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„Man muss kleine U-Boote bauen“ · hausieren zu gehen. Man muss kleine U-Boote bauen, um sie zu...

Date post: 20-Feb-2021
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Alle Beiträge unter www.klett-themendienst.de | Presseabdruck aller Texte honorarfrei | Fotos anfragen | Beleg erbeten Klett-Themendienst 50 | August 2010 | 17 Herr Hübner, wenn ich unter allen Gästen hier hätte frei wählen können, wäre meine Wahl auf Sie gefallen. Sie wirken so normal, wie du und ich. Zuviel der Ehre. Wollen wir darüber sprechen? Nein. Aber über Ihre Person. Wer sich damit beschäftigt, der kennt Ihre Stücke. Über Sie steht eher weniger ge- schrieben. Ich finde, das ist auch nicht so wichtig. Man muss sich bei künstlerischer Arbeit entscheiden: Geht es einem um Selbstausdruck oder will man hinter seine Arbeit zurück- treten. Ich bevorzuge Letzteres. Dennoch – für die Leser – noch ein paar mehr Infos. Wie sind Sie zum Theater und Stückeschreiben gekommen? Das hat sich nach und nach ergeben. Erst Schultheater, dann ein Schauspielstudium. Nach ersten Theaterengage- ments habe ich mit eigenen Regiearbeiten begonnen und erste Stücke geschrieben. Dann kam der Auftrag, für das Grips Theater in Berlin ein Stück zu verfassen. Das war „Das Herz eines Boxers“, was gleich recht viel Erfolg hatte. Ansonsten: Ich bin im Schwäbischen aufgewachsen. In Weinsberg, den meisten sicher nur bekannt durch das Autobahnkreuz. Nach dem Abitur habe ich zunächst Germanistik studiert, ein typisches Verlegenheitsstudi- um. Während des Studiums habe ich im freien Theater gespielt. Und was treibt Sie in Ihrer Arbeit an? Woher kommen Ihre Inspirationen? Man muss bei den Menschen ansetzen, wie sie etwas erle- ben. Otto Normal also. Das heißt auch, zuerst kommt eine Phase der Recherche, die manchmal recht lange dauern kann. Thema wird dann bei mir, was ich einfach nicht mehr aus dem Kopf kriege. Daraus entsteht allmählich die Geschichte. Zum Beispiel? Gerade arbeite ich an einem Abendstück für das Dresdner Theater über die Veränderung in der Arbeitswelt. Mich haben die Berichte von den Selbstmorden bei France Tele- com sehr berührt. Die springen aus dem Fenster, weil sie nicht mit dem neuen Chef arbeiten wollen. Wie kommt es, dass man sich heute derart mit der Arbeit identifiziert? (ht). Lutz Hübner gehört seit Jahren zu Deutschlands meistgespielten Bühnenauto- ren. Sein Jugendstück „Das Herz eines Boxers“ machte ihn bundesweit berühmt und brachte ihm 1998 den Deutschen Jugendtheaterpreis ein. Klett-Themendienst-Autor Heinfried Tacke traf Lutz Hübner in einem Berliner Café und sprach mit ihm über Schreiben für Jugendliche und gesellschaftlich engagierte Stücke. Fotos: Klett Bin ich der einzige, der so denkt? Jugend- theater holt die Schü- lerinnen und Schüler bei ihren Themen ab. „Man muss kleine U-Boote bauen“ Ausbildung | Schule | Fremdsprachen | Bildung | Gesellschaft | Rückblick
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  • Alle Beiträge unter www.klett-themendienst.de | Presseabdruck aller Texte honorarfrei | Fotos anfragen | Beleg erbeten Klett-Themendienst 50 | August 2010 | 17

    Herr Hübner, wenn ich unter allen Gästen hier hätte frei wählen können, wäre meine Wahl auf Sie gefallen. Sie wirken so normal, wie du und ich.Zuviel der Ehre. Wollen wir darüber sprechen?

    Nein. Aber über Ihre Person. Wer sich damit beschäftigt, der kennt Ihre Stücke. Über Sie steht eher weniger ge-schrieben.Ich finde, das ist auch nicht so wichtig. Man muss sich bei künstlerischer Arbeit entscheiden: Geht es einem um Selbstausdruck oder will man hinter seine Arbeit zurück-treten. Ich bevorzuge Letzteres.

