur k → ∞ gegen −1.

Also sind −1 und 1 Haufungspunkte unserer Folge. Angenommen x ∈ R ware ein

weiterer Haufungspunkt. Dann gabe es eine Teilfolge (xn( j)) j∈N, die gegen x konver-

gierte. Nun sei

J1 = { j ∈ N : n( j) ist ungerade} und J2 = { j ∈ N : n( j) ist gerade}.

Klarerweise ist N = J1∪J2, und somit ist zumindest eine dieser Mengen unendlich.

Ist J1 unendlich, so gibt es eine streng monoton wachsende Bijektion j : N → J1;

vgl. Lemma 2.3.15. Also ist (xn( j(k)))k∈N eine Teilfolge von (xn( j)) j∈N und somit ebenfalls

gegen x konvergent. Andererseits konvergiert aber

xn( j(k)) = −1 − 1

n( j(k))

wegen n( j(k)) ≥ k gegen −1. Also muss x = −1. Ist J2 unendlich, so folgt analog

x = 1. Jedenfalls haben wir gezeigt, dass −1, 1 die einzigen Haufungspunkte sind. Aus

Proposition 5.2.3 folgt schließlich

lim infn→∞

xn = −1, lim supn→∞

xn = 1.

Page 130: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

124 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

Folgender Satz ist ein sehr wichtiges Ergebnis der Analysis.

5.2.5 Satz (Bolzano1-Weierstraß2). Sei (xn)n∈N eine beschrankte Folge in Rp (versehen

mit der euklidischen Metrik). Dann hat (xn)n∈N einen Haufungspunkt.

Beweis. Wir zeigen den Satz durch vollstandige Induktion nach p. Fur Folgen in Rfolgt der Satz aus Proposition 5.2.3.

Angenommen der Satz gilt fur p ∈ N. Sei (xn)n∈N eine beschrankte Folge in Rp+1,

wobei xn = (xn,1, . . . , xn,p+1). Aus der Definition von d2 folgt fur alle n ∈ N

|xn,p+1| ≤ d2(0, xn) und d2

(0, (xn,1, . . . , xn,p)︸ ︷︷ ︸

∈Rp

)2 ≤ d2(0, xn) .

Da (xn)n∈N in Rp+1 beschrankt ist, sind es auch (xn,p+1)n∈N in R und((xn,1, . . . , xn,p)

)n∈N

in Rp.

Da wir den Satz im Fall p = 1 schon gezeigt haben, gibt es eine in R konvergen-

te Teilfolge (xn( j),p+1) j∈N von (xn,p+1)n∈N. Laut Induktionsvoraussetzung hat dann aber

auch((xn( j),1, . . . , xn( j),p)

)j∈N eine konvergente Teilfolge

((xn( j(k)),1, . . . , xn( j(k)),p)

)k∈N in

Rp.

Man beachte, dass (xn( j(k)),p+1)k∈N als Teilfolge der konvergenten Folge (xn( j),p+1) j∈Nauch konvergiert. Nach Proposition 3.6.1 konvergiert daher auch (xn( j(k)))k∈N in Rp+1.

5.2.6 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, und sei K ⊆ X mit der Eigenschaft,

dass jede Folge (xn)n∈N aus K einen Haufungspunkt in K hat. Dann heißt K kompakt.

5.2.7 Beispiel.

Man betrachte R. Die Teilmenge N von R ist nicht kompakt, da die Folge (n)n∈Nkeine konvergente Teilfolge besitzt.

Das Intervall (0, 1] ist auch nicht kompakt, da die Folge ( 1n)n∈N gegen 0 konver-

giert und somit in (0, 1] keinen Haufungspunkt besitzt.

Ist K ⊆ Rp eine abgeschlossene und beschrankte Menge, so hat nach Satz 5.2.5

jede Folge einen Haufungspunkt, der nach Proposition 5.1.15 zu K gehort.

Insbesondere sind alle abgeschlossenen Intervalle [a, b] in R und allgemeiner

alle abgeschlossenen Kugeln Kr(x) in Rp kompakt.

Wir sammeln einige elementare Eigenschaften von kompakten Teilmengen.

5.2.8 Proposition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Dann gilt:

(i) Ist K ⊆ X kompakt, dann ist K abgeschlossen.

(ii) Ist K ⊆ X kompakt, und F ⊆ X abgeschlossen, sodass F ⊆ K, dann ist auch F

kompakt.

(iii) Kompakte Teilmengen sind beschrankt.

1Bernard Bolzano. 5.10.1781 Prag - 18.12.1848 Prag2Karl Theodor Wilhelm Weierstraß. 31.10.1815 Ostenfelde (Westfalen) - 19.12.1897 Berlin

Page 131: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.2. KOMPAKTHEIT 125

Beweis.

(i) Wir verwenden Proposition 5.1.15. Sei x = limn→∞ xn fur eine Folge aus K. Nun

gibt es definitionsgemaß eine gegen ein y ∈ K konvergente Teilfolge von (xn)n∈N.

Andererseits konvergieren Teilfolgen von gegen x konvergenten Folgen ebenfalls

gegen x. Nun sind aber Grenzwerte eindeutig. Also gilt x = y ∈ K.

(ii) Sei F ⊆ K abgeschlossen. Ist (xn)n∈N eine Folge aus F, so ist sie trivialerweise

auch eine Folge aus K. Also gilt x = lim j→∞ xn( j) fur eine Teilfolge (xn( j)) j∈N und

ein x ∈ K. Nun ist aber F abgeschlossen, und somit folgt aus Proposition 5.1.15,

dass x ∈ F. Also enthalt jede Folge in F eine gegen einen Punkt in F konvergente

Teilfolge.

(iii) Sei y ∈ X. Ware K nicht beschrankt, so ware auch {d(y, x) : x ∈ K} ⊆ R nicht

beschrankt. Also konnten wir zu jedem n ∈ N ein xn ∈ K finden, sodass d(y, xn) ≥n.

Aus der Kompaktheit folgt die Existenz einer konvergenten Teilfolge xn( j) →x, j → ∞. Aus Lemma 3.2.10 folgt d(y, xn( j)) → d(y, x). Das widerspricht aber

d(y, xn( j)) ≥ n( j), j ∈ N.

Aus Proposition 5.2.8 und Beispiel 5.2.7 erhalten wir folgende Charakterisierung

fur die Kompaktheit einer Teilmenge vonRp. Diese Charakterisierung der Kompaktheit

gilt jedoch nicht in allen metrischen Raumen.

5.2.9 Korollar. Eine Teilmenge K von Rp ist genau dann kompakt, wenn sie abge-

schlossen und beschrankt ist.

5.2.10 Beispiel.

Das Intervall (−∞, c] mit c ∈ R ist zwar abgeschlossen, aber nicht beschrankt in

R und somit nicht kompakt.

Die Menge M = {(x, y) ∈ R2 : 2x2 + 4x + y2 − y − 3 ∈ [7, 13]} ist kompakt in R2

versehen mit d2. Wegen Korollar 5.2.9 mussen wir zeigen, dass M abgeschlossen

und beschrankt ist.

Dazu ((ξn, ηn))n∈N sei eine beliebige Folge aus M mit Grenzwert (ξ, η) ∈ R2.

Konnen wir nun zeigen, dass (ξ, η) ∈ M, so ist M gemaß Proposition 5.1.15

abgeschlossen. Wegen (ξn, ηn) ∈ M gilt fur alle n ∈ N

7 ≤ 2ξ2n + 4ξn + η

2n − ηn − 3 ≤ 13 .

Fur n→ ∞ folgt mit Proposition 3.6.1 und Lemma 3.3.1

7 ≤ 2ξ2 + 4ξ + η2 − η − 3 ≤ 13 ,

und somit tatsachlich (ξ, η) ∈ M.

Um die Beschranktheit zu zeigen, bemerken wir zunachst, dass fur (x, y) ∈ R2

2x2 + 4x + y2 − y − 3 =

2(x + 1)2 + (y − 1

2)2 − 3 − 2 − 1

4≥ (x + 1)2 + (y − 1

2)2 − 21

4.

Page 132: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

126 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

Damit ist M in der Menge

{(x, y) ∈ R2 : (x + 1)2 + (y − 1

2)2 − 21

4≤ 13

}=

{(x, y) ∈ R2 : ds((x, y), (−1,

1

2)) ≤

√73

4

},

also in der abgeschlossenen Kugel K√ 734

((−1, 12)) in R2 bzgl. d2 enthalten.

Wir wollen diesen Abschnitt mit einem Konvergenzkriterium fur Folgen beenden.

5.2.11 Lemma. Eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum 〈X, d〉 konvergiert ge-

nau dann gegen einen Punkt x ∈ X, wenn jede Teilfolge von (xn)n∈N den Punkt x als

Haufungspunkt hat – oder aquivalent, wenn jede Teilfolge von (xn)n∈N wiederum eine

Teilfolge hat, die gegen x konvergiert.

Gilt {xn : n ∈ N} ⊆ K fur eine kompakte Teilmenge K von X, so ist die Konvergenz

von (xn)n∈N gegen x sogar dazu aquivalent, dass (xn)n∈N hochstens x als Haufungspunkt

hat.

Beweis. Falls x = limn→∞ xn, so ist x nach Lemma 5.2.2 der einzige Haufungspunkt

von (xn)n∈N und auch von allen ihren Teilfolgen.

Falls (xn)n∈N nicht gegen x konvergiert, so bedeutet das

∃ǫ > 0 : ∀N ∈ N ∃n ≥ N, d(xn, x) ≥ ǫ .

Daraus definieren wir induktiv eine Teilfolge (xn(k))k∈N. Sei n(1) ∈ N, sodass

d(xn(1), x) ≥ ǫ. Ist n(k) ∈ N definiert, so sei n(k + 1) die kleinste Zahl in N, sodass

n(k + 1) ≥ n(k) + 1 und d(xn(k+1), x) ≥ ǫ.Nun kann (xn(k))k∈N den Punkt x nicht als Haufungspunkt haben, da wir sonst fur

die entsprechende Teilfolge den Widerspruch

0 = d(x, x) = limj→∞

d(x, xn(k( j))) ≥ ǫ.

erhielten. Somit haben wir den ersten Teil des Lemmas gezeigt.

Gilt nun {xn : n ∈ N} ⊆ K fur eine kompakte Teilmenge K von X, so hat (xn(k))k∈Nimmer mindestens einen Haufungspunkt y, der auch Haufungspunkt von (xn)n∈N ist.

Falls diese nur hochstens x als Haufungspunkt hat, so muss y = x sein, und wir

erhalten wie oben einen Widerspruch.

5.3 Gerichtete Mengen und Netze

Bei der Motivation des Grenzwertbegriffes fur Folgen haben wir gesagt, eine Folge

(xn)n∈N solle konvergent gegen x heißen, wenn fur alle hinreichend großen Indizes das

Folgenglied xn beliebig nahe an x herankommt.

Fur den weiteren Aufbau der Analysis verwenden wir ahnliche Grenzwertbegriffe

z.B. fur Funktionen f : (a, b) → R. Dabei soll f (t) konvergent fur t → b gegen x

heißen, wenn f (t) beliebig nahe an x herankommt, sobald t nur hinreichend nahe an b

zu liegen kommt.

Page 133: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.3. GERICHTETE MENGEN UND NETZE 127

Um nicht jedes Mal eine neue Konvergenztheorie aufbauen zu mussen, wollen wir

einen allgemeinen Grenzwertbegriff einfuhren, von dem alle von uns benotigten Grenz-

wertbegriffe Spezialfalle sind. Was bei den Folgen die naturlichen Zahlen waren, ist bei

unserem allgemeinen Konzept die gerichtete Menge.

5.3.1 Definition. Sei I eine nicht leere Menge, und sei � eine Relation auf I. Dann

heißt (I,�) eine gerichtete Menge, wenn � folgender drei Bedingungen genugt.

� Reflexivitat:

∀i ∈ I : i � i

� Transitivitat:

∀i, j, k ∈ I : i � j ∧ j � k ⇒ i � k

� Richtungseigenschaft:

∀i, j ∈ I ∃k ∈ I : i � k ∧ j � k. (5.2)

An dieser Stelle sei explizit herausgehoben, dass wir hier weder Symmetrie noch

Antisymmetrie fordern. Im Allgemeinen muss (I,�) auch keine Totalordnung sein.

5.3.2 Beispiel.

(i) Neben (N,≤) ist jede Totalordnung eine gerichtete Menge. Also etwa

((0,+∞),≤), ((a, b),≥), ((a, b),≤), wobei a, b ∈ R, a < b.

Die Eigenschaft (5.2) wird bei einer Totalordnung zum Beispiel vom Maximum

zweier Elemente erfullt.

(ii) Sei a, b, c ∈ R, a < b < c. Setze I := [a, b) ∪ (b, c] und definiere eine Relation �auf I durch

x � y :⇐⇒ |y − b| ≤ |x − b| .

Dann ist � reflexiv, transitiv, und je zwei Punkte sind vergleichbar. Also ist 〈I,�〉eine gerichtete Menge. Man beachte, dass � nicht antisymmetrisch und somit

keine Halbordnung ist.

(iii) Die gerichtete Menge aus dem letzten Beispiel ist ein Spezialfall des folgenden

Konzeptes.

Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum, D ⊆ X und z ein Haufungspunkt von D. Auf

D \ {z} definieren wir � durch

x � y :⇐⇒ dX(y, z) ≤ dX(x, z)

Mit dieser Relation wird D\{z} zu einer gerichteten Menge, wobei – salopp gesagt

– ein Punkt bezuglich der Relation weiter oben als ein anderer ist, wenn er naher

an z liegt.

(iv) Ist M eine nichtleere Menge, so ist die Potenzmenge P(M) versehen mit ⊆ eine

gerichtete Menge.

Die Menge E(M) aller endlichen Teilmengen von M versehen mit ⊆ ist ebenfalls

eine gerichtete Menge.

Page 134: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

128 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

(v) Wir nennen eine endliche TeilmengeZ eines Intervalls [a, b] eine Zerlegung die-

ses Intervalls, wenn a, b ∈ Z. Die Menge aller solchen Zerlegungen wird mit Z

bezeichnet. Versieht man Z mit der Relation ⊆, so erhalten wir eine gerichtete

Menge.

(vi) Wir nennen das Paar R = ((ξ j)n(R)

j=0; (η j)

n(R)

j=1) eine Riemann-Zerlegung eines Inter-

valls [a, b], falls

a = ξ0 < ξ1 < · · · < ξn(R) = b; η j ∈ [ξ j−1, ξ j], j = 1, . . . , n(R),

und nennen |R| := max{(ξ j − ξ j−1) : j = 1, . . . , n(R)} die Feinheit der Zerlegung.

Weiters sei R1 � R2 :⇔ |R2| ≤ |R1|. Ist R die Menge aller solcher Zerlegun-

gen, dann ist (R,�) eine gerichtete Menge. In diesem Beispiel ist � sicher nicht

antisymmetrisch.

Dieser gerichteten Menge und der aus dem letzten Beispiel werden wir bei der

Einfuhrung das Integrals wieder begegnen.

(vii) Sei I = N × N und

(n1,m1) � (n2,m2) :⇔ n1 ≤ n2 ∧ m1 ≤ m2. (5.3)

Dann ist (I,�) eine gerichtete Menge. Diese gerichtete Menge dient fur Konver-

genzbetrachtungen bei Doppelfolgen.

(viii) Sind allgemeiner I und J gerichtete Mengen versehen mit Relationen �I bzw. �J,

dann ist (I × J,�) ebenfalls eine gerichtete Menge, wenn wir

(i1, j1) � (i2, j2) :⇔ i1 �I i2 ∧ j1 �J j2 (5.4)

definieren.

5.3.3 Definition. In Analogie zu den Folgen nennen wir eine Abbildung x : I → X ein

Netz bzw. eine Moore-Smith-Folge in der Menge X uber der gerichteten Menge (I,�),

und schreiben diese als (xi)i∈I .Entsprechend Definition 3.2.2 sagen wir, dass ein Netz (xi)i∈I in einem metrischen

Raum 〈X, d〉 gegen einen Punkt x ∈ X konvergiert, falls

∀ǫ > 0 ∃i0 ∈ I : d(xi, x) < ǫ fur alle i � i0 . (5.5)

In diesem Falle schreiben wir x = limi∈I

xi.

5.3.4 Beispiel.

(i) Wie bei den Folgen sieht man, dass konstante Netze xi = x, i ∈ I, immer gegen x

konvergieren.

(ii) Als konkreteres Beispiel betrachte man die gerichtete Menge ([−1, 0)∪ (0, 1],�),

wobei x � y⇔ |y| ≤ |x|, und f (t) = t2. Dann konvergiert das Netz ( f (t))t∈[−1,0)∪(0,1]

gegen Null:

Zu gegebenem ǫ > 0 sei t0 =√

ǫ2. Aus t � t0 folgt |0− f (t)| = |t2| ≤ |t2

0| =

√ǫ2

2 < ǫ.

Page 135: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.3. GERICHTETE MENGEN UND NETZE 129

(iii) Hat eine gerichtete Menge (I,�) mindestens ein maximales Element, dh. es gibt

ein j ∈ I mit j � i fur alle i ∈ I, – das ist wegen (5.2) sicher der Fall, wenn I

endlich ist –, so konvergiert ein Netz (xi)i∈I genau dann, wenn x j = xk fur alle

maximalen j, k ∈ I, und zwar gegen x j, wobei j ∈ I ein solches maximales Ele-

ment ist. Insbesondere konvergiert (xi)i∈I , wenn es genau ein maximales Element

j in I gibt, und zwar gegen x j.

(iv) Man uberzeugt sich leicht, dass eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum

〈X, d〉 genau dann eine Cauchy-Folge ist, wenn lim(m,n)∈N×N d(xm, xn) = 0, wobei

N × N wie in (5.3) gerichtet ist.

Fur Netze gelten viele der fur Folgen hergeleiteten Ergebnisse. Die Beweise sind

im Wesentlichen die selben, wie fur Folgen. Meist muss nur ≤ durch � ersetzt werden.

5.3.5 Fakta.

1. Der Grenzwert ist eindeutig – vgl. Satz 3.2.8, (i) :

Ist (xi)i∈I ein Netz, und sei angenommen, dass xi → x und xi → y mit x , y.

Setze ǫ :=d(x,y)

3> 0. Dann gibt es wegen xi → x einen Index i1, sodass fur alle

i ∈ I mit i1 � i gilt d(xi, x) < ǫ. Wegen xi → y gibt es auch i2 ∈ I, sodass fur alle

i ∈ I mit i2 � i gilt d(xi, y) < ǫ. Fur i ∈ I mit i1 � i und i2 � i – solche gibt es

gemaß (5.2) – erhalten wir den Widerspruch

d(x, y) ≤ d(x, xi) + d(xi, y) < 2d(x, y)

3.

2. Die Tatsache, dass es bei Folgen auf endlich viele Glieder nicht ankommt, hat

auch eine Verallgemeinerung fur Netze; siehe Satz 3.2.8, (ii). Ist namlich k ∈ I,

so ist auch (I�k,�) mit I�k = {i ∈ I : k � i} eine gerichtete Menge und

limi∈I

xi = limi∈I�k

xi, (5.6)

wobei der rechte Grenzwert genau dann existiert, wenn der linke existiert.

3. Im Allgemeinen sind konvergente Netze nicht beschrankt. Aber da ein gegen ein

x konvergentes Netz {xi : i � i0} ⊆ Uǫ(x) fur ein i0 ∈ I erfullt, ist zumindest das

Netz (xi)i∈I�i0beschrankt.

4. Man betrachte zwei Netze (xi)i∈I , (yi)i∈I uber derselben gerichteten Menge (I,�)

in einem metrischen Raum 〈X, d〉, die gegen x bzw. y konvergieren. Dann gilt

(siehe Lemma 3.2.10)

limi∈I

d(xi, yi) = d(x, y). (5.7)

Eine genauere Betrachtung verdient das Analogon von Teilfolgen.

5.3.6 Definition. Sind (I,�I) und (J,�J) zwei gerichtete Mengen, ist X eine Menge

und (xi)i∈I ein Netz in X, so heißt (xi( j)) j∈J ein Teilnetz von (xi)i∈I , wenn i : J → I

derart ist, dass3

∀i0 ∈ I ∃ j0 ∈ J : ∀ j �J j0 ⇒ i( j) �I i0 .

Ist (J,�J) = (N,≤), so heißt (xi( j)) j∈J = (xi(n))n∈N eine Teilfolge 4.

3Dies ist eigentlich eine Bedingung an die gerichteten Mengen (I,�I ) und (J,�J ) und nicht an das kon-

krete Netz.4Im Gegensatz zu Teilfolgen von Folgen verlangen wir hier nicht, dass i : N→ I streng monoton ist.

Page 136: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

130 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

5.3.7 Lemma. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, (I,�) eine gerichtete Menge und (xi)i∈Iein Netz in X.

Ist (J,�J) eine weitere gerichtete Menge derart, dass (xi( j)) j∈J ein Teilnetz von (xi)i∈Iist, so folgt aus x = limi∈I xi, dass auch x = lim j∈J xi( j).

Beweis. Ist x = limi∈I xi, und ǫ > 0, so gibt es ein i0 ∈ I, sodass d(x, xi) < ǫ wenn

i � i0. Ist nun j0 ∈ J, sodass i( j) � i0 fur alle j �J j0, so folgt d(x, xi( j)) < ǫ wenn

j �J j0. Also gilt x = lim j∈J xi( j).

5.3.8 Fakta. Wir zahlen einige Satze, Rechenregeln, etc. auf, die wir fur Folgen her-

geleitet haben, und die sich auf Netze mit praktisch denselben Beweisen ubertragen

lassen.

1. Sind (xi)i∈I und (yi)i∈I5 konvergente Netze in R, und gilt xi ≤ yi fur alle i, die � k

fur ein k ∈ I sind, so folgt (vgl. Lemma 3.3.1)

limi∈I

xi ≤ limi∈I

yi. (5.8)

Ist umgekehrt limi∈I xi < limi∈I yi, so gilt xi < yi fur alle i � k mit einem gewissen

k ∈ I.

2. Seien (xi)i∈I , (yi)i∈I und (ai)i∈I Netze in R uber derselben gerichteten Menge,

sodass xi ≤ ai ≤ yi fur alle i � i0 mit einem gewissen i0 ∈ I. Gilt

limi∈I

xi = limi∈I

yi,

so existiert auch der Grenzwert limi∈I ai und stimmt mit dem gemeinsamen

Grenzwert von (xi)i∈I und (yi)i∈I uberein; vgl. Satz 3.3.2.

3. Fur zwei konvergente Netze (zi)i∈I und (wi)i∈I uber derselben gerichteten Menge

(I,�) in R oder in C gilt

limi∈I

(zi + wi) = (limi∈I

zi) + (limi∈I

wi) , limi∈I

(zi · wi) = (limi∈I

zi) · (limi∈I

wi) , (5.9)

limi∈I−zi = − lim

i∈Izi , lim

i∈I|zi| =

∣∣∣∣∣ limi∈I

zi

∣∣∣∣∣ .

Da Netze i.A. nicht beschrankt sind, verlauft der Beweis fur · eine Spur anders,

als im Beweis von Satz 3.3.5:

Sei ǫ > 0 oBdA. so, dass ǫ ≤ 1. Seien i1, i2 so groß, dass i � i1 ⇒ |zi − z| < ǫ und

i � i2 ⇒ |wi − w| < ǫ. Insbesondere gilt fur solche i auch |wi| ≤ |w| + ǫ ≤ |w| + 1.

Gemaß Definition 5.3.1 gibt es ein i0 � i1, i2. Fur i � i0 folgt

|ziwi − zw| = |(zi − z)wi + z(wi − w)| ≤ |zi − z| · |wi| + |z| · |wi − w|

< ǫ|wi| + |z|ǫ ≤ (|w| + 1 + |z|)ǫ.In Analogie zu (3.4) folgt daraus ziwi → zw, i ∈ I.

4. Ist (zi)i∈I ein Netz in R oder C, sodass zi , 0, i ∈ I, und limi∈I zi = z , 0. Dann

folgt limi∈I1zi= 1

z; vgl. Satz 3.3.5.

5Klarerweise ist dabei nicht ausgeschlossen, dass eines dieser Netze konstant ist.

Page 137: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.3. GERICHTETE MENGEN UND NETZE 131

5. Ist (xi)i∈I ein monoton wachsendes Netz in R, dh. i � j ⇒ xi ≤ x j und ist

{xi : i ∈ I} nach oben beschrankt, so folgt (vgl. Satz 3.4.2)

limi∈I

xi = sup{xi : i ∈ I} . (5.10)

Entsprechende Aussagen gelten fur monoton fallende Netze.

Zum Nachweis von (5.10) wollen wir hier den Beweis angeben, der fast wortlich

der selbe wie fur Satz 3.4.2 ist.

Da (xi)i∈I nach oben beschrankt ist, existiert x := sup{xi : i ∈ I}. Wir zeigen,

dass limi∈I xi = x. Sei ǫ > 0. Wegen x − ǫ < x kann x − ǫ keine obere Schranke

der Menge {xi : i ∈ I} sein. Es gibt also ein i0 ∈ I mit xi0 > x − ǫ. Wegen der

Monotonie folgt auch xi > x − ǫ fur alle i � i0. Da stets x ≥ xi gilt, erhalt man

fur i � i00 ≤ x − xi < ǫ,

und damit |xi − x| < ǫ.

6. Sei (xi)i∈I ein Netz von Punkten xi = (xi,1, . . . , xi,p) ∈ Rp, und y = (y1, . . . , yp) ∈Rp. Dann gilt limi∈I xi = y bezuglich einer der Metriken d1, d2 oder d∞ genau

dann, wenn

limi∈I

xi,k = yk fur alle k = 1, . . . , p . (5.11)

5.3.9 Bemerkung. Genauso wie fur Folgen kann man definieren, was es heißt, dass ein

reellwertiges Netz (xi)i∈I gegen ±∞ konvergiert:

∀M > 0∃i0 ∈ I : ±xi > M fur alle i � i0 .

Offenbar schließt sich die Konvergenz von (xi)i∈I gegen +∞ und gegen −∞ gegensei-

tig aus. Genauso kann (xi)i∈I nicht gleichzeitig gegen ±∞ und gegen eine reelle Zahl

konvergieren.

Ist (xi)i∈I ein Netz in R und x ∈ R oder x = ±∞, so kann man x = limi∈I xi

einheitlich folgendermaßen schreiben:

(∀ξ ∈ R, ξ < x∃i0 ∈ I : ∀i � i0 ⇒ xi > ξ) ∧(∀η ∈ R, η > x ∃i0 ∈ I : ∀i � i0 ⇒ xi < η). (5.12)

Es gelten sinngemaß die Aussagen in Satz 3.7.3 auch fur reellwertige Netze

(xi)i∈I , (yi)i∈I :

(i) Gilt yi ≥ K fur alle i � k mit festen K ∈ R, k ∈ I, so folgt aus limi∈I xi = +∞auch limi∈I(xi + yi) = +∞.

(ii) Gilt yi ≥ C fur alle i � k mit festen C > 0, k ∈ I, so folgt aus limi∈I xi = +∞ auch

limi∈I(xi · yi) = +∞.

(iii) Ist xi ≤ yi fur alle i � k mit festem k ∈ I, so folgt aus limi∈I xi = +∞ auch

limi∈I yi = +∞.

(iv) limi∈I xi = +∞ ⇔ limi∈I(−xi) = −∞.

(v) Gilt yi > 0 (yi < 0) fur alle i � k mit festem k ∈ I, so gilt limi∈I yi = +∞(limi∈I yi = −∞) genau dann, wenn limi∈I

1yi= 0.

Page 138: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

132 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

(vi) Sei (yi)i∈I monoton wachsend (fallend). Ist (yi)i∈I nach oben (nach unten) be-

schrankt, so ist dieses Netz konvergent gegen eine reelle Zahl. Im anderen Fall

gilt limi∈I yi = +∞ (limi∈I yi = −∞).

In der Tat gibt es zu jedem M > 0 ein i0 ∈ I mit yi0 > M. Wegen der Monotonie

folgt auch yi ≥ yi0 > M fur alle i � i0.

Schließlich wollen wir das Analogon zur Cauchy-Folge betrachten.

5.3.10 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum und (I,�) eine gerichtete Menge.

Dann heißt ein Netz (xi)i∈I in X Cauchy-Netz, wenn

∀ǫ > 0 ∃i0 ∈ I : d(xi, x j) < ǫ ∀i, j � i0. (5.13)

Die Bedingung (5.13) ist ahnlich wie bei Folgen zu lim(i, j)∈I×I d(xi, x j) = 0 aquiva-

lent, wenn man I × I wie in (5.4) zu einer gerichteten Menge macht.

Fur Folgen ist (5.13) genau die Cauchy-Folgen-Bedingung. Also liegt die Aussage

des nachsten Lemma nahe.

5.3.11 Lemma. In einem metrischen Raum ist jedes konvergente Netz auch ein

Cauchy-Netz.

In einem vollstandigen metrischen Raum ist ein Netz genau dann konvergent, wenn

es ein Cauchy-Netz ist.

Beweis. Ist (xi)i∈I ein Netz, und konvergiert dieses gegen x ∈ X, so gibt es zu jedem

ǫ > 0 ein i0 ∈ I, sodass d(xi, x) < ǫ2

fur i � i0. Wegen der Dreiecksungleichung folgt

d(xi, x j) < ǫ fur i, j � i0; also (5.13).

Gilt umgekehrt (5.13) in einem vollstandigen metrischen Raum, so definieren wir

induktiv eine Folge in ∈ I, n ∈ N, durch die Forderung, dass

in+1 � in und d(xi, x j) <1

n, i, j � in,

indem wir zuerst i1 ∈ I so wahlen, dass d(xi, x j) < 1 fur i, j � i1. Zu gegebenem in ∈ I

wahle dann gemaß (5.13) jn+1 ∈ I so, dass d(xi, x j) <1

n+1fur i, j � jn+1. Nun sei

in+1 ∈ I gemaß (5.2) so gewahlt, dass in+1 � in, jn+1.

Offensichtlich ist (xin )n∈N eine Cauchy-Folge und damit konvergent gegen ein x ∈X. Ist n ≤ m, so folgt aus d(xim , xin) <

1n

durch Grenzubergang m → ∞ die Tatsache,

dass d(x, xin) ≤ 1n, n ∈ N.

Ist nun ǫ > 0, so wahle n ∈ N, sodass 2n≤ ǫ. Fur i � in folgt

d(x, xi) ≤ d(x, xin) + d(xin , xi) <2

n≤ ǫ,

bzw. xi ∈ Uǫ (x), und somit konvergiert (xi)i∈I gegen x.

5.4 Unbedingte Konvergenz und Umordnen von Rei-

hen

Ist M irgendeine Menge und ist jedem i ∈ M eine Zahl ai aus R oder C zugeordnet,

so eroffnet uns der Begriff des Netzes eine Moglichkeit, Ausdrucken wie∑

i∈M ai sogar

einen Sinn zu geben, wenn M nicht endlich und nicht abzahlbar unendlich ist.

Page 139: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.4. UNBEDINGTE KONVERGENZ UND UMORDNEN VON REIHEN 133

Ist M abzahlbar unendlich, so konnten wir einfach eine Bijektion σ : N → M

hernehmen und∑

i∈M ai einfach als∑∞

n=1 aσ(n) definieren. Das hat aber den Schonheits-

fehler, dass diese Definition von dem σ abhangt.

5.4.1 Beispiel. Sei M = N und a j =(−1) j+1

jfur j ∈ M. Ist σ = idN so erhalten wir die

alternierende harmonische Reihe

S :=

∞∑

n=1

(−1)n+1

n,

welche nach dem Leibnizkriterium, Korollar 3.10.7, konvergiert. Ordnen wir die Sum-

manden in einer anderen Reihenfolge an, dh. betrachten wir die Bijektion σ : N → Ndefiniert durchσ(3k−2) = 2k−1, σ(3k−1) = 4k−2, σ(3k) = 4k fur k ∈ N, so erhalten

wir

∞∑

n=1

(−1)σ(n)+1

σ(n)= 1 − 1

2︸︷︷︸= 1

2

−1

4+

1

3− 1

6︸ ︷︷ ︸= 1

6

−1

8+

1

5− 1

10︸ ︷︷ ︸= 1

10

− 1

12+

1

7− 1

14︸ ︷︷ ︸= 1

14

− 1

16+ . . . =

1

2− 1

4+

1

6− 1

8+

1

10− 1

12+

1

14− 1

16+ . . . =

1

2

(1 − 1

2+

1

3− 1

4+

1

5− 1

6+ . . .

)=

S

2.

Die Summe einer Reihe kann also von der Reihenfolge der Summanden abhangen.

Tatsachlich kann man eine konvergente, aber nicht absolut konvergente Reihe stets so

umordnen, dass jede beliebige Summe einschließlich ±∞, oder gar eine divergente

Reihe, herauskommt, vgl. Satz 5.4.6.

Zu der nichtleeren Menge M sei E = E(M) die Menge aller endlichen Teilmengen

von M. Setzt man A � B :⇔ A ⊆ B, so ist (E,�) eine gerichtete Menge, denn die

Reflexivitat und die Transitivitat von � sind offenbar erfullt. Sind A, B ∈ E, so folgt

A ∪ B ∈ E und A, B ⊆ A ∪ B. Also ist auch (5.2) erfullt.

5.4.2 Definition. Sei M , ∅ und sei a j fur jedes j ∈ M eine reelle bzw. komplexe

Zahl. Falls das Netz (∑

j∈A a j)A∈E in R bzw. C konvergiert, so sagen wir, dass∑

j∈M a j

unbedingt konvergiert und setzen6

j∈M

a j = limA∈E

j∈Aa j .

Ist s dieser Grenzwert, so bedeutet das also

∀ǫ > 0 ∃A0 ⊆ M, A0 endlich : ∀A ⊇ A0, A endlich ⇒

∣∣∣∣∣∣∣∣

j∈Aa j − s

∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ. (5.14)

Der Ausdruck “unbedingte Konvergenz”

ruhrt daher, dass es bei diesem Grenz-

wertbegriff nicht darauf ankommt, in welcher Reihenfolge aufsummiert wird; siehe

Fakta 5.4.3, 4.

5.4.3 Fakta.

6Die Summe uber die leere Indexmenge sei dabei per definitionem Null.

Page 140: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

134 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

1. Man zeigt ganz einfach, dass fur unbedingt konvergente Reihen Rechenregeln

gelten, die denen in Korollar 3.9.3 entsprechen, dh. (λ, µ, a j, b j ∈ R (C), j ∈ M)

j∈M

(λa j + µb j) = λ

j∈M

a j

+ µ∑

j∈M

b j

in dem Sinn, dass die linke Seite unbedingt konvergiert, wenn die Summen rechts

es tun.

2. Das Netz (∑

j∈A |a j|)A∈E ist offenbar monoton wachsend. Gemaß (5.10) ist es also

genau denn konvergent, falls es beschrankt ist, dh.∑

j∈A|a j| ≤ C fur alle A ∈ E (5.15)

mit einem festen C > 0. Dabei gilt∑

j∈M

|a j| = supA∈E

j∈A|a j|.

Falls (5.15) nicht gilt, so konvergiert (∑

j∈A |a j|)A∈E im Sinne von Bemerkung

5.3.9 gegen +∞. Wir schreiben∑

j∈M |a j| = +∞ dafur.

Gilt (5.15), so konvergiert auch∑

j∈M a j unbedingt, denn ist A0 ∈ E so groß, dass∣∣∣∑ j∈A |a j| −∑

j∈B |a j|∣∣∣ < ǫ, wenn A0 ⊆ A, B ∈ E (vgl. Lemma 5.3.11), so gilt fur

A0 ⊆ A, B ∈ E und damit A0 ⊆ A ∩ B, A∪ B auch7

∣∣∣∣∣∣∣∣

j∈Aa j −

j∈B

a j

∣∣∣∣∣∣∣∣=

∣∣∣∣∣∣∣∣

j∈A\Ba j −

j∈B\Aa j

∣∣∣∣∣∣∣∣≤

j∈A△B

|a j| =

∣∣∣∣∣∣∣∣

j∈A∪B

|a j| −∑

j∈A∩B

|a j|

∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ .

Als Cauchy-Netz konvergiert somit (∑

j∈A a j)A∈E.

3. Ist P ⊆ M eine nichtleere Teilmenge und konvergiert∑

j∈M a j unbedingt, so

tut es auch∑

j∈P a j, denn aus der Konvergenz von (∑

j∈A a j)A∈E(M) folgt, dass

dieses Netz auch ein Cauchy-Netz ist. Ist nun ǫ > 0 und A0 ∈ E(M), sodass aus

A0 ⊆ A, B ∈ E(M) die Ungleichung∣∣∣∣∣∣∣∣

j∈Aa j −

j∈B

a j

∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ,

folgt, so folgt aus A0 ∩ P ⊆ C,D ∈ E(P) zunachst A0 ⊆ C ∪ A0, B ∪ A0 ∈ E(M)

und damit

∣∣∣∣∣∣∣∣

j∈Ca j −

j∈Da j

∣∣∣∣∣∣∣∣=

∣∣∣∣∣∣∣∣

j∈Ca j +

j∈A0\Pa j −

j∈Da j −

j∈A0\Pa j

∣∣∣∣∣∣∣∣=

∣∣∣∣∣∣∣∣

j∈C∪A0

a j −∑

j∈D∪A0

a j

∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ.

Also ist auch (∑

j∈A a j)A∈E(P) ein Cauchy-Netz und wegen Lemma 5.3.11 konver-

gent.

7A △ B = A \ B ∪ B \ A ist die symmetrische Mengendifferenz von A und B.

Page 141: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.4. UNBEDINGTE KONVERGENZ UND UMORDNEN VON REIHEN 135

4. Ist M eine weitere Menge – es kann auch M = M sein – undσ : M → M eine Bi-

jektion, so konvergiert∑

j∈M a j genau dann unbedingt gegen s, wenn∑

j∈M aσ( j)

es tut. Denn ist ǫ > 0 und A0, sodass (5.14) gilt, und ist σ−1(A0) ⊆ A ∈ E(M), so

folgt wegen A0 ⊆ σ(A) ∈ E(M)

∣∣∣∣∣∣∣∣

j∈Aaσ( j) − s

∣∣∣∣∣∣∣∣=

∣∣∣∣∣∣∣∣

σ( j)∈σ(A)

aσ( j) − s

∣∣∣∣∣∣∣∣=

∣∣∣∣∣∣∣∣

k∈σ(A)

ak − s

∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ .

Also gilt (5.14) fur∑

j∈M aσ( j). Die Umkehrung ergibt sich durch dasselbe Argu-

ment angewendet auf σ−1.

5. Im Falle M = N folgt aus der unbedingten Konvergenz von∑

j∈N a j die Konver-

genz von∑∞

n=1 an im Sinne von Definition 3.9.1 gegen den gleichen Grenzwert.

Es ist namlich (∑N

n=1 an)N∈N = (∑

j∈A(N) a j)N∈N mit A(N) := {1, . . . ,N} eine Teil-

folge des Netzes (∑

j∈A a j)A∈E(N) im Sinne von Definition 5.3.6, da es zu jedem

A ∈ E(N) ein N ∈ N gibt sodass

{1, . . . , n} ⊇ A fur alle n ≥ N.

6. Angenommen∑∞

n=1 an konvergiert absolut, dh. C :=∑∞

n=1 |an| < +∞ konvergiert

im Sinne von Definition 3.9.1, so konvergiert∑

j∈N |a j| auch unbedingt, denn fur

jedes A ∈ E(N) gibt es ein N ∈ N mit A ⊆ {1, . . . ,N}. Wegen

j∈A|a j| ≤

N∑

n=1

|an| ≤ C

ist das Netz (∑

j∈A |a j|)A∈E beschrankt.

Aus 2 folgt dann auch die unbedingte Konvergenz von∑

j∈N a j. Wegen dem vor-

herigen Punkt gilt dabei∑

j∈N a j =∑∞

n=1 an.

Aus Fakta 5.4.3, 6 und 5 erkennen wir insbesondere, dass fur M = N die Konver-

genz von∑∞

n=1 |an| aquivalent zu der unbedingten Konvergenz von∑

j∈N |a j| ist. Nun

gilt sogar

5.4.4 Satz. Fur reelle oder komplexe Koeffizienten a j, j ∈ M, sind folgende Aussagen

aquivalent:

�∑

j∈M |a j| konvergiert unbedingt.

�∑

j∈M a j konvergiert unbedingt.

Fur M = N ist das zur absoluten Konvergenz von∑∞

n=1 an aquivalent.

Beweis. Wegen Fakta 5.4.3, 2, folgt aus der unbedingten Konvergenz von∑

j∈M |a j|auch die von

∑j∈M a j.

Fur die Umkehrung seien die a j zunachst reell. Wir schreiben M als

M = { j ∈ M : a j ≥ 0}︸ ︷︷ ︸=:M+

∪ { j ∈ M : a j < 0}︸ ︷︷ ︸=:M−

Page 142: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

136 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

Wegen Fakta 5.4.3, 3 und 1, folgt aus der unbedingten Konvergenz von∑

j∈M a j auch

die von C1 :=∑

j∈M+a j und C2 :=

∑j∈M− (−a j). Wegen

j∈A|a j| =

j∈A∩M+

a j +∑

j∈A∩M−

(−a j) ≤ C1 + C2

fur jedes A ∈ E(M) folgt die unbedingte Konvergenz von∑

j∈M |a j| aus Fakta 5.4.3, 2.

Sind die a j komplex, so folgt aus der unbedingten Konvergenz von∑

j∈M a j mit

(5.11) auch die von∑

j∈M Re a j und∑

j∈M Im a j. Nach dem schon Gezeigten konver-

gieren dann∑

j∈M |Re a j| und∑

j∈M | Im a j| unbedingt, was wegen |a j| ≤ |Re a j|+| Im a j|und Fakta 5.4.3, 2, auch die von

∑j∈M |a j| nach sich zieht.

Die Aquivalenz zur absoluten Konvergenz von∑∞

n=1 an haben wir schon oben

gesehen.

Da fur reell- bzw. komplexwertige Reihen absolute und unbedingte Konvergenz

dasselbe bedeuten, nennen wir Reihen, die konvergent, aber nicht absolut konvergent

sind, auch bedingt konvergent.

5.4.5 Korollar. Die Reihe∑∞

k=1 bk mit reellen oder komplexen Summanden sei absolut

konvergent. Dann ist fur jede Bijektion σ : N → N auch die Umordnung∑∞

k=1 bσ(k)

absolut konvergent und hat die gleiche Summe.

Beweis. Das folgt unmittelbar aus Satz 5.4.4 und Fakta 5.4.3, 4.

Nun wollen wir Korollar 5.4.5 umkehren.

5.4.6 Satz. Sei die Reihe∞∑

k=1

ak reeller Zahlen konvergent mit der Summe S , aber nicht

absolut konvergent. Dann gibt es zu jeder vorgegebenen Zahl S ′ ∈ R ∪ {±∞} eine

Umordnung (bk)k∈N, bk = aσ(k), mit∞∑

k=1

bk = S ′. Weiters gibt es Umordnungen∞∑

k=1

bk die

divergieren – aber nicht bestimmt divergieren.

