+ All Categories
Home > Documents > Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und...

Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und...

Date post: 21-Dec-2016
Category:
Upload: stefan
View: 245 times
Download: 12 times
Share this document with a friend
58
3. Literaturgeschichtliche Grundlegung 3.1. Einteilungsprinzipien der Literaturgeschichten Die gängigen Literaturgeschichten gliedern ihren althochdeut- schen Stoff in der Regel nach den Gesichtspunkten der politischen Geschichte oder Kulturgeschichte - also nach primär außerlitera- rischen Kriterien, die natürlich in hohem Maße auch für die Lite- ratur relevant geworden sind. So spricht man für die althochdeut- sche Literatur von vorkarlischer/karlischer (mit besonderem Be- zug auf Karl den Großen)/karolingischer/ottonischer, eventuell cluniazensischer Epoche im Übergang zum Frühmittelhochdeut- schen und ordnet diesen Überbegriffen das literarische Material im einzelnen zu. Unsere Darstellung verzichtet weitgehend auf das politisch-hi- storische Begriffsgerüst und versucht, mit innersprachlichen und immanent literarischen, ferner mit kulturhistorischen Kategorien zu arbeiten. 3.2. Entwicklungsgeschichtliche Übersicht Da die althochdeutsche Literatur keine geschlossene Einheit dar- stellt, kann in einer entwicklungsgeschichtlichen Einteilung nicht das ganze Schrifttum der althochdeutschen Zeit eingefangen wer- den. Aber es lassen sich doch absteigende und aufsteigende Linien oder Tendenzen in folgender Hinsicht erkennen (für die zeiträum- liche Übersicht verweisen wir auf Abschnitt 2.6. oben S. 83-88): (1) Ausklang der südgermanischen Runeninschriften des 6. bis 7. Jhs., soweit sie frühalthochdeutsche Sprache vertreten, über 50 Inschriften an der Zahl, aber ζ. T. nur erweiterte Nameninschrif- ten, in ihrer Staffelung vorchristlich/überwiegend christlich, mit Schwerpunkt in den mittleren Rheinlanden und im oberen Donau- raum, vor allem Württembergs. (2) Nachleben, Umgestaltung und Übergangsformen germani- scher Stabreimdichtung mit Niederschrift vor allem im frühen 9. Jahrhundert - die ältesten Zaubersprüche, vor allem die Merseburger Sprüche Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 1/2/14 10:56 PM
Transcript
Page 1: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.1. Einteilungsprinzipien der Literaturgeschichten

Die gängigen Literaturgeschichten gliedern ihren althochdeut-schen Stoff in der Regel nach den Gesichtspunkten der politischen Geschichte oder Kulturgeschichte - also nach primär außerlitera-rischen Kriterien, die natürlich in hohem Maße auch für die Lite-ratur relevant geworden sind. So spricht man für die althochdeut-sche Literatur von vorkarlischer/karlischer (mit besonderem Be-zug auf Karl den Großen)/karolingischer/ottonischer, eventuell cluniazensischer Epoche im Übergang zum Frühmittelhochdeut-schen und ordnet diesen Überbegriffen das literarische Material im einzelnen zu.

Unsere Darstellung verzichtet weitgehend auf das politisch-hi-storische Begriffsgerüst und versucht, mit innersprachlichen und immanent literarischen, ferner mit kulturhistorischen Kategorien zu arbeiten.

3.2. Entwicklungsgeschichtliche Übersicht

Da die althochdeutsche Literatur keine geschlossene Einheit dar-stellt, kann in einer entwicklungsgeschichtlichen Einteilung nicht das ganze Schrifttum der althochdeutschen Zeit eingefangen wer-den. Aber es lassen sich doch absteigende und aufsteigende Linien oder Tendenzen in folgender Hinsicht erkennen (für die zeiträum-liche Übersicht verweisen wir auf Abschnitt 2.6. oben S. 83-88):

(1) Ausklang der südgermanischen Runeninschriften des 6. bis 7. Jhs., soweit sie frühalthochdeutsche Sprache vertreten, über 50 Inschriften an der Zahl, aber ζ. T. nur erweiterte Nameninschrif-ten, in ihrer Staffelung vorchristlich/überwiegend christlich, mit Schwerpunkt in den mittleren Rheinlanden und im oberen Donau-raum, vor allem Württembergs.

(2) Nachleben, Umgestaltung und Übergangsformen germani-scher Stabreimdichtung mit Niederschrift vor allem im frühen 9. Jahrhundert

- die ältesten Zaubersprüche, vor allem die Merseburger Sprüche

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 2: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.2. Entwicklungsgeschichtliche Übersicht 107

- die bereits christlich überdeckten Beschwörungen und Segen in ih-rer formalen Mischung von Stabreimgefiige und End(silben)reim

- das Hildebrandslied als einziger Vertreter des Heldenliedes in alt-hochdeutscher Literatur

- das wenigstens spurenweise althochdeutsche Abecedarium Nord-mannicum, Merkverse über die jüngere Runenreihe in Stabreim-form

- das stabreimende Wessobrunner Schöpfungsgedicht mit seiner christlichen Antwort auf die kosmogonische Frage

- das bairische Muspilli, ein rhetorisches Gedicht über das Schick-sal des Menschen nach dem Tod, durch die Weltuntergangsvision überwölbt, rhetorischer Predigtstil in zerfallender Stabreimtech-nik

- Notkers des Deutschen Versbeispiel vom Eber in seiner lat. Rheto-rik (um 1000) in korrekter Stabreimtechnik mit zusätzlichen Asso-nanzen in Richtung Endreim.

(3) Der Beginn einer vor allem bildungsgeschichtlich zu ver-stehenden althochdeutschen Glossierung seit dem 8. Jh., gleich-zeitig in ganz verschiedenen Scriptorien mit entscheidender Aus-gestaltung im 9. Jh. und im Weitertragen durch die ganze ahd. Zeit, aus der freilich nicht die ahd. Literatur als Ganzes erwächst, der aber die einzelnen Sprachträger an den verschiedenen Schreiborten im einzelnen im Sinne einer ständigen Codices-Be-nutzung verpflichtet bleiben.

(4) Einsetzen einer katechetischen Übersetzungsliteratur über die bloße Glossierung hinaus, seit der Admonitio generalis Karls des Großen vom 23. März 789 und weiteren Kapitularbeschlüs-sen, spätes 8. bis 11. Jh., mit weiter räumlicher Streuung über das ganze althochdeutsche Gebiet

- die althochdeutschen Paternoster-Übersetzungen und -Interpreta-tionen (8.-11. Jh.)

- die althochdeutschen Glaubensbekenntnisse (8.-11. Jh.)

- das fränkische Taufgelöbnis (9. Jh.)

- die althochdeutschen Beichten, oft mit den Glaubensbekenntnis-sen zusammen überliefert (9.-11. Jh.)

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 3: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

108 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

- die althochdeutsche Übersetzung von Isidors von Sevilla Traktat De fide catholica contra Judaeos um 800, ein frühes Übersetzungs-werk von hohem Rang

- die Mondseer Bruchstücke zu Isidor und Augustinus um 800

- die Freisinger Exhortado ad plebem christianam nach 800

- der sog. Weißenburger Katechismus von etwa 810-820

- die althochdeutsche Interlinearversion der Regula Sancti Benedicti in einer St. Galler Handschrift aus dem 2. Jahrzehnt des 9. Jhs.

- die verschiedenen althochdeutschen Gebete (9.-11. Jh.).

(5) Entfaltung der Bibelübersetzung und Bibelerklärung über die kleinen katechetischen Stücke hinaus

- die Mondseer Bruchstücke einer Übersetzung des Evangeliums nach Matthäus um 800

- die interlinearen Psalmenübersetzungen: altalemannische Psal-menbruchstücke, gegen die Mitte des 9. Jhs.; mittelfränkische Psal-menbruchstücke aus dem 9. Jh., aber nur in später Überlieferung; rheinfränkische Cantica, erste Hälfte des 11. Jh.

- die althochdeutsche Übersetzung der Evangeliensynopse des Ta-tian nach der lateinischen Fassung aus Fulda, gegen die Mitte des 9. Jhs., die größte neutestamentliche Bibelübersetzung aus althoch-deutscher Zeit

- die kommentierende Übersetzung des Psalters durch Notker III. von St. Gallen (nach 1000) und die St. Galler Glossierung dazu (11. Jh.) mit ihren weiteren Ausstrahlungen (11./12. Jh.)

- die verlorene Hiob-Übersetzung nach Gregors des Großen Moralia in Hiob durch Notker III. von St. Gallen (um 1015)

- Willirams von Ebersberg Paraphrase des Hohen Liedes um 1060.

(6) Übersetzung christlicher Hymnendichtung

- die dichterische Interlinearversion ambrosianischer Hymnen im frühen 9. Jh., sog. Murbacher Hymnen, auf der Reichenau entstan-den, in Murbach erweitert

- die ebenfalls dichterisch konzipierte Interlinearversion des Car-men ad Deum in bairischer Sprache aus der Mitte des 9. Jhs.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 4: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.2. Entwicklungsgeschichtliche Übersicht 109

(7) Neuschöpfung einer volkssprachlichen Bibeldichtung in Endreimversen seit dem 9. Jh.

- die Evangelienharmonie Otfrids von Weißenburg 863 bis 871

- das Gedicht Christus und die Samariterin im mittleren 10. Jh. in alemannisch-fränkischem Mischdialekt

- die dichterische Bearbeitung von Psalm 138, bairisch, Anfang 10. Jh.

(8) Christliche Legenden-, Preis- und Heiligendichtung in Reimversen seit der zweiten Hälfte des 9. Jhs.

- Ratperts Lobgesang auf den heiligen Gallus, St. Gallen, zweite Hälfte des 9. Jhs. (das althochdeutsche Original ist verloren, mit-tellateinische Umdichtung durch Ekkehart IV. in drei Fassungen im 11.Jh.)

- das reichenauische Georgslied, das vor 900 entstanden, aber später überliefert ist und vermutlich auf Prüm zurückgeht

- das auf ein Heilsgeschehen ausgerichtete althochdeutsch-west-fränkische Ludwigslied auf die Normannenschlacht bei Saucourt (3. August 881) vom Ende des 9. Jhs.

- das bairische Petruslied, ein Bittgesang, um 900 oder aus dem frü-hen 10. Jh.

(9) Historische Lieddichtung seit der zweiten Hälfte des 9. Jhs.

- das lateinisch-althochdeutsche Mischgedicht De Heinrico um das Jahr 1000 mit umstrittenem politischem Hintergrund.

(10) Neusetzung und Verfestigung einer volkssprachlichen Rechtsprosa über die deutschen Wörter in den lateinischen Leges barbarorum und in den lateinischen Urkunden hinaus, mit deutli-chem fränkischem Schwerpunkt und mit Reflexen aus der gespro-chenen Sprache

- die Bruchstücke einer Lex Salica-Übersetzung nach 800

- die Straßburger Eide von 842 (altfranzösisch-rheinfränkischer Doppeltext)

- die althochdeutschen Markbeschreibungen des 9. und 10./11. Jhs.

- das Trierer Capitulare aus dem 10. Jh.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 5: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

110 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

(11) Schaffung einer deutschen Wissenschaftsprosa auf dem Hintergrund des mittelalterlichen Bildungssystems der sieben freien Künste (Trivium und Quadrivium)

- Notker III. von St. Gallen in seinen Übersetzungen philosophisch-rhetorischer Texte der antiken Literatur (Boethius, Aristoteles-Bo-ethius, Martianus Capeila), in seiner lateinisch-althochdeutschen Rhetorik, in seinem rein ahd. Musiktraktat und in weiteren verlo-renen Werken.

(12) Beginn einer dichterischen Übersetzung antiker Werke über die bloße Glossierung hinaus

- Notker III. von St. Gallen in den verlorenen Übersetzungen der Andria des Terenz, der Bucolica des Vergil und der Disticha Cato-nis.

(13) Beginn einer deutschen Physiologus-Tradition im 11. Jh., mit Fortsetzungen in mittelhochdeutscher Zeit

- die althochdeutsche Physiologus-Übersetzung, der sogenannte äl-tere Physiologus (alemannisch und fränkisch, zweite Hälfte 11. Jh.)

(14) verstreute Spuren volkstümlicher Kleindichtung

- St. Galler Spottverse 9./10. Jh.

- Ad equum errçhet, balladenartiges kleines Lied, rheinfränkisch, 11.Jh.

So zeigt sich die althochdeutsche Literatur in ihrer Uneinheitlich-keit: in einem absteigenden Ast germanischer Form- und Dich-tungstradition und in einem aufsteigenden Ast frühmittelalterlich-christlich-antiker Bildung - mit nur wenigen Berührungspunkten der beiden so völlig verschiedenen Bereiche. Man kann das sche-matisch so darstellen:

auslaufende germanische Formtradition 6. Jh. • 9./10. Jh.

(Runeninschriften, Zaubersprüche, Stabreimdichtung) Neubeginn eines klostergebundenen Bildungs- und Kirchenschrifttums

spätes 8. Jh. 11. Jh. (Glossierung, Segenssprüche, christliche Dichtung, Übersetzung)

Wir wollen die einzelnen entwicklungsgeschichtlichen Stufen im folgenden noch etwas näher umreißen.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 6: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.3. Germanische Dichtungsformen in althochdeutscher Rezeption 111

3.3. Germanische Dichtungsformen in althochdeutscher Rezeption

Weit mehr als von einem Nachleben altgermanischer Dichtung im Althochdeutschen muß von einer althochdeutschen Rezeption germanischer Dichtungsformen gesprochen werden. Mit dem Stichwort althochdeutsche Rezeption soll der Übergangscharakter der Denkmäler altgermanischer Stilformen im ersten Zeitab-schnitt einer deutschen Literatur in den Blickpunkt gezogen wer-den. Eine altgermanische Dichtung in deutschem Gewand gibt es streng genommen kaum mehr, jedenfalls nicht als einigermaßen geschlossene Gruppe. Zu sehr trägt fast alles hier Einzuordnende schon die Züge des Zerfalls oder eines sich wandelnden Neuansat-zes. Das Germanische erscheint zwar noch als Komponente, doch in mannigfacher Brechung und neuer Spiegelung.

3.3.1. Zur Stellung der Inschriften

Als ältestes Zeugnis frühester deutscher Sprachgestaltung sind die über 50 Inschriften aus dem Runenbereich vom frühen 6. bis zum Ende des 7. Jahrhunderts zu nennen, soweit sie sprachlich oder landschaftlich dem späteren Althochdeutschen zuzuordnen sind. Für die Frage nach dem Dichterischen sind sie von ungleichem Wert. Immerhin dürfen in ihnen die ersten Spuren einer dichteri-schen Sprache und Stilisierung des Frühdeutschen erblickt wer-den. Einige Ritzungen greifen nämlich über das Lapidare der in-schriftlichen Aussage, über den bloßen, oft nur aus einem Wort oder Namen bestehenden Heilswunsch hinaus und lassen den Ver-such zu einer dichterischen Gestaltung erkennen. Dies zeigt sich vor allem in einem übergreifenden Stabreimgebrauch und in den Ansätzen zur Vers- oder Strophengliederung, Erscheinungen, die uns besonders aus den skandinavischen Runendenkmälern oder Runenversen bekannt sind. Eine solche Ausformung erscheint beispielsweise in der mythologischen Inschrift der alemannischen Bügelfibel I von Nordendorf aus dem Anfang des 7. Jhs.: den je auf eine Zeile gesetzten Götternennungen logapore / wodan / wi-giponar ,Logathore (,Ränkeschmied'), Wotan, Weihe-Donar' fol-gen die Namen der schenkenden oder glückwünschenden Perso-nen awaleubwini ,Awa (und) Leubwini'. Die /-Stäbe logapore...

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 7: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

112 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

leubwini umschließen die ganze Inschrift, während die w-Stäbe wodan wigijjonar den inneren Teil verbinden.

Offenbar handelt es sich dabei gleichzeitig um eine Art Ab-schwörung der alten heidnischen Götter, da logapore auch als Ap-pellativ im Sinn von ,Zauberer, Lügner' aufgefaßt werden kann, so dass sich bei aller Anrufung von Wotan und Donar eine nega-tive Sicht ergibt: Lügnerisch sind diese Götter (so nach Düwel 2001,64).

Obwohl diese Runeninschriften die älteste mindestens teil-weise als literarisch zu bezeichnende Gattung einer werdenden deutschen Literatur darstellen, sind sie keineswegs einheitlich „germanisch": ein großer Teil der Inschriften zeigt bereits christ-liche Prägung. Damit stellt sich auch schon dieser älteste Überlie-ferungsbereich unter das Zeichen des kulturgeschichtlichen Über-gangs. Magischer Runenzauber steht neben christlichem Wunsch, Götterbeschwörung neben dem Anruf Gottes zum Schutze vor dem Teufel go(d) fura d(i)h d(e)ofile „Gott vor dich, Teufel!" auf der fränkischen Scheibenfibel von Osthofen aus der zweiten Hälfte des 7. Jhs. Mit den christlichen Runeninschriften ist gleich-zeitig ein erster Versuch zur Schaffung eines entsprechenden reli-giösen Wortschatzes gegeben, rund hundert Jahre vor dem Einset-zen von Bibelglossen oder einer katechetischen Übersetzungslite-ratur.

Was später als literarische Inschrift erscheint - dies sei nur noch am Rande vermerkt - , gehört vollends der neuen Bildungs-tradition an: der Bibliotheks- und Bildungspreis der Versinschrift aus Köln 850-858, eine hübsche kleine Reimstrophe in erstaun-lich früher Endreimtechnik.

3.3.2. Zaubersprüche und Segensformeln

Von Gehalt und Form her sind die althochdeutschen Zaubersprü-che und Segen ein geradezu typisches Beispiel für die Stellung der frühen althochdeutschen Literatur zwischen Rezeption germani-scher Kleindichtung und ihrer Mischung mit christlichen Zügen und neuen Stilelementen, die mit fortschreitender Zeit an Umfang gewinnt. Ihrer ältesten Verwurzelung nach ergibt sich eine germa-nische Komponente mit Vergleichsmöglichkeiten ins Altenglische und Altnordische, doch erscheint dieser Anschlußpunkt nur ver-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 8: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.3. Germanische Dichtungsformen in althochdeutscher Rezeption 113

einzelt noch ohne die Transponierung vom germanischen Zauber zum christlichen Segen. Schon die Niederschrift von Zaubersprü-chen, ihre Herauslösung aus der sie evozierenden Situation, aus der mündlichen und darum nicht weniger fest gebundenen Form-tradition läßt sich nur auf dem Hintergrund eines antiquarischen Interesses verstehen, das den letzten Resten einer unzeitgemäß ge-wordenen Gattung entgegengebracht wird: das dem Runenzauber nahestehende Merkversgedicht Abecedarium Nordmannicum (Codex 878 der Stiftsbibliothek St. Gallen, vgl. Hs. Foto 2, S. 63) in seiner altnordisch-altsächsisch-althochdeutschen Mischspra-che, nach B. Bischoff von Walahfrid Strabo in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts zusammen mit anderen Alphabeten in seinem Vademecum aufgezeichnet, wirkungsvoll durch seine einfache, blockhafte Stabsetzung feu forman! ur after / thuris thritten stabu usw. „F-Rune (= Viehbesitz) zuerst, U-Rune (= Auerochse, männ-liche Kraft?) danach, J)-Rune (= Thurse, schadenbringende Macht) als dritter Stab"; die auf den Überlieferungsort Fulda wei-sende Aufzeichnung der Merseburger Zaubersprüche (Hand-schrift der Bibliothek des Domkapitels zu Merseburg Nr. 58) von einer Hand des 10. Jhs., mitten unter geistlichen Texten, von höch-ster sprachlicher wie mythologischer Altertümlichkeit (d. h. aus vorchristlicher Zeit spätestens des 8. Jhs.), in derselben Hand-schrift übrigens, wo auch das fränkische Taufgelöbnis als Vertre-ter einer christlichen katechetischen Literatur eingetragen ist.

