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Alterssicherung: Sicherung des Lebensstandards und ... · Reform der Alterssicherung:...

Date post: 20-Jul-2020
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ISSN 1614-3566 A 20690E Heft 04, Juli / August 2016 43. Jahrgang Herausgeber: Deutsches Zentrum für Altersfragen Alterssicherung: Sicherung des Lebens- standards und Armutsvermeidung Die materielle Absicherung im Alter im 3-Säu- len-Modell ergänzt durch die Grundsicherung ist von vielen Seiten in der Kritik und auf der politischen Agenda. Die Ausgabe behandelt klassische Ziele der Alterssicherung: ein Alterseinkommen, das den Lebensstandard nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben relativ absichert sowie – als Mindestziel – oberhalb der Grundsicherungsschwelle liegt. Gerhard Bäcker gibt einen umfassenden Überblick über die „Reform der Alterssicherung: Armutsvermeidung und Lebensstandard- sicherung“. Gundula Roßbach thematisiert die „Vermeidung von Altersarmut in der Renten- versicherung oder in der Grundsicherung?“ 04 informationsdienst altersfragen
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ISSN 1614-3566A 20690E

Heft 04, Juli / August 2016 43. Jahrgang

Herausgeber: Deutsches Zentrum für Altersfragen

Alterssicherung: Sicherung des Lebens-standards und Armutsvermeidung

Die materielle Absicherung im Alter im 3-Säu-len-Modell ergänzt durch die Grundsicherung ist von vielen Seiten in der Kritik und auf der politischen Agenda. Die Ausgabe behandelt klassische Ziele der Alterssicherung: ein Alterseinkommen, das den Lebensstandard

nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben relativ absichert sowie – als Mindestziel – oberhalb der Grundsicherungsschwelle liegt. Gerhard Bäcker gibt einen umfassenden Überblick über die „Reform der Alterssicherung: Armutsvermeidung und Lebensstandard-sicherung“. Gundula Roßbach thematisiert die „Vermeidung von Altersarmut in der Renten-versicherung oder in der Grundsicherung?“

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Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

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Inhalt

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3 Reform der Alterssicherung: Armutsver­meidung und Lebensstandardsicherung Gerhard Bäcker

17 Kurzinformationen aus der Alters­forschung

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

19 Vermeidung von Altersarmut in der Renten­versicherung oder in der Grundsicherung? Gundula Roßbach

26 Kurzinformationen aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Aus dem Deutschen Zentrum für Alters-fragen

Impressum

Herausgeber: Deutsches Zentrum für AltersfragenManfred-von-Richthofen-Straße 212101 BerlinTelefon (030) 260 74 00, Fax (030) 785 43 50

DZA im Internet: www.dza.de

Presserechtlich verantwortlich: Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer

Redaktion: Cornelia Au und Dr. Doris Sowarkaida @ dza.de

Gestaltung und Satz: Mathias Knigge (grauwert, Hamburg) Kai Dieterich (morgen, Berlin)

Druck: Fatamorgana Verlag, Berlin

Der Informationsdienst erscheint zwei-monatlich. Bestellungen sind nur im Jahres-abonnement möglich. Jahresbezugspreis 25,– EURO einschließlich Versandkosten; Kündigung mit vierteljährlicher Frist zum Ende des Kalenderjahres. Bezug durch das DZA. Der Abdruck von Artikeln, Grafiken oder Auszügen ist bei Nennung der Quelle erlaubt. Das DZA wird institutionell gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

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Kein „entweder oder“ sondern „sowohl als auch“

Das Thema „Altersarmut“ steht im Mittel-punkt der sozialpolitischen Debatte. Alle wichtigen politischen Akteure melden sich warnend zu Wort. Die Problemlage wird mit Blick auf die Zukunft vergleichbar be- schrieben: Es sei damit zu rechnen, dass eine hohe Zahl von Ruheständlern ergänzend die Grundsicherung im Alter in Anspruch nehmen müsse. Und die im Umlauf befindlichen Modelle wie (solidarische) Lebensleistungs-rente, Mindestrente oder Garantierente weisen bei allen Unterschieden eine Gemein-samkeit auf: Es soll bei der Rente eine Ab sicherung nach unten eingezogen werden. Damit steht ein zentrales Thema für den kommenden Bundestagswahlkampf bereits fest.

Andere rentenpolitische Diskussionspunkte finden demgegenüber kaum noch Beachtung. Insbesondere die Frage nach der Be deutung des Ziels der Lebensstandardsicherung ist durch die Dominanz des Armutsdiskurses in den Hintergrund gedrängt worden. Alters-sicherung ist jedoch mehr als Armutsvermei-dung. Durch die Zuspitzung der Reform-debatte auf das Thema „Altersarmut“ ist der Eindruck entstanden, dass es bei der Aus-gestaltung der öffentlichen Alterssicherung ausschließlich darauf ankommt, dass die Rente die Grundsicherungsschwelle über-steigt − selbst wenn dies nur wenige Euro sind. Weitgehend unstrittig war aber bislang, dass die Aufgabe der sozialen Absicherung im Alter umfassender ist und dass die Armutsvermeidung lediglich ein Minimalziel darstellt. Die Rente soll ein Ersatz für das Erwerbseinkommen sein: Nach Aufgabe der Berufstätigkeit soll der im Laufe des Erwerbslebens erarbeitete und erreichte Lebensstandard weitgehend beibehalten werden können, um einen tiefen Einkom-

mensabsturz nach dem Altersübergang zu verhindern. Es geht um Einkommenskontinu-ität im Lebensverlauf und um die Möglichkeit einer verlässlichen Lebensplanung auch für die sog. Mittelschicht der Gesellschaft, die zwar nicht vor der Gefahr steht, im Alter unmittelbar in Armut und Grundsicherungs-bedürftigkeit zu geraten, die aber befürchtet bzw. befürchten muss, infolge unzureichen-der Leistungen der Alterssicherung den gewohnten Lebensstandard und Lebensstil radikal einschränken zu müssen.

Nachfolgend soll untersucht werden, in wel-chem Verhältnis Armutsvermeidung und Lebensstandardsicherung zueinander ste-hen: Was ist Altersarmut, was Sicherung des Lebensstandards? Welche Folgen haben, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, rentenpoli-tische Reformkonzepte, die sich allein auf die Armutsbekämpfung begrenzen und das Ziel der Lebensstandardsicherung nicht mehr der Gesetzlichen Rentenversicherung, sondern der zweiten und dritten Säule der Alterssi-cherung, also der betrieblichen und privaten Altersvorsorge, zuweisen?

Was ist Altersarmut?

Der Begriff Altersarmut wird in der öffent-lichen Debatte über die Zukunft der Alters-sicherung inflationär verwendet. Jegliche Einkommensverluste beim Renteneintritt und benachteiligte Lebenslagen im Alter scheinen bereits Ausdruck von Armut zu sein. Ein solch undifferenzierter Armuts-diskurs läuft aber Gefahr, den Blick auf jene Gruppen zu versperren, die unterhalb des Existenzminimums leben müssen. Denn der Zustand von Armut ist nach wissenschaft -licher Konvention mit der Unterschreitung des sozial-kulturellen Existenzminimums ver-bunden. Dieses Minimum ist eine relative Größe, die sich auf das Wohlstandsniveau

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Reform der Alterssicherung: Armutsvermeidung und Lebensstandardsicherung

Gerhard Bäcker

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einer Gesellschaft bezieht. Zu berücksichti-gen sind dabei sämtliche Einkommenszu-flüsse auf der Ebene der Einkommens- und Bedarfsgemeinschaft des Haushalts. Um zu überprüfen, ob niedrige Sozialversicherungs-renten tatsächlich Altersarmut signalisieren, müssen demnach die in einem Haushalt womöglich anfallenden weiteren Einkom-mensarten (wie z.B. Betriebsrenten, private Leibrenten, Wohngeld, Kapitaleinkünfte und auch Hinterbliebenenrenten) addiert, um Steuer- und Beitragsabzüge bereinigt und auf das (bedarfsgewichtete) pro-Kopf-Einkom-men herunter gerechnet werden. Und nicht zuletzt ist auch zu berücksichtigen, über wel-ches Vermögen ältere Menschen verfügen, denn insbesondere Wohneigentum vermin-dert die Ausgaben für ansonsten anfallende Mieten erheblich.

Niedrige Renten allein sind somit noch kein Indikator für die Betroffenheit von Alters-armut, sie können bei bestimmten Fällen und Personengruppen lediglich ein Nebenein-kommen sein. So finden sich niedrige Renten von Männern typischerweise bei jenen Ver-sicherten, die im Berufsverlauf ihren Status und Alterssicherungsschutz gewechselt haben. Und bei der Alterssicherung von Frauen müssen die verbreiteten Niedrigren-ten in der Zusammenschau mit dem (Alters-)Einkommen des (Ehe-)Mannes gesehen werden. Wenn das gemeinsame Haushalts-einkommen, mit dem ein (Ehe-)Paar wirt-schaftet, für die Einkommens- und Wohlstands position in der Erwerbsphase ent-scheidend ist, dann setzt sich dies auch in der Altersphase fort. Dem „Zuverdienst“ der Frauen im mittleren Lebensalter entspricht die niedrige Rente im Ruhestand. Und bei den ver witweten Frauen müssen die eigen-ständigen Versichertenrenten mit den Hinter-bliebenenrenten zusammengerechnet wer-den.

Ob nun ein niedriges Haushaltseinkommen im Alter das Kriterium „Armut“ erfüllt, hängt entscheidend von der Festlegung der Armutsschwelle ab. Es muss ein Grenzwert bestimmt werden, der „arm“ von „nicht arm“ unterscheidet. Zwei Vorgehensweisen haben sich hierzu in der Armutsforschung etabliert. Zum einen kann Bezug genommen werden auf die empirisch gemessene

Einkommensverteilung, aus der dann ein Schwellenwert (üblicherweise 60 Prozent des Durchschnittseinkommens / Median) abgeleitet wird. Zum anderen lässt sich das politisch-institutionell festgelegte Bedarfs-niveau der Grundsicherung im Alter (SGB XII) als Maßstab verwenden.

Misst man Armut an der Einkommensvertei-lung, so indizieren die Befunde aus dem Mik-rozensus für das Jahr 2014 (Gesamtdeutsch-land) eine Armutsrisikoquote der 65jährigen und älteren von 14,4 Prozent (Statistische Ämter 2016). Von Armutsrisiko oder Armuts-gefährdung und nicht direkt von Armut ist hier deshalb die Rede, weil ja allein der Zufluss an Einkommen betrachtet wird, nicht aber die reale Lebenslage, die abhängig ist von der Einkommensverwendung und der tatsächlichen Versorgungslage in unterschied lichen Lebensbereichen. Die Berechnungen nach dem Mikrozensus lassen zudem das Vermögen außer Acht. Aber gerade bei Älteren sind die Wohneigen-tumsquoten im Alter relativ hoch und die Zins- und Tilgungsverpflichtungen aus Hypo-thekenkrediten weit gehend erfüllt (Göbel u. Grabka 2011). Die Betroffenheit älterer Men-schen von Einkommensarmut hat sich dabei seit 2005 erhöht, liegt aber unterhalb der Armutsquote der Gesamtbevölkerung (2014: 15,5 Prozent). Die Daten signalisieren in der Tat ein Problem, das allerdings weder drama-tisch angestiegen ist noch Anlass gibt, die sehr viel stärkere Betroffenheit anderer Grup-pen der Bevölkerung aus dem Auge zu verlie-ren. Erheblich höhere Armutsquoten weisen über den gesamten Zeitverlauf von 2005 bis 2014 hinweg vor allem Erwerbslose (57,6 Prozent), Alleinerziehende (41,9 Prozent) und kinderreiche Familien (24,6 Prozent) auf.

Da beurteilt werden soll, ob die Leistungen aus der GRV (und anderen Alterssicherungs-systemen) ausreichend hoch sind und die Armutsschwelle überschreiten, kann als Maßgröße auch das Grundsicherungsniveau dienen. Dieser Bezug macht deswegen Sinn, da ja zwei politisch festgelegte Leistungen miteinander verglichen werden. Am Jahres-ende 2015 zählten rund 1 Million zu den BezieherInnen dieser steuerfinanzierten, mittlerweile vollständig aus dem Bundes-haushalt finanzierten Leistung (zu den Daten:

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Statistisches Bundesamt 2016). Seit 2003 zeigt sich ein deutlicher Anstieg um etwa 136 Prozent; vor allem in den ersten Jahren nach der Einführung der neuen Regelung ist es zu einer stark steigenden Inanspruchnahme gekommen.