Beweis. Bezeichne mit a+k

:= max(ak, 0), a−k

:= min(ak, 0), d.h. die Folgen der positiven

bzw. negativen Terme ak. Wir uberlegen zuerst, dass

∞∑

k=1

a+k = +∞,∞∑

k=1

a−k = −∞ (5.16)

gelten muss. Zunachst sind die Partialsummen dieser Reihen monotone Folgen, haben

also einen Grenzwert in R ∪ {±∞}. Angenommen einer der beiden ware endlich, z.B.∞∑

k=1

a+k= S + < ∞. Dann folgt

N∑

k=1

a−k =N∑

k=1

ak −N∑

k=1

a+kN→∞−→ S − := S − S + > −∞.

und somitN∑

k=1

| ak |=N∑

k=1

a+k −N∑

k=1

a−kN→∞−→ S + − S − < ∞,

im Widerspruch zur Voraussetzung, dass∞∑

k=1

ak nicht absolut konvergiert.

Page 143: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.4. UNBEDINGTE KONVERGENZ UND UMORDNEN VON REIHEN 137

Sei nun S ′ ∈ R gegeben. Wir konstruieren eine Umordnung∑∞

k=1 bk, die gegen S ′

konvergiert. Zuerst addiert man Summanden a+1, a+

2, a+

3, . . . , a+n1

, bis man das erste Mal

> S ′ ist, dann Summanden a−1, a−

2, . . . , a−

l1bis die Gesamtsumme das erste mal wieder

< S ′ ist. Dann a+n1+1

, a+n1+2

, . . . , a+n2bis man das erste Mal wieder > S ′ ist. So verfahrt

man weiter. Wegen (5.16) ist das stets moglich.

Man erhalt in dieser Weise eine Umordnung von∞∑

k=1

ak. Ist S ′n eine Partialsumme,

so ist S ′n − S ′ beschrankt nach oben durch das letzte aufgetretene a+k

und nach unten

durch das letzte aufgetretene a−k. Wegen lim

k→∞ak = 0 gilt auch

limn→∞

(S ′n − S ′) = 0.

In analoger Weise verfahrt man, wenn man eine Umordnung konstruieren mochte, die

bestimmt divergiert gegen +∞ oder −∞, oder nicht einmal bestimmt divergiert.

Obiger Beweis verwendet bei der Definition der Umordnung implizit den Rekursi-

onssatz. Die Tatsache, dass die dadurch definierte Funktion bijektiv auf N ist und dass

sie das Gewunschte leistet, bedarf eigentlich eines strengeren Beweises.

5.4.7 Bemerkung. Korollar 5.4.5 zusammen mit Satz 5.4.6 wird auch Riemannscher

Umordnungssatz genannt. Fur komplexwertige Reihen gilt Satz 5.4.6 nicht.

Fur den folgenden Satz schreiben wir unsere nichtleere Menge M als disjunkte

Vereinigung

M =⋃

i∈IMi

mit nichtleerer Indexmenge I und nichtleeren Mengen Mi, i ∈ I.

5.4.8 Proposition. Sind die a j, j ∈ M, reelle oder komplexe Zahlen, und konvergiert

s :=∑

j∈M a j unbedingt, so konvergieren alle Ausdrucke si :=∑

j∈Mia j, i ∈ I, unbe-

dingt genauso wie∑

i∈I∑

j∈Mia j – dazu sagen wir kurz, dass

∑i∈I

∑j∈Mi

a j unbedingt

konvergiert –, wobei ∑

i∈I

j∈Mi

a j =∑

j∈M

a j . (5.17)

Beweis. Wegen Fakta 5.4.3, 3, konvergieren alle Ausdrucke si =∑

j∈Mia j, i ∈ I,

unbedingt. Zu ǫ > 0 sei A0 ∈ E(M), sodass aus A0 ⊆ A ∈ E(M) die Ungleichung

∣∣∣∣∣∣∣∣s −

j∈Aa j

∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ

folgt. Dann ist K0 := {i ∈ I : Mi ∩ A0 , ∅} sicherlich auch endlich.

Fur jedes endliche K ⊇ K0 bezeichne #K seine Machtigkeit. Wahle nun fur jedes

i ∈ K ein Bi ∈ E(Mi), sodass

∣∣∣∣∣∣∣∣si −

j∈B

a j

∣∣∣∣∣∣∣∣<

ǫ

#K, wenn Bi ⊆ B ∈ E(Mi) .

Da man Bi sicherlich großer machen kann, ohne diese Bedingung zu verlieren, konnen

wir annehmen, dass auch Bi ⊇ Mi ∩ A0.

Page 144: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

138 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

Mit A :=⋃

i∈K Bi ⊇⋃

i∈K0Mi ∩ A0 = A0 folgt

∣∣∣∣∣∣∣s −

i∈Ksi

∣∣∣∣∣∣∣≤

∣∣∣∣∣∣∣∣s −

j∈Aa j

∣∣∣∣∣∣∣∣+

i∈K

∣∣∣∣∣∣∣∣si −

j∈Bi

a j

∣∣∣∣∣∣∣∣< 2ǫ .

Also gilt s = limK∈E(I)

∑i∈K si.

Im Allgemeinen kann man aber nicht von der Existenz von∑

i∈I∑

j∈Mia j auf die

unbedingte Konvergenz von∑

j∈M a j schließen; vgl. Beispiel 5.4.10. Es gilt jedoch

5.4.9 Lemma. Sind die a j, j ∈ M, reelle oder komplexe Zahlen, und konvergieren

alle Ausdrucke∑

j∈Mi|a j|, i ∈ I, unbedingt genauso wie

∑i∈I

∑j∈Mi|a j| – dazu sagen

wir kurz, dass∑

i∈I∑

j∈Mi|a j| unbedingt konvergiert –, so konvergiert auch

∑j∈M |a j|

unbedingt . In dem Fall gilt∑

i∈I∑

j∈Mi|a j| =

∑j∈M |a j| und

∑i∈I

∑j∈Mi

a j =∑

j∈M a j.

Beweis. Konvergieren alle Ausdrucke∑

j∈Mi|a j|, i ∈ I, unbedingt genauso wie C :=∑

i∈I∑

j∈Mi|a j|, so folgt fur jedes A ∈ E(M) mit K = {i ∈ I : Mi ∩ A , ∅}

j∈A|a j| =

i∈K

j∈A∩Mi

|a j| ≤∑

i∈K

j∈Mi

|a j| ≤ C.

Aus Fakta 5.4.3, 2, folgt somit die unbedingte Konvergenz von∑

j∈M |a j|.Die behaupteten Gleichungen folgen aus Proposition 5.4.8.

Die beiden letzten Resultate lassen sich zum Beispiel auf so genannte Doppelreihen

anwenden. Dazu sei M = N×N, und sei zu jedem (m, n) ∈ N×N eine reelle (komplexe)

Zahl am,n gegeben.

Wegen Satz 5.4.4 sind die unbedingte Konvergenz von∑

(m,n)∈N×N |am,n| und von∑(m,n)∈N×N am,n aquivalent. Wegen Proposition 5.4.8 und Lemma 5.4.9 angewandt auf

die Zerlegung N × N = ⋃i∈N{i} × N ist das auch zur unbedingten Konvergenz

von∑

i∈N∑

j∈N |ai, j| aquivalent. Wegen Fakta 5.4.3, 6, bedeutet letzteres genau, dass∑∞j=1 |ai, j| fur alle i ∈ N konvergiert genauso wie

∞∑

i=1

∞∑

j=1

|ai, j| < +∞. (5.18)

Analoges gilt fur die vertauschte Reihenfolge. Trifft eine dieser aquivalenten Bedin-

gungen zu, so konvergieren folgende Ausdrucke unbedingt und es gilt∑

i∈N

j∈Nai, j =

(m,n)∈N×Nam,n =

j∈N

j∈Nai, j . (5.19)

Zerlegt man schließlich N × N in N × N = ⋃d∈N≥2{(k, l) ∈ N × N : k + l = d} – also in

die Diagonalen {(k, l) ∈ N×N : k+ l = d} –, so erhalten wir aus Proposition 5.4.8, dass

auch folgender Ausdruck unbedingt konvergiert und (5.19) mit

d∈N≥2

d−1∑

k=1

ak,d−k

(5.20)

ubereinstimmt. Dieser Ausdruck konvergiert sogar unbedingt, wenn man die Summan-

den durch ihre Betrage ersetzt.

Page 145: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.4. UNBEDINGTE KONVERGENZ UND UMORDNEN VON REIHEN 139

Dass die unbedingte Konvergenz von∑

(m,n)∈N×N am,n notwendig dafur ist, dass die

Ausdrucke ganz links und ganz rechts ubereinstimmen, zeigt

5.4.10 Beispiel. Seien die Zahl ai, j der (i, j)-te Eintrag von

1 + −1 + 0 + 0 + . . . = 0

+ + + +

0 + 1 + −1 + 0 + . . . = 0

+ + + +

0 + 0 + 1 + −1 + . . . = 0

+ + + +

0 + 0 + 0 + 1 + . . . = 0

+ + + +

......

......

...

= = = = =

1 + 0 + 0 + 0 + . . . = 1 \ 0

Dann gilt∑

i∈N(∑

j∈N ai, j

)= 0 und

∑j∈N

(∑i∈N ai, j

)= 1.

5.4.11 Korollar. Sind die beiden Reihen∑∞

m=1 am und∑∞

n=1 bn absolut konvergent, so

konvergiert ∑

(m,n)∈N×Nambn

unbedingt, wobei

(m,n)∈N×Nambn =

∞∑

i=2

i−1∑

k=1

akbi−k

=∞∑

m=1

am

·∞∑

n=1

bn

.

Der mittlere Ausdruck konvergiert dabei auch absolut.

Beweis. Wegen8

∞∑

m=1

∞∑

n=1

|ambn| =∞∑

m=1

|am| ·∞∑

n=1

|bn|︸ ︷︷ ︸

<+∞

=( ∞∑

m=1

|am|)·( ∞∑

n=1

|bn|)< +∞

folgt aus der Bedingung (5.18), dass S :=∑

(m,n)∈N×N am · bn unbedingt konvergent.

Nach (5.19) und Fakta 5.4.3, 1, gilt

S =∑

i∈N

j∈Nai · b j = lim

A∈E(N)

i∈A

limB∈E(N)

j∈B

ai · b j

= limA∈E(N)

i∈Aai ·

limB∈E(N)

j∈B

b j

=

limA∈E(N)

i∈Aai ·

∞∑

n=1

bn

= lim

A∈E(N)

i∈Aai

·∞∑

n=1

bn

=∞∑

m=1

am

·∞∑

n=1

bn

.

S =∑∞

i=2

(∑i−1k=1 akbi−k

)ergibt sich sofort aus (5.20), wenn man bedenkt, dass aus der

unbedingten auch die absolute Konvergenz folgt.

8Diese Gleichung ist am besten von rechts nach links zu lesen. In dieser Reihenfolge erkennt man am

besten, dass alle vorkommenden Reihen konvergieren.

Page 146: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

140 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

5.4.12 Beispiel. Definiere eine Funktion exp : C→ C durch

exp(z) :=

∞∑

n=0

zn

n!, z ∈ C .

Zunachst mussen wir diese Definition rechtfertigen, also zeigen, dass diese Reihe kon-

vergiert. Fur jedes feste z ∈ C gilt

limn→∞

∣∣∣ zn+1

(n+1)!

∣∣∣∣∣∣ zn

n!

∣∣∣= lim

n→∞

z

(n + 1)= 0 .

Nach dem Quotientenkriterium ist die Reihe∑∞

n=0zn

n!fur jedes feste z ∈ C absolut

konvergent.

Wir wollen fur zwei Zahlen z,w ∈ C das Produkt exp(z) exp(w) ausrechnen. Da-

zu verwenden wir Summation langs der Diagonalen. Wir erhalten aus Korollar 5.4.11

unter Beachtung einer Indexverschiebung

exp(z) · exp(w) =

∞∑

k=0

( k∑

j=0

zk− j

(k − j)!

w j

j!

).

Nach dem Binomischen Lehrsatz gilt

k∑

j=0

zk− j

(k − j)!

w j

j!=

1

k!(z + w)k ,

und wir erhalten

exp(z) exp(w) =

∞∑

k=0

1

k!(z + w)k = exp(z + w) .

Die Funktion exp heißt auch die Eulersche9Exponentialfunktion. Sie ist eine der wich-

tigsten Funktionen, die es in der Mathematik gibt. Wir werden sie zum Beispiel auch

dafur benutzen, um Funktionen wie sin z oder cos z zu definieren, vgl. den Abschnitt

uber elementare Funktionen.

5.5 Grenzwerte von Funktionen

In diesem Abschnitt wollen wir vornehmlich Grenzwerte uber gerichtete Mengen be-

trachten, die folgende Eigenschaft haben:

5.5.1 Definition. Wir sagen, dass eine gerichtete Menge (I,�) Teilfolgen gestattet,

wenn es eine abzahlbare Teilmenge L von I gibt, sodass

∀i ∈ I ∃ j ∈ L : i � j . (5.21)

Es sei hier angemerkt, dass nicht alle gerichteten Mengen Teilfolgen gestatten.

Wie wir im folgenden Lemma 5.5.2 sehen werden, bedeutet die Eigenschaft”gestattet

Teilfolgen“, dass man hinreichend viele Teilfolgen konstruieren kann, damit man von

der Konvergenz von Teilfolgen auf die Konvergenz eines gegebenen Netzes schließen

kann.

9Leonhard Euler. 15.4.1707 Basel - 18.9.1783 St.Petersburg

Page 147: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.5. GRENZWERTE VON FUNKTIONEN 141

5.5.2 Lemma. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, (I,�) eine gerichtete Menge und (xi)i∈Iein Netz in X.

Gestattet (I,�) Teilfolgen, so gilt x = limi∈I xi genau dann, wenn limn→∞ xi(n) = x

fur jede Teilfolge von (xi)i∈I .

Beweis. Falls x = limi∈I xi, so folgt aus Lemma 5.3.7, dass auch limn→∞ xi(n) = x fur

alle Teilfolgen von (xi)i∈I .

Konvergiert umgekehrt (xi)i∈I nicht gegen x, so gibt es ein ǫ > 0, sodass

∀i ∈ I ∃k ∈ I, k � i : d(xk, x) ≥ ǫ. (5.22)

Daraus konstruieren wir eine Teilfolge, die nicht gegen x konvergiert. Dazu sei j : N→L bijektiv, wobei L wie in Definition 5.5.1 ist.

Sei i1 ∈ I, i1 � j(1) mit d(xi1 , x) ≥ ǫ; vgl. (5.22). Sind i1 � · · · � im ∈ I definiert, so

sei i ∈ I, i � im, i � j(m + 1). Gemaß (5.22) gibt es ein im+1 � i, sodass d(xim+1, x) ≥ ǫ.

Zu jedem i ∈ I gibt es wegen (5.21) ein m0 ∈ N, sodass j(m0) � i. Wegen

im � j(m), m ∈ N, folgt im � im0� j(m0) � i fur alle m ≥ m0. Also ist (xin)n∈N eine

Teilfolge, sodass d(xin , x) ≥ ǫ. Sie kann somit nicht gegen x konvergieren.

Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum, D ⊆ X, z ein Haufungspunkt von D und � auf

D \ {z} definiert als

x � y :⇐⇒ dX(x, z) ≥ dX(y, z)

wie in Beispiel 5.3.2, (iii). (D \ {z},�) ist dann eine gerichtete Menge. Weiters sei

f : D \ {z} → Y eine Funktion, wobei 〈Y, dY〉 ein weiterer metrischer Raum ist.

5.5.3 Definition. Konvergiert das Netz ( f (t))t∈D\{z}, so schreiben wir fur den Grenzwert

auch

limt→z

f (t) := limt∈D\{z}

f (t), (5.23)

und nennen ihn Grenzwert der Funktion f fur t → z.

5.5.4 Fakta.

1. Es gilt limt→z f (t) = y genau dann, wenn

∀ǫ > 0∃δ > 0 : ∀t ∈ D \ {z}, dX(t, z) < δ⇒ dY ( f (t), y) < ǫ . (5.24)

In der Tat gilt gemaß der Definition der Konvergenz eines Netzes limt∈D\{z} f (t) =

y genau dann, wenn

∀ǫ > 0∃t0 ∈ D\{z} : ∀t ∈ D\{z}, dX(t, z) ≤ dX(t0, z)⇒ dY( f (t), y) < ǫ . (5.25)

Falls (5.25) zutrifft, so setze man zu einem ǫ > 0, δ = dX(t0, z). Offenbar gilt

dann (5.24).

Gilt umgekehrt (5.24), und wahlt man dem entsprechend zu ǫ > 0 ein passendes

δ > 0, so gibt es ein t0 ∈ D \ {z} ∩ Uδ(z), da z ja Haufungspunkt von D ist. Fur

t � t0 folgt dann dX(t, z) < δ und somit dY ( f (t), y) < ǫ.

Page 148: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

142 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

2. Die gerichtete Menge (D \ {z},�) gestattet Teilfolgen, denn setzt man

L = {tn : n ∈ N}

fur irgendeine Folge (tn)n∈N aus D \ {z} mit tn → z fur n → ∞ – nach Lemma

5.1.13 gibt es eine solche – so ist L abzahlbar und zu gegebenem t ∈ D \ {z} gibt

es wegen dX(tn, z) → 0, n → ∞ ein n ∈ N mit dX(tn, z) ≤ dX(t, z) – also tn � t.

Also hat L die Eigenschaft (5.21).

3. Fur ein Netz (ti)i∈I aus D \ {z} bedeutet die Tatsache, dass ( f (ti))i∈I ein Teilnetz

von ( f (t))t∈D\{z} ist, nichts anderes, als dass limi∈I ti = z.

Um das einzusehen, sei daran erinnert, dass gemaß Definition 5.3.6 ( f (ti))i∈Igenau dann ein Teilnetz ist, wenn

∀t0 ∈ D \ {z} ∃i0 ∈ I : dX(ti, z) ≤ dX(t0, z) fur alle i � i0. (5.26)

Setzt man limi∈I ti = z voraus, so gibt es zu t0 ∈ D \ {z} wegen ǫ := dX(t0, z) > 0

ein i0 ∈ I mit dX(ti, z) < ǫ = dX(t0, z) fur alle i � i0, also insbesondere (5.26).

Gilt umgekehrt (5.26) und ist ǫ > 0, so gibt es – da z Haufungspunkt von D

ist – ein t0 ∈ D \ {z} mit dX(t0, z) < ǫ und eben wegen (5.26) ein i0 ∈ I mit

dX(ti, z) ≤ dX(t0, z) < ǫ fur alle i � i0, also limi∈I ti = z.

4. Wegen Lemma 5.5.2 zusammen mit den vorherigen beiden Punkten gilt

limt→z

f (t) = y⇔(∀(tn)n∈N aus D \ {z}, lim

n→∞tn = z ⇒ lim

n→∞f (tn) = y

). (5.27)

5. Aus (5.24) erkennt man unmittelbar, dass fur ein C ⊆ D, das z ebenfalls als

Haufungspunkt hat, aus limt→z f (t) = y auch limt→z f |C\{z}(t) = y folgt. Dabei ist

letzterer Grenzwert als limt∈C\{z} f (t) zu verstehen, wobei fur s, t ∈ C \ {z} auch

s � t⇔ dX(s, z) ≥ dX(t, z).

Aus limt→z f |C\{z}(t) = y folgt im allgemeinen aber nicht limt→z f (t) = y, vgl.

Beispiel 5.5.7.

6. Ist ρ > 0 beliebig, so gilt wegen des vorherigen Punktes, dass aus limt→z f (t) = y

auch limt→z f |Uρ (z)∩D(t) = y folgt, da z ja auch ein Haufungspunkt von Uρ(z) ∩ D

ist.

Gelte umgekehrt limt→z f |Uρ (z)∩D\{z}(t) = y fur ein ρ > 0. Zu ǫ > 0 gibt es also ein

δ > 0, sodass aus t ∈ Uρ(z)∩D\ {z}, dX(t, z) < δ immer dY( f (t), y) < ǫ folgt. Aus

t ∈ D\ {z}mit dX(t, z) < min(δ, ρ) ergibt sich dann t ∈ Uρ(z)∩D\ {z}, dX(t, z) < δ

und damit dY( f (t), y) < ǫ. Also gilt limt→z f (t) = y.

Alternativ kann man die Aquivalenz von limt→z f |Uρ (z)∩D(t) = y und limt→z f (t) =

y auch mit Hilfe von (5.6) herleiten, da beide Aussagen wegen

(D \ {z})�s = KdX (s,z)(z) ∩ D \ {z} = (Uρ(z) ∩ D \ {z})�s

fur ein s ∈ Uρ(z) ∩ D \ {z} zu limt∈D\{z}�sf (t) = y aquivalent sind.

5.5.5 Beispiel.

Ist X = Y = D ein beliebiger metrischer Raum, z ∈ X ein Haufungspunkt davon,

so gilt fur f (t) = t sicher limt→z t = z, wie man z.B. aus (5.27) sofort erkennt.

Page 149: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.5. GRENZWERTE VON FUNKTIONEN 143

Wir wollen

limt→0

1 −√

1 − t2

t2

berechnen, wobei das als der Limes limt∈(−1,1)\{0}1−√

1−t2

t2 mit der gerichteten

Menge ((−1, 1) \ {0},�) gerichtet durch s � t ⇔ |s| ≥ |t| zu verstehen ist.

Aus 1− (1− t2) = (1−√

1 − t2)(1+√

1 − t2) folgt wegen der fur Netze gultigen

Rechenregeln

limt→0

1 −√

1 − t2

t2= lim

t→0

1 − (1 − t2)

t2(1 +√

1 − t2)=

limt→0

1

1 +√

1 − t2=

1

1 + limt→0

√1 − t2

.

Nun ist aber wegen der fur Folgen gultigen Rechenregeln limn→∞√

1 − t2n =

1 fur jede gegen 0 konvergente Folge (tn)n∈N. Aus Fakta 5.5.4 folgt

limt→0

√1 − t2 = 1, und der zu berechnende Grenzwert ist 1

2.

Betrachtet man 1−√

1−t2

t2 als Funktion etwa auf (− 18, 1

8) \ {0}, so wissen wir, dass

wegen Fakta 5.5.4, 6, ebenfalls 1−√

1−t2

t2 → 0 fur t ∈ (− 18, 1

8) \ {0}, t → 0.

Die Schreibweise limt→0 f (t) = y aus Definition 5.5.3 – hier sei etwa D = (−1, 1)

mit X = R und z = 0 – besagt, dass der Funktionswert f (t) beliebig nahe an y heran-

kommt, wenn das Argument t nur hinreichend nahe an 0 ist. Oft ist man in der Situation,

dass diese Annaherung nur von einer Seite stattfindet.

5.5.6 Fakta.

1. Sei X = R und D = (a, b) fur a, b ∈ R, a < b. Ist nun f eine Funktion, die

zumindest auf D definiert ist und Werte in einem metrischen Raum Y hat, so

schreibt man fur limt∈D\{b} f (t) = y auch

limt→b−

f (t) = y .

Man spricht von dem linksseitigen Grenzwert. .

Analog definiert man fur D = (a, b) den rechtsseitigen Grenzwert limt→a+ f (t) =

y als limt∈D\{a} f (t) = y, wenn f eine Funktion auf D = (a, b) mit Werten in einem

metrischen Raum Y ist.

2. Sind a, b, c ∈ R, a < b < c, und ist f : (a, b) ∪ (b, c)→ Y eine Funktion, so gilt

y = limt→b

f (t)⇔ y = limt→b−

f (t) und y = limt→b+

f (t) . (5.28)

Dass aus y = limt→b f (t) sich die beiden anderen Grenzwerte ergeben, folgt

sofort aus Fakta 5.5.4, 5.

Gelten umgekehrt y = limt→b− f (t) und y = limt→b+ f (t), so gibt es zu einem

ǫ > 0 gemaß (5.24) Zahlen δ+, δ− > 0, sodass aus t ∈ (b, c), |t − b| < δ+ oder

t ∈ (a, b), |t − b| < δ− immer dY( f (t), y) < ǫ folgt. Mit δ := min(δ−, δ+) folgt aus

t ∈ (a, b)∪ (b, c), |t−b| < δ die Ungleichung dY ( f (t), y) < ǫ; also y = limt→b f (t).

Page 150: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

144 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

5.5.7 Beispiel.

Sei f : R→ R definiert als f (t) = sgn(t). Dann gilt limt→0+ f (t) = 1, da f |(0,+∞) ≡1, und limt→0− f (t) = −1, da f |(−∞,0) ≡ −1; vgl. Beispiel 5.3.4, (i). Wegen (5.28)

kann dann limt→0 f (t) gar nicht existieren.

Sei f : (0,+∞)→ R definiert als f (t) = t2⌊ 1t⌋. Dabei bezeichnet fur reelles x der

Ausdruck ⌊x⌋ die großte ganze Zahl, die kleiner oder gleich x ist. Diese wird als

Gaußklammer bezeichnet.

Wegen limt→0+ t = 0 (vgl. (5.9) und Beispiel 5.5.5) und mit Fakta 5.3.8, 2, folgt

aus 0 ≤ t2⌊ 1t⌋ ≤ t fur t > 0, dass limt→0+ f (t) = 0.

5.5.8 Definition. Ist f eine auf (a,+∞) definierte Funktion mit Werten in einem me-

trischen Raum Y, und versieht man (a,+∞) mit der Relation ≤, so erhalt man ebenfalls

eine gerichtete Menge. Fur den moglichen Grenzwert limt∈(a,+∞) f (t) schreibt man auch

limt→+∞ f (t).

Entsprechend definiert man den Grenzwert fur t→ −∞.

Die hier zugrunde liegende gerichtete Menge gestattet auch Teilfolgen, wobei

( f (tn))n∈N genau dann eine solche ist, wenn tn → +∞ fur n → ∞. Also gilt (5.27)

auch wenn z = +∞. Entsprechendes gilt fur −∞.

5.5.9 Bemerkung. Sei f : (a, b) → Y eine Funktion, wobei a, b ∈ R ∪ {−∞,+∞}mit a < b. Um limt→b− f (t) – im Sinne von Definition 5.5.8 im Fall b = +∞ und im

Sinne Definition 5.5.3 im Falle b ∈ R – zu bestimmen, ist es manchmal zweckmaßig

fur eine gewisse bijektive, streng monotone Abbildung φ : (c, d) → (a, b) mit c, d ∈R ∪ {−∞,+∞}, c < d, den Grenzwert

lims→d−

f ◦ φ(s) fur monoton wachsendes φ

bzw.

lims→c+

f ◦ φ(s) fur monoton fallendes φ

zu eruieren. Dieser Grenzwert stimmt dann mit dem ursprunglich gesuchten

limt→b− f (t) uberein.

In der Tat kann man fur monoton wachsendes φ das Netz ( f (t))t∈(a,b) als das Teilnetz(f ◦φ(φ−1(t))

)t∈(a,b) des Netzes

(f ◦φ(s)

)s∈(c,d) betrachten, da zu s0 ∈ (c, d) das Element

t0 := φ(s0) ja derart ist, dass wegen der Monotonie von φ−1 aus t � t0 – hier bedeutet

das t ≥ t0 – immer φ−1(t) ≥ φ−1(t0) = s0, daher φ−1(t) � s0, folgt. Entsprechend

argumentiert man fur monoton fallendes φ.

Ahnlich kann man vorgehen, wenn limt→a+ f (t) zu bestimmen ist.

5.5.10 Beispiel. Betrachte g : (0,+∞) → R definiert als g(t) = 1t2 [t]. Um limt→+∞ g(t)

zu berechnen, betrachte die monoton fallende Bijektion φ(s) = 1s

von (0,+∞) auf sich

selbst. Aus Beispiel 5.5.7 ist bekannt, dass

lims→0+

g ◦ φ(s) = lims→0+

s2

⌊1

s

⌋= 0 .

Gemaß Bemerkung 5.5.9 gilt dann auch limt→+∞ g(t) = 0.

Page 151: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.6. UBUNGSBEISPIELE 145

Schließlich wollen wir auch noch definieren, was limz→∞ f (z) = y bedeutet. Hier

ist f : D → Y mit einem nicht beschrankten D ⊆ C und einem metrischen Raum Y.

Dazu versehen wir D mit der Richtung z � w⇔ |z| ≤ |w|, und setzen

limz→∞

f (z) := limz∈D

f (z) ,

falls dieser Grenzwert existiert. Manchmal schreibt man dafur auch lim|z|→+∞ f (z).

Die gerichtete Menge (D,�) gestattet ebenfalls Teilfolgen, wobei limz→∞ f (z) = y

genau dann, wenn f (zn)→ y fur alle komplexen Folgen (zn)n∈N mit |zn| → +∞.

5.5.11 Beispiel. Man sieht leicht ein, dass limz→∞1z= 0. Mit den Rechenregeln fur

Netze aus Fakta 5.3.8 folgt (a0, . . . , an ∈ C)

limz→∞

an + an−1z−1 + . . . + a0z−n = an.

Fur an , 0 folgt daraus (siehe Bemerkung 5.3.9)

limz→∞|anzn + an−1zn−1 + . . . + a0| = lim

z→∞|zn| · |an + an−1z−1 + . . . + a0z−n| = +∞ .

5.6 Ubungsbeispiele

5.1 Sei X eine nichtleere Menge und seien d und d zwei Metriken auf X.

d und d heißen aquivalent, wenn es a, b ∈ R, a, b > 0 gibt, sodass

ad(x, y) ≤ d(x, y) ≤ bd(x, y), ∀x, y ∈ X .

Zeigen Sie, dass Uaǫ(x) ⊆ Uǫ(x) und Uǫ (x) ⊆ Ubǫ(x), wobei Uǫ(x) = {y ∈ X : d(x, y) < ǫ}und Uǫ (x) = {y ∈ X : d(x, y) < ǫ}.Zeigen Sie weiters:

xn → x bzgl. d genau dann, wenn xn → x bzgl. d.

(xn) ist Cauchy-Folge bzgl. d genau dann, wenn (xn) Cauchy-Folge bzgl. d ist.

Die Menge der Haufungspunkte von E sowie c(E) bzgl. d und d stimmen uberein.

Ein E ⊆ X ist E offen, abgeschlossen bzw. kompakt bezuglich d genau dann, wenn E offen,

abgeschlossen bzw. kompakt bezuglich d ist.

Anmerkung: Wegen (3.9) sind d1, d2, d∞ aquivalent auf Rp.

5.2 Bestimmen Sie die Menge aller Haufungspunkte sowie den Abschluss von U1(0) und von

(Q + iQ) ∩ U1(0) in dem metrischen Raum (C, d2), wobei U1(0) die offene Einheitskugel

bezuglich d2 ist.

5.3 Ist Z in R offen und/oder abgeschlossen? Man beantworte die selbe Frage auch fur die Teil-

menge (2Z) × Z × Z von R3 (versehen mit d2).

5.4 Man zeige, dass ein reelles Intervall in R genau dann abgeschlossen ist, wenn es von der

Form [a, b], [a,+∞) oder (−∞, a] fur a, b ∈ R, a ≤ b ist. Weiters zeige man die entspre-

chende Aussage fur offene Intervalle.

5.5 Zeigen Sie, dass in dem metrischen Raum 〈Rp, d2〉 fur jede Teilmenge M ⊆ Rp das or-

thogonale Komplement M⊥ := {x ∈ Rp : (x, y) = 0, y ∈ M} abgeschlossen ist, wobei

(x, y) =∑p

j=1x jy j.

Zeigen Sie damit auch, dass R als Teilmenge von C abgeschlossen ist.

Page 152: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

146 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

5.6 Man zeige, dass die Kugeloberflache der Kugel S mit Radius 12

und Mittelpunkt (0, 0, 12) im

R3 kompakt ist.

5.7 Sei 〈X, d〉 ein vollstandiger metrischer Raum. Zeigen Sie, dass F ⊆ X genau dann abge-

schlossen ist, wenn der metrische Raum (F, d) (hier ist d die Einschrankung der Metrik d

von X × X auf die Teilmenge F × F) vollstandig ist.

5.8 Man zeige anhand eines Beispieles in R, dass der Durchschnitt von unendlich vielen offenen

Teilmengen nicht mehr offen sein muss.

Weiters gebe man ein Beispiel einer Teilmenge von R an, die nur aus isolierten Punkten

besteht, aber nicht abgeschlossen ist!

5.9 Sind folgende Mengen M offen, abgeschlossen, beschrankt? Warum?

(i) M = N, als Teilmenge von R,

(ii) M = {x + y : x, y ∈ [0, 1]}, als Teilmenge von R,

(iii) M = {x + y : x ∈ [0, 1], y ∈ (0, 1)}, als Teilmenge von R,

(iv) M = {x + iy : x ∈ [0, 1], y ∈ [−1, 1]}, als Teilmenge von C.

5.10 Sind folgende Mengen M offen, abgeschlossen, beschrankt? Warum?

(i) M = {z : −Re(z) + 1 ∈ (−1, 3)}, als Teilmenge von C,

(ii) M = {x : x2 − 3x + 2 > 0}, als Teilmenge von R,

(iii) M = {z : z2 − z − 2 , 0}, als Teilmenge von C,

(iv) M = {x : x2 − 3x + 2 ≤ 0}, als Teilmenge von R.

5.11 Sind folgende Mengen offen, abgeschlossen, beschrankt, kompakt? Warum?

(i)⋂

n∈N(−1 − 1n, 1 + 1

n) × (− 1

n, 2 + 1

n) in (R2, d2)

(ii)⋃

n∈N[n, n + 12] in (R, d2)

(iii) {0} ∪⋃n∈N[ 1

n, 1

n+ 1

n2 ] in (R, d2)

(iv)⋂

n∈N{(x, y) ∈ R2 : y ∈ (− 1

n2 ,1

n2 )} in (R2, d2)

5.12 Sind folgende Mengen M offen, abgeschlossen, beschrankt, kompakt? Warum?

(i) M = {(x, y, z) : x2 + 2y2 + 3z2 − 1 ∈ [0, 9]}, als Teilmenge von R3,

(ii) M = {x : 3x2 − 5x + 2 > 0}, als Teilmenge von R,

(iii) M = {z : z2 − 2z + 2 , 0}, als Teilmenge von C.

5.13 Man bestimme die Haufungspunkte, die Menge der isolierten Punkte, sowie den Abschluss

der Menge ⋃

n∈N

(1

2n2 ,1

2n2 +1

3n3

)

als Teilmenge von R versehen mit der euklidischen Metrik.

5.14 Man bestimme die Haufungspunkte, die Menge der isolierten Punkte, sowie den Abschluss

der Menge ⋃

n∈N(1

n,

1

n+

1

3n2)

als Teilmenge von R versehen mit der euklidischen Metrik.

5.15 Man bestimme die Menge aller Haufungspunkte der Folge

(n + i + (−1)n(n − in))n∈N

in C versehen mit der euklidischen Metrik. Weiters bestimme man die Haufungspunkte der

Menge

{n + i + (−1)n(n − in) : n ∈ N} ,als Teilmenge von C.

Page 153: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.6. UBUNGSBEISPIELE 147

5.16 Man bestimme die Menge aller Haufungspunkte der Folge

((−1)⌊ n2 ⌋(1 − 1

n) − (−1)⌊ n

3 ⌋(1 − 1

n))n∈N

in R.

5.17 Bestimmen Sie alle Haufungspunkte sowie Limes Superior und Limes Inferior der Folge

((−1)n+1( 1

n2 − 2) + (−1)⌊ n

2

⌋(2 − 1

n2 )

)

n∈N

in R.

5.18 Man zeige: Sind (an)n∈N und (bn)n∈N zwei beschrankte reelle Folgen mit limn→∞ an = a < 0,

dann gilt lim infn→∞ anbn = a lim supn→∞ bn.

Hinweis: Arbeiten Sie mit der Charakterisierung von lim inf als kleinster und lim sup als

großter Haufungspunkt!

5.19 Sei (X, d) ein metrischer Raum. Ist A, B ⊆ X nichtleer, so ist der Abstand von A und B

definiert durch d(A, B) := inf{d(x, y) : x ∈ A, y ∈ B}. Fur x ∈ X, ∅ , A ⊆ X setzt man

d(x, A) := d({x}, A).

Man zeige: x ∈ A ⇔ d(x, A) = 0, d(x, A) ≤ d(x, y) + d(y, A), sowie die Tatsache, dass

x 7→ d(x, A) eine stetige Abbildung von X nach R ist.

5.20 Seien K, A ⊆ Rp nichtleere Teilmengen, wobei K kompakt und A abgeschlossen ist. Man

zeige, dass es x ∈ K, y ∈ A gibt mit d(x, y) = d(A,K). Weiters zeige man, dass A∩ K = ∅ ⇔d(A,K) = 0

Hinweis: Ist xn ∈ K, yn ∈ A, sodass lim d(xn, yn) = d(A,K), so zeige man zuerst, dass dann

d(0, yn) ≤ C fur alle n und ein geeignetes C > 0. Also yn ∈ KC(0) ∩ A. Nun verwende man

die Kompaktheit von K bzw. KC(0) ∩ A (warum?) um geeignete x ∈ K und y ∈ A zu finden.

5.21 Man finde in R2 zwei abgeschlossene Teilmengen A, B mit d(A, B) = 0.

5.22 Sind I und J gerichtete Mengen versehen mit Relationen �I bzw. �J , so zeige man dass

(I × J,�) ebenfalls eine gerichtete Menge ist, wenn man

(i1, j1) � (i2, j2) :⇔ i1 �I i2 ∧ j1 �J j2

definiert; vgl. Beispiel 5.3.2.

5.23 Zeigen Sie: Hat eine gerichtete Menge (I,�) mindestens ein maximales Element, dh. es gibt

ein j ∈ I mit j � i fur alle i ∈ I, so konvergiert ein Netz (xi)i∈I genau dann, wenn x j = xk fur

alle maximalen j, k ∈ I, und zwar gegen x j, wobei j ∈ I ein solches maximales Element ist.

Fuhren sie auch aus, warum I mindestens ein maximales Element hat, wenn I endlich ist.

5.24 Weisen Sie nach, dass eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum 〈X, d〉 genau dann eine

Cauchy-Folge ist, wenn lim(m,n)∈N×N d(xm, xn) = 0, wobei N × N wie in (5.3) gerichtet ist;

vgl. Beispiel 5.3.4.

5.25 Weisen Sie alle in (5.9) erwahnten und noch nicht verifizierten Rechenregeln fur konvergen-

te Netze nach.

5.26 Seien (xi)i∈I , (yi)i∈I zwei reellwertige Netze uber der selben gereichteten Menge (I,�). Gilt

yi ≥ K fur alle i � k mit festen K ∈ R, k ∈ I, so folgere man daraus limi∈I xi = +∞ auch

limi∈I(xi + yi) = +∞.

5.27 Man berechne limx→+∞(−1)⌊x⌋

xund limx→+∞(1 + 1

x)⌊x⌋, wobei limx→+∞ fur den Grenzwert des

jeweiligen Netzes uber die gerichtete Menge I = (c,+∞) mit s � t ⇔ s ≤ t und einem

hinreichend großen c ∈ R steht.

Hinweis (1 + 1⌊x⌋ )⌊x⌋ ≥ (1 + 1

x)⌊x⌋ ≥ (1 + 1

⌊x⌋+1)⌊x⌋.

5.28 Zeigen Sie, dass ein Netz (xi)i∈I in einem metrischen Raum 〈X, d〉 genau dann ein Cauchy-

Netz ist, wenn lim(i, j)∈I×I d(xi, x j) = 0, wobei I × I wie in (5.4) zu einer gerichteten Menge

gemacht wird.

Page 154: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

148 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

5.29 Zeigen Sie, dass fur unbedingt konvergente Reihen folgende Rechenregeln gelten

(λ, µ, a j, b j ∈ R (C), j ∈ M):

j∈M

(λa j + µb j) = λ

j∈M

a j

+ µ∑

j∈M

b j

in dem Sinn, dass die linke Seite unbedingt konvergiert, wenn die Summen rechts es tun;

vgl. Fakta 5.4.3.

5.30 Zeigen Sie, dass die Ausdrucke

( j,k)∈N≥2×N≥2

1

jkund

∞∑

n=2

( ∞∑

m=2

1

mn

)

unbedingt konvergieren und berechnen Sie den jeweiligen Grenzwert. Ist die erste Summe

auch unbedingt konvergent, wenn man uber N × N summiert?

5.31 Betrachten Sie nichtleere Mengen M, M1, M2 , ∅ mit M = M1∪M2. Zeigen Sie, dass∑j∈M a j genau dann unbedingt konvergiert, wenn

∑j∈M1

a j und∑

j∈M2a j beide unbedingt

konvergieren. Zeigen Sie auch, dass dann∑

i∈{1,2}∑

j∈Mia j =

∑j∈M a j.

Anmerkung: Das Ergebnis widerspricht nicht der Tatsache, dass sich Proposition 5.4.8 nicht

umkehren lasst, da hier die Menge I = {1, 2} als endliche Menge von spezieller Gestalt ist.

5.32 Man zeige mit Hilfe der Resultate uber die Multiplikation von absolut konvergenten Reihen,

dass fur |z| < 1∞∑

n=0

(n + 1)zn = (1 − z)−2 .

5.33 Fur α ∈ R sei(α

0

)= 1, und fur k ∈ N sei

k

):=

α(α − 1) · · · (α − k + 1)

k!.

Man zeige, dass die Reihe (|z| < 1)

B(z, α) =

∞∑

k=0

k

)zk

konvergiert. Wie ist das Konvergenzverhalten, wenn |z| > 1?

Hinweis: Unterscheiden Sie α ∈ N ∪ {0} und α < N ∪ {0}, und betrachten Sie fur die letzte

Frage jeweils die Folge der Summanden. Ist diese eine Nullfolge?

5.34 Man verwende (α + β

k

)=

k∑

j=0

j

)(β

k − j

), (5.29)

um zu zeigen, dass die obige Reihe (|z| < 1) der Gleichung

B(z, α)B(z, β) = B(z, α + β)

genugt.

Anmerkung: Um (5.29) nachzuweisen, zeigt man diese Gleichung zunachst fur α, β ∈ Nund k = 0, . . . , α + β.

Dazu betrachte man das Polynom∑α+β

k=0bk xk = (1 + x)α(1 + x)β − (1 + x)α+β, welches kla-

rerweise identisch gleich Null fur alle x ∈ R ist. Somit mussen auch alle Koeffizienten bk

verschwinden.

Page 155: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

5.6. UBUNGSBEISPIELE 149

Multipliziert man dieses Polynom mit Hilfe des Binomischen Lehrsatzes aus, so erhalt man

0 = bk =

k∑

j=0

j

)(β

k − j

)−

(α + β

k

).

Fur α, β ∈ N und k ∈ Z \ {0, . . . , α + β} sind beide Seiten von (5.29) Null.

Nun sei

F(α, β) =

(α + β

k

)−

k∑

j=0

j

)(β

k − j

).

Man halte α ∈ N fest, und betrachte das Polynom F(α, x), welches einen Grad kleiner

oder gleich k hat. Weiters wissen wir, dass dieses Polynom Nullstellen bei x = 1, 2, 3, . . .

hat, denn fur α, β ∈ N haben wir (5.29) schon gezeigt. Nun kann ein Polynom, das nicht

das Nullpolynom ist, hochstens Grad viele Nullstellen haben. Also ist F(α, x) = 0 fur alle

x ∈ R.