    Dennoch – für die Leser – noch ein paar mehr Infos. Wie sind Sie zum Theater und Stückeschreiben gekommen?Das hat sich nach und nach ergeben. Erst Schultheater, dann ein Schauspielstudium. Nach ersten Theaterengage-ments habe ich mit eigenen Regiearbeiten begonnen und erste Stücke geschrieben. Dann kam der Auftrag, für das Grips Theater in Berlin ein Stück zu verfassen. Das war „Das Herz eines Boxers“, was gleich recht viel Erfolg hatte. Ansonsten: Ich bin im Schwäbischen aufgewachsen.

    In Weinsberg, den meisten sicher nur bekannt durch das Autobahnkreuz. Nach dem Abitur habe ich zunächst Germanistik studiert, ein typisches Verlegenheitsstudi-um. Während des Studiums habe ich im freien Theater gespielt.

    Und was treibt Sie in Ihrer Arbeit an? Woher kommen Ihre Inspirationen?Man muss bei den Menschen ansetzen, wie sie etwas erle-ben. Otto Normal also. Das heißt auch, zuerst kommt eine Phase der Recherche, die manchmal recht lange dauern kann. Thema wird dann bei mir, was ich einfach nicht mehr aus dem Kopf kriege. Daraus entsteht allmählich die Geschichte.

    Zum Beispiel?Gerade arbeite ich an einem Abendstück für das Dresdner Theater über die Veränderung in der Arbeitswelt. Mich haben die Berichte von den Selbstmorden bei France Tele-com sehr berührt. Die springen aus dem Fenster, weil sie nicht mit dem neuen Chef arbeiten wollen. Wie kommt es, dass man sich heute derart mit der Arbeit identifiziert?

    (ht). Lutz Hübner gehört seit Jahren zu Deutschlands meistgespielten Bühnenauto-

    ren. Sein Jugendstück „Das Herz eines Boxers“ machte ihn bundesweit berühmt und

    brachte ihm 1998 den Deutschen Jugendtheaterpreis ein. Klett-Themendienst-Autor

    Heinfried Tacke traf Lutz Hübner in einem Berliner Café und sprach mit ihm über

    Schreiben für Jugendliche und gesellschaftlich engagierte Stücke.

    Foto

    s: K

    lett

    Bin ich der einzige,

    der so denkt? Jugend-

    theater holt die Schü-

    lerinnen und Schüler

    bei ihren Themen ab.

    „Man muss kleine U-Boote bauen“

    Ausbildung | Schule | Fremdsprachen | Bildung | Gesellschaft | Rückblick

  • Alle Beiträge unter www.klett-themendienst.de | Presseabdruck aller Texte honorarfrei | Fotos anfragen | Beleg erbeten 18 | Klett-Themendienst 50 | August 2010

    Dass es dazu keine Distanz mehr gibt? Was passiert da in unserer Gesellschaft? Ein anderes Beispiel ist das Jugend-stück Creeps, wo es um ein Casting geht, was inzwischen ja sehr um sich gegriffen hat. Damals kam Big Brother gerade auf und mich hat gewundert, wieso plötzlich eine voyeuristische Authentizität in Mode kommt, dieses Ver-sprechen: Jeder kann es schaffen.

    Sie erzählen also Geschichten aus dem Leben. Wie wird daraus spannendes Theater und mehr als Big Brother? Gibt es Tricks? Wollen Sie berühren? Unterhalten? Oder politisch sein?

    Natürlich muss man das Publikum emotional packen. Doch das ist es nicht allein. Zunächst gilt: Die Geschichte muss in sich funktionieren. Und sie muss über sich hin- ausweisen. Sie muss etwas mit der conditio humana, mit unserem Menschsein zu tun haben. Der Zuschauer muss sich ertappt fühlen, sich im Geschehen auf der Bühne wiedererkennen und spüren: Diese Geschichte hat mit mir zu tun. Spannend wird es, weil die Figuren Wider-sprüche in sich tragen. Das ist die dialektische Struktur. Die Parteinahme des Publikums wechselt hin und her und wird auch nicht aufgelöst. Es geht darum, zu unterhalten, zu berühren und Diskussionen anzustoßen.