Dabei handelt es sich aber nur hälftig um Menschen, die 65 Jahre und älter sind (51,6 Prozent); 48,4 Prozent sind auf die Grund-sicherung angewiesen, weil sie bereits in jun-gen Jahren einer dauerhaften und vollen Erwerbsminderung unterliegen. Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit allerdings auch im Alter grundsicherungsbedürftig bleiben. Fragt man bei den LeistungsempfängerInnen danach, ob Rentenansprüche vorhanden sind, die auf den Leistungsbezug angerech-net werden, zeigt sich folgendes Bild (DRV 2014): Immerhin 27,2 Prozent aller älteren GrundsicherungsempfängerInnen verfügen (2012) über keinerlei anzurechnendes Ein-kommen. Bei ihnen sind also nicht etwa nied-rige, sondern fehlende Renten das Problem. Es dürfte sich bei dieser Gruppe vor allem um AusländerInnen und vormalige Selbst-ständige handeln, die keine Rentenanwart-schaften erworben haben bzw. erwerben konnten und auch ansonsten kein anderes Einkommen aufweisen. Setzt man nun die Zahlen der GrundsicherungsempfängerInnen ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, errechnen sich lediglich geringe Empfänger-quoten: Im Jahr 2015 mussten insgesamt 3,0 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre 1 (Männer: 2,7 Prozent; Frauen: 3,3 Prozent) auf die Grundsicherung zurückgreifen. Seit 2003 zeigt sich – ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau – allerdings ein merk licher Anstieg der Quote. Gleichwohl ist Alters-armut, von der Grundsicherungsseite aus gesehen, derzeit alles andere als ein Massen-problem.

Armutsvermeidung als Leistungsziel der Rentenversicherung?

Das grundlegende Leistungsprinzip der Ren-tenversicherung ist das der Teilhabeäquiva-lenz. Die individuelle Höhe der Altersrente hängt danach unmittelbar von der Dauer ver-sicherungspflichtiger Beschäftigungen und entsprechender Beitragszahlungen sowie

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von der Höhe des individuellen (beitrags-pflichtigen) Verdienstes in Relation zum Durchschnittsverdienst in den einzelnen Ver-sicherungsjahren ab. Diese lebensdurch-schnittliche relative Entgeltposition spiegelt sich also – auf abgesenktem Niveau – im Alter wider. Die absolute Höhe der jeweiligen Renten wird dabei durch die Höhe des aktuel-len Rentenwerts bestimmt. Dieser Berech-nungsmodus der Rente hat zur Folge, dass Erwerbsverläufe, die durch eine nur geringe bzw. durchbrochene Beschäftigungs- und Versicherungsdauer geprägt sind oder in denen nur eine niedrige individuelle Einkom-mensposition erreicht werden konnte, auch nur zu niedrigen Renten führen. Da eine – aufgrund von Niedrigentgelten und / oder einer geringen individuellen Arbeitszeit (Teil-zeit) – „schlechte“ Einkommensposition und kurze Versicherungsdauer sehr häufig mit-einander verknüpft sind, konzentrieren sich niedrige Renten auf Frauen. Wenn der (Teil-zeit)Lohn kaum das individuelle Existenz-minimum sichert und Lebensunterhalt nur im Partnerkontext gewährleistet werden kann, lässt sich keine Rente erwarten, die höher ist als die Grundsicherung.

Es bleibt der Widerspruch, dass in der aktu-ellen Debatte zwar regelmäßig die niedrigen Frauenrenten (Stichwort „gender-pension gap“) sowie die finanzielle Abhängigkeit der älteren (Ehe-)Frauen von ihren Männern (und nach deren Tod von der Witwenrente) kriti-siert werden und ein Rentenanspruch ober-halb der Grundsicherung eingefordert wird, dass aber das vorgelagerte Problem, nämlich die Ausweitung der Teilzeitarbeit, insbeson-dere auf der Basis von Minijobs, eher hin-genommen, ja noch durch steuer- und sozial-rechtliche Regelungen gefördert wird.

Eine niedrige Rente lässt sich deshalb nicht per se als Problem einstufen. Kriterium für die Leistungsfähigkeit der Rente ist jedoch ihre „strukturelle Armutsfestigkeit“ (Dedring u.a. 2010): Das Leistungsniveau der Renten-versicherung sollte so bemessen sein, dass nach einer langjährigen Vollzeitbeschäftigung und einer entsprechenden Beitragsleistung die Nettorenten auf jeden Fall oberhalb der vorleistungsunabhängigen Grundsicherung liegen. Ob und inwieweit beide Ziele, nämlich gleichermaßen die „strukturelle Armuts-

Endnoten:

1 Der Anspruch auf Grundsicherung im Alter setzt mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze ein. Infolge der 2012 begon-nenen schrittweisen Her-aufsetzung der Regel-altersgrenze von 65 auf 67 Jahre kann seitdem nicht mehr von der Alters-grenze 65 Jahre ausge-gangen werden, sondern nur noch von der Grenze „65 +“.

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festigkeit“ und die Lebensstandardsicherung, tatsächlich erreicht werden, hängt ent-scheidend vom Rentenniveau ab: Um das als „Rentenniveau“ definierte Verhältnis zwi-schen Renten und Arbeitnehmerentgelten und damit die Lohnersatzrate zu ermitteln, werden die durchschnittlichen Nettoarbeits-entgelte mit den Nettorenten, die sich mit 45 Entgeltpunkten errechnen, in Beziehung gesetzt. Je höher das Rentenniveau, umso ausgeprägter ist die Armutsfestigkeit und umso eher kann die im Erwerbsleben erreichte Einkommensposition auch im Alter beibehalten werden. Wer also über Armuts-risiken im Alter redet, kann bei den gegebe-nen Leistungsprinzipien der Rentenversiche-rung nicht einfach die Frage nach der Höhe des Rentenniveaus ausblenden.

Altersarmut als Zukunftsproblem?

Da die Rentenhöhe immer ein Spiegelbild der vergangenen Erwerbsbiografie und des jeweiligen Rentenniveaus ist, interessiert vor allem, ob die in den nächsten Jahren ins Ren-tenalter nachrückenden Kohorten aufgrund ungünstigerer Bedingungen zunehmend mit Alterssicherungsansprüchen rechnen müs-sen, die nicht mehr die Armutsschwelle errei-chen. Will man Aussagen über dieses Risiko treffen, sollte bewusst sein, dass Prognosen höchst unsicher sind. Denn das zukünftige Alterseinkommen wird in Niveau und Vertei-lung durch ein breites Bündel ökonomischer, sozial-struktureller und politischer Faktoren bestimmt, die sich insgesamt nicht verläss-lich vorhersehen lassen.

Zu unterscheiden ist hierbei zwischen exo­genen und endogenen Faktoren: Die endo-genen Faktoren beziehen sich auf die abseh-baren leistungsrechtlichen Veränderungen und Einschnitte in den Systemen der Alters-sicherung, insbesondere in der Rentenver-sicherung. Bei den exogenen Faktoren ist zu fragen, ob sich die Erwerbsbiografien und damit die individuellen Rentenanwartschaf-ten der in den Rentenbezug nachrückenden Jahrgänge entwickeln werden.

Ein Blick auf die exogenen Faktoren zeigt, dass sich auf dem Arbeitsmarkt ein Risiko- und Problempotenzial aufgebaut hat (im Überblick Schmitz 2012). An dieser Stelle sollen einige Stichworte reichen: Die Arbeits-losigkeit und insbesondere die Langzeitar-beitslosigkeit haben in den zurückliegenden Jahrzehnten die Erwerbsbiografien vieler Kohorten geprägt. Beschäftigungsverhält-nisse, die nicht der Rentenversicherungs-pflicht unterliegen, wie Selbstständigkeit oder geringfügige Beschäftigung, haben an Bedeutung zugenommen. Die Erwerbs-verläufe sind diskontinuierlicher geworden, mehrfache Wechsellagen zwischen regulärer und prekärer Beschäftigung, zwischen ab hängiger und selbstständiger Arbeit sowie zwischen Zeiten von Erwerbstätigkeit, Nicht-Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit sind üblich. Zugleich schlagen sich die Auswei-tung des Niedriglohnsektors und von Teilzeit-arbeit nieder. Bei den nachrückenden Kohor-ten, vor allem in den neuen Bundesländern, ist deshalb zu befürchten, dass die Renten-anwartschaften bzw. konkret die Zahl der Entgeltpunkte rückläufig sind (vgl. u.a. Trisch-ler 2014). In welcher Größenordnung sich Arbeitslosigkeit, Erwerbsunterbrechungen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Niedrig-löhne und / oder Teilzeitarbeit in der Höhe der Rentenanwartschaften negativ nieder-schlagen, hängt neben der konkreten Entgelt-position entscheidend von deren Dauer ab. Allerdings gibt es auch Hinweise auf Proble-mentschärfungen, die an dieser Stelle be-sonders hervorzuheben sind, weil sie in den vorliegenden Analysen zur Altersarmut weit-gehend unbeachtet bleiben: – Vor allem die steigende Frauenerwerbstä-tigkeit und die Verkürzung der erziehungs-bedingten Unterbrechungszeiten lassen er-warten, dass sich die Rentenanwartschaf-ten von Frauen zukünftig erhöhen werden. Auch die rentenrechtliche Anrechnung von Kinder erziehungszeiten (seit 2014 Erweite-rung der Anrechnungszeiten für Geburten vor 1992 von einem auf zwei Jahre) und Pflegezeiten trägt dazu bei. Die Altersein-kommen von Ehepaaren könnten stabili-siert werden, wenn den rückläufigen An-wartschaften der Männer steigende An-wartschaften der Frauen gegenüberstehen. Dieser Kompensationseffekt wird aller-dings begrenzt bleiben, solange die Frauen-

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erwerbsbeteiligung sich auf Teilzeit arbeit im unteren Stundensegment konzentriert.

– Die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit hat sich seit dem Höchststand von 4,86 Millio-nen Arbeitslosen im Jahr 2005 merklich verringert. Allerdings bleibt die Langzeitarbeits losigkeit ein gravierendes Problem. Und ein wachsender Anteil der Arbeitslosen, nämlich mittlerweile fast 70 % (2015), fällt in den Rechtskreis des SGB II. Beim bedürftigkeitsgeprüften Ar-beitslosengeld II werden aber keine Ren-tenversicherungsbeiträge (mehr) bezahlt.

– Die Erwerbstätigenquoten der älteren ArbeitnehmerInnen haben sich beträchtlich erhöht. Die Eindämmung des beruflichen Frühausstiegs, die weitgehende Abschaf-fung von vorgezogenen Altersrenten und die seit 2012 praktizierte schrittweise Her-aufsetzung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre führen zu höheren Entgelt-punkten. Allerdings gilt dies nicht für alle Versicherten (Brussig u. Ribbat 2014). Ein erheblicher Teil der älteren Beschäftigten wird auch in Zukunft vor Erreichen der Re-gelaltersgrenze aus dem Beruf ausschei-den müssen oder wollen – mit der Folge von Abschlägen 2.

– Niedriglöhne unterhalb von 8,50 Euro sind seit der Einführung des gesetzlichen Min-destlohns (und dem Auslaufen der Über-gangs- und Ausnahmeregelungen bis Ende 2016) nicht mehr möglich.

Die endogenen Faktoren, die zu einer Zunahme der Altersarmut führen können, konzentrieren sich auf die Verschlechterun-gen im Leistungsrecht der Rentenversiche-rung. Im Mittelpunkt stehen dabei die Folge-wirkungen der veränderten Renten- bzw. Rentenanpassungsformel: Um den zu erwar-tenden Beitragssatzanstieg zu begrenzen folgen Bestands- wie Zugangsrenten in ihrem Niveau der allgemeinen Entwicklung der Arbeitnehmereinkommen nur noch teilweise (siehe weiter unten). Im Ergebnis kommt es deshalb dazu, dass im Zeitverlauf der aktuelle Rentenwert schwächer steigt als der Regel-bedarf der Grundsicherung, da dieser seit 2011 nicht mehr dem aktuellen Rentenwert folgt, sondern auf der Basis eines Misch-indexes, der sowohl die Preis- als auch die Entgeltentwicklung berücksichtigt, fortge-schrieben wird.