Nun halte man β ∈ R fest, und schließe wie eben von F(x, β) = 0 fur x = 1, 2, 3, . . . auf

F(x, β) = 0 fur alle x ∈ R. Also gilt (5.29).

5.35 Zeigen Sie fur z ∈ C, |z| < 1, dass B(z, α) = (1 + z)α, zuerst fur α ∈ N ∪ {0} und dann auch

fur α ∈ −N.

Fur x ∈ R, |x| < 1 zeige man B(x, α) = (1 + x)α auch fur α = 1p, p ∈ N, und schließlich fur

α ∈ Q.

Anmerkung: Dies Resultat legt nahe Ausdrucke wie wα fur w ∈ UC1

(1) und α ∈ R durch

B(w − 1, α) zu definieren.

5.36 Sei f (r) = ar , wobei a > 0 eine feste reelle Zahl ist. Man zeige, dass limr→0 f (r) = 1.

Hinweis: Nehmen Sie zunachst an, dass a ≥ 1. Zeigen Sie, dass es zu ǫ > 0 ein n ∈ N gibt,

sodass |a ±1n − 1| < ǫ. Verwenden Sie dann die Monotonie von r 7→ ar .

5.37 Man bestimme limx→+∞√

x(√

x + 1 −√

x) und limx→0x2

|x|+x2 . Weiters zeige man

limx→ξxk−ξk

x−ξ = kξk−1 fur feste ξ ∈ R und k ∈ N.

5.38 Berechnen Sie

limx→+∞

p(x)

q(x)

fur reelle Polynome p(x) = an xn + · · · + a0, q(x) = bm xm + · · · + b0.

5.39 Seien f : (0,+∞) → Y und g : (0, 1) → Y mit einem metrischen Raum 〈Y, d〉. Es gelte

limt→+∞ f (t) = y1 und limt→0+ g(t) = y2. Mann zeige, dass dann limt→+∞ f (t4) = y1 und

limt→0+ g(t2) = y2.

Page 156: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

150 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME

Page 157: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Kapitel 6

Reelle und komplexe

Funktionen

6.1 Stetigkeit

Sei f eine Funktion und sei x ein Punkt ihres Definitionsbereiches. Sagen wir, dass

diese Funktion stetig an der Stelle x ist, so verstehen wir darunter anschaulich, dass der

Funktionswert f (t) sich beliebig wenig von f (x) unterscheidet, wenn nur t hinreichend

nahe bei x ist. Wir sehen, dass man diesem Begriff Sinn geben kann, wenn man ver-

langt, dass Definitionsbereich und Wertebereich der betrachteten Funktion metrische

Raume sind.

6.1.1 Definition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume und D ⊆ X, und sei f :

D → Y eine Funktion. Weiters sei x ∈ D. Dann heißt f stetig an der Stelle x, wenn gilt

∀ǫ > 0∃δ > 0 : dY ( f (t), f (x)) < ǫ wenn t ∈ D mit dX(t, x) < δ ,

oder aquivalent

∀ǫ > 0∃δ > 0 : f (UXδ (x) ∩ D) ⊆ UY

ǫ ( f (x)) ,

Ist f an jeder Stelle x ihres Definitionsbereiches D stetig, so heißt f stetig auf D. Die

Menge aller stetigen Funktionen von X nach Y wird mit C(X, Y) bezeichnet.

6.1.2 Beispiel.

Sei f : X → Y eine konstante Funktion, d.h. f (x) := y0, x ∈ X. Dann ist f stetig,

denn ist x ∈ X und ǫ > 0, so wahle etwa δ = 1. Fur alle t ∈ X mit dX(t, x) < δ gilt

sicher

dY( f (t), f (x)) = dY(y0, y0) = 0 < ǫ .

Die identische Abbildung, f (x) := idX(x) = x, x ∈ X, ist stetig. Um das einzuse-

hen seien x ∈ X und ǫ > 0 gegeben. Mit δ = ǫ folgt fur alle t ∈ X, dX(t, x) < δ,

dass

dX( f (t), f (x)) = dX(t, x) < δ = ǫ .

Allgemeiner gilt, dass jede isometrische Abbildung 1 f : X → Y stetig ist, da zu

x ∈ X und ǫ > 0 mit δ = ǫ wieder fur alle t ∈ X, dX(t, x) < δ

dY ( f (t), f (x)) = dX(t, x) < δ = ǫ .

1Isometrisch bedeutet dY ( f (x), f (y)) = dX (x, y).

151

Page 158: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

152 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

f (x)

x

f (x) + ǫ

f (x) − ǫ

x − δ x + δ

Abbildung 6.1: ǫ-δ-Kriterium fur f : I (⊆ R)→ R

Die Einbettungsabbildungen ιy

j: R → Rp fur j = 1, . . . , p und fur y ∈ Rp

definiert durch

ξ 7→ (0, . . . , ξ − y j︸︷︷︸j−te Stelle

, 0 . . . , 0) + y

sind isometrisch und daher stetig, wenn man R und Rp mit d2 versieht. Insbeson-

dere sind die Abbildungen ι1 : R → C, x 7→ x + i0 und ι2 : R → C, y 7→ 0 + iy

stetig.

Die Abbildung z 7→ z als Funktion auf C ist isometrisch und daher stetig.

Sei f : C → R die Funktion z 7→ |z|. Dann ist f stetig. Denn bei gegebenen

z ∈ C und ǫ > 0 wahle δ := ǫ. Fur alle w ∈ C mit |w − z| < δ gilt wegen der

Dreiecksungleichung nach unten

| f (w) − f (z)| =∣∣∣|w| − |z|

∣∣∣ ≤ |w − z| < δ = ǫ .

Sei π j : Rp → R, j = 1, . . . , p, die Funktion x = (xi)p

i=17→ x j. Diese ist

uberall stetig, denn bei gegebenen (xi)p

i=1∈ Rp und ǫ > 0 wahle δ = ǫ. Fur alle

(ti)p

i=1∈ Rp mit d2((xi)

p

i=1, (ti)

p

i=1) < δ gilt

|x j − t j| ≤ d2((xi)p

i=1, (ti)

p

i=1) < ǫ.

Genauso zeigt man, dass auch die Abbildungen π j : Cp → C, j = 1, . . . , p,

definiert durch z = (zi)p

i=17→ z j stetig sind, wobei Cp und Cmit d2 versehen sind;

vgl. Beispiel 3.1.5, (iii).

Sei f : R → R die Funktion f (x) := [x]. Dabei bezeichnet [x] wieder die

Gaußklammer. Diese Funktion ist stetig an jeder Stelle x ∈ R \ Z, und nicht

stetig an jeder Stelle x ∈ Z:

Ist x ∈ R \ Z, und ist ǫ > 0 gegeben, so wahle δ > 0, sodass das Intervall

(x − δ, x+ δ) keine ganze Zahl enthalt. Dann ist f auf (x− δ, x+ δ) konstant, und

somit gilt

| f (t) − f (x)| = 0 < ǫ, falls |t − x| < δ .

Ist dagegen x ∈ Z, so enthalt das Intervall (x − δ, x + δ) fur jedes δ > 0 sowohl

Zahlen t, die großer als x sind, als auch Zahlen t, die kleiner als x sind. Nun ist

Page 159: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.1. STETIGKEIT 153

aber fur t− < x sicher f (t−) < f (x) und – da ja beide Werte ganze Zahlen sind –

| f (t−) − f (x)| ≥ 1. Wir konnen also fur kein ǫ mit 0 < ǫ ≤ 1 ein δ finden, das der

geforderten Bedingung genugt.

6.1.3 Fakta. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉metrische Raume, x ∈ D ⊆ X, und sei f : D→ Y

eine Funktion.

1. Unmittelbar aus der Definition der Stetigkeit folgt, dass die Stetigkeit bei x eine

lokale Eigenschaft ist, d.h. f ist bei x stetig genau dann, wenn es ein ρ > 0 gibt,

sodass f |Uρ(x)∩D stetig bei x ist.

2. Ist x ein isolierter Punkt von D, dann ist f immer stetig bei x. Ist namlich δ > 0

so, dass Uδ(x)∩D = {x}, so folgt f (Uδ(x)∩D) = { f (x)} ⊆ Uǫ( f (x)) fur beliebiges

ǫ > 0.

3. Ist f : D → Y stetig auf D, so sicherlich auch f |C auf jeder Teilmenge C ⊆ D.

Also sind Einschrankungen stetiger Abbildungen wieder stetig.

Nun wollen wir die Stetigkeit an einer Stelle mit Hilfe verschiedener Grenzwertbe-

griffe charakterisieren.

6.1.4 Proposition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉metrische Raume, D ⊆ X, und sei f : D→Y eine Funktion. Ist x ∈ D ein fester Punkt, dann sind aquivalent:

(i) f ist stetig an der Stelle x.

(ii) Ist x kein isolierter Punkt, so gilt limt→x f (t) = f (x), wobei wir diesen Limes

verstehen als Limes des Netzes ( f (t))t∈D\{x}, wo D \ {x} mit der Relation

t � u :⇐⇒ dX(u, x) ≤ dX(t, x)

zu einer gerichteten Menge wird, vgl. Definition 5.5.3.

(iii) Fur jede Folge (tn)n∈N aus D \ {x} mit limn→∞ tn = x gilt limn→∞ f (tn) = f (x).

(iv) Fur jede Folge (tn)n∈N aus D mit limn→∞ tn = x gilt limn→∞ f (tn) = f (x).

(v) Fur jedes Netz (ti)i∈I aus D mit limi∈I ti = x gilt limi∈I f (ti) = f (x).

Beweis.

(i) ⇐⇒ (ii): Im Falle, dass x ein isolierter Punkt von D ist, wissen wir schon, dass f

bei x stetig ist.

Sei also x nicht isolierter Punkt von D. Die Stetigkeit von f an der Stelle x

bedeutet nach Definition

∀ǫ > 0∃δ > 0 : dY( f (t), f (x)) < ǫ wenn t ∈ D mit dX(t, x) < δ .

Die Beziehung limt→x f (t) = f (x) bedeutet gemaß Definition 5.5.3,

∀ǫ > 0∃δ > 0 : dY( f (t), f (x)) < ǫ wenn t ∈ D \ {x} mit dX(t, x) < δ . (6.1)

Also sind diese beiden Aussagen aquivalent.

(ii) ⇐⇒ (iii): Das haben wir schon in Fakta 5.5.4 gesehen.

Page 160: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

154 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

(v)⇒ (iv)⇒ (iii): (iv) ist Spezialfall von (v) und genauso (iii) von (iv).

(i)⇒ (v): Sei ǫ > 0, dann gibt es ein δ > 0 mit f (Uδ(x)) ⊆ Uǫ( f (x)). Sei nun i0 ∈ I mit

xi ∈ Uδ(x), i � i0. Fur diese i folgt f (xi) ∈ Uǫ( f (x)), und daraus die behauptete

Grenzwertbeziehung.

Eine immer wieder verwendete Eigenschaft der Stetigkeit folgt unmittelbar aus

Proposition 6.1.4, (iv):

6.1.5 Korollar. Sind f , g : D → Y beide stetig und gilt f (x) = g(x) fur alle x in einer

Teilmenge E ⊆ D, so gilt auch f (x) = g(x) fur alle x ∈ c(E) ∩ D.

Insbesondere stimmen zwei stetige f und g auf D uberein, wenn sie das nur auf

einer dichten Teilmenge E von D tun.

Beweis. Zu x ∈ D ∩ c(E) gibt es eine Folge (xn)n∈N in E ⊆ D, sodass xn → x. Wegen

f (xn) = g(xn) und aus der Stetigkeit beider Funktionen folgt

f (x) = limn→∞

f (xn) = limn→∞

g(xn) = g(x).

Viele stetige Funktionen lassen sich mit Hilfe des nachsten Lemmas als solche

identifizieren.

6.1.6 Lemma. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume, D ⊆ X, E ⊆ Y und f :

D → Y und g : E → Z mit f (D) ⊆ E. Ist f bei x ∈ D und g bei f (x) stetig ist, so ist

g ◦ f : D→ Z bei x stetig.

Beweis. Zu ǫ > 0 gibt es wegen der Stetigkeit von g ein δ′ > 0, sodass g(Uδ′( f (x)) ∩E) ⊆ Uǫ (g( f (x))), und wegen der Stetigkeit von f ein δ > 0, sodass f (Uδ(x) ∩ D) ⊆Uδ′ ( f (x)). Setzt man das zusammen und beachtet, dass auch f (Uδ(x)∩D) ⊆ f (D) ⊆ E,

so erhalt man

(g ◦ f )(Uδ(x) ∩ D) ⊆ g(Uδ′( f (x)) ∩ E) ⊆ Uǫ(g( f (x))).

6.1.7 Beispiel. Aus unseren Rechenregeln fur Folgen (Satz 3.3.5) folgern wir mit Hilfe

der Folgencharakterisierung der Stetigkeit (Proposition 6.1.4, (iv)), dass die algebrai-

schen Operationen

+ :

{R2 → R

(x, y) 7→ x + y− :

{R → Rx 7→ −x

· :{

R2 → R(x, y) 7→ x · y .−1 :

{R \ {0} → R \ {0}

x 7→ 1x

stetig sind. Genauso sind die algebraischen Operationen auf C stetig. Hier sind

R,R2,C,C2 alle mit der euklidischen Metrik d2 versehen, wobei C und C2 als me-

trische Raume mit R2 bzw. R4 indentifiziert werden; vgl Beispiel 3.1.5, (iii). 2.

2Diese Feststellung gilt fur den reellen Fall auch, wenn man d1 oder d∞ hernimmt; vgl. Proposition 3.6.1.

Page 161: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.1. STETIGKEIT 155

6.1.8 Korollar. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, x ∈ D ⊆ X, λ ∈ R, und seien f , g :

D → R Funktionen.

� Dann ist die Abbildung t 7→ ( f (t), g(t)) von D nach R2 genau dann bei x stetig,

wenn f und g es sind.

� Sind f und g stetig bei x, so auch die Abbildungen

t 7→ λ · f (t), t 7→ f (t) + g(t), t 7→ f (t)g(t)

von D nach R.

� Ist f stetig bei x und gilt f (t) , 0, t ∈ D, so ist auch t 7→ 1f (t)

von D nach R bei

x stetig.

Die selben Aussagen sind wahr, wenn wir R durch C ersetzen.

Beweis. Fur eine beliebige Folge (xn)n∈N aus D mit limn→∞ xn = x gilt gemaß Proposi-

tion 3.6.1, dass limn→∞ f (xn) = f (x) gemeinsam mit limn→∞ g(xn) = g(x) genau dann,

wenn limn→∞( f (xn), g(xn)) = ( f (x), g(x)). Wegen Proposition 6.1.4, (iv), folgt daher

die erste Behauptung.

Fur bei x stetige f und g sind t 7→ f (t)+g(t), t 7→ f (t) ·g(t) und t 7→ 1f (t)

Zusammen-

setzungen von einer bei x stetigen und einer uberall stetigen Funktion. Zum Beispiel

ist t 7→ f (t)g(t) die Zusammensetzung von t 7→ ( f (t), g(t)) und (u, v) 7→ uv; siehe

Beispiel 6.1.7. Fur g(t) = λ ist das konstante g stetig. Also ist auch t 7→ λ · f (t) stetig.

6.1.9 Bemerkung. Mit fast identer Argumentation sieht man, dass fur Abbildungen

f1, . . . , fp : D → R mit x ∈ D ⊆ X fur einen metrischen Raum X genau dann alle

diese Abbildungen stetig in x sind, wenn die Abbildung t 7→ ( f1(t), . . . , fp(t)) von D

nach Rp stetig in x ist. Diese Feststellung konnen wir auch so formulieren, dass eine

Abbildung φ : D → Rp genau dann stetig ist, wenn alle Abbildungen π j ◦ φ : D → Rfur j = 1, . . . , p stetig sind.

Entsprechendes gilt fur Abbildungen f1, . . . , fp : D→ C.

6.1.10 Beispiel.

Weil x 7→ x als Abbildung von R nach R stetig ist, folgt mit Korollar 6.1.8

nacheinander auch die Stetigkeit der Abbildungen x 7→ x · x, x 7→ x · x · x usw..

Also sind die Abbildungen x 7→ xm von R nach R fur jedes m ∈ N stetig genauso

wie die konstante Abbildung x 7→ x0 := 1.

Wieder mit einigen Anwendungen von Korollar 6.1.8 folgt, dass fur jedes Poly-

nom p mit reellen Koeffizienten an, . . . , a0 ∈ R die Abbildung

x 7→ p(x) = anxn + · · · + a0, R→ R

stetig ist. Fur zwei Polynome p und q mit reellen Koeffizienten betrachten wir

die rationale Funktion f : D → R definiert durch f (x) =p(x)

q(x)mit D = {x ∈

Page 162: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

156 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

R : q(x) , 0}. Wegen Fakta 6.1.3, 3, sind p|D und q|D stetig und wegen Korollar

6.1.8 auch 3 f .

Fur ein Polynom p mit komplexen Koeffizienten an, . . . , a0 ∈ C konnen wir auch

die Abbildung z 7→ anzn+ · · ·+a0 = p(z) als Abbildung vonC nachC betrachten.

Man zeigt wie im vorherigen Beispiel, dass auch diese Abbildung stetig ist.

Fur zwei Polynome p und q mit komplexen Koeffizienten ist auch die rationale

Funktion f : D → C definiert durch f (z) =p(z)

q(z)mit D = {z ∈ C : q(z) , 0}

stetig.

Fur zwei Polynome p und q mit komplexen Koeffizienten sind auch die Funktio-

nen x 7→ p(x) und x 7→ q(x) als Abbildungen von R nach C sowie x 7→ p(x)

q(x)als

Abbildungen von {x ∈ R : q(x) , 0} von R nach C stetig, denn sie lassen sich

schreiben als Zusammensetzung der stetigen Abbildung ι1 : x 7→ x + i0 und der

entsprechenden Funktion aus dem letzten Punkt.

Da fur ein lineares Funktional f : Rp → R der Ausdruck f (x) als Linearkombi-

nation der Eintrage von x ∈ Rp geschrieben werden kann, folgt leicht mit Hilfe

von Proposition 6.1.4, (iv), dass ein jedes solches f stetig ist.

Daraus und mit Hilfe von Bemerkung 6.1.9 sieht man allgemeiner, dass auch alle

linearen Abbildungen A : Rp → Rq stetig sind. Entsprechendes gilt fur C-lineare

Abbildungen A : Cp → Cq.

Aus dem letzten Beispiel oder direkt mit Hilfe von Proposition 6.1.4, (iv), zusam-

men mit Bemerkung 6.1.9 erkennt man auch, dass (x, y) 7→ x + y als Abbildung

von R2p� Rp ×Rp nach Rp sowie (λ, x) 7→ λx als Abbildung von Rp+1

� R×Rp

nach Rp stetig sind. Entsprechendes gilt im komplexen Fall.

6.1.11 Beispiel. Ist D ⊆ Rp, Y ein metrischer Raum und f : D→ Y stetig, so folgt aus

Beispiel 6.1.2, Fakta 6.1.3, 3 und Lemma 6.1.6 fur alle j = 1, . . . , p und alle y ∈ Rp die

Stetigkeit von f ◦ ιyj

: {t ∈ R : ιy

j(t) ∈ D} → Y.

Umgekehrt kann man aber nicht von der Stetigkeit aller f ◦ ιyjauf die von f schlie-

ßen, wie die Funktion f : R2 → R definiert durch

f (ξ, η) :=

ξη

ξ2+η2 , (ξ, η) , (0, 0)

0 , (ξ, η) = (0, 0)

zeigt. Diese Funktion ist bei (0, 0) nicht stetig, da etwa f ( 1n, 1

n) = 1

2fur alle n ∈ N.

Die folgende mengentheoretisch orientierte Charakterisierung der Stetigkeit einer

Funktion spielt eine wichtige Rolle. Man beachte, dass dabei fur die Funktion f der

Definitionsbereich gleich dem ganzen metrischen Raum X ist.

6.1.12 Proposition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume, und sei f : X → Y

eine Funktion. Dann sind aquivalent:

3Wem diese Tatsache trivial vorkommt, der versuche”zu Fuß“, d.h. durch explizite Angabe einer Zahl δ

zu vorgegebenen ǫ und x, zu uberprufen, dass etwa die Funktion f (x) = x3+x+1

x2+1auf ihrem Definitionsbereich

R stetig ist.

Page 163: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.1. STETIGKEIT 157

(i) f ist stetig.

(ii) Fur jede in 〈Y, dY〉 offene Teilmenge B von Y ist f −1(B) = {x ∈ X : f (x) ∈ B}offen in 〈X, dX〉.

(iii) Fur jede in 〈Y, dY〉 abgeschlossene Teilmenge F von Y ist das Urbild f −1(F) =

{x ∈ X : f (x) ∈ F} abgeschlossen in 〈X, dX〉.

Beweis.

(i)⇒ (ii): Sei B ⊆ Y offen, und sei x ∈ f −1(B). Da B offen ist und f (x) ∈ B, folgt

Uǫ( f (x)) ⊆ B fur ein ǫ > 0. Wegen der Stetigkeit existiert δ > 0 mit f (Uδ(x)) ⊆Uǫ( f (x)) ⊆ B, d.h. mit Uδ(x) ⊆ f −1(B). Also enthalt f −1(B) mit jedem Punkt

eine ganze δ-Kugel, d.h. f −1(B) ist offen.

(ii)⇒ (i): Sei ǫ > 0 und x ∈ X gegeben. Die Menge Uǫ( f (x)) ist offen, also ist

auch f −1(Uǫ( f (x))) offen. Wegen x ∈ f −1(Uǫ( f (x))) existiert ein δ > 0, sodass

Uδ(x) ⊆ f −1(Uǫ( f (x))). Das heißt aber gerade f (Uδ(x)) ⊆ Uǫ( f (x)).

(ii)⇔ (iii): Das folgt sofort aus Proposition 5.1.15 und der Tatsache, dass f −1(Mc) =

f −1(M)c.

6.1.13 Proposition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume, und sei f : D → Y

eine stetige Funktion. Ist K ⊆ D kompakt, so ist auch f (K) ⊆ Y kompakt und damit

auch beschrankt.

Beweis. Sei (yn)n∈N eine Folge in f (K), und sei xn ∈ K, sodass f (xn) = yn. Wegen der

Kompaktheit von K gibt es eine gegen ein x ∈ K konvergente Teilfolge (xn(k))k∈N von

(xn)n∈N. Aus der Stetigkeit folgt

f (x) = limk→∞

f (xn(k)) = limk→∞

yn(k).

Also hat (yn)n∈N eine konvergente Teilfolge mit Grenzwert aus f (K). Also ist f (K)

kompakt und wegen Proposition 5.2.8 beschrankt.

6.1.14 Korollar. Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum, D ⊆ X, f : D → R stetig, und

sei K ⊆ D kompakt. Dann ist f auf K beschrankt und nimmt ein Maximum und ein

Minimum an, d.h. es gibt Punkte xmax, xmin ∈ K mit

f (xmax) = maxx∈K

f (x), f (xmin) = minx∈K

f (x) .

Insbesondere nimmt jede auf einem reellen Intervall [a, b] definierte und stetige reell-

wertige Funktion ein Maximum und ein Minimum an.

Beweis. Nach Proposition 6.1.13 ist f (K) ⊆ R kompakt, und wegen Propo-

sition 5.2.8 damit beschrankt und abgeschlossen. Wegen Beispiel 5.1.14 ist

sup f (K) = max f (K) = f (xmax) fur ein xmax ∈ K. Entsprechend zeigt man die

Aussage fur das Minimum.

Page 164: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

158 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

6.1.15 Proposition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume und D ⊆ X kompakt.

Ist f : D→ Y stetig und injektiv, so ist es auch f −1 : ran( f )→ D ⊆ X.

Beweis. Sei (yn)n∈N eine Folge in ran f mit yn → y, und setze xn = f −1(yn), n ∈N. Wegen der Kompaktheit von D hat jede beliebige Teilfolge (xn(m))m∈N von (xn)n∈Nihrerseits eine Teilfolge (xn(m(l)))l∈N mit xn(m(l)) → x, l→ ∞ fur ein x in D.

Aus der Stetigkeit folgt yn(m(l)) = f (xn(m(l))) → f (x) fur l → ∞. Da (yn(m(l)))l∈N als

Teilfolge auch gegen y konvergiert, folgt f (x) = y und mit der Injektivitat x = f −1(y).

Gemaß Lemma 5.2.11 konvergiert daher ( f −1(yn))n∈N gegen f −1(y). Also ist f −1 in y

stetig.

6.1.16 Beispiel. Sei n ∈ N. Fur ein festes c > 0 sei f : [0, c] → R definiert durch die

Vorschrift f (t) = tn. Wegen Beispiel 6.1.10 und Fakta 6.1.3, 3, ist f stetig. Zudem gilt

f ([0, c]) = [0, cn], vgl. Bemerkung 2.9.7.

Die Umkehrfunktion f −1 : [0, cn] → [0, c] ⊆ R, t 7→ n√

t, ist gemaß Proposition

6.1.15 stetig. Wegen cn → +∞ fur c→ +∞ und da die Stetigkeit wegen Fakta 6.1.3, 1,

eine lokale Eigenschaft ist, folgt sogar die Stetigkeit von n√. : [0,+∞)→ R.

Die Stetigkeit der Wurzelfunktion kann man auch mit Hilfe von Satz 3.3.5, (vii),

leicht zeigen.

6.2 Der Zwischenwertsatz

Sei I ⊆ R ein Intervall. Die Anschauung von Stetigkeit legt nahe, dass mit I auch f (I)

ein Intervall ist.

6.2.1 Bemerkung. Man uberlegt sich leicht, dass I ⊆ R genau dann ein Intervall ist,

d.h. genau dann eine der Formen (a, b ∈ R, a < b,)

∅, (a, b), [a, b], [a, a], (a, b], [a, b), (a,+∞), (−∞, a), [a,+∞), (−∞, a],R ,

hat, wenn fur I gilt

∀x, y ∈ I, x < y⇒ [x, y] ⊆ I .

Um zu rechtfertigen, dass f (I) wieder ein Intervall ist, werden wir eine weitere

charakteristische Eigenschaft von Intervallen herleiten.

6.2.2 Definition. Dazu nennen wir eine Teilmenge E eines metrischen Raumes zusam-

menhangend, wenn man E nicht als Vereinigung zweier nichtleerer getrennter Mengen

schreiben kann. Dabei heißen A und B getrennt, wenn c(A) ∩ B = A ∩ c(B) = ∅.

6.2.3 Proposition. Sei I ⊆ R. Dann ist I genau dann ein Intervall, wenn I zusam-

menhangend ist.

Beweis. Im Falle, dass I nur ein oder gar kein Element enthalt – also I = {x} oder

I = ∅ –, erkennt man sofort mit Bemerkung 6.2.1 und Definition 6.2.2, dass I ein

Intervall und I auch zusammenhangend ist. Wir konnen also fur den Rest des Beweises

annehmen, dass I zumindest zwei verschiedene Elemente enthalt.

Angenommen es existieren x, y ∈ I, x < y, sodass [x, y] * I. Wahle z ∈ [x, y] \ I

und setze

A := (−∞, z] ∩ I, B := [z,+∞) ∩ I .

Page 165: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.2. DER ZWISCHENWERTSATZ 159

Dann sind A und B disjunkt, und jeder Haufungspunkt t von A ist in (−∞, z], da diese

Menge ja abgeschlossen ist. Wegen z < I folgt z < B und damit c(A) ∩ B = ∅. Genauso

sieht man A ∩ c(B) = ∅. Also ist I nicht zusammenhangend.

Sei umgekehrt I nicht zusammenhangend. Dann konnen wir I als A ∪ B mit nicht-

leeren A, B schreiben, wobei c(A) ∩ B = A ∩ c(B) = ∅. Wahle x ∈ A und y ∈ B, und sei

o.B.d.A. angenommen, dass x < y.

Man betrachte t = sup(A ∩ [x, y]). Insbesondere ist x ≤ t ≤ y. Weiters folgt aus

t ∈ c(A ∩ [x, y]) ⊆ c(A) (siehe Beispiel 3.3.4), dass t < B, und somit x ≤ t < y.

Wir wollen nun [x, y] * I zeigen, was im Fall t < A, sofort aus t ∈ [x, y] \ (A∪ B) =

[x, y] \ I folgt.

Im Fall t ∈ A folgt aus t < c(B) die Existenz einer ǫ-Kugel (t − ǫ, t + ǫ), sodass

(t − ǫ, t + ǫ) ∩ B = ∅ .

Also ist t + ǫ2< B, und weil y ∈ B, gilt x < t + ǫ

2< t + ǫ ≤ y bzw. t + ǫ

2∈ (x, y). Wegen

t = sup(A∩[x, y]) kann t+ ǫ2

aber nicht in A liegen. Also t+ ǫ2∈ [x, y]\(A∪B) = [x, y]\ I

und daher [x, y] * I.

6.2.4 Proposition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉metrische Raume, D ⊆ X, und sei f : D→Y eine stetige Funktion. Ist E ⊆ D zusammenhangend, so auch f (E).

Beweis. Angenommen f (E) ware nicht zusammenhangend. Dann gilt f (E) = A∪B mit

A, B , ∅ und c(A)∩B = A∩c(B) = ∅. Fur die nichtleeren Mengen E∩ f −1(A), E∩ f −1(B)

folgt

E =(E ∩ f −1(A)

) ∪ (E ∩ f −1(B)

),

(E ∩ f −1(A)

) ∩ (E ∩ f −1(B)

)= ∅ .

Zu jedem x ∈ c(E ∩ f −1(A)

) ∩ E ∩ f −1(B) gibt es wegen Lemma 5.1.13 eine gegen

x konvergente Folge (xn)n∈N aus E ∩ f −1(A). Es folgt limn→∞ f (xn) = f (x), und somit

f (x) ∈ c(f (E ∩ f −1(A))

) ⊆ c(A). Andererseits ist f (x) ∈ f(E ∩ f −1(B)

) ⊆ B im

Widerspruch zu c(A) ∩ B = ∅.Also kann nur c

(E ∩ f −1(A)

) ∩ E ∩ f −1(B) = ∅. Entsprechend gilt

c(E ∩ f −1(B)

) ∩ E ∩ f −1(A) = ∅, und E ware somit nicht zusammenhangend,

was unserer Annahme widerspricht.

6.2.5 Beispiel. Wir werden spater sehen, dass die Einheitskreislinie T = {z ∈ C :

|z| = 1} als das Bild von [0, 2π) unter der stetigen Abbildung x 7→ exp(ix) geschrieben

werden kann. Nach Proposition 6.2.4 identifizieren wir damit T als zusammenhangend.

6.2.6 Korollar (Zwischenwertsatz). Sei I ⊆ D ein Intervall und f : I → R stetig. Dann

ist auch f (I) ein Intervall. Ist insbesondere c ∈ R mit

(−∞ ≤) inf f (I) < c < sup f (I) (≤ +∞) ,

so existiert ein Punkt x ∈ I mit f (x) = c.

Insbesondere gilt: Ist f stetig auf [a, b] und c eine Zahl zwischen f (a) und f (b), dh.

f (a) < c < f (b) oder f (b) < c < f (a), so existiert ein Punkt x ∈ (a, b) mit f (x) = c.

Page 166: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

160 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

Beweis. Mit I ist nach Proposition 6.2.4 auch f (I) ⊆ R zusammenhangend,

und somit nach Proposition 6.2.3 ein Intervall. Wahlt man α, β ∈ f (I) mit

infx∈I f (x) < α < c < β < supx∈I f (x), dann enthalt f (I) das ganze Intervall

[α, β] (siehe Bemerkung 6.2.1). Also gibt es ein x ∈ I mit f (x) = c.

I

inf f (I)

f (I)

sup f (I)

f (x) = c

x

Abbildung 6.2: Veranschaulichung des Zwischenwertsatzes

6.2.7 Beispiel. Die Funktion f : [0,+∞) → R definiert durch f (t) = tn fur ein festes

n ∈ N ist stetig. In Bemerkung 2.9.7 hatten wir in Folge der Existenz von n-ten Wurzeln

– vgl. Satz 2.9.5 – schon festgestellt, dass f ([0,+∞)) = [0,+∞).

Ohne Satz 2.9.5 zu verwenden, konnen wir das auch aus Korollar 6.2.6 herleiten.

In der Tat folgt aus Korollar 6.2.6, dass f ([0,+∞)) ein Intervall ist. Wegen f (t) ≥ 0

fur t ∈ [0,+∞) folgt f ([0,+∞)) ⊆ [0,+∞). Aus limt→∞ f (t) = +∞ schließen wir, dass

das Intervall f ([0,+∞)) beliebig große Zahlen enthalt, also nicht beschrankt sein kann.

Zusammen mit f (0) = 0 folgt daraus, dass f ([0,+∞)) nur von der Form [0,+∞) sein

kann.

Da f streng monoton wachsend und somit f : [0,+∞)→ [0,+∞) bijektiv ist, folgt

somit auch ohne Satz 2.9.5, dass tn = x fur jedes reelle x ≥ 0 eine eindeutige Losung

in [0,+∞) hat – also dass es eindeutige n-te Wurzeln von Zahl aus [0,+∞) in [0,+∞)

gibt.

6.3 Gleichmaßige Stetigkeit

Die Definition der Stetigkeit einer Funktion f : D → Y lautet, in logischen Formeln

angeschrieben,

∀x ∈ D∀ǫ > 0∃δ > 0 : ∀t ∈ D : dX(t, x) < δ⇒ dY ( f (t), f (x)) < ǫ . (6.2)

Die Zahl δ, die es zu jedem ǫ geben muss, hangt im Allgemeinen nicht nur von ǫ,

sondern auch von der Stelle x ab.

Page 167: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.3. GLEICHMASSIGE STETIGKEIT 161

6.3.1 Beispiel. Betrachte die Funktion f (x) = x−1 : R+ → R+. Ist x ∈ R+ und ǫ > 0

gegeben, so berechnet man:

1

x− 1

x + δ=

δ

(x + δ)x.

Damit dieser Ausdruck ≤ ǫ ist, darf δ hochstens ǫx2

1−ǫxsein. Man sieht, dass diese

großtmogliche Wahl von δ immer kleiner wird, je kleiner x wird, und tatsachlich fur

x → 0 ebenfalls gegen 0 strebt. Man kann in diesem Beispiel also tatsachlich zu gege-

benem ǫ kein δ finden, das von x unabhangig ist.

Sollte eine Funktion nun so beschaffen sein, dass dieses Phanomen nicht auftritt,

sollte also zu gegebenem ǫ stets ein δ existieren, welches fur alle x funktioniert, so

nennt man die Funktion gleichmaßig stetig.

6.3.2 Definition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume, und sei f : D → Y eine

Funktion. Dann heißt f gleichmaßig stetig, wenn gilt

∀ǫ > 0∃δ > 0∀x, t ∈ D : dX(t, x) < δ⇒ dY( f (t), f (x)) < ǫ .

Vergleicht man diese Definition mit der Formel (6.2), so sieht man, dass man hier

den Allquantor ∀x ∈ D und den Existenzquantor ∃δ > 0 vertauscht hat. Dies wird also

nicht den gleichen, sondern einen starkeren Begriff liefern.

Ist f gleichmaßig stetig, so ist f auch stetig. Wie wir am obigen Beispiel sehen, gilt

die Umkehrung nicht. Interessant in diesem Zusammenhang ist nun der folgende Satz:

6.3.3 Satz. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume und D ⊆ X kompakt. Dann ist

jede stetige Funktion f : D→ Y sogar gleichmaßig stetig.

Beweis. Nehme man das Gegenteil an. Dann gibt es ein ǫ > 0, sodass es fur alle n ∈ NPunkte xn, yn ∈ D gibt, sodass dX(xn, yn) < 1

nund dY( f (xn), f (yn)) ≥ ǫ.

Die Folgen (xn)n∈N (yn)n∈N haben wegen der Kompaktheit von D Haufungspunkte

x bzw. y. Somit gilt

x = limk→∞

xn(k), y = limk→∞

yn(k)

fur Teilfolgen (xn(k))k∈N und (yn(k))k∈N. Aus dX(xn(k), yn(k)) < 1n(k)

folgt mit Lemma

3.2.10, dass

dX(x, y) = limk→∞

dX(xn(k), yn(k)) = 0 ,

also x = y und somit f (x) = f (y). Andererseits folgt aus der Stetigkeit zusammen mit

Lemma 3.3.1 der offensichtliche Widerspruch

dY ( f (x), f (y)) = dY ( limk→∞

f (xn(k)), limk→∞

f (yn(k))) = limk→∞

dY( f (xn(k)), f (yn(k))) ≥ ǫ .

6.3.4 Beispiel. Fur nicht kompaktes E ⊆ R gilt:

(i) Es gibt eine auf E stetige Funktion, die nicht beschrankt ist.

(ii) Es gibt eine auf E stetige und beschrankte Funktion, die kein Maximum hat.

(iii) Ist E beschrankt, so gibt es eine auf E stetige, aber nicht gleichmaßig stetige

Funktion.

Page 168: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

162 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

Wir betrachten zuerst den Fall, dass E einen Haufungspunkt x0 hat, der nicht zu E

gehort (dieser Fall tritt sicher immer dann ein, wenn E beschrankt ist, denn dann wurde

aus abgeschlossen kompakt folgen). Die Funktion x 7→ 1x−x0

ist stetig auf E, aber nicht

beschrankt. Sie ist auch nicht gleichmaßig stetig. Die Funktion f (x) = 11+(x−x0)2 ist

stetig auf E und beschrankt (0 < f (x) < 1). Offenbar gilt limx→x0f (x0) = 1, also

supx∈E f (x) = 1.

Betrachte nun den Fall, dass E nicht beschrankt ist. (i) folgt mit f (x) = x, (ii) mit

f (x) = x2

1+x2 .

In (iii) kann man die Forderung, dass E beschrankt ist, nicht ganz weglassen. Zum

Beispiel betrachte E = Z. Dann ist jede Funktion auf E gleichmaßig stetig, denn man

kann stets irgendein δ < 1 wahlen, z.B. also δ = 12).

6.3.5 Satz (*). Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume, wobei 〈Y, dY〉 sogar

vollstandig ist. Weiters sei D ⊆ X und f : D→ Y gleichmaßig stetig.

Dann existiert eine eindeutige gleichmaßig stetige Fortsetzung F : c(D)→ Y.

Beweis.

Sei (xn)n∈N eine Cauchy-Folge von Punkten aus D. Zu ǫ > 0 wahle δ > 0 so, dass

dY

(f (y), f (z)

)< ǫ fur dX(y, z) < δ . (6.3)

Weiters wahle N ∈ N so, dass dX(xn, xm) < δ fur alle n,m ≥ N. Dann folgt

dY

(f (xn), f (xm)

)< ǫ, n,m ≥ N,

d.h. ( f (xn))n∈N ist eine Cauchy-Folge in Y. Somit existiert der Limes

limn→∞ f (xn).

Sei x ∈ X, und seien (xn)n∈N und (yn)n∈N zwei Folgen von Punkten in D mit

xn → x sowie yn → x. Ist ǫ > 0 gegeben und δ > 0 wie in (6.3), so wahle N ∈ Nmit

dX(xn, x) <δ

2, dX(yn, x) <

δ

2, n ≥ N.

Insbesondere gilt dX(xn, yn) ≤ dX(xn, x) + dX(yn, x) < δ fur alle n ≥ N. Es folgt

dY ( f (xn), f (yn)) < ǫ, n ≥ N, und daher

dY

(limn→∞

f (xn), limn→∞

f (yn)) ≤ ǫ.

Da ǫ > 0 beliebig war, folgt limn→∞ f (xn) = limn→∞ f (yn).

Zu jedem x ∈ c(D) gibt es definitionsgemaß eine Folge (xn)n∈N mit xn → x.

Definiere

F(x) := limn→∞

f (xn).

Wegen der obigen Punkte ist F eine wohldefinierte Funktion von X nach Y.

Ist x ∈ D, so betrachte die konstante Folge xn := x. Dann gilt sicher xn → x und

f (xn)→ f (x), also F(x) = f (x). Somit ist F eine Fortsetzung von f .

Es bleibt zu zeigen, dass F gleichmaßig stetig ist. Sei dazu ǫ > 0 gegeben. Wahle

δ > 0 so, dass dY ( f (x), f (y)) < ǫ3

fur x, y ∈ D mit dX(x, y) < δ.

Page 169: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.4. UNSTETIGKEITSSTELLEN 163

Seien nun x, y ∈ c(D) mit dX(x, y) < δ3. Wahle xn, yn ∈ D mit xn → x, yn → y

und N ∈ N mit

dX(xn, x) <δ

3, dX(yn, y) <

δ

3, dY (F(x), f (xn)) <

ǫ

3, dY(F(y), f (yn)) <

ǫ

3, n ≥ N .

Dann gilt dX(xn, yn) < δ und daher dY ( f (xn), f (yn)) < ǫ3. Somit erhalten wir

dY(F(x), F(y)) < ǫ.

Die Eindeutigkeit folgt sofort aus Korollar 6.1.5.

6.4 Unstetigkeitsstellen

Sei 〈Y, dY〉 ein metrischer Raum, und sei f : (a, b)→ Y mit a, b ∈ R, a < b. Weiters sei

x ∈ (a, b).

f ist gemaß Proposition 6.1.4 genau dann bei x stetig, wenn f (x) = limt→x f (t).

In (5.28) haben wir gesehen, dass f (x) = limt→x f (t) genau dann, wenn die Grenz-

werte f (x−) := limt→x− f (t) und f (x+) := limt→x+ f (t) existieren und beide mit f (x)

ubereinstimmen.

6.4.1 Bemerkung. Gilt zumindest f (x) = f (x−) ( f (x) = f (x+)), so spricht man von

Linksstetigkeit bzw. linksseitiger Stetigkeit (Rechtsstetigkeit bzw. rechtsseitiger Stetig-

keit) der Funktion f bei x. Klarerweise ist f bei x stetig, wenn f bei x sowohl links- als

auch rechtsstetig ist.

Ist f nicht stetig, so unterscheidet man folgende Falle.

6.4.2 Definition. Sei f unstetig bei x.

� Man sagt, f habe eine Unstetigkeit 1. Art bei x, falls f (x−) := limt→x− f (t) und

f (x+) := limt→x+ f (t) existieren, aber nicht beide gleich f (x) sind.

Fur Unstetigkeiten 1. Art gibt es zwei Moglichkeiten. Entweder f (x−) , f (x+),

in welchem Fall man von einer Sprungstelle spricht, oder f (x−) = f (x+) , f (x).

Dann spricht man von einer hebbaren Unstetigkeit.

� Liegt keine Unstetigkeit 1. Art vor, so spricht man von einer Unstetigkeit 2. Art.

Den Begriff”hebbar“hat man deswegen gewahlt, weil man dann f an der Stelle x

so abandern kann, dass die neue Funktion bei x stetig ist.

6.4.3 Beispiel.

Betrachte die Funktion

f (x) =

1 , falls x rational

0 , falls x irrational

Diese Funktion hat an jeder Stelle x eine Unstetigkeit 2.Art.