Die fortschreitende Verchristlichung der Zauber- und Segens-dichtung läßt sich an der Einverleibung von Gott, Christus und den Heiligen messen, sowie an der Transponierung des Dämonischen in die Gestalt des Teufels. Lassen die Merseburger Zaubersprüche und das Abecedarium Nordmannicum noch die altgermanischen Götter und mythologischen Gestalten allein erscheinen, so zeigen die weiteren Segen Gott und seine Entgegensetzung (der, die Teu-fel), Christus allein oder mit weiteren Heiligen als Begleitern. Hand in Hand mit dieser Umstrukturierung geht die formale Ent-wicklung vom zurücktretenden Stabreimgebrauch zum aufstre-benden Endreim mit den bevorzugten Reim Wörtern buoz , Besse-rung, Abhilfe', bluot ,Blut', wunt .verletzt', wunta ,Wunde', gi-sunt ,gesund', Crist ,Christus' und truhtin ,Herr'. Der Lorscher Bienensegen des 10. Jhs. beispielsweise, in dem Christus und die heilige Maria genannt werden, beginnt mit zwei in sich selbst sta-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 9: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

114 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

benden Kurzzeilen, um dann mit Endreim oder Endsilbenreim weiterzufahren. Zu einem kleinen dreistrophigen, balladenähnli-chen Gedicht ist das rheinfränkische Ad equum errçhet (Gegen die Pferderähe, d. h. Gliedersteife) aus der ersten Hälfte des 11. Jhs. ausgeformt, schon ganz ohne Stabreim, mit deutlicher Endreim-profilierung gegen den Schluß hin, wo Christus für den ihm be-gegnenden Mann und sein Pferd die Segensformel spricht. Wir müssen auf weitere Beispiele verzichten und wollen nur betonen, wie sehr die insgesamt zwanzig althochdeutschen Zauber- und Se-genssprüche Altes und Neues vereinigen, Germanisch-Heidni-sches und Christliches, Stabreim und Endreim, altheidnische und christlich-lateinische Tradition. In den meisten Fällen sind sie auch dichterisch geformt. Nirgends läßt sich der für die althoch-deutsche Literatur so typische stufenweise Um- und Neufor-mungsprozeß deutlicher verfolgen als in diesen kleinen Denkmä-lern.

3.3.3. Heldendichtung

Das Überlieferungsbild der germanischen Heldendichtung ist vor allem gekennzeichnet durch eine frühe gotische Ausstrahlung von Stoffen und Gestalten seit dem späten 4. Jh., durch viele indirekte Zeugnisse und erschlossene Vorstufen aus dem späteren deut-schen Raum seit dem Frühmittelalter, durch altenglische und alt-nordische Erfüllung in Heldenepos und Heldenlied, durch das Weitertragen und Umformen von Stoffen in mittelhochdeutscher Zeit, wo man - selbst im Nibelungenlied - nur noch bedingt zur Bezeichnung ,Heldendichtung' greifen darf.

Das althochdeutsche Hildebrandslied seinerseits, um 820/30 von zwei Schreibern in einen theologischen Codex (Liber Sapien-tiae) aus dem Bücherbesitz des Klosters Fulda eingetragen, ist sprachlich voller Merkwürdigkeiten (vgl. Hs. Foto 11, 12, S. 116, 117). Das weitverbreitete Thema des Vater-Sohn-Kampfes mit tragischem Ausgang erscheint hier, in die Theoderich-Sage einge-bettet, in althochdeutsch-altsächsischer Mischsprache, mit ober-deutsch-bairischen und fränkischen Spuren und mit zum Teil fal-schen Umsetzungen ins nördliche Altsächsisch, dennoch von der alten Wucht ungebrochener Stabreimfügung, wenn auch einzelne Verse nicht mehr voll überliefert sind oder sich einige regelwid-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 10: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.3. Germanische Dichtungsformen in althochdeutscher Rezeption 115

rige Umstellungen ergeben haben. Es ist das einzige in deutscher Sprache erhaltene Heldenlied von der Art des doppelseitigen Er-eignisliedes, wie wir es resthaft aus altenglischer Literatur und reicher aus der altnordischen Edda-Dichtung kennen: doppelseitig im Getragensein der dramatischen Handlung aus knapp andeuten-den Erzählversen und aus Rede und Gegenrede, die alle in ziem-lich ausgewogenem Verhältnis stehen. Typisch germanisch - ge-rade in den Übereinstimmungen mit der altenglischen Helden-dichtung (vgl. Meier 1990) - ist die Pluralität der Szenen, der Heeresaufmarsch, vor dem sich die beiden Helden Vater Hiltibrant und Sohn Hadubrant nun zunächst gegenüberstehen, und schließ-lich der Endkampf (Einzelkampf oder sogar Heereskampf), mit dem das Lied in seiner Unvollständigkeit schließt, typisch femer die Sprunghaftigkeit der Darstellung vor einer Hörerschaft, wel-che ja bereits Kenntnis über den Stoff hat, diesen aber szenenhaft in dichterischer Vortragsform neu erleben will. Dennoch darf auch hier von einer althochdeutschen Rezeption und Einordnung ge-sprochen werden, wie Rudolf Schützeichel besonders an der star-ken rechtlichen Bindung, wie sie aus der Karolingerzeit gegeben ist, aufgezeigt hat. Auch im Eintreten des einen, christlichen Got-tes in das Denkmal, den der alte Hildebrand zum Zeugen anruft und kurz vor dem Zweikampf mit seinem von tragischer Blindheit geschlagenen Sohn Hadubrand beschwört (welaga nu, waltant got / wewurt skihit „wohlan nun, waltender Gott, Wehgeschick ge-schieht"), ergibt sich eine neue Haltung, die wiederum die geistig-kulturgeschichtliche Wandlung spiegelt, welche selbst seiner Her-kunft nach Germanisches innerhalb einer althochdeutschen Aus-formung erfährt. Es ist ein schwer zu beurteilendes Ineinander oder schichthaftes Übereinander, so wie es hier vorliegt, neue Konvention neben alter Sachlichkeit, die in veränderte Rechts-und Lebensformen einfindet. Es wäre jedenfalls einseitig, das Hil-debrandslied nur nach seinen möglichen Vorformen und nach sei-nen Bezügen zum Altgermanischen zu befragen - so wie es als überliefertes Denkmal vor uns steht, ist es Bestandteil der althoch-deutschen Dichtung in karolingischer Zeit. Wieviel darüber hin-aus wirklich zu althochdeutscher Sprachgestaltung gelang-te - etwa im sogenannten Heldenliederbuch Karls des Großen, von dem eine Stelle in Einhards Vita Karoli magni (Kapitel 29) spricht - entzieht sich unserer Kenntnis leider völlig.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 11: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

116 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

. . . _ _ i .

«í-tofíí» « « Ρ * JXvtâWiiau»

ι • 1 4 α t r w í ^ e ^ á u l M brwtc: Φ t cat4? etnm-atem, Λ

) « r i t t fHta t~MMgr° i r u Ö r < » f i í n u n < p \ r - u m t t f è - t r v

* I « l i t i b r t i e n - ^ i w - r u t j f î k t r o AJJ A. U e h A o f

. > t i π d o f» e t o á e n ? Itiitjju rrnin UiLzikfzl-rt

H A I v t l z x V i e r t k r z u t t & T i u n a ! yeruita-Cbervre

Ρ»,*" f f r ^ t f frvrmro mfbuonz'fobem

, u t i o i n u m p f t ^ i ^ r P r - t ^ A r ^ i n f b i c ^ u » edile·

ι r r e l x U i f l ^ c n t t ö d U r i « f î f - t b t t J i J i nvpi<tnf&çtrjf<:

V J CG Ár?iiu?T-chtrta incUanifimche'-clittd Í{T V V I * « » » f ι · • - '

i l j ^ n t t i d f l c r · U m Inhn ^ j t t T T f r t u v m « t t r % e r t f T i r » i i « r 2 r e W ï a i r ^ m *

»- J í ^ e ^ m M W r - i m · HuU ( « K a t m r r r - i i ^ r - t i

„ „ . . < k m - i I ? U t * r r - m i x i c L / · r a - T i r r - f * 7 ™

Λτ-π r î n e t - o J ^ u i o f J u U - i / r - W l n U m ^ f « r r r J * .

i j r n " n r i -UT" f T t b t i r ^ ' " W r

¿ . ^ i f f e i m n

\ « f « l c h e r ' d x r p f e g , « rr» t H A n n u m Η » f

m m λ ο ά . 4

f"U< •ν» t

Hs. Foto 11: Kassel, Murhardsche Bibliothek und Landesbibliothek, Cod. theol. 2° 54, Bl. 1r, Ahd. Hildebrandslied, 1. Teil, 3. Jahrzehnt 9. Jh. aus Fulda, Abb. nach G. Baesecke, Das Hildebrandlied, Halle 1945, Text in ahd.-altsächs. Mischsprache, Anfang 1k gihorta dat seggen (darüber so wiederholt) dat sih urhettun œnon muotin, Schluß iu lib habbe wettu irmingot quad. Zu beachten ist das angelsächs. Runenzeichen Ρ mit Akut für w.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 12: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.3. Germanische Dichtungsformen in althochdeutscher Rezeption 117

mrher^ irmnrfTrh r s o f l ino yeLuçif ι liti i t ? H

ϊ ι r r n n i tfVti'U'S

»wo m ^ m - n · p t i < e

errf j T ^ / u r - r f "ta f m · fAiihc u f t a f r r ^ t l i B

türv 0»n«t>t « ì i r - j a s B ¡K1 t i f i t e t m ι ί ι f t t d . j a * ®

k r f ì n a b i / I t u edJo Λ i r d u m i 4 0 J { i U n > M R t e

U t - u f h o , 1 ||u àdr-eni c i~t4rr hJM R e t t r m r r a fiat· UmM • i t f t u n f h r j u J r t v 1 J f c k « W o litUTJI tir-Λ { S r i n c r t P ttvl<vt»^2«j A r a n fca r -pVt H u m i Ä r o r l rrtAn& limn f

WP l " « m e f i t i I n -t1W<$%FiSMmit*

Hs. Foto 12: Kassel, Murhardsche Bibliothek und Landesbibliothek, Cod. theol. 2° 54, Bl. 76v, Ahd. Hildebrandslied, 2. Teil, 3. Jahrzehnt 9. Jh. aus Fulda, Abb. nach G. Baesecke, Das Hildebrandlied, Halle 1945, Text oben hil-tibraht obana ab heuane [usw.], Schluß unten unti im irò lintun lattilo wurtun giwigan miti wabnum. Zu beachten ist das angelsächs. Runenzeichen Ρ mit Akut für w. Hiltibraht für -brant ist fuldisch.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 13: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

118 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.3.4. Kosmogonische und eschatologische Dichtung

Weltanfang und Weltuntergang: auch diese beiden Bereiche fin-den sich noch in althochdeutsche Stabreimdichtung ein. Doch sind es fast nur noch die formalen Züge, welche zurückweisen und zu Vergleichen mit altgermanischer Dichtung anregen, einzelne Wörter und Wendungen, die im späten Althochdeutschen deutlich zurücktreten oder überhaupt fehlen, oder gar nur im Altgermani-schen verankerte hapax legomena. Kosmogonische Stabreimdich-tung liegt im Wessobrunner Schöpfungsgedicht vom Anfang des 9. Jhs. vor. Neun Langzeilen sind es, mit De Poeta überschrieben, in ihren Paarformeln deutlich anklingend an Verse der außerdeut-schen altgermanischen Dichtung, aber in der Profilierung auf den einen christlichen Gott, den Gnadenspender (manno miltisto), und die ihn begleitenden Engel neue Wege gehend, sozusagen als mis-sionshafte Antwort auf die gestellte Frage nach dem Anfang der Welt. Danach folgt ein Prosagebet, das trotz feststellbarer Stab-reime schon ganz zur katechetischen Volkssprachliteratur gehört. Das Schicksal der Seele nach dem Tod und eine rhetorisch über-höhte Vision des Weltunterganges schildert das bairische Gedicht Muspilli aus dem späteren 9. Jh. (vielleicht mit älteren Vorfor-men), so nach dem in Vers 57 vorkommenden altgermanischen Bezugswort vora demo muspille ,vor dem Weltenbrand' genannt. Trotz manchen Anklängen der Schilderung vom Weltuntergang an Stellen aus der altgermanischen Literatur vertritt das Gedicht eine rein christliche, predigthafte Haltung, zu der ausgeprägte rechtli-che Züge treten. Auch die Nähe einer mittellateinischen eschato-logischen Literatur ist dabei spürbar. Die Verwendung der stab-reimgebundenen Langzeilen verrät zwar den Versuch des vermut-lich geistlichen Verfassers, das Gedicht in die alte Stil- und Form-tradition zu integrieren, doch ist dies nicht mehr voll geglückt. Vielmehr zeigt das Muspilli einen starken Zerfall der Stabreim-versform mit Umstellungen, Lizenzen und Abweichungen, die schon einen neuen Satzton verraten.

Wessobrunner Gedicht und Muspilli sind die einzigen Zeug-nisse einer christlichen Stabreimdichtung in deutschem Gewand, einer Stilisierungsmöglichkeit, die sonst nur in der altsächsischen Bibeldichtung von Heliand und Genesis sowie in der umfangrei-chen altenglischen Dichtung seit Caedmons Hymnus auf den Schöpfer zum Tragen kam. Beide Denkmäler, Wessobrunner Ge-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 14: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.3. Germanische Dichtungsformen in althochdeutscher Rezeption 119

dicht und Muspilli, stehen als späte Zeugen einer Stabreimdich-tung aus dem bairischen Reliktraum da - dort scheint sich solches bis weit ins 9. Jh. gehalten zu haben. Die germanischen Formen waren sonst auf deutschem Boden schon zu sehr verbraucht, als daß sie zu einer größeren neuen Dichtung hätten führen können. Ihre pathetische Erhabenheit war schon im Zerfallen begriffen, als Otfrid von Weißenburg - der immerhin noch manche Stilelemente der alten Sprachhaltung aufgenommen hat - in den 860er Jahren die sacra poesis der Bibeldichtung völlig neu begann. Gelegentli-che Stabreimverwendung in Versen bleibt indessen auch sonst noch da und dort zu beobachten, bis hin zu Notkers Eberversen in seiner lateinischen Rhetorik (vgl. dazu Abschnitt 4.6., S. 232f.).

3.3.5. Übersicht über die Denkmäler germanischer Dichtungsformen

Nach innerer Haltung und Formerfüllung betrachtet, gelangen wir zu folgender Einstufung der Denkmäler einer germanischen Re-zeption in althochdeutscher Zeit:

Denkmal innere Haltung Form

Runen- heidnisch-germanisch und oft Stabstilisierungen inschriften christlich

(z. T. abschwörend) Merseburger heidnisch-germanisch Stabreimverse Zaubersprüche Abecedarium wissenschaftlich- stabreimende Merkverse Nordmannicum antiquarisch Segenssprüche christlich beschwörend Stabreim und Endreim,

oft gemischt Hildebrandslied tragisch-germanisch mit

christlichen und rechtsbezo-genen Merkmalen der Karo-lingerzeit

Stabreimverse

Wessobrunner christlich erklärend Stabreimverse, mit altgerma-Gedicht nischem Formelschatz Muspilli christlich predigthaft zerfallende Stabreimverse,

oft mit neuem Satzton Notkers Eber- rhetorisch- schulisch Stabreimverse mit zusätz-verse in der lat. illustrativ lichen Assonanzen Rhetorik

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 15: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

120 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Ganz verschiedene innere Haltungen führen dabei zur Verwen-dung der alten Formkategorien, die langsam zerfallen: es ist die Spätzeit einer Stabreimdichtung im germanischen Süden. Ein Nachleben findet der Stabreim als Stilisierungsmittel freilich in der Prosa - hier insbesondere bei Notker - und selbst in der End-reimdichtung durch die ganze althochdeutsche Zeit - aber es sind nur noch einzelne Brocken ohne die Formungsmöglichkeit zu zu-sammenhängenden Stücken.

3.4. Formen der Ubersetzungsliteratur

Das althochdeutsche Schrifttum wäre bescheiden ohne die vielen Übersetzungstexte, die vom späten 8. Jh. bis in die Mitte des 11. Jhs. reichen. Aber auch hier liegt keine einheitliche Literatur-gattung vor. Es sind Versuche und Neuansätze, die wesentlich vom Ringen um ein differenziertes Verständnis des Lateins in christlicher und antiker Literatur ausgegangen und bestimmt sind. Wie weit man dabei von einer Entfaltung oder inneren Stufung sprechen darf, wird verschieden beurteilt. In den Scriptorien ein-zelner Überlieferungsorte zeigt sich immerhin eine allgemeine Entwicklung im Ausgreifen von der reinen Glossierungstätigkeit zur Interlinearversion oder zur interlinearartigen Übersetzung und von da zur mehr oder weniger freien Übersetzung, wie sie etwa durch Notker von St. Gallen und Williram von Ebersberg gegeben ist. Man muß sich aber bewußt bleiben: ein solches Aufsteigen von Stufe zu Stufe geschieht nicht überall, und wo es dazu kommt, zu ganz verschiedenen Zeiten. Verbindungen von Kloster zu Klo-ster in Sachen althochdeutsche Übersetzungsliteratur sind auf we-nige Einzelfälle beschränkt.

3.4.1. Volkssprachliche Glossen und althochdeutsche Literatur

Es war der Gedanke Georg Baeseckes, die althochdeutschen Glossen seien einer althochdeutschen Literatur voraus- und zuge-ordnet. In der von Baesecke anvisierten Gesamtheit läßt er sich nicht halten, wenn auch die althochdeutschen Glossen am Anfang einer althochdeutschen Übersetzung stehen. Manche Züge ver-binden die Glossen auch mit der frühen Übersetzungsliteratur, wo

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 16: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 121

es zunächst um eine mit volkssprachlicher Hilfe vollzogene Ein-verleibung des Lateinischen geht. Für die Reichenau und für St. Gallen geben sich die ältesten Glossen wie eine Vorstufe zu den kurz vor und nach 800 einsetzenden Interlinearversionen und interlinearartigen Übersetzungen. Aber dann bricht es für lange Zeit ab - Notker von St. Gallen zum Beispiel fußt nur zum kleinen Teil auf der älteren St. Galler Glossierung, schon gar nicht auf In-terlinearversionen. Doch bedeutet auch seine Übersetzungshal-tung noch nicht Ersatz des Lateinischen durch das Althochdeut-sche, Ablösung der Grundsprache durch die Zielsprache, viel-mehr ordnet sich selbst Notker in die gemeinsame Grundhaltung der althochdeutschen Zeit ein, wie sie für Glossierung, Interline-arversion und freie Übersetzung gilt: Bewältigung und Erläute-rung des Lateins durch an ihm wachsende, mitdenkende und mit-formulierende Volkssprachlichkeit. Es ist ein Nebeneinander, nicht ein Nacheinander.

In diesem Sinne sind die Glossen der richtungsweisende Aus-gangspunkt, die Interlinearversionen eine erste lateinisch-deut-sche Textstufe, die meisten übrigen althochdeutschen Überset-zungswerke in ihrer bewußten handschriftlichen Belassung des la-teinischen Wortlautes neben dem althochdeutschen schon die letzte Stufe dessen, was in althochdeutscher Zeit erreichbar blieb, nämlich volkssprachliche Verselbständigung ohne Verzicht auf den lateinischen Grundtext.

Wir können somit ganz allgemein den Wert der althochdeut-schen Glossen in ihrem übersetzungsgeschichtlichen Ausgangs-punkt erblicken. Dazu tritt die bildungsgeschichtliche Kompo-nente in der Aufnahme von antiker glossengebundener Enzyklo-pädie- und Hermeneumatatradition durch die althochdeutschen Glossare. Nach Georg Baesecke sind es zwei Grundströme, die in der zweiten Hälfte des 8. Jhs. den althochdeutschen Raum errei-chen: der spätantik-oberitalienische über Bayern mit dem vermut-lich um 770 in Freising unter Bischof Arbeo entstandenen ältesten alphabetischen Glossar ,Abrogans', das aus Handschriften seit dem späten 8. Jh. in St. Gallen, Karlsruhe (aus der Reichenau) und Paris (aus Murbach) überliefert ist und kulturgeschichtliche Ein-wirkungen fränkischer Traditionen zeigt; der spätantik-angelsäch-sische mit dem über Fulda und Murbach nach St. Gallen tradierten und allein dort erhaltenen Vocabularius Sancti Galli, Ausstrahlung

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 17: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

122 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

angelsächsischer Glossierungstradition - die ihrerseits auf der spätantiken Glossierung der sog. Hermeneumata pseudotheodo-siana beruht - auf den Kontinent. Neuere Forschungen haben in-dessen die Bedeutung Arbeos für den ,Abrogans' bestritten und dieses älteste lat.-ahd. Wörterbuch ebenfalls mehr in den Rahmen der angelsächsisch beeinflußten Glossierungstradition gerückt, außerdem in den Zusammenhang der Aneignung lateinisch-christ-licher Überlieferung.