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Verschärft werden die Folgewirkungen des sinkenden Rentenniveaus durch weitere Regelungen und Leistungsdefizite der Renten-versicherung. So ergeben sich spezifische Absicherungsrisiken durch die fehlende bzw. nur in Ausnahmefällen vorhandene Absiche-rung von Selbstständigen in der GRV. Von Sicherungslücken im Alter sind gleicherma-ßen die ausschließlich geringfügig Beschäf-tigten betroffen. Auch Mehrfach- und Lang-zeitarbeitslosigkeit werden zu einem zentra-len Armutsrisiko, da die Rentenanwartschaf-ten, die Arbeitslose während der Bezugszeit von Arbeitslosengeld erwerben, äußerst gering ausfallen. Für Langzeitarbeitslose, die auf die Leistung Arbeitslosengeld II nach dem SGB II angewiesen sind, werden seit 2011 keine Beiträge mehr bezahlt, die Zeiten werden seitdem als Anrechnungszeiten berücksichtigt.

Problematisch für die Höhe der Rentenzahl-beträge erweisen sich schließlich die Renten-abschläge, die je vorgezogenes Jahr mit einer Rentenminderung von 3,6 Prozent zu Buche schlagen. Dies gilt vor allem für die Erwerbs-minderungsrenten, denn auch sie werden durch Abschläge gekürzt, obgleich die Bean-tragung einer Erwerbsminderungsrente kein Ergebnis einer freien Entscheidung ist, sondern durch den schlechten Gesundheits-zustand erzwungen wird. Da sich das Risiko der Erwerbsminderung auf die Beschäftigten im unteren Einkommens- und Qualifikations-segment des Arbeitsmarktes konzentriert, weist diese Gruppe im Schnitt nur wenige Entgeltpunkte auf, was auch durch die (seit 2014 für Neuzugänge um 3 Jahre verlänger-ten) Zurechnungszeiten nur teilweise aus-geglichen wird. Bei Erwerbsminderungs-rentnerInnen ist deswegen von einem beson-ders hohen Risiko von Altersarmut und Grundsicherungsbetroffenheit auszugehen (vgl. Bäcker, Bispinck u. Hofemann 2013).

Externe und interne Risikofaktoren überla-gern und verstärken sich also: Die Anwart-schaften / Entgeltpunkte werden in vielen (aber eben auch nicht in allen) Fällen zurück-gehen, und zugleich verringert sich deren ‚Wert‘ durch das absinkende Rentenniveau. Damit nimmt in den nächsten Jahren gleichsam automatisch der Kreis der älteren Menschen zu, deren Rente den Schwellen-

2 Die 2014 eingeführte abschlagsfreie Rente mit 63 hat hier zu einer (aller-dings zeitlich begrenzten) Problemminderung ge-führt. Ab Jahrgang 1953 steigt diese Altersgrenze wieder schrittweise an, und für alle 1964 oder später Geborenen liegt sie wieder wie bislang bei 65 Jahren.

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wert der Grundsicherung trotz langjähriger Versicherungspflicht und Beitragszahlung unterschreitet. Eine Beispielsrechnung kann dies verdeutlichen: Sinkt das Nettorenten-niveau vor Steuern bis 2030 auf die Unter-grenze der Niveausicherungsklausel von 43 Prozent muss ein Durchschnittsverdiener schon 31,6 Beitragsjahre und ein Beschäftig-ter mit einer Entgeltposition von 70 Prozent sogar 45,2 Jahre aufweisen, um das Grund-sicherungsniveau zu erreichen 3. Von einer „strukturellen Armutsfestigkeit“ kann dann nicht mehr geredet werden.

Um Fehlinterpretationen zu vermeiden: Die-ses Phänomen einer wachsenden Über-schneidung von niedrigen Renten und Grund-sicherungsgrenze bedeutet nicht, dass tat-sächlich auch Anspruch auf Grundsicherungs-leistungen besteht. Wie oben beschrieben, müssen sämtliche Alterseinkommen im Haushaltskontext berücksichtigt werden, um eine Aussage treffen zu können. Absehbar sind jedoch Legitimations- und Akzeptanzpro-bleme der Rentenversicherung, wenn nach jahrzehnterlanger Beitragspflicht die individu-elle Rente nicht oder nur kaum höher liegt als die vorleistungsunabhängige Grundsicherung im Alter und sich kein Unterschied mehr ergibt zu Personen, die keine oder keine ent-sprechend hohen Beiträge geleistet haben (vgl. Schmähl 2011, Schmähl 2012).

Lebensstandardsicherung – nur noch im 3-Säulen-System?

Das Ziel der Lebensstandardsicherung zählt seit 1957 (Einführung der lohndynamischen Altersrente) zur Aufgabe der Rentenversiche-rung – dies allerdings unter einschränkenden Bedingungen: Abgesichert werden sollte die relative Einkommensposition im Durchschnitt des gesamten Versicherungsverlaufs und nicht das letzte Einkommen. Vorausgesetzt wird weiterhin ein langes, sog. „erfülltes“ Versicherungsleben mit 45 Versicherungsjah-ren. Und schließlich: Das Sicherungsniveau liegt keinesfalls bei 100 %.4 So lag das Netto-rentenniveau im Schnitt der 1980er und 1990er Jahre bei knapp 70 % (mit einer Schwankungsbreite zwischen 72 % und 66,9 %) (DRV 2014), was einem Nettoniveau vor Steuern 5 von etwa 53 % entspricht.

Diese Daten weisen darauf hin, dass zur Sicherung des Lebensstandards im wort-wörtlichen Sinne auch schon früher ergän-zende Leistungen aus der privaten und betrieblichen Vorsorge erforderlich waren.

Aber: Seit der Riester-Reform lautet der politische Konsens, dass die Gesetzliche Rentenversicherung das Ziel der Lebens-standardsicherung auf keinen Fall mehr erreichen kann und soll. Um den Beitrags-satzanstieg zu begrenzen, der im Rahmen der demografischen Entwicklung zu erwarten ist, soll das Leistungsniveau der Rentenver-sicherung über die Jahre hinweg immer weiter absinken. Die so aufklaffende Versor-gungslücke soll durch die private und betrieb-liche Vorsorge ausgeglichen und die umlage-finanzierte Alterssicherung – schrittweise und zu immer größeren Anteilen− durch die kapitalmarktabhängige Alterssicherung ersetzt werden. Betriebliche und private Alterssicherung dienen also nicht mehr pri-mär der Ergänzung der umlagefinanzierten Alterssicherung, sondern als Ersatz. Der lau-fende Rückgang des Niveaus entzieht der Rentenversicherung gänzlich den Boden und degradiert die gesetzliche Rente auf eine Zuschussfunktion.

Finanziert werden müssen die Beiträge von den Versicherten bzw. Beschäftigten selbst (abzüglich der staatlichen Förderleistungen); als Zielgröße der Förderung gelten 4 % des Einkommens, eine paritätische Arbeitgeber-beteiligung wie bei der gesetzlichen Rente ist dabei nicht vorgesehen. Insofern werden die betroffenen Versicherten bzw. Arbeitnehmer schon jetzt durch eine entsprechende Minde-rung ihres verfügbaren Einkommens belas-tet. Das Ziel der Belastungsbegrenzung bezieht sich allein auf die Rentenversiche-rung und damit faktisch nur auf die Arbeitge-ber. Den Tatbestand, dass die Finanzierung der Renten einer wachsenden Zahl älterer Menschen zu Mehraufwendungen führt, kann auch die private Vorsorge nicht aus der Welt schaffen – allerdings werden die Belas-tungen anders verteilt.

3 Hilfsweise wird hier mit den deutschlandweiten Durchschnittswerten der Kosten der Unterkunft ge-rechnet. Tatsächlich vari-ieren die Kosten der Un-terkunft aber sehr stark nach Regionen, Städten und auch Stadtteilen. Die „strukturelle Armutsfes-tigkeit“ müsste insofern regionalisiert werden.4 Das Ausmaß des Ein-kommensverlustes im Al-tersübergang hängt dabei entscheidend von der Ent-wicklung der individuellen Einkommensposition im Erwerbsverlauf ab. Ist – immer relativ gesehen – das letzte Einkommen das höchste Einkommen, fällt der Verlust besonders stark aus, da ja die Ren-tenformel auf das lebens-durchschnittliche Einkom-men Bezug nimmt.5 Bei der Berechnung von Höhe und Entwick-lung des Rentenniveaus werden Nettogrößen (Nettorenten und Netto-löhne) miteinander vergli-chen. Da seit 2005 die nachgelagerte Besteue-rung der Renten nach Zu-gangsjahren variiert, also von keiner für alle Rent-ner gleichen Steuerbelas-tung ausgegangen wer-den kann, werden die Nettogrößen vor Steuern, aber nach Abzug von Sozi-alversicherungsbeitragen einander gegenüber ge-stellt.

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Die Absenkung des Rentenniveaus wird durch die mehrfachen Modifikationen der Rentenanpassungsformel (Riester-Faktor, Beitragssatzfaktor und Nachhaltigkeitsfaktor) erreicht. Als Maxime gilt die gesetzlich fixierte Maßgabe, den Beitragssatz bis zum Jahr 2020 unter 20 Prozent und bis 2030 unter 22 Prozent zu halten. Das Nettorenten-niveau vor Steuern lag im Jahr 2015 bei 47,5 % (gegenüber 53,0 % im Jahr 2005: Dies entspricht einem Rückgang von 10,4 %) und wird bis 2029 auf 44,6 % weiter absinken (zu den Daten: DRV 2015; Bundesregierung 2015). Das Gesetz sieht eine Niveausiche-rungsklausel vor: 43 % dürfen bis 2030 nicht unterschritten werden. Aber das Sicherungs-ziel wie auch der im Rentenversicherungsbe-richt der Bundesregierung zu Grunde gelegte Prognosezeitraum reichen nicht über 2030 hinaus, obgleich abzusehen ist, dass der Nachhaltigkeitsfaktor auch in den Jahren nach 2030 das Rentenniveau weiter nach unten drückt. Die ohnehin große Versor-gungslücke wird also erheblich anwachsen. In absoluten Zahlen für das Jahr 2014 ausge-drückt: Ein Rentner, der 45 Versicherungs-jahre aufweist und mit seinem Einkommen in jedem dieser Jahre im Durchschnitt verdient hat, erhält eine sog. Nettostandardrente von 1.155 Euro (alte Bundesländer). Die durch-schnittliche Zahlbetragshöhe der Altersren-ten (alte Bundesländer) liegt naturgemäß noch weit niedriger. Relativ hohe durch-schnittliche Zahlbeträge finden sich lediglich bei den Männern, die eine Altersrente mit 63 Jahren für langjährig Versicherte (1.138 Euro) oder eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit (1.238 Euro) bezie-hen. Ausgesprochen hohe Altersrenten gibt es (auch wegen der Beitragsbemessungs-grenze) bei der Rentenversicherung nicht: Eine Rente höher als 1.500 Euro erhalten lediglich 16,8 % der Männer.

Die Frage nach der Absicherung des Lebens-standards stellt sich nicht nur zum Zeitpunkt des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ren-tenbezug, sondern im Verlauf der gesamten Altersphase, die bis zu drei Jahrzehnten andauern kann. Entscheidend ist also neben der Einkommenshöhe im Rentenzugang vor allem die laufende Anpassung der Altersein-kommen, um deren preisbedingte Wertmin-derung zu vermeiden und die Teilhabe an der

allgemeinen Einkommensentwicklung zu ermöglichen.

Entscheidend ist nun, ob und inwieweit das Konzept der Füllung der Versorgungslücken durch den Ausbau der zweiten und dritten Säule der Alterssicherung erreicht wird bzw. erreicht werden kann. Grundlegende Voraus-setzung dafür ist zunächst, dass alle Versi-cherten tatsächlich betrieblich und/oder pri-vat ausreichend, frühzeitig und zugleich dau-erhaft vorsorgen. Die empirischen Informati-onen dazu sind zwar äußerst spärlich (im Überblick Blank 2011, Blank 2013), die weni-gen vorliegenden empirischen Befunde las-sen jedoch erkennen, dass dazu nur ein Teil der Beschäftigten entweder in der Lage oder bereit ist, und zwar vorrangig jene, die sich im oberen Arbeitsmarkt- und Einkommens-segment verorten lassen:

– Für das Jahr 2015 weist das Bundesminis-terium für Arbeit gut 16 Mio. Riester-Verträ-ge aus. Davon sind die Mehrzahl (67,5 %) geförderte (Lebens-)Versicherungsverträge. Demgegenüber haben Banksparverträge (5,0 %), Investmentfondsverträge (19,0 %) und die sog. Wohn-Riester Verträge (8,5 %) eine geringere Bedeutung. Die Daten las-sen bis 2010 einen starken Anstieg der ge-förderten privaten Altersvorsorge erken-nen. Seitdem flacht der Boom aber merk-lich ab, und seit 2010 stagniert die Entwick-lung weitgehend, obgleich die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten deut-lich zugenommen hat. Da nach Schätzun-gen davon ausgegangen werden kann, dass etwa 40 Mio. Personen unmittelbar und mittelbar förderberechtigt sind, hat trotz der anfänglichen Dynamik in den Ver-breitungsquoten bislang eine deutliche Mehrheit der Anspruchsberechtigten keine Riester-Verträge abgeschlossen. Zudem werden die Zulagen bzw. Freibeträge nur unzureichend ausgeschöpft. Und mittler-weile jeder fünfte (19,5 %) der 16,2 Millio-nen Verträge ist ruhend gestellt. Es werden also weder Beiträge einbezahlt, noch über-haupt die staatlichen Zulagen bezogen (BMAS 2015).