Page 170: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

164 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

Sei

g(x) =

x , falls x rational

0 , falls x irrational

g ist stetig bei 0, hat aber an jeder Stelle x , 0 eine Unstetigkeit 2.Art. Es

gibt namlich eine Folge (rn)n∈N aus Q ∩ (x,+∞) und eine Folge (xn)n∈N aus

R \ Q ∩ (x,+∞), die beide gegen x konvergieren (vgl. Beispiel 3.3.4). Nun ist

aber f (xn) = 0 → 0 und f (rn) = rn → x fur n → ∞. Nach (5.28) kann so-

mit limt→x+ f (t) nicht existieren. Ahnlich zeigt man, dass auch limt→x− f (t) nicht

existiert.

Sei

0 1−1−2−3

2

1

−2

−1

h

h(x) =

x + 2 , falls x ∈ (−3,−2)

−x − 2 , falls x ∈ [−2, 0)

x + 2 , falls x ∈ [0, 1)

Dann ist h stetig auf (−3, 1) \ {0} und hat bei 0 eine Sprungstelle.

Wir setzen den Begriff der Sinusfunktion (aus der Schule) voraus. Sei

0 1π

f

f (x) =

sin 1

x, x > 0

0 , x ≤ 0

Dann ist f stetig auf R \ {0} und hat eine Unstetigkeit 2.Art bei 0.

Es konnen also im Allgemeinen alle moglichen Varianten von Unstetigkeiten auftreten.

Thematisch dazu passend wollen wir uns der Fortsetzbarkeit von stetigen Funktio-

nen auf um einen Punkt großere Mengen zuwenden.

6.4.4 Bemerkung. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume und D ⊆ X, und sei

f : D→ Y eine stetige Funktion. Sei weiters x ∈ X \ D.

Wir fragen uns, ob wir eine Fortsetzung f : D ∪ {x} → Y von f finden konnen, die

die Eigenschaft stetig zu sein beibehalt.

Page 171: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.4. UNSTETIGKEITSSTELLEN 165

Wenn x kein Haufungspunkt von D ist, so sieht man leicht, dass x ein isolierter

Punkt von D ∪ {x} ist, und daher jede Fortsetzung f stetig ist.

Sei also x ein Haufungspunkt von D. Gibt es eine stetige Fortsetzung f , so muss

nach Proposition 6.1.4 f (x) = limt→x f (t). Existiert umgekehrt limt→x f (t), so setze

man

f (s) =

limt→x f (t) , falls s = x

f (s) , falls s ∈ D

Klarerweise ist f eine Fortsetzung von f . Wegen Proposition 6.1.4, (ii), ist f bei x

stetig. Andererseits ist wegen Fakta 6.1.3 mit f auch f bei allen t ∈ D stetig. Also ist f

eine auf D ∪ {x} stetige Fortsetzung.

6.4.5 Beispiel.

Seien a, b, c ∈ R, c ≤ 0, D = (−∞, 0) ∪ (0,+∞) und f : D → R definiert durch

f (x) = a fur x < 0 und f (x) = bx−c

fur x > 0. Dann gilt limt→0− f (t) = a und

limt→0+

f (t) =

− bc

, falls b , 0, c < 0

sgn(b) · ∞ , falls b , 0, c = 0

0 , falls b = 0

Aus Bemerkung 6.4.4 wissen wir, dass sich f genau dann zu einer Funktion

f : R → R fortsetzen lasst, wenn limt→0 f (t) existiert. Nach (5.28) existiert

dieser Grenzwert genau dann, wenn a = b = 0 oder b , 0, c , 0, a = − bc. Dabei

muss f (0) = 0 bzw. f (0) = a = − bc.

Die komplexwertige Funktion

f (z) =iz + 1

z3 + z

ist zunachst definiert auf D = {z ∈ C : z3 + z , 0} = C \ {0, i,−i}, dh. f :

D → C. Das zu Beispiel 6.1.10 analoge Beispiel fur komplexe Polynome zeigt

die Stetigkeit von f auf D. Zudem gilt wegen Fakta 5.3.8

limz→i

f (z) = limz→i

i(z − i)

z(z + i)(z − i)= lim

z→i

i

z(z + i)=

i

limz→i z(z + i)=

i

2i2= − i

2.

Somit lasst sich f stetig auf D = D ∪ {i} durch f (i) = − i2

fortsetzen.

Eine Fortsetzung auf eine noch großere Menge – etwa auf D ∪ {−i} – ist nicht

moglich, da dann auch limz→−i f (z) und wegen (5.9) auch limz→−i | f (z)| existieren

musste. Nun gilt aber ( vgl. Bemerkung 5.3.9)

limz→−i| f (z)| = lim

z→−i

1

|z| · |z + i| = +∞ ,

da fur den Nenner rechts limz→−i |z| · |z+ i| = (limz→−i |z|) · (limz→−i |z+ i|) = 0 gilt.

Page 172: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

166 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

6.5 Monotone Funktionen

6.5.1 Definition. Man sagt, dass fur ein Intervall I ⊆ R, eine Funktion f : I → Rmonoton wachsend ist, falls

x < y⇒ f (x) ≤ f (y) .

Gilt sogar x < y⇒ f (x) < f (y), so sagt man f sei streng monoton wachsend.

Analog sagt man, f sei monoton fallend, falls x < y ⇒ f (x) ≥ f (y). Sollte x < y

sogar f (x) > f (y) implizieren, so spricht von einer streng monoton fallenden Funktion.

Klarerweise ist eine streng monotone Funktion stets injektiv. Nun kommen wir zur

Diskussion der Unstetigkeitsstellen monotoner Funktionen.

6.5.2 Proposition. Sei f monoton wachsend auf einem reellen Intervall I, wobei a, b ∈R ∪ {−∞,+∞}, a < b die Intervallrander bezeichnet.

Dann existieren fur jeden Punkt x ∈ (a, b) sowohl f (x−) := lims→x− f (s) als auch

f (x+) := limt→x+ f (t), wobei4

supa<s<x

f (s) = f (x−) ≤ f (x) ≤ f (x+) = infx<t<b

f (t). (6.4)

Ist x = a ∈ I (x = b ∈ I), so gilt die rechte (linke) Seite von (6.4). Weiters gilt fur x < y

immer f (x+) < f (y−).

Analoge Aussagen gelten fur monoton fallende Funktionen.

Beweis. Wir beschranken uns auf x ∈ (a, b). Den Fall der Intervallrander betrachtet

man in analoger Weise.

Der Beweis folgt unmittelbar aus (5.10), da die Grenzwerte in (6.4) ja Grenzwerte

monotoner und beschrankter Netze sind.

Die Ungleichung in (6.4) folgt leicht aus der Tatsache, dass jeder Punkt aus { f (s) :

s ∈ (a, x)} kleiner oder gleich f (x) und f (x) kleiner oder gleich jedem Punkt aus { f (t) :

t ∈ (x, b)} ist.

Der zweite Teil der Behauptung folgt aus

limt→x+

f (t) = infx<t<b

f (t) = infx<t<y

f (t), lims→y−

f (s) = supa<s<y

f (s) = supx<s<y

f (s).

6.5.3 Korollar. Sei I ⊆ R ein Intervall, f : I → R eine monoton wachsende Funktion

und J = f (I).

� Das Bild ist genau dann ein Intervall, wenn f stetig ist.

� Ist f streng monoton wachsend, so ist f −1 : J → I auch streng monoton wach-

send. Dabei enthalt I genau dann seinen linken (rechten) Intervallrand, wenn J

sein Infimum (Supremum) enthalt – also J ein Minimum (Maximum) hat.

� Ist f streng monoton wachsend und stetig, so ist auch f −1 : J → I streng mono-

ton wachsend und stetig.

Entsprechende Aussagen gelten fur (streng) monoton fallende Funktionen.

4Insbesondere konnen in (a, b) nur Unstetigkeitsstellen 1.Art auftreten.

Page 173: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.5. MONOTONE FUNKTIONEN 167

x1

f (x1) = f (x1−)

f (x1+)

x2

= f (x2−)

f (x2)

= f (x2+)

f (x3−)

f

x3

f (x3+)

f (x3)

Abbildung 6.3: Veranschaulichung monotoner Funktionen

Beweis.

� Ist f stetig, so ist wegen Korollar 6.2.6 auch f (I) ein Intervall.

Angenommen f ist nicht stetig an einem x ∈ I, das zunachst nicht ein Intervall-

rand von I sei. Wegen (6.4) muss lims→x− f (s) < limt→x+ f (t). Es folgt

f (τ) ≤ lims→x−

f (s) = f (x−), τ < x und f (τ) ≥ limt→x+

f (t) = f (x+), τ > x .

f (x)

f (x−)

f (x+)

Also kann f keine Werte im Inter-

vall(f (x−), f (x+)

)bis auf unter

Umstanden einen - namlich f (x) -

annehmen.

Ist x der linke Intervallrand von I, so muss nach (6.4) f (x) < limt→x+ f (t). Somit

folgt ( f (x), limt→x+ f (t)) ∩ J = ∅. Entsprechend argumentiert man im Fall des

rechten Randes. Jedenfalls ist J kein Intervall.

� Wegen der strengen Monotonie ist f injektiv. Ist x, y ∈ J, x < y, und gilt f −1(x) ≥f −1(y), so folgt wegen der vorausgesetzten Monotonie von f der Widerspruch

x = f ( f −1(x)) ≥ f ( f −1(y)) = y; also gilt f (x) < f (y), womit f −1 : J → I streng

monoton wachsend ist.

Enthalt I seinen linken Rand5 a, so folgt aus der Monotonie, dass f (a) ≤ f (t), t ∈I, und somit dass f (a) Minimum von J ist.

Hat J = f (I) das Minimum y, so folgt aus der Monotonie von f −1, dass f −1(y) ≤f −1(x), x ∈ J, und somit dass f −1(y) Minimum von I ist; also a = f −1(y) ∈ I.

5I ist daher von der Form [a, a], [a, b], [a, b), [a,+∞) mit b ∈ R, b > a.

Page 174: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

168 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

� Ist f stetig, so ist J ein Intervall und die streng monoton wachsende Funktion

f −1 : J → I hat als Bild genau das Intervall I. Nach dem ersten Punkt muss

daher auch f −1 stetig sein.

Wir werden spater dieses Korollar verwenden, um z.B. zu zeigen, dass der Loga-

rithmus eine stetige Funktion ist.

6.5.4 Beispiel. Die Funktion f : [0,+∞) → R definiert durch f (t) = tn fur ein fes-

tes n ∈ N ist stetig und streng monoton wachsend. Korollar 6.5.3 bietet uns nun ei-

ne weitere Moglichkeit, einzusehen, dass f −1 =√. von f ([0,+∞)) = [0,+∞) nach

[0,+∞) (⊆ R) stetig ist; vgl. Beispiel 6.1.16 und Beispiel 6.2.7.

Thematisch zu obigem Ergebnis passt das nachste Lemma, das aus dem Zwischen-

wertsatz folgt.

6.5.5 Lemma. Seien I, J ⊆ R zwei Intervalle und f : I → J stetig und bijektiv. Dann

ist f streng monoton wachsend oder fallend.

Beweis. Ware f weder streng monoton wachsend noch streng monoton fallend, so gibt

es x1 < x2 aus I mit f (x1) ≥ f (x2) und x3 < x4 aus I mit f (x3) ≤ f (x4). Weil f injektiv

ist, muss sogar f (x1) > f (x2) und f (x3) < f (x4). Daraus folgt, dass {x1, x2, x3, x4}zumindest drei Elemente hat.

Durch Fallunterscheidungen je nachdem, wie diese Punkte angeordnet sind, findet

man immer a < b < c aus {x1, x2, x3, x4}, sodass entweder f (a) < f (b), f (b) > f (c)

oder f (a) > f (b), f (b) < f (c). Man beachte, dass dabei wegen der Injektivitat alle drei

Werte f (a), f (b), f (c) untereinander verschieden sein mussen.

Im ersten Fall ist entweder f (a) ∈ ( f (c), f (b)) oder f (c) ∈ ( f (a), f (b)). Aus Korol-

lar 6.2.6 folgt daher f (a) = f (t) fur ein t ∈ (b, c) bzw. f (c) = f (t) fur ein t ∈ (a, b), was

jedenfalls der Injektivitat widerspricht.

Im zweiten Fall argumentiert man entsprechend.

6.6 Gleichmaßige Konvergenz

Wir haben schon gesehen, dass z.B. die geometrische Reihe∑∞

n=0 zn fur jedes z ∈ C,

|z| < 1, konvergiert. Betrachtet man diese Reihe nicht nur fur ein festes vorgegebenes

z, sondern fur alle z, so hat man eine Reihe, deren Summanden Funktionen von z sind,

und deren Summe ebenfalls eine Funktion von z, namlich 11−z

ist.

Betrachten wir also eine Folge ( fn)n∈N von Funktionen, die definiert ist, zum Bei-

spiel, auf einer Menge E ⊆ R und die, zum Beispiel, reelle Werte annimmt. Wir wurden

gerne erklaren, was es bedeutet, dass diese Folge gegen eine Funktion f konvergiert.

Um einen vernunftigen Grenzwertbegriff zu bekommen, definieren wir eine Metrik,

und zwar eine Metrik auf einer Menge von Funktionen f : E → R. Aber man kann in

diesem konkreten Fall auch naiver an die Sache herangehen. Ist ( fn)n∈N, fn : E → R,

eine Folge von Funktionen, dann ist fur jedes feste x ∈ E sicher ( fn(x))n∈N eine Folge

von Zahlen, und fur diese wissen wir, was es bedeutet zu konvergieren.

Page 175: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.6. GLEICHMASSIGE KONVERGENZ 169

6.6.1 Definition. Sei ∅ , E eine Menge und 〈Y, dY〉 ein metrischer Raum. Eine Folge

( fn)n∈N, fn : E → Y, heißt punktweise konvergent gegen die Funktion f : E → Y, wenn

fur jedes feste x ∈ E gilt limn→∞ fn(x) = f (x).

Entsprechend definiert man die punktweise Konvergenz von Netzen von Funktio-

nen.

Es entsteht die Frage, ob sich Eigenschaften wie etwa die fundamentale Eigenschaft

der Stetigkeit der Funktionen fn auf die Grenzfunktion f ubertragen. Die folgenden

Beispiele illustrieren, dass in dieser Angelegenheit etwas schiefgehen kann.

6.6.2 Beispiel.

Betrachte die Funktionen gn : [0, 1] → R, definiert durch gn(x) := xn, n ∈ N.

Bekannterweise gilt

limn→∞

gn(x) =

{0 , falls x ∈ [0, 1)

1 , falls x = 1

Jede der Funktionen gn ist eine stetige Funktionen auf [0, 1], nicht jedoch die

Grenzfunktion.

Betrachte die Funktionen fn : R → R, definiert durch fn(x) := x2

(1+x2)n . Dann ist

fur jedes x , 0∞∑

n=0

x2

(1 + x2)n

eine konvergente geometrische Reihe. Ihre Summe ist 1 + x2, x , 0.

Fur x = 0 sind alle Summanden = 0, also auch ihre Summe. Man erhalt

∞∑

n=0

fn(x) =

{1 + x2 , falls x , 0

0 , falls x = 0

Alle Funktionen fn, und damit auch alle Partialsummen obiger Reihe sind stetige

Funktionen von x ∈ R, nicht jedoch die Grenzfunktion.

Die punktweise Konvergenz von Funktionen ist also nicht stark genug, um etwa die

Eigenschaft der Stetigkeit zu erhalten.

6.6.3 Definition. Sei ∅ , E eine Menge und 〈Y, dY〉 ein metrischer Raum. Wir bezeich-

nen mit B(E, Y) die Menge aller beschrankten Funktionen f : E → Y, d.h.

B(E, Y) :={f : E → Y : ∃R > 0, y ∈ Y : ∀x ∈ E ⇒ dY ( f (x), y) ≤ R

}.

Man definiert nun die Abbildung

d∞ :

{B(E, Y) × B(E, Y) → R

( f , g) 7→ sup{dY ( f (x), g(x)) : x ∈ E}

und spricht von der Supremumsmetrik6.

6Identifiziert man Rp mit der Menge aller Funktionen von {1, . . . , p} nach R, so stimmt auf Rp die Supre-

mumsmetrik hier mit der aus Beispiel 3.1.5, (ii), uberein.

Page 176: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

170 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

d∞( f , g) ist in der Tat eine reelle Zahl, da es wegen f , g ∈ B(E, Y) reelle R1,R2 > 0

und y1, y2 ∈ Y gibt, sodass dY( f (x), y1) ≤ R1 und dY(g(x), y2) ≤ R2 und somit

dY ( f (x), g(x)) ≤ dY( f (x), y1) + dY (y1, y2) + dY (y2, g(x)) ≤ R1 + dY (y1, y2) + R2

fur alle x ∈ E gilt. Also ist die nichtleere Teilmenge {dY( f (x), g(x)) : x ∈ E} von Rnach oben beschrankt.

d∞( f , g)

E

f

g

| f − g|

Fur reellwertige Funktionen

f , g : E → R = Y

ist dY(x, y) = |x − y|und daher

d∞( f , g) = supx∈E | f (x) − g(x)|.

6.6.4 Lemma. Die Supremumsmetrik d∞ ist eine Metrik auf der Menge B(E, Y).

Beweis. Fur f , g ∈ B(E, Y) ist {dY ( f (x), g(x)) : x ∈ E} eine nichtleere Teilmenge von

[0,+∞), wodurch d∞( f , g) ≥ 0. Dabei gilt offenbar d∞( f , g) = sup{dY ( f (x), g(x)) : x ∈E} = 0 genau dann, wenn {dY( f (x), g(x)) : x ∈ E} = {0} – also genau dann, wenn

dY( f (x), g(x)) = 0 fur jedes x ∈ E. Letzteres ist aber zu f (x) = g(x), x ∈ E – also f = g

aquivalent.

Aus dY( f (x), g(x)) = dY (g(x), f (x)) folgt d∞( f , g) = d∞(g, f ). Ist h eine weitere

Funktion, so gilt fur festes x ∈ E

dY( f (x), g(x)) ≤ dY ( f (x), h(x)) + dY (h(x), g(x)) ,

und daher auch

dY( f (x), g(x)) ≤ supt∈E

dY ( f (t), h(t)) + supt∈E

dY (h(t), g(t)) = d∞( f , h) + d∞(h, g) .

Da diese Beziehung fur jedes x ∈ E gilt, folgt auch d∞( f , g) = supx∈E dY ( f (x), g(x)) ≤d∞( f , h) + d∞(h, g).

6.6.5 Definition. Eine Folge ( fn)n∈N von Funktionen aus B(E, Y) heißt gleichmaßig

konvergent gegen f , wenn limn→∞ fn = f bezuglich d∞, d.h. wenn

∀ǫ > 0 ∃N ∈ N : d∞( fn, f ) ≤ ǫ, n ≥ N, (6.5)

oder aquivalent dazu ∀ǫ > 0 ∃N ∈ N : d∞( fn, f ) < ǫ, n ≥ N.

Entsprechend definiert man die gleichmaßige Konvergenz von Netzen von Funk-

tionen.

Page 177: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.6. GLEICHMASSIGE KONVERGENZ 171

E

fn, n ≥ N

f

f + ǫ

f − ǫ

Abbildung 6.4: Veranschaulichung der gleichmaßigen Konvergenz

6.6.6 Bemerkung. Ist f ∈ B(E, Y) und g irgendeine Funktion von E → Y mit der

Eigenschaft, dass supt∈E dY ( f (t), g(t)) < ∞, so folgt aus der Dreiecksungleichung, dass

auch g eine beschrankte Funktion ist.

Ist daher ( fn)n∈N eine Folge aus B(E, Y), und gilt supt∈E dY( fn(t), g(t))→ 0, so folgt

g ∈ B(E, Y) und fn → g gleichmaßig.

Der Unterschied zwischen punktweiser und gleichmaßiger Konvergenz liegt darin

begrundet, dass man ein N finden muss, das fur alle x ∈ E funktioniert.

In der Tat gilt d∞( fn, f ) ≤ ǫ ⇔ ∀x ∈ E ⇒ dY( fn(x), f (x)) ≤ ǫ, und somit ist (6.5)

aquivalent zu

∀ǫ > 0∃N ∈ N∀x ∈ E : dY( fn(x), f (x)) ≤ ǫ, n ≥ N ,

wogegen punktweise Konvergenz bedeutet

∀x ∈ E ∀ǫ > 0∃N ∈ N : dY( fn(x), f (x)) ≤ ǫ, n ≥ N .

Insbesondere sehen wir, dass jede gleichmaßig konvergente Folge auch punktweise

konvergiert, und zwar zur gleichen Grenzfunktion.

6.6.7 Beispiel. Betrachte nochmals die reellwertigen Funktionen gn(x) := xn, n ∈ N,nun definiert fur x ∈ [0, 1), vgl. Beispiel 6.6.2. Wir wissen schon, dass gn punkt-

weise gegen die Nullfunktion auf [0, 1) konvergiert. Dabei gilt wegen xn < 1 fur

x ∈ [0, 1), n ∈ N, und wegen limx→1− xn = 1, dass

d∞(gn, 0) = supx∈[0,1)

dR(gn(x), 0) = supx∈[0,1)

|xn| = 1.

Also d∞(gn, 0) 6→ 0 fur n → ∞, d.h. (gn)n∈N konvergiert nicht gleichmaßig gegen die

Nullfunktion.

6.6.8 Beispiel. Sei η ∈ (0, 1) fest, und betrachte die Funktionenfolge gn(x) = xn, n ∈ N,

auf dem Intervall [0, η]. Klarerweise konvergiert auch diese eingeschrankte Funktio-

nenfolge punktweise gegen die Nullfunktion auf [0, η]. Nun folgt aber wegen

d∞(gn, 0) = supx∈[0,η]

dR(gn(x), 0) = supx∈[0,η]

|xn| = ηn,

Page 178: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

172 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

x

gn(x)

0 12

η 1

12

1 n = 1

n = 3

n = 7

n = 13

Abbildung 6.5: Graph der Funktionen gn fur ausgewahlte n ∈ N

dass d∞(gn, 0) → 0 fur n → ∞. Also konvergiert gn sogar gleichmaßig gegen die

Nullfunktion.

6.6.9 Beispiel. Man untersuche die Funktionenfolge fn(x) := nxe−12

nx2

, x ∈ [0,∞),

n ∈ N, auf gleichmaßige Konvergenz. Dabei greifen wir der Definition der Funktion

x 7→ ex fur x ∈ R weiter hinten vor. Wir verwenden auch die Tatsache, dass ye−y → 0

fur y → +∞. Weiters verwenden wir die Differentialrechnung zur Bestimmung

von Extrema. Da dieses Beispiel nur zum besseren Verstandnis des Begriffes der

gleichmaßigen Konvergenz dient und spater nicht verwendet wird, sind diese Vorgriffe

gerechtfertigt.

Zunachst sei bemerkt, dass fur alle n ∈ N die Funktion fn(x) stetig ist und fn(x) ≥ 0

fur x ∈ [0,∞). Eine getrennte Untersuchung der Falle x , 0 und x = 0 liefert punktwei-

se Konvergenz fn(x)→ f (x) ≡ 0 fur n→ ∞. Um ( fn)n∈N auf gleichmaßige Konvergenz

gegen die Funktion f (x) ≡ 0 zu untersuchen, betrachtet man die Supremumsmetrik

d∞( fn, 0) = supx∈[0,∞)

dR( fn(x), 0) = supx∈[0,∞)

| fn(x)|.

Da fur jedes n ∈ N die Funktion fn(x) nicht negativ ist, fn(0) = 0 und limx→∞ fn(x) = 0

gilt, folgt, dass fn(x) sogar ein Maximum in [0,∞) annimmt. Um das Maximum zu

berechnen, ist Satz 7.2.2 hilfreich. Fur jedes n ∈ N ist fn(x) beliebig oft differenzierbar,

und setzt man die erste Ableitung gleich Null, so erhalt man

f ′n(x) = ne−12

nx2 − n2x2e−12

nx2

= e−12

nx2

(n − n2x2) = 0 ⇔ x =±1√

n.

Also ist x = 1√n

die einzige Nullstelle der ersten Ableitung, die in [0,∞) enthalten ist.

Wegen limx→∞ fn(x) = 0 folgt daher, dass das Maximum der Funktion fn(x) an der

Stelle x = 1√n

liegt. Somit ergibt sich fur die Supremumsmetrik

d∞( fn, 0) = supx∈[0,∞)

| fn(x)| = maxx∈[0,∞)

| fn(x)| = fn( 1√

n

)=

n√

ne−

12 .

Daraus folgt d∞( fn, 0) 6→ 0 fur n → ∞, d.h. ( fn)n∈N konvergiert nicht gleichmaßig

gegen die Nullfunktion.

Page 179: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.6. GLEICHMASSIGE KONVERGENZ 173

x

fn(x)

0 1 2 312

32

52

72

1

2

3

4

5

6

7 n = 1

n = 5

n = 20

n = 120

Abbildung 6.6: Graph der Funktionen fn fur ausgewahlte n ∈ N

6.6.10 Beispiel. Sei η > 0 und betrachtet man die Funktionenfolge fn(x) := nxe−12

nx2

,

n ∈ N, auf dem Intervall [η,∞). Aus dem vorigen Beispiel wissen wir bereits, dass die

Funktion fn(x) fur x > 1√n

monoton fallend ist. Wegen

∀δ > 0 ∃n0 ∈ N : δ >1√

n∀n ≥ n0

gibt es ein n0 ∈ N, sodass 1√n< [η,∞) fur alle n ≥ n0. Daher ergibt sich fur n ≥ n0 in

diesem Fall fur die Supremumsmetrik

d∞( fn, 0) = supx∈[η,∞)

| fn(x)| = maxx∈[η,∞)

| fn(x)| = fn(η) = nηe−12

nη2

.

Also folgt d∞( fn, 0) → 0 fur n → ∞, d.h. ( fn)n∈N konvergiert gleichmaßig gegen die

Nullfunktion.

Gleichmaßige Konvergenz sichert nun – wie wir auch spater immer wieder feststel-

len werden – , dass sich Grenzubergange gutmutig verhalten.

6.6.11 Lemma. Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum und 〈Y, dY〉 ein vollstandig metrischer

Raum, ∅ , E ⊆ X, und seien f , fn ∈ B(E, Y), n ∈ N. Weiters sei (xk)k∈N eine Folge in

E.

Ist die Folge ( fn)n∈N auf E gleichmaßig konvergent gegen f , und existiert fur jedes

n ∈ N der Grenzwert

limk→∞

fn(xk) = An ,

dann konvergieren die Folgen (An)n∈N und ( f (xk))k∈N in Y und zwar gegen denselben

Grenzwert. Also gilt

limk→∞

limn→∞

fn(xk) = limn→∞

limk→∞

fn(xk).

Beweis. Sei ǫ > 0 gegeben. Da ( fn)n∈N → f bezuglich d∞, ist ( fn)n∈N in B(E, Y) eine

Cauchy-Folge. Es existiert also ein N ∈ N, sodass fur n,m ≥ N und alle t ∈ E gilt

dY( fn(t), fm(t)) ≤ ǫ.

Page 180: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

174 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

Halt man n und m fest und lasst man t die Folge (xk)k∈N durchlaufen, so folgt mit

Lemma 3.2.10 und Lemma 3.3.1 die Beziehung dY (An, Am) ≤ ǫ. Damit ist (An)n∈N eine

Cauchy-Folge in Y und daher konvergent, limn→∞ An =: A. Nun gilt

dY ( f (xk), A) ≤ dY ( f (xk), fn(xk)) + dY( fn(xk), An) + dY(An, A).

Wahle n so groß, dass fur alle t ∈ E und insbesondere fur alle t = xk

dY ( f (t), fn(t)) < ǫ und dY(An, A) < ǫ.

Fur dieses n existiert ein k0 ∈ N, sodass aus k ≥ k0 die Ungleichung dY( fn(xk), An) < ǫ

folgt. Insgesamt erhalten wir

dY ( f (xk), A) < 3ǫ, k ≥ k0.

6.6.12 Bemerkung. Wir werden spater eine Verallgemeinerung dieses Lemmas fur Net-

ze zeigen. Der Beweis davon wird im Wesentlichen derselbe sein.

6.6.13 Korollar. Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum und 〈Y, dY〉 ein vollstandig metrischer

Raum, ∅ , E ⊆ X, und seien f , fn ∈ B(E, Y), n ∈ N, sodass ( fn)n∈N auf E gleichmaßig

gegen f konvergiert.

Sind die Funktionen fn alle stetig bei einem x ∈ E, so ist es auch f . Sind alle fn auf

ganz E stetig, so ist es auch f .

Beweis. Sei x ∈ E und sei (xk)k∈N eine Folge mit xk

k→∞−→ x. Aus Lemma 6.6.11 folgt

limk→∞

f (xk) = limk→∞

limn→∞

fn(xk) = limn→∞

limk→∞

fn(xk) = limn→∞

fn(x) = f (x).

Nach Proposition 6.1.4 ist f bei x stetig.

6.6.14 Bemerkung. Nach Lemma 5.1.13 erhalt man, dass die Menge Cb(E, Y) aller

beschrankten und stetigen Funktionen von E → Y eine abgeschlossene Teilmenge

von B(E, Y) versehen mit der Metrik d∞ ist. Dabei ist E Teilmenge eines metrischen

Raumes.

6.6.15 Satz. Ist ∅ , E eine Menge und 〈Y, dY〉 ein vollstandig metrischer Raum, so ist

〈B(E, Y), d∞〉 ebenfalls ein vollstandig metrischer Raum.

Somit konvergiert eine Folge ( fn)n∈N von Funktionen aus B(E, Y) genau dann

gleichmaßig, wenn es zu jedem ǫ > 0 ein N ∈ N gibt, sodass fur alle n,m ≥ N und

beliebiges x ∈ E gilt

dY( fn(x), fm(x)) ≤ ǫ. (6.6)

Beweis. Klarerweise ist eine konvergente Folge ( fn)n∈N von Funktionen aus B(E, Y)

eine Cauchy-Folge. Diese Tatsache gilt ja in allen metrischen Raumen.

Sei nun umgekehrt die Cauchy-Bedingung erfullt. Man beachte, dass (6.6) fur alle

x ∈ E zu d∞( fn, fm) ≤ ǫ aquivalent ist.

Page 181: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.7. REELL- UND KOMPLEXWERTIGE FOLGEN UND REIHEN 175

Es folgt, dass insbesondere fur jedes einzelne x die Folge ( fn(x))n∈N eine Cauchy-

Folge in Y und daher konvergent ist. Also existiert der Grenzwert limn→∞ fn(x) punkt-

weise auf E. Wir setzen

f (x) := limn→∞

fn(x).

Wir mussen nun noch zeigen, dass f beschrankt ist und dass die Konvergenz sogar

gleichmaßig stattfindet.

Sei ǫ > 0 gegeben und wahle N ∈ N so, dass dY ( fn(x), fm(x)) ≤ ǫ fur alle n,m ≥ N

und alle x ∈ E. Halt man x fest und lasst m→ ∞ streben, so folgt fur n ≥ N

dY ( fn(x), f (x)) ≤ ǫ.

Da x beliebig war, folgt d∞( fn, f ) ≤ ǫ, n ≥ N, d.h. fn → f gleichmaßig und mit

Bemerkung 6.6.6 ist f beschrankt.

6.7 Reell- und komplexwertige Folgen und Reihen

6.7.1 Definition. Ist Y = R oder Y = C und ∅ , E eine Menge, dann setzt man fur

f : E → Y

‖ f ‖∞ := supx∈E| f (x)| (∈ [0,+∞])

und spricht von der Supremumsnorm.

Unmittelbar uberpruft man, dass fur f , g : E → Y

� ‖ f ‖∞ < +∞⇔ f ∈ B(E,R) bzw. f ∈ B(E,C)

� ‖ f ‖∞ ≥ 0 und ‖ f ‖∞ = 0⇔ f = 0.

Fur f , g ∈ B(E,R) bzw. f , g ∈ B(E,C) gilt zudem

� d∞( f , g) = ‖ f − g‖∞ und ‖ f ‖∞ = d∞( f , 0), wobei 0 hier die konstante Nullfunk-

tion ist.

� ‖λ · f ‖∞ = |λ| · ‖ f ‖∞ fur λ ∈ R bzw. λ ∈ C,

� ‖ f + g‖∞ ≤ ‖ f ‖∞ + ‖g‖∞,

� ‖ f · g‖∞ ≤ ‖ f ‖∞ · ‖g‖∞.

6.7.2 Korollar. Sind ( fn)n∈N, (gn)n∈N Folgen von Funktionen ausB(E,R) bzw. B(E,C),

die gleichmaßig gegen f bzw. g konvergieren, so gilt

limn→∞

fn + gn = f + g, limn→∞

fn · gn = f · g ,

und zwar gleichmaßig. Insbesondere gilt limn→∞ λ · fn = λ · f fur alle λ ∈ R bzw. λ ∈ C.

Beweis. Wir beweisen exemplarisch nur die zweite Aussage. Es gilt

d∞( fngn, f g) = ‖ fngn − f g‖∞ ≤ ‖gn‖∞ · ‖ fn − f ‖∞ + ‖ f ‖∞ · ‖gn − g‖∞ .

Als konvergente Folge ist (gn)n∈N beschrankt, d.h. ‖gn‖∞ = d∞(gn, 0) ≤ C, n ∈ N.

Somit konvergiert d∞( fngn, f g) gegen Null.

Page 182: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

176 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

6.7.3 Definition. Fur n ∈ N sei fn : E → R (C).

� Man sagt, die Reihe∑∞

n=1 fn konvergiert punktweise, wenn fur jedes x ∈ E die

Reihe∑∞

n=1 fn(x) in R (C) konvergiert.

� Ist fn ∈ B(E,R) (∈ B(E,C)), n ∈ N, so heißt∑∞

n=1 fn gleichmaßig konvergent,

wenn die Folge(∑N

n=1 fn(.))

N∈Nvon Partialsummen gleichmaßig konvergiert.

� Die Reihe∑∞

n=1 fn konvergiert absolut als Funktionenreihe, wenn die Reihe∑∞n=1 ‖ fn‖∞ konvergiert.

Klarerweise impliziert die absolute Konvergenz von∑∞

n=1 fn als Funktionenreihe

die absolute Konvergenz von∑∞

n=1 fn(x) fur jedes x ∈ E. Wir haben aber auch folgendes

Ergebnis:

6.7.4 Korollar (Weierstraß-Kriterium). Sei ( fn)n∈N eine Folge von beschrankten reell-

bzw. komplexwertigen Funktionen auf einer Menge E , ∅. Ist∑∞

n=1 fn absolut konver-

gent als Funktionenreihe, so ist diese Funktionenreihe auch gleichmaßig konvergent.∑∞n=1 fn ist sicher dann absolut konvergent, und somit auch gleichmaßig konvergent,

wenn es Mn ∈ R, Mn ≥ 0, n ∈ N gibt, fur die∑∞

n=1 Mn konvergiert, sodass

‖ fn‖∞ ≤ Mn, n ∈ N .

Beweis. Nach dem Majorantenkriterium in Lemma 3.9.8 folgt aus der Konvergenz von∑∞n=1 Mn die von

∑∞n=1 ‖ fn‖∞.

Ist nun letztere Reihe konvergent, so ist die Folge(∑N

n=1 ‖ fn‖∞)

N∈Nvon Partialsum-

men eine Cauchy-Folge in R. Es gibt somit zu ǫ > 0 ein N ∈ N, sodass fur k,m ≥ N

gilt∑m

n=k+1 ‖ fn‖∞ ≤ ǫ. Fur solche m, k folgt auch∥∥∥∥∥∥∥

m∑

n=k+1

fn

∥∥∥∥∥∥∥∞

≤m∑

n=k+1

‖ fn‖∞ ≤ ǫ .

Also ist(∑N

n=1 fn)

N∈Neine Cauchy-Folge in B(E,R) (B(E,C)), und nach Satz 6.6.15

konvergent. Somit ist∑∞

n=1 fn gleichmaßig konvergent.

Die meisten Konvergenzkriterien fur Reihen kann man so anpassen, dass sie auch

fur Reihen von Funktionen anwendbar sind. Wir wollen das hier aber nicht weiter

ausfuhren.

Ein bedeutendes Beispiel fur Reihen von Funktionen sind die sogenannten Potenz-

reihen.

6.7.5 Definition. Sind an ∈ C oder auch nur an ∈ R fur n ∈ N ∪ {0}, und ist z ∈ C, so

nennt man die komplexwertige Reihe – ob konvergent oder nicht –

∞∑

n=0

anzn

eine Potenzreihe7. Als Konvergenzradius wollen wir die Zahl R ∈ [0,+∞] mit

R = sup

|z| : z ∈ C,∞∑

n=0

anzn ist konvergent

(6.7)

7Praktischerweise ist hier bei den Potenzreihen in Analogie zu den Polynomen z0 als 1 definiert auch

wenn z Null sein sollte.

Page 183: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.7. REELL- UND KOMPLEXWERTIGE FOLGEN UND REIHEN 177

bezeichnen8.

6.7.6 Beispiel. Wir sind solchen Reihen schon begegnet, z.B. sind die geometrische

Reihe∑∞

n=0 zn und die Exponentialreihe∑∞

n=0zn

n!Potenzreihen.

Erstere konvergiert genau fur |z| < 1 und hat somit Konvergenzradius 1. Die Expo-

nentialreihe konvergiert fur alle z ∈ C und hat somit Konvergenzradius+∞.

6.7.7 Satz. Sei∑∞

n=0 anzn eine Potenzreihe und R ihr Konvergenzradius.

(i) Fur jedes z ∈ C mit |z| > R ist∑∞

n=0 anzn divergent.

(ii) Fur jedes z ∈ C mit |z| < R ist∑∞

n=0 anzn sogar absolut konvergent. Insbesondere

ist

R = sup

|z| : z ∈ C,∞∑

n=0

anzn ist absolut konvergent

. (6.8)

(iii) Fur jedes r ∈ [0,R) ist∑∞

n=0 anzn auf dem abgeschlossenen Kreis Kr(0) = {z ∈ C :

|z| ≤ r} absolut konvergent als Funktionenreihe. Die Funktion

z 7→∞∑

n=0

anzn, z ∈ Kr(0) ,

ist dabei eine stetige und beschrankte Funktion auf Kr(0).

Re

Im

C

r

R−R

Abbildung 6.7: Konvergenzradius

(iv) Auf UR(0) = {z ∈ C : |z| < R} ist z 7→ ∑∞n=0 anzn eine stetige Funktion9.

8Da fur z = 0 die Reihe immer absolut konvergiert, ist diese Menge nicht leer.9Im Allgemeinen ist sie aber nicht mehr beschrankt

Page 184: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

178 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

(v) Der Konvergenzradius lasst sich durch die Koeffizienten an unmittelbar bestim-

men durch10

R =1

lim supn→∞n√|an|

.

Gilt dabei an , 0 fur alle hinreichend großen n, so gilt auch

1

lim supn→∞ | an+1

an| ≤ R ≤ 1

lim infn→∞ | an+1

an| . (6.9)

Beweis.

(i) Folgt sofort aus (6.7).

(ii) Folgt aus dem nachsten Punkt.

(iii) Nach (6.7) gibt es ein komplexes z0 mit r < |z0| ≤ R, sodass∑∞

n=0 anzn0

konvergiert.

Somit ist die Summandenfolge eine Nullfolge; insbesondere gilt |anzn0| ≤ C, n ∈ N

fur ein C > 0. Fur |z| ≤ r < |z0| rechnet man

|anzn| = |anzn0| ·

∣∣∣∣∣z

z0

∣∣∣∣∣n

≤ C ·∣∣∣∣∣

r

z0

∣∣∣∣∣n

.

Wegen∣∣∣∣ rz0

∣∣∣∣ < 1 konvergiert∑∞

n=0 C∣∣∣∣ rz0

∣∣∣∣n

.

Die Partialsummen∑N

n=0 anzn, N ∈ N, sind Polynome und damit stetig. Da Kr(0)

kompakt ist (vgl. Beispiel 5.2.7), sind diese Partialsummen auf Kr(0) beschrankt.

Aus dem Weierstraßschen Kriterium (Korollar 6.7.4) angewandt auf E = Kr(0)

folgt die absolute Konvergenz als Funktionenreihe und somit die gleichmaßige

Konvergenz der entsprechenden Funktionenfolge von Partialsummen auf Kr(0)

gegen eine beschrankte Funktion. Nach Korollar 6.6.13 ist die Grenzfunktion so-

gar stetig auf E = Kr(0).

(iv) Betrachtet man z 7→ ∑∞n=0 anzn auf UR(0), so ist auch dies eine stetige Funktion.

In der Tat ist die Stetigkeit eine lokale Eigenschaft (siehe Fakta 6.1.3), und man

kann zu jedem komplexen z mit |z| < R ein δ > 0 und ein r ∈ [0,R) finden, sodass

Uδ(z) ⊆ Kr(0).

(v) Fur jedes z ∈ C mit |z| < 1

lim supn→∞n√|an |

gilt lim supn→∞n√|anzn| = |z| ·

lim supn→∞n√|an| < 1. Nach dem Wurzelkriterium, Satz 3.10.1, ist

∑∞n=0 anzn kon-

vergent. Gemaß (6.7) folgt

1

lim supn→∞n√|an|≤ R .

Ware 1

lim supn→∞n√|an|

< R, so wahle z ∈ C mit 1

lim supn→∞n√|an|

< |z| < R. Wegen

(ii) konvergiert die Potenzreihe. Andererseits sieht man ahnlich wie oben, dass

lim supn→∞n√|anzn| > 1, und mit dem Wurzelkriterium, Satz 3.10.1, folgt die Di-

vergenz der Potenzreihe. Also muss auch

1

lim supn→∞n√|an|≥ R .

Analog beweist man (6.9) mit Hilfe des Quotientenkriteriums.

10Ist die Folge (n√|an |)n∈N nicht nach oben beschrankt, so sei 1

lim supn→∞n√|an |= 0.

Page 185: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.7. REELL- UND KOMPLEXWERTIGE FOLGEN UND REIHEN 179

6.7.8 Beispiel. Das Konvergenzverhalten einer Potenzreihe ist durch den obigen Satz

relativ gut abgeklart. Einzig uber die Punkte mit |z| = R, wo R der Konvergenzradius ist,

hat man keine Aussage. Es konnen hier tatsachlich auch alle Falle eintreten. Betrachte

dazu die Potenzreihen∞∑

n=0

zn,

∞∑

n=0

zn

nund

∞∑

n=0

zn

n2.

Alle haben Konvergenzradius 1. Jedoch ist∑∞

n=0 zn fur |z| = 1 divergent,∑∞

n=0zn

n2 absolut

konvergent und∑∞

n=0zn

n(nicht absolut) konvergent, außer bei z = 1, wo sie divergiert.

6.7.9 Korollar. Sei f (z) :=∑∞

n=0 anzn eine Potenzreihe und ihr Konvergenzradius sei

R > 0.

� Verschwinden nicht alle an, so gibt es ein δ ∈ (0,R), sodass f (z) , 0 fur z ∈Uδ(0) \ {0}.

� Sei∑∞

n=0 bnzn eine weitere Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Gibt es eine

Menge E ⊆ Umin(R,R)(0), die Null als Haufungspunkt hat und sodass∑∞

n=0 anzn =∑∞n=0 bnzn fur alle z ∈ E, so folgt an = bn, n ∈ N ∪ {0} und damit R = R.

