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âMein Verhältnis zur GDCh ist emotionalâ

Date post: 08-Dec-2016
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Nachrichten: Hat auch die Prä- sidentschaft Ihre Sicht auf die GDCh geändert? Müllen: Ja, das war für mich ein riesiger Lern- und Umdenkprozess; ich war ja vorher nicht gerade ein GDCh-Insider. Ich habe erst im Amt bemerkt, wie viel die GDCh für das Fach Chemie und ihre Mitglieder tut – und auch für die Gesellschaft, vom Kindergarten bis zur Lehrerfortbil- dung. Nachrichten: Vielleicht ist dies man- chen Mitgliedern gar nicht bewusst? Nachrichten aus der Chemie: Herr Müllen, wissen Sie noch, wann Sie in die GDCh eingetreten sind? Klaus Müllen: Als Student, an das genaue Datum erinnere ich mich allerdings nicht. Nachrichten: Wir haben nach- geschaut: 1. April 1968. Was waren Ihre Gründe damals? Müllen: Ich wollte der Gesell- schaft angehören, weil ich damals schon dachte, sie hat eine wichtige Funktion. Dazu kam wohl auch ein bisschen der Familiengedanke: Ich wollte zu dieser Familie dazuge- hören. Obwohl ich zugeben muss, dass ich als junger Mensch die GDCh für einen Honoratiorenverein und für ziemlich verschnarcht ge- halten habe. Nachrichten: Hat sich Ihre Sicht verändert? Müllen: Die GDCh hat sich ge- wandelt, sie ist insgesamt offener und transparenter geworden. Die Jungchemikerforen sind ein wunder- bares Beispiel. Wenn Sie einmal schauen, wie sicher sich die jungen Leute auch auf internationalem Par- kett bewegen. Internationalisierung heißt doch nicht, dass ein paar Funktionsträger schöne Dienstrei- sen machen. Davon habe ich genug. Es geht darum, jungen Leuten besse- re Chancen zu eröffnen. Als ich dok- torierte, da fuhr der Chef in der Weltgeschichte rum und erzählte über alles, aber wir doch nicht! Dass wir heute insgesamt weniger hierar- chisch aufgebaut sind, ist ein all- gemeiner gesellschaftlicher Prozess, aber auch ein Verdienst der GDCh. Die Amtszeit von Klaus Müllen als GDCh-Präsident endet in diesem Jahr. Die Nachrichten aus der Chemie fragen ihn, was ihn mit der GDCh verbindet und auf welchem Weg er die Gesellschaft sieht. „Mein Verhältnis zur GDCh ist emotional“ Sommerinterview Müllen: Das mag sein. Für mich war es aber schon toll zu erkennen, dass man bei aller Kritik auch dank- bare Anerkennung findet. Man muss einfach sehen: Die GDCh lebt vom Ehrenamt. Ich kann nur jeden ein- zelnen auffordern, sich einzubrin- gen. Was die GDCh ist, bestimmen die Mitglieder. Nachrichten: Genau dieses Ver- hältnis der Mitglieder zu ihrer Ge- sellschaft war das große Thema Ihrer Präsidentschaft. Welche Schlüsse sollte die GDCh aus den Ergebnissen Klaus Müllen sieht die GDCh realistisch: „Schnittchen am Abend, das können und wollen wir nicht leisten. Aber wissenschaftliche Kompetenz als neutraler, unverdächtiger Partner in die Diskussion einbringen, das geht schon.“ (Fotos: Gerda Wittel) 876 Nachrichten aus der Chemie | 57 | September 2009 | www.gdch.de/nachrichten
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Page 1: âMein Verhältnis zur GDCh ist emotionalâ

Nachrichten: Hat auch die Prä-sidentschaft Ihre Sicht auf die GDCh geändert?

Müllen: Ja, das war für mich ein riesiger Lern- und Umdenkprozess; ich war ja vorher nicht gerade ein GDCh-Insider. Ich habe erst im Amt bemerkt, wie viel die GDCh für das Fach Chemie und ihre Mitglieder tut – und auch für die Gesellschaft, vom Kindergarten bis zur Lehrerfortbil-dung.