– Auch die Informationen über den Verbrei-tungsgrad der betrieblichen Altersversor-gung in der Privatwirtschaft sind äußerst begrenzt. Zur Verfügung stehen nur Daten,

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die über (repräsentative) Befragungen (Mikrozensus, Infratest) erhoben werden. Im Dezember 2013 hatten nach den Be-funden einer Trägerbefragung (BMAS 2015) 17,8 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aktive Anwartschaften auf eine Betriebsrente (ohne Mehrfachzählun-gen bei Anwartschaften in mehreren Durchführungswegen) erworben. Das ent-spricht knapp 60 % der sozialversiche-rungspflichtig Beschäftigten. Gegenüber 2001 zeigt sich dabei ein starker Anstieg der Anwartschaften (+ 30 %), der aber ab 2009 nahezu zum Stillstand gekommen ist. Ein Großteil der Anwartschaften (etwa 30 %) konzentriert sich dabei auf die Be-schäftigten des öffentlichen Dienstes und auf die öffentlichen Zusatzversorgungs-träger. Hier gibt es einen tarifvertraglich abgesicherten Verbreitungsgrad von fast 100 %. Demgegenüber weisen die Be-schäftigten in der Privatwirtschaft nur zu etwa 50 % Ansprüche auf.

– Die Größenordnung der Absicherungs-lücken hängt dabei von der Branchenzu-gehörigkeit und Größe der Betriebe sowie der Art der Beschäftigungsverhältnisse ab. Zwei Extreme können diesen Zusammen-hang illustrieren: In Betrieben mit 1 bis 9 Mitarbeitern haben 30 % der Beschäftigten Anwartschaften, in Betrieben mit 1.000 Mitarbeitern und mehr liegt der Verbrei-tungsgrad bei 84 % (Bundesregierung 2012). Schaut man sich die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt an, dann zielt der Trend auf eine Beschäftigung in Kleinbetrieben, verbunden mit einem ansteigenden Beschäftigungswechsel zwischen Be-trieben und Branchen. Zugleich nehmen atypische Beschäftigungsformen zu. Vor allem aber nimmt die Tarifbindung der Betriebe zunehmend ab. Dies alles hemmt die Verbreitung einer freiwilligen betrieb-lichen Altersversorgung.

Aber selbst dann, wenn man eine flächen-deckende zusätzliche Absicherung unterstellen würde, zeigen die Modellberechnungen im Rentenversicherungsbericht 2015 (Bundes-regierung 2015), dass das Gesamtversor-gungsniveau (gesetzliche Rente plus Riester-Rente) im Jahr 2029 mit 50,6 % noch unter-halb des Rentenniveaus vor Steuern von 2000 (52,9 %) liegt. Bei dieser Berechnung

bleibt unberücksichtigt, dass sich die Bei-träge der Rentner zur Pflegeversicherung und zur Krankenversicherung (Zusatzbeiträge) absehbar deutlich erhöhen werden. Auch wird ausgeklammert, dass die Renten von Jahr zu Jahr und von Jahrgang zu Jahrgang stärker besteuert werden. Schwerer noch wiegt, dass diese Berechnung von Annah-men ausgeht, die vor dem Hintergrund der bisherigen Förderpraxis und der Realität auf den Finanzmärkten kaum realistisch sind (vgl. Hagen u. Kleinlein 2011, Schröder 2011): – Jährliche Verzinsung der Riester-Rente mit 4 %,

– durchgängiger Altersvorsorgeaufwand von 4 % (volle Sparleistung und Zulage),

– Verwaltungskosten 10% der Beiträge, – Anpassung der Riester-Rente in der Auszahlungsphase entsprechend der GRV-Rente.

Ausgewiesen im Rentenversicherungsbe-richt wird dabei ausschließlich das Gesamt-versorgungsniveau vor Steuern im Jahr des Rentenzugangs, nicht aber für die Jahre der gesamten Rentenlaufzeit (Fachinger u.a. 2014). Wenn aber unterstellt wird, dass die Riester-Rente analog zur GRV-Rente dynamisiert wird (was ohnehin zweifelhaft ist, da es bei kapitalfundierten Renten keine festen Anpassungsregelungen gibt bzw. geben kann 6) und die GRV-Rente wiederum der Lohnentwicklung nur noch gebremst folgt, dann heißt dies, dass im Lauf der Bezugsjahre das Gesamtversorgungsniveau sinken muss (Steffen 2014, Schäfer 2015).

Da die private Altersvorsorge auf dem Kapit-aldeckungsverfahren beruht, hängt die Leis-tungshöhe der Renten entscheidend von der Entwicklung auf den Finanz- und Kapitalmärk-ten ab. Die Finanzkrisen der letzten Jahre haben gezeigt, mit welchen Risiken hierbei gerechnet werden muss. Die anhaltende Niedrigzinspolitik hat zu einem Verfall der Renditen geführt, was auch an der Absen-kung des Garantiezinses von Lebensversi-cherungen sichtbar wird. Eine Umkehr ist nicht in Sicht. Hinzu kommt, dass gerade die „Riester-Produkte“ durch hohe / überhöhte Provisionen und Vermarktungskosten belas-tet sind. Zugespitzt kann man sagen, dass die Fördergelder gerade einmal ausreichen, um die hohen Kosten abzudecken.

6 Angesichts der andau-ernden Niedrigzinsphase verabschieden sich die Versicherungskonzerne zunehmend von Lebens-versicherungsverträgen, die mit einem Garantie-zins verbunden sind.

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Und die bei der gesetzlichen Rente vorgese-hene automatische Anpassung der Leistun-gen an die Einkommens- oder Preisentwick-lung („Dynamisierung“) gibt es bei kapital-marktabhängigen Produkten systembedingt nicht. Vertraglich lassen sich zwar Anpas-sungsklauseln vereinbaren (etwa einen jährli-chen Erhöhungssatz der Renten um einen bestimmten Prozentsatz); diese Vereinba-rung muss jedoch durch eine geringere Höhe der Eingangsrente oder durch entsprechend höhere Prämien bezahlt werden. Selbst bei einer niedrigen Inflationsrate führt die feh-lende Dynamisierung zu einem erheblichen Kaufkraftverlust. Ein Beispiel: Wird mit Errei-chen der Altersgrenze eine Rente in konstan-ter Höhe von 400 Euro gezahlt, sinkt deren realer Wert / Kaufkraft bei zwei Prozent Infla-tion pro Jahr nach 10 Jahren auf etwa 327 Euro und nach 20 Jahren auf rund 267 Euro.

Die „Drei-Säulen-Alterssicherungspolitik“ gleicht also eher einem Blindflug: – Die zu einem Zeitpunkt (in einem Jahr) ge-messene Zahl von Riester-Verträgen oder Betriebsrentenwartschaften lässt noch kei-ne Aussage über den Zeitverlauf zu: Seit wie viel Jahren bestehen Anwartschaften oder Verträge, werden sie bis zum Renten-eintritt kontinuierlich bedient?

– Welche Risiken sind bei der privaten und betrieblichen Vorsorge abgedeckt?

– Mit welchen Renditen (nach Abzug der Kosten) lässt sich rechnen? Wie entwickeln sich Garantiezins und Überschussbeteili-gung bei den Lebensversicherungen? Wel-che Renditen und entsprechend welche Rentenhöhe lassen die unterschiedlichen Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung erwarten? 7

– Handelt es sich bei den Betriebsrenten noch um Leistungszulagen oder vermehrt um reine Beitragszusagen?

– Ist eine Anpassung der Renten an die Ein-kommens- und Preisentwicklung vorgese-hen und wenn ja, nach welchem Modus?

Diese und weitere Unklarheiten und Un sicherheiten weisen darauf hin, dass es bei kapitalgedeckten und damit kapital-marktabhängigen Altersvorsorgeleistungen systemisch überhaupt nicht möglich ist, ein definiertes Sicherungsziel (mit einer Maß-größe) vorzugeben. Ob und in welchem

Maße es im Drei-Säulen-System zur Lebens-standardsicherung kommt bzw. kommen kann, lässt sich angesichts der unwägbaren Entwicklung auf den internationalen Kapital-märkten und der Verschiedenartigkeit der Anlagen- und Altersvorsorgeformen nicht mehr feststellen.

Die Befunde lassen zudem erkennen, dass die private und/oder betriebliche Altersvor-sorge genau an den Menschen vorbeigeht, die aufgrund ihrer Lebenslage und Erwerbs-biografie nur niedrige Rentenansprüche haben bzw. haben werden. Obgleich die För-derbedingungen eine soziale Komponente aufweisen (insbesondere nach Maßgabe der Zahl der Kinder), fällt die Inanspruchnahme bei Geringverdienern niedrig aus. Ein Konzept zur Vermeidung von Altersarmut ist die Teil-privatisierung der Alterssicherung nicht, viel-mehr kommt es auf der Seite der Bezieher höherer Einkommen zu einer besonders hohen Förderung und zur Finanzierung von Mitnahmeeffekten.

Reformstrategien und Rentenniveau

Wenn es um das Ziel der Vermeidung und Bekämpfung von Altersarmut geht, so ist es in einem ersten Schritt erforderlich, die exogenen Risiken, die der Alterssicherung vorgelagert sind, ursachenbezogen aufzu-greifen. Anpassungen auf dem Arbeitsmarkt setzen auf verschiedenen (miteinander durchaus verbundenen) Ebenen an und lassen sich unterteilen: Es geht zum einen um die Re-Regulierung von Arbeitsverhältnissen und Lohnstrukturen, zum zweiten um den weite-ren Abbau von Arbeitslosigkeit, insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit, und die stabile Wiedereingliederung von Arbeitslosen sowie zum dritten, um die Ermöglichung durch-gängiger Erwerbsverläufe von Frauen durch die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Kinderziehung und familiärer Angehöri-genpflege.

Der präventive Ansatz ist allerdings kein All-heilmittel, um Niedrigrenten zu verhindern. Verbesserte Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt, auch wenn sie kurzfristig durchgesetzt werden, wirken sich erst lang-fristig aus. Da sie beim Aufbau von Anwart-

7 Nach den Befunden der Erhebung „Alterssiche-rung in Deutschland“ zeigt sich für 2011 bei der Höhe der Nettoleistungen der betrieblichen Alters-versorgung in der Privat-wirtschaft eine äußerst breite Streuung der Zahl-beträge: Neben sehr nied-rigen Leistungen einer-seits stehen sehr hohe Leistungen andererseits. Für den größten Teil der Männer und den weit überwiegenden Teil der Frauen fallen die Betriebs-renten aber nur sehr nied-rig aus: Weniger als 200 Euro erhalten 45 % der Männer und 64 % der Frauen (BMAS 2013).

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schaften ansetzen, bringen sie für Bestands-rentnerInnen und Versicherte im rentennahen Alter keine Verbesserungen. Erfolge werden sich erst später, in Jahrzehnten zeigen, wenn die jetzt noch jüngeren und mittleren Jahr-gänge ins Rentenalter kommen.