Wir können hier nicht näher auf die vielfältigen Ausformungen der althochdeutschen Glossierungstätigkeit und auf die daraus er-wachsenen Glossenfamilien und Glossare eingehen. Insgesamt rechnet man zur Zeit mit einem Bestand von 1230 glossentragen-den Handschriften. Relevant für die althochdeutsche Literatur sind indessen noch vier Punkte, die hier kurz genannt werden müssen:

(1) Die Glossen überliefern eine Reihe von Ausdrücken über literari-sche Gattungen, die uns sonst kaum greifbar sind, z.B. winileod, -liodn. ,Liebeslied', sciphleod n. ,celeuma, Schifflied', sisosang η. ,Trauerge-sang' und viele weitere Zusammensetzungen mit sang u. a. Man wird diese Zeugnisse nicht überschätzen wollen, doch erfolgte ihre volks-sprachliche Nennung sicher aus dem Empfinden heraus, es handle sich um Formen dichterischer Gestaltung. Viele der Belege kehren übrigens in der frühen Übersetzungsliteratur wieder, wie zum Beispiel chorus cart m. ,Reigen', cartsanc m. ,Reigengesang' u. ä. sowie hymnus lop n., lopsanc m. ,Lobgesang' in den Murbacher Hymnen, mit den deutlichen Überein-stimmungen in der frühen Reichenauer Glossierung.

(2) Die altheimische Tradition der Dichter- und Sängerbezeichnung lebt vor allem und fast nur in den Glossen nach (z.B. scopf, scofm., alt-germ. scop .Hofdichter', ahd. auch skof, skopf .Erdichtung, Gedicht'; liudari m. ,Liederdichter'; leodslakkeo, leodslekko m. ,Sänger, Saiten-spieler, eig. Sänger zum Saitenspiel'), wirkt von da aber gleichfalls in die frühe christliche Übersetzungsliteratur hinein, wie dies in der althoch-deutschen Isidorübersetzung und in den Mondsee-Wiener Fragmenten nach 800 deutlich wird (psalmscof m. ,Psalmendichter').

(3) Die althochdeutsche Glossierung dichterischer Texte erscheint wie ein Gradmesser der Beschäftigung mit antiker und christlicher Literatur überhaupt, oft stellt sie die einzige Erscheinungsform dichterischer Spra-che an einem bestimmten Überlieferungsort dar. Unter den dichterischen Texten - mit Einschluß hochstilisierter Prosa - wird der frühchristliche Dichter Prudentius (um 400) am häufigsten glossiert (50 Handschriften mit glossiertem Werktext, 12 Handschriften mit Textglossaren), ihm fol-gen die römischen Dichter Vergil (32 Hs. mit glossiertem Werktext, 3 Hs. mit Textglossaren) und Horaz (23 Hs. mit glossiertem Werktext, 3 Hs. mit

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 18: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 123

Textglossaren), sodann der spätantike Philosoph und Dichter Boethius (480-524; 22 Hs. mit glossiertem Werktext, 1 Hs. mit Textglossar) und der christliche Dichter Sedulius (1. Hälfte 5. Jh.; 17 Hs. mit glossiertem Werktext, 4 Hs. mit Textglossaren). Von Bedeutung sind außerdem die geistlichen Erklärer und Dichter Arator (etwa 500-550), Aldhelm (um 640-709), Alcimus Avitus (t 518), Juvencus (1. Hälfte 4. Jh.), Prosperus (379-455) sowie die römischen Dichter Persius, Juvenal, Lucan, Terenz und Ovid, von Einzelglossierungen in weniger als drei Handschriften ab-gesehen. Nicht alle diese Glossierungen bestehen aus rein dichterischer Sprache, aber es fällt bei einer Untersuchung der Glossen im einzelnen doch viel für die Erfassung poetischer Diktion im Althochdeutschen ab.

(4) Spuren stilistischer, ja dichterischer Gestaltung finden sich darüber hinaus ohne direkten äußeren Anlaß in den Glossen und Glossaren selbst, besonders dort, wo der Glossator über ein einzelnes Interpretament hi-nausgreift und zur Mehrfachglossierung und Satzglossierung ausholt. Eine systematische Stilistik der althochdeutschen Glossen könnte noch vieles in dieser Richtung erweisen. Von hoher dichterischer Gestaltung ist zum Beispiel die St. Galler Glossierung der lateinisch verbliebenen Ele-mente in Notkers Psalter aus der Mitte des 11. Jhs. durch Eckehart IV., die bereits völlig in die dichterische Übersetzungsleistung integriert erscheint und so den Rahmen bloßer Glossierung sprengt.

3.4.2. Interlinearversionen

Das Wesen der Interlinearversion liegt in der zwischen den Zeilen des Grundtextes angeordneten Form-für-Form-Übertragung in die Zielsprache. Dadurch entsteht strenggenommen eine Art Roh-übersetzung, die unabhängig von den idiomatischen Wendungen der Zielsprache die Formen der Grundsprache Wort für Wort um-setzt, ohne sie dem Sinn nach in ein neues Ganzes zu integrieren. Einer Summe von lateinischen Formen 1-13 zum Beispiel ent-spricht eine Summe von 1-13 im althochdeutschen Text:

Murbacher Hymnen, 1,1 1 2 3 1 2 3

Mediae noctis tempore Mittera nahti zite 4 5 6 4 5 6

prophetica vox admonet: uuizaclichiu stimma manot 7 8 9 7 8 9

dicamus laudes domino chuuedem lop truhtine 10 11 12 13 10 11 12 13

patri semper ac filio fatere simbulum ioh sune

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 19: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

124 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Das heißt: ,Zur Zeit der Mitternacht weissagende (d. h. prophetische) Stimme ermahnt: sagen wir Lob dem Herrn, dem Vater für immer und auch dem Sohne.'

Nun ergeben sich aber selbst bei den Interlinearversionen be-deutende Unterschiede in der sprachlichen Bewältigung der Über-setzung. Grundsätzlich sind die folgenden vier Schichten zu un-terscheiden:

(1) Nach ihrer Konzeption unvollständige Interlinearversionen ohne Ab-sicht auf einen zusammenhängenden Text, eine Zwischenstufe zwischen reiner Glossierung und zusammenhängender Interlinearübersetzung:

- die St. Pauler Lukasglossen, spätes 8. Jh., vielleicht auf der Reichenau entstanden, mit deutlichem Übergang von der bloßen nicht durchge-henden Glossierung zur stellenweise vollständigen Interlinearversion.

(2) Der Normalfall einer in der Regel vollständigen, schematischen Pro-sainterlinearversion:

- die altalemannischen Psalmenbruchstücke, Reichenau, frühes 9. Jh.

- die althochdeutsche Benediktinerregel, St. Gallen, frühes 9. Jh., nicht ganz vollständige Umsetzung des ζ. T. recht schwierigen lateinischen Textes, darum weitgehend auf der formalen Wortverwandlungsebene verbleibend, doch mit deutlichen Spuren einer eigenen Sprachgestal-tung (Umstellungen in der Zielsprache, Profilierung der eingestreuten Bibelzitate), vgl. Hs. Foto 13, S. 125.

- die rheinfränkische Cantica-Übersetzung aus der ersten Hälfte des 11. Jhs., trotz der spätalthochdeutschen Uberlieferungszeit nicht über eine sehr unselbständige Stufe hinausgekommen

- das Trierer Capitulare in mittelfränkischer Sprache des 10. Jhs., mit ei-nigen rechtssprachlichen Stabreimformeln in Prosa.

(3) Der Sonderfall einer dichterischen Interlinearversion mit starker sti-listisch-rhythmischer Gestaltung:

- die auf der Reichenau entstandene, in Murbach erweiterte Überset-zung ambrosiani scher Hymnen aus dem frühen 9. Jh., mit erstaunlich häufiger Stabstilisierung, mit direkter Nachwirkung eines altgerma-nisch-dichterischen Wortschatzes und mit einer deutlichen Tendenz zur rhythmischen Vierhebigkeit der lateinischen Vorlage, also keines-wegs als reine Prosa aufzufassen

- die aus einer Handschrift aus Tegernsee stammende, traditionsmäßig aber auf die Reichenau zurückweisende, im Manuskript allerdings nicht interlinear, sondern nach jeder lateinischen Halbzeile oder Lang-zeile angeordnete althochdeutsche Übersetzung des Carmen ad Deum aus der zweiten Hälfte des 9. Jhs., die vor allem durch ihre rhythmi-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 20: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 125

4 < 4 > f « Í l · f w j e t L * ? « U ** c m c c m ^ i < h r , q c t ¿ > c u l u r A

p iW» 1*·» « Τ * h o « r j x K 'η

! u i c i r r r % 6 c c c v t i y f c e r a t u r e · r \ 6 c m

C û r h i m i m r C l i t j ^ p y W ?

r - c ^ u r r c C r > » r a u t d i Li ç u ^ y ' e u m f o f "fr" I «Afv «il«» , Λ o r » C e « e n o M b i ^ e m n i i c d t l t ç f h U w U pvriT h«*«rck r r - . T h U V W ( W ^

· I 1+ÏCT1 gì. ' VnfAtnA PUfiJ« T A C C i í V e n i 6 ¿ j 4 c c b t I n x c T

O B ú E D l l N T l A . ^ ¡ ^ 4 * . «ν j d f r A < i e » H i f i i ^ L

l e - , O b o e d t f t ' V - i f C . n r % e r n o i n c c - , n e c ,

c o n UÍVMT U t f q u i N»B»L f i b i c c ; t p < r t « n « m . f e u a i W - j Vvx» «αλ»/ J ' » « r e r w ( é W f W . J a r u i ,

C c c > > « f ~ c c u c j M i a m C f r V jU ' n a v V 4Kirf k e - J ^ i í í · • ( i« '

f&ì u 1+1UΚΤΛ <cr rk c j u o d p r ^ p f ^ f à n / e j o 4 « π Λ f e r ^ j i ^ Ä * J ^ l U l u » i

fe*.* prHímer^ rrycut r\e- uel ^ ^ u r . l J U 8 r f f " * ·

r M C e m u r t ^ f ^ e ,Λτ-Ολ' u r t e i l ^ t u a ¡c, e « r » p fe«*· ^ í r n r - t « " 'P

i m ^ p ^ X T v i m A m A l O f V f u ö y r · hCCCfî c « ciîunJljLke f« ¡cá**ir>.*» <rM«>Xj>. ¿MeLöS? c j t « * m r n » r i m p i ^ i M r m o r c c ρ c o r i

T X i T c i C C r v ' t r» ^ c i ^ c l o . D e t j u t k u / *

Hs. Foto 13: St. Gallen, Stiftsbibliothek Cod. 916, pag. 34, 2. Jahrzehnt 9. Jh., Ahd. Interlinearversion der lat. Benediktinerregel. Hier Schluß von Kapitel IV und Anfang von Kapitel V De oboedientia / fona horsamii: Text Mitte Primus itaque humilitatis gradus est oboedientia sine mora; darüber ahd. erista invnv dera deoheiti stiagil ist hoorsamii ano tuuala, d.h. ,die höchste Stufe also der Demut ist Gehorsam ohne Zögern'.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 21: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

126 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

sehe Wucht beeindruckt (die Akzente im ahd. Text stehen nicht in der Handschrift - sie sollen die Rhythmik andeuten):

sánete sator, suffragator uuího fáter hélfarí legum lator, largus dator éono spréhho mílter képo iure pollens es qui potens piréhte uuáhsanti dû pist der máhtigo nunc in ethra firma petra. nú in hímile féster stéin. [usw.]

Das heißt: .Heiliger Vater, Helfer (bzw. Beistand), Gesetzgeber (wörtl. Gesetzessprecher), barmherziger Spender, zu Recht stark werdend (wörtl. wachsend), du bist der Mächtige, nun im Himmel fester Stein (d.h. Fels)'.

(4) Scheinbare Interlinearversionen, d. h. handschriftlich zwar interlinear angeordnete, aber ihrem Übersetzungsstil nach weitgehend völlig freie Übertragungen, denen es nicht mehr auf die dem lateinischen Vorbild streng folgende Formverwandlungsebene, sondern in erster Linie auf die Erfassung des Gesamtsinnes einer Äußerung ankommt: die Glossierung der lateinisch verbliebenen Wortgruppen und Sätze (meist Bibelzitate) von Notkers Psalter (Mitte 11. Jh., St. Gallen, vgl. Hs. Foto 19, S. 211).

Die Interlinearversion bleibt die erste und älteste Stufe in der Ge-schichte der deutschen Übersetzung, der erste Wegbereiter für ei-nen zusammenhängenden volkssprachlichen Übersetzungstext, die erste tragfahige Brücke vom Lateinischen zum Deutschen. Es gehört zur Typologie der althochdeutschen Literatur, daß die In-terlinearversion eine erste Konstante vom frühen 9. bis ins 11. Jh. bildet und daß sie selbst zu dichterischer Ausgestaltung führt. Freilich beschränken sich die Interlinearversionen offenbar auf klösterlich-benediktinische Provenienz und dienen der Klosterge-meinschaft als Mittel für die monastische Glaubenspraxis, wobei die bessere Aneignung entsprechender lat. Texte im Vordergrund steht (vgl. Henkel 1996).

3.4.3. Interlinearartige Texte

Eng an die interlineare Stufe schließen sich die interlinearartigen Übersetzungen der althochdeutschen Zeit an. Darunter sind Texte zu verstehen, die handschriftlich nicht mehr interlinear angeord-net sind, aber weitgehend auf dem Stand der interlinearen Über-setzungstechnik verbleiben. Dabei ergeben sich mannigfache Übergangsformen, die wir hier nur andeuten können. Es lassen sich unterscheiden:

(1) Die frühen althochdeutschen Vaterunser, Glaubensbekennt-nisse und weiteren katechetischen Stücke. Unmittelbar ausgelöst

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 22: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 127

Quoniajn cjuidern muin ¡Lt

COnun Curre- crr-dinAa-C nuTtorontm ^uu£-lrínotir ce>mjA&.u£r furrr- r f r u m ficutr -cr-caltclerurrtrnc>ttr cjut cítinroo 1-pfi u iáer ta r r - d t rmni fVi fuer-umr fti monir , Uiflnrv ertr SCmiUl Afftcuce •Iprmapu* omrub; dtíig^m»-6«>r-dincr-ahi fer-iber-e-oframer rkaopliite-irrrcog-norcA^ esjT-ttm.

er-udfrur er u . e r m a x m , y M jn-inapio er-ter ueHbum

„·' «Auer-l-um erra" àlluci clrn -" Λ-Ar

ervxr aer-tum , Uoc Smxr tn jw-tncvpto Λψαύ <tn , Omnia.per- lj>fam J ^ U s b t f U n P ¿ f f t n e r \γΓο fsJZkum e ( \ min i ¡ \ ' quoâ ftaÉtum efk 1m<jtt& urca err-2or . ¡Vurntó-ao; Lot d o m i n u m . cVttx*. Ιηχεηβϋπ-ιΓ L U C Í * « ' ·- ^*r-cenei>T-àer· acon « m com preiiende-urer.

utc· tnetetuf fienwi»»* rcigi Γ W I lueiejr cfu«Ju>n fäjA-tW·

tltuicer ,χΙία -·' »

bi tJmu u u A m » màJià-gT-Zitrcun or-dtno-n fXgK -tino In uni" g-ipuljTi. finir' »-VÌJUOTÌ j fo un Γ fùJxun -cine -ekar" ÄncLgpnne-fììion gpiflJiun !irn Amtalro-u u e n i n uu<n~rer-uuaT rm*~jpffcij<xn gifblgeKBno fwi ànegnrm e-Allòri gern UWvi ¿feer- At » w a r n -dut - ßmben -j->u. Wîs«ï4fïi> -ckeoplnle-

-ditfeX cku fkjrrO'-rliöTi uixoT—to finì tilem rku gì Ierre bifV u u 4 r , In Ancígnnnc uUitf u u u r r Wra uuorr uuATmrr ui t -W» gotr itti». uuof -<iwx uuorf

-Ais. uUcU" in i n j L m n n f tntc gynx JLlUu Tnur-uh xi 'v» χ uui-Àun art-ESui -Irra ux-ìaafin I l ' u u a f uuiire gTzaiier ·. JiJtó -τΐιΛτ- grta_7i uvuir -ekiS· uutvr" tn »»no l i t · 1rtt> -ctiá« Ut uUAf bo t r mtknw Imi Tch<is.l«f*rln ÍtifÍcLT-HíSím UuK-BsL·-- tara f tnfbameTli

min gt - f fUn- ' , UUAT tne^un t í t txlír t t ír cumnger lucerlo fùmfe-tifMf^ niWen ΐΑβΙιΛΠΑΓ fîm -tíiemo uueWiilc-atiarsr

Hs. Foto 14: St. Gallen, Stiftsbibl. Cod. 56, pag. 25, Lat.-ahd. Evangelienhar-monie des Tatian, zweispaltige Bibelbilingue, gegen 850 in Fulda für das Klos-ter St. Gallen geschrieben. Hier Prolog Lukas 1,1-4; Anfänge der Evangelien Johannes 1,1-5 und Lukas 1,5. Oben linke Spalte lat. Quoniam quidem multi conati sunt ordinare narrationem quae In nobis completae sunt rerum, rechte Spalte ahd. bithiu uuanta manage zilotun ordinon saga thio In uns gifulta sint rahhono [usw.]. Zwischen den Spalten die Angaben der Evangelien Lc und Io.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 23: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

128 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

durch Karls des Großen admonitio generalis von 789 entstehen im ganzen fränkischen Reich unabhängig voneinander eine Reihe von Verdeutschungen der lateinischen Paternoster- und Credo-texte, deren Übersetzungshaltung zunächst noch sehr interlinear-artig erscheint. Aus dem Ende des 8. Jhs. stammt das alemanni-sche St. Galler Paternoster und Credo in engster Anlehnung an den lateinischen Grundtext. Kurz nach 800 ist die in zwei Fassungen erhaltene bairische sogenannte Freisinger Auslegung des Paterno-ster anzusetzen (Handschriften aus Freising und St. Emmeram in Regensburg). Vermutlich in Freising ist die nach 802 zu datie-rende predigtartige Exhortatio ad plebem christianam entstanden, als Teil einer Taufordnung zu verstehen, die im Zusammenhang mit der Kirchengesetzgebung Karls des Großen von 801-803 steht. Im zweiten Jahrzehnt des 9. Jhs. entstand im Raum Weißen-burg der südrheinfränkische Weißenburger Katechismus, der den Vaterunser-Text mit anschließender Erklärung, eine Aufzählung von zwanzig Hauptsünden, zwei Glaubensbekenntnisse und die Übersetzung des Gloria in excelsis und des Laudamus enthält und vielleicht auf älteren Vorformen des späten 8. Jhs. beruht. In allen Fällen handelt es sich um kirchliche Gebrauchsprosa, oft mit be-merkenswerten Vorstößen zu einer selbständigen volkssprachli-chen Diktion.