    Und so gewinnt man Jugendliche fürs Theater, die doch schon durch Handy, 3D-Filme und Social Media völlig eingedeckt sind?Das Interessante ist doch: Theater bietet ein ganz anderes Gemeinschaftserlebnis. Gemeinsam in einem dunklen Raum, man konzentriert sich auf eine Geschichte, man teilt Emotionen und muss Stellung beziehen, weil da Personen widersprüchlich handeln. Darin unterscheidet es sich von Blockbustern oder dem Austausch per Handy oder im Internet.

    Und so gelingen auch auf der Bühne erzählte Geschichten für Jugendliche?Na, man muss sie schon bei ihren Themen abholen. Im Grunde erzählt Theater seit Shakespeare keine neuen Geschichten mehr. Der Grundstoff ist schon vorhanden. Aber entscheidend ist, welche Aspekte eine Geschichte heute neu macht. Welche aktuellen Fragen sollen verhan-delt werden? Gerade Jugendliche stellen sich viele Fragen, die das Leben betreffen. In allen wühlt die Frage: Bin ich der Einzige, der so denkt? Der so etwas erlebt? Dann sucht man Gemeinsamkeit und Klärung. Und natürlich bewegen sie die immer gleichen Fragen: Wie spreche ich jemanden an, in den ich mich verliebt habe? Wie kriege ich ihn vielleicht ins Bett? Wo ist mein Platz im Leben? Man muss Denkanstöße geben, ohne mit Botschaften hausieren zu gehen. Man muss kleine U-Boote bauen, um sie zu erreichen.

    Aber ist die heutige Jugend nicht recht unpolitisch, wie manche Studien sagen? Und wenn, siehe Berlin, mündet es eher in gewalttätige Gruppierungen wie den Schwarzen Block? Wenn man Jugendliche bei ihren Themen abholt, merkt man, wie genau sie gesellschaftliche Strömungen regis-trieren. Vielleicht ist es nur eine andere Form des Politi-schen, die sich da entwickelt.

    Haben Sie Dank für das Gespräch. ‹‹

    In der Reihe „Taschenbücherei Texte und Materialien“ von

    Klett sind drei Jugendtheaterstücke für die 7./8. Klasse von

    Lutz Hübner erschienen. Ergänzende Materialien, zusam-

    mengestellt von Henning Fangauf, geben jeweils wichtige

    Hintergrundinformationen und regen dazu an, das Stück in

    der Klasse selbst szenisch darzustellen.

    Das Herz eines Boxers

    ISBN 978-3-12-262734-8

    Der 16-jährige Jojo ist vom Jugendrichter zu

    Strafarbeit im Altersheim verurteilt worden.

    Anfangs haben sich Jojo und der Rentner Leo

    scheinbar nichts zu sagen. Doch dann entdeckt Jojo einen

    Zeitungsausschnitt, der vom „Roten Leo“, einer Boxlegende,

    berichtet, und wird neugierig.

    Aussetzer

    ISBN 978-3-12-262732-4

    Chris steht kurz vor seinem Schulabschluss.

    Der wackelt. Er muss ihn unbedingt schaffen.

    Vielleicht kann er ja die neue und engagierte

    Lehrerin überreden, in ihrem Fach ein Auge zuzudrücken.

    Der Plan geht schief. Die Situation eskaliert.

    Creeps

    ISBN 978-3-12-262680-8

    „The world is waiting for you!“ Mit dieser

    Ankündigung lädt ein TV-Sender drei Mädchen

    zum Casting für die Moderatorenstelle der

    neuen Music-Show „Creeps“ ein. Maren, das Nervenbün-

    del mit Öko-Tick, Petra, der Kumpeltyp aus Chemnitz, und

    Lilly, die Modepuppe aus reichem Hause, werden von dem

    zynischen Redakteur der Sendung in einen immer härteren

    Wettkampf getrieben – bis sie allmählich den tatsächlichen

    Grund für dieses Casting herausbekommen.

    Weitere Informationen zu den Lektüren finden Sie im Inter-

    net unter www.klett.de.

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