Mit anderen Worten: Es ist auch Aufgabe der Alterssicherung, bestimmte Risiken und Lebensphasen, die von dem Ideal des Nor-malarbeitsverhältnisses abweichen, zu berücksichtigen und zu versuchen, sie durch Maßnahmen des sozialen Ausgleichs abzu-mildern. Es geht um die Verknüpfung des Versicherungs- und Äquivalenzprinzips einer-seits mit dem Solidarprinzip andererseits; darin besteht der Charakter der GRV als Teil der Sozialversicherung. In der privaten Vor-sorge wie auch in der betrieblichen Altersver-sorgung ist der Solidarausgleich hingegen systemisch fremd, hier herrscht das „reine“ Äquivalenzprinzip von Leistung und Gegen-leistung. Gerade jene, die aufgrund ihrer Erwerbsbiografie und Einkommensposition nur geringe Rentenansprüche zu erwarten haben, werden bei der zweiten und dritten Säule weitgehend leer ausgehen. Beitrags-zahlungen des Bundes und der anderen Sozi-alversicherungsträger für Zeiten der Arbeits-losigkeit, Kindererziehung oder privaten Pflege gibt es im Bereich der betrieblichen und privaten Sicherungssysteme ebenso wenig wie Ausgleichselemente bei der Ren-tenberechnung. Und die betriebliche Alters-versorgung geht an jenen vorbei, die nur kurzzeitig beschäftigt sind, in prekären Beschäftigungsverhältnissen stehen oder im Niedriglohnsegment zu finden sind. Insofern wirken die zweite und dritte Säule in einem hohen Maße sozial selektiv. Zur Aufstockung von Niedrigrenten und zur Vermeidung mögli-cher Armutslagen tragen sie wenig bei (vgl. Geyer 2011; Steffen 2012; Promberger u.a. 2012).

Das Problem der zeitlich verzögerten Wirk-samkeit stellt sich auch bei den rentenren-tenrechtlichen Reformen. So führen eine Auf-hebung der Geringfügigkeitsregelung, die Versicherungspflicht von Selbstständigen und die Wiedereinführung von Beitragszah-lungen für Empfänger von Leistungen des SGB II ebenfalls „nur“ zum Aufbau von Anwartschaften. Erst Jahre später kommt es

zu entsprechend höheren Renten. Anders sieht es bei den Regelungen aus, durch die es nachträglich, also zum Zeitpunkt der Ren-tenfestsetzung, zu einer Anrechnung von zusätzlichen Zeiten oder zu einer Höherbe-wertung von Entgeltpunkten kommt. Die dadurch erreichbaren höheren Renten begünstigen all jene, die nach einer Neurege-lung erstmalig eine Rente beziehen. Die Reformvorschläge „Verlängerung der Rente nach Mindestentgeltpunkten“, „Anerken-nung von Zeiten der Arbeitslosigkeit im Bereich des SGB II als beitragsgeminderte Zeiten“ zielen in diese Richtung. Das gilt glei-chermaßen für die Anrechnung von mehr Zurechnungszeiten und/oder die Begrenzung bzw. Abschaffung von Abschlägen bei Erwerbsminderungsrenten.

Von grundlegender Bedeutung in einer Reformstrategie ist die Frage nach der Höhe des Rentenniveaus: Eine Grundsatzentschei-dung in der Alterssicherungs- und Rentenpo-litik seit der Jahrtausendwende gilt im Main-stream der politischen wie wissenschaftli-chen Debatte als quasi unantastbar und „alternativlos“: Die Absenkung des Renten-niveaus und die Limitierung des Beitragssat-zes. Allerdings: Die Ausgleichswirkungen von Reformstrategien, wie Mindestlöhne, Verlän-gerung der Rente nach Mindesteinkommen, Absicherung von SGBII Leistungsempfän-gern, drei Jahre Kindererziehungszeiten für alle Mütter, erweiterte Anerkennung von Zurechnungszeiten, verlieren durch die Absenkung des Rentenniveaus sukzessive an Bedeutung. So wird selbst bei einem Min-destlohn von über 10 Euro und bei einer lang-jährigen Vollzeitbeschäftigung die Rente noch unter dem Grundsicherungsniveau liegen, wenn das Rentenniveau gerade einmal einen Wert von 43 Prozent erreicht (Steffen 2011). Und auch bei den Überlegungen einer die Selbstständigen einbeziehenden Erwerbstäti-genversicherung bleibt zu fragen, wie ein sol-ches Konzept für die Betroffenen attraktiv sein soll, wenn sie Gefahr laufen, trotz lang-jähriger Beitragszahlungen (und im Zweifel ohne Arbeitgeberbeiträge!) nur einen Ren-tenanspruch unterhalb des Grundsicherungs-niveaus zu erwerben.

Deshalb ist die Grundsatzentscheidung einer dauerhaft von der Lohnentwicklung abgekop-

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pelten Rentenanpassung nicht länger tragbar. Soll das System der GRV bewahrt werden, muss der Trend eines in Zukunft weiter absin-kenden Rentenniveaus zwingend gestoppt werden. Weitergehende Forderungen in Richtung einer Wiederherstellung des vor der Jahrtausendwende bestehenden Niveaus lie-gen zwar nahe, sind aber allein aus finanziel-len Gründen unrealistisch, da über Jahre hin-weg die Rentenanpassung stärker als die Lohnentwicklung ausfallen müsste – verbun-den mit stark steigenden Beitragssätzen.

Die hier noch einmal komprimiert vorgenom-mene Analyse der Schwachstellen der priva-ten Altersvorsorge lässt erkennen, wie prob-lematisch es ist, die kapitalmarktabhängige Alterssicherung als tragende Säule zu verste-hen und zu etablieren. Betriebsrenten, pri-vate Leibrenten und andere Vorsorgepro-dukte können die Leistungen der umlagefi-nanzierten Rentenversicherung ergänzen, aber eben nicht ersetzen. Dies ist der ent-scheidende Punkt, der in der aktuellen Debatte über die Zukunft des „3 Säulen Modells“ zu beachten ist. Reformvorschläge, die die private Altersvorsorge ausweiten und revitalisieren wollen, zugleich aber von einem Fortbestand der aktuellen Rentenanpas-sungsformel ausgehen und damit die konti-nuierlichen Verfall des Rentenniveaus akzep-tieren, sind Scheinlösungen, die die Risiken von Altersarmut und fehlender Lebensstan-dardsicherung verstärken statt zu mindern. Sie gleichen einer Therapie, die die Wirksam-keit einer falschen Medizin durch eine höhere Dosis verbessern will.

Mindestrentenmodelle und ihre Folgen

In der aktuellen Diskussion spielt die Höhe des Rentenniveaus nur eine nachgeordnete Rolle. Die rentenpolitischen Reformvor-schläge konzentrieren sich auf das Ziel der Armutsbekämpfung. Im Mittelpunkt stehen Konzepte und Modelle einer Mindestrente (Die Linke), einer Garantierente (Bündnis 90/Die Grünen) oder einer solidarischen Lebens-leistungsrente (Koalitionsvereinbarung der großen Koalition). Abgezielt wird auf die Gewährleistung einer die Armuts- bzw. Grundsicherungsschwelle deutlich über-schreitenden Leistung. So unterschiedlich

die Modelle im Detail, gemeinsam ist ihnen die Annahme, wenn nicht Akzeptanz eines anhaltend sinkenden Rentenniveaus.

Bei der Ausgestaltung solcher Modelle sind gleich mehrere Fragen entscheidend: – Welche Nettohöhe und Dynamik soll der Mindestanspruch aufweisen?

– Ist der Anspruch an die Voraussetzung einer Mindesthöhe von Wartezeiten geknüpft?

– Wird bei den Versicherungszeiten die Dau-er der Wochenarbeitszeit berücksichtigt, d.h. zwischen Vollzeit- und Teilzeitarbeit (einschließlich Minijobs mit Beitragspflicht) unterschieden?

– Handelt es sich um eine Rente, die der Steuer- und Beitragspflicht unterliegt, oder um einen einkommensgeprüften, steuerfi-nanzierten Transfer bzw. um eine Ergän-zung der Grundsicherung?

– Gilt die Aufstockung nur für den Renten-neuzugang oder auch für den Rentenbe-stand?

– Werden Einkommen auf die Mindestleis-tung angerechnet, wenn ja in welcher Höhe, gibt es je nach Art des Einkommens besondere Anrechnungsfreibeträge, be-trifft dies nur das Individual- oder auch das Partnereinkommen?

– Wenn es eine Einkommensanrechnung gibt, wer bzw. welche Institution soll die Einkommensprüfung vornehmen?

Je höher bei gleichzeitig sinkendem Renten-niveau die Mindestrente angesetzt wird und je großzügiger die Bezugsvoraussetzungen ausfallen, umso größer wird auch der Kreis der ZugangsrentnerInnen (und in der Konse-quenz auch der Bestandsrentner) sein, die davon begünstigt werden. Mindestrenten und lohn- und beitragsbezogene Renten ver-schmelzen, d.h. für immer mehr Renten spielt deren Berechnung nach der Rentenfor-mel keine Rolle mehr. Dies lässt sich exemp-larisch an der Position der Linken verdeutli-chen, die in ihrem Wahlprogramm 2013 (Birk-wald u. Brütt 2012) eine bedingungslose Min-destrente für alle (!) über 65-jährigen in Höhe von 1.050 Euro netto fordern: – vorleistungsunabhängiger Nettoanspruch in dieser Höhe entspricht im Jahr 2014 einer Bruttorente von etwa 1.180 Euro. Damit ist in den neuen Ländern die Standardrente (1.158 Euro, 1. Jahreshälfte 2014) abge-

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Wenn sich insofern das Prinzip der Teilhabe-äquivalenz auf einen kleiner werdenden Teil der Rentner beschränkt, gerät die beitragsfi-nanzierte Rentenversicherung in eine Akzep-tanzkrise: Versicherte, die im Verlauf ihres Arbeitslebens hohe Beiträge gezahlt haben, werden gleichgestellt mit jenen, die keine entsprechenden Vorleistungen erbracht haben. Dieser partielle Systemwechsel im Namen der Armutsbekämpfung kann sich dann schleichend zu einem vollständigen Systemwechsel entwickeln, wenn parallel zum sinkenden Rentenniveau die Lohn- und Beitragsbezogenheit der Rente und ihre Lebensstandardsicherungsfunktion schließ-lich ganz unbedeutend und auf die private und betriebliche Vorsorge übertragen werden (Schäfer 2014).

Bei allem spielt – last but not least – die Frage der Gegenfinanzierung eine entscheidende Rolle. Man braucht in Zeiten des Wirksam-werdens von Schuldenbremse und Fiskalpakt aber nicht viel Fantasie, um zu erwarten, dass der Mehraufwand bei der Mindestrente nicht zu einem insgesamt steigenden Bundeszu-schuss an die Rentenversicherung führen wird, sondern zu Lasten der Finanzierung der Regelausgaben der Rentenversicherung geht. Der Druck auf das Rentenniveau dürfte sich verstärken. Dies bedeutet, dass am Ende von derartigen Reformen nicht nur „Gewinner“ stehen. Für die belastete Gruppe der Versicherten im mittleren und höheren Einkommensbereich verschlechtern sich die Beitragsrenditen. Auch deswegen würde die Rentenversicherung im Vergleich zu kapitalbasierten und rein äquivalenzbe-zogenen Vorsorgeformen an Akzeptanz ver-lieren.

Die Zukunft der Alterssicherung hängt davon ab, welche Ziele erreicht werden sollen. Wenn Konsens darüber besteht, dass es Auf-gabe des Sozialstaates ist, im Alter nicht nur Armutslagen zu vermeiden, sondern auch den Lebensstandard auf einem verlässlichen Niveau zu sichern, geht an einer Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung kein Weg vorbei. Dies schließt nicht aus, die Bedingun-gen der privaten und betrieblichen Vorsorge zu verbessern. Aber die Folgen einer weiteren und dauerhaften Absenkung des Leistungs-niveaus der Rentenversicherung lassen sich

deckt. In den alten Ländern liegt die Stan-dardrente mit 1.266 Euro nur etwas höher (DRV 2014).

– Stellt man auf die tatsächlichen Rentenzahl-beträge ab, so lagen 2014 in den alten Bundesländern 62,4 % der Männer- und 96,2 % der Frauenrenten unter diesem Betrag. In den neuen Bundesländern waren es 71,2 % bzw. 94,6 % (DRV 2014).

Eine sehr große Zahl der RentnerInnen, die mit ihrer Rente den Nettowert von 1.050 Euro unterschreiten und die auch keine wei-teren Einkommen mehr haben, hätte dann Anspruch auf einen entsprechenden Aufsto-ckungsbetrag. Die Schritte zur Füllung von Versicherungslücken und zur Höherbewer-tung von Anwartschaften würden sich gleich-sam erübrigen, da die Mindestrente ohnehin, auch nach einer nur kurzen versicherungs-pflichtigen Beschäftigung, gezahlt wird. Das gilt gleichermaßen für die arbeitsmarktbezo-genen Reformforderungen, denn bei einer hohen Mindestrente haben Niedriglöhne, Zei-ten von Arbeitslosigkeit, Mini-Jobs und Teil-zeitarbeit keine entscheidenden negativen Folgen für die spätere Rente mehr.