Nachrichten: Vielleicht ist dies man-chen Mitgliedern gar nicht bewusst?

� Nachrichten aus der Chemie: Herr Müllen, wissen Sie noch, wann Sie in die GDCh eingetreten sind?

Klaus Müllen: Als Student, an das genaue Datum erinnere ich mich allerdings nicht.

Nachrichten: Wir haben nach-geschaut: 1. April 1968. Was waren Ihre Gründe damals?

Müllen: Ich wollte der Gesell-schaft angehören, weil ich damals schon dachte, sie hat eine wichtige Funktion. Dazu kam wohl auch ein bisschen der Familiengedanke: Ich wollte zu dieser Familie dazuge-hören. Obwohl ich zugeben muss, dass ich als junger Mensch die GDCh für einen Honoratiorenverein und für ziemlich verschnarcht ge-halten habe.

Nachrichten: Hat sich Ihre Sicht verändert?

Müllen: Die GDCh hat sich ge-wandelt, sie ist insgesamt offener und transparenter geworden. Die Jungchemikerforen sind ein wunder-bares Beispiel. Wenn Sie einmal schauen, wie sicher sich die jungen Leute auch auf internationalem Par-kett bewegen. Internationalisierung heißt doch nicht, dass ein paar Funktionsträger schöne Dienstrei-sen machen. Davon habe ich genug. Es geht darum, jungen Leuten besse-re Chancen zu eröffnen. Als ich dok-torierte, da fuhr der Chef in der Weltgeschichte rum und erzählte über alles, aber wir doch nicht! Dass wir heute insgesamt weniger hierar-chisch aufgebaut sind, ist ein all-gemeiner gesellschaftlicher Prozess, aber auch ein Verdienst der GDCh.

Die Amtszeit von Klaus Müllen als GDCh-Präsident endet in diesem Jahr. Die Nachrichten aus der

Chemie fragen ihn, was ihn mit der GDCh verbindet und auf welchem Weg er die Gesellschaft sieht.

„Mein Verhältnis zur GDCh ist emotional“

�Sommerinterview�

Müllen: Das mag sein. Für mich war es aber schon toll zu erkennen, dass man bei aller Kritik auch dank-bare Anerkennung findet. Man muss einfach sehen: Die GDCh lebt vom Ehrenamt. Ich kann nur jeden ein-zelnen auffordern, sich einzubrin-gen. Was die GDCh ist, bestimmen die Mitglieder.

Nachrichten: Genau dieses Ver-hältnis der Mitglieder zu ihrer Ge-sellschaft war das große Thema Ihrer Präsidentschaft. Welche Schlüsse sollte die GDCh aus den Ergebnissen

Klaus Müllen sieht die GDCh realistisch: „Schnittchen am Abend, das können und wollen

wir nicht leisten. Aber wissenschaftliche Kompetenz als neutraler, unverdächtiger Partner

in die Diskussion einbringen, das geht schon.“ (Fotos: Gerda Wittel)

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Nachrichten aus der Chemie | 57 | September 2009 | www.gdch.de/nachrichten

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Nachrichten aus der Chemie | 57 | September 2009 | www.gdch.de/nachrichten

ren auf, aber das ist weniger eine strukturelle und organisatorische Frage als eine inhaltliche. Chemie ist dynamisch. Wir müssen ein neues Verständnis von Interdisziplinarität entwickeln. Wo sind die inhärent chemischen Fragen, die einen jun-gen Menschen so begeistern, dass er sie für beforschenswert hält? Oft sind das Fragen, die an Grenzen zu anderen Gebieten angesiedelt sind.

Kristallisationspunkt GDCh-Wissenschaftsforum

� Nachrichten: Sind GDCh-Tagun-gen wie das Wissenschaftsforum so ein interdisziplinärer Kristallisati-onspunkt?