(2) Der althochdeutsche Tatian, die gegen 850 in Fulda in ost-fränkischer Sprache, sog. normalalthochdeutscher Sprache, offen-bar als Gemeinschaftswerk der Klosterschule unter dem Abt Hra-banus Maurus (822-842) übersetzte Evangelienharmonie des Sy-rers Tatian (2. Jh.) nach der weitverbreiteten lateinischen Fassung des Textes, für die Fulda eine zentrale Rolle zukommt (vgl. Hs. Foto 14,15, S. 127,130). Die Übersetzungshaltung dieser größten neutestamentlichen Bibelverdeutschung aus althochdeutscher Zeit ist keineswegs einheitlich: es zeigen sich darin bedeutende Unter-schiede. Die Sprache ist stellenweise noch stark an die lateinische Vorlage angeschlossen, behält aber nicht überall die lateinische Wortfolge mechanisch bei, sondern läßt bald da, bald dort einer deutschen Satzfügung in verschiedener Richtung freien Raum. Das schematische Verfahren der Interlinearversion ist in gewissen Par-tien weitgehend aufgegeben. Auch dort, wo die Übersetzung dem Lateinischen des Grundtextes sehr eng verbunden bleibt, wie zum Beispiel im Prolog, ergeben sich Umstellungen und Zusätze ge-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 24: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 129

nug. Alles in allem zeigt die Tatian-Übersetzung, die uns vollstän-dig nur in einer aus Fulda stammenden Handschrift aus dem zwei-ten Viertel des 9. Jhs. in der Stiftsbibliothek St. Gallen überliefert ist, ein ständiges Sich-dem-lateinischen-Texte-Nähern und Sich-wieder-davon-Entfemen, eine Spannweite zwischen Anlehnung ans Lateinische und volkssprachlich-eigenständiger Loslösung da-von, wie sie als Zwischenstufe auf dem übersetzungsgeschichtli-chen Weg des Althochdeutschen von der Interlinearversion zur freien Übersetzung nur zu begreiflich erscheint.

(3) Eine freiere Stellung nehmen das fränkische und das mit althochdeutschen Spuren vermischte sächsische Taufgelöbnis aus dem 9. Jh. ein. Sie zeigen beide eine deutliche Rücksicht auf die gesprochene Sprache, auf die rhythmischen Bedürfnisse einer ein-drucksvollen Diktion. Auch die verschiedenen althochdeutschen Beichten seit dem 9. Jh., besonders aus dem 10. und 11. Jh., oft verbunden mit Glaubensbekenntnissen, stellen einen vielgestalti-gen Übergang von interlinearhaftem Formular zu eigener, aufrei-hender und oft rhetorisch profilierender Volkssprachlichkeit dar. Die notwendige kirchliche Gebrauchsliteratur macht sich im Ver-lauf der althochdeutschen Zeit mehr und mehr selbständig und holt zu eigener Gestaltung aus, selbst über einen nicht in allen Tei-len nachweisbaren lateinischen Grundtext hinaus.

3.4.4. Die althochdeutschen Übersetzungen der Isidor-Sippe

Als früheste Denkmäler einer selbständigen althochdeutschen Übersetzungsprosa von erstaunlicher Sprachbeherrschung in der Genauigkeit der Übertragung wie in der eigenen Gestaltung er-scheinen um und nach 800 die Schriften der sogenannten Isidor-Sippe: dabei handelt es sich um die ahd. Übersetzung des Traktates des Isidor von Sevilla (um 560-636) De fide catholica ex veteri et novo testamento contra Iudaeos in westlicher, südrheinfränkisch-lothringischer Sprache aus einer Pariser Handschrift, deren Her-kunft nach Bernhard Bischoff in austrasisches Gebiet aus der Zeit um 800 weist; um die Mondseer Fragmente (Teile des Isidor-Trak-tates; Bruchstücke des Matthäus-Evangeliums, eines Traktats De vocatione gentium, einer Augustin-Predigt über Matth. 14 und des Schlußteils einer unbekannten Predigt) in bairischer Umschrift aus dem frühen 9. Jh.; um Nachwirkungen in einem Teil des Murbacher

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 25: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

130 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Λ'

vi

Cxjarffftif JUirOn tûfipU ifrmno ftctc ftcxcvyrrpXprcti AngtWJru

4 & Accíptr c¿miu£e*n fujun &nimcog-n»ßel>tti»m ¡Wec pipò-re-fi Uutn fUum ^nmogftirmm . Λ ueeAutr noneι β«Γ tWm »

Γ iaumeft-íUto» (nJiefcuritlir- Le * ftfjtrftïiâum A^firt-Augurio ·

unnieríntenMií-uniua-Arcn-ltf. k*c Jerta-njmo « â u f t prajeflde- catino. »A'ilxwTe- OTrtntT'·* tnrjwO ntertmaír-fïnguîitnfuAm ciurtÄcem » .ViîÂndrr-àarem A'forìyk Agaiilea-Jecju tracce-η A^AriS ·- :

tucLtfiuu cl.utcaecem cLuiwl cjiiAe-UAMcrut-íjtf leeTri * eoi uc·«! etTÄ'AeJ»mi> cVfivmillAd&uid ' irroro •certÄÄr*' cum mAmA.á |>ímra«L.fíi»i vpunrtr pt-eg ArroC-fViìum e iXirrem cu ÖY&nr tin · ImplAt fìtmrdter ttepar-ert ' Arpeper-rr filtufiium primog nnaTf ¿A «terottf* ôum \muluttr AWcLriivurc eum Infrtrtpio -CJU»A n<m ¿raer e»Γ tocar Jncííuer-fMno *

^ -tr fraunr Vrtr gtímeeaJjírn·-u t^Lim^Ä^f^^iöTcl^u ig» ftipracgrTJ Cfliam » Âïcce-Ajigtiiirelm {\&ìv lucerà.ttí*r~·-

Í Aímuwi-cl«· jofCpW fon fLxftr tÁXfb imo $p\>crv xruìmrttr »ìii^tt îtva lr»pJitiiig-fîflA.gimAli)jtui Uta niuuAfd loLuuir umtA/i flayku^ InMtm fc-n^ Wnuum litri gntne? i\ruxnnò»non KaLàrrr. «uArtl ti» grtan ίητ^βτ -c& nn foxm quagliar fon Àtmo λΐ uuaIcöi fcetfvrc •tkfc* gnln-teutr uuf*âi λΐ-τλβ ατη ι uaCrfir, -sJvcxgiffcnk iX tnfitn uuAnd gitan. Irifvmu fem ¿eme apnxutn cyrtnc. 'rira ftiorunàUû" Vt udun

fon-frurp Uurgj -dnu Ute-χ In taderto l*rttr írret In â iXtuÀff\mr^-TImu UUAT c£tr»em«rr kâAAttm · Vt«9nu «uAmÄ-Uit uuArfVn V*ufè-irro fon mmfjie'clAutiLsr.T Jial r-gi.iAlni TÄmAn mrrmAnun tme gimíjiiKun fiTfbAfßuettru · -rite fíe-rltAr-«uAr-tín ' uurmi η ^^W'-cfiAXfiu twttn lira gnUxr- Jrft-fïm £ri/V twamm » }wa ti uud/tr fîJAri m rr-cuoci» a» · Wret jpLftjraxlnAn IrtcmppöJt " titlnu uuAjn».in muUAfànAer-fhar îm4i€mo çaOrUuft'· xxK.tiX.run "WW UimGV Wjtftv Lurrßcefft -*" uw-Altlwrce- Inra kt liíAiramf- παΪγγ u uu rs. ui>Ar-erp CUUTfr <f*i*m cpfhumrnaS* tr

Hs. Foto 15: St. Gallen, Stiftsbibl. Cod. 56, pag. 35, Lat.-ahd. Evangelienhar-monie des Tatian, zweispaltige Bibelbilingue, gegen 850 in Fulda für das Klos-ter St. Gallen geschrieben. Hier nach Matthäus 1,24-25 Beginn der Weih-nachtsgeschichte nach Lukas 2,1-9. Oben Zeile 7 linke Spalte lat. Factum est autem In diebus Ulis, exiit edictum a cçsare augusto. ut describeretur uniuer-sus orbis, rechte Spalte ahd. uuard thô gitân In then tagon [korr. aus -un] fram quam gibot fon demo aluualten keisure. thaz gibrieuit uuvrdi al these umbi-uuerft. [usw.] Am linken Außenrand Konkordanzangaben.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 26: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 131

Glossars Je der Oxforder Handschrift Junius 25, ebenfalls aus dem frühen 9. Jh. Ausgangspunkt der räumlich außerordentlich weit verbreiteten ahd. Isidor-Sippe, die sozusagen als erster Versuch ei-nes übergreifenden Deutsch im fränkisch-karolingischen Reich angesehen werden darf, sind die Bemühungen des Bildungskreises um Karl den Großen, die sich mit der Vervolkssprachlichung ka-techetischer Texte und mit aktuellen theologischen Fragen der Zeit, besonders mit der Trinitätslehre befaßten. Es geht dabei um die Auseinandersetzung zwischen dem spanischen Adoptianis-mus, der die Gottessohnschaft Christi als Adoption erklären wollte, und dem fränkisch-alkuinischen, an Isidor orientierten Tri-nitätsgedanken christologischer Ausrichtung.

Die streng geregelte, systematische Graphematik des ahd. Isi-dor-Textes und die souveräne Meisterung schwieriger Konstruk-tionen in der Volkssprache stehen weit über den zeitlich vergleich-baren Interlinearversionen oder interlinearhaften Verdeutschun-gen vor und nach 800. Man kann den Verfasser deshalb auch als den ersten deutschen Grammatiker bezeichnen. Die Isidorsippe vertritt eine einsame Höhe theologischer Wissenschaftsprosa, wie sie im Bereich der artes liberales und des Psalters erst zweihundert Jahre später Notker von St. Gallen aus neuen Voraussetzungen her-aus wieder zu schaffen vermochte. Auch die vielen eingestreuten Bibelzitate in Isidors Traktat sind Zeugnisse einer prägnant-getra-genen Bibeldiktion, man vergleiche etwa die Stelle aus der Genesis 1,1-2 (Isidor IV, 4,290) In principio fçcit deus celum et terram, et spiritus dei ferebatur super aquas, auf althochdeutsch In dhemu eristin chideda got himil endi aerdha, endi gotes gheist suueiboda oba uuazsserum. Das heißt: ,Zum ersten (am Anfang) schuf Gott Himmel und Erde, und Gottes Geist schwebte über den Wassern'. Lateinische Partizipialkonstruktionen, die in der wenig späteren Tatianübersetzung aus Fulda noch recht häufig ungelenker als sol-che auch im ahd. Text erscheinen, sind in der Isidorübersetzung aufgelöst, wie überhaupt der Übersetzungsvorgang semantisch und syntaktisch ungewöhnlich differenziert, z. T. leicht erweitert erscheint. Auch die Lehnbildungen nach lateinischem Vorbild tre-ten gegenüber anderen geistlichen Texten des Ahd. auffallend zu-rück. Außerdem vermag der Isidorübersetzer altheimisches Wort-gut mit neuem christlichem Sinn zu erfüllen und damit selbst alte dichterische Wörter in seinen Text einzuverleiben, z. B. psalmscof

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 27: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

132 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

m. .Psalmendichter, Psalmist' (vgl. altengl. scop .Dichter, Sän-ger'), chirüni n. .heiliges Geheimnis, Mysterium' (vgl. gotisch, ahd., altsächs. runa f., altengl. run, altnord. rún).

Hier war ein Weg eröffnet, der eine deutsche Schreib- und Übersetzungssprache in ihrer Entwicklung viel rascher und steiler zur geistlich-sprachlichen Bildung emporführte, als die Masse der Übersetzungsliteratur des übrigen 9. Jhs. Aber es geschah ohne di-rekte Nachfolge über die bairischen Umschriften hinaus.

3.4.5. Übersetzungen aus dem Rechtsbereich

Von bemerkenswerter Selbständigkeit im Übersetzungsvorgang ist das Trierer Bruchstück einer althochdeutschen Lex Salica-Über-setzung aus dem Anfang des 9. Jhs., nach B. Bischoff in Mainz ent-standen. Erhalten ist auf dem Doppelblatt nur der Schluß des Ti-telverzeichnisses und der Anfang des Gesetzestextes (vgl. Hs. Foto 16, S. 133). Es ist eine dem mündlichen Vortrag angepaßte Über-tragung mit vielen Auflösungen komplexer lateinischer Konstruk-tionen in die althochdeutsche Idiomatik. Man vergleiche die Über-tragung der passivischen Ausdrucksweise durch die auf den Täter bezogene Aktivierung im Althochdeutschen: Titel LXVIII De ca-ballo excortigato, ahd. der andres hros bifillit ,wer das Pferd eines andern abhäutet'; oder die übersetzungstechnische Bewältigung der lateinischen Partizipialkonstruktionen: II, 4 Si quis porcellum in campo inter porcos ipso porcario custodíente furaverit..., ahd. so hver sofarah infelde daar hirti mit ist.forstilit..., d.h. ,wer im-mer (= jeder der) ein Jungschwein im Felde stiehlt, wo ein Hirte da-bei ist... [der büße dafür] usw. ' Wir bemerken hier im Vergleich mit der westfränkischen Malbergischen Glosse (älteste volkssprachli-che Glossierungen zu den Fassungen der Lex Salica 6.-8. Jh.) Fort-leben und Erneuerung des frühfränkischen Rechtswortschatzes in althochdeutscher Zeit. Die althochdeutsche Lex Salica-Überset-zung ist ein frühes Meisterstück althochdeutscher Fachsprache und Übersetzungskunst, wie sie sich so zeitig nur in der längst münd-lich vorgeformten Rechtssprache einfinden konnte.

Einen althochdeutsch-altfranzösischen Doppeltext mit Anleh-nung an kanzleibestimmte Formularhaftigkeit stellen die rhein-fränkischen Straßburger Eide von 842 dar, die Eidestexte der Bündnisemeuerung zwischen Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen. Es ist mehr Urkundensprache als wirkungsvolle

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 28: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 133

Hs. Foto 16: Stadtbibl. Trier, Mappe X Ahd. und mhd. Fragmente Nr. 1, pag. 2-3: Doppelblatt einer ahd. Übersetzung der lat. Lex Salica Karolina aus Mainz, Anfang 9. Jh.: hier Texte aus Kap. 1 (linke Seite 2) und Kap. 2 (rechte Seite 3) mit dem Titel (Zeile 2) Fon diubiu suino ,über den Diebstahl von Schweinen'.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 29: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

134 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Sprechformel, was hier vorliegt, immerhin mit einer gewissen An-näherung an die eigenständige deutsche Rechtssprache.

Die Verselbständigung eines althochdeutschen Urkundenfor-mulars wird femer bei den Markbeschreibungen des 9. und 10. Jhs. - mit älteren Vorstufen - deutlich. Die aus der ersten Hälfte des 9. Jhs. stammende Hamelburger Markbeschreibung ist, was den Text betrifft, noch lateinisch, enthält aber erweiterte deut-sche Orts- und Flurnamennennungen von der Art inde in theo teo-fun clingun unzi themo brunnen ,und in die tiefe Schlucht bis zur Quelle', inde in ein sol ,und an eine Suhle' u. ä. Weitere Verdeut-schungsstufen zeigen die auf älterer Vorlage beruhenden Würz-burger Markbeschreibungen vom Ende des 10. Jhs. Die erste Be-schreibung ist textmäßig zwar auch noch lateinisch, enthält aber bei den Grenzbeschreibungen über die Flurnamen und flurnamen-artigen Stellenbezeichnungen hinaus althochdeutsche Überleitun-gen, so daß ein Satz plötzlich seine Sprache vollständig wechseln kann. Die zweite Markbeschreibung ist mit Ausnahme des Titels Marchia ad Wirziburg völlig althochdeutsch abgefaßt - sie darf als direkte Aufzeichnung einer mündlichen Erhebung in die Volkssprache gelten, so wie es am Schluß auch heißt Diz sageta Marcuuart, Nanduuin, Helitberaht... ,dies erklärte M., N., H...' usw.

Eine Verdeutschung des lateinischen Ordinationseides, des sog. Obödienzeides, liegt im Freisinger Priestereid aus der ersten Hälfte des 9. Jhs. vor. Es ist der Eid, den der Geistliche nach seiner Weihe dem Bischof zu leisten hat: Daz ih dir hold pin. Ν. demo piscophe, so mino chrephti enti mino chunsti sint... (usw.)... kaho-rich enti kahengig... (usw.) ,daß ich dir ergeben bin, Ν. dem Bi-schof, wie es in meiner Kraft und in meinem Können steht, gehor-sam und anhänglich'. Über das lateinische Formular hinaus stel-len sich hier sozusagen von selbst stabende Wendungen der ge-sprochenen Rechtsdiktion ein, wird der Text im Althochdeutschen von einer neuen heimischen Getragenheit erfüllt. So wirkt er ech-ter und inniger.

3.4.6. Spätalthochdeutsche Übersetzungskunst

Von einer ausgedehnteren Übersetzungskunst kann erst in der spätalthochdeutschen Zeit des ausgehenden 10. und des 11. Jhs.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 30: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 135

gesprochen werden. Zwei hervorragende Gestalten bestimmen den Fortgang und die letzte Ausformung frühdeutscher Überset-zungsgeschichte: Notker III. von St. Gallen und Williram von Ebersberg. Nun verbreitert sich der Übersetzungsbereich außer-halb der Glossen erstmals über Bibel, katechetische Schriften und Rechtsprosa hinaus und öffnet sich - mit Notker - auch der Antike in Dichtung und Philosophie, ferner in der Physiologusüberset-zung des 11. Jhs. einem Stück naturkundlich-allegorischer Litera-tur. Erst mit Notker und Williram ergibt sich eine größere Aus-strahlung althochdeutscher Übersetzungsliteratur, die bis in mit-telhochdeutsche, teilweise frühneuhochdeutsche Zeit nachwirkt. Es gehört zum Wesen dieser Übersetzungskunst, daß sie dichteri-sche Haltung mit auf die Schule bezogener Wissenschaftssprache vereint. Uneingeschränkt darf man von einer Hochblüte der alt-hochdeutschen Prosa sprechen, wenn man die schwierigen An-fange einer althochdeutschen Prosa überhaupt bedenkt, denn erst jetzt wird Übersetzung zur eigentlichen Literatur.

3.4.61. Notker III. von St. Gallen

Mit Notker III., Labeo oder Teutonicus, von St. Gallen, ist die be-deutendste und vielseitigste Einzelpersönlichkeit althochdeut-scher Sprache und Literatur gegeben. Für Sprach- und Literatur-geschichte der althochdeutschen Zeit wie auch für die Geschichte der deutschen Bildung überhaupt bedeutet Notker etwas völlig Neues nach Intention und Durchführung. Notkers ganz einer gro-ßen pädagogischen Aufgabe im Dienste der Klosterschule gewid-metes Leben fällt in die Zeit von etwa 950 bis 1022.

Das einzige, aber wesentliche autobiographische Zeugnis Not-kers liegt in seinem Brief an Bischof Hugo von Sitten (998-1017) aus einer Brüsseler Handschrift aus dem 11./12. Jh. vor. Wir ge-winnen dabei entscheidende Einblicke in die Probleme, mit denen sich der St. Galler Magister als Lehrer, Übersetzer und Vermittler des weiten Bildungsgutes aus Antike und Christentum konfron-tiert sah, als er - seiner geradezu dichterischen Sprachbegabung folgend - mit Übertragungen selbst schwierigster lateinischer Texte begann. Notkers Brief führt uns mitten in sein Überset-zungswerk hinein und damit zur Frage der Einteilung seiner Schriften, die sich mit Einschluß seiner lateinischen Werke in der

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 31: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

136 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Ausrichtung auf die folgenden Sachgebiete innerhalb der sieben freien Künste und der Theologie beantworten läßt:

( 1 ) Trivium (Grammatik, Philosophie oder Dialektik und Rhetorik): Gram-matischer Traktat (lat.); Boethius, De consolatione Philosophiae (vgl. Hs. Foto 17, 18, S. 138, 140); Aristoteles-Boethius, Kategorien und Hermeneutik (De interpretatione) sowie zwei kleinere, vorwiegend la-teinische Schriften (De partibus logicae; De definitione); De syllogis-mis - ahd.-lat. Doppeltext; De arte rhetorica (lat., mit ahd. Begriffen und Beispielen), daneben die sog. kleine ahd. Rhetorik, in die Conso-latio-Übersetzung des Boethius eingefügt.

(2) aus dem Gebiet des Quadriviums (Arithmetik, Musik, Astronomie): De musica (ahd.), Computus (lat., über die Zeitberechnung) und ein verlorenes Werk Principia arithmeticae.

(3) Artes liberales im allgemeinen: Martianus Capeila, De nuptiis Philo-logiae et Mercurii, sodann verlorene poetische Werke der St. Galler Schullektüre (Vergil, Bucolica; Terenz, Andria; Disticha Catonis).