Wird der Betrag niedriger angesetzt und der Anspruch an eine bestimmte Zahl von Versi-cherungszeiten, d. h. an langjährig Versi-cherte, gebunden, verringert sich der Kreis der Begünstigten entsprechend. Beispielhaft ist dafür die von den Grünen geforderte „Garantierente“ (z.B. Strengmann-Kuhn u. Jacobi 2012). Gleichwohl stellt sich auch hier das Problem, dass eine Garantie eines Min-destbetrags den Lohn- und Beitragsbezug der Rente bis hin zum mittleren Einkom-mensbereich auflöst und dies umso mehr, je tiefer das Rentenniveau sinkt. Auch bei die-sem Modell kommt es also zu einem grund-sätzlichen Bruch mit den Grundlagen der Gesetzlichen Rentenversicherung. Dazu trägt auch bei, dass die Rentenversicherung nun-mehr Einkommensüberprüfungen überneh-men soll. Auf der anderen Seite werden nach diesem Modell Alterseinkommen aus der betrieblichen und privaten Altersvorsorge pri-vilegiert, da sie zu zwanzig Prozent anrech-nungsfrei bleiben sollen, um den Anreiz zur betrieblichen und privaten Altersvorsorge weiter zu stärken. Zugleich wird die Absen-kung des Rentenniveaus ausdrücklich betont.

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über diesen Weg nicht vermeiden. Im Ergeb-nis würde die Rente zu einer Art auf Armuts-vermeidung abzielenden Basisabsicherung mutieren, wie dies in den Konzepten einer Garantierente oder Mindestrente angelegt ist, während die Lebensstandardsicherung rein marktlich organisiert wird und mit hoher sozialer Selektion verbunden ist.Autoreninfo und Kontakt:Professor Dr. Gerhard Bäcker lehrte bis 2012 ‚Soziologie des Sozialstaates‘ an der Univer­sität Duisburg Essen und ist seitdem als Research Fellow in der Forschungsabteilung ‚Flexibilität und Sicherheit‘ des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg Essen tätig.

Kontakt: gerhard.baecker@uni­due.de

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Lebenswege in die Altersarmut – Biografische Analysen und sozialpolitische Perspektiven

Antonio Brettschneider u. Ute Klammer (2016), Duncker & Humblot, Berlin;Sozialpolitische Schriften, Band 94

In der Sozialpolitikforschung ist »Altersar-mut« inzwischen wieder zu einem breit dis-kutierten Thema geworden. Die Studie befasst sich mit den biografischen und struk-turellen Determinanten der Grundsicherungs-bedürftigkeit im Alter und darauf aufbauend mit der Frage nach zielführenden und ursa-chengerechten sozialpolitischen Strategien zur Begrenzung zukünftiger Altersarmut. Gegenstand des empirischenTeils ist die typi-sierende Rekonstruktion und Analyse von Lebensverläufen und Altersvorsorgebiogra-fien, die im Ergebnis zu einer Angewiesen-heit auf Leistungen der Grundsicherung im Alter geführt haben. Auf der Basis biogra-fisch-problemzentrierter Interviews mit grundsicherungsbedürftigen Seniorinnen und Senioren der Geburtsjahrgänge 1938–1947 werden zentrale Risikogruppen identifiziert sowie typische Biografiemuster und Risiko-konstellationen analysiert und anhand von konkreten Fallbeispielen verdeutlicht. Auf der Grundlage der empirischen Analysen ent-wickeln der Autor und die Autorin Grundzüge einer präventiv ausgerichteten, lebenslauf-orientierten und -begleitenden Alterssiche-rungspolitik, die auf die Gewährleistung eines existenzsichernden eigenständigen Alters-einkommens für alle Bürgerinnen und Bürger abzielt.

Quelle: Verlagsinformation

Veränderungen von Rentenüber-gangsformen und Erwerbs-dauern. Auswirkungen auf das individuelle Renteneinkommen

Laura Romeu Gordo u. Julia Simonson, Sozia­ler Fortschritt 2016, Band 65, Nr. 4, S. 77 – 83

Vor dem Hintergrund der Rentenreformen der letzten Jahre werden auf Basis von Panel-daten des Deutschen Alterssurveys (DEAS) Effekte von Ruhestandsübergängen und Erwerbsdauern auf individuelle Rentenein-kommen analysiert.Das durchschnittliche Renteneintrittsalter ist zwischen 1996 und 2011 um ein Jahr gestiegen und der Anteil der Personen, die direkt in den Ruhestand gehen, hat zugenom-men. Für Personen mit indirektem Renten-übergang ist die Distanz zwischen Ruhe-standseintrittsalter und Erwerbsaustrittsalter gestiegen. Sowohl längere Erwerbsdauern als auch direkte Ruhestandsübergange wir-ken sich positiv auf Renteneinkommen aus. Personen, die es nicht schaffen, sich an die Anhebung der Altersgrenzen in der gesetz-lichen Rentenversicherung anzupassen, haben daher geringere Renteneinkommen zu erwarten.

Quelle: Abstract

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Kurzinformationen aus der Altersforschung

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Schwerpunktheft Sozialer Fort-schritt 8 / 2015: Drei-Säulen-Mo-dell der Alters sicherung revisited

mit folgenden Beiträgen: – Joachim Lange: Editorial – Florian Blank: Die betriebliche Altersver­sorgung als Gegenstand der Sozialpolitik. Stand der Dinge und Weiterentwicklung Die betriebliche Altersversorgung (bAV) spielt seit der Rentenreform von 2001 eine neue Rolle im deutschen System der Alterssicherung – ihre Regulierung und Nutzung folgt nun nicht mehr nur personal-politischen Kalkülen, sondern auch einem sozialpolitischen Auftrag. Der Beitrag nimmt diese neue Rolle zum Ausgangs-punkt und nimmt eine Bestandsaufnahme der sogenannten „zweiten Säule“ des Sicherungssystems vor. Dabei werden ins-besondere empirische Erkenntnisse zu Verbreitung, Nutzungsbedingungen und Si-cherungslücken behandelt sowie Probleme der Weiterentwicklung der bAV aus sozial-politischer Perspektive diskutiert.

– Traute Meyer: Die dritte Säule in der Alters­sicherung – brauchen wir eine Neubewer­tung nach der Finanz­ und Wirtschaftskrise? Deutschland im europäischen Vergleich Die dritte Säule galt in der vergleichenden Sozialpolitikforschung schon vor der Finanz- und Wirtschaftskrise als ungeeignetes Instrument: Eigenverantwortlichkeit führt zu Sicherungslücken und das individuali-sierte Investitionsrisiko ist zu hoch. Die dritte Säule ist deshalb in europäischen Ländern auch nach Kürzungen für die sozia-le Sicherheit der Bevölkerung unwichtig. Sowohl die Bismarck-Länder, die sich auf die erste Säule stützen, als auch die Beve-ridge-Staaten, wo erste und zweite Säule entwickelt sind, verlassen sich nicht auf Selbstverantwortung, sondern garantieren einen großen Teil der Rente gesetzlich oder durch andere kollektive Regelungen. Deutschland bildet hier eine Ausnahme, da-durch werden besonders Geringverdiener hohen Risiken ausgesetzt. Weitere Reformen sind deshalb nötig.

– Frank Nullmeier: Einstürzende Neubauten. Statikprobleme im Säulenmodell der Alterssicherung Politische Debatten und wissenschaftliche Analysen über die Entwicklung der Alters-sicherung in Deutschland orientieren sich an dem „Drei-Säulen-Modell“ als Metapher für die Gesamtstruktur der Altersvorsorge. Derzeitig entspricht die bundesdeutsche Alterssicherung aber eher einem Viersäu-lentempel mit höchst unterschiedlicher Stärke der einzelnen Säulen. Die Grundsi-cherung ist als vierte Säule hinzugekom-men, die Gesetzliche Rentenversicherung ist nach wie vor die stärkste und tragende Säule, die betriebliche Alterssicherung schwächelt und der Aufbau einer starken dritten Säule („Riester-Rente“) zur Kom-pensation der Leistungsreduktionen in der GRV ist gescheitert. Die jüngsten Reform-überlegungen zur betrieblichen Alterssi-cherung sind von der Vorstellung eines Zwei-Säulen- Modells getragen. Aus den in-ternationalen Organisationen (OECD, EU) kommen da gegen Konzepte, die Sicherung im Alter an sechs Hauptquellen der Versor-gung mit Gütern, Dienstleistungen und Ein-kommen zu orientieren.

– Axel Reimann: Herausforderungen für die Weiterentwicklung der Alterssicherung Mit den Reformmaßnahmen in der Alters-sicherung zu Beginn des Jahrtausends trat das Leitbild der Lebensstandardsicherung aus mehreren Säulen an die Stelle der lebensstandardsichernden Rente. Vor dem Hintergrund veränderter Rahmenbedingun-gen (u. a. Kapitalmärkte, Verbreitung zu-sätzlicher Vorsorge) sind die Maßnahmen teilweise in Kritik geraten. Vor der Diskussi-on einer Neujustierung des Drei-Säulen-Systems sollte jedoch die konsequente Umsetzung des aktuellen Leitbildes stehen. Nachholbedarf besteht in der zweiten und dritten Säule u. a. bei der Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos und von Hinter-bliebenen. Herausforderungen für die Alterssicherung liegen darüber hinaus u. a. in den Bereichen Niedriglohn und Alters-sicherung, der Alterssicherung nicht obliga-torisch gesicherter Selbständiger und der Rentenangleichung Ost / West.

Quelle: ebd., Abstracts

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ter verfolgt werden. So setzt eine Vielzahl von Reformvorschlägen zur Vermeidung von künftiger Altersarmut ursachenunabhängig allein auf eine Aufstockung niedriger Renten und adressiert die Problembewältigung damit an die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) – die in dieser Streubreite darauf nicht ausge-richtet ist. Dass in anderen Sozialsystemen – namentlich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – möglicherweise erfolgversprechendere Maßnahmen zur Ver-meidung von Altersarmut möglich sind, gerät dabei wegen eines vermeintlich negativen Images der Grundsicherung aus dem Blick.

Bestandsaufnahme und Perspektiven

Basis aller Überlegungen zur Vermeidung von Altersarmut sollte eine fundierte Bestands-aufnahme der aktuellen Situation sowie der Entwicklung in der absehbaren Zukunft sein. Dafür lassen sich grundsätzlich verschiedene Konzepte der Armutsmessung zugrunde legen: Im sozialwissenschaftlichen Diskurs wird häufig der relative – auf Verteilungs-maße bezogene – Begriff der Armutsgefähr-dung verwendet. Armutsgefährdung wird dabei am äquivalenzgewichteten Medianein-kommen gemessen. Demgegenüber soll hier im Folgenden der mehrheitlich sozialpolitisch verwendete Armutsbegriff, verstanden als Fürsorgebedürftigkeit zur Sicherung des indi-viduellen soziokulturellen Existenzminimums, verwendet werden. Arm sind nach dieser Definition diejenigen, die ihren materiellen Bedarf nicht aus den verfügbaren Mitteln decken können und Grundsicherungsleistun-gen benötigen. Der Sozialstaat bekämpft Armut durch die Gewährung bedürftigkeits-geprüfter Leistungen, weshalb von Armut gesprochen werden kann, die dem Grundsi-cherungsbezug vorangeht.

Die Alterssicherungsdiskussion der vergan-genen 10 Jahren wurde fast ausschließlich als Altersarmutsdiskussion geführt. Getragen von einer nicht selten emotionalen öffentlich-medialen Aufbereitung wurde das vieldimen-sionale Thema „Alterssicherung“ sukzessiv immer stärker auf Altersarmut fokussiert und scheint mittlerweile fast darin aufzugehen. Im Ergebnis ist die Vorstellung, am Ende des Erwerbslebens zu wenig für das Alter vorge-sorgt zu haben und fürsorgebedürftig zu wer-den, gesellschaftlich weit über jedes realisti-sche Maß hinaus verbreitet. Das hat Konse-quenzen für die Alterssicherung insgesamt, für das individuelle Vorsorgeverhalten, den politischen Reformdiskurs und letztlich auch für die Ausgestaltung des Alterssicherungs-systems.