Müllen: Ja. Ich halte die Neukon-zeption dieser Versammlung für sehr gelungen. Sie soll den Fortschritt des Fachs Chemie darstellen und seine gesellschaftliche Bedeutung aus-loten. Das schließt einen intensiven Dialog mit den Nachbarfächern ein. Erkennbar ist dies bei allen Themen, deren Bezeichnung sich wandelt: chemische Biologie, biologische Chemie, Strukturbiologie. Das sind Nuancen, aber gemeint ist eine Öff-nung in Richtung Biologie, zu den Lebenswissenschaften. Manchmal finde ich, die Physik ist schneller da-bei als wir, Themen für sich zu rekla-mieren. In Ulm war das Wissen-schaftsforum unter dem Thema Ener-gie der Versuch, Politikern, Ingenieu-ren und Physikern zu erklären, dass wir in einer stofflichen Welt leben. Es gibt keine Weiterentwicklung von Technologien ohne neue Stoffe. Nur muss die jemand machen, nämlich Chemiker. Zum Wissenschaftsforum gehört auch, die Chemie als Kern vielfältiger interdisziplinärer Bemü-hungen zu sehen.

Nachrichten: Interdisziplinäre For-schung bleibt häufig akademisch. Wie sieht es mit einer stärkeren Einbin-dung der Industrie aus?

Müllen: Ich persönlich habe in meiner Forschung und in meinem ganzen Berufsleben enorm von In-dustriekontakten profitiert. Es ist ein inhaltliches Gebot, Chemie weit zu definieren. Das heißt nicht, dass ein Forscher sein höchstes Gut darin

der Mitgliederumfrage vom letzten Herbst ziehen?

Müllen: Die Mitglieder wollen ei-ne aktive und sichtbare gesellschaftli-che Rolle der GDCh. Auch die Orts-verbände wurden kritisiert. Aber wir haben keine Alternativen zu den Ortsverbänden, trotz teilweise be-rechtigter Kritik. Die Ortsverbände beruhen auf dem Ehrenamt, ich kann sie mir nicht backen. Was aber die Gesamt-GDCh und die Geschäftsstel-le tun können, ist die Ortsverbände besser zu unterstützen; ihnen bei-spielsweise Themen und Vortragende vorschlagen. Manche halten ja einen GDCh-Vortrag wie einen Fachvor-trag, also drei einleitende Worte, dann tief eintauchen und nie mehr auftauchen.

Nachrichten: Wie kann man die Ortsverbände noch unterstützen?

Müllen: Indem wir positive Leis-tungen stärker honorieren; etwa Ta-ge der offenen Tür, Universität im Rathaus, Chemie auf dem Markt-platz und dergleichen. Es gibt ja die Möglichkeit, öffentlichkeitswirk-same Tätigkeiten und Veranstaltun-gen besonders zu unterstützen.

Nachrichten: Eine wichtige Struk-tur innerhalb der GDCh sind die Fach-gruppen. Was können diese aus den Er-gebnissen der Umfrage schließen?

Müllen: Die 26 Fachgruppen sind ein Positivum der GDCh und stärken die Gesellschaft. Sie vertreten die GDCh nach außen, sie entwickeln das Fach weiter, sie organisieren Ta-gungen – übrigens wieder alles eh-renamtlich. Ich habe im letzten Jahr mehrere dieser Tagungen besucht, auch als Redner. Ich war von der Qualität und auch von der Diskussi-onskultur sehr angetan. Die Fach-gruppen wünschen sich, dass GDCh-Vorstandsmitglieder bei Fachgrup-pentagungen präsent sind. Ich muss gestehen, ich habe aus Zeitgründen damit ein Problem gehabt. Aber das ist eine wichtige Anregung, der wir auch folgen wollen.

Nachrichten: Liegt in der Diversifi-zierung und der Bildung stets neuer Fachgruppen und Arbeitskreise nicht auch eine Gefahr?

Müllen: Selbstverständlich wirft die zunehmende Gliederung Gefah-

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sehen muss, Industrieprojekte an Land zu ziehen. Wenn man aber zuei-nander passt, ist es toll, gemeinsam mit der Industrie zu forschen.