Beweis. Sei n0 ∈ N ∪ {0} der erste Index, sodass an0, 0. Wegen den Rechenregeln

fur Reihen konvergiert∑∞

n=0 anzn genau dann, wenn g(z) =∑∞

n=0 an+n0zn es tut, wobei

im Fall der Konvergenz zn0 g(z) = f (z). Letztere ist also auch eine Potenzreihe mit

Konvergenzradius R.

Wegen g(0) = an0, 0 und wegen der Stetigkeit von g auf UR(0) gibt es ein δ ∈

(0,R), sodass |g(z) − g(0)| < |an0| und somit g(z) , 0 fur z ∈ Uδ(0). Also ist auch

f (z) , 0 fur z ∈ Uδ(0) \ {0}.Um die zweite Aussage zu zeigen, betrachte man die Potenzreihe

h(z) =∑∞

n=0(an − bn)zn, die zumindest fur |z| < min(R, R) konvergiert und damit

einen Konvergenzradius ≥ min(R, R) hat. Nach Voraussetzung und den Rechenregeln

fur Reihen folgt h(z) = 0, z ∈ E. Da 0 ein Haufungspunkt von E ist, widerspricht das

aber der ersten Aussage, außer an − bn = 0, n ∈ N.

6.7.10 Bemerkung. Ist |z| < R, so folgt aus Korollar 3.9.3

∞∑

n=0

an(z)n =

∞∑

n=0

anzn . (6.10)

Insbesondere folgt aus an ∈ R, n ∈ N, und z = x ∈ R, dass auch∑∞

n=0 anxn ∈ R.

Ist umgekehrt∑∞

n=0 anxn ∈ R fur alle x ∈ R, |x| < R, so folgt aus (6.10), dass die

Potenzreihen (beide mit Konvergenzradius R)

∞∑

n=0

anzn,

∞∑

n=0

anzn

fur z ∈ R ∩ UR(0) ubereinstimmen. Aus Korollar 6.7.9 folgt an = an, also an ∈ R.

Page 186: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

180 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

6.7.11 Bemerkung. Ublicherweise werden auch Reihen der Form

∞∑

n=0

an(z − z0)n (6.11)

fur ein festes z0 als Potenzreihen bezeichnet. Die hergeleiteten Aussagen fur Potenz-

reihen stimmen sinngemaß offensichtlich auch fur solche Reihen. Dabei ist z.B. der

Bereich der Konvergenz UR(z0) mit entsprechend definiertem Konvergenzradius.

Funktionen f : D → C mit offenem D ⊆ C heißen analytisch in einem Punkt

z0 ∈ D, falls es eine offene Kugel Ur(z0) ⊆ D mit r > 0 und eine Potenzreihe der

Form (6.11) gibt, sodass r kleiner oder gleich dem Konvergenzradius der Reihe ist und

sodass f (z) fur alle z ∈ Ur(z0) mit dem Grenzwert der Reihe (6.11) ubereinstimmt, f

also lokal um z0 als Grenzwert einer Potenzreihe dargestellt werden kann.

Ist f um jedes z0 ∈ D analytisch, so heißt f analytisch.

6.8 Die Exponentialfunktion

Wir wollen jetzt einige der sogenannten elementaren Funktionen betrachten. Grundlage

fur alle diese ist die Exponentialfunktion

exp(z) =

∞∑

n=0

zn

n!, z ∈ C . (6.12)

Wir haben schon gesehen, dass diese Reihe fur alle z ∈ C konvergiert. Sie ist also eine

Potenzreihe mit Konvergenzradius+∞. Insbesondere ist exp : C→ C stetig.

Weitere wichtige elementare Funktionen sind sin und cos.

6.8.1 Definition. Fur z ∈ C seien

cos z =exp(iz) + exp(−iz)

2, sin z =

exp(iz) − exp(−iz)

2i,

die sogenannten trigonometrischen Funktionen Cosinus und Sinus.

Als Zusammensetzung von stetigen Funktionen sind cos : C→ C und sin : C→ Cauf C stetig (siehe Lemma 6.1.6 und Korollar 6.1.8).

6.8.2 Lemma. Fur alle z ∈ C gilt

cos z =

∞∑

k=0

(−1)k z2k

(2k)!, sin z =

∞∑

k=0

(−1)k z2k+1

(2k + 1)!.

Also sind cos und sin Grenzfunktionen von Potenzreihen11 mit Konvergenzradius +∞.

11Ganz genau genommen ist eine Reihe der Bauart∑∞

k=0 ckz2k keine Potenzreihe, da sie nicht von der

Form∑∞

n=0 anzn ist. Setzt man aber a2k = ck fur k ∈ N ∪ {0} und an = 0 fur ungerade n, so uberzeugt man

sich leicht davon, dass∑∞

k=0 ckz2k genau dann konvergiert, wenn∑∞

n=0 anzn es tut, wobei die Grenzwerte

dieser Reihen dann ubereinstimmen. Entsprechendes gilt fur Reihen der Bauart∑∞

k=0 ckz2k+1

Page 187: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.8. DIE EXPONENTIALFUNKTION 181

Beweis. Fur gerade n = 2k gilt in + (−i)n = 2i2k = 2(−1)k, und fur ungerade n = 2k + 1

gilt in + (−i)n = 0. Aus den Rechenregeln fur Reihen folgt somit

exp(iz) + exp(−iz)

2=

∞∑

n=0

in + (−i)n

2

zn

n!=

∞∑

k=0

(−1)k z2k

(2k)!.

Analog leitet man die Potenzreihenentwicklung fur sin her.

6.8.3 Satz. Sei z,w ∈ C und x, y ∈ R. Dann gilt

(i) exp(z) , 0, exp(z + w) = exp(z) exp(w) und exp(−z) = 1exp(z)

. Schließlich ist

(exp z)n = exp(zn), n ∈ Z.

(ii) exp(iz) = cos z + i sin z. Allgemeiner gilt die Formel von de Moivre:

(cos z + i sin z)n = cos(nz) + i sin(nz), n ∈ Z.

(iii) exp(z) = exp(z), cos(z) = cos(z), sin(z) = sin(z).

Insbesondere sind exp |R, cos |R, sin |R Funktionen, die R nach R abbilden.

(iv) cos y = Re exp(iy), sin y = Im exp(iy) und exp(x + iy) = exp(x)(cos y + i sin y),

wobei exp(x) ∈ R.

Re

Im

−1 1

−i

i

i sin y

cos y

exp(iy) =

cos y + i sin y

0

exp(x)

exp(x + iy) =

exp(x)(cos y + i sin y)

exp(x) cos y

i exp(x) sin y

Abbildung 6.8: Darstellung der Lage von exp(x + iy)

(v) Die Funktion exp eingeschrankt auf die reelle Achse ist eine streng monoton

wachsende, bijektive Funktion von R auf R+ mit exp(0) = 1. Insbesondere gilt

limx→+∞

exp(x) = +∞, limx→−∞

exp(x) = 0. (6.13)

(vi) | exp(z)| = exp(Re z). Insbesondere gilt | exp(z)| = 1⇔ Re z = 0 und

(cos y)2 + (sin y)2 = 1.

(vii) cos(−z) = cos z und sin(−z) = − sin z.

Page 188: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

182 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

(viii) Es gelten die Summensatze fur Sinus und Cosinus

cos(z + w) = cos z cos w − sin z sin w, sin(z + w) = sin z cos w + cos z sin w .

Beweis.

(i) exp(z + w) = exp(z) exp(w) haben wir in Beispiel 5.4.12 gesehen. Die beiden

nachsten Aussagen folgen aus exp(−z) · exp(z) = exp(0) = 1. Schließlich folgt

(exp z)n = exp(zn), n ∈ N, durch vollstandige Induktion, und fur n ∈ Z wegen

exp(−zn) = 1exp(zn)

.

(ii) exp(iz) = cos z + i sin z folgt leicht durch Nachrechnen, und daraus

(cos z + i sin z)n = (exp iz)n = exp(inz) = cos(nz) + i sin(nz).

(iii) Da die Koeffizienten in den Potenzreihenentwicklungen reell sind, folgt die Aus-

sage sofort aus Bemerkung 6.7.10.

(iv) Folgt aus (i) und (ii), da nach dem letzten Punkt exp(x), cos y, sin y ∈ R.

(v) Fur x > 0 folgt aus der Tatsache, dass alle Koeffizienten in der Potenzreihe (6.12)

von exp strikt positiv sind, immer exp(x) > 1+ x > 1. Klarerweise ist exp(0) = 1.

Fur x < 0 folgt aus (i), dass 1exp(x)

= exp(−x) > 1 − x > 1 und somit exp(x) ∈(0, 1), exp(x) < 1

1−x.

Aus diesen Abschatzungen schließen wir sofort auf (6.13). Aus x < y ergibt sich

wegen

exp(y) = exp(x + (y − x)) = exp(x) · exp(y − x) > exp(x)

die Tatsache, dass exp(x) streng monoton wachsend ist.

Nun ist exp(x) : R → R+ stetig. Somit muss wegen Korollar 6.5.3 exp(R) ein

offenes Intervall sein, das wegen (6.13) aber nur (0,+∞) = R+ sein kann.

(vi) Aus

| exp(z)|2 = exp(z) exp(z) = exp(z) exp(z) = exp(z+ z) = exp(2 Re z) = exp(Re z)2

und aus der Tatsache, dass | exp(z)| und exp(Re z) positive reelle Zahlen sind,

folgt | exp(z)| = exp(Re z). Weiters gilt (cos y)2 + (sin y)2 = | cos y + i sin y|2 =| exp(iy)|2 = exp(0) = 1.

(vii) Folgt aus der jeweiligen Potenzreihenentwicklung, da nur gerade bzw. nur unge-

rade Potenzen vorkommen.

(viii) Man setze die Definition von sin und cos ein und rechne die Gleichheit nach.

Wie wir unter anderem gerade gesehen haben, ist exp : R→ R+ eine Bijektion.

6.8.4 Definition. Mit ln : R+ → R wollen wir die Inverse von exp : R → R+ bezeich-

nen und sprechen vom naturlichen Logarithmus bzw. vom Logarithmus naturalis.

Aus Satz 6.8.3, Korollar 6.5.3 und durch elementares Nachrechnen folgt sofort

Page 189: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.8. DIE EXPONENTIALFUNKTION 183

x

y

−3 −2 −1 1 2 30

1

4

3

2

−1

y = exp(x)

Abbildung 6.9: Funktionsgraph der reellen Exponentialfunktion

x

y

−1 1 2 3 4 5 60

3

2

1

−1

−2

−3

y = ln(x)

Abbildung 6.10: Logarithmus naturalis

6.8.5 Korollar. Die Funktion ln : R+ → R ist eine stetige und streng monoton wach-

sende Bijektion. Es gilt

limx→0+

ln x = −∞, limx→+∞

ln x = +∞ ,

sowie

ln(xy) = ln x + ln y, x, y > 0, ln(xn) = n ln x, x > 0, n ∈ Z .

Beachte, dass wir den Logarithmus nur fur reelle Werte definiert haben. Dies ist

kein Zufall; will man den Logarithmus auch fur komplexe Werte definieren, trifft man

auf Schwierigkeiten ganz essentieller Natur (vgl. Vorlesung zur Komplexen Analysis).

Wir konnen nun mit Hilfe der Exponentialfunktion die bisher nur fur rationale b

definierten Ausdrucke ab auch fur beliebige b ∈ R einen Sinn geben.

Page 190: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

184 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

6.8.6 Korollar. Fur a ∈ R+ und b ∈ Q gilt ab = exp(b ln a).

Setzen wir ab durch exp(b ln a) auf ganz (a, b) ∈ R+ × R fort, so gilt (a, a1, a2 ∈R+, b, b1, b2 ∈ R)

ab1+b2 = ab1 · ab2 , (a1a2)b = ab1 · ab

2 .

Beweis. Ist b =p

q∈ Q mit p ∈ Z, q ∈ N, so ist exp(b ln a) nach Satz 6.8.3 eine positive

reelle Zahl mit der Eigenschaft, dass

(exp(b ln a))q = exp(bq ln a) = exp(p ln a) = exp(ln ap) = ap .

Also ist exp(b ln a) =q√

ap.

Die Funktionalgleichungen folgen aus denen von exp und ln.

6.8.7 Bemerkung.

Als Zusammensetzung der stetigen Funktionen exp, ln und · ist (a, b) 7→ ab auf

(a, b) ∈ R+ × R stetig (vgl. Beispiel 6.1.7).

Die Funktion exp kann nun selbst mit dieser Notation als allgemeine Potenz

angeschrieben werden. Sei dazu e := exp(1), die Eulersche Zahl. Dann gilt nach

der Definition der allgemeinen Potenz

ex = exp(x ln e) = exp(x ln exp(1)︸ ︷︷ ︸

=1

)= exp(x) .

6.8.8 Bemerkung. Wir haben schon festgestellt, dass die Eulersche Exponentialfunkti-

on eine ganz zentrale Rolle spielt. Daher wird auch die reelle Zahl e ein interessantes

Objekt sein. Dazu wollen wir hier bemerken, dass man die Eulersche Zahl e, neben

ihrer Definition als e := exp(1) =∑∞

n=01n!

auch in vielfacher Weise anders charakteri-

sieren kann. Zum Beispiel kann man zeigen, dass

e = limn→∞

(1 +

1

n

)nbzw. ez = lim

n→∞

(1 +

z

n

)n,

gilt.

Diese Formel gibt auch Anlass zu alternativen Definitionen der Funktion exp(x),

namlich als ex. Dafur muss man allerdings die allgemeine Potenz zuerst – ohne Ver-

wendung von exp – definieren. Dies kann so geschehen, dass man von der Funktionq√

ap : R+ × Q → R+ ausgeht und diese mittels stetiger Fortsetzung zu einer Funktion

R+ × R→ R+ macht.

Wie aus der Schule bekannt, ist eine der wichtigsten Naturkonstanten die Zahl π.

Mit Hilfe der Funktion cos kann man nun die Existenz dieser Zahl mit all ihren wich-

tigen Eigenschaften herleiten.

6.8.9 Lemma.

Fur t ∈ [0, 2] und n ∈ N gilt tn

n!≥ tn+2

(n+2)!.

Die Funktion cos : R→ R hat eine kleinste positive Nullstelle x0, die im Intervall

(0, 2) liegt.

Fur x0 gilt sin x0 = 1.

Page 191: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.8. DIE EXPONENTIALFUNKTION 185

Beweis.

Durch Umformen ist die zu beweisende Ungleichung aquivalent zu

(n + 2)(n + 1) ≥ t2, und somit richtig.

Wir betrachten die Potenzreihenentwicklung von cos in Lemma 6.8.2 und stellen

sofort cos 0 = 1 fest. Da man in Reihen Klammern setzen darf, folgt aus dem

letzten Punkt

cos 2 = 1 − 22

2+

24

4!−∞∑

l=1

(24l+2

(4l + 2)!− 24l+4

(4l + 4)!

)≤ 1 − 22

2+

24

4!= −1

3.

Nach dem Zwischenwertsatz Korollar 6.2.6 hat t 7→ cos t im Intervall (0, 2) si-

cher eine Nullstelle x.

Nach Proposition 6.1.12 ist die Menge N = {t ∈ R : cos t = 0} = (cos |R)−1({0})und daher auch N∩[0,+∞) abgeschlossen. In Beispiel 5.1.14 haben wir gesehen,

dass N ∩ [0,+∞) ein Minimum hat, welches wegen cos 0 = 1 sicher nicht 0 ist.

Also gibt es eine kleinste positive Nullstelle x0 von t 7→ cos t.

(sin x0)2 = 1 folgt aus (cos x0)2 + (sin x0)2 = 1; vgl. Satz 6.8.3. Nun ist aber

wegen des ersten Punktes

sin x0 =

∞∑

l=0

x4l+1

0

(4l + 1)!−

x4l+30

(4l + 3)!

≥ 0,

und somit sin x0 = 1.

6.8.10 Definition. Die Zahl π sei jene positive reelle Zahl, sodass π2

die kleinste posi-

tive Nullstelle von cos : R→ R ist.

x

y

− π2

π2− 3π

23π2

−π π−2π 2π0

−1

1

y = sin(x)

y = cos(x)

Abbildung 6.11: Funktionsgraphen des reellen Sinus und Cosinus

6.8.11 Satz.

(i) exp(±i π2) = ±i, exp(±iπ) = −1, exp(±2iπ) = 1.

Page 192: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

186 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

(ii) cos(± π2) = 0, cos(±π) = −1, cos(±2π) = 1,

sin(± π2) = ±1, sin(±π) = 0, sin(±2π) = 0.

(iii) exp(z+ 2kπi) = exp(z), sin(z+ 2kπ) = sin(z), cos(z+ 2kπ) = cos(z), z ∈ C, k ∈ Z. .

(iv) exp(z) = 1 ⇐⇒ ∃k ∈ Z : z = 2kπi (⇔ z ∈ 2πiZ).

(v) cos z = 0⇔ ∃k ∈ Z : z = π2+ πk, und sin z = 0⇔ ∃k ∈ Z : z = πk.

(vi) Es gilt exp(C) = C \ {0}, wobei exp(z) = exp(ζ)⇔ z − ζ ∈ 2πiZ.

Beweis.

(i) Wegen Satz 6.8.3 und Lemma 6.8.9 gilt exp(i π2) = cos π

2+ i sin π

2= i. Der Rest

folgt aus Satz 6.8.3, (i).

(ii) Folgt aus (i), indem man Real- und Imaginarteil betrachtet.

(iii) exp(z + 2kπi) = exp(z) · exp(2πi)k = exp(z). Daraus folgen durch Einsetzen von

Definition 6.8.1 die restlichen Aussagen.

(iv) Sei exp(z) = 1 gegeben. Aus Satz 6.8.3 wissen wir, dass damit Re z = 0 und damit

z = 0 + iy fur ein y ∈ R. Klarerweise ist y = η + 2lπ fur ein eindeutiges l ∈ Z und

η ∈ [0, 2π)12. Aus (iii) folgt exp(iη) = exp(iy) = 1.

Angenommen η , 0. Schreibe

exp(iη

4) = cos

η

4+ i sin

η

4=: u + iv mit u, v ∈ R .

Dabei ist wegen 0 <η

4< π

2, und der Definition von π

2, sicherlich u , 0. Im Fall

v = 0 ware exp(iη

4) = u = ±1 und somit

exp(i(π

2− η

4))=

exp(i π2)

exp(iη

4)=

i

±1= ±i .

Also ist α = π2− η

4eine reelle Nullstelle von cos mit α ∈ (0, π

2) im Widerspruch

zur Definition von π2. Also muss v , 0. Klarerweise gilt auch

1 = exp(iη) = (u + iv)4 =[u4 − 6u2v2 + v4] + i

[4uv(u2 − v2)

].

Die rechte Zahl ist genau dann reell, wenn u2 − v2 = 0. Wegen u2 + v2 = 1 ist das

aquivalent zu u2 = v2 = 12. Dann ist aber u4 − 6u2v2 + v4 = −1 , 1.

(v) Es ist cos z = 0 genau dann, wenn exp(iz) = − exp(−iz) = exp(iπ − iz), also

wenn exp(2iz − iπ) = 1. Dieses tritt genau dann ein, wenn 2iz−iπ2πi∈ Z, d.h. wenn

z ∈ π2+ πZ. Analog bestimmt man die Nullstellen des Sinus.

(vi) Sei w ∈ C, w , 0, gegeben. Da exp(x) eine Bijektion von R auf R+ ist, gibt es ein

x ∈ R mit exp(x) = |w|. Schreibe wexp x= u + iv mit u, v ∈ R.

Klarerweise ist u2 + v2 = 1. Insbesondere gilt u ∈ [−1, 1]. Wegen cos 0 = 1 und

cosπ = −1 gibt es nach dem Zwischenwertsatz (Korollar 6.2.6) ein t ∈ [0, π] mit

u = cos t.

12Fur l nehme man das Maximum von {k ∈ Z : 2kπ ≤ y}.

Page 193: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.8. DIE EXPONENTIALFUNKTION 187

Aus u2 + v2 = 1 = (cos t)2 + (sin t)2 folgt v2 = (sin t)2. Ist v = sin t, so setze y = t.

Sonst muss v = − sin t, und dann setze man y = −t. In jedem Falle ist cos y = u

und sin y = v und somit

w = exp(x)(cos y + i sin y) = exp(x + iy) .

Ist exp(z) = exp(ζ), so folgt 1 = exp(z − ζ), also z − ζ ∈ 2πiZ.

Jede komplexe Zahl w , 0 lasst sich gemaß Satz 6.8.11 als exp(z) schreiben. Wahlt

man z so, dass 0 ≤ Im z < 2π, so ist nach Satz 6.8.11, (v), z eindeutig bestimmt. Also

ist exp : R × [0, 2π)→ C \ {0} bijektiv.

−1 1

Im z

0

12πi−1 +1

2πi 1 +1

2πi

πi−1 +πi 1 +πi

32πi−1 +3

2πi 1 +3

2πi

2πi−1 +2πi 1 +2πi

Re z

14πi

exp(z) = w

Re w

Im w

1 = exp(0) = exp(2πi)

exp(πi) = −1

exp( 12πi) = i

exp( 32πi) = −i

1√2(1 + i) = exp( 1

4πi)

e = exp(1)exp(1 + πi) = −e

exp(1 + 12πi) = ie

exp(1 + 32πi) = −ie

0

Abbildung 6.12: Exponentialfunktion als Abbildung von C auf C \ {0}

6.8.12 Definition. Ist zu einem gegebenen w ∈ C \ {0} das komplexe z ∈ R ×[0, 2π) ⊆ (C) die eindeutige Losung von exp(z) = w, und setzt man r = exp(Re z)

und t = Im z, so erhalt man

w = exp(Re z) exp(i Im z) = r(cos t + i sin t) .

Somit ist (r, t) 7→ r(cos t + i sin t) eine Bijektion T : R+ × [0, 2π) → C \ {0}. Das Paar

(r, t) nennt man dabei die Polarkoordinaten von w.

Betrachtet man (r, t) 7→ r(cos t + i sin t) als Abbildung von [0,+∞) × [0, 2π), so

erreicht man alle komplexen w – auch w = 0 – zu dem Preis, dass diese Abbildung

dann nicht mehr injektiv ist.

6.8.13 Bemerkung.

Wegen Satz 6.8.11, (iii), kann dabei auch das Intervall [0, 2π) durch irgendein

halboffenes Intervall der Lange 2π, z.B. (−π, π], ersetzen.

Offensichtlich ist T : R+ × [0, 2π) → C \ {0} als Zusammensetzung von

stetigen Funktionen selbst stetig. Die Umkehrung ist nicht stetig: Es gilt

Page 194: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

188 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

limn→∞ exp(−i 1n) = 1, aber

limn→∞

T−1(exp(−i1

n)) = lim

n→∞(1, 2π − 1

n) = (1, 2π) , (1, 0) = T−1(1) .

Nimmt man statt [0, 2π) z.B. das Intervall [a, a + 2π), so treten entsprechende

Probleme beim Winkel a auf.

Nimmt man den kritischen Winkel aus, so sind die Polarkoordinaten in beide Rich-

tungen stetig.

6.8.14 Proposition (*). Die Abbildung

T : R+ × (a, a + 2π)→ C \ {r exp(ia) : r ∈ [0,+∞)}

ist bijektiv, und T und T−1 sind stetig.

Beweis. Es bleibt die Stetigkeit von T−1 : D := C \ {r exp(ia) : r ∈ [0,+∞)} →R+ × (a, a + 2π) zu zeigen. Dazu sei limn→∞ zn = z ∈ D fur eine Folge aus D. Somit

konnen wir

zn = rn exp(iαn), n ∈ N, z = r exp(iα) ,

mit rn, r ∈ (0,+∞) und αn, α ∈ (a, a + 2π) schreiben. Wegen rn = |zn|, r = |z| folgt

rn → r.

Ist (αn(k))k∈N eine Teilfolge, so hat diese wegen der Kompaktheit von [a, a + 2π]

eine gegen ein β ∈ [a, a+ 2π] konvergente Teilfolge (αn(k(l)))l∈N. Somit ware wegen der

Stetigkeit von T

exp(iβ) = liml→∞

exp(iαn(k(l))) = liml→∞

zn(k(l))

rn(k(l))

=z

r= exp(iα) ,

und nach Satz 6.8.11 β − α ∈ 2πZ. Also folgt α = β und nach Lemma 5.2.11 gilt

αn → α.

6.8.15 Bemerkung. Wir sehen nun auch, dass es fur n ∈ N immer n viele n-te Wurzeln

einer jeden Zahl w ∈ C \ {0} in C gibt:

Schreiben wir w in Polarkoordinaten w = r(cos t + i sin t), (r, t) ∈ R+ × [0, 2π), so

gilt fur ein ζ ∈ C

exp(ζ)n = w⇔ exp(nζ) = r(cos t + i sin t) = exp(ln(r) + it) .

Wegen Satz 6.8.11 ist das genau dann der Fall, wenn nζ = ln(r) + i(t + 2 jπ) fur ein

j ∈ Z. Da die Losungen der Gleichung zn = w nur in C \ {0} = exp(C) zu suchen sind,

erhalten wir mit

η j = exp

(ln(r) + i(t + 2 jπ)

n

)=

n√

r ·(cos

t + 2 jπ

n+ i sin

t + 2 jπ

n

)∈ C, j ∈ Z ,

genau alle Losungen dieser Gleichung. Wieder wegen Satz 6.8.11 sind aber nur

η0, . . . , ηn−1 paarweise verschieden, und fur j < {0, . . . , n − 1} stimmt η j mit einem

der η0, . . . , ηn−1 uberein.

Page 195: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.9. FUNDAMENTALSATZ DER ALGEBRA 189

6.9 Fundamentalsatz der Algebra

Als Anwendung der bisher entwickelten Stetigkeitstheorie wollen wir den Fundamen-

talsatz der Algebra beweisen. Zunachst benotigen wir ein Lemma.

6.9.1 Lemma. Ist p(z) ∈ C[z] vom Grad n, dh. p(z) = anzn + . . . + a0, an , 0,

ein komplexes Polynom, so hat |p(z)| ein Minimum, d.h. es gibt eine Zahl c ∈ C mit

|p(c)| ≤ |p(z)| fur alle z ∈ C.

Beweis. Wir haben in Beispiel 5.5.11 gesehen, dass limz→∞ |anzn + . . . + a0| = +∞.

Insbesondere gibt es eine Zahl R > 0, sodass |p(z)| ≥ |a0| = |p(0)|, z ∈ C mit |z| > R.

Die Kreisscheibe K := {z ∈ C : |z| ≤ R} ist kompakt, und |p(z)| ist, als Zusam-

mensetzung der stetigen Funktionen p und |.|, stetig auf K. Daher wird ein Minimum

angenommen, minz∈K |p(z)| = |p(c)| ≤ |p(0)|. Unsere Wahl von R sichert, dass

|p(c)| = minz∈C |p(z)|.❑

6.9.2 Satz (Fundamentalsatz der Algebra). Sei p(z) = a0 + · · · + anzn ein komplexes

Polynom vom Grad n. Dann existieren n nicht notwendigerweise verschiedene Zahlen

z1, . . . , zn ∈ C, sodass

p(z) = an

n∏

k=1

(z − zk) . (6.14)

Beweis.

Sei h(z) ein Polynom der Form h(z) = 1 + bzk + zkg(z) mit k ∈ N, b ∈ C \ {0}und einem Polynom g, wobei g(0) = 0. Wir zeigen die Existenz eines u ∈ C mit

|h(u)| < 1.

Dazu wahlen wir eine k-te Wurzel von − 1b

(vgl. Bemerkung 6.8.15), d.h. eine

Zahl d ∈ C mit bdk = −1. Fur t ∈ (0, 1] gilt

|h(td)| ≤ |1 − tk | + |tkdkg(td)| = 1 − tk + tk |dkg(td)| = 1 − tk(1 − |dkg(td)|) .

Wegen |dkg(td)| = 0 fur t = 0 folgt aus der Stetigkeit dieses Ausdruckes bei

0, dass |dkg(td)| ≤ 12

fur t ∈ (0, δ) mit einem δ > 0. Fur jedes solche t gilt

|h(td)| ≤ 1 − tk 12< 1.

Nun zeigen wir, dass jedes nichtkonstante Polynom f (z) eine Nullstelle in C hat.

Nach Lemma 6.9.1 gibt es ein c ∈ C, sodass | f (c)| = minz∈C | f (z)|. Ware f (c) , 0,

so betrachte

h(z) :=f (z + c)

f (c)= 1 + bkzk + bk+1zk+1 + . . . + bnzn, bk , 0 .

Nach dem ersten Beweisschritt existiert ein u ∈ C mit |h(u)| < 1 und daher

| f (u + c)| = |h(u)| · | f (c)| < | f (c)|

im Widerspruch zu | f (c)| = minz∈C | f (z)|.

Wir zeigen nun (6.14) durch Induktion nach dem Grad von p(z). Ist der Grad

eins, also p(z) = a1z + a0 mit a1 , 0, so ist p(z) = a1(z − (− a0

a1)).

Page 196: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

190 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

Stimme nun (6.14) fur alle Polynome vom Grad kleiner als n, sei p(z) vom Grad

n. Nach dem vorigen Beweisschritt hat p eine Nullstelle z1. Mittels Polynomdi-

vision und Einsetzen von z = z1 erhalt man p(z) = s(z)(z − z1). Das Polynom s

hat den gleichen Fuhrungskoeffizienten wie p und lasst sich nach Induktionsvor-

aussetzung in der angegebenen Weise faktorisieren.

6.9.3 Bemerkung. Funktionen f : R→ C der Bauart

f (t) =

N∑

n=−N

cn exp(itn) ,

fur ein N ∈ N und cn ∈ C, n = 0, . . . ,N nennt man trigonometrische Polynome.

Man sieht sofort, dass f (t) = exp(−iNt) · p(exp(it)), wobei p : C \ {0} → C

p(z) =

2N∑

n=0

cn−Nzn .

f ist stetig und 2π-periodisch. Weiters stimmen zwei trigonometrische Polynome ube-

rein, wenn das ihre Koeffizienten tun. Ist namlich

N∑

n=−N

cn exp(itn) =

M∑

n=−M

dn exp(itn) ,

wobei o.B.d.A. N ≥ M, so folgt∑N

n=−N(cn − dn) exp(itn) = 0, wobei wir d j = 0, M <

j ≤ N setzten. Es folgt q(exp(it)) = 0, t ∈ R, mit q(z) =∑2N

n=0(cn−N − dn−N)zn. Also

hat das Polynom q(z) unendlich viele Nullstellen und ist damit das Nullpolynom, d.h.

cn = dn, n = −N, . . . ,N.

Schließlich lasst sich jedes trigonometrische Polynom wegen

N∑

n=−N

cn exp(itn) =

N∑

n=−N

cn(cos nt+i sin nt) = c0+

N∑

n=1

(cn+c−n) cos nt+

N∑

n=1

(cn−ic−n) sin nt ,

in der Form

a0 +

N∑

n=1

an cos nt +

N∑

n=1

bn sin nt , (6.15)

schreiben. Umgekehrt lasst sich jede Funktion der Bauart (6.15) schreiben als

a0 +

N∑

n=1

an

exp(int) + exp(−int)

2+

N∑

n=1

bn

exp(int) − exp(−int)

2i=

−1∑

n=−N

a−n + ib−n

2exp(itn) + a0 +

N∑

n=1

an − ibn

2exp(itn) .

Somit ist (6.15) eine zweite Art trigonometrische Polynome darzustellen, wobei die

Koeffizienten in (6.15) ebenfalls eindeutig sind.

Page 197: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.10. WEITERE WICHTIGE ELEMENTARE FUNKTIONEN 191

6.10 Weitere wichtige elementare Funktionen

Die Funktion

tan : R \ {π2+ πn : n ∈ Z} → R, tan(x) =

sin x

cos x,

wird als Tangens und

cot : R \ {πn : n ∈ Z} → R, cot(x) =cos x

sin x,

als Cotangens bezeichnet.

x

y

− π2

− 3π2

−π−2π

π2

3π2

π 2π0

y = tan(x)

y = cot(x)

Abbildung 6.13: Tangens und Cotangens

Page 198: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

192 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

Betrachtet man tan eingeschrankt auf (− π2, π

2), so zeigt man elementar, dass tan die-

ses Intervall bijektiv auf R abbildet. Entsprechend bildet cot das Intervall (0, π) bijektiv

auf R ab. Die jeweiligen Umkehrfunktionen heißen arctan (Arcustangens) bzw. arccot

(Arcuscotangens).

x

y

−π π−2π 2π0

π2

− π2

y = arctan(x)

y = arccot(x)π

Abbildung 6.14: Arcustangens und Arcuscotangens

Man kann auch sin auf das Intervall [− π2, π

2] einschranken, und erhalt eine Bijektion

von [− π2, π

2] auf [−1, 1]. Die Umkehrfunktion davon heißt arcsin (Arcussinus). Entspre-

chend bildet cos das Intervall [0, π] bijektiv auf [−1, 1] ab. Die Umkehrfunktion davon

heißt arccos (Arcuscosinus).

x

y

−2 −1 1 20

π

π2

− π2

y = arcsin(x)

y = arccos(x)

Abbildung 6.15: Arcussinus und Arcuscosinus

Ahnlich wie sin und cos sind Sinus Hyperbolicus sinh und Cosinus Hyperbolicus

cosh definiert:

cosh z :=exp(z) + exp(−z)

2, sinh z :=

exp(z) − exp(−z)

2, z ∈ C .

Page 199: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.10. WEITERE WICHTIGE ELEMENTARE FUNKTIONEN 193

Die Werte von cosh z und sinh z liegen im allgemeinen in C. Fur reelle z = x liegen

cosh x und sinh x offensichtlich in R.

x

y

−3 −2 −1 1 2 30

1

4

3

2

−1

−2

−3

−4

y = sinh(x)

y = cosh(x)

Abbildung 6.16: Sinus Hyperbolicus und Cosinus Hyperbolicus

Da sinh : R → R bijektiv ist, hat er eine Inverse, die mit areasinh (Areasinus Hy-

perbolicus) bezeichnet wird. Die Funktion cosh eingeschrankt auf [0,+∞) bildet dieses

Intervall bijektiv auf [1,+∞) ab. Die entsprechende Umkehrfunktion von [1,+∞) auf

[0,+∞) heißt areacosh (Areacosinus Hyperbolicus).

Page 200: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

194 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

x

y

−6 −5 −4 −3 −2 −1 1 2 3 4 5 60

3

2

1

−1

−2

−3

y = areasinh(x)

y = areacosh(x)

Abbildung 6.17: Areasinus Hyperbolicus und Areacosinus Hyperbolicus

x

y

−2 −1 1 20

1

−1

y = tanh(x)

y = coth(x)

Abbildung 6.18: Tangens Hyperbolicus und Cotangens Hyperbolicus

Schließlich ist tanh : R→ R definiert durch tanh x = sinh xcosh x

, und coth : R \ {0} → Rdurch coth x = cosh x

sinh x.

Dabei bildet tanh die reellen Zahlen bijektiv auf (−1, 1) und coth die Menge R \ {0}bijektiv auf R \ [−1, 1]. Die entsprechenden Umkehrfunktion heißen areatanh (Area-

tangens Hyperbolicus) und areacoth (Areacotangens Hyperbolicus).

Page 201: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.11. ABELSCHER GRENZWERTSATZ* 195

x

y

2 4 6

−6 −4 −2

0

2

1

−1

−2

y = areatanh(x)

y = areacoth(x)

Abbildung 6.19: Areatangens Hyperbolicus und Areacotangens Hyperbolicus

6.11 Abelscher Grenzwertsatz*

Thematisch passt zu diesem Kapitel – insbesondere zum Begriff der Potenzreihe – der

sogenannte Abelsche Grenzwertsatz.

6.11.1 Satz. Sei P(z) =∑∞

j=0 a jzj eine Potenzreihe, R ihr Konvergenzradius mit 0 <

R < ∞. Weiters sei z0 ∈ C mit |z0| = R. Ist die Zahlenreihe s :=∑∞

j=0 a jzj

0konvergent,

so gilt

limt→1−

P(tz0) = s . (6.16)

Beweis. Sei |z| < R und

sn :=

n∑

j=0

a jzj

0, s := lim

n→∞sn .

Laut Voraussetzung existiert der Grenzwert s. Aus Lemma 3.10.5 folgt

n∑

j=0

a jzj =

n∑

j=0

(a jzj

0)

(z

z0

) j

=

(z

z0

)n

sn −n−1∑

j=0

s j(

(z

z0

) j+1

−(

z

z0

) j

) =

(z

z0

)n

sn +

(1 − z

z0

) n−1∑

j=0

s j

(z

z0

) j

.

Wegen(

zz0

)nsn → 0 konvergiert die Reihe auf der rechten Seite, und wir erhalten

P(z) =

∞∑

j=0

a jzj =

(1 − z

z0

) ∞∑

j=0

s j

(z

z0

) j

, |z| < R .

Andererseits folgt aus∑∞

j=0 ζj = 1

1−ζ fur |ζ | < 1, dass

s =

(1 − z

z0

) ∞∑

j=0

s

(z

z0

) j

.

Fur |z| < R und N ∈ N folgt

|P(z) − s| ≤∣∣∣∣∣1 −

z

z0

∣∣∣∣∣N∑

j=0

|s − s j|(

z

z0

) j

+

∣∣∣∣∣1 −z

z0

∣∣∣∣∣∞∑

j=N+1

|s − s j|(

z

z0

) j

Page 202: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

196 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

Ist nun ǫ > 0 und N fest und so groß, dass |s − s j| < ǫ, j > N, so ist das kleiner oder

gleich

∣∣∣∣∣1 −z

z0

∣∣∣∣∣N∑

j=0

|s − s j|(

z

z0

) j

+ ǫ

∣∣∣∣1 − zz0

∣∣∣∣

1 −∣∣∣∣ z

z0

∣∣∣∣. (6.17)

Ist z = tz0, t ∈ (0, 1), so sieht man, dass es ein t0 ∈ (0, 1) gibt, sodass fur t > t0 dieser

Ausdruck kleiner oder gleich 2ǫ ist. Da ǫ > 0 beliebig war, gilt (6.16).

6.11.2 Bemerkung. Mit einer etwas feineren Argumentationsweise lasst sich (6.16)

folgendermaßen verallgemeinern:

Nahert sich z nichttangentiell dem Punkt z0 an, so konvergiert P(z) gegen s. Das

bedeutet: Ist Nα, 0 < α < π der Winkelraum

Nα = {reiβ ∈ C : r > 0, β ∈ [−α, α]} ,

C

Re

Im

α

α

Abbildung 6.20: Winkelraum Nα

so gilt

limτ∈Nα, τ→0

P((1 − τ)z0

)= s . (6.18)

Um das einzusehen, bemerke man zunachst, dass fur τ = reiβ ∈ Nα mit r = |τ| ≤ cosα

|τ|1 − |1 − τ| =

|τ|(1 + |1 − τ|)1 − |(1 − τ)|2 ≤

2

2 cos β − r≤ 2

2 cosα − r≤ 2

cosα.

Nun folgt man dem Beweis von Satz 6.11.1 bis (6.17). Dann folgt mit z = (1−τ)z0, |τ| ≤cosα, τ ∈ Nα

|P(z) − s| ≤∣∣∣∣∣1 −

z

z0

∣∣∣∣∣N∑

j=0

|s − s j|(

z

z0

) j

+ ǫ2

cosα.

Fur |τ| → 0 konvergiert der erste Summand gegen Null. Also gibt es ein t0 ∈ (0, cosα),

sodass |P(z) − s| ≤ ǫ 3cos α

, wenn nur |τ| ≤ t0, τ ∈ Nα.

Da ǫ beliebig war, folgt (6.18).

Page 203: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.12. UBUNGSBEISPIELE 197

6.12 Ubungsbeispiele

6.1 Seien Rn, Rn × Rn� R2n und Rm versehen mit der euklidischen Metrik.

Zeigen Sie: Ist A eine m × n-Matrix, so ist die lineare Abbildung Rn → Rm, x 7→ Ax (hier

betrachte man x als ’stehenden’ und nicht als ’liegenden’ Vektor) stetig. Man zeige auch,

dass (Rn×Rn)→ Rn, (x, y) 7→ x+y und (R×Rn)→ Rn, (λ, x) 7→ λx (skalare Multiplikation)

stetig sind.

6.2 Sei f : R→ R definiert als

f (x) :=

0 , x irrational1n

, x rational, x = mn

mit ggT{m, n} = 1.

Zeige, dass f in jedem irrationalen Punkt stetig ist.

Hinweis: Zeigen Sie, dass es zu jeder irrationalen Zahl x und vorgegebenen ǫ > 0 ein

Intervall (x − δ, x + δ) gibt, sodass wennp

q∈ (x − δ, x + δ) ∩Q sicher 1

|q| < ǫ.

6.3 Seien f , g : X → Y zwei stetige Funktionen, wobei X,Y zwei metrische Raume sind. Man

zeige, dass, wenn f (t) = g(t) fur alle t ∈ D, wobei D dicht in X ist, sogar f (x) = g(x) fur

alle x ∈ X.

6.4 Betrachte die Funktion f : R2 → R, die definiert ist als f (x, y) := max{x, y}. Hierbei ist R2

versehen mit der euklidischen Metrik. Man zeige: f ist stetig.

Hinweis: Ein Moglichkeit ist, zunachst zu zeigen, dass max(x, y) =x+y+|x−y|

2.

6.5 An welchen Punkten ist die folgende Funktion stetig und welche Art von Unstetigkeit liegt

an den Unstetigkeitsstellen vor?

f (x) =

x2 , x ∈ [−1, 1],

x + 1 , x < −1,

x − 1 , x > 1.

Weiters bestimme man, fur welche Wahl von a, b ∈ R die folgende Funktion f : R → Rstetig ist:

f (x) =

(x − a)2 , x < −1,

1 − x2 , x ∈ [−1, 2],

bx3 + x , x > 2.

6.6 An welchen Punkten ist die folgende Funktion stetig und welche Art von Unstetigkeit liegt

an den Unstetigkeitsstellen vor?

f (x) =

x2 + 2x + 1 , − 1 ≤ x ≤ 0,

1 − x , sonst.

Weiters bestimme man, fur welche Wahl von a, b ∈ R die folgende Funktion f : R → Rstetig ist:

f (x) =

1 + x2 , x ≤ 1,

ax − x3 , 1 < x ≤ 2,

bx2 , x > 2.

6.7 Man betrachte folgende Funktion als Funktion von C\N nach C (beide mit der euklidischen

Metrik versehen), wobei N die Menge der Nullstellen des Nenners ist.

f (z) =z3 − 13z − 12

z3 + z2 + z + 1.

Man zeige, dass f stetig ist, und man gebe die maximale Teilmenge von C an, auf die sich

f stetig fortsetzen lasst.

Page 204: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

198 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

6.8 Man betrachte folgende Funktion als Funktion von C\N nach C (beide mit der euklidischen

Metrik versehen), wobei N die Menge der Nullstellen des Nenners ist.

f (z) =z3 + 2z2 − 13z + 10

z4 + 5z3 − z2 − 5z.

Man zeige, dass f stetig ist, und man gebe die maximale Teilmenge von C an, auf die sich

f stetig fortsetzen lasst.