Die populäre These, selbst langjährige Durch-schnittsverdiener kämen künftig auf eine so geringe Rente, dass sie im Alter armutsge-fährdet wären, ist zwar – nach allem, was heute über die künftige Entwicklung der Ren-ten bekannt ist – nicht zutreffend; gleichwohl kann sie aber das Armutsrisiko im Alter erhö-hen. Hierzu käme es beispielsweise, wenn Menschen angesichts derartiger Aussagen auf Altersvorsorge – sowohl in der gesetzli-chen Rentenversicherung als auch in der zweiten und dritten Säule – verzichten, weil sich das für sie vermeintlich ohnehin nicht lohnt und Grundsicherung im Alter vermeint-lich ohne eigenes Zutun zu haben sei. Eine irrationale Erwartung individueller Alters-armut birgt insofern das Risiko einer „self ful-filling prophecy“.

Überzogene Dramatisierungen können aber auch die Funktionalität des Alterssicherungs-systems generell beeinträchtigen, wenn dadurch vorschnell Festlegungen auf letztlich wenig erfolgversprechende Reformkonzepte verursacht oder andere, adäquatere Refor-mansätze zur Armutsvermeidung nicht wei-

Vermeidung von Altersarmut in der Rentenversicherung oder in der Grundsicherung?

Gundula Roßbach

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Betrachten wir die vorliegenden empirischen Analysen zum aktuellen Stand der Altersar-mut, zeigt sich ein unterdurchschnittlich pro-blematisches Bild: Aktuell liegt der Anteil der Grundsicherungsbezieher in der älteren Generation (65 Jahre und älter) mit rd. 3 % weit unter dem Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung mit rd. 9,5 %. Noch seltener beziehen GRV-Rentnerinnen und –Rentner Leistungen der Grundsicherung im Alter, nur 2,5 % der Rentenbezieher erhalten ergän-zend zu ihrer Rente Fürsorgeleistungen aus der Grundsicherung. Zumindest heute sind Menschen im Rentenalter weitaus seltener von Armut betroffen als Jüngere, insbeson-dere seltener als z.B. Langzeitarbeitslose, Familien mit mehreren Kindern oder Alleiner-ziehende. Allerdings lässt sich diese Tatsache nicht ohne weiteres in die Zukunft fortschreiben. So gibt es deutliche Hinweise auf Entwick-lungen – vor allem im Bereich der Arbeitswelt – die zu einer Zunahme der Altersarmut füh-ren können. So wird vermutet, dass z. B. die Ausweitung des Niedriglohnsektors, die Zunahme von Mini-Jobs und fragmentierten Erwerbsverläufen mit Phasen ohne obligato-rische Alterssicherung oder die seit mehre-ren Jahrzehnten zu beobachtende Zementie-rung eines Sockels von Langzeitarbeits-losigkeit zur Folge hat, dass der Anteil der Menschen mit Sicherungsdefiziten im Alter zunimmt.Die Grundsicherungsquote im Alter hat sich seit Schaffung dieser Leistungsart im Jahr 2003 von 1,7 % auf 3 % im Jahr 2014 – auf relativ niedrigem Niveau – deutlich erhöht. Differenzierte Analysen der Grundsiche-rungszugänge belegen, dass von denjenigen, die mit Erreichen des Rentenalters Leistun-gen der Grundsicherung beziehen, etwa drei Viertel bereits vorher Leistungen aus anderen Grundsicherungssystemen erhielten und insofern mit Erreichen der Altersgrenze nur das Fürsorgesystem gewechselt haben. Etwa ein Drittel kam direkt aus dem Arbeits-losengeld II-Bezug, weitere 30 % aus der Grundsicherung wegen Erwerbsminderung und 13 % aus der Sozialhilfe. Nur ein Viertel der 65- oder 66jährigen Bezieher von Grund-sicherung im Alter bezog unmittelbar vor Erreichen der Altersgrenze keine bedürftig-keitsgeprüfte Leistung. In Anbetracht dieser Ergebnisse lässt sich die Zunahme der

Grundsicherungsquoten im Alter zu einem nicht unwesentlichen Teil daraus erklären, dass die Betroffenen bereits vor Erreichen des Rentenalters arm waren, die Armut also sozusagen „mitgealtert“ ist.

Unterschiedliche strategische Ansätze

Bei der Bekämpfung von Armut generell und von Altersarmut im Besonderen kann unter-schieden werden zwischen nachsorgenden (d.h. Armut ausgleichenden oder kompensie-renden) und präventiven (d.h. die Entstehung von Armut vermeidenden) Ansätzen. Das bestehende System der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung basiert auf dem Nachsorge-Prinzip; im Alter bestehende finanzielle Versorgungsdefizite werden durch Transferzahlungen ausgeglichen. Ein Vorteil eines solchen nachsorgenden „Reparatur-Ansatzes“ liegt darin, dass er sich auf ein Verteilungs(end)ergebnis bezieht und inso-fern – bei statischer Betrachtung – eine effizi-ente Kompensation von bestehenden Versor-gungsdefiziten ermöglicht. Auch könnte als vorteilhaft gesehen werden, dass erst dann Maßnahmen ergriffen bzw. Leistungen erbracht werden müssen, wenn Fürsorgebe-darf tatsächlich eingetreten ist.Eine präventive Betrachtung hat hingegen den Vorteil, das Entstehen von Altersarmut so weit wie möglich zu vermeiden und eine spätere Kompensation durch Transferzahlun-gen dadurch überflüssig zu machen. Eine der-artige, an den Ursachen der Entstehung von Altersarmut ansetzende („ursachenad-äquate“) Strategie zur Vermeidung von Altersarmut wird von der Rentenversiche-rung bereits seit längerem in den Diskussi-onsprozess eingebracht. Der Ausgleich von Sicherungsdefiziten im Alter durch Transfer-zahlungen würde sich dadurch sicher nicht völlig vermeiden, vermutlich aber doch deut-lich einschränken lassen.

Ursachenadäquate Strategie zur Vermeidung von Altersarmut

Nach derzeitigem Kenntnisstand lassen sich verschiedene Ursachenkomplexe für ein erhöhtes Armutsrisiko im Alter identifizieren, an denen eine ursachenadäquate, präventive

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Strategie zur Vermeidung von Altersarmut anknüpfen könnte: – Sicherungslücken im Alter entstehen, wenn Menschen im Laufe ihrer Erwerbs-phase längere Zeit eine nicht sozialversi-cherungspflichtige Tätigkeit ausüben und in dieser Zeit nicht freiwillig für das Alter vor-sorgen. Empirische Studien zeigen, dass insbesondere Selbständige – die in der Re-gel nicht obligatorisch in ein Sicherungssys-tem einbezogen sind – in deutlich höherem Maße von Altersarmut betroffen sind als abhängig Beschäftigte. Die obligatorische Einbeziehung aller Formen von Erwerbsar-beit in ein Alterssicherungssystem würde deshalb zur Verringerung von Altersarmut beitragen.

– Sicherungsdefizite entstehen zweifellos auch bei Personen, die über längere Zeit ih-res Lebens Arbeitslosengeld II beziehen. Zwar gelten diese Zeiten in der gesetzli-chen Rentenversicherung als Anrechnungs-zeiten, rentensteigernde Beiträge werden in diesen Zeiten aber nicht (mehr) entrich-tet. Dementsprechend sind Personen, die über längere Zeit ihres Lebens auf entspre-chende Transferleistungen angewiesen wa-ren, im Alter in erhöhtem Maße von Armut betroffen. Hier ist vor allem die Arbeits-marktpolitik aufgefordert, zur Vermeidung einer künftigen Altersarmut beizutragen, in-dem sie die (Wieder-) Beschäftigung dieser Personen erleichtert. Ob und ggf. in wel-cher Weise die rentenrechtliche Bewertung von Zeiten des Bezugs von Arbeitslosen-geld II, die in der Vergangenheit mehrfach geändert wurde (wieder) ausgeweitet wer-den sollte, wäre zu prüfen. Auch die im Zu-sammenwirken mit anderen rentenrechtli-chen Regelungen entstehenden Auswir-kungen wären sorgfältig zu analysieren.

– Die Gefahr, im Alter arm zu sein, erhöht sich zweifellos auch durch längere Phasen einer Tätigkeit im sog. „Niedriglohnbe-reich“. Dieses Problem kann erfolgverspre-chend wohl nur durch Maßnahmen der Ar-beitsmarkt- und/oder Tarifpolitik angegan-gen werden; das Rentenrecht kann hier al-lenfalls flankierend wirksam sein. Mit der Einführung des Mindestlohns ist inzwi-schen jedoch eine wirksame Lohnunter-grenze in das Entgeltgefüge eingezogen worden. Ob und ggf. in welcher Weise dar-über hinaus als Ergänzung flankierende

Maßnahmen im Bereich der Alterssiche-rung sinnvoll sind, wäre zu prüfen. Sicher-lich wäre die Rentenversicherung allerdings überfordert damit, aus Beitragsmitteln grundlegende Versäumnisse der Wirt-schafts- und Lohnpolitik im gesamten Er-werbsleben nachträglich im Rentenalter zu korrigieren.

– In erhöhtem Maße von Altersarmut betrof-fen sein dürften auch Personen, die bereits vor dem Rentenalter dauerhaft erwerbsge-mindert werden. Von den Beziehern einer Erwerbsminderungsrente der GRV erhalten heute rund 15 % ergänzende Leistungen der Grundsicherung! Im Rahmen der jüngs-ten Rentenreform – dem sog. „Rentenpa-ket“ von 2014 – waren deshalb auch einige Maßnahmen enthalten, mit denen die Er-werbsminderungsrente der GRV verbessert werden sollte. Diese Maßnahmen haben sich durchaus als erfolgreich erwiesen: Der durchschnittliche Zahlbetrag der Erwerbs-minderungsrenten lag 2015 mit 672 Euro immerhin um 59 Euro oder knapp 10 % über dem Wert des Rentenzugangs 2013, dem letzten kompletten Rentenzugang vor dem Rentenpaket. Ob diese Reformmaß-nahmen ausreichen oder ob hier weitere Schritte erforderlich sind, wird zu analysie-ren sein. Auf jeden Fall darf nicht vergessen werden, dass die Reformgesetze 2000ff. vorsahen, allen Versicherten eine ergänzen-de Invaliditätsabsicherung zu vertretbaren Konditionen in der zweiten und dritten Säu-le zu ermöglichen, um die Rentenniveau-senkung zu kompensieren. Auch 15 Jahre nach dem Einstieg in die Lebensstandard-sicherung aus drei Säulen sind die Absiche-rungsmöglichkeiten dieses Risikos in der zweiten und dritten Säule der Alterssiche-rung immer noch nicht hinreichend. Hier besteht Handlungsbedarf.

– Nicht zuletzt können Sicherungslücken auch entstehen, wenn es zu längeren Er-werbsunterbrechungen, etwa im Kontext der Kindererziehung, kommt. Dieses Prob-lem war zu Zeiten des in Westdeutschland weit verbreiteten sog. Ernährermodells noch wenig präsent, weil die erziehenden Frauen mit ihren häufig erwerbsfernen Bio-grafien in der Rentenversicherung kaum in Erscheinung traten. Mit dem Anstieg der Frauenerwerbsbeteiligung wurden die er-ziehungsbedingten Erwerbsunterbrechun-

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gen jedoch stärker sichtbar. Auch heute noch stellen sie immer noch ein typisches Merkmal von Frauenerwerbsbiografien dar. Allerdings belegen Studien, dass die Dauer der „Versicherungslücken“ wegen Kinder-erziehung – nicht zuletzt wegen der ausge-weiteten Kindererziehungszeiten – sukzes-siv abnimmt. Hinzu kommt aber, dass in An-betracht von steigenden Scheidungsquoten und immer mehr alleinerziehenden Eltern, zugleich auch die im Ehekontext abgeleite-te Sicherung über das Partnereinkommen abnimmt. Ursachenadäquat könnte das dar-aus entstehende Armutsrisiko durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Erwerbstätigkeit von Müttern bekämpft werden.