(4) Theologie: Psalter (vollständig, mit reicher Kommentierung vor allem nach Augustinus und Cassiodor), sowie - verloren - Gregors des Gro-ßen Moralia in Hiob, vielleicht noch eine ebenfalls verlorene Schrift über die heilige Trinität.

Zunächst darf betont werden, daß Notker - wie er es schon in sei-nem Brief vermerkt - althochdeutsch und lateinisch schreibt. Aber selbst die lateinischen Werke Notkers sind für das Althoch-deutsche von Belang - sie sind nämlich zumeist mit althochdeut-schen Begriffen, Beispielen und Sprichwörtern versehen. Über-haupt steht Notkers Werk als Ganzes völlig zwischen lateinisch-antiker beziehungsweise lateinisch-christlicher Bildungstradition und althochdeutscher Sprachgebung. Selbst die althochdeutschen Übersetzungen Notkers enthalten viele lateinische Reservate und Zitate, die er vor allem den für seine Zeit maßgebenden Kommen-tarwerken entnommen hat. So erhalten wir das folgende ineinan-dergreifende Gerüst zwischen Latein und Althochdeutsch:

Lateinische Grundsprache -» Althochdeutsche Zielsprache Bildungstradition Gedankenfügung

1. Umstellung schwieriger lateinischer Textstellen im Hinblick auf die anschließende Übersetzung

2. Übersetzung ins Althochdeutsche mit lateinischen Reservaten und Zitaten

3. Lateinisch-althochdeutsche Doppeltexte 4. Lateinische Texte mit althochdeutschen Reservaten und Zitaten.

Quellen Kommentare

Übersetzung Volkssprachliche Elemente

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 32: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 137

Althochdeutsche Zielsprache «- Lateinische Grundsprache Verankerung im Latein Ausrichtung auf das Althoch-

deutsche

Es ist ein ständiges Hin und Her zwischen Latein und Althoch-deutsch, das uns Notker als Übersetzer und Magister vermittelt. Das Fluktuieren zwischen Grundsprache und Zielsprache wird nirgends so deutlich in der Geschichte der deutschen Übersetzung wie bei Notker III. von St. Gallen. Der Vorgang gehört in den grö-ßeren Rahmen des Übersetzungsproblems im deutschen Mittelal-ter. So ist es keineswegs Zufall, daß alle Übersetzungswerke Not-kers in den Handschriften auch den lateinischen Grundtext Satz für Satz mitenthalten, freilich nicht selten in auf die Zielsprache ausgerichteter Vereinfachung oder Umstellung, entsprechend un-serer Ziffer 1. Stets handelt es sich bei Notker um den doppelten Vorgang der Übersetzung von der lateinischen Grundsprache zur althochdeutschen Zielsprache einerseits und um die Verankerung des althochdeutschen Textes im Lateinischen durch Reservate und Zitate.

Krönung und Abschluß des Notkerschen Übersetzungswerkes bilden die theologischen Schriften. Erhalten ist dabei freilich nur ein Werk: Notkers Psalter. Von Gehalt und Umfang her darf dieser als Hauptwerk des St. Galler Meisters gelten: nicht nur ist es die größte Übersetzung Notkers - die einzige vollständige St. Galler Handschrift zählt 578 Folioseiten - ; der Mönch und Klosterlehrer Notker kehrt damit, bereits in seinen späteren Jahren, außerdem endgültig zum kirchlichen Schrifttum, zu seinem Hauptanliegen zurück und schafft die reifste und nachhaltigste Bibelübersetzung der althochdeutschen Zeit und eine der großartigsten in der Ge-schichte deutscher Bibeltradition überhaupt. Die rhythmische Prosa dieser Übersetzung steht auf weite Strecken der Dichtung nahe. Ausgestrahlt hat von Notkers Übersetzungen eigentlich nur der Psalter. Schon die handschriftliche Überlieferung ist hier rei-cher und verbreiteter als sonst, wenn auch größtenteils nur noch einzelne Blätter außerhalb St. Gallens erhalten sind. Wichtig ist auch die Auseinandersetzung mit Notkers Psalter, sie vollzieht sich mindestens an drei Orten unabhängig voneinander: in St. Gal-len unmittelbar an Notker anschließend durch die Glossierung zu Notkers Psalter noch im zweiten Viertel des 11. Jhs.; in Wesso-brunn im 11. Jh. durch die Umsetzung von Psalm 1-50 und 101-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 33: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

138 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

debevi emnng» Ut gemeinem •dur%1xiy~Lim'S>iidiu ebrttr nebnn nvtfihe flrtzr-mib er f r u ore lurte 'S ftrâcba unde¿ d t n g n e m t i g e n u n e - A r t i ni rire uiierdernr-Xfiuir ifl4ò Uf» fhnrotf uuorrofb\Tidinreunde infant eh ó tifift- nwner içeiyi\tebefmannefmerdürfe;· ranne dar · Seauerder i f t der den ftrri mtv redo uer%eren chan. undt erttaAinrhetoruca ¡^eiiVnCT. habetr-rer «fron» -vor-mdefmunde finder man rhetor tea duleedme· i f t e r aber üngeierety-unde i f t er doh k*iy>m'ehe -fo mag- er tloben o f f i c i t i &ntvor t(ïfie{ba nema^r er om xpr f t h -tutanda cLifr er narrura tft-raíU η cid niehr « • d w V u f r i f t ver dui dui c er h ne beehenne. Cr ne tie da m gémo-dar-er lia j ^ M e f c o r r / T» meçre cui ittrène die: <geíércoften. d e f t í n e f eCHinef unde demofhmefgttyrrLchen. einen dag~-nnglicho%ejtn' xmne-* π e c h a men dara limbe dab -na . f b ' c i e r r o efe er . τη u t r a mi Ira Promt <greet*? * 25«» forieri unir danne roluitfamerltiter fure nomef unanebunde fth\jui f u η drth-xah-a.il feíba fetenzia .diu τ-berrín ea herhetx trrtpíer ifb ih ne- dur-tutanda tro m*rrm a er t pfr*· « f l b ' D t ' M A Ì 1" Ï U A A&TIJÌ R H i TiIFU*· Λ t" Λ

ιfir tro nu«wia .<ííie der βητ'^ίο der ftrrrr frein tier. 11*1· λ ber f i iiurrbAnc ftrr'r nehaber fi ni dnzf'etiirtnneralfbauh medicina danne ση afa tit-ube morht negrfk eberrtr. nob ««Ínmiítrñi» man timbe reht - a n d e um be ttnrefnz.foman indtngr τûrm. xrit Çlahra itrfcef her%etr larmr fbnr tudirra "tdieialirSrrttrrTti m be amba/ri Γ&·%ι.αΙΓο daft ift Hurt' 'herí· tin in ge mgr.aide'bdufirrtfr-uuan da man f i Ha ttirtwcf fot demonitmrr· jterliu

Hs. Foto 17: St. Gallen, Stiftsbibl. Cod. 825, pag. 55, Notkers Übersetzung von Boethius, De consolatione Philosophiae, geschrieben um 1025. Hier Buch II, Kap. 10-11, Teile aus Notkers in die Übersetzung eingeschobener kleiner ahd. Rhetorik (Kap. 1-2), mit Titel von Kap. 2 De materia artis rhetoricae. Danach der ahd. Text (im Beispiel hier ohne die vielen Akzente auf den betonten Vo-kalen vermittelt) Vuaz ist irò materia, âne der strit? So der strit errinnet, so ha-bet si uuerh. Ane strit nehabet si nieht ze tûonne. [usw.]

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 34: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 139

150 nach Notker in den bairischen Dialekt (sog. Wiener Notker); in Passau (Kollegiatstift St. Nikolaus) durch eine jüngere Umar-beitung und Kürzung des 14. Jhs. (sog. Münchener Psalter). Dane-ben begegnen uns noch Zwischenformen auf dem Weg vom St. Galler zum Wessobrunner oder Wiener Notker, nämlich in den St. Pauler Blättern des 12. Jhs. aus Kärnten, ursprünglich aber aus St. Blasien im Schwarzwald, und im Fragmentblatt der Stiftsbi-bliothek Aschaffenburg aus der Mitte des 12. Jhs.

Es wäre noch viel über Notker III. zu sagen. Eine abschlie-ßende Würdigung seiner Gestalt und seiner Übersetzungsleistung, besonders auch seines Dichtertums, fehlt durchaus. Die Sprache Notkers zeigt das Spätalthochdeutsche in seinem Übergang vom 10. zum 11. Jh. in reichster Ausprägung und feinster phonetischer Aufzeichnung. Nach rhythmischen Gesichtspunkten durchge-führte Interpunktion und ein klares, auf den Gegensatz von Länge und Kürze ausgerichtetes Akzentuierungssystem verraten ein un-gewöhnliches, geradezu wissenschaftliches Sprachverständnis. Doch blieb dies auf die eine St. Galler Gestalt beschränkt: die spä-teren Notker-Handschriften zeigen schon den Zerfall der feinen Beobachtungsgabe des großen Meisters. Kein Schriftsteller oder Einzelwerk des Althochdeutschen zeigt einen derart abgestuften, reichen Wortschatz wie Notker, in dessen Schriften wir gegen 8000 Wörter der ältesten Stufe des Deutschen finden, darunter viele Neubildungen aus allen Bereichen geistigen Lebens wie ge-nauester Naturbeobachtung. Man spürt die Nähe der Volkssprache in Notkers feinem rhythmischen Empfinden, und erstmals in der Geschichte der deutschen Sprache ist hier das Latein der Grund-texte mit differenzierter Meisterschaft übersetzt und interpretiert. Darin liegt vor allem sein Sprachreichtum, daß Notker nicht sche-matisch, sondern immer wieder aus dem Textzusammenhang her-aus übersetzt. So können neben einem lateinischen Wort des Grundtextes bis zu zehn und mehr Entsprechungen im Deutschen stehen. Wo Notker Antikes heranzieht, ist es um das Christliche der Kirchenväter oder der frühmittelalterlichen Kommentare ver-mehrt, ja durch eigene Erklärung verdeutlicht. So bedeutet Not-kers Werk Dienst an der lateinisch-christlichen und lateinisch-an-tiken Bildung, die dem Deutschen in höchster sprachlicher Gestal-tung einverleibt und dadurch zum Dienst an deutscher Sprache und deutschem Denken wird. Grundvoraussetzung zu solchem

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 35: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

140 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

N l H l L i i ^ tdrninf rxm-nefipßfìmiaioifluLu^-fòrfean ectnánaJi r(íi.t»t™f,|,j cJm. JifTííijA/ujlf Ja mi <Wft- iti, ¿Mm die rali. Ár^-ar Pcrtgtattgn í^^heüKrune-fUlv.JJ^Tsr tfaecéXfcànf gnnftt fjTingriLo tticjuí ar{itm»TtrAi&<<" ' ' « H í ^ - e í « ^ · ^ wuftur ¿oWiiúpLitrnrí.ri«iw<<uWaiin-tr• ko. .Wfi nttnmiÁñ ιώηυη W

cft^tdihver neftuxilAirr iTÍjin if » mcpirr umili p Trmjn i UthjáMr npoTfitii^- t/grrr..^ tk-.Jn i^ tHn^f& jMrrr ne^ernttgr"hitíyi!tnqiù torAjJifciiiyuiiiJ emi^unêjËtgi i ié tâtf i iniulH ρ Μ η ^ Ι ^ ί π uM -tùpn dW Λ'ΆίιηΒηί· mtftUÍliñn chsd tU ALiUi igcemqunr mbdè-émJ&are-iIte 'rptrTfit-. ,.jiu „Jnf ,7pí*nh- • £¡>nr .-im Aulfl-1«MÍ'«Íl(?lálc(ti¿(»r iKHUyAn.

Si.nm.ijf Argu^.ll^'fiwiinsìliuV i«aííffl»-nit.;ia ifffriiT '¡ηΛ ' ' 72* Λ Ïiu fimalti-dJ^t mí/ti n«Ar -citami ^•rtt-ÎWCTïéiilfWnii iifT-wafef Jffi-TTioj^cAngtte^prTiinf at&dtftcere ¿trit pfì.u! Lirert^maiaS-ÓtSiAllLxTÜfllWÍ HAS VAI BJTIÛNVM jjtJifrte me inqfûUttvenrrmiondi -mermcsltfrUhonmlni-' Sptlrfi-mfanu**·

rmrdmàJh-tniùt: linent i^L,1í>'f*rtitiuntirrmt Uborrm^T^'^endo'iliit· tus-quutc qiut t^rfcfuu^tftrroöifri· u -tu nu tngan gt*-tarJu TÄteng*· wulejber<txr ¿%]l*ngrjt -dr-dooicpenge^if· tnUho T-tWw ftrftr tmrlci.an fnV ftf«n AnTmr*W?<H«wG d o t i n e / /* ^ondtftTti )LinviiimJrrticktd-tnuUxfero / / / - — N \ ^meTecnfàf

eilSm¡U«m*xt¡>&a6uftgtûin í I ! ! j \ \ Ì ^ ^ ) ftftMbprfu^Sitflut«»' 1 i i 1 í f É · ! 1 / 1 1 w m ¿ r

rmr gtfr«{i¿lSfiínge*»tA \ \ \ V - » e B j É f â / / / / / / mieten* wdin»We>Ogtso.'».fliuuuf \ \ V v I M H P C · 7 / / flsn-fSVm» í*m£. itmlKÍwfo fií tngtn» vmünU

mxuJtnè vu¿mif£i35>mn3,· lofibfcraaidtnè

£ **{Uí. «im.nftímífi,,·, mil qmpAT^Jfeei-^i^-rruimifctdü <tjiv«/~Vn</<·

Hs. Foto 18: St. Gallen, Stiftsbibl. Cod. 825, pag. 176, Notkers Übersetzung von Boethius, De consolatione Philosophiae, geschrieben um 1025. Hier Buch III, Kap. 118 [Malum] nihil esse und Anfang von Kap. 119 De similitu-dine harum rationum mit dem Text lat. Ludisne me inquam. texens rationibus inextricabilem laborinthum? Dann ahd. (hier ohne die vielen Akzente auf den betonten Vokalen vermittelt) Spilest tu sament mir chad ih. mit tinero redo, so feruuundenen laborinthum uuvrchendo? D.h. ,Hältst du mich, sagte ich, mit deiner Argumentation zum Narren, ein so unentwirrbares Labyrinth verferti-gend?' Dazu die Zeichnung eines Labyrinthes.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 36: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 141

Schaffen bleibt Notkers tiefgläubige Inbrunst, die Demut des ent-sagungsvollen Mönchs und seine Hinordnung auf das Religiöse. Dabei bleibt das Entscheidende bei Notker im Vergleich zu den ihm zeitlich folgenden spätahd. Übersetzergestalten, die wir per-sönlich fassen können - Williram von Ebersberg und Otloh von St. Emmeram (vgl. unten die Abschnitte 3.4.62. und 3.4.63.) - , daß beim St. Galler die Beschäftigung mit den sieben freien Kün-sten noch keineswegs im Widerspruch steht zu den geistlichen Übersetzungen der libri ecclesiastici, deren Primat zwar Notker in seinem Brief an Bischof Hugo von Sitten ausdrücklich betont. Aber Notker bleibt so in Haltung und Künstlertum die letzte große Gestalt jener weltoffenen und doch so christlich erfüllten Bil-dungswelt, wie sie eine althochdeutsche Literatur von den Karo-lingern bis zu den Ottonen entstehen ließ.

Über Notkers Werk hinaus zeigen zwei Übersetzungen eine di-rekte Spiegelung und Ausstrahlung des St. Galler Meisters - über die bereits genannten rezeptiven Bearbeitungen von Notkers Psal-ter hinaus - : im Schulisch-Grammatischen die sog. St. Galler Schularbeit aus der Zeit Notkers selbst mit einigen höchst eigen-ständigen Verdeutschungen grammatischer Fachterminologie aus D o n a t z . B . (participium téilnémunga,praepositiofúresézeda), im Theologisch-Dichterischen die St. Galler Glossierung zu Notkers Psalter, wenig später als Notker, so gut wie sicher von seinem Schüler Ekkehart IV. verfaßt und ganz ungewöhnlich in ihrer Sprachleistung, die vor allem ganze lateinisch verbliebene Sätze aus dem Grundtext zusätzlich übersetzt, vor allem Bibelzitate.

3.4.62. Williram von Ebersberg

Als zweite große Übersetzergestalt der spätalthochdeutschen Zeit ist der fränkische, aus der Gegend von Worms stammende Adlige Williram zu nennen, der nach seiner Ausbildung in Fulda als Lei-ter der Schule des Klosters St. Michael in Bamberg und als Abt im oberbairischen Kloster Ebersberg von 1048 bis zu seinem Tod im Jahr 1085 gewirkt hat. Neben lateinischen Gedichten, die ihm die ehrende Bezeichnung eines egregius versificator eingetragen ha-ben, verfaßte er um 1060 als Hauptwerk eine Paraphrase des Ho-hen Liedes, die sog. Expositio in Cantica Canticorum in lateini-schen leoninischen, d. h. in sich durch Binnenreim verbundenen

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 37: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

142 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Hexametern, denen ihrerseits eine althochdeutsche Prosafassung mit vielen lateinisch verbliebenen geistlichen Begriffen gegen-übersteht. So stellt sich nämlich die Anordnung des Textes in den unter der Aufsicht des Verfassers redigierten ältesten Haupthand-schriften C (aus Ebersberg stammende Handschrift Cgm 10, 2. Hälfte 11. Jh.) und Β (Breslauer Handschrift, 2. Hälfte 11. Jh.) und selbst teilweise noch in der späteren Überlieferung dar - als dreispaltiger Text voller gegenseitiger Bezüge (wir zitieren nach der neuen kritischen Ausgabe von Erminnie Hollis Bartelmez, Philadelphia 1967, 71 V/L/G S. 17, jedoch in der Anordnung nach den Handschriften):

Lateinische Versfassung Lateinischer -Willirams in leoninischen Vulgatatext Hexametern auf Grund von Cantica Kommentaren, u. a. Haimo Canticorum von Halberstadt

»•Althochdeutsche Prosafassung Willirams mit lateinischen Reservaten und Leitbegriffen I (a) Textübersetzung

Tu fons hortorum. puteusque profundus aquarum:

De libani summo quç currunt impete uasto;

Eloquii sacri saliens fons amne salubri.

Irrigai çcclesias ilio de germine natas:

A te plantaris quod complet sçcula ra-mis;

Nunc tarnen ille patens et aperto ilumine labens

Hauritur facile: puteo nunc conditur ille;

Hystoriç uerbis potatur contio plebis.

Ipsa superficies hanc allicit: at sapientes

Mystica de magnis norunt haurire profundis,

[usw.]

(b) Kommentar

Fons Du bist gártbrunno: du bist ortorum. pútza der quékkon uuázzero. puteus die mit tûihte (Var. tôze)

aquarum flîezzent uon libano. An dir viventium ist scientia ueritatis. diu der in quae fluunt sacra scriptum étisuua also ímpetu de óffan ist sámo der flîezzente

libano. brúnno. uuánte síu lîht ist ze uemémene: étisuua ist síu also diu pútza. da ûz man daz uuázzer mit árbéiten skéffet. uuante síu únsemfte ist zeuernémene.

[usw.] Das heißt: ,Du bist eine Quelle im Garten, du bist ein Brunnen lebendiger Wasser, die mit Wucht (Var. Getöse) vom Liba-non(gebirge) fließen. An dir liegt die Einsicht in die Wahr-heit, welche in der heiligen Schrift bisweilen so offenbar wird, weil sie leicht zu begrei-fen ist, bisweilen aber ist sie wie der Brunnen, woraus man das Wasser mit Mühe schöpft, da sie schwierig zu begreifen ist'.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 38: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.4. Formen der Übersetzungsliteratur 143

Nach Inhalt und Intention stellt Willirams Werk eine Verherrli-chung der Macht der Kirche, verbunden mit einer dogmatischen Heilslehre, dar. Dichterisch gestaltet ist dabei vor allem die latei-nische Versfassung, während die althochdeutsche Prosafassung einerseits aus der getragenen Übersetzung des Cantica-Textes, an-dererseits aus der theologischen Interpretation oder Kommentie-rung (mit lateinischen Elementen) besteht, die kühler und distan-zierter wirkt. Willirams lateinische Reservate und seine phoneti-sche Akzentuierung gemahnen an Notker von St. Gallen, doch ist eine sichere Verbindung von Werk zu Werk nicht nachgewiesen. Was Williram von Notker trennt, ist seine geistig engere Be-schränkung auf theologische Schriften, denn er lehnt bereits eine Beschäftigung mit den artes betont ab. Kein Werk der ahd. Zeit weist eine so umfangreiche Handschriftenüberlieferung und Nachwirkung auf wie Willirams Paraphrase, die uns in 46 Hand-schriften oder Fragmenten bis weit in die mhd. Zeit überliefert ist, wozu noch drei humanistische Drucke kommen. Direkte Grund-lage ist der Text Willirams für das frühmhd. alemannische St. Trudperter Hohe Lied aus der Mitte des 12. Jhs. geworden.