6.9 Weisen Sie nach, dass eine Teilmenge I von R genau dann

∀x, y ∈ I, x < y⇒ [x, y] ⊆ I.

erfullt, wenn I eine der folgenden Formen hat

∅, (a, b), [a, b], (a, b], [a, b), (a,+∞), (−∞, a), [a,+∞), (−∞, a],R.

Hinweis: Fur die⇒ Richtung unterscheiden Sie, ob I nach oben (unten) beschrankt ist, und

ob in diesem Fall die Menge ihr Supremum (Infimum) enthalt oder nicht.

6.10 Gegeben sei ein Polynom p(x) = a0 + a1 x + . . . + an xn mit reellen Koeffizienten und an , 0.

Zeigen Sie:

Ist n ungerade, so hat p mindestens eine reelle Nullstelle.

Ist n gerade und a0an < 0, so hat p mindestens zwei verschiedene reelle Nullstellen.

6.11 Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum und x in X. Zeigen Sie mit Hilfe der Folgen-

Charakterisierung der Stetigkeit, dass eine Abbildung f = ( f1, . . . , fp) : X → Rp genau

dann in x stetig ist, wenn alle Komponentenfunktionen f j : X → R, j = 1, . . . , p, im Punkt

x stetig sind.

Anmerkung: f j kann man auch als π j ◦ f anschreiben; vgl. Beispiel 6.1.2.

6.12 Betrachten Sie die Funktion f : R2 → R definiert durch

f (x, y) =xy2

x2 + y4, (x, y) , (0, 0), f (0, 0) = 0.

Zeigen Sie, dass fur jeden eindimensionalen Unterraum D := {λ(x0, y0) : λ ∈ R} die Funkti-

on f |D stetig ist.

Hinweis: Es konnte hilfreich sein, zuerst zu zeigen, dass eine Folge (λn(x0, y0))n∈N in D

genau dann bzgl. d2 konvergiert, wenn (λn) in R konvergiert!

6.13 Mit der Notation aus dem vorherigen Beispiel zeige man, dass f : R2 → R nicht stetig ist.

Hinweis: Suchen spezielle, gegen (0, 0) konvergente Folge aus R2 \ {0}, fur die die Bildfolge

nicht gegen f (0, 0) konvergiert!

6.14 An welchen Punkten des Definitionsbereiches sind die Funktionen f : R2 → R3 und g :

R2 → R stetig, und warum bzw. warum nicht?

f (u, v) =

e−u

ev

sin(uv)

,

g(x, y) =x2y

x2 + y4, (x, y) , (0, 0), f (0, 0) = 0.

6.15 Fur n ∈ N, n ≥ 1 seien die Funktionen fn(x) auf (0, 1) definiert wie folgt:

fn(x) =

−n3 x + 2n2 , 0 < x < 1

2n,

nn+1

, 12n≤ x < 1.

.

Skizzieren Sie diese Funktionenfolge! Konvergiert diese Folge von Funktionen punktweise

oder sogar gleichmaßig? Wenn ja, wogegen? Berechnen Sie weiters die Flache an zwischen

der Funktion fn und der x-Achse! Wohin konvergiert die Folge dieser Flachen?

Page 205: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.12. UBUNGSBEISPIELE 199

6.16 Bestimmen Sie fur die folgenden Funktionenfolgen ( fn) die jeweilige Grenzfunktion f (x) =

limn→∞

fn(x). Konvergieren die Funktionenfolgen gleichmaßig auf D?

a) fn(x) =n

n2 + x2, D = R b) fn(x) =

xn

1 + xn, D = [0,∞)

6.17 Man zeige mit Hilfe der Potenzreihendarstellung von cos und sin, dass limt→0sin t−t

t2= 0,

limt→0cos t−1

t2= − 1

2. Weiters berechne man limt→0+ t(cos 1

t+ 1). Hier ist t immer so zu ver-

stehen, dass es in R lauft.

Hinweis: Hat eine Potenzreihe f (z) bei Null eine Nullstelle, so ist auchf (z)

zeine Potenzreihe

und daher (bei Null) stetig.

6.18 Zeigen Sie fur E , ∅ und fur beschrankte Abbildungen f , g : E → C, dass ‖ f + g‖∞ ≤‖ f ‖∞ + ‖g‖∞ sowie ‖ f · g‖∞ ≤ ‖ f ‖∞ · ‖g‖∞.

6.19 Ist die Funktionenreihe∑∞

n=1 fn auf E mit Werten in Y ∈ {R,C} nur punktweise, gleichmaßig

oder absolut als Funktionenreihe konvergent? Dabei ist

(i) E = R,Y = R, fn =cos nx+sin nx

n2

(ii) E = [−1, 1], Y = R, fn = (−1)n xn

(iii) E = [0, 1),Y = R, fn = xn

6.20 Ist die Funktionenreihe∑∞

n=1 fn auf E = {z ∈ C : |z − 2| > 2} mit Werten in Y = C nur

punktweise, gleichmaßig oder absolut als Funktionenreihe konvergent.

Hinweis: Um ‖ fn‖∞ nach unten abzuschatzen, setze man z = − 1n

ein.

6.21 Man beweise aus den aus der Vorlesung bekannten Tatsachen folgende Gleichungen (z,w ∈C):

cos(z + kπ) = (−1)k cos z, k ∈ Z,sin(z + kπ) = (−1)k sin z, k ∈ Z,cos( π

2− z) = sin z, sin( π

2− z) = cos z,

sin(−z) = − sin z, cos(−z) = cos z,

cos 2z = (cos z)2 − (sin z)2, sin 2z = 2 sin z cos z

6.22 Fur z ∈ C seien cosh z :=exp(z)+exp(−z)

2und sinh z :=

exp(z)−exp(−z)

2. Man gebe die Potenzreihen-

darstellung dieser Funktionen und ihren Konvergenzradius an.

Fur x ∈ R berechne man limx→+∞ sinh x, limx→−∞ sinh x, limx→+∞ cosh x, limx→−∞ cosh x,

und skizziere die Funktionsgraphen von cosh |R : R→ R, sinh |R : R→ R.

Man stelle auch cosh z mit Hilfe der cos Funktion und sinh z mit Hilfe der sin Funktion dar

(z ∈ C). Weiters bestimme man die z ∈ C, sodass cosh z = 0 und die z mit sinh z = 0.

6.23 Man zeige, dass sinh |R : R → R streng monoton wachsend ist, dass sinh |R(R) = R, und

dass die Inverse areasinh : R→ R mit ln(x +√

x2 + 1)

ubereinstimmt und stetig ist.

Hinweis: Um areasinh(x) = ln(x +√

x2 + 1)

zu zeigen, setzen Sie unbestimmt sinh t = x

und losen sie diese Gleichung.

Anmerkung: cosh |R : R → R hat nicht diese Eigenschaft. Schrankt man diese Funktion

auf [0,+∞) ein, dann gilt aber schon, dass cosh |[0,+∞) : [0,+∞)→ [1,+∞) streng monoton

wachsend und bijektiv ist. Ihre Inverse ist gegeben durch areacosh(x) := ln(x +√

x2 − 1).

6.24 Man rechne nach, dass sin s− sin t = 2 cos( s+t

2) sin( s−t

2). Weiters verwende man diese Tatsa-

che um zu zeigen, dass sin : [− π2, π

2] → [−1, 1] streng monoton wachsend und bijektiv ist.

Man zeichne eine Skizze der Umkehrfunktion arcsin : [−1, 1]→ [− π2, π

2] (Arcussinus).

6.25 Man bestimme alle sechsten Wurzeln von 1 in C auf zwei Arten: In Polarkoordinaten und in

der Real- und Imaginarteil Schreibweise.

Man berechne daraus cos( π3), sin( π

3).

Page 206: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

200 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

6.26 Sei f : [0, 2π)→ C gegeben durch f (t) = exp(it). Ist f stetig?

Zeigen Sie mit den Resultaten aus der Vorlesung: Betrachtet als Abbildung von [0, 2π) nach

T ist f bijektiv. Zeigen Sie auch, dass fur jedes β ∈ (0, 2π) die Abbildung f |−1[0,β]

: f ([0, β])→[0, β] ⊆ R stetig ist! Ist auch f −1 : T→ [0, 2π) ⊆ R stetig? Begrundung!

6.27 Sei E = N ∪ {0} und z ∈ C fest! Betrachte fn : E → C fur n ∈ N ∪ {0} definiert durch

fn(k) =1

kn

(k

n

)zn .

Zeigen Sie, dass∑∞

n=0 fn als Funktionenreihe absolut konvergiert! Berechnen Sie die Grenz-

funktion∑∞

n=0 fn.

Wenn Sie Lemma 6.6.11 (Vertauschung von Grenzwerten) auf die Funktionenfolge (mit

Folgenindex N ∈ N) der Partialsummen sN =∑N

n=0 fn und die Folge xk = k anwenden,

welche Gleichheit erhalten Sie dann?

6.28 Man betrachte fur x ∈ R \ Z,

f (x) =

∞∑

k=1

1

(x − k)2+

∞∑

k=1

1

(x + k)2+

1

x2,

und zeige, dass diese Funktion auf R \ Z wohldefiniert und stetig ist.

Hinweis: Fur die Stetigkeit betrachte man zunachst x ∈ [−K,K] fur ein K ∈ N und schreibe

f (x) =∑∞

k=K+11

(x−k)2 +∑∞

k=K+11

(x+k)2 +∑K

k=−K1

(x−k)2 . Man zeige, dass man auf die beiden

Reihen das Weierstraß Kriterium anwenden kann.

6.29 Sei f (x), x ∈ R \ Z die Funktion aus dem vorherigen Beispiel. Man betrachte fur x ∈ R \ Z,

g(x) =π2

sin2(πx)− f (x),

und zeige, dass diese Funktion auf R \ Z wohldefiniert und stetig ist. Weiters zeige man,

dass g eine stetige Fortsetzung auf R hat, welche 1-periodisch ist. Man bezeichne auch die

Fortsetzung mit g.

Weiters zeige man, dass g folgende Gleichung erfullt:

g

(x

2

)+ g

(x + 1

2

)= 4g(x),

und leite daraus ab, dass g(x) = 0, x ∈ R bzw. f (x) = π2

sin2(πx), x ∈ R \ Z.

Hinweis zu g = 0: Wende diese Funktionalgleichung auf xmax an, wobei xmax Maximum von

|g| ist.

6.30 Man zeige mit Hilfe der Potenzreihendarstellung von exp, dass limx→+∞exp(x)

xn = +∞ fur

beliebiges n ∈ N ∪ {0}. Man berechne daraus limx→−∞ xn exp(x), sowie limy→0+ y(ln y)n.

6.31 Man zeige: limn→∞(∑n

j=0z j

j!− (1 + z

n)n) = 0 gleichmaßig auf jeder beschrankten Teilmenge

der Form {z : |z| ≤ R} von C. Man leite daraus exp(z) = limn→∞(1 + zn)n (gleichmaßig auf

{z : |z| ≤ R}) ab.

Hinweis: Zuerst zeige man, dass die Differenz gleich∑n

j=2z j

j!a j,n mit a j,n = (1−∏ j−1

l=0(1− l

n))

ist, und beachte, dass |a j,n | ≤ 1 und somit∑n

j=mz j

j!a j,n < ǫ fur N(ǫ) ≤ m < n, |z| ≤ R fur N(ǫ)

hinreichend groß. Beachte auch, dass a j,n → 0 fur n→∞ und festes j.

6.32 Man betrachte P := { f ∈ C(R,C) : g(x + 2πk) = g(x), ∀x ∈ R, k ∈ Z}, also alle 2π-

periodischen, stetigen und komplexwertigen Funktionen. Weiters sei C(T,C) die Menge al-

ler stetigen und komplexwertigen Funktionen auf T = {z ∈ C : |z| = 1}. Seien + und die

Skalarmultiplikation punktweise auf diesen Raumen definiert.

Dann zeige man, dass P und C(T,C) Vektorraume sind. Weiters zeige man, dass genau dann

g ∈ P, wenn g(x) = f (exp(ix)) fur eine Funktion f ∈ C(T,C). Schließlich weise man nach,

dass Φ : C(T,C) → P mit Φ( f ) = g, wobei g(t) = f (exp(it)), ein Vektorraumisomorphis-

mus, also eine lineare Bijektion, ist.

Page 207: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.12. UBUNGSBEISPIELE 201

6.33 Fur n ∈ Z sei gn : R → C definiert durch gn(x) = exp(nix). Man zeige, dass gn ∈ P (No-

tation wie im vorherigen Beispiel). Weiters bestimme man fn ∈ C(T,C), sodass gn(x) =

fn(exp(ix)). Schließlich zeige man, dass die Funktionen fn, n ∈ Z in C(T,C) und die Funk-

tionen gn, n ∈ Z in P linear unabhangig sind.

6.34 Seien f (z) =∑∞

n=0 anzn, g(z) =∑∞

n=0 bnzn zwei Potenzreihen mit Konvergenzradius Ra ∈(0,+∞] bzw. Rb ∈ (0,+∞] mit o.B.d.A. Ra ≤ Rb und λ ∈ C, N ∈ N∪ {0}. Man betrachte die

Funktionen

f (z) + g(z), f (z) − g(z), λ f (z), f (z) · g(z), z f (z),f (z) − a0

z

auf {z ∈ C : |z| < Ra}. Man zeige, dass es zu jeder dieser Funktionen eine Potenzreihe

gibt, die die jeweilige Funktion als Grenzfunktion hat. Wie schauen die Koeffizienten dieser

Potenzreihen aus, und was kann man uber die jeweiligen Konvergenzradien sagen?

6.35 Sei f (z) =∑∞

n=0 anzn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R ∈ (0,+∞]. Weiters sei w ∈ Cmit |w| < R. Zeigen Sie, dass es eine Potenzreihe

∑∞n=0 bnζ

n mit Konvergenzradius ≥ R − |w|gibt, sodass

f (z) =

∞∑

n=0

bn(z − w)n

fur alle z ∈ UR−|w|(w).

Hinweis: Fur z ∈ UR−|w|(w) fest betrachten Sie

(n,k)∈(N∪{0})2

an

(n

k

)(z − w)kwn−k .

Zeigen Sie, dass∑

n

∑(n,k)∈{n}×N |an

(n

k

)(z − w)kwn−k| unbedingt konvergiert und wenden Sie

Lemma 5.4.9 und dann Proposition 5.4.8 an!

Anmerkung: Dieses Beispiel zeigt, dass Grenzfunktionen von Potenzreihen analytisch sind;

vgl. Bemerkung 6.7.11.

6.36 Die stereographische σ Projektion entsteht folgendermaßen: Man lege im R3 eine Kugel mit

Durchmesser 1 so auf die xy-Ebene R2 × {0} � R2 (� C), dass Ihr Sudpol am Nullpunkt zu

liegen kommt. Die Oberflache der Kugel heiße S . Hat man einen Punkt P auf der Kugel

gegeben, der verschieden vom Nordpol N = (0, 0, 1) ist, so bilde man diesen auf einen

Punkt der Ebene ab, indem man die Gerade, welche P und N verbindet, mit der xy-Ebene

schneidet.

Zeige, dass die Abbildungsformeln von σ lauten:

σ(ξ, η, ζ) = (x, y), x =ξ

1 − ζ , y =η

1 − ζ ,

Zeige auch, dass die so erhaltene Abbildung σ die Menge S \ {N} bijektiv auf R2 abbildet,

und dass ihre Inverse σ−1 mit τ ubereinstimmt, wobei

τ(x, y) = (ξ, η, ζ), ξ =x

1 + x2 + y2, η =

y

1 + x2 + y2, ζ =

x2 + y2

1 + x2 + y2.

Hinweis: Fur τ = σ−1 zeigen Sie, dass tatsachlich τ(R2) ⊆ S \ {N}, und dass τ ◦ σ = idS \{N}sowie σ ◦ τ = idR2 (verwenden Sie gegebenenfalls, dass fur (ξ, η, ζ) ∈ S \ {N} immer

ξ2 + η2 + (ζ − 12)2 = 1

4)!

6.37 Mit der Notation aus dem letzten Beispiel zeige man, dass σ : S \ {N} → R2 und τ : R2 →S \ {N} ⊆ R3 stetig sind, wobei R2 und R3 mit d2 versehen sind. Zeigen Sie auch, dass

(|(x, y)| := |x + iy| =√

x2 + y2)

lim(ξ,η,ζ)→N

|σ(ξ, η, ζ)| = +∞

Page 208: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

202 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

sowie

lim|(x,y)|→+∞

τ(x, y) = N .

Hier ist lim(x,y)∈R2 τ(x, y) gemeint, wobei R2 durch (x, y) � (u, v)⇔ |(x, y)| ≤ |(u, v)| gerichtet

ist.

6.38 Sei C = C ∪ {∞} (∞ ist ein Element, das nicht in C enthalten ist), wobei wir C als Ebene R2

auffassen. Weiters sei σ die auf ganz S durch σ(N) = ∞ fortgesetzte Abbildung aus dem 3.

Beispiel der siebten Ubung. Offensichtlicherweise ist σ : S → C bijektiv.

Wir definieren eine Abbildung χ : C × C→ R durch

χ(z,w) := d2

(σ−1(z), σ−1(w)

), z,w ∈ C ,

wobei d2 fur die euklidische Metrik auf S ⊆ R3 steht.

Man zeige, dass χ eine Metrik auf C ist, sodass zn → z in C bezuglich χ genau dann wenn

σ−1(zn)→ σ−1(z) in R3 bzgl. d2. χ wird als chordale Metrik bezeichnet.

Zeigen Sie schließlich, dass C versehen mit χ kompakt ist.

6.39 Mit der Notation aus dem vorherigen Beispiel zeige man:

Ist (zn)n∈N eine Folge komplexer Zahlen, so zeige man, dass zn → ∞, dh. |zn| → +∞, genau

dann, wenn zn → ∞ in C bezuglich χ.

Ist z ∈ C, so zeige man weiters, dass zn → z bzgl. d2 genau dann, wenn zn → z bzgl. χ.

Schließlich zeige man, dass

χ(a, b) =|a − b|√

1 + |a|2 ·√

1 + |b|2, a, b ∈ C .

6.40 Eine reellwertige Funktion f , die auf einem Intervall I definiert ist, heißt konvex, wenn sie

fur beliebige Punkte x1, x2 ∈ I und beliebige λ ∈ [0, 1] immer folgende Ungleichung erfullt:

f (λx1 + (1 − λ)x2) ≤ λ f (x1) + (1 − λ) f (x2).

Beweisen Sie, dass diese Bedingung zur folgenden aquivalent ist:

Fur alle Punkte x1, x2, x ∈ I mit x1 < x < x2 gilt:

f (x) ≤ x2 − x

x2 − x1

f (x1) +x − x1

x2 − x1

f (x2).

Weiters zeigen Sie, dass diese Gleichung wiederum aquivalent zur folgenden fur x1 < x < x2

ist:f (x) − f (x1)

x − x1

≤ f (x2) − f (x)

x2 − x.

Was bedeutet die Bedingung konvex zu sein geometrisch?

Bemerkung: Eine Funktion f heißt konkav, wenn − f konvex ist.

6.41 Mit der Notation aus dem letzten Beispiel zeigen Sie fur ein konvexes f , dass

f (x) − f (x1)

x − x1

≤ f (x2) − f (x)

x2 − x

wenn x, x1, x2 ∈ I nur drei paarweise verschiedene Punkte mit x1 < x2 sind. Leiten Sie

daraus dann die Stetigkeit einer jeden konvexen Funktion her!

6.42 Sind z1, . . . , zN ∈ C, so zeige man

N∏

j=1

(1 + |z j |) ≤ exp(

N∑

j=1

|z j|)

und

|N∏

j=1

(1 + z j) − 1| ≤N∏

j=1

(1 + |z j|) − 1 .

Hinweis fur die zweite Ungleichung: Vollstandige Induktion

Page 209: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

6.12. UBUNGSBEISPIELE 203

6.43 Sei M eine Menge und fn : M → C, sodass∑∞

n=1 fn absolut auf M konvergiert. Man zeige,

dass dann auch

f (m) :=

∞∏

n=1

(1 + fn(m))

gleichmaßig auf M konvergiert. Weiters zeige man, dass f (m) = 0⇔ ∃n ∈ N : 1+ fn(m) = 0.

Hinweis: Cauchykriterium.

6.44 Man zeige, dass f (z) = z∏∞

k=1(1 − z2

k2 ) gleichmaßig auf jeder beliebigen Kugel KR(0) ⊆ Ckonvergiert. Man bestimme die Nullstellen von f und zeige, dass f (z + 1) = − f (z).

Anmerkung: Man kann zeigen, dass f (z) = sinπz.

Page 210: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

204 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN

Page 211: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Kapitel 7

Differentialrechnung

Bewegt sich etwa ein Punkt, und bezeichnet s(t) den zum Zeitpunkt t zuruckgelegten

Weg, so erhalt man die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t, indem man

s(t + h) − s(t)

h

betrachtet, und h immer kleiner macht. Um derlei Betrachtungen, die in den Naturwis-

senschaften eine wichtige Rolle spielen, einen mathematisch exakten Hintergrund zu

geben, wollen wir den Begriff der Ableitung einfuhren.

7.1 Begriff der Ableitung

7.1.1 Definition. Sei f : (a, b)→ R (C) und sei x ∈ (a, b). Dann heißt f differenzierbar

im Punkt x, falls der Grenzwert

limt→x

f (t) − f (x)

t − x∈ R (C)

existiert. Dieser heißt dann die Ableitung von f an der Stelle x, und man schreibt dafur

f ′(x) oderd f

dt(x).

Ist f zumindest auf [a, b) definiert1, und existiert

limt→a+

f (t) − f (a)

t − a∈ R (C) ,

so spricht man von rechtsseitiger Differenzierbarkeit im Punkt a und schreibt f ′(a)+

dafur.

Entsprechend definiert man die linksseitige Differenzierbarkeit im Punkt b und die

linksseitige Ableitung f ′(b)−.

Anschaulich ist die Ableitung f ′(x) gerade die Steigung der Tangente (in der fol-

genden Grafik als durchgehende Gerade gezeichnet) am Punkt (x, f (x)). Diese Stei-

gung der Tangente erhalt man als Grenzwert der Steigungen der Verbindungsgeraden

von (x, f (x)) und (t, f (t)) (als strichlierte Gerade gezeichnet) fur t → x.

1Klarerweise konnte f sogar auf einer noch großeren Menge definiert sein.

205

Page 212: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

206 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

f

x

Steigung = f ′(x)

t′′ t′ t

Steigung =f (t)− f (x)

t−x

Abbildung 7.1: Ableitung als Grenzwert der Differenzenquotienten

7.1.2 Fakta.

1. Wie in Fakta 5.5.6 bemerkt, existiert ein Grenzwert limt→x h(t) genau dann, wenn

die beiden einseitigen Grenzwerte limt→x− h(t) und limt→x+ h(t) existieren und

ubereinstimmen.

Also ist f bei x ∈ (a, b) genau dann differenzierbar, wenn f bei x links- und

rechtsseitig differenzierbar ist und f ′(x)− und f ′(x)+ ubereinstimmen. In diesem

Fall ist f ′(x)− = f ′(x) = f ′(x)+.

2. Da nach Lemma 5.3.7 genau dann y = limt→x h(t), wenn fur jede gegen x kon-

vergente Folge (tn)n∈N mit tn , x, n ∈ N, folgt, dass h(tn) → y, ist f bei x genau

dann differenzierbar mit Ableitung f ′(x), wenn fur jede solche Folge

f ′(x) = limn→∞

f (tn) − f (x)

tn − x.

Entsprechend lassen sich die einseitigen Ableitungen charakterisieren.

3. Entweder aus der letzten Behauptung oder aus (5.6) folgt, dass die Ableitung

f ′(x) im Falle ihrer Existenz nur vom Aussehen von f lokal bei x, also von

f |(x−δ,x+δ) fur jedes δ > 0, abhangt. Entsprechendes gilt fur einseitige Ableitun-

gen.

4. Wegen (5.11) ist eine Funktion f : (a, b) → C genau dann differenzierbar bei

x ∈ (a, b), wenn Re f , Im f : (a, b)→ R es sind, wobei

f ′(x) = (Re f )′(x) + i(Im f )′(x) . (7.1)

Page 213: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.1. BEGRIFF DER ABLEITUNG 207

Entsprechendes gilt fur einseitige Ableitungen.

Man kann auch die Differenzierbarkeit von Rp-wertigen Funktionen f definieren.

Dabei wird sich herausstellen, dass solche Funktionen genau dann differenzierbar sind,

wenn alle Komponentenfunktionen π j ◦ f differenzierbar sind. Siehe die Analysis 2

Vorlesung.

7.1.3 Bemerkung. Ist f definiert auf einer offenen Teilmenge der komplexen Zahlen

und bildet wieder in C hinein ab, so kann man analog f ′(w) := limz→wf (z)− f (w)

z−wbe-

trachten. Existiert dieser Grenzwert, so heißt f in w komplex differenzierbar. Wir wol-

len das hier aber nicht weiter verfolgen, denn dies fuhrt zur Theorie der komplexen

Analysis, die in einer eigenen Vorlesung behandelt wird.

7.1.4 Beispiel.

(i) Fur jedes λ ∈ R (C) ist die konstante Funktion f (t) = λ, t ∈ (−∞,+∞), an jeder

Stelle x differenzierbar, und ihre Ableitung im Punkt x ist gleich 0.

(ii) Die reellwertige Funktion t 7→ f (t) = tn, n ∈ N fur t ∈ (−∞,+∞) ist auch an

jedem Punkt x differenzierbar mit der Ableitung

limt→x

tn − xn

t − x= lim

t→x

(t − x)(tn−1 + tn−2 x + . . . + txn−2 + xn−1)

t − x= nxn−1 .

(iii) Die stetige Funktion

f (t) =

t sin 1

t, falls t , 0

0 , falls t = 0(7.2)

ist im Punkt x = 0 nicht differenzierbar. Denn es gilt

f (t) − f (0)

t − 0=

t sin 1t− 0

t − 0= sin

1

t.

(iv) Sei f (z) =∑∞

n=0 anzn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Fur die

Einschrankung f |(−R,R) : (−R,R)→ C gilt

limt→0

f (t) − f (0)

t= lim

t→0

∞∑

n=1

antn−1 .

Diese Potenzreihe rechts konvergiert genau dann, wenn∑∞

n=0 antn es tut und hat

somit auch Konvergenzradius R. Sie ist daher stetig in t. Also ist obiger Limes

gleich a1. Spater werden wir f ′(x) fur alle x ∈ (−R,R) berechnen.

(v) Fur ein festes w ∈ C gilt

limt→x

exp(wt) − exp(wx)

t − x= exp(wx) lim

t→x

exp(w(t − x)) − 1

t − x=

exp(wx) limτ→0

exp(wτ) − 1

τ= w exp(wx) ,

wobei die letzte Gleichheit aus (iv) folgt, da der Koeffizient a1 in der Potenzreihe

exp(wτ) =∑∞

n=0wn

n!τn eben w ist.

Setzt man w = 1, so folgt exp′(x) = exp(x).

Page 214: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

208 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

(vi) Als weitere Anwendung der Rechnung im letzten Beispiel berechnen wir

sin′(x) = limt→x

sin(it) − sin(ix)

t − x= lim

t→x

Im exp(it) − Im exp(ix)

t − x=

Im

(limt→x

exp(it) − exp(ix)

t − x

)= Im(i exp(ix)) = Re(exp(ix)) = cos(x) .

Dabei haben wir die Stetigkeit von z 7→ Im z verwendet. Genauso erhalt man

cos′(x) = − sin(x).

(vii) Fur t ∈ R betrachte die Funktion f

f (t)

t2

−t2

f (t) =

t2 sin 1

t, falls t , 0

0 , falls t = 0

Die Funktion f ist an der Stelle x = 0 differenzierbar mit Ableitung 0, denn es

giltf (t) − f (0)

t − 0= t sin

1

t→ 0 fur t → 0 .

An einer Stelle x , 0 ist f differenzierbar und es gilt wie wir spater sehen werden

f ′(x) = 2x sin1

x− cos

1

x.

7.1.5 Lemma. Ist f im Punkt x differenzierbar, so ist sie dort stetig.

Beweis. Aus limt→xf (t)− f (x)

t−x= α folgt

limt→x

[f (t) − f (x)

]= lim

t→x

[f (t) − f (x)

t − x(t − x)

]= α · 0 = 0 .

7.1.6 Bemerkung. Wie man am Beispiel der Funktion f aus (7.2) sieht, gilt die Um-

kehrung von Lemma 7.1.5 nicht.

7.1.7 Satz. Seien f , g : (a, b) → R (C) beide differenzierbar im Punkt x ∈ (a, b),

und α, β ∈ R (C). Dann sind auch α f + βg, f g und (falls g(x) , 0)f

gan der Stelle x

differenzierbar, und es gilt

� (α f + βg)′(x) = α f ′(x) + βg′(x),

� ( f g)′(x) = f ′(x)g(x) + f (x)g′(x) (Produktregel),

(f

g

)′(x) =

f ′(x)g(x)− f (x)g′ (x)

g(x)2 (Quotientenregel).

Page 215: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.1. BEGRIFF DER ABLEITUNG 209

Entsprechende Regeln gelten auch fur einseitige Ableitungen.

Beweis.

limt→x

(α f + βg)(t) − (α f + βg)(x)

t − x= α lim

t→x

f (t) − f (x)

t − x+ β lim

t→x

g(t) − g(x)

t − x.

Da f nach Lemma 7.1.5 bei x stetig ist, folgt aus den Rechenregeln fur Grenzwerte

(vgl. Abschnitt 5.3)

limt→x

f (t)g(t) − f (x)g(x)

t − x= lim

t→x

(f (t)

g(t) − g(x)

t − x

)+ lim

t→x

(f (t) − f (x)

t − xg(x)

)=

limt→x

f (t) · limt→x

g(t) − g(x)

t − x+ g(x) lim

t→x

f (t) − f (x)

t − x= f (x)g′(x) + f ′(x)g(x) .

Die letzte Quotientenregel folgt ebenfalls aus der Stetigkeit und den Rechenregeln fur

Grenzwerte, indem man in

f (t)

g(t)− f (x)

g(x)

t − x=

1

g(t)g(x)

[g(x)

f (t) − f (x)

t − x− f (x)

g(t) − g(x)

t − x

].

t → x streben lasst.

7.1.8 Beispiel. Wir haben schon gesehen, dass f (t) = tn fur alle n ∈ N differenzierbar

ist mit f ′(x) = nxn−1. Um das auch fur n ∈ −N zu zeigen, verwende man die Quotien-

tenregel:

(xn)′ =

(1

x|n|

)′= − (x|n|)′

x2|n| = nx|n|−1−2|n| = nxn−1 .

Weiters ist eine rationale Funktion in jedem Punkt, wo der Nenner nicht verschwindet,

differenzierbar.

7.1.9 Satz (Kettenregel). Sei f : (a, b)→ R reellwertig und g : (c, d)→ R (C), sodass

f (a, b) ⊆ (c, d), und x ∈ (a, b).

Ist f bei x und g bei f (x) differenzierbar, so ist g ◦ f bei x differenzierbar, wobei

(g ◦ f )′(x) = g′( f (x)) · f ′(x) .

Beweis. Die vorausgesetzte Differenzierbarkeit von f bei x lasst sich dadurch charak-

terisieren, dass die reellwertige Funktion definiert auf (a, b) durch

φ(t) =

f (t)− f (x)

t−x, falls t , x

f ′(x) , falls t = x

bei x stetig ist; vgl. Proposition 6.1.4. Genauso ist ψ : (c, d)→ R (C) definiert durch

ψ(s) =

g(s)−g( f (x))

s− f (x), falls s , f (x)

g′( f (x)) , falls s = f (x)

bei f (x) stetig. Somit gilt fur alle t ∈ (a, b) \ {x} – auch fur die t mit f (x) = f (t) –

(g ◦ f )(t) − (g ◦ f )(x)

t − x= ψ( f (t)) · φ(t) .

Wegen Lemma 7.1.5, Lemma 6.1.6 und Korollar 6.1.8 ist dieser Ausdruck in x stetig.

Also gilt (g ◦ f )′(x) = limt→x ψ( f (t)) · φ(t) = ψ( f (x)) · φ(x) = g′( f (x)) · f ′(x).

Page 216: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

210 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

7.1.10 Bemerkung. Es gelten diverse einseitige Varianten von Satz 7.1.9, deren

Beweise fast gleich verlaufen:

Ist f : (a, b)→ (c, d], g : (c, d]→ R (C), x ∈ (a, b), f (x) = d sowie f bei x differenzier-

bar und g bei f (x) = d linksseitig differenzierbar, so folgt (g◦ f )′(x) = g′( f (x))− · f ′(x).

Ist f : [a, b)→ (c, d), g : (c, d)→ R (C), sowie f bei a rechtsseitig differenzierbar und

g bei f (a) differenzierbar, so folgt (g ◦ f )′(a)+ = g′( f (a)) · f ′(a)+.

usw..

7.1.11 Beispiel. Sei f (x) = x2 sin 1x, x , 0 wie in Beispiel 7.1.4, (vii). Durch Anwen-

dung der Produkt- und der Kettenregel ergibt sich (x , 0)

f ′(x) = (x2)′ sin1

x+ x2

(sin

1

x

)′= 2x · sin

1

x+ x2 ·

(cos

1

x

)·(

1

x

)′= 2x · sin

1

x− cos

1

x.

7.1.12 Satz. Sei f : (a, b) → (c, d) bijektiv und streng monoton, und bezeichne mit

g : (c, d) → (a, b) ihre Umkehrfunktion. Ist f an einer Stelle x differenzierbar und gilt

f ′(x) , 0, so ist g an der Stelle f (x) differenzierbar, und es gilt

g′( f (x)) =1

f ′(x).

Beweis. Wegen Korollar 6.5.3 sind f und g beide stetig. Ist daher (tn)n∈N eine gegen

f (x) konvergente Folge aus (c, d) \ { f (x)}, so ist(g(tn)

)n∈N eine gegen x = g( f (x))

konvergente Folge aus (a, b) \ {x}. Mit τn := g(tn) folgt

limn→∞

g(tn) − g( f (x))

tn − f (x)= lim

n→∞

g(tn) − x

f(g(tn)

) − f (x)=

1

limn→∞f (τn)− f (x)

τn−x

=1

f ′(x).

Auch bei obigem Satz gelten entsprechende Aussagen fur einseitige Ableitungen,

wenn f und damit auch g an einem/beiden der Rander definiert ist.

7.1.13 Beispiel. Betrachte die reelle Exponentialfunktion exp : R → R+. Diese ist

stetig und bijektiv. Ihre Umkehrfunktion ist ln : R+ → R. Fur ein festes y ∈ R+ und das

entsprechende x ∈ R mit y = exp(x) folgt

ln′(y) = ln′(f exp(x)

)=

1

exp′(x)=

1

exp(x)=

1

exp(ln(y))=

1

y.

7.1.14 Definition. Sei f eine reell- oder komplexwertige Funktion definiert auf einem

Intervall I ⊆ R. Ist f an allen x ∈ I differenzierbar, wobei im Falle, dass x der linke

bzw. rechte Intervallrand von I ist und dieser in I liegt, die rechts- bzw. linksseitige

Differenzierbarkeit gemeint ist, so nennt man die Funktion

f ′ :

{I → R (C)

x 7→ f ′(x)

Ableitung von f auf I. Ist x der linke bzw. rechte Intervallrand von I und liegt dieser in

I, so ist unter f ′(x) die rechts- bzw. linksseitige Ableitung an der Stelle x zu verstehen.

Page 217: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.1. BEGRIFF DER ABLEITUNG 211

Einer Funktion f wird also eine weitere Funktion zugeordnet, die die aus f ab-

geleitete Funktion f ′ genannt wird. Ihr Wert an einer Stelle x ist gerade der Limes

des Differenzenquotienten von f bei x. Diese Sichtweise erklart auch die Schreibweise

f ′(x) aus Definition 7.1.1. Die Schreibweised f

dt(x) erklart sich aus der Interpretation

der Ableitung als Grenzfall des Zuwachses von f dividiert durch den Zuwachs von t.

Es ist also sinnvoll, von Eigenschaften der Funktion f ′, wie zum Beispiel Stetig-

keit oder auch wieder Differenzierbarkeit zu sprechen. Wie wir in Beispiel 7.1.4, (vii),

gesehen haben, muss die Ableitung f ′ nicht notwendigerweise stetig sein.

7.1.15 Definition.

� Sei f eine reell- oder komplexwertige Funktion definiert auf einem Intervall I ⊆R, sodass die Ableitung f ′ von f auf ganz I existiert. Ist die Ableitung f ′ an

einer Stelle x differenzierbar, so bezeichnet man ( f ′)′(x) mit f ′′(x) und spricht

von der zweiten Ableitung von f an der Stelle x. Im Falle, dass x Intervallrand

ist, sei wieder die entsprechende einseitige Ableitung gemeint.

� Allgemeiner definiert man hohere Ableitungen rekursiv durch

f (n)(x) := ( f (n−1))′(x), n ∈ N ,

wann immer f (n−1) auf I definiert ist und bei x differenzierbar ist. Die Funktion

f heißt bei x dann n-mal differenzierbar.

� Existiert f (n) an allen Stellen x ∈ I und ist f (n) stetig auf I, so spricht man von

einer n-mal stetig differenzierbaren Funktion. Die Menge aller n-mal stetig dif-

ferenzierbaren Funktionen auf I wird mit Cn(I) bezeichnet.

� Fur n = 0 steht C0(I) oder auch C(I) fur die Menge aller stetigen reell- oder

komplexwertigen Funktion definiert auf dem Intervall I.

� Mit f ∈ C∞(I) wollen wir zum Ausdruck bringen, dass f auf I beliebig oft

differenzierbar ist.

Aus der Produktregel erhalt man mittels vollstandiger Induktion die oft nutzliche

Formel

( f g)(n) =

n∑

k=0

(n

k

)f (k)g(n−k) .

7.1.16 Beispiel.

Sei f (x) = x3 − 2x. Dann gilt

f ′(x) = 3x2 − 2, f ′′(x) = 6x, f ′′′(x) = 6, f ′′′′(x) = 0, f (5)(x) = 0, . . .

Man sieht genauso, dass jedes Polynom p beliebig oft differenzierbar ist und

wenn n der Grad von p ist, p(n+1)(x) = p(n+2)(x) = . . . = 0 gilt.

Sei f die Funktion

f (x) =

x2 , falls x ≥ 0

−x2 , falls x < 0

Die Ableitung von f ist f ′(x) = 2|x|. Die zweite Ableitung existiert also an der

Stelle x = 0 nicht.

Page 218: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

212 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

7.2 Mittelwertsatze

7.2.1 Definition. Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum, E ⊆ X und sei f : E → R. Man

sagt, f hat ein lokales Maximum in einem Punkt x ∈ E, falls

∃ δ > 0 : f (x) ≥ f (t) fur t ∈ E ∩Uδ(x) .

Analog definiert man ein lokales Minimum. Will man sich nicht festlegen, ob x ein

Minimum oder Maximum ist, so spricht man zusammenfassend von einem lokalen

Extremum.

Man beachte den Unterschied zum Begriff des Maximums. Das ist eine Stelle x ∈E, sodass fur jedes t ∈ E gilt f (x) ≥ f (t), also nicht nur lokal bei x, sondern global.

Man spricht dann von einem absoluten Maximum. Analog fur absolute Minima bzw.

zusammenfassend absolute Extrema. Naturlich ist ein absolutes Extremum stets auch

ein lokales.

7.2.2 Satz. Hat f : (a, b) → R an einer Stelle x ∈ (a, b) ein lokales Extremum und ist

f bei x differenzierbar, so muss f ′(x) = 0.

Beweis. Wir nehmen an, dass x ein lokales Maximum ist. Den Fall eines lokalen Mi-

nimums behandelt man analog.

Wahle δ > 0 wie in Definition 7.2.1. Es gilt also f (x) ≥ f (t) fur alle |t − x| < δ. Im

Falle t > x gilt somitf (t) − f (x)

t − x≤ 0 ,

und daher f ′(x) = limt→x+f (t)− f (x)

t−x≤ 0. Ist jedoch t < x, so impliziert f (x) ≥ f (t)

f (t) − f (x)

t − x≥ 0 .

Also muss auch f ′(x) = limt→x−f (t)− f (x)

t−x≥ 0.

Geometrisch bedeutet Satz 7.2.2, dass an

einem lokalen Extremum die Tangente

an die Kurve y = f (x), falls eine solche

existiert, waagrecht liegen muss.

7.2.3 Korollar (Satz von Rolle). Sei f : [a, b]→ R stetig und auf (a, b) differenzierbar.

Gilt f (a) = f (b) = 0, so gibt es ein ζ ∈ (a, b), sodass f ′(ζ) = 0.

Beweis. Aus Korollar 6.1.14 wissen wir, dass f auf [a, b] ein Maximum und ein Mini-

mum besitzt. Also gibt es x−, x+ ∈ [a, b], sodass

f (x−) ≤ f (t) ≤ f (x+), fur alle t ∈ [a, b] .

Page 219: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.2. MITTELWERTSATZE 213

Sind beide x− und x+ Randpunkte, d.h. x−, x+ ∈ {a, b}, so muss f (t) = 0 fur alle

t ∈ [a, b] und daher f ′(t) = 0 fur alle t ∈ (a, b) sein.

Ist x− in (a, b) enthalten, so muss nach Satz 7.2.2 f ′(x−) = 0. Im Falle x+ ∈ (a, b)

schließt man genauso.

a bζ

Abbildung 7.2: Satz von Rolle

7.2.4 Korollar. Sei f : [a, b] → R stetig und n-mal differenzierbar auf (a, b). Weiters

habe f mindestens n + 1 Nullstellen in [a, b]. Dann existiert ξ ∈ (a, b) mit f (n)(ξ) = 0.

Beweis. Der Fall n = 1 folgt sofort aus Korollar 7.2.3. Angenommen der Satz gelte fur

n − 1. Wir zeigen ihn fur n.

Nach Korollar 7.2.3 liegt zwischen je zwei Nullstellen von f mindestens eine

Nullstelle von f ′. Also hat f ′ mindestens n Nullstellen. Nach Induktionsvoraussetzung

existiert ein ξ mit f (n)(ξ) = ( f ′)(n−1)(ξ) = 0.

7.2.5 Beispiel. Wir wollen zeigen, dass die Gleichung

(1 − ln x)2 = x(3 − 2 ln x)

in (0,+∞) genau zwei Losungen hat. Dazu betrachten wir die Funktion

f : (0,+∞)→ R,

f (x) = (1 − ln x)2 − x(3 − 2 ln x) .

Fur diese gilt es zu zeigen, dass f genau zwei Nullstellen hat. Setzt man x = 1, so folgt

f (1) = −2 < 0. Andererseits folgt wegen limx→0+ x(3 − 2 ln x) = 0

limx→0+

f (x) = +∞ .

Wegen f (x) ≥ x(2 ln x − 3) ≥ x fur x ≥ exp(2) folgt auch

limx→+∞

f (x) = +∞ .

Insbesondere gibt es ξ, η ∈ R mit 0 < ξ < 1 < η < +∞, sodass f (ξ) > 0, f (η) > 0.