– Schließlich kann auch das sinkende Leis-tungsniveau in der GRV als zusätzlicher In-dikator für einen Anstieg der Altersarmut angesehen werden. Mit den Reformmaß-nahmen der frühen 2000er Jahre ist die schrittweise Absenkung des Leistungs-niveaus der gesetzlichen Rentenversiche-rung eingeleitet worden, um so den demo-grafisch bedingten Beitragssatzanstieg zu dämpfen. Um den früheren Lebensstandard auch im Rentenalter aufrecht zu halten, ist es deshalb nun im Regelfall erforderlich, neben der gesetzlichen Rente auch An-sprüche in der betrieblichen oder privaten Zusatzvorsorge aufzubauen. Die Zusatzvor-sorge wird zwar vom Staat mit erheblichen finanziellen Mitteln gefördert; ihre Verbrei-tung ist jedoch vor allem in der Gruppe der Niedrigeinkommensbezieher nach wie vor nicht flächendeckend. Zudem fallen ange-sichts der aktuellen Niedrigzinsphase die Leistungen der Zusatzvorsorge vermutlich geringer aus als erwartet. Wird jedoch auf Zusatzvorsorge verzichtet oder sind deren Erträge zu gering, werden im Alter Versor-gungsdefizite wahrscheinlicher.

Insgesamt lassen sich somit auf Basis diffe-renzierter Ursachenanalysen durchaus eine Reihe von Ansatzpunkten finden, wie einem Anstieg der Altersarmut mit gezielten Maß-nahmen entgegen gewirkt werden könnte. Sie würden nicht erst dann eingreifen, wenn Altersarmut eingetreten ist und mit staatli-chen Transferzahlungen ausgeglichen wer-den muss, sondern präventiv wirken. Je erfolgreicher diese Maßnahmen sind, umso

weniger Menschen bedürften dann im Alter einer zusätzlichen staatlichen Unterstützung. Ein Restrisiko wird aber bleiben. Insofern stellt sich auch die Frage nach einer mög-lichst effektiven und effizienten Nachsorge-strategie und – damit zusammenhängend – in welchem Leistungssystem die nachsorgende Armutsbekämpfung systematisch am besten implementiert werden kann: in der GRV oder in der Grundsicherung.

Nachsorgende Armutsbekämpfung in der GRV?

Die GRV hat in den vergangenen 50 Jahren mit dynamischer Rente ganz zweifellos wesentlich dazu beigetragen, dass Altersar-mut in Deutschland in den 60er und 70er Jah-ren zunächst deutlich abgebaut und seither auf einem sehr geringen Niveau gehalten wurde. Das liegt allerdings nicht an armutsvermei-denden Regelungen des Rentenrechts, sondern ist vor allem das Ergebnis der dyna-mischen Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Lohnentwicklung in Deutschland. Spezielle Regelungen, die zielgerichtet Altersarmut in jedem Fall vermeiden sollen, gibt es in unse-rem Rentenrecht nicht. Die oftmals in diesem Zusammenhang angeführte „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ wurde ursprünglich mit dem Ziel eingeführt, die Entgeltdiskrimi-nierung von Frauen rentenrechtlich zu kom-pensieren. Dazu werden unter bestimmten Voraussetzungen – z.B. das Vorliegen von 35 Versicherungsjahren – deutlich unterdurch-schnittliche Entgelte aus den Jahren vor 1992 rentenrechtlich um 50 %, maximal aber auf 75 % des Durchschnittsverdienstes aufge-wertet. Für Zeiten ab 1992 wurde die Rege-lung abgelöst durch eine – allerdings häufig stärker ausfallende – rentenrechtliche Auf-wertung von Zeiten mit unterdurchschnitt-lichem Entgelt, sofern gleichzeitig ein Kind unter 10 Jahren erzogen wird. Im Ergebnis fällt bei beiden Regelungen die Rente höher aus, als es den jeweiligen Beitragszahlungen entsprechen würde. Ob diese Maßnahmen aber dazu führen, dass Versicherte zu einem ausreichenden – Armut vermeidenden – Alterseinkommen kommen, die ohne diese Regelungen im Alter arm wären, bleibt dabei aber ebenso offen wie die

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Frage, ob die Regelung auch Renten von Per-sonen erhöhen, die auch ohne die Erhöhung nicht arm gewesen wären. Diese Fragen kön-nen im Einzelfall schon deshalb nicht beant-wortet werden, weil die Rentenversicherung weder den für die Armutsvermeidung not-wendigen Finanzbedarf der Betroffenen kennt noch deren übrigen Einkommen im Haushaltskontext. Im Hinblick auf das Ziel „Armutsvermeidung“ ist die Zielgenauigkeit dieser Maßnahmen also grundsätzlich offen. Aktuelle Auswertungen der Grundsiche-rungsstatistik zeigen jedenfalls, dass die GRV-Rentnerinnen und -Rentner unter den Grundsicherungsbeziehern überwiegend sehr niedrige Renten beziehen: Ein Drittel erreicht Rentenleistungen unter 300 Euro, ein weiteres Drittel liegt mit den angerechne-ten Rentenleistungen zwischen 400 und 600 Euro. Nur etwa 13 % aller Grundsicherungs-empfänger verfügen über Versichertenrenten von 600 Euro oder mehr. Bei den übrigen 87 % der Grundsicherungsbezieher klafft hin-gegen eine so große Lücke zwischen der eigenen Rente und dem Armut vermeiden-den individuellen Einkommensbedarf im Alter, dass diese auch mit einer auf die Zeiten ab 1992 ausgeweiteten Regelung der „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ oder einer Aufstockung niedriger Renten nach dem Bei-spiel der Lebensleistungsrente kaum geschlossen werden könnte. Das gilt natür-lich noch mehr für jene 24 % der Grundsiche-rungsempfänger, die keine GRV-Rente bezie-hen; hier blieben alle Ansätze, die eine Anhe-bung niedriger Renten vorsehen, wirkungs-los. Kompensatorische Bekämpfung von Altersar-mut in der Rentenversicherung durch die Auf-stockung niedrigerer GRV-Renten begegnet darüber hinaus einem weiteren grundsätzli-chen Problem. Armut – also das Fehlen der für die Existenzsicherung notwendigen finan-ziellen Mittel – ist einerseits immer vom indi-viduellen Bedarf der Betroffenen und ande-rerseits von der Höhe der ihm zur Verfügung stehenden Mittel abhängig. Beide – der Min-destbedarf zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums ebenso wie die zur Verfü-gung stehenden Mittel – sind aber individuell sehr unterschiedlich. Wer z.B. aus gesund-heitlichen Gründen einer speziellen Ernäh-rung bedarf oder hohe Wohnungskosten hat, weil er in einem Ballungsraum wohnt,

braucht mehr Mittel zur Existenzsicherung als jemand, der auf dem Lande wohnt und keine besondere Ernährung benötigt. Armutsbekämpfung muss sich deshalb am individuellen Bedarf orientieren; er wird fol-gerichtig im Rahmen der Grundsicherung als dem für die Sicherung des Existenzmini-mums zuständigen Sozialleistungssystem ermittelt. Dabei zeigt sich, dass diese Werte sehr unterschiedlich sind: So lag der Brutto-bedarf der Grundsicherung im Alter im Jahr 2012 bei etwa 25 % der Leistungsbezieher unter 600 Euro, bei 30 % hingegen über 800 Euro, bei 6 % sogar über 1000 Euro im Monat. Das macht deutlich: Einen einheitli-chen „armutssicheren“ Grenzbetrag kann es nicht geben. Ob eine wie auch immer gear-tete Aufstockung niedriger Renten im Einzel-fall dazu führt, dass der notwendige, für die individuelle Existenzsicherung erforderliche Mindestbedarf erreicht wird, ist ungewiss. Ebenso wie der Mindestbedarf, der zur Exis-tenzsicherung erforderlich ist, sind auch die verfügbaren Einkünfte der Menschen sehr unterschiedlich. Bei der Frage, ob die indivi-duellen Einkünfte den notwendigen Mindest-bedarf nicht decken und insofern Armut vor-liegt, geht es stets um die Gesamtheit aller Einkünfte, nie allein um die Rente. Eine Rente von 400 Euro reicht bei jemandem, der keine weiteren Einkünfte hat, nicht aus, um den Mindestbedarf zu finanzieren; dieser Mensch wäre mit einer Rente von 400 Euro arm. Ein anderer Rentenbezieher, der neben einer Rente von 400 Euro noch eine Betriebs-rente, Kapitaleinkünfte und einen wohlhaben-den Ehepartner aufweist, ist mit 400 Euro Rente nicht arm. Die Vermeidung von Armut muss stets beide Aspekte berücksichtigen: den individuellen Mindestbedarf und die indi-viduell verfügbaren finanziellen Mittel. Bei-des aber ist der Rentenversicherung nicht bekannt und nicht handlungsleitend.

Dass die gesetzliche Rente allein kein beson-ders guter Indikator für Altersarmut ist, zeigen Analysen der Alterseinkommen von Beziehern und Bezieherinnen niedriger Altersrenten. Von allen Beziehern einer Altersrente mit einem Zahlbetrag von weni-ger als 600 Euro bezogen 2014 nur rd. 6 % Leistungen der Grundsicherung im Alter. Bei Renten von 600 bis 700 Euro lag die Grundsi-cherungsquote bei 4 %, bei Renten zwischen

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700 und 800 Euro betrug sie nur noch 1,4 %. Auch daraus lässt sich schließen, dass eine Aufstockung niedriger gesetzlicher Renten mit dem Ziel, Grundsicherungsbezug im Alter zu verhindern, vermutlich eine relativ geringe „Trefferquote“ hätte. Bei den Beziehern von Renten unter 600 Euro würde man mit einer Rentenaufstockung nur in rd. 6 % der Fälle Grundsicherungsbezug verhindern können, 94 % beziehen auch ohne Aufstockung keine Grundsicherung, etwa weil weitere Altersein-kommen – auch im Haushaltskontext – vor-handen sind.

Armutsbekämpfung in der Grund-sicherung

Die sozialstaatliche „Arbeitsteilung“ sieht vor, dass die Bekämpfung von (Alters-) Armut durch das subsidiäre Fürsorgesystem der vorleistungsunabhängigen Grundsicherung geleistet wird. Während in der Rentenversi-cherung die Leistungen nach festen, für alle Versicherten bundesweit grundsätzlich ein-heitlichen Regeln bestimmt werden, ist die Leistungshöhe in der Grundsicherung abhän-gig ist vom individuellen Mindestbedarf und der Bedürftigkeit – also dem Fehlen ausrei-chender Mittel zur Finanzierung des individu-ellen Mindestbedarfs – der Betroffenen. Die Grundsicherung verfügt über ein Instrumen-tarium, das speziell auf die Ermittlung der individuellen Bedarfe sowie der vorhandenen finanziellen Mittel zur Deckung dieser Bedarfe zugeschnitten ist. Mit der Grundsi-cherung besteht damit ein flächendeckendes und zielgenaues System der Armutskompen-sation im Alter, welches idealtypisch dann greift, wenn die Alterseinkommen – aus wel-chen Gründen auch immer – nicht reichen, aus eigener Kraft Armut im Alter zu vermeiden.

Beim Zusammenwirken von beitragserwor-benen Alterssicherungsleistungen aus der gesetzlichen RV sowie der zweiten und/oder dritten Säule einerseits und bedürftigkeitsori-entierten Fürsorgeleistungen andererseits entstehen jedoch systematisch problemati-sche Vorsorgeanreize, die bestehende Alters-armutsrisiken verstärken können. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Versicherte davon ausgehen, dass sie auch bei langjähriger Bei-tragszahlung durch ihre Vorsorge nur Alters-

sicherungsansprüche erwerben werden, die unter der am individuellen Mindestbedarf orientierten Grundsicherungsleistung liegen. In diesem Falle wird es aus subjektiver Sicht des Betroffenen vorteilhaft, auf die Altersvor-sorge zu verzichten – wodurch die befürch-tete Fürsorgebedürftigkeit im Alter unter Umständen gerade erst herbeigeführt wird. Das Zusammenspiel der vorleistungsbezoge-nen Systeme der Alterssicherung und der für-sorgeorientierten Grundsicherung kann inso-weit negative Vorsorgeanreize implizieren, die letztlich zu mehr Altersarmut und ent-sprechendem Grundsicherungsbedarf führen.

Derartige negative Anreize könnten allerdings durch die Implementierung von Schon- bzw. Freibeträgen in der Grundsicherung oder auch durch die Gewährung eines Zuschlags auf die Grundsicherungsleistung vermieden werden. Damit könnte sichergestellt werden, dass sich Vorsorge auch für Personen lohnt, bei denen die Leistungen aus den Alterssi-cherungssystemen allein nicht ausreichen, um den von der Grundsicherung abgedeck-ten Mindestbedarf