3.4.63. Otloh von St. Emmeram

Eine erneute Abwendung vom weltoffenen Wissenschaftsgeist der artes liberales zugunsten einer vertieften religiösen Spirituali-tät stellen Otlohs von St. Emmeram (gegen 1010-1070) mittella-teinische Schriften im Bereich von Glaube, Moral, Heiligenviten, Vision, Lied- und Spruchdichtung dar. Der oberbairische Bene-diktinergelehrte aus der Freisinger Diözese trat um 1032 in das Kloster St. Emmeram in Regensburg ein, wo er bald die Leitung der Schule wahrnahm. Doch hielt er sich dazwischen auch in Ita-lien (Montecassino), Fulda und Amorbach auf. Der althochdeut-schen Literatur hat Otloh ein nach ihm benanntes Prosagebet, Ot-lohs Gebet, in bairischer Sprache, hinterlassen: es ist das umfang-reichste Gebet der ältesten Sprachstufe des Deutschen und seiner-seits aus einer älteren Fassung seines lateinischen Prosagebetes O spes unica, o salus çterna et refugium omnium in te sperantium, deus [usw.] erwachsen, in der Volkssprache allerdings gekürzt (Trohtin almahtiger, tu der pist einiger trost unta euuigiu heila al-ler dero, di in dih gloubant iouh in dih gidingant... d.h. Allmäch-tiger Herr, der du einzige Hilfe bist und ewiges Heil aller derjeni-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 39: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

144 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

gen, welche an dich glauben und auf dich hoffen'). Einige lateini-sche Bestandteile - etwa der Schlußsatz - und Namensformen rei-hen es lose an die Denkmäler der sogenannten lateinisch-spätalt-hochdeutschen Mischprosa an, ohne daß es streng genommen noch dazu gehört. Das Gebet ist in der Spätzeit von Otlohs Schaf-fen entstanden.

3.4.64. Der althochdeutsche Physiologus

Das letzte Werk spätalthochdeutscher Übersetzungskunst stellt der ahd. oder ältere Physiologus aus der zweiten Hälfte des 11. Jhs. dar, das erste Zeugnis einer deutschen allegorisch-naturkundli-chen Literatur. Der gegenüber der lateinischen Vorlage stark ge-kürzte alemannisch-rheinfränkische Text, der nur knapp zur Hälfte überliefert ist, stammt aus einer Handschrift aus dem Klo-ster St. Paul in Kärnten (heute Österreichische Nationalbibliothek in Wien), wohin sie vielleicht aus Hirsau gekommen ist. Er be-ginnt mit den Worten Hier begin ih einna reda umbe diu tier, uuaz siu gesliho bezehinen, d. h. , Hiermit beginne ich eine Erörterung über die Tiere, was sie in geistlicher Hinsicht bedeuten'. Es han-delt sich um eine kurze Beschreibung der Tiere (z. B. Löwe, Pan-ther, Einhorn, auch Fabeltiere), deren Eigenschaften in Verbin-dung mit Bibelzitaten und der Trinitätslehre allegorisch-heilsge-schichtlich gedeutet werden. Physiologus heißt ,der Naturfor-scher': das Werk ist spätgriechischen Ursprungs (2. Jh. n. Chr.), ohne daß wir Näheres über Verfasser und Entstehung wüßten. Ne-ben verschiedenen Übersetzungen in vorderorientalische und ost-europäische Sprachen entstanden seit dem 5. Jh. lateinische Bear-beitungen, die etwa um 1000 als sog. Dicta Chrysostomi die Grundlage der deutschen Physiologus-Tradition, die sich in mit-telhochdeutscher Zeit fortsetzt (jüngerer Physiologus, gereimter Physiologus, beide 2. Hälfte 12. Jh., bair.-österr., sowie ein weite-res Fragment), begründen.

3.5. Christliche Endreimdichtung

Als das eigentliche neue Ereignis der althochdeutschen Literatur hat die christliche Dichtung zu gelten, vor allem die Bibeldich-tung. Neue Maße haben hier auf lateinischem Hintergrund zur Endreimdichtung geführt. Christliche Dichtung heißt im althoch-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 40: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.5. Christliche Endreimdichtung 145

deutschen Bereich vorzugsweise gleichzeitig Endreimdichtung. Grundsätzlich führen zwei verschiedene Wege dahin: der eine nimmt seinen Ausgangspunkt von der Bibelglossierung und frü-hen katechetischen Übersetzung, führt über die eigentliche Bibel-übersetzung (Tatian) in Prosa zur Bibeldichtung (z.B. Otfrid von Weißenburg); der andere geht von der christlichen Hymnendich-tung aus, die zunächst interlinear auf Althochdeutsch bewältigt wird, um sich dann zu freieren dichterischen Gestaltungen zu er-heben. Erst recht setzt dann in frühmittelhochdeutscher Zeit seit dem Übergang vom 11. zum 12. Jh. eine reiche geistliche Literatur durchaus neu ein, deren Verankerung aber im nun voller ausgebil-deten Sprachinstrumentarium gesehen werden darf. Schematisch ausgedrückt:

Althochdeutsch

8.-11. Jh. (1)

Bibelglossierung

katechetische Übersetzung (Vaterunser mit Auslegung,

Glaubensbekenntnisse, Beichten)

ahd. Interlinearversionen mit Ansätzen

zu dichterischer Gestaltung

(Murbacher Hymnen, Carmen ad Deum) Bibelübersetzung

(Mondseer-Fragmente, Tatian, Psalter)

Bibeldichtung in Versen

(Otfrid von Weißenburg, Christus und die Samariterin)

freie dichterische Lieder und Reimgebete in der

Volkssprache

(vor allem Galluslied, Petrus-lied, Georgslied, Reimgebete,

Psalm 138)

Ende 11./12. Jh. Frühmittelhochdeutsch

Neubeginn einer geistlichen Dichtung auf dem Hintergrund eines entsprechend herangewachsenen Sprachinstrumentariums

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 41: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

146 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.5.1. Otfrid von Weißenburg

Als erste große, rein dichterische Gestalt des Ahd. darf Otfrid, Mönch und Schulleiter (magister scholae) des unterelsässischen Klosters Weißenburg gelten, dessen Lebenszeit in die Jahre um 800 bis nach 870 fällt. Otfrid ist der erste mit Namen bekannte deutsche Dichter und als Verfasser der zwischen 863 und 871 entstandenen, endreimenden ahd. Evangelienharmonie auch die einzige Persönlichkeit der ahd. Literatur, von der ein größeres volkssprachliches Werk in Versen überliefert ist. So bildet Otfrid in doppelter Beziehung Beginn und Neuansatz einer deutschen Literatur im kunstmäßigen Sinn: in der Hinwendung zur sacra poesis der Bibeldichtung auf dem Hintergrund heilsgeschichtli-cher Neuerfüllung der ihm bekannten und von ihm als Anschluß-punkte ausdrücklich genannten antiken Tradition Vergils, Lu-cans, Ovids und der frühchristlichen Dichtung des Juvencus, Arator und Prudentius, sowie in der ersten großen Neuformung in Endreimtechnik mit relativ gleichmäßiger Versfüllung seiner aus zwei vierhebigen Kurzzeilen mit Reim verbundenen Langzeile nach mittellateinischem Vorbild, dies vor allem im Anschluß an die Reimlehre der Bibelpoetik und des binnengereimten Hexame-ters seit Cassiodor und Beda (sog. schema omoeoteleuton, vgl. Beda, De arte metrica et de schematibus et tropis II, 1 : omoeote-leuton est similis terminatio, quoties media et postrema versus sive sententiç simili syllaba finiuntur, d. h. ,der Gleichklang der Wortenden ist die gleichartige Endung, wenn immer der mittlere und letzte Teil des Verses oder Satzes mit gleicher Silbe beendet werden'). Neuere Forschungen haben erwiesen, daß Otfrid - wie später Notker von St. Gallen - im Scriptorium seines Klosters stark verankert ist, ja daraus hervorwächst: er ist auch als volks-sprachlicher Glossator nachzuweisen, so daß auch hier ein neuer Zusammenhang zwischen ahd. Glossierung und dichterischer Persönlichkeit gegeben bleibt. Seine Bildung freilich holte er sich bei Hrabanus Maurus in Fulda, den er in der lateinischen Vorrede seines Werkes auch nennt. Damit wird der fränkische Schwer-punkt der neuen Bibelübersetzung, Bibelauslegung und daraus hervorgehenden Bibeldichtung deutlich, der sich um die Tatian-übersetzung der 830/40er Jahre aus Fulda mit ihrer Ausstrahlung auf den altsächsischen Helianddichter wie auf Otfrid von Wei-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 42: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.5. Christliche Endreimdichtung 147

ßenburg gruppiert. Fränkisch nennt Otfrid auch seine eigene Sprache (in frenkisga zungun, frenkisgero worto, worton frenkis-gen, in frenkisgon) neben lateinisch theotisce (I, 1 Cur scriptor hunc librum theotisce dictaverit), wenn auch daneben einmal in githiuti ,auf Deutsch' (V, 8, 8; zu githiuti .volkstümlich') er-scheint. Die Begründung der Volkssprachlichkeit des Werkes ist getragen vom Anschluß an die Regeln der lateinischen Gramma-tik und Rhetorik wie von einem fränkischen Bewußtsein des neuen Sagens und Singens von Gottes Lob aus christlicher De-mut heraus. Es war ein unerhörtes Beginnen und Neuschaffen, dessen ist sich Otfrid bewußt, und es bedurfte einer Sprach- und Schreibkunst, die sich bis in die persönlichen Korrekturen Otfrids in der Wiener Handschrift V hinein zeigt.

Der Aufbau von Otfrids Werk zeigt die folgende Struktur:

1. Vorreden 1.1. Hymnische Widmung an König Ludwig den Deutschen mit Akrosti-

chon und Telestichon (Lud.) 1.2. Lateinische Prosavorrede an Erzbischof Liutbert von Mainz mit wert-

vollen Aufschlüssen zur eigenen Sprachhaltung 1.3. Kürzere Verswidmung an Salomon, Bischof von Konstanz, mit

Akrostichon und Telestichon (Sal.)

2. Evangelienharmonie in fünf Büchern, in Allegorie auf die fünf Sinne menschlicher Wahrnehmung

2.1. Buch I (28 Kapitel): Begründung der Abfassung des Werkes in deut-scher Sprache, Invokation Gottes, Vorgeschichte und Geburt Christi, Ereignisse bis zur Taufe durch Johannes

2.2. Buch II (24 Kapitel): Am Anfang was das Wort, Jesus in der Wüste, Taten und Lehren (Bergpredigt, Vaterunser)

2.3. Buch III (26 Kapitel): Christi Wundertaten und ihre Ausdeutung 2.4. Buch IV (37 Kapitel): Passion 2.5. Buch V (25 Kapitel): Kreuzsymbolik, Auferstehung, Auffahrt,

Jüngstes Gericht und drei Abschlußkapitel mit Gebeten

3. Verswidmung an die St. Galler Mönche Hartmuat und Werinbert mit Akrostichon und Telestichon (Hartm.)

Wolfgang Kleiber ist es 1971 gelungen, den Aufbau des Otfridi-schen Evangelienbuches als strophische Dichtung aus Kleinstro-phen zu zwei Langzeilen und größeren Strophengruppen heraus zu erweisen, die handschriftlich ausgezeichnet bzw. gruppiert sind. Diese Strophengruppen sind innerhalb der Kapitel als inhalt-liche und oft auch syntaktische Einheiten zu verstehen. Der Vor-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 43: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

148 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

trag der Strophen darf als rezitativisch-akzentisch aufgefaßt wer-den. Daneben zeigt der Großbau des Evangelienbuches zahlen-symbolisch die vielfaltigsten Bezüge zur biblischen Chronologie, so daß die Zahl zum eigentlichen Aufbaufaktor des Werkes wird (Strophenzahl, Kapitelzahl, Buchzahl). Hauptquelle von Otfrids Werk ist der lateinische Vulgatatext, oft direkt vergleichbar mit der ahd. Tatianiibersetzung, wenn auch dichterisch weit ausgestal-tet. Daneben werden die im Scriptorium von Weißenburg zur Zeit Otfrids vorhandenen Kommentarwerke ausgiebig herangezogen, vor allem die Schriften von Hieronymus, Beda und Hraban Mau-rus. Otfrid selbst hat kaum Kommentarwerke verfaßt, so wenig wie Notker der Deutsche. Sein ganzes Schaffen erfüllt sich dich-terisch in der episch breiten Schilderung und Ausmalung des Le-bens Jesu mit ständigen Bezügen auf den Menschen seiner Zeit, d. h. mit zusätzlicher spiritualistischer Deutung im Sinne des mehrfachen Schriftsinnes. So treten neben die erzählenden Teile, die an sich schon mannigfaltig ausgeformt sind, die Moraliter-, Spiritaliter- und Mystice-Abschnitte, oft zu innigen Gebeten oder Hymnen verwoben. Eine neue Ästhetik .geistiger Süße' - um ei-nen Ausdruck Friedrich Ohlys zu gebrauchen - leuchtet hier auf und findet ein in einen weitgehend persönlich neu gestalteten Wortschatz christlich-geistlicher Erfahrungswelt mit den Mitteln der Volkssprache.

Otfrids Werk stellt die erste große Endreimdichtung in deut-scher Sprache dar, schon als solche eine erstaunliche Leistung. Freilich ist dieser Endreim, der durch das Vorbild christlich-mit-tellateinischer Dichtung bestimmt ist, noch keineswegs einheit-lich oder immer voll ausgestaltet. Vielmehr lassen sich bei Otfrid verschiedene Entwicklungsstufen mit fließenden Grenzen verfol-gen, die in ungleicher Weise die Volltonigkeit der ahd. Mittel- und Endsilben ausnutzen (die Akzente sind Hinweise für die je vierhe-bige Rhythmik pro Halbzeile): 1. Vokalisch-konsonantische Assonanz oder Endsilbenreim, oft mit Sti-

lisierung von Kürze- oder Längeübereinstimmung I, 2, 5 Thaz ih lób thinaz si lútentaz.

d.h. ,Auf dass ich dein Lob erschallen lasse' (wörtlich: ,sei erschallender', aber lútentaz Ν. η. Sg. auf lob n. bezogen, statt latenter m. Sg. zu ih)

Lud. 41 Manag léid er thúlta, unz thaz tho gót gihangta .Manches Leid erduldete er, solange als dies Gott zuließ'

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 44: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.5. Christliche Endreimdichtung 149

2. Erweiterter Endsilbenreim III, 9, 3 Sie quamun ál zisamane, thiu zéichan thar zi séhanne

,Sie kamen alle zusammen, diese Wunderzeichen dort zu schauen'

3. Voller Endreim mit Endsilbenreim gemischt III, 14, 112 óugta in io in giwíssi mihil súaznissi

,er erwies ihnen jedenfalls gewiß große Milde' V, 2, 12 ther diufal sélbo thuruh nót, so ér tharana scowot

,der Teufel selber notgedrungen (d. h. muß entfliehen), wenn er darauf (d. h. auf das Kreuzzeichen) schaut'

4. Unreiner voller Endreim I, 2, 37 Thaz sie thin io gihógetin in éwon iamer lóbotin

.Damit sie deiner (d. h. des Herrn) stets gedächten und (dich) auf ewig immer lobten'

Sal. 2 ther biscof ist nu édiles Kóstinzero sédales .welcher nun Bischof des vornehmen Konstanzer (Bi-schofssitzes ist'

I, 2, 14 ubar súnnun lioht joh állan thesan wóroltthiot ,über der Sonne Licht sowie dieses ganze Erdenvolk'

5. Reiner voller Endreim V, 3, 13 Thaz scirme mih in brústin fon ärmlichen lustin

.Dieses (Zeichen das Kreuzes) beschirme mich in meinen Brüsten (d. h. in meinem Innern) vor bösen Gelüsten (d. h. gottlosen Anwandlungen zum Bösen)'

Hartm. 167 Joh állen io zi gámane themo héilegen gisámane .und allen stets zur Freude, dieser frommen Gemeinschaft'

Trotz der Endsilben- und sogar zunehmenden vollen Endreimbin-dung finden sich bei Otfrid noch sehr viele Verse mit zusätzlichem Stabreim in beiden Teilen der Langzeile, z. B.

Sal. 1 Si sálida gimúati Sálomones guati .Wohlgefällige Glückseligkeit sei (d. h. werde zuteil) der Vor-trefflichkeit Salomons (d. h. dem vortrefflichen Bischof Salo-mon)' (s-Stäbe, verbunden mit Endreim)

Hartm. 13 Uuéiz ih thaz giwísso thaz ih thes wírthig was ouh só ,Weiß ich (doch) dies gewiß, daß ich dessen auch so würdig war' (w-Stäbe verbunden mit unreinem Endsilbenreim -ol-ö)

V, 4, 1 Thuruh thes krúces kréfti joh selben Kristes mahti .Durch des Kreuzes Kräfte und desselben Christus' Mächte (d.h. durch den mächtigen Christus selbst)' (¿-Stäbe, verbun-den mit Endsilbenreim)

V, 4, 19 Thes gánges sie iltun gáhun joh thaz gráb gisáhun ,Des Weges eilten sie hastig und erblickten (dann) das Grab' (g-Stäbe, verbunden mit Endreim)

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 45: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

150 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Dazu kommen Fälle, wo sich der Stab auf einzelne Kurzzeilen be-schränkt, wie im vielzitierten Beispiel I, 5, 5 Missus est Gabrihel angelus:

Floug er súnnun pad stérrono stráza, wega wólkono zi theru ítis frano. ,Flog er der Sonne Pfad, der Sterne Straße, die Wege der Wol-ken, zu der göttlichen Frau (Maria).' In der ersten Langzeile fehlt dabei ausnahmsweise der Endreim.

Dergestalt verweben sich alte Stilmittel der germanischen Stab-reim- und Variationstechnik mit den neuen Formen des rhyth-misch strenger geregelten Endreimverses, der aus der Langzeile erwächst.

3.5.2. Christus und die Samariterin

Neutestamentliche Bibeldichtung aus ergreifender Episode her-aus, durchaus jenseits alles Hymnischen, aber in inniger Ausge-staltung auf erzählerischem Hintergrund begriffen, liegt neben dem einen großen Werk Otfrids von Weißenburg ahd. nur noch im kleinen, einunddreißig in sich endreimende Langzeilen umfassen-den alemannisch-südrheinfränkischen Gedicht Christus und die Samariterin aus der Mitte des 10. Jhs. vor. Nach dem kurzen Be-zug zum Bibeltext Joh. 4,4 ff. (u. a. Iesus ergo fatigatus ex itinere) Lesen uuir, thaz fuori / ther heilant fartmuodi (d. h. , Wir lesen [nämlich in der Bibel], daß der Heiland [über Land] gezogen sei, ermüdet von der Reise' usw.) werden Begegnung und Dialog zwi-schen Christus und der Samariterin in packender Knappheit mehr profiliert als vergleichsweise bei Otfrid II, 14 ausführlich geschil-dert. Das Stück ist, obwohl knapp hundert Jahre später als Otfrid, vom Weißenburger Dichter offenbar unbeeinflußt und durchaus selbständig in Gestaltung und spiritueller Symbolik. Die Reim-technik steht im Übergang vom Endsilben- zum voll ausgebilde-ten Endreim. Die Sprache zeigt einen südrheinfränkisch-aleman-nischen Mischschreibdialekt, wobei noch strenger Langzeilenstil vorliegt.