Austausch zwischen Akademia und Industrie

� Nachrichten: Mit Ihrem Projekt AIA, dem Akademie-Industrie-Aus-tauschprogramm, wollen Sie ja noch ei-nen Schritt weitergehen: Forscher aus Hochschule und Industrie sollen ihre Arbeitsumgebungen tauschen. Wird das Projekt in Gang kommen?

Müllen: Das wird sich weisen. Im Kuratorium des Fonds der che-mischen Industrie herrscht nach dem augenblicklichen Stand keine unein-geschränkte Begeisterung. Das hat mehrere Gründe. Die einen sagen, die Zeiten sind schwierig. Die anderen meinen, Kooperationen zwischen Akademia und Industrie seien eine Frage direkter Kontakte und bedürf-ten keines Kontakts über die Ge-schäftsstellen des Verbands der Che-mischen Industrie und der GDCh.

Nachrichten: Sie sind ja nicht nur in der GDCh, sondern auch Mitglied anderer Gesellschaften. Wo sind Sie denn am liebsten?

Müllen: Mein Verhältnis zur GDCh ist schon emotional. Ich fühle mich dieser Gesellschaft tief verbun-

den: Da gehöre ich hin und da fühl ich mich sehr wohl. Ich habe die schweizerische chemische Gesell-schaft erlebt, ich sehe die ACS, die American Chemical Society. Es gibt natürlich Unterschiede. Durch das wissenschaftliche Publizieren haben die britische Royal Society of Che-mistry und die ACS uns gegenüber einen gewaltigen finanziellen Vorteil. Das hat auch zur Folge, dass zum Bei-spiel die ACS, die außerdem mehr als fünfmal so groß ist wie die GDCh, einfach ein anderes Rad drehen kann – in der Politikberatung sind wir Wai-senknaben gegenüber der ACS.

Nachrichten: Können und müssen wir da besser werden?

Müllen: Ich denke schon, aber nicht im konkreten Sinne von Lobby -arbeit. Schnittchen am Abend, das können und wollen wir nicht leisten. Aber wissenschaftliche Kompetenz als neutraler, unverdächtiger Partner in die Diskussion einbringen, das geht schon. Im Übrigen arbeiten wir ja beispielsweise mit dem Verband der Chemischen Industrie, anderen Verbänden und auch politischen Ein-richtungen zusammen – denken Sie an das internationale Jahr der Che-mie 2011. Ja, wir wollen in der Öf-fentlichkeitsarbeit besser werden. Aber weniger im Propagandasinne, nicht auf Empfängen und Hochglanz-

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Nachrichten aus der Chemie | 57 | September 2009 | www.gdch.de/nachrichten

Der Präsident zeigt, wo es lang geht: Klaus Müllen im Gespräch mit den Nachrichten-Redakteuren Ernst Guggolz und Christian Remenyi.

flyern, nicht als Trompeter, sondern durch echte, wissenschaftlich fun-dierte Überzeugungsarbeit.

Schlussfolgerungen selbst ziehen

� Nachrichten: Auf welchen Feldern hat die GDCh denn Erwartungen an die neue Bundesregierung?

Müllen: Wir geben keine Wahl-empfehlung ab. Es gibt Schlussfolge-rungen, die jedes GDCh-Mitglied im Vollbesitz seiner naturwissenschaft-lichen Kompetenz für sich ziehen muss. Ich glaube nicht, dass jedes Mitglied bei Fragen zu Kernenergie oder etwa zur CO2-Sequestrierung zum identischen Schluss kommt.

Nachrichten: Wodurch hat die GDCh in den zwei Jahren Ihrer Prä-sidentschaft am meisten gewonnen?

Müllen: Ich antworte auf diese Frage nicht so gerne, weil mich das ein bisschen an Wahlkampf erinnert. Aber wenn es denn sein muss: Sehr wichtig war mir die Mitgliederbefra-gung, denn ich sehe das Spannungs-feld zwischen berufsständischen und wissenschaftlichen Traditionen in der GDCh und die Heterogenität der Mitgliederschaft. Ich glaube, die GDCh hat als wissenschaftliche Ge-sellschaft die Pflicht, sich über die Themen der Zukunft Gedanken zu machen. ��


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