Nach dem Zwischenwertsatz muss es einen Punkt α ∈ (ξ, 1) und einen Punkt β ∈ (1, η)

geben, sodass f (α) = 0 = f (β). Also hat f mindestens zwei Nullstellen.

Um zu zeigen, dass es nicht mehr sein konnen, berechnen wir

f ′(x) = 2(ln x − 1)1

x+ 2 ln x − 1, f ′′(x) = 2

1

x2− 2

ln x − 1

x2+

2

x=

4 − 2 ln x + 2x

x2.

Fur x ∈ (0, 1] ist ln x ≤ 0 und somit f ′′(x) > 0. Fur x ∈ (1,+∞) gilt wegen x > ln x auch

f ′′(x) > 0. Also hat f ′′ keine Nullstelle. Nach dem Satz von Rolle kann f ′ hochstens

eine und weiter f hochstens zwei Nullstellen haben (vgl. Korollar 7.2.4).

Page 220: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

214 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

7.2.6 Satz (Mittelwertsatz). Sei f : [a, b] → R stetig und auf (a, b) differenzierbar.

Dann existiert ein Punkt ζ ∈ (a, b) mit

f (b) − f (a)

b − a= f ′(ζ) .

Beweis. Betrachte die Funktion F : [a, b]→ R

F(t) := f (t) − f (a) − f (b) − f (a)

b − a(t − a) .

Dann ist F auf [a, b] stetig (vgl. Korollar 6.1.8) und auf (a, b) differenzierbar (vgl.

Beispiel 7.1.4, (i), (ii) und Satz 7.1.7), wobei F(a) = F(b) = 0 und fur x ∈ (a, b)

F′(x) = f ′(x) − f (b) − f (a)

b − a.

Wenden wir Korollar 7.2.3 an, so folgt sofort die Behauptung.

Fur g(t) = t ist Satz 7.2.6 ein Spezialfall folgender Verallgemeinerung.

7.2.7 Satz (Verallgemeinerter Mittelwertsatz). Seien f , g : [a, b]→ R stetig und diffe-

renzierbar auf (a, b). Weiters gelte g′(t) , 0 fur alle t ∈ (a, b). Dann existiert eine Stelle

ζ ∈ (a, b) mitf (b) − f (a)

g(b) − g(a)=

f ′(ζ)

g′(ζ). (7.3)

Beweis. Zunachst existiert nach Satz 7.2.6 ein x ∈ (a, b) mit g(b)− g(a) = g′(x)(b− a),

woraus wir g(b) − g(a) , 0 schließen. Somit ist die Funktion F : [a, b]→ R,

F(t) = f (t) − f (a) − f (b) − f (a)

g(b) − g(a)(g(t) − g(a)) ,

wohldefiniert, stetig und auf (a, b) differenzierbar, wobei

F′(t) = f ′(t) − f (b) − f (a)

g(b) − g(a)g′(t) .

Weiters gilt F(a) = F(b) = 0. Somit gibt es nach Korollar 7.2.3 ein ζ ∈ (a, b) mit

F′(ζ) = 0, und daher (7.3).

7.2.8 Bemerkung. Satz 7.2.6, welcher auch 1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung

genannt wird, besagt, dass man – falls durchwegs Tangenten existieren – stets eine

Tangente findet, welche parallel zur Sekante durch die Punkte (a, f (a)) und (b, f (b))

liegt.

Die Stelle ζ aus Satz 7.2.6, an der die Steigung der Kurve gleich der mittleren

Steigung im Intervall [a, b] ist, ist nicht eindeutig bestimmt.

Satz 7.2.7 heißt auch 2. Mittelwertsatz der Differentialrechnung.

Obwohl man es auf den ersten Blick nicht sieht, so hat der Mittelwertsatz doch

weitreichende Folgerungen.

Page 221: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.2. MITTELWERTSATZE 215

a

f (a)

b

f (b)

ζ

Abbildung 7.3: Mittelwertsatz

7.2.9 Korollar. Sei I ⊆ R ein Intervall und f : I → R stetig. Sind a, b die Inter-

vallrander von I, so sei f auf (a, b) differenzierbar. Dann gilt:

� Ist f ′(x) ≥ 0 (> 0), fur alle x ∈ (a, b), so ist f (streng) monoton wachsend.

� Ist f ′(x) ≤ 0 (< 0), fur alle x ∈ (a, b), so ist f (streng) monoton fallend.

� Ist f ′(x) = 0, fur alle x ∈ (a, b), so ist f konstant.

Bezuglich der Umkehrung gilt nur, dass, wenn f monoton wachsend (fallend) ist,

fur ihre Ableitung immer f ′(x) ≥ 0 (≤ 0) gilt.

Beweis. Seien x1, x2 ∈ I, x1 < x2. Dann existiert eine Stelle x ∈ (x1, x2) mit

f (x2) − f (x1) = (x2 − x1) f ′(x) .

Daraus folgt unmittelbar das behauptete Monotonieverhalten.

Ist umgekehrt f monoton wachsend (fallend), so gilt fur den Differenzenquotient

fur alle x, t ∈ (a, b)f (t) − f (x)

t − x≥ 0 (≤ 0) .

Fur t→ x folgt f ′(x) ≥ 0 (≤ 0).

7.2.10 Beispiel. Dass aus der strengen Monotonie einer Funktion f nicht notwendi-

gerweise f ′(x) > 0 bzw. f ′(x) < 0 fur alle x folgt, sieht man anhand eines einfachen

Beispiels.

Die Funktion f (x) = x3 ist auf R streng monoton wachsend. Ihre Ableitung f ′(x) =

3x2 ist nur ≥ 0, aber nicht > 0 fur alle x ∈ R.

7.2.11 Bemerkung. Der Schluss f ′(x) ≡ 0 ⇒ f ≡ c fur ein festes c gilt auch fur kom-

plexwertige Funktionen. Das sieht man leicht, indem man f in Real- und Imaginarteil

aufspaltet; vgl. (7.1).

Page 222: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

216 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

Obwohl die Ableitung f ′ einer auf einem Intervall (a, b) differenzierbaren Funktion

nicht notwendig stetig sein muss, so gilt trotzdem stets die Zwischenwerteigenschaft.

7.2.12 Korollar. Sei I ⊆ R ein Intervall mit den Randpunkten a, b, a < b und f : I →R differenzierbar. Sind x1, x2 ∈ I und c ∈ R mit f ′(x1) < c < f ′(x2), dann existiert eine

Stelle x ∈ (min(x1, x2),max(x1, x2)) mit f ′(x) = c.

Ist f ′(x) , 0 fur alle x ∈ I, so gilt entweder immer f ′(x) > 0, x ∈ I, oder immer

f ′(x) < 0, x ∈ I. f ist daher entweder streng monoton wachsend oder streng monoton

fallend.

Beweis. Wir nehmen zunachst x1 < x2 an. Betrachte die Funktion g : I → R, g(t) =

f (t) − ct. Fur ihre Ableitung gilt

g′(x1) = f ′(x1) − c < 0, g′(x2) = f ′(x2) − c > 0 .

Sei x ∈ [x1, x2] eine Stelle, an der g ihr Minimum annimmt. Wegen Satz 7.2.2 und

g′(x) = f ′(x) − c, genugt es x , x1, x2 zu zeigen. Wegen g′(x1) < 0 existiert ein δ > 0

mitg(t) − g(x1)

t − x1

< 0, x1 < t < x1 + δ .

Also muss g(t) < g(x1) fur solche Werte von t. Der Punkt x1 scheidet als Kandidat fur

das Minimum also aus. Wegen g′(x2) > 0 folgt die Existenz eines δ > 0, sodass

g(t) − g(x2)

t − x2

> 0, x2 − δ < t < x2 .

Also ist g(t) < g(x2) fur solche t, und der Punkt x2 kommt daher auch nicht in Frage.

Den Fall x1 > x2 fuhrt man durch die Betrachtung von − f auf obigen Fall zuruck.

Die letzte Aussage folgt sofort aus der eben bewiesenen Zwischenwerteigenschaft.

7.2.13 Korollar (*). Sei f differenzierbar auf (a, b). Dann hat f ′ keine Sprungstelle in

(a, b).

Beweis. An einer Sprungstelle existieren f ′(x+) := limt→x+ f ′(t) und f ′(x−) :=

limt→x− f ′(t), es sind jedoch nicht beide gleich f ′(x). Angenommen es ist f ′(x+) <

f ′(x), also f ′(x+) + ǫ ≤ f ′(x) fur ein ǫ > 0. Also gilt

f ′(t) +ǫ

2≤ f ′(x), fur alle t ∈ (x, t0] ,

fur ein t0 > x. Also nimmt f ′(t) fur x < t < t0 keine Werte in

( f ′(x) − ǫ2, f ′(x))

( ⊆ ( f ′(t0), f ′(x)))

an. Das widerspricht obiger Zwischenwert-

eigenschaft.

Wir werden nun Satz 7.2.7 verwenden, um eine sehr nutzliche Methode herzuleiten,

Limiten zu berechnen.

2Guillaume Francois L’Hospital, Marquis de Saint-Mesme, geb.1661 Paris, gest.3.2.1704 Paris

Page 223: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.2. MITTELWERTSATZE 217

7.2.14 Satz (Regel von de L’Hospital2). Seien f , g : (a, b) → R differenzierbar auf

(a, b), wobei a, b, ∈ R ∪ {±∞},−∞ ≤ a < b ≤ +∞. Fur x ∈ (a, b) hinreichend nahe bei

a gelte g′(x) , 0, und

limx→a+

f (x) = limx→a+

g(x) = 0 , (7.4)

oder

limx→a+

g(x) = +∞ . (7.5)

Dann gilt

limx→a+

f ′(x)

g′(x)= A ⇒ lim

x→a+

f (x)

g(x)= A , (7.6)

mit A ∈ R ∪ {±∞}.Die analoge Aussage ist richtig, wenn man uberall x → a+ durch x → b− oder in

(7.5) +∞ durch −∞ ersetzt.

Beweis.

Da die Grenzwerte in (7.6) nur von den Funktionswerten lokal bei x abhangen

(vgl. (5.6)), konnen wir b notigenfalls kleiner machen, sodass g′(x) , 0 auf ganz

(a, b). Damit kann g auf (a, b) hochstens eine Nullstelle haben, da sonst nach

Korollar 7.2.3 g′(ζ) = 0 fur ein ζ ∈ (a, b). Machen wir b notigenfalls nochmals

kleiner, so konnen wir auch g(x) , 0 auf ganz (a, b) annehmen.

Gilt (7.5), so muss wegen des Zwischenwertsatzes, Korollar 6.2.6, g(x) > 0 fur

alle x ∈ (a, b) gelten. Außerdem hat nach Korollar 7.2.12 g′(x) immer das selbe

Vorzeichen. Wegen (7.5) gibt es aber sicher a < s < t < b mit g(s) > g(t). Mit

dem Mittelwertsatz Satz 7.2.6 folgt daraus g′(x) < 0 fur ein und daher fur alle

x ∈ (a, b). Also ist g unter der Voraussetzung (7.5) auf ganz (a, b) streng monoton

fallend.

Sei α ∈ R, α > A, und wahle r ∈ R mit A < r < α. Wegen limt→a+f ′(t)g′(t) = A

existiert ein c ∈ (a, b) mit

f ′(t)

g′(t)< r fur t ∈ (a, c) .

Sind dann x, y ∈ (a, c), x < y beliebig, so folgt aus Satz 7.2.7

f (x) − f (y)

g(x) − g(y)=

f ′(t)

g′(t)< r , (7.7)

fur ein t ∈ (x, y) ⊆ (a, c).

Ist die Bedingung (7.4) erfullt, so lasst man in obiger Beziehung x gegen a stre-

ben und erhaltf (y)

g(y)≤ r < α fur y ∈ (a, c) .

Ist nun Bedingung (7.5) erfullt, so halte man y in (7.7) fest. Da g auf (a, b) streng

monoton fallt und g(x) > 0, folgt

f (x)

g(x)=

f ′(t)

g′(t)

g(x) − g(y)

g(x)+

f (y)

g(x)< r

(1 − g(y)

g(x)

)+

f (y)

g(x), x ∈ (a, c) .

Page 224: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

218 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

Lasst man hier x → a+ streben, so konvergiert die rechte Seite gegen r (> α).

Also folgt die Existenz eines d ∈ (a, c), sodass

f (x)

g(x)< α, a < x < d .

Wir haben also unter jeder der Voraussetzungen (7.4) und (7.5) nachgewiesen,

dass fur ein gewisses ρ ∈ (a, b)

f (t)

g(t)< α, wenn nur t ∈ (a, ρ) .

Wendet man das auf − f und −A statt f und A an, so sieht man, dass es auch zu

jedem β ∈ R, β < A ein ρ ∈ (a, b) gibt, sodass

f (t)

g(t)> β, wenn nur t ∈ (a, ρ) .

Somit folgt limx→a+f (x)

g(x)= A (vgl. (5.12)).

7.2.15 Bemerkung. Indem man eine Funktion f : [a, b]→ C in Real- und Imaginarteil

zerlegt, folgt sofort die Gultigkeit der Regel von de L’Hospital auch wenn f komplex-

wertig ist (vgl. (7.1)). Die Funktion g muss aber reellwertig sein.

7.2.16 Beispiel.

(i)

limx→0+

x ln x = limx→0+

1x

− 1x2

= 0 .

(ii) Um limx→0+ xx zu bestimmen, sei zunachst bemerkt, dass xx = exp(x ln x) fur

x > 0. Aus dem vorherigen Beispiel und wegen der Stetigkeit von exp gilt nun

limx→0+

xx = limx→0+

exp(x ln x) = exp( limx→0+

x ln x) = exp(0) = 1 .

(iii) Weil ((

1n

) 1n)n∈N eine Teilfolge3 des Netzes (xx)x∈(0,+∞) ist, wobei (0,+∞) so ge-

richtet ist, dass x1 � x2 ⇔ x1 ≥ x2, folgt aus dem letzten Beispiel, dass

limn→∞

(1

n

) 1n

= 1 .

Diese Tatsache folgt offenbar auch aus limn→∞n√

n = 1; vgl. Beispiel 3.3.7.

(iv)

limx→0+

sin x

x= lim

x→0+

(sin x)′

x′= lim

x→0+

cos x

1= 1 .

Genauso sieht man limx→0−sin x

x= 1.

3Siehe Definition 5.3.6!

Page 225: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.2. MITTELWERTSATZE 219

(v) Man betrachte den Grenzwert

limx→0

(1

(sin x)2− 1

x2

)(7.8)

Dieser Ausdruck ist von der Form∞ −∞. Wir rechnen(

1

(sin x)2− 1

x2

)=

x2 − (sin x)2

(x sin x)2.

Fur x → 0 ist dieser Ausdruck von der Form 00. Also stimmt der Grenzwert in

(7.8) nach der Regel von de L’Hospital angewandt auf den rechtsseitigen Grenz-

wert und den linksseitigen Grenzwert mit

limx→0

2x − 2 sin x cos x

2x(sin x)2 + 2x2 sin x cos x= lim

x→0

2x − sin(2x)

2x(sin x)2 + x2 sin(2x)

uberein, falls letzterer existiert. Wenden wir die Regel von de L’Hospital noch-

mals beidseitig an, so erhalten wir (wieder falls der rechte Limes existiert)

limx→0

2 − 2 cos(2x)

2(sin x)2 + 4x sin(2x) + 2x2 cos(2x)= lim

x→0

1 − cos(2x)

(sin x)2 + 2x sin(2x) + x2 cos(2x).

Dieser Ausdruck ist wieder von der Form 00. Wir mussten die Regel von de

L’Hospital noch zweimal anwenden, um zu einem Ergebnis zu kommen. Etwas

einfacher ist es, diesen Grenzwert als

limx→0

1 − cos(2x)

x2· lim

x→0

x2

(sin x)2 + 2x sin(2x) + x2 cos(2x)=

limx→0

1 − cos(2x)

x2· lim

x→0

1(

sin xx

)2+ 4

sin(2x)

2x+ cos(2x)

zu schreiben. Zweimal de L’Hospital (jeweils fur den links- und rechtsseitigen

Grenzwert) liefert limx→01−cos(2x)

x2 = 2, und wegen limx→0sin x

x= 1 gilt

limx→0

1(

sin xx

)2+ 4

sin(2x)

2x+ cos(2x)

=1

1 + 4 + 1=

1

6.

Also ist (7.8) genau 13.

(vi) Eine andere Moglichkeit den Grenzwert (7.8) zu berechnen, besteht darin, die

Potenzreihenentwicklung von sin x um 0 zu verwenden:

(1

(sin x)2− 1

x2

)=

1 − ( sin xx

)2

(sin x)2=

(1 +

sin x

x

1 − sin xx

(sin x)2=

(1 +

sin x

x

1 −∑∞n=0

(−1)n x2n

(2n+1)!(∑∞

n=0(−1)n x2n+1

(2n+1)!

)2=

(1 +

sin x

x

∑∞n=1

(−1)n−1 x2n

(2n+1)!(∑∞

n=0(−1)n x2n+1

(2n+1)!

)2.

Oben und unten durch x2 dividieren ergibt

(1 +

sin x

x

∑∞n=0

(−1)n x2n

(2n+3)!

(∑∞n=0

(−1)n x2n

(2n+1)!

)2.

Page 226: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

220 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

Man beachte, dass alle hier auftretenden Potenzreihen Konvergenzradius+∞ ha-

ben. Somit stehen in Zahler und Nenner stetige Funktionen in x (vgl. Satz 6.7.7).

Fur x → 0 konvergiert die Potenzreihen gegen den nullten Summanden. Also

erhalten wir fur den Grenzwert (7.8) abermals 213!

1= 1

3.

(vii) Sei w ∈ C mit einem Realteil, der kleiner als Null ist. Wir wollen zeigen, dass der

Grenzwert limt→+∞ t exp(wt) in C die komplexe Zahl 0 ist. Entweder wir betrach-

ten dazu Real- und Imaginarteil des Grenzwertes gesondert, oder – was einfacher

ist – wir betrachten den Betrag von t exp(wt) fur t > 0 (vgl. Satz 6.8.3):

|t exp(wt)| = t exp(t Re w) =t

exp(t(−Re w)

) .

Wegen −Re w > 0 ist der Grenzwert davon fur t → +∞ von der Form +∞+∞ . Somit

stimmt nach Satz 7.2.14 dieser Grenzwert uberein mit (siehe (6.13))

limt→+∞

t′

exp(t(−Re w)

)′ = limt→+∞

1

−Re w · exp(t(−Re w)

) = limt→+∞

exp(t Re w)

−Re w= 0 .

7.2.17 Korollar. Sei I ⊆ R ein Intervall mit den Randpunkten a, b, a < b und f : I →R (C) eine Abbildung, die auf (a, b) differenzierbar ist.

Ist a ∈ I, f dort stetig und existiert limt→a+ f ′(t) in R (C), so ist f bei a rechtsseitig

differenzierbar, wobei limt→a+ f ′(t) = f ′(a)+. Entsprechendes gilt fur t → b−, wenn

b ∈ I.

Beweis. Wegen der Stetigkeit von f bei a konnen wir Satz 7.2.14 im reellwertigen Fall

bzw. Bemerkung 7.2.15 im komplexwertigen Fall anwenden und erhalten

f ′(a)+ = limt→a+

f (t) − f (a)

t − a= lim

t→a+

f ′(t)

1.

7.2.18 Bemerkung. Ist mit der Notation aus Korollar 7.2.17 f reellwertig und gilt a ∈ I

sowie limt→a+ f ′(t) = +∞ (= −∞), so lasst sich Satz 7.2.14 genauso wie im Beweis

von Korollar 7.2.17 anwenden, und man erhalt, dass f bei a nicht rechtsseitig differen-

zierbar ist. Entsprechendes gilt fur t → b−, wenn b ∈ I.

7.2.19 Bemerkung. Wegen Korollar 7.2.17 gilt f ∈ C1(I) genau dann, wenn f ∈ C(I),

f |(a,b) ∈ C1(a, b) und sich ( f |(a,b))′ auf ganz I stetig fortsetzen lasst. Dabei bezeichnen

a und b wieder die Randpunkte des Intervalls I.

7.2.20 Beispiel. Sei

0 1 2 3 4

12

1

f

f (x) =

e−

1x , falls x > 0

0 , falls x ≤ 0

Page 227: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.3. MOTIVATION ZUM TAYLORSCHEN LEHRSATZ* 221

Klarerweise ist f auf (−∞, 0] beliebig oft ableitbar mit f (n)(x) = 0, x ≤ 0.

Auf (0,+∞) gilt f ′(x) = 1x2 e−

1x , und durch vollstandige Induktion sieht man, dass

(n ∈ N ∪ {0})f (n)(x) = pn

(1

x

)e−

1x , x > 0 .

fur Polynome pn(x) vom Grad 2n. Nun gilt mit Hilfe der Regel von de L’Hospital Satz

7.2.14

limx→0+

f (n)(x) = limy→+∞

pn(y)

ey= lim

y→+∞

p′n(y)

ey= · · · = lim

y→+∞

p(2n)n (y)

ey= 0 ,

da p(2n)n (y) eine Konstante ist.

Wir sehen insbesondere, dass f auf [0,+∞) stetig ist, und dass wegen

limt→0+ f ′(t) = 0 nach Korollar 7.2.17 f ′(0)+ = 0. Wegen f ′(0)− = 0 ist f auch bei 0

differenzierbar mit f ′(0), und somit f ∈ C1(R).

Wiederholte Anwendung dieses Argumentes auf f ′, f ′′ usw. zeigt, dass f auf Rbeliebig oft differenzierbar ist, wobei f (n)(0) = 0, n ≥ 0.

7.3 Motivation zum Taylorschen Lehrsatz*

Eine Motivation des Taylorschen Lehrsatz ergibt sich aus folgenden Interpolationsuber-

legungen. Die Gerade, die eine Kurve in einem Punkt am besten approximiert, ist die

Tangente (falls sie existiert). Approximiert man die Kurve mit einem Polynom hoheren

Grades, so kann man hoffen, dass die Approximation genauer wird.

Wir haben die Tangente gefunden (eigentlich definiert) als die Grenzlage von Se-

kanten durch die Punkte (x, f (x)) und (x + △x, f (x + △x)). Da eine Gerade durch zwei

Punkte eindeutig bestimmt ist, sind diese Sekanten wohldefinierte Objekte.

Ein Polynom vom Grade ≤ n ist eindeutig festgelegt durch die Vorgabe der Werte

y0, . . . , yn an n + 1 verschiedenen Stellen x0, . . . , xn:

p(x) =

n∑

k=0

yk ·∏

j∈{0,...,n}\{k}

x − x j

xk − x j

.

Die Eindeutigkeit folgt aus der Tatsache, dass ein Polynom vom Grad ≤ n hochstens n

Nullstellen hat.

Betrachten wir nun n+1 Punkte der Kurve f mit den x-Koordinaten x, x+△x, . . . , x+

n△x, und legen ein Polynom p durch diese Punkte.

Fur große Schrittweiten △x wird das erhaltene Polynom nicht viel mit der Kurve zu

tun haben, lasst man jedoch△x→ 0 streben, so hofft man auf eine gute Approximation.

7.3.1 Satz (Newtonsche Interpolationsformel). Seien x,△x und Werte y0, . . . , yn gege-

ben. Das Polynom, welches durch die Punkte (x, y0), (x+△x, y1), . . . , (x+n△x, yn) geht,

ist gleich

p(x) = y0 +(x − x0)

1!

△y0

△x+

(x − x0)(x − x1)

2!

△2y0

△x2+ · · ·

. . . +(x − x0)(x − x1) . . . (x − xn−1)

n!

△ny0

△xn,

wobei wir x j = x + j△x gesetzt haben und △ jy0 die j-te Differenz bezeichnet. Diese ist

rekursiv definiert als

△yi = yi+1 − yi, △2yi = △yi+1 − △yi, . . . .

Page 228: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

222 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

Beweis. Offenbar gilt p(x0) = y0. Man erhalt p(x1) = y0 + (x1 − x0)△y0

△x= y0 + △x

△y0

△x=

y0 + (y1 − y0) = y1. Allgemein gilt

p(x j) = y0 + (x j − x0)△y0

△x+

(x j − x0)(x j − x1)

2

△2y0

△x2+ . . .

. . . +(x j − x0) · · · (x j − x j−1)

j!

△ jy0

△x j=

= y0 + j△x△y0

△x+

j△x( j − 1)△x

2

△2y0

△x2+ · · · + j!△x j

j!

△ jy0

△x j=

=

(j

0

)y0 +

(j

1

)△y0 +

(j

2

)△2y0 + · · · +

(j

j

)△ jy0 .

Wir zeigen nun mittels Induktion die folgende Behauptung: Fur je j+1 Werte y0, . . . , y j

gilt die Formel

y j =

j∑

l=0

(j

l

)△ly0 .

Der Induktionsanfang j = 0 ist offensichtlich richtig. Sei die Formel also bereits gezeigt

fur je j Werte. Dann folgt

j∑

l=0

(j

l

)△ly0 = y0 +

j−1∑

l=1

(j

l

)△ly0 + △ jy0 =

= y0 +

j−1∑

l=1

[(j − 1

l − 1

)+

(j − 1

l

)]△ly0 + (△ j−1y1 − △ j−1y0) =

= y0 +

j−1∑

l=1

(j − 1

l − 1

)(△l−1y1 − △l−1y0) +

j−1∑

l=1

(j − 1

l

)△ly0 + (△ j−1y1 − △ j−1y0) =

=

j−2∑

l=0

(j − 1

l

)△ly1 + △ j−1y1

︸ ︷︷ ︸

=y j

j−2∑

l=0

(j − 1

l

)△ly0 + △ j−1y0

+y0 +

j−1∑

l=1

(j − 1

l

)△ly0

= y j

Ist f an der Stelle x differenzierbar, so gilt lim△x→0△y0

△x= lim△x→0

f (x+△x)− f (x)

△x=

f ′(x). Allgemein gilt:

7.3.2 Lemma. Sei f : [a, b] → R stetig und n-mal stetig differenzierbar auf (a, b). Ist

x ∈ (a, b), so gilt (y j = f (x + j△x))

lim△x→0

△ny0

△xn= f (n)(x) .

Page 229: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.4. DER TAYLORSCHE LEHRSATZ 223

Beweis. Sei p(x) = y0 +(x−x0)

1!

△y0

△x+ . . . +

(x−x0)···(x−xn−1)

n!

△ny0

△xn . Die Funktion h(x) :=

f (x) − p(x) hat die n + 1 Nullstellen x0, · · · , xn (∈ (a, b) fur △x hinreichend klein). Mit

Korollar 7.2.4 folgt die Existenz von ξ ∈ (x0, xn) mit h(n)(ξ) = 0. Nun gilt

0 = h(n)(ξ) = f (n)(ξ) − p(n)(ξ) = f (n)(ξ) − △ny0

△xn.

Fur △x→ 0 folgt wegen der Stetigkeit von f (n) auch△ny0

△xn → f (n)(x).

Man erhalt also als Grenzfall des in einem Punkt x0 approximierenden Polynoms

gerade

p(x) = f (x0) + (x − x0) f ′(x0) +(x − x0)2

2f ′′(x0) + · · · + (x − x0)

n!f (n)(x0) .

Wahlt man den Grad von p immer großer, so wird (hoffentlich) p(x) die Kurve f (x)

immer besser annahern.

7.4 Der Taylorsche Lehrsatz

Wir wollen im folgenden eine gegebene Funktion f auf einem reellen Intervall I durch

Polynome approximieren. Fur hinreichend oft differenzierbare f werden wir das durch

das sogenannte Taylorpolynom zu bewerkstelligen suchen.

7.4.1 Definition. Sei n ∈ N, I ⊆ R ein Intervall, y ∈ I fest und f : I → R (C). Weiters

sei f mindestens n-mal differenzierbar bei y; vgl. Definition 7.1.15. Das Polynom (in

der Variablen x)

Tn(x) =

n∑

k=0

(x − y)k

k!f (k)(y) ,

nennt man dann das n-te Taylorsche Polynom an der Anschlussstelle y. Die Fehlerfunk-

tion Rn(x) := f (x) − Tn(x) nennt man das n-te Restglied.

Dass Tn(x) eine gute Wahl ist, um ein reellwertiges f zu approximieren, folgt aus

dem nun folgenden Satz, welcher eine Art Verfeinerung des Mittelwertsatzes ist.

7.4.2 Satz (Taylorscher Lehrsatz). Sei I ⊆ R ein Intervall, und sei n ∈ N∪ {0}. Weiters

sei f : I → R mit f ∈ Cn(I) und so, dass f (n) am Inneren von I – also auf I ohne seine

Randpunkte – differenzierbar ist, bzw. aquivalent dazu, dass f auf dem Inneren von I

sicher n + 1-mal differenzierbar ist.

Zu x, y ∈ I, x , y, gibt es immer ein ξ ∈ (min(x, y),max(x, y)), sodass sich das n-te

Restglied Rn(x) = f (x) − Tn(x) schreiben lasst als (Lagrange-Form des Restgliedes)

Rn(x) =(x − y)n+1

(n + 1)!f (n+1)(ξ) .

Beweis. Seien F,G : [min(x, y),max(x, y)]→ R definiert durch

F(t) = f (x) −n∑

k=0

(x − t)k

k!· f (k)(t), G(t) = (x − t)n+1 .

Page 230: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

224 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

Voraussetzungsgemaß sind beide stetig auf [min(x, y),max(x, y)] und differenzier-

bar auf (min(x, y),max(x, y)), wobei G′(t) = −(n + 1)(x − t)n, 0 fur t ∈

(min(x, y),max(x, y)) und

F′(t) = −n∑

k=0

(x − t)k

k!f (k+1)(t) +

n∑

k=1

k(x − t)k−1

k!f (k)(t) = − (x − t)n

n!f (n+1)(t) .

Nach dem verallgemeinerten Mittelwertsatz, Satz 7.2.7, gibt es ein ξ ∈(min(x, y),max(x, y)), sodass

Rn(x)

(x − y)n+1=

F(y) − F(x)

G(y) −G(x)=

F′(ξ)

G′(ξ)=− (x−ξ)n

n!f (n+1)(ξ)

−(n + 1)(x − ξ)n=

f (n+1)(ξ)

(n + 1)!.

7.4.3 Bemerkung. Wahlt man im obigen Beweis G(t) = (x−t)p fur ein festes aber belie-

biges p ∈ N, so erhalt man mit derselben Argumentation ein ξ ∈ (min(x, y),max(x, y)),

sodass

Rn(x) =f (n+1)(ξ)

n!p(x − y)p(x − ξ)n−p+1 .

Stellt man ξ durch ξ = θx+ (1− θ)y fur ein θ ∈ (0, 1) dar, so erhalt man die Schlomilch-

sche Form

Rn(x) =f (n+1)(ξ)

n!p(x − y)n+1(1 − θ)n−p+1 .

des Restgliedes. Fur p = n + 1 erhalt man die Lagrange Form und fur p = 1 die

sogenannte Cauchysche Form des Restgliedes.

7.4.4 Fakta. Sei f : I → R (C) wie in Definition 7.4.1.

1. Man sieht unmittelbar durch Nachrechnen, dass Tn(x) ein Polynom hochstens

n-ten Grades ist, sodass

Tn(y) = f (y), T ′n(y) = f ′(y), . . . , T (n)n (y) = f (n)(y) . (7.9)

Die hoheren Ableitungen von Tn verschwinden identisch, da es ein Polynom

hochstens n-ten Grades ist.

2. Ist p(x) ein weiteres Polynom hochstens n-ten Grades mit (7.9) (Tn ersetzt durch

p), so verschwinden die Ableitungen 0-ten bis n-ten Grades von q(x) = p(x) −Tn(x) an der Stelle y.

Wenden wir Satz 7.4.2 auf die reellen Funktionen Re q(x) und Im q(x) oder auch

nur q(x), falls diese reell ist, an, so folgt wegen q(n+1) ≡ 0, dass q(x) = 0. Also

definiert die Eigenschaft (7.9) das Polynom Tn(x) eindeutig.

3. Ist f selber ein Polynom vom Grad m, so muss insbesondere f (x) = Tn(x) fur

n ≥ m.

4. Fur reellwertige Funktionen f gibt Satz 7.4.2 im Falle der Differenzierbar-

keit von f (n) am Inneren von I eine Moglichkeit, das Restglied Rn(x) durch(x−y)n+1

(n+1)!f (n+1)(ξ) auszudrucken. Das Problem dabei ist, dass man von ξ nur weiß,

dass es zwischen x und y liegt. Nichtsdestotrotz kann man manchmal f (n+1) so

gut abschatzen, dass man sicher sagen kann, dass Rn(x) klein wird; vgl. auch

Bemerkung 7.4.3.

Page 231: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.4. DER TAYLORSCHE LEHRSATZ 225

5. Ist f beliebig oft differenzierbar, so kann man fur jedes n ∈ N ∪ {0} das Taylor-

polynom Tn(x) an der Anschlussstelle y betrachten. Man erhalt schließlich die

Taylorreihe von f an der Anschlussstelle y:

T (x) :=

∞∑

n=0

f (n)(y)

n!(x − y)n .

Das ist eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R ∈ [0,+∞]. Hier konnen alle

Falle auftreten.

6. Ist R > 0, so konvergiert die Potenzreihe insbesondere auf (y − R, y + R). Nun

kann T (x) auf (y−R, y+R)∩ I mit der Ausgangsfunktion f (x) ubereinstimmen;

sie muss es aber nicht.

Klarerweise ist T (x) = f (x), x ∈ (y − R, y + R) ∩ I genau dann, wenn Rn(x)→ 0

fur x ∈ (y − R, y + R) ∩ I.

7. Sei∑∞

n=0 anzn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0, und betrachte die

Funktion

f : (y − R, y + R)→ C, f (t) =

∞∑

n=0

an(t − y)n .

Wir werden in Proposition 8.7.5 sehen, dass f (l)(y) = l! · al, l ∈ N ∪ {0}. Die

Taylorreihe von f an der Anschlussstelle y ist somit genau∑∞

n=0 an(t − y)n, und

konvergiert daher auf (y − r, y + R).

Das Restglied Rn(x) konvergiert dann klarerweise gegen 0.

7.4.5 Beispiel. Sei n ∈ N ∪ {0}, I ⊆ R ein Intervall, und f : I → R so, dass f ∈ Cn(I)

und dass f auf dem Inneren des Intervalls I sogar (n + 1)-mal differenzierbar ist. Gilt

nun f (n+1)(ξ) = 0 fur alle ξ im Inneren von I, so folgt Rn(x) = 0 und daher f (x) = Tn(x)

fur alle x ∈ I. Kurz zusammengefasst bedeutet das, dass genau die Polynome vom Grad

≤ n alle moglichen Losungen der Differentialgleichung

f (n+1)(ξ) = 0 ,

sind. Indem man f in Real- und Imaginarteil zerlegt, folgt diese Tatsache auch fur

komplexwertige f .

7.4.6 Beispiel.

Sei f (t) = et. Dann gilt f (n)(t) = et, also f (n)(0) = 1. Wir erhalten

ex =

n∑

k=0

xk

k!+ Rn(x) ,

wobei Rn(x) = xn+1

(n+1)!eξ mit ξ ∈ (0, x).

Da ex die Grenzfunktion einer Potenzreihe ist, – so wurde sie ja eingefuhrt –

muss Rn(x)→ 0, vgl. Fakta 7.4.4, 7. Man kann dieses Grenzverhalten aber auch

unschwer durch eine elementare Abschatzung von Rn(x) erhalten.

Page 232: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

226 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

Betrachte die Funktion

f (t) =

∞∑

k=1

cos(2kt)

k!.

Differenziert man diese Reihe gliedweise, so erhalt man

∞∑

k=1

−2k sin(2kt)

k!,

∞∑

k=1

−22k cos(2kt)

k!, . . .

Da∑∞

k=1(2k)l

k!fur jedes l ∈ N konvergiert, sind samtliche dieser Reihen

gleichmaßig konvergent auf R. Wie wir spater in Korollar 8.7.4 sehen werden,

ist die Funktion f daher in jedem Punkt beliebig oft differenzierbar, und ihre

Ableitungen werden durch obige Reihen dargestellt. Es gilt daher

f ′(0) = f ′′′(0) = . . . = f (2k+1)(0) = . . . = 0 ,

und

f (2n)(0) = (−1)n

∞∑

k=1

22nk

k!= (−1)n(e4n − 1) .

Die Taylorreihe von f bei 0 ist also gleich

∞∑

n=0

(−1)n(e4n − 1)

(2n)!x2n .

Wendet man das Quotientenkriterium an, so erhalt man (an =(−1)n(e4n−1)

(2n)!x2n) .

∣∣∣an+1

an

∣∣∣ = (e4n2 + 1)(e4n

+ 1)

(2n + 2)(2n + 1)x2 −→ ∞, x , 0 .

Diese Reihe ist fur kein x (außer im Trivialfall x = 0) konvergent.

Das Taylorpolynom Tn(x) der Funktion f aus Beispiel 7.2.20 ist stets identisch

Null. Also ist f ein Beispiel fur eine C∞-Funktion, deren Taylorreihe bei der

Anschlussstelle 0 auf ganz R konvergiert, aber nicht mit f ubereinstimmt.

Wir haben gesehen, dass fur eine differenzierbare Funktion f , welche an einer Stel-

le x ein lokales Extremum besitzt, f ′(x) = 0 gelten muss. Wie das Beispiel f (t) = t3

zeigt, gilt die Umkehrung im Allgemeinen nicht. Aus dem Taylorschen Satz erhalt man

unmittelbar eine hinreichende Bedingung fur ein lokales Extremum.

7.4.7 Korollar. Fur m ∈ N, m > 1 sei f : (c, d) → R eine zumindest m-mal differen-

zierbare Funktion, x ∈ (c, d), f (m) bei x stetig, und gelte

f ′(x) = f ′′(x) = . . . = f (m−1)(x) = 0, f (m)(x) , 0 .

Ist m gerade, so ist x ein lokales Extremum von f , und zwar ein lokales Minimum falls

f (m)(x) > 0 und ein lokales Maximum falls f (m)(x) < 0. Ist dagegen m ungerade, so ist

x sicher kein lokales Extremum von f .

Beweis. Gemaß Satz 7.4.2 mit Anschlussstelle x und n + 1 = m gilt fur t ∈ (c, d) mit

einer geeigneten Zwischenstelle ξ zwischen t und x

f (t) = f (x) +(t − x)m

m!f (m)(ξ) .

Page 233: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.4. DER TAYLORSCHE LEHRSATZ 227

Ist f (m)(x) > 0, so gilt fur ξ in einer hinreichend kleinen Umgebung (x− δ, x+ δ) von x

ebenfalls f (m)(ξ) > 0. Da ξ zwischen t und x liegt, folgt aus t ∈ (x − δ, x + δ), dass fur

gerades m(t − x)m

m!f (m)(ξ) > 0 .

Somit folgt f (t) > f (x), und x ist ein lokales Minimum. Ist m ungerade, so hat (t − x)m

fur t < x ein anderes Vorzeichen als fur t > x. Also ist x kein lokales Extremum. Ganz

analog verlauft die Argumentation fur f (m)(x) < 0.

7.4.8 Beispiel. Mit den bisher gesammelten Ergebnissen lassen sich sogenannte

Kurvendiskussionen von Funktionen durchfuhren.

0 11e

2

1

2

3

4

f

Man betrachte z.B. die

Funktion f (x) = xx auf

(0,+∞).

Zunachst ist diese Funktion stetig und beliebig oft differenzierbar.

Klarerweise ist sie immer positiv, hat also keine Nullstellen.

Um die lokalen Extrema zu finden, betrachte

f ′(x) = xx(1 + ln x), f ′′(x) = xx−1 + xx(1 + ln x) .

Die einzige Nullstelle von f ′(x) ist 1e. Da f ′′( 1

e) > 0 folgt aus Korollar 7.4.7,

dass diese Stelle ein lokales Minimum ist.

Fur 0 < x < 1e

ist f ′(x) < 0, also dort monoton fallend, und fur 1e< x ist

f ′(x) > 0, also dort monoton wachsend, vgl. Korollar 7.2.9. Insbesondere ist 1e

ein absolutes Minimum von f auf (0,+∞).

Schließlich haben wir in Beispiel 7.2.16 gesehen, dass limx→0+ f (x) = 1. Wegen

xx ≥ ex, x ≥ e gilt auch die Beziehung limx→+∞ f (x) = +∞.

7.4.9 Beispiel. Wir wollen die Funktion f : (0,+∞)→ R

f (x) = (1 − ln x)2 − x(3 − 2 ln x) .

aus Beispiel 7.2.5 weiter diskutieren, fur die wir schon berechnet haben, dass

f ′(x) = 2(ln x − 1)1

x+ 2 ln x − 1, f ′′(x) = 2

1

x2− 2

ln x − 1

x2+

2

x=

4 − 2 ln x + 2x

x2.

Zudem haben wir festgestellt, dass f ′′(x) > 0 fur x ∈ (0,+∞) und dass f genau zwei

Nullstellen ξ, η hat, wobei 0 < ξ < 1 < η < +∞.

Page 234: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

228 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

Nach dem Satz von Rolle hat dann auch f ′ mindestens eine Nullstelle x0 mit ξ <

x0 < η. Wegen f ′′(x) > 0 und dem Satz von Rolle kann es davon aber nur eine geben,

und mit Korollar 7.4.7 erkennen wir aus f ′′(x0) > 0, dass x0 ein lokales Minimum von

f ist.

In der Tat muss f ′ wegen f ′′(x) > 0 streng monoton wachsen. Außerdem gilt wegen

f ′(x) ≤ − 1x

fur x ∈ (0, 1)

limx→0+

f ′(x) = −∞ ,

und wegen f ′(x) ≥ 2 ln x − 1 fur x > e

limx→+∞

f ′(x) = +∞ .

Daraus erkennen wir auch, dass f eine eindeutige Nullstelle haben muss.

Wegen der Monotonie von f ′ gilt

f ′(s) < f ′(x0) = 0 < f ′(t) fur 0 < s < x0 < t < +∞ .

Also ist f auf (0, x0) monoton fallend und auf (x0,+∞) monoton wachsend, weshalb

x0 sogar ein globales Minimum von f sein muss.

7.5 Stammfunktion

Bei der Integration von Funktionen wird es wichtig sein, zu einer gegebenen Funktion

f : [a, b]→ R (C) – falls moglich – eine Funktion F : [a, b]→ R (C) zu finden, sodass

F′ = f .

7.5.1 Definition. Sei I ⊆ R ein Intervall und f : I → R (C). Wir nennen eine Funktion

F : I → R (C) eine Stammfunktion von f , wenn F′(x) = f (x) fur alle x ∈ I.

Hat ein f mindestens eine Stammfunktion, so heißt die Gesamtheit aller Stamm-

funktionen von f das unbestimmte Integral von f und wird durch∫

f bezeichnet.

7.5.2 Bemerkung. Mit F ist offensichtlicherweise auch F + c fur jedes c ∈ R (C) eine

Stammfunktion von f .

Sind umgekehrt F1, F2 zwei Stammfunktionen der selben Funktion f , so gilt (F1 −F2)′ ≡ 0 auf I. Nach Korollar 7.2.9 bzw. Bemerkung 7.2.11 ist F1 −F2 eine Konstante.

Somit gibt es bis auf additive Konstanten eine eindeutige Stammfunktion F, und

∫f = {F + c : c ∈ R (C)} .