3.5.3. Christliche Hymnen- und Legendendichtung

Zunächst erwächst christliche Hymnendichtung in der Übertra-gung als textnahe Interlinearversion, mag sie auch Züge dichteri-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 46: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.5. Christliche Endreimdichtung 151

scher Gestaltung zeigen (vgl. oben Ziff. 3.4.2.). Von da aus ist der Weg zu freier Gestaltung als Übersetzung oder autochthone Dich-tung nicht mehr weit. Auf diesem Hintergrund sind die folgenden ahd. Denkmäler zu sehen. Versuchen wir zunächst eine Übersicht über die Gattung:

Interlineare oder interlinearartige Freie dichterische Gestaltung Übersetzung

Murbacher Hymnen, Anfang 9. Jh. Ratperts Lobgesang auf den hl. (Reichenau und Murbach) Gallus, 9. Jh. (St. Gallen), verloren

Carmen ad Deum, 9. Jh. 3. Viertel Ludwigslied, 9. Jh. 4. Viertel (Tegernsee) (rheinfränkisch-westfränkisch)

hymnische Psalmendichtung Georgslied, vor 900 (vgl. Ziff. 2.7.5) (Reichenau - Weißenburg - Prüm)

Psalm 138, 10. Jh. (bairisch) Petruslied, Bittgesang, Anfang 10. Jh. (Freising)

lateinische Umdichtung des Gallus-liedes von Ratpert durch Ekke-hart IV. von St. Gallen, 11. Jh.

Mit dieser Aufstellung ist auch die Ausgangslage für eine Be-trachtung der unter sich recht verschiedenen Gedichte gegeben. Der als mittellateinischer Hymnendichter, Geschichtsschreiber und Klosterlehrer bekannte St. Galler Mönch Ratpert, von unbe-kannter Herkunft, dessen Lebenszeit etwa in die Jahre 840 bis 900 fallt, hat in der zweiten Hälfte des 9. Jh. ein althochdeutsches Preislied auf den als irisch angesehenen Glaubensboten und Be-gründer St. Gallens gedichtet. Die Kenntnis über dieses verlorene Gedicht verdanken wir einer Umdichtung ins Lateinische durch Ekkehart IV. aus der Zeit um 1030. Die lateinische Nachdichtung liegt in drei Fassungen von der Hand Ekkeharts IV. in St. Galler Handschriften vor. In der Prosaeinleitung äußert sich Ekkehart IV. über das Gedicht wie folgt (Fassung A):

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 47: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

152 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Ratpertus monachus, Notkeri, quem in sequentiis miramur, condiscipulus, fecit carmen barbaricum populo in laude sancti Galli canendum. Quod nos multo impares homini, ut tarn dulcís melodia latine luderet, quam proxime potuimus, in latinum trans-tulimus.

Der Mönch Ratpert, Mitschüler des Notker [Balbulus], den wir wegen seiner Sequenzen bewundern, verfaßte ein volkssprachliches Lied, welches dem Volk zum Preise des heiligen Gallus vorzusingen sei. Dieses haben wir, Ratpert in keiner Weise ebenbürtig, so genau wir konnten, ins Lateinische übertragen, damit eine so süße Melodie lateinisch erklänge.

Daraus darf man schließen, daß Ratperts Loblied in der mündli-chen, melodiegebundenen Überlieferung weitergetragen wurde und daß Ekkehart IV. in möglichster Anlehnung an den althoch-deutschen Text die Melodie mit lateinischen Worten zu erfüllen suchte. Das Gedicht beginnt in Strophe 1 mit einer Einleitung im Hymnenstil und schildert dann in den Strophen 2-16 Leben und Wirken des heiligen Gallus, wobei die Begründung der Einsiede-lei an der Stelle des späteren Klosters St. Gallen und die Wunder-taten des Glaubensboten im Zentrum stehen. Eine hymnische Schlußstrophe rundet das Gedicht ab. Die lateinische Fassung er-laubt keine näheren Rückschlüsse auf den althochdeutschen Text, wenn sich auch - wie wir glauben - einige Stellen zurücktranspo-nieren lassen. Aber wir dürfen das Erhaltene als indirektes Zeug-nis eines vermutlich gereimten, strophisch gegliederten und rhyth-misch ausgewogenen Gedichtes der Volkssprache annehmen, dem auch gattungsgeschichtliche Bedeutung zukommt.

Christlicher Fürstenpreis mit legendenhaften Zügen liegt im Ludwigslied auf den Sieg des westfränkischen Königs Ludwig III. über die Normannen im Jahre 881 bei Saucourt vor, offenbar aus niederlothringischen Zusammenhängen heraus gegen Ende des 9. Jhs. in rheinfränkischer Sprache verfaßt und noch recht alter-tümlich in seinem dichterischen Wortschatz. Wenn es auch kei-neswegs mehr als südgermanischer Ausläufer eines altgermani-schen Preisliedes verstanden werden darf, so zeigen sich doch Züge eines Nachlebens des germanischen Dichterwortschatzes, die aber in ein Legendenhaftes christlicher Prägung zwischen Sündhaftigkeit, Demut, Buße, Gottes Hilfe und Siegesfreude auf-gehoben sind. Handlung und geschichtlicher Hintergrund werden

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 48: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.5. Christliche Endreimdichtung 153

nur ganz knapp angedeutet im Hinblick auf eine christliche, geist-liche Typologie des Heilsgeschehens in weltlicher Erfüllung von Gott her. Man könnte das erstmals von Johann Gottfried Herder 1778/79 ins Neuhochdeutsche übertragene Gedicht ein doppelsei-tiges Ereignislied aus christlichem Grund nennen: insofern näm-lich Dialog zwischen Christus und König Ludwig sowie die per-sönliche Ansprache des Königs an seine Gefolgsleute als trei-bende Redeteile in die epische Schilderung eingewoben sind. Am Schluß steht der hymnische Lob und Dank, der Gott und dem sieg-reichen König gilt.

Erst recht zeigt das Georgslied - und mit voller Absicht - le-gendenhafte Züge, stellt es doch das einzige ahd. volkssprachlich erhaltene Heiligenlied in einer Mischung von Legende und früh-mittelalterlichem Umweltbezug von Gemarkung, Dingversamm-lung und farbig geschildertem Gerichtsvollzug von drastischer Realistik dar. Die Überlieferung ist schwierig und nicht vollstän-dig: das Lied findet sich in alemannischer (vielleicht mit Rei-chenau in Zusammenhang stehender) Eintragung des späten 10. oder frühen 11. Jhs. am Schluß der Heidelberger Otfrid-Hand-schrift (P), die ihrerseits im letzten Drittel des 9. Jhs. in Weißen-burg geschrieben wurde. Ein volkstümlicher Kehrreim, der volks-liedhafte Züge zeigt, gliedert das Stück in Strophen. Die Entste-hung des Georgsliedes dürfte um 900 liegen. Ein Einfluß Otfrids von Weißenburg in der Verstechnik ist kaum abzuweisen. Entste-hungsort könnte Prüm sein.

Als kleines liturgisches Lied ist das Petruslied, eigentlich ein Bittgesang, zu sehen, das aus dem Anfang des 10. Jhs. in einer ur-sprünglichen Freisinger Handschrift überliefert ist, jedoch älter sein kann. Um den dreimal wiederholten Messetext Kyrie eleyson, Christe eleyson gruppieren sich dreimal je zwei in sich endrei-mende Langzeilen, die in der Bitte an den heiligen Kirchengrün-der (Unsar trohtin hat far salt sánete Pe tre giuualt, d. h. , unser Herr [Christus] hat übergeben dem heiligen Petrus die Herr-schaft') kulminieren:

Pittemes den gotes trut alla samant upar lut, daz er uns firtanen giuuerdo ginaden. (so schon bei Otfrid I, 7, 28: tház er uns firdánen giwérdo ginádon)

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 49: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

154 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

das heißt: ,Bitten wir den Vertrauten Gottes alle zusammen laut ver-nehmlich, daß er uns Verworfenen (d. h. Sündern) geruhe gnädig zu sein.'

Dergestalt kann man zu Recht vom ältesten deutschen Kirchen-lied - neben dem in der volkssprachlichen Fassung verlorenen Galluslied - sprechen.

Den Sonderfall einer hymnischen Psalmendichtung in Reim-versen stellt die ahd. dichterische Übertragung von Psalm 138 aus dem Anfang des 10. Jhs. in baltischer Sprache aus Freisinger Zu-sammenhängen dar. Das Gebet Davids wird zu einem Gebet an den Herrn Christus aus innig erfüllter Hinneigung des Menschen zum allgegenwärtigen Gott, wobei der Psalmentext der Vulgata in freier Auswahl gestaltet wird. Neben dem beherrschenden End- und End-silbenreim begegnen noch viele deutliche Stabreime, z.B. Vers 13:

Far ih uf ze himile, dar pistu mit herie. Das heißt:

,Fahr ich auf zum Himmel, dort bist du mit dem Heer (der Engel).'

3.5.4. Reimgebete Die ahd. Gebete sind zunächst im Zusammenhang mit der kate-chetischen Übersetzungsliteratur zu sehen. Sie zeigen sodann ein Ineinandergreifen von Vaterunser-Versifizierungen und christli-cher Hymnendichtung, bis in die Boethius-Übersetzung Notkers des Deutschen hinein, wo sich gebetsartige Partien finden. Wir kennen aus dem Ahd. die folgenden Gebete oder Gebetsteile:

Prosa Versgebete und gebetartige Hymnen

Paternoster-Übersetzungen, Teile der Murbacher Hymnen, spätes 8.-11. Jh. frühes 9. Jh.

Wessobrunner Gebet am Schluß des Carmen ad Deum, 9. Jh. 3. Viertel Schöpfungsgedichtes, frühes 9. Jh.

Fränkisches Gebet in bairischer Gebete bei Otfrid, 9. Jh. 3. Viertel Umschrift, 9. Jh. 1. Viertel (versch. Stellen u. Teile

der Evangeliendichtung)

Altbairisches Gebet, Ansätze im Ludwigslied, 9. Jh. 2. Viertel 9. Jh. 4. Viertel

Merseburger Gebetsbruchstück, Sigiharts Gebete, Mitte 9. Jh. 9. Jh. 4. Viertel

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 50: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.6. Weltliche Endreimdichtung 155

Prosa

Notker, Boethius-Übersetzung 1,24, um 1000 (Übers, des Gedichtes O conditor stelliferi orbis, ahd. Tû sképfo des himeles)

Otlohs Gebet, um 1050

Klosterneuburger Gebet, um 1050

Versgebete und gebetartige Hymnen

Ansätze im Petruslied, um 900

Augsburger Gebet, Anfang 10. Jh.

Psalm 138, Anfang 10. Jh.

In die Nähe von Gebeten rücken sodann die ahd. Beichten und Glaubensbekenntnisse, die teilweise zu eigentlichen Gebeten aus-greifen, etwa Bamberg-Wessobrunner Glauben und Beichte am Schluß Nu ruof ih, uile gnadige got, mit állemo hérzan zi dir usw. Auch viele Psalmen haben natürlich Gebetscharakter, ferner die christlichen Segensformeln in den Zauber- und Segenssprüchen. Selbst die Prosagebete zeigen oft rhythmische Stilisierungen oder ein Nachwirken des Stabreims. Selbständige Reimgebete sind so eigentlich nur die kurzen Stücke von Sigiharts Gebeten (je zwei endreimende Langzeilen) am Schluß der Freisinger Otfrid-Hand-schrift, von einem Mönch Sigihart in Freising verfaßt, und des rheinfränkischen Augsburger Gebetes in vier endreimenden Langzeilen, nach einer lateinischen Prosavorlage. Dagegen finden sich, neben Gebetsansätzen oder Teilen, wie wir sie oben zusam-mengestellt haben, endreimende Gebetseinschübe und vollstän-dige Gebete in Otfrids Evangelienharmonie, vor allem im ab-schließenden fünften Buch (V, 3; V, 23; V, 24). Sie dürfen, zusam-men mit der Vaterunser-Fassung Otfrids, als die eigentlichen Hö-hepunkte ahd. Reimgebete betrachtet werden.

3.6. Weltliche Endreimdichtung

War einmal eine Tradition christlicher Endreimdichtung auch nur lose oder punktuell geschaffen, konnte sie allmählich auch auf die Gestaltung weltlicher Literatur übergreifen. Doch geschieht dies in ahd. Zeit vorerst nur ganz am Rande. Ansätze dazu finden sich in den vorchristlichen Segenssprüchen, schon deutlich ausgestal-tet in dem balladenartigen, rheinfränkischen Gedicht Ad equum errçhet (vgl. auch oben Ziff. 3.3.2.) im frühen 11. Jh., in bogenhaf-ter Dialoghaltung mit drei Strophen Dialog zwischen dominierend fragendem wie segnendem Herrn und bittend-erklärendem Mann

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 51: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

156 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

mit Roß aus dem Volk sowie einer erzählenden Eingangsstrophe voraus. Ein Mischstück aus weltlichem, volkshaftem Grund mit christlicher Überwölbung, könnte man zusammenfassend sagen.

Kurz vor dem Jahr 1000 dürfte sodann das historisch-politische Zeitgedicht De Heinrico in ahd.-lat. Mischsprache, die von Halb-vers zu Halbvers regelmäßig wechselt, entstanden sein. Das schwer einzuordnende Denkmal in thüringischer bzw. lateinischer Sprache schildert vermutlich die Begegnung Ottos III. mit Hein-rich dem Zänker um 996 und zeigt Züge des mittellateinischen Preislieds der Zeit.

Sonst sind es nur Kleinigkeiten, die in das Licht der Überliefe-rung treten, keineswegs unbedeutend in ihrem volkstümlich-ur-sprünglichen Zeugniswert, und außerdem als frühe Beispiele einer zunehmenden Reimdichtung wichtig genug. Aus dem 9. Jh. sind es die in vier reimenden Kurzzeilen angeordnete St. Galler Spott-strophe mit erstaunlich gut ausgebildeter Reimtechnik von Liu-bene, der seine Tochter festlich dem Starzfidere verlobte, aber nach geraumer Zeit - vielleicht wegen Unfruchtbarkeit - wieder zurücknehmen muß; sodann ein weiterer St. Galler Spottvers und der St. Galler Schreibervers Chumo kiscreip filo chumor kipeit ,mit Mühe habe ich fertig geschrieben, mit noch viel mehr Mühe habe ich dies erwartet', der Stoßseufzer eines zwar schreibge-wandten, aber auch schreibgeplagten Mönches aus dem klösterli-chen Scriptorium; schließlich die Kölner Versinschrift aus der Mitte des 9. Jhs., als Bibliotheks- und Bildungspreis schon jenseits der Volksdichtung stehend. Aus dem 10. Jh. ist es der aus einer Brüsseler Handschrift nur unvollständig überlieferte Liebesvers über Hirsch und Hinde. Kleine Zeugnisse einer sozusagen in Vor-bereitung befindlichen weltlichen Versdichtung sind es allzumal, Vorstufen der späteren mittelhochdeutschen Volksdichtung.

3.7. Rückblick

Es gehört zur Typologie der althochdeutschen Literatur, daß die Erscheinungsformen dichterischer Sprache höchst uneinheitlich sind; daß diese stufenweise einen Übergang von germanischer Formtradition zu altdeutscher Neuentfaltung zeigen; daß die Sinn-gehalte sich wandeln und christlich vertiefen; daß dichterische Sprache schrittweise auf dem Weg der Übersetzung, durch den

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 52: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

3.7. Rückblick 157

Übersetzungsvorgang neu gewonnen wird. Die entscheidenden Neuansätze liegen höhepunktartig bei Otfrid von Weißenburg und bei Notker von St. Gallen: Bibeldichtung im neuen Reimversmaß bei Otfrid, dichterisch gestaltete, rhetorisch profilierte Wissen-schaftsprosa und Psalmenübersetzung bei Notker. Nach dem Zer-fall der alten germanischen Formen und den erst stufenhaft vortas-tenden Versuchen der Frühzeit bedeuten Otfrid und Notker auf dem Hintergrund einer neuen Bewältigung sprachlicher Maße in Vers und kolongegliederter Prosa ein Wiedergewinnen dichteri-scher Formung unter neuen Gegebenheiten. Ähnliches gilt für die kleineren althochdeutschen Reimversdichtungen und für Williram von Ebersberg.

Die althochdeutschen Sprachdenkmäler erfordern im Hinblick auf die Erscheinungsformen dichterischer Sprache eine eigene, differenzierte Betrachtungsweise. Es dürfen noch nicht die Maß-stäbe der mittelhochdeutschen Literaturkritik daran angelegt wer-den. Die Überlieferung dichterischer Sprache geht ihren langsa-men, eigenen und oft verschlungenen Weg, dem auch Inschriften, Glossen, Interlinearversionen und überhaupt die Übersetzungsli-teratur - seien sie sprachlich zunächst auch noch so schwerfäl-lig - als frühe Zeugen teilweise zuzurechnen sind. Denn Dichteri-sches findet stellenweise auch da schon ein, wenn es auch erst langsam seine eigenen, neuen Formen im Rahmen der werdenden frühdeutschen Literatur erreicht.

Literaturhinweise zu Kapitel 3

Die reiche Fachliteratur zum ahd. Schrifttum kann hier nur auszugsweise, vor allem mit Hinweisen auf größere Werke, die ihrerseits weiteres ver-mitteln, aufgeführt werden.

(1) Literaturgeschichten, Lexika, Allgemeines:

Johann Kelle, Geschichte der deutschen Literatur von den ältesten Zeiten bis zum 13. Jahrhundert, Berlin 1892/96 - Rudolf Koegel, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, I. Bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts, 2 Teile, Straßburg 1894/1897. - Gustav Ehrismann, Ge-schichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, I. Die Althochdeutsche Literatur, München 21932, Nachdruck 1954. - Georg Baesecke, Vor- und Frühgeschichte des Deutschen Schrifttums, I, Halle 1940; II [Hrsg. von Ingeborg Schröbler], Halle 1950/53. - Julius Schwie-tering, Die deutsche Literatur des Mittelalters, Potsdam o. J. (1941), Neu-

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 53: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

158 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

druck Darmstadt 1957. - Geschichte der deutschen Literatur von den An-fangen bis 1160, 1.-2. Halbband, von Ewald Erb (= Geschichte der deut-schen Literatur von den Anfangen bis zur Gegenwart, hrsg. von K. Gysi, K. Böttcher, G. Albrecht, P. G. Krohn, 1/1-2), Berlin 1964/65. - Werner Schröder, Grenzen und Möglichkeiten einer althochdeutschen Literatur-geschichte, in Berichte Uber die Verhandlungen der Sächs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Phil.-hist. Kl., Bd. 105, Heft 2, Berlin 1959. - Dieter Kart-schoke, Altdeutsche Bibeldichtung, Stuttgart 1975 (Sammlung Metzler 135). - J. Knight Bostock, A Handbook on Old High German Literature, Second Edition revised by K. C. King and D. R. McLintock, Oxford 1976. - J. Sidney Groseclose/Brian O. Murdoch, Die althochdeutschen poetischen Denkmäler, Stuttgart 1976 (Sammlung Metzler 140). - Horst Dieter Schlosser, Die literarischen Anfänge der deutschen Sprache, Ein Arbeitsbuch zur althochdeutschen und altniederdeutschen Literatur, Ber-lin 1977. - Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, 2. völlig neu bearbeitete Aufl., hrsg. von Kurt Ruh u. a. Bd. 1-11, Ber-lin-New York 1978-2003. - Helmut de Boor, Die deutsche Literatur von Karl dem Großen bis zum Beginn der höfischen Dichtung 770-1170, 9. Aufl. bearbeitet von Herbert Kolb, München 1979. - Max Wehrli, Ge-schichte der deutschen Literatur vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1980. - Ders., Literatur im deutschen Mittelal-ter - Eine poetologische Einführung, Stuttgart 1984. - Stefan Sondereg-ger, Die althochdeutsche Literatur. In: Neues Handbuch der Literaturwis-senschaft, Bd. 6, Europäisches Friihmittelalter, hrsg. von Klaus von See, Wiesbaden 1985, S. 189-216. - Walter Haug, Literaturtheorie im deut-schen Mittelalter, Von den Anfangen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, Eine Einführung, Darmstadt 1985. - Wolfgang Haubrichs, Die Anfange: Versuche volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (ca. 700-1050/60), Tübingen 21995.

(2) Textsorten:

Nikolaus Henkel, Deutsche Übersetzungen lat. Schultexte, Ihre Verbrei-tung und Funktion im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, München 1988. - Ders., Die ahd. Interlinearversionen, Wolfram-Studien XIV, Ber-lin 1996,46-72. - Roger Gabereil, Probleme einer deutschen Textsorten-geschichte - die „Anfänge", in Kirsten Adamzik (Hrsg.), Textsorten, Re-flexionen und Analysen, Tübingen 2000, 155-174. - Ruth Schmidt-Wie-gand, Rechtssprache in ahd. Zeit, Frühmittelalterliche Studien 30, 1996, 1—18. - Dies., Rechtssprache im Ahd. und ihre Erforschung: eine Über-sicht, in Fachsprachen, hrsg. von L. Hoffmann u. a., 2. Halbbd., Ber-lin-New York 1999, 2309-2319. - Alexander Schwarz, Die Textsorten des Althochdeutschen, in Sprachgeschichte, Ein Handbuch zur Gesch. d. dt. Spr. und ihrer Erforschung, 2. Teilbd., Berlin-New York 22000, 1222-1231. - Stefan Sonderegger, Reflexe gesprochener Sprache im Ahd., ebda. 2000,1231-1240.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 54: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Literaturhinweise zu Kapitel 3 159

(3) Textsammlungen:

Karl Miillenhoff und Wilhelm Scherer, Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem 8.-12. Jahrhundert, 1. Ausg. Berlin 1863; 2. Ausg. Berlin 1873; 3. Ausg. von E. Steinmeyer, 2 Bde. Berlin 1892, Nachdruck Ber-lin-Zürich 1964. - Elias von Steinmeyer (Hrsg.), Die kleineren althoch-deutschen Sprachdenkmäler, Berlin-Zürich 21963 [unveränderter Nach-druck der 1. Aufl. 1916], - Wilhelm Braune, Karl Helm, Ernst A. Ebbing-haus, Althochdeutsches Lesebuch, Tübingen 161979. - Horst Dieter Schlosser, Althochdeutsche Literatur, Ausgewählte Texte mit Übertragun-gen und Anmerkungen, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1976. - Ders, Ahd. Lite-ratur, Eine Textauswahl mit Übertragungen, Berlin 1998. - Heinz Mettke (Hrsg.), Älteste deutsche Dichtung und Prosa, Ausgewählte Texte, Litera-turgeschichtliche Einleitung, althochdeutsche und altsächsische Texte, neuhochdeutsche Fassungen, Leipzig 1976. - Gerhard Köbler, Sammlung kleinerer ahd. Sprachdenkmäler, Gießen 1986 (Nachdrucke mit Lit.).

(4) Zur Literatur- und Überlieferungsgeschichte einzelner Landschaften und Orte (nur neuere Lit.):

- Köln und Rheinlande: Rolf Bergmann, Zur Stellung der Rheinlande in der ahd. Literatur auf Grund mittelfränk. Glossen, Rhein. Vierteljahrs-blätter 31, 1966/67, 307-321. - Wolfgang Haubrichs, Die Kultur der Abtei Prüm zur Karolingerzeit, Bonn 1979. - Norbert Kruse, Die Köl-ner volkssprachliche Überlieferung des 9. Jh., Bonn 1976. - Walther Mitzka, Die mittelfränk. Denkmäler der ahd. Literatur, Zs. f. Mundart-forschung 30, 1963, 1-6. - Glaube und Wissen im Mittelalter, Die Kölner Dombibliothek, Katalogbuch zur Ausstellung im Diözesan-museum Köln 1998, München 1998. - Michele Camillo Ferrari, Jean Schroeder, Henri Trauffer (Hrsg.), Die Abtei Echternach 698-1998, Luxembourg 1999.

- Fulda: Dieter Geuenich, Die Personennamen der Klostergemeinschaft von Fulda im frühen Mittelalter, München 1976 (Kap. V, S. 213-274 betr. Sprache und Lit.). - Raymund Kottje, Harald Zimmermann (Hrsg.), Hrabanus Maurus, Lehrer, Abt und Bischof, Mainz-Wiesba-den 1982. - Ingeborg Schröbler, Fulda und die ahd. Literatur, Lit. wiss.Jb. d. Görres-Ges. NF I, 1960, 1-26. - Gangolf Schrimpf (Hrsg.), Kloster Fulda in der Welt der Karolinger und Ottonen, Frank-furt a. M. 1996.

- Lorsch: Bernhard Bischoff, Die Abtei Lorsch im Spiegel ihrer Hand-schriften, Lorsch 21989. - Heinrich Büttner, Johannes Duft, Lorsch und St. Gallen in der Frühzeit, Konstanz-Stuttgart 1965.

- Reichenau: Georg Baesecke, Das ahd. Schrifttum von Reichenau (1927), in Kleinere Schriften zur ahd. Spr. u. Lit., Bern-München 1966, 126-137. - Helmut Maurer (Hrsg.), Die Abtei Reichenau, Sig-maringen 1974 (darin Stefan Sonderegger, Ahd. auf der Reichenau, S. 69-82).

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 55: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

160 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

- St. Gallen: Stefan Sonderegger, Ahd. in St. Gallen, St. Gallen-Sigma-ringen 1970. - Ders., Schatzkammer deutscher Sprachdenkmäler, Die Stiftsbibliothek St. Gallen als Quelle germanistischer Handschriften-erschließung vom Humanismus bis zur Gegenwart, St. Gallen-Sig-maringen 1982. - Peter Ochsenbein (Hrsg.), Das Kloster St. Gallen, Die kulturelle Blüte vom 8. bis zum 12. Jh., Darmstadt bzw. Stuttgart 1999 (darin St. Sonderegger, Ahd. in St. Gallen S. 205-222 u. Anm. 264- 271). - Gerold Hilty, Gallus und die Sprachgeschichte der Nordostschweiz, St. Gallen 2001.

- Bayern und der ahd. Südosten: Georg Baesecke, St. Emmeramer Stu-dien (1922), in Kleinere Sehr. z. ahd. Spr. u. Lit., Bern-München 1966, 38-85. - Bernhard Bischoff, Die südostdt. Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit 3I—II, Wiesbaden 1974/1980 (zu I, 1. Aufl. 1940 Georg Baesecke [1941] in Kleinere Sehr. z. ahd. Spr. u. Lit., Bern-München 1966, 285-291). - Ders., Literarisches und künstlerisches Leben in St. Emmeram (Regensburg) während des frü-hen und hohen Mittelalters, in Mittelalterl. Studien II, Stuttgart 1967, 77-115. - Christine Elisabeth Eder, Die Schule des Klosters Tegern-see im frühen Mittelalter im Spiegel der Tegernseer Handschriften, Studien u. Mitteilungen z. Gesch. d. Benediktiner-Ordens 83, Mün-chen 1972, 6-155. - Ingo Reiffenstein, Die ahd. Lit. [in Bayern], in Hb. d. Bayerischen Geschichte Bd. I, München21981,607-623. - An-selm Schwägerl, Das Regensburger Ahd., Diss. Erlangen 1952.

(5) Neuere Schriften zu einzelnen Denkmälern oder Verfassern (Aus-wahl):

Abrogans: Jochen Splett, Abrogans-Studien, Kommentar zum ältesten deutschen Wörterbuch, Wiesbaden 1976. - Ders., Zur Frage der Zweck-bestimmung des Abrogans, in Collectanea Philologica, Festschrift Helmut Gipper, Bd. II, Baden-Baden 1985, 725-735.

Altdeutsche Gespräche: Wolfgang Haubrichs, Max Pfister, „In Francia fui", Studien zu den roman.-germ. Interferenzen und zur Grundsprache der ahd. Pariser (Altdt.) Gespräche, Mainz-Stuttgart 1989. - Roberto Gus-mani, Altdeutsche Gespräche: Testo e Glossario, in Incontri Linguisitci 22, Pisa-Roma 1999, 129-174. - Ders., Altdeutsche Gespräche: Analisi lin-guistica, ebda. 23, 2000, 51-82.

Benediktinerregel: Achim Masser (Hrsg.), Die lat.-ahd. Benediktinerregel Stiftsbibliothek St. Gallen Cod. 916, Göttingen 1997. - Ders., Regula Be-nedicti des Cod. 915 der Stiftsbibliothek St. Gallen, Die Korrekturvorlage der lat.-ahd. Benediktinerregel, Göttingen 2000. - Ders., Kommentar zur lat.-ahd. Benediktinerregel des Cod. 916 der Stiftsbibliothek St. Gallen, Göttingen 2002.

Galluslied: Peter Osterwalder, Das althochdeutsche Galluslied Ratperts und seine lateinischen Übersetzungen durch Ekkehart IV., Einordnung und kritische Edition, Berlin-New York 1982 [drei eigenständige Fassungen

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 56: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Literaturhinweise zu Kapitel 3 161

als Umdichtungen des verlorenen althochdeutschen Liedes; Bibliographie zum Galluslied S. 1-34],

Georgslied: Wolfgang Haubrichs, Georgslied und Georgslegende im frü-hen Mittelalter, Text und Rekonstruktion, Königstein/Taunus 1979 [Bi-bliographie zum Georgslied S. 11-54]. - Ders., Die Kultur der Abtei Prüm zur Karolingerzeit, Studien zur Heimat des althochdeutschen Georgslie-des, Bonn 1979. - Rudolf Schützeichel, Cod. Pal. lat. 52, Studien zur Hei-delberger Otfridhandschrift, zum Kicila-Vers und zum Georgslied, Göttin-gen 1982, S. 59-95.

Hildebrandslied: Ute Schwab, arbeo laosa, Philologische Studien zum Hil-debrandlied, Bern 1972. - Siegfried Gutenbrunner, Von Hildebrand und Hadubrand, Heidelberg 1976. - Rosemarie Lühr, Studien zur Sprache des Hildebrandliedes, Teil I: Herkunft und Sprache, Teil II: Kommentar, Frankfurt a. M./Bem 1982 [Literaturverzeichnis I, XLIII-CXXXII]. -Hans Heinrich Meier, Die Schlacht im „Hildebrandslied", Zs. f. dt. Alter-tum 119,1990,127-138 [wichtige altengl. Parallelen], - E . Glaser, Hilde-brandslied, in Reallexikon d. Germ. Altertumskunde, Bd. 14, 1999, 556-561.

Hirsch und Hinde: Ute Schwab, Das ahd. Lied,Hirsch und Hinde' in seiner lat. Umgebung, in N. Henkel und N. F. Palmer, Latein und Volkssprache im dt. Mittelalter 1100-1500, Tübingen 1992,74-122. Vgl. auch den Artikel Hirsch in Reallex. d. Germ. Altertumskunde Bd. 14, 1999, bes. S. 600.

Isidor: Klaus Matzel, Untersuchungen zur Verfasserschaft, Sprache und Herkunft der ahd. Übersetzungen der Isidor-Sippe, Bonn 1970. - Kurt Ost-berg, The old high German „Isidor" in its relationship to the extant manu-scripts (eighth to twelfth century) of Isidoras' „De fide catholica", Göp-pingen 1977. - Elke Krotz, Auf den Spuren des ahd. Isidor, Studien zur Pariser Hs., den Mondseer Fragmenten und zum Codex Junius, Mit einer Neuedition des Glossars Je, Heidelberg 2002.

Lex Salica: Giulio Simone, La traduzione frammentaria in antico alto te-desco della Lex Salica e la sua base latina, Bologna 1991 (Edition, Hs. Pho-tographien u. ältere Editionen, Bibliographie). - R. Schmidt-Wiegand, Lex Salica, in Reallex. d. Germ. Altertumskunde Bd. 18, 2001, 326-332.

Ludwigslied: Erika Urmoneit, Der Wortschatz des Ludwigsliedes im Um-kreis der althochdeutschen Literatur, München 1973. - E. E. Metzner, Lud-wigslied, in Reallexikon der Germ. Altertumskunde Bd. 19, 2001, 12-17.

Merseburger Zaubersprüche: M. Lundgreen-H. Beck, Merseburger Zau-bersprüche, in Reallexikon der Germ. Altertumskunde Bd. 19, 2001, 601-605.

Murbacher Hymnen: Die Murbacher Hymnen, Nach der Handschrift her-ausgegeben von Eduard Sievers. Halle 1874, Neudruck mit einer Einfüh-rung, Bibliographie sowie Nachträgen und Berichtigungen zum Text von Evelyn Scherabon-Firchow, New York-London 1972.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 57: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

162 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Muspilli: Cola Minis, Handschrift, Form und Sprache des Muspilli, Berlin 1966. - Heinz Finger, Untersuchungen zum „Muspilli", Göppingen 1977. - Wolfgang Mohr/Walter Haug, Zweimal Muspilli, Tübingen 1977. - Franz Viktor Spechtler, Altes und neues Recht, Bemerkungen über neue Forschungen zum althochdeutschen „Muspilli", Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 15,1980,39-52. - Ch. Saiti, Muspilli, in Reallexikon der Germ. Altertumskunde Bd. 20, 2002, 433-438.

Notker von St. Gallen: Stefan Sonderegger, Notker III. von St. Gallen, in Deutschsprachige Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, Studien-auswahl besorgt von Burghart Wachinger, Berlin-New York 2001, 612-638 (Nachdruck aus Verf. Lex. 6, 1987, 1212-1236). - Evelyn Sche-rabon-Firchow, Notker der Deutsche von St. Gallen (950-1022), Ausführ-liche Bibliographie, Göttingen 2000 (vgl. dazu die Kritik von Petrus W. Tax, Beitr. zur Namenforschung 36, 2001, 202-218 und John M. Jeep, Amsterdamer Beitr. zur älteren Germanistik 55, 2001, 239-247). - Sonja Glauch, Die Martianus-Capella-Bearbeitung Notkers d. Dt., Bd. I—II, Tü-bingen 2000. - Christine Hehle, Boethius in St. Gallen, Die Bearbeitung der , Consolatio Philosophiae' durch Notker Teutonicus zwischen Tradi-tion und Innovation, Tübingen 2002. - John M. Jeep, Stabreimende Wort-paare bei Notker Labeo, Göttingen 1987.

Otfrid von Weißenburg: Wolfgang Kleiber, Otfrid von Weißenburg, Un-tersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung und Studien zum Auf-bau des Evangelienbuches, Bern-München 1971. -Ders . (Hrsg.), Otfrid von Weißenburg, Darmstadt 1978 [Sammelband mit Bibliographie im Wesentlichen seit 1973 S. 415-423]. - Ulrich Ernst, Der Liber Evangelio-rum Otfrids von Weißenburg, Literarästhetik und Verstechnik im Lichte der Tradition, Köln-Wien 1975. - Reinildis Hartmann, Allegorisches Wörterbuch zu Otfrids von Weißenburg Evangeliendichtung, München 1975. - Dieter Kartschoke, Bibeldichtung, Studien zur Geschichte der epischen Bibelparaphrase von Juvencus bis Otfrid von Weißenburg, Mün-chen 1975. - Rainer Patzlaff, Otfrid von Weißenburg und die mittelalter-liche versus-Tradition, Untersuchungen zur formgeschichtlichen Stellung der Otfridstrophe, Tübingen 1975. - Alexander Schwarz, Der Sprachbe-griff in Otfrids Evangelienbuch, Diss. Zürich, Bamberg 1975. - Gisela Vollmann-Profe, Kommentar zu Otfrids Evangelienbuch, Teil I: Widmun-gen, Buch I, 1-11, Bonn 1976. - Paul Michel/Alexander Schwarz, unz in obanentig, Aus der Werkstatt der karolingischen Exegeten Alcuin, Erkan-bert und Otfrid von Weißenburg, Bonn 1978. - Ernst Hellgardt, Die exe-getischen Quellen von Otfrids Evangelienbuch, Beiträge zu ihrer Ermitt-lung, Mit einem Kapitel über die Weißenburger Bibliothek des Mittelal-ters und der Otfridzeit, Tübingen 1981. - W. Schröder, Otfrid von Wei-ßenburg, in Verfasserlexikon Bd. 7,1989,172-193 (Lit. bis 1987). - Wolf-gang Kleiber, Zur Graphematik und Lexik in den Otfridhandschriften VP, in Theodisca, hrsg. von W. Haubrichs u. a., Berlin-New York 2000, 118-142 [im Hinblick auf eine Neuausgabe]. - W. Haubrichs, Otfrid von Weißenburg, in Reallex. der Germ. Altertumskunde Bd. 22, 2003, 381-387 [Zusammenfassung mit Bibliogr.].

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM

Page 58: Althochdeutsche Sprache und Literatur (Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik) || 3. Literaturgeschichtliche Grundlegung

Literaturhiiiweise zu Kapitel 3 163

Petruslied: Rudolf Schützeichel, Die Macht der Heiligen, Zur Interpreta-tion des Petrusliedes, in Festschrift Matthias Zender, Bonn 1972,309-320 bzw. in R. S., Textgebundenheit, Kleinere Schriften zur mittelalterl. dt. Lit., Tübingen 1981, 29-34. - Costanza Cigni, La figura di San Pietro nella produzione letteraria minore tedesca delle origini, in L. Lazzari e A. M. Valente Bacci, La figura di San Pietro nelle fonti del medioevo, Louvain-La-Neuve 2001, 154-175.

Physiologus: Rudolf Schützeichel, Reda umbe diu tier, in Studia Linguis-tica et Philologica, Festschrift Klaus Matzel, Heidelberg 1984, 153-163. - M. Dallapiazza, Der Wortschatz des ahd. „Physiologus", Ca-foscarina 1988.

Psalm 138: Willy Krogmann, Der ahd. 138. Psalm, Forschungsgeschicht-licher Überblick und Urfassung, Hamburg 1973.

St. Pauler Lukasglossen: Lothar Voetz, Die St. Pauler Lukasglossen; Un-tersuchungen, Edition, Faksimile; Studien zu den Anfängen ahd. Text-glossierung, Göttingen 1985.

Straßburger Eide: Kurt Gärtner/Günter Holtus, Die erste deutsch-franzö-siche .Parallelurkunde', Zur Überlieferung und Sprache der Straßburger Eide, in Dies., (Hrsg.), Beiträge zum Sprachkontakt und zu den Urkun-densprachen zw. Maas und Rhein, Trier 1995,97-127.

Tatian: Achim Masser (Hrsg.), Die lat.-ahd. Tatianbilingue Stiftsbiblio-thek St. Gallen Cod. 56, Göttingen 1994. - Ders., „Tatian", in Verfasserle-xikon Bd. 9, 1995, 620-628. - Ame Dittmer und Ernst Dittmer, Studien zur Wortstellung - Satzgliedstellung in der ahd. Tatianübersetzung, Göt-tingen 1998.

Trierer Capitulare: Ruth Schmidt-Wiegand, „Trierer Capitulare", in Ver-fasserlexikon Bd. 9, 1995, S. 1040-1041.

Wessobrunner Gebet: Hans-Hugo Steinhoff, ,Wessobrunner Gebet' in Verfasserlexikon Bd. 10, 1999, 961-965.

Williram von Ebersberg: Kurt Gärtner, Williram von Ebersberg, in Verfas-serlexikon Bd. 10, 1999, 1156-1170. - Rudolf Schützeichel und Birgit Meineke (Hrsg.), Die älteste Überlieferung von Willirams Kommentar des Hohen Liedes, Edition, Übersetzung, Glossar, Göttingen 2001 (Lit. S. 11-23).

Zaubersprüche i. a. (vgl. auch bei Merseburger Zaubersprüche): Brian Murdoch, Drohtin, uuerthe so! Funktionsweisen der altdt. Zaubersprüche, in Literaturwiss. Jb. d. Görres-Gesellschaft, NF Bd. 22, Berlin 1991,11-37.

Zürcher Hausbesegnung (oder St. Galler Haussegen): Claudia Maria Korsmeier, Knuspern an einem Wort, Aus einem Jahrhundert germanisti-scher Wortforschung, Nachr. Ak. Wiss. Göttingen I. Philolog.-hist.Kl., 5, Göttingen 1997.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 1/2/14 10:56 PM


Recommended