7.5.3 Beispiel. Ist f : R \ {0} → R gegeben durch f (x) = 1x, so uberzeugt man sich

sofort, dass F : R \ {0} → R, F(x) = ln |x| die Gleichung F′(x) = f (x) fur alle

x ∈ R\{0} erfullt. Fur die Funktion G : R\{0} → R, G(x) = sgn(x)+ ln |x| gilt ebenfalls

G′(x) = f (x) fur alle x ∈ R \ {0}. Dieser scheinbare Widerspruch zu Bemerkung 7.5.2

lasst sich dadurch erklaren, dass R \ {0} ja kein Intervall ist – Korollar 7.2.9 lasst sich

darauf also nicht anwenden.

Zum Aufsuchen von Stammfunktionen gegebener Funktionen ist folgendes Resul-

tat sehr hilfreich.

7.5.4 Lemma. Seien I, J ⊆ R Intervalle und f , g : I → R (C), sowie α, β ∈ R (C).

Weiters sei h : J → I differenzierbar.

Page 235: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.5. STAMMFUNKTION 229

(i) Haben f und g Stammfunktionen, so auch α f + βg, wobei

∫(α f + βg) = α

∫f + β

∫g

.

(ii) Sind f und g differenzierbar auf I, sodass f ′g eine Stammfunktion hat, dann hat

auch f g′ eine solche, und

∫f ′g = f g −

∫f g′, Regel von der Partiellen Integration. (7.10)

(iii) Mit f hat auch ( f ◦ h) · h′ : J → R (C) eine Stammfunktion, wobei

∫(( f ◦ h) · h′) =

(∫f

)◦ h, (Substitutionsregel)

Diese drei Beziehungen sind so zu verstehen, dass wenn∫· · · fur jeweils eine Stamm-

funktion steht, die Gleichheit bis auf eine Konstante gilt.

Beweis.

(i) Sind F und G Stammfunktionen von f und g, so folgt (αF + βG)′ = αF′ + βG′ =α f + βg. Also ist αF + βG eine Stammfunktion von α f + βg.

(ii) Ist H Stammfunktion von f ′g, so folgt aus der Produktregel ( f g − H)′ = ( f ′g +f g′) − f ′g = f g′. Somit ist f g − H Stammfunktion von f g′, und es gilt (7.10).

(iii) Ist F Stammfunktion von f , so folgt aus der Kettenregel in Satz 7.1.9 bzw. Be-

merkung 7.1.10, dass (F ◦ h)′ = ( f ◦ h) · h′. Also ist F ◦ h Stammfunktion von

( f ◦ h) · h′.

7.5.5 Bemerkung. Zur Substitutionsregel gibt es folgende Merkregel:

Seien I, J ⊆ R wieder Intervalle, f : I → R (C), und h : J → I differenzierbar.

Schreiben wir x = h(t) mit t ∈ J und formal dx = h′(t) dt, so erhalt man aus

(∫f

)(x) =:

∫f (x)dx

durch Ersetzen von x durch h(t) und dx durch h′(t) dt

∫f (h(t)) · h′(t) dt :=

∫(( f ◦ h) · h′) .

Wie gesagt ist das eine Merkregel, die sich beim Bestimmen konkreter Stammfunk-

tionen aber als durchaus praktikabel und ubersichtlich herausgestellt hat, siehe etwa

Beispiel 7.5.9.

Page 236: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

230 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

7.5.6 Beispiel. Man kann die Substitutionsregel verwenden, um einfache Differential-

gleichungen der Form

y′(t) · f (y(t)) = g(t), t ∈ I , (7.11)

zu losen. Hier sind I, J ⊆ R Intervalle und f : J → R sowie g : I → R stetige

Funktionen.

Angenommen man hat eine Funktion y : I → J ⊆ R, welche (7.11) erfullt. Hat

f eine Stammfunktion F, so ist nach der Substitutionsregel die Funktion F ◦ y eine

Stammfunktion von t 7→ y′(t) · f (y(t)) und daher auch von g.

Kennt man andererseits eine Stammfunktion G von g explizit, so folgt F ◦ y =

G + c fur eine Konstante c ∈ R. Also hat man eine implizite Beschreibung von y(t). In

manchen Fallen lasst sich diese Gleichung nach y auflosen, wodurch man y(t) explizite

beschreiben kann.

Diese hier beschriebene Methode nennt man auch Trennung der Variablen .

7.5.7 Beispiel. Man betrachte die Differentialgleichung

y′(t) = y(t), t ∈ R .

Eine reellwertige Losung y dieser Differentialgleichung ist y ≡ 0. Angenommen y ist

eine weitere reellwertige Losung mit y(t0) < 0 fur ein t0 ∈ R. Wegen der Stetigkeit gilt

y(t) < 0 fur alle t ∈ (t0 − ǫ, t0 + ǫ) =: I.

Ist f : I → (−∞, 0) die Funktion f (η) = 1η, so gilt fur t ∈ I,

y′(t) · 1

y(t)= y′(t) · f (y(t)) = 1 .

Eine Stammfunktion von f ist F(η) = ln(−η), also ist t 7→ ln(−y(t)) eine Stammfunkti-

on von y′(t)· 1y(t)

auf I. Von 1 ist t 7→ t eine Stammfunktion. Es folgt ln(−y(t)) = t+c, t ∈I, und weiter y(t) = −ec · et. Also muss y(t) = d · et, t ∈ I fur ein reelles d ∈ (−∞, 0).

Man beachte, dass wir von der Gultigkeit von y′(t) = y(t) auf y(t) = d · et, t ∈ I,

geschlossen haben, wir uns also zunachst nicht sicher sein konnen, dass diese Funktion

tatsachlich y′(t) = y(t) lost. Durch Einsetzen zeigt man aber sofort, dass tatsachlich

y(t) = d · et, t ∈ R, eine Losung ist.

Wir werden nun einige Funktionstypen auflisten und angeben, wie man die unbe-

stimmten Integrale von diesen bestimmt.

(i) Ist f (x) = xn, n ∈ N∪ {0} auf R, so ist F(x) = 1n+1

xn+1 eine Stammfunktion. Also

ist∫

xn = 1n+1

xn+1 + c.

(ii) Ist f (x) = x−n, n ∈ N, n > 1 auf (−∞, 0) oder (0,+∞), so ist F(x) = 1−n+1

x−n+1

eine Stammfunktion.

(iii) Ist f (x) = x−1, auf (−∞, 0) oder (0,+∞), so ist F(x) = ln |x|, x , 0 eine Stamm-

funktion.

(iv) Um die Stammfunktion von ln x, x > 0 zu ermitteln, wenden wir die Partielle

Integration an:

∫ln(x) =

∫(x′) ln(x) = x ln(x) −

∫x

1

x= x(ln(x) − 1) + c .

Page 237: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.5. STAMMFUNKTION 231

(v)∫

ex = ex + c,∫

sinh x = cosh x + c,∫

cosh x = sinh x + c.

(vi)∫

sin x = − cos x + c,∫

cos x = sin x + c.

(vii) Sei n ∈ N, n ≥ 2. Mit partieller Integration sieht man∫

cosn t =

∫(cosn−1 t) · (cos t) = (cosn−1 t)(sin t) + (n − 1)

∫(cosn−2 t)(sin t)2 =

(cosn−1 t)(sin t) + (n − 1)

∫(cosn−2 t) − (n − 1)

∫(cosn t) .

Also erhalt man die Rekursionsgleichung∫

cosn t =1

n(cosn−1 t)(sin t) +

n − 1

n

∫(cosn−2 t) .

(viii) Mit Hilfe von (i) und der Substitutionsregel folgt (k ∈ N, k > 1)∫

a

(x − b)= a ln |x − b| + c,

∫a

(x − b)k=

a

(−k + 1)(x − b)k−1+ c ,

wobei man diese Funktionen auf einem Intervall betrachtet, das b nicht enthalt.

(ix)∫

11+x2 = arctan x + c. (Umkehrfunktion von tan = sin

cos: (− π

2, π

2)→ R).

(x) Um∫

x1+x2 zu ermitteln, wende man die Substitutionsregel auf h(x) = x2, h′(x) =

2x und f (y) = 11+y

an:

∫x

1 + x2=

1

2

∫2x

1 + x2=

1

2

(∫1

1 + y

)

y=x2

=1

2(ln |1 + y|)y=x2 =

1

2ln |1 + x2| .

(xi) Ganz ahnlich sieht man∫

x(1+x2)k =

12(1−k)

1(1+x2)k−1 fur k ∈ N, k > 1.

(xii)∫

1(1+x2)k , k ∈ N, k > 1 lasst sich rekursiv berechnen, indem man

t = arctan x ∈ (− π2, π

2) substituiert

∫1

(1 + x2)k=

∫1

(1 + x2)k−1· 1

(1 + x2)=

∫1

(tan2 t + 1)k−1=

∫cos2k−2 t =

1

2k − 2(cos2k−2 t) · (tan t) +

2k − 3

2k − 2

∫(cos2k−4 t) =

1

2k − 2· x

(1 + x2)k−1+

2k − 3

2k − 2

∫1

(1 + x2)k−1.

(xiii) Ist nun allgemein f (x) = x+d(x2+px+q)k , und hat x2 + px + q keine reellen Nullstellen

(D := q − p2

4> 0), so schreibe

f (x) =(x +

p

2) + (d − p

2)

((x +p

2)2 + q − p2

4)k.

Um∫

f (x) zu berechnen, substituiere√

Dy − p

2= x(y):

∫f (x) =

1

Dk

∫Dy +

√D(d − p

2)

(1 + y2)k.

Dieses Integral lasst sich mit Hilfe der oben behandelten Funktionen losen.

Page 238: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

232 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

(xiv) Zu guter Letzt noch Stammfunktionen von C-wertigen Funktionen (w ∈ C):

∫eix = −ieix + c,

∫ewx =

1

wewx + c,

∫xewx =

x

wewx −

∫1

wewx =

x

wewx − 1

w2ewx + c .

Um die Stammfunktion einer beliebigen rationalen Funktion R(x) =P(x)

Q(x), wobei

P(x) und Q(x) zwei reelle Polynome sind, zu ermitteln, werden wir diese in eine Sum-

me von Funktionen entwickeln, deren Stammfunktionen wir eben kennengelernt haben.

Als erstes folgt aus dem Euklidischen Algorithmus, dass

P(x) = S (x)Q(x) + T (x) ,

wobei S (x) und T (x) reelle Polynome sind, und wobei der Grad von T (x) kleiner als

der von Q(x) ist.

Das Integral von R(x) = S (x) +T (x)

Q(x)ist daher

∫S (x) +

∫T (x)

Q(x). Das erste Integral

errechnet man leicht mit Hilfe von (i). Fur das zweite mussen wirT (x)

Q(x)weiter zerlegen.

Dazu betrachten wir zuerst die auftretenden Polynome als komplexe Polynome.

Das hat den Vorteil, dass sich jedes komplexe Polynom bis auf eine Konstante als

Produkt von Faktoren (z − z j) schreiben lasst.

7.5.8 Satz. Seien T (z),Q(z) zwei komplexe Polynome, sodass der Grad n von Q(z)

großer als der von T (z) ist. Schreiben wir Q(z) = anzn + · · · + a0 mit an ∈ C \ {0} als

Q(z) = an(z − z1)ν1 · · · · · (z − zm)νm ,

wobei zi , z j wenn i , j und wobei ν1, . . . , νm ∈ N, ν1 + · · · + νm = n, so gibt es

eindeutige Zahlen a jk ∈ C, sodass (z ∈ C \ {z1, . . . , zm})

T (z)

Q(z)=

m∑

j=1

ν j∑

k=1

a jk

(z − z j)k.

Beweis. Unser Problem ist aquivalent zur Existenz und Eindeutigkeit von Zahlen a jk,

sodass fur z ∈ C

1

an

T (z) =

m∑

j=1

ν j∑

k=1

a jk(z − z j)ν j−k

m∏

l=1,l, j

(z − zl)νl . (7.12)

Betrachte den VektorraumCn−1[z] aller komplexen Polynome vom Grad kleiner n. Die-

ser hat Dimension n. Kann man nun zeigen, dass die n Stuck Polynome

(z − z j)ν j−k

m∏

l=1,l, j

(z − zl)νl , j = 1, . . . ,m, k = 1, . . . , ν j ,

linear unabhangig in Cn−1[z] sind, so bilden sie sogar eine Basis, und unser Satz folgt

sofort aus der Linearen Algebra.

Ware ∑

j=1,...,m,k=1,...,ν j

λ jk(z − z j)ν j−k

m∏

l=1,l, j

(z − zl)νl = 0 ,

Page 239: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.5. STAMMFUNKTION 233

und setzt man z = z1, . . . , zm, so erhalt man λ1ν1= · · · = λmνm

= 0. Nun kann man∏mj=1(z − z j) durchdividieren und erhalt

j=1,...,m;k=1,...,ν j−1

λ jk(z − z j)ν j−1−k

m∏

l=1,l, j

(z − zl)νl−1 = 0 .

Wiederholt man obige Argumentation, so folgt λ j(ν j−1) = 0 fur alle j ∈ {1, . . . ,m}, ν j >

1, usw. bis man schließlich λ jk = 0 fur alle j = 1, . . . ,m, k = 1, . . . , ν j erhalt.

Aus (7.12) sehen wir auch, wie man die Zahlen a jk gewinnen kann. In der Tat kann

man alle auftretenden Polynome ausmultiplizieren und vergleicht dann die Koeffizien-

ten, die bei jedem zk links und rechts vom Gleichheitszeichen stehen. Diese mussen

ubereinstimmen, und so erhalt man n Gleichungen fur n Unbekannte.

Etwas weniger Arbeit hat man, wenn man den eben gebrachten Beweisgedanken

einfließen lasst. Man kann namlich in (7.12) nacheinander z = z1, . . . , zm setzen und

erhalt so a jν jganz leicht.

Wir kehren zu unseren reellen Polynomen T (x) und Q(x) zuruck. Wenn wir auf

diese Satz 7.5.8 anwenden, hat das den Nachteil, dass man eine Partialbruchzerlegung

mit moglicherweise nicht nur reellen Komponenten erhalt.

Um das wieder zu reparieren, schließt man zuerst aus Q(z) = Q(z) – Q(z) hat ja

reelle Koeffizienten –, dass mit z j auch z j eine Nullstelle von Q(z) ist, und dass diese

die gleiche Vielfachheit ν j haben.

Somit sind die Nullstellen von Q(z) von der Form x1, . . . , xp, z1, . . . zq, z1, . . . zq, wo-

bei x j ∈ R und z j ∈ C+ := {z ∈ C : Im z > 0}. Die Partialbruchzerlegung aus Satz 7.5.8

lasst sich nun schreiben als

T (z)

Q(z)=

p∑

j=1

ν j∑

k=1

a jk

(z − x j)k+

q∑

j=1

µ j∑

k=1

(b jk

(z − z j)k+

c jk

(z − z j)k

).

Da aber auchT (z)

Q(z)=

T (z)

Q(z), folgt aus der Eindeutigkeit der komplexen Partialbruchzerle-

gung a jk ∈ R und c jk = b jk, und man erhalt

(b jk

(z − z j)k+

c jk

(z − z j)k

)=

(b j(z − z j)

k + b j(z − z j)k

(z2 − 2z Re(z j) + |z j|2)k

),

wobei die Polynome in Zahler und Nenner reell sind. Summiert man nun uber k auf und

bringt die Summe auf gemeinsamen Nenner, so erhalt man eine Funktion der Form

T j(z)

(z2 + B jz +C j)µ j,

wobei T j(z) ein reelles Polynom mit Grad kleiner 2µ j ist, und B j = −2 Re(z j), C j =

|z j|2. Durch wiederholte Anwendung des Euklidischen Algorithmus kann man dieses

Polynom als

T j(z) =

µ j∑

k=1

(d jkz + e jk)(z2 + B jz + C j)µ j−k

anschreiben. Somit folgt die Zerlegung

T (z)

Q(z)=

p∑

j=1

ν j∑

k=1

a jk

(z − x j)k+

q∑

j=1

µ j∑

k=1

d jkz + e jk

(z2 + B jz + C j)k, (7.13)

Page 240: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

234 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

welche nur reelle Zahlen beinhaltet. Dabei haben die z2 + B jz + C j klarerweise keine

reellen Nullstellen.

Zur praktischen Berechnung der Koeffizienten a jk in (7.13) multipliziert man Q(z)

links und rechts und fuhrt einen Koeffizientenvergleich durch. Durch Einsetzen von

z = x j lassen sich die a jν jauch schneller berechnen.

Um∫

T (x)

Q(x)zu berechnen, genugt es nun die einzelnen Summanden in der Partial-

bruchzerlegung zu integrieren und diese dann zu summieren.

7.5.9 Beispiel. Wir wollen das Integral∫

tan x dx auf einem Intervall I berechnen, wo-

bei keine Nullstelle von cos x enthalten darf:∫

tan x dx =

∫sin x

cos xdx =[

t=cos xdt=− sin xdx

] −∫

1

tdt =

= − ln |t| +C = − ln | cos x| +C .

Diese Methode beruht darauf, dass unser Integrand von der Gestalt f (t(x)) t′(x) ist, und

noch dazu mit einer sehr einfachen Funktion f . Daher konnen wir die Substitutionsre-

gel unmittelbar anwenden und die entstehende Funktion leicht integrieren.

7.5.10 Beispiel. Wir wollen das Integral∫

x2 sin x dx auf einem beliebigen Intervall

berechnen. Wir verwenden partielle Integration:∫

x2 sin x dx = x2(− cos x) −∫

2x(− cos x) dx = −x2 cos x + 2

∫x cos x dx =

= −x2 cos x + 2(x sin x −

∫sin x dx

)= −x2 cos x + 2x sin x + 2 cos x +C

Mit dieser Methode kann man zum Beispiel alle Integrale von der Form∫

P(x)ex dx,

∫P(x) sin x dx,

∫P(x) cos x dx ,

mit einem Polynom P berechnen.

7.5.11 Beispiel (Integration von R(ex)). Hat man eine Funktion f der Gestalt f (x) =

R(ex), wobei R eine rationale Funktion ist, so kann man deren Integral stets mit Hilfe

der Substitution t = ex auf das Integral einer rationalen Funktion bringen. Denn es gilt,

mit t = ex, ∫R(ex) dx =[ t=ex

dt=exdxdx= 1

tdt

]∫

R(t)1

tdt

7.5.12 Beispiel. Wir wollen das Integral∫

e2x−1ex+2

dx auf R berechnen. Zunachst gilt

∫e2x − 1

ex + 2dx =

∫(ex)2 − 1

ex + 2dx =[

t=ex

dx= 1tdt

]∫

t2 − 1

t + 2· 1

tdt

Man beachte, dass nach der Substitution t(x) = t in (0,+∞) liegt; also immer positiv ist.

Nun haben wir ein Integral einer rationalen Funktion auf (0,+∞) zu berechnen. Dazu

schreiben wir

t2 − 1

t + 2· 1

t=

t2 − 1

t2 + 2t=

t2 + 2t − 2t − 1

t2 + 2t= 1 − 2t + 1

t(t + 2)

Page 241: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.6. UBUNGSBEISPIELE 235

und versuchen nun den zweiten Summanden in Partialbruche zu zerlegen:

2t + 1

t(t + 2)=

A

t+

B

t + 2=

(A + B)t + 2A

t(t + 2)

Koeffizientenvergleich fuhrt auf A = 12

und B = 32. Also haben wir

t2 − 1

t + 2· 1

t= 1 − 1

2t− 3

2(t + 2)

und daher ∫t2 − 1

t + 2· 1

tdt = t − 1

2ln t − 3

2ln(t + 2) =

= ex − x

2− 3

2ln(ex + 2)

7.5.13 Beispiel (Integration von R(sin x, cos x)). Hat man eine Funktion f der Gestalt

f (x) = R(sin x, cos x), wobei R eine rationale Funktion ist, so kann man deren Integral

stets mit Hilfe der Substitution t = tan x2

auf das Integral einer rationalen Funktion

bringen. Denn es gilt, mit t = tan x2,

sin x = 2 sinx

2cos

x

2=

2 tan x2

1 + tan2 x2

=2t

1 + t2

cos x = cos2 x

2− sin2 x

2=

1 − tan2 x2

1 + tan2 x2

=1 − t2

1 + t2

dt

dx=

1

2(1 + tan2 x

2) also dx =

2

1 + t2dt

7.6 Ubungsbeispiele

7.1 Geben Sie den jeweils maximalen Definitionsbereich D ⊆ R folgender Funktionen

cos(3x), tan2(5x3), ln | cos x| , sinh(x), cosh(x) .

an, und bestimmen Sie fur ein beliebiges x ∈ D jeweils die Ableitung der Funktion bei x.

Hinweis: Fur komplexwertige Funktionen gelten auch die Ableitungsregeln wie Summen-

regel und Produktregel. Die Aufspaltung in Real- und Imaginarteil bedeutet daher oft einen

unnotigen Aufwand!

7.2 Geben Sie an, fur welche x ∈ R die Funktion f (x) =√

4 − x2 + 2 als reellwertige Funktion

definiert ist; dh. es ist der Maximale Definitionsbereich D dieser Funktion zu bestimmen.

Fur welche x ∈ D ist f differenzierbar? Geben Sie die Ableitung von f an diesen Stellen an!

7.3 Sei f : R→ R gegeben durch f (t) = at fur t < 2 und durch f (t) = b + t32 fur t ≥ 2.

Bestimmen Sie a, b ∈ R so, dass f auf ganz R differenzierbar ist! Bestimmen Sie fur diese

Wahl von a, b auch f ′ : R → R und geben Sie an, ob f stetig differenzierbar bzw. auf Rsogar zwei mal differenzierbar ist.

7.4 Man berechne die Ableitung der Umkehrfunktion arcsin : (−1, 1) → (− π2, π

2) von sin :

(− π2, π

2) → (−1, 1) sowie die Ableitung der Umkehrfunktion areasinh : R → R von sinh :

R→ R; vgl. Ubungsbeispiele 6.23 und 6.24.

Page 242: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

236 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

7.5 Zeigen Sie, dass cos : [0, π] → [−1, 1] streng monoton fallend und bijektiv ist. Berechnen

Sie die Ableitung der Umkehrfunktion arccos : (−1, 1)→ (0, π) der Funktion cos : (0, π)→(−1, 1).

7.6 Man zeige, dass tanh : R → [−1, 1], tanh x = sinh xcosh x

bijektiv und streng monoton wachsend

ist. Skizze!

Weiters berechne man die Ableitung der entsprechenden Umkehrfunktion areatanh.

7.7 Man berechne die Ableitung folgender Funktionen auf R+ mit α ∈ R:

xα, xx, (xx)x, xxx

, ln(x + cos2(1

x2)) .

7.8 Berechnen Sie fur f : R→ R, g : R→ R, h : R→ C mit

f (x) = x3ex , g(x) = exp(x999

), h(x) =

1

2 + exp(i4x)

f (1000)(x), g(1000)(0) und h′(x).

7.9 Berechnen Sie (n ∈ N)

limx→0

1

xne− 1

x2 , limx→+∞

x ln x

x2 − 1, lim

x→0

1 − cos nx

sin(n2 x2).

7.10 Die Exponentialfunktion hat eine in der Theorie der Differentialgleichungen wichtige Ei-

genschaft: (eax)′ = aeax.

Nun sei f : (α, β)→ R eine differenzierbare Funktion, die f ′(x) = a f (x) erfullt. Man zeige:

f (x) = ceax fur eine reelle Konstante c.

Hinweis: Leiten Sie f (x)e−ax ab!

7.11 Die Funktion tan x ist fur alle x ∈ R \ ( π2+ πZ) definiert als sin x

cos x. Man berechne die erste und

die zweite Ableitung dieser Funktion. Weiters bestimme man die Nullstellen der Funktion,

und zeige, dass sie streng monoton wachsend auf jedem in R\( π2+πZ) enthaltenem Intervall

ist. Skizze!

Schließlich zeige man limt→± π2

tan t = ±∞ und damit, dass tan das Intervall (− π2, π

2) bijektiv

auf R abbildet, und berechne man die Ableitung der Umkehrfunktion arctan : R → (− π2, π

2)

(Arcustangens).

7.12 Ist f : [1,+∞)→ R definiert durch f (x) = (x − 1)x−1, x > 1 und f (1) = 1 bei 1 stetig? Ist f

bei 1 rechtsseitig differenzierbar?

7.13 Sei f : (−∞, 2]→ R definiert durch f (x) = (x−1)x−1 fur x ∈ (1, 2] und durch f (x) = c+ xe−x

fur x ≤ 1 und fur ein c ∈ R so, dass f stetig ist.

Skizzieren Sie die Funktion! Wo ist f differenzierbar? Suchen Sie die Nullstellen der Ab-

leitung dort, wo die Funktion ableitbar ist! Geben Sie an, auf welchen Teilintervallen von

(−∞, 2] die Funktion (streng) monoton wachst und wo sie (streng) monoton fallt. Bestim-

men Sie auch alle lokalen Extrema, sowie das globale Maximum und Minimum (falls vor-

handen)!

7.14 Fur welchen Punkt (a, b) ∈ R2 im ersten Quadranten (⇔ a, b > 0) auf der Parabel y = 4− x2

besitzt das Dreieck, das von der Tangente in (a, b) an die Parabel und den Koordinatenachsen

begrenzt wird, minimalen Flacheninhalt?

Hinweis: Vergessen Sie nicht zu zeigen, dass der Kandidat furs lokale Extremum tatsachlich

ein Minimum ist!

7.15 Sei α > 0. Man zeige mit Hilfe des Mittelwertsatzes

α

(1 + x)α+1<

1

xα− 1

(1 + x)α, ∀x > 0,

und mit Hilfe dieser Ungleichung die Konvergenz der Reihe∞∑

n=1

1

nα+1 .

Page 243: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

7.6. UBUNGSBEISPIELE 237

7.16 Sei Pn(x) := 2−n(n!)−1((x2 − 1)n

)(n)das n-te Legendre-Polynom fur n ≥ 0.

(i) Bestimme P0(x), P1(x), P2(x).

(ii) Bestimme Pn(0).

(iii) Bestatige (x f (x))(n) = x f (n)(x) + n f (n−1)(x) fur eine n-fach differenzierbare Funktion f .

(iv) Bestatige P′n+1

(x) = xP′n(x) + (n + 1)Pn(x).

Anmerkung: Mit (ii) und (iv) lassen sich die Legendrepolynome rekursiv berechnen.

7.17 Bekannterweise ist sin x als Potenzreihe∑∞

n=0 an xn entwickelbar. Man verwende das Taylor-

sche Restglied um folgende Fragestellung zu beantworten:

Wie groß muss man n wahlen, sodass die Differenz des n-ten Taylorpolynomes von sin x zur

Funktion sin x auf [−3, 3] hochstens 10−6 betragt?

7.18 Man zeige, dass (α ∈ R)

(1 + x)α = 1 +

∞∑

n=1

n

)xn

fur 0 ≤ x < 1, indem man zeigt, dass das Taylorsche Restglied gegen Null konvergiert.

Anmerkung: Die Gleichheit gilt auch fur −1 < x < 0, denn die Potenzreihe 1 +∑∞

n=1

n

)xn

hat Konvergenzradius 1 und stimmt fur α ∈ Q mit (1 + x)α uberein. Nun kann man mit

Hilfe des Weierstrasskriterium zeigen, dass 1 +∑∞

n=1

n

)xn bei festem x ∈ (−1, 1) stetig in

α ist, wenn α in einer beliebigen kompakten Menge der Form [−K,K] lauft. Da (1 + x)α

und 1 +∑∞

n=1

n

)xn stetige Funktionen in α sind und auf der dichten Menge [−K,K] ∩ Q

ubereinstimmen, mussen sie auf ganz [−K,K] ubereinstimmen.

7.19 Sei f eine reellwertige stetige Funktion, die auf einem Intervall I definiert ist und die im

Inneren von I ableitbar ist. Man beweise, dass f genau dann konvex ist, wenn ihre Ableitung

f ′ wachsend ist (x ≤ y⇒ f ′(x) ≤ f ′(y)).

Wenn fur f noch zusatzlich die zweite Ableitung im Inneren von I existiert, wie lasst sich

dann die Konvexitat durch f ′′ charakterisieren?

Hinweis: Fur die ⇒ Richtung verwende man die Gleichung aus dem Ubungsbeispiel 6.41

dem letzten Beispiel. Fur die andere Richtung verwende man den Mittelwertsatz.

7.20 Man beweise, dass die Funktionen f (x) = ex, g(x) = x2 auf ganz R konvex sind. Weiters

zeige man, dass ln x auf R+ konkav ist.

7.21 Sei f eine konvexe Funktion auf einem Intervall I. Man beweise mit vollstandiger Induktion

nach n ∈ N, n ≥ 2, dass folgende Ungleichungen gelten (Jensensche Ungleichung): Fur

beliebige x1, . . . , xn ∈ I und λ1, . . . , λn ∈ [0, 1] mit∑n

j=1 λ j = 1 gilt

f (

n∑

j=1

λ j x j) ≤n∑

j=1

λ j f (x j).

Fur beliebige x1, . . . , xn ∈ I und µ1, . . . , µn ∈ [0,+∞), wobei nicht alle Null sein durfen, gilt

f

(∑nj=1 µ j x j∑n

j=1 µ j

)≤

∑nj=1 µ j f (x j)∑n

j=1 µ j

.

Man zeige damit: Fur n ∈ N, n ≥ 2 und a1, . . . , an, λ1, . . . , λn > 0 mit∑n

j=1 λ j = 1 gilt

aλ1

1aλ2

2. . . aλn

n ≤ a1λ1 + a2λ2 + · · · + anλn.

Hinweis: f (x) = ex!

7.22 Fuhren Sie bei der Funktion f (x) = x2e− 1

x2 mit f (0) = 0 eine Kurvendiskussion durch.

Bestimmen Sie also Nullstellen, lokale (globale Extrema), auf welchen Teilintervallen die

Funktion (streng) monoton wachsend bzw. fallend ist, Wendepunkte, also Stellen, wo die

erste Ableitung der Funktion ein lokales Extremum hat. Bestimmen Sie auch auf welchen

Teilintervallen die Funktion konvex bzw. konkav ist!

Page 244: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

238 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG

7.23 Fuhren Sie bei der Funktion f2(x) = x3 − 48x, x , 0 eine Kurvendiskussion durch.

Bestimmen Sie also Nullstellen, lokale (globale Extrema), auf welchen Teilintervallen die

Funktion (streng) monoton wachsend bzw. fallend ist, Wendepunkte, also Stellen, wo die

erste Ableitung der Funktion ein lokales Extremum hat. Bestimmen Sie auch auf welchen

Teilintervallen die Funktion konvex bzw. konkav ist!

7.24 Man berechne die Stammfunktion von xα auf (0,∞), wenn α ∈ R, und von ax , wobei a ∈R, a > 0.

7.25 Man bestimme die unbestimmten Integrale

∫(x3 + 2x2 − 3)e2x−4 und

∫x3 exp(wx),

wobei w ∈ C beliebig aber fest ist.

7.26 Man berechne die unbestimmten Integrale

∫e2x − 1

ex + 2und

∫x2 sin x.

Hinweis: Hat man eine Funktion f der Gestalt f (x) = R(ex) wobei R eine rationale Funktion

ist, so kann man deren Integral stets mit Hilfe der Substitution t = ex auf das Integral einer

rationalen Funktion bringen.

Page 245: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Literaturverzeichnis

[EL] K.Endl,W.Luh: Analysis I-III, Aula Verlag, Wiesbaden 1986.

[F] G.M.Fichtenholz: Differential- und Integralrechnung I-III, Deutscher Verlag der

Wissenschaften, Berlin 1964.

[H] H.Heuser: Lehrbuch der Analysis 1,2, Teubner Verlag, Stuttgart 1989.

[L] S.Lang: A first course in calculus, Springer Verlag, Heidelberg 1986.

[R] W.Rudin: Principles of Mathematical Analysis, McGraw-Hill, New York 1953,

third edition 1976.

[W] W.Walter: Analysis 1, Springer Verlag, Heidelberg, New York, Tokio 2004 (7.

Auflage).

239

Page 246: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

Index

C(I), 211

C(X, Y), 151

C0(I), 211

C∞(I), 211

Cn(I), 211

Cb(E, Y), 174

C[z], 189

R, 45

Z, 28

ℓ2(N,C), 105

ǫ-Kugel, 115

⌊.⌋, 144

limi∈I xi, 128

limt→+∞ f (t), 144

limt→−∞ f (t), 144

limt→z f (t), 141

limz→∞ f (z), 145

P, 36

B(E, Y), 169

d(x, y), 62

d1(x, y), 64

d2(x, y), 62

d∞( f , g), 169

d∞(x, y), 65

C+, 233

N, 3, 18

Q, 38

R[x], 86

Z, 2

C, 52

Cn−1[z], 232

uberall definiert, 4

Abbildung, 4

identische, 4

isometrische, 151

Abel Kriterium, 99

Abelscher Grenzwertsatz, 195

Ableitung

einer Funktion, 210

hohere, 211

im Punkt x, 205

linksseitige, 205

rechtsseitige, 205

Abschluss, 117

absolut konvergent, 94

Abstand zweier Mengen, 147

Addition, 11, 22

alternierende harmonische Reihe, 94

analytisch, 180

analytisch in einem Punkt, 180

Anschlussstelle, 223

Antisymmetrie, 14

Arcuscosinus, 192

Funktionsgraph, 192

Arcuscotangens, 192

Funktionsgraph, 192

Arcussinus, 192

Funktionsgraph, 192

Arcustangens, 192

Funktionsgraph, 192

Areacosinus Hyperbolicus, 193

Funktionsgraph, 194

Areacotangens Hyperbolicus, 194

Funktionsgraph, 195

Areasinus Hyperbolicus, 193

Funktionsgraph, 194

Areatangens Hyperbolicus, 194

Funktionsgraph, 195

Assoziativitat, 7, 22

Auswahlaxiom, 72

Axiome, 11

Bernoullische Ungleichung, 21

beschrankt, 15

nach oben, 15

nach unten, 15

beschrankte

Folge, 70

Menge, 70

Betrag

komplexer Zahlen, 54

240

Page 247: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

INDEX 241

bijektiv, 6

Bildmenge, 5

Binomialkoeffizient, 57

Cauchy-Folge, 79

Cauchy-Netz, 132

Cauchy-Schwarzsche Ungleichung, 63

Cauchysches Konvergenzkriterium

Folgen, 81

Reihen, 94

Cauchysches Restglied, 224

Charakteristik, 43

chordale Metrik, 202

Cosinus, 180

Funktionsgraph, 185

Cosinus Hyperbolicus, 192

Funktionsgraph, 193

Cotangens, 191

Funktionsgraph, 191

Cotangens Hyperbolicus

Funktionsgraph, 194

Dedekindscher Schnitt, 48

Definitionsbereich, 5

Definitionsmenge, 4

dicht, 117

Dichteeigenschaft, 44

Differentialgleichung, 225, 230

Differentialgleichungen

Trennung der Variablen, 230

Differenz, 2

differenzierbar

n-mal, 211

im Punkt x, 205

rechtsseitig, 205

stetig, 211

Dirichlet Kriterium, 97

diskrete Metrik, 65

Distributivgesetz, 3

Distributivitat, 22

divergent, 67, 90

bestimmt, 84

Dividieren mit Rest, 36

domain, 5

Doppelreihen, 138

Dreiecksungleichung, 18, 62

Dreiecksungleichung nach unten, 18

Einheitskreislinie, 120, 159

Einschrankung, 5

Elemente, 1

endlich, 27

Euklidischer Algorithmus, 232, 233

Eulersche Exponentialfunktion, 140

Eulersche Zahl, 77, 184

Existenz des neutralen Elementes, 22

Exponentialfunktion, 140, 180

Funktionsgraph, 183

Extremum

absolutes, 212

lokales, 212

faktorielle, 96

Folge, 66

Cauchy-Folge, 79

monoton fallende, 76

monoton wachsende, 76

monotone, 76

Rechenregeln fur, 73

streng monoton fallend, 72

Formel von de Moivre, 181

Fortsetzung, 5

Funktion, 4

beschrankte, 70, 169

bijektive, 6

Einschrankung, 5

Fortsetzung, 5

injektive, 6

konkave, 202

konvexe, 202

monoton fallende, 166

monoton wachsende, 166

stetige, 151

streng monoton fallende, 31, 166

streng monoton wachsende, 31, 166

surjektive, 6

unstetige, 163

zusammengesetzte, 7

Funktionen

trigonometrische, 180

Funktionswert, 4

Gaußklammer, 144

Gaußsche Zahlenebene, 54

gerichtete Menge, 127

Graph, 4

Grenzwert

einer Funktion, 141

einseitige, 143

linksseitiger, 143

Page 248: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

242 INDEX

rechtsseitiger, 143

Haufungspunkt

einer Folge, 122

einer Menge, 117

harmonische Reihe, 93

hebbare Unstetigkeit, 163

Hintereinanderausfuhrung, 7

imaginare Einheit, 52

Imaginarteil, 52

Induktions

-anfang, 21

-prinzip, 21

-schritt, 21

Varianten d., 26

Infimum, 15

injektiv, 6

Integral

unbestimmtes, 228

Intervall, 158

Involution, 29

isolierter Punkt, 117

isometrische Abbildung, 151

Jensensche Ungleichung, 237

Korper

angeordneter, 14

archimedisch angeordneter, 43

vollstandig angeordneter, 44

Kurzungsregel, 22

kartesisches Produkt, 2

Kommutativitat, 22

kompakt, 124

Komplement, 2

komplex differenzierbar, 207

konjugiert komplexen, 54

konkav, 202

konvergent, 67, 90

absolut, 94

bedingt, 136

gegen ±∞, 84

gegen x, 66

gleichmaßig, 170

punktweise, 169

Konvergenz

gleichmaßige einer Funktionenfolge,

170

absolute einer Funktionenreihe, 176

einer Folge, 66

eines Netzes, 128

gleichmaßige einer Funktionenreihe,

176

komponentenweise, 81

punktweise einer Funktionenfolge,

169

punktweise einer Funktionenreihe,

176

unbedingte, 133

Konvergenzradius, 176

konvex, 202

Kurvendiskussionen, 227

Lagranges Restglied, 223

leere Menge, 1

Leibniz Kriterium, 98

Lemma vom iterierten Supremum, 47

Limes Inferior, 78

Limes Superior, 78

linksstetig, 163

Logarithmus

naturlicher, 182

naturalis, 182

Logarithmus naturalis

Funktionsgraph, 183

lokale Eigenschaft, 153

Machtigkeit, 27

Majorantenkriterium, 93

Maximum, 15

absolutes, 212

lokales, 212

Menge, 1

abgeschlossene, 117

Bild, 5

Differenz-, 2

Distributivgesetz-, 3

leere, 1

Ober-, 1

offene, 116

Potenz-, 3

Schnitt-, 2

Teil-, 1

Vereinigungs-, 2

zusammenhangende, 158

Mengen

getrennte, 158

Mengengleichheit, 1

Metrik, 62

Page 249: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

INDEX 243

chordale, 202

euklidische, 62

Supremums-, 169

metrischer Raum

vollstandiger, 80

Minimum, 15

absolutes, 212

lokales, 212

Minkowskische Ungleichung, 63

Minorantenkriterium, 93

Mittel

arithmetisches, 14

Mittelwertsatz, 214

monoton fallend, 76, 166

monoton wachsend, 76, 166

Moore-Smith-Folge, 128

Multiplikation, 11, 22

Nachfolgerabbildung, 18

naturliche Zahlen, 18

Netz, 128

Cauchy-, 132

Teilfolge, 129

Teilnetz, 129

Norm, 66

obere Schranke, 15

Obermenge, 1

Partialbruchzerlegung

komplexe, 232

reelle, 233

Partialsumme, 89

Pi, 185

Polarkoordinaten, 187

Polynom

trigonometrisches, 190

Potenzmenge, 3

Potenzreihe, 176, 180

Primfaktorzerlegung, 37

Primzahl, 36

Produktregel, 208

Quotientenkorper, 43

Quotientenkriterium, 96

Quotientenregel, 208

Raabe Kriterium, 99

range, 5

Raum

metrischer, 62

Realteil, 52

rechtsstetig, 163

Reflexivitat, 14

Regel von de L’Hospital, 216

Regel von der Partiellen Integration, 229

Reihe, 90

alternierende harmonische, 94

bestimmt divergente, 90

divergente, 90

geometrische, 69

harmonische, 93

konvergent gegen ±∞, 90

konvergente, 90

Potenzreihe, 176

Rechenregeln fur, 90

Summe der, 90

Teleskop-, 92

Relationen, 7

Relationenprodukt, 7

Riemann-Zerlegung, 128

Riemannscher Umordnungssatz, 137

Satz

1. Mittelwertsatz der Differenzial-

rechnung, 214

2. Mittelwertsatz der Differenzial-

rechnung, 214

Cauchysches Konvergenzkriterium,

81, 94

Einschluss-, 72

Fundamentalsatz der Algebra, 189

Grenzwert- Abelscher, 195

Leibniz Kriterium, 98

Rekursions-, 19

Riemannscher Umordnungs-, 137

Taylorscher Lehrsatz, 223

von Bolzano-Weierstraß, 124

von Rolle, 212

Zwischenwertsatz, 159

Schlomilchsches Restglied, 224

Schnittmenge, 2

Sinus, 180

Funktionsgraph, 185

Sinus Hyperbolicus, 192

Funktionsgraph, 193

Sprungstelle, 163

Stammfunktion, 228

stetig, 151

an der Stelle x, 151

gleichmaßig, 161

Page 250: Analysis 1funkana/skripten/ANA_I.pdf · andere Analysis Skripten bzw. Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren Bu¨cher schauen und daraus lernen, um einen gro¨ßeren

244 INDEX

linksseitig, 163

rechtsseitig, 163

streng monoton fallend, 166

streng monoton wachsend, 166

Substitutionsregel, 229

Summensatze, 182

Supremum, 15

Supremumsnorm, 175

surjektiv, 6

symmetrische Mengendifferenz, 134

Tangens, 191

Funktionsgraph, 191

Tangens Hyperbolicus

Funktionsgraph, 194

Taylorreihe, 225

Taylorsche Polynom, 223

Teilfolge, 68

Teilfolge eines Netzes, 129

Teilfolgen

gestattet, 140

Teilmenge, 1

Teilnetz, 129

teilt, 36

Totalitat, 14

Transitivitat, 14

Trennung der Variablen, 230

Ungleichung

Bernoullische, 21

Cauchy-Schwarzsche, 63

Jensensche, 237

Minkowskische, 63

Unstetigkeit

1. Art, 163

2. Art, 163

hebbare, 163

Sprungstelle, 163

untere Schranke, 15

Urbild, 5

vollstandiges, 5

Vereinigungsmenge, 2

Verknupfung, 11

vollstandige Induktion, 21

Weierstraß Kriterium, 176

Wertebereich, 5

Wertevorrat, 4

wohldefiniert, 4

Wurzel

einer komplexen Zahl, 188

einer reellen Zahl ≥ 0, 46

Wurzelkriterium, 95

Zahl

komplexe, 52

rationale, 38

Zahlen

naturliche, 18

positive, 14

Zerlegung, 128

Zielmenge, 4


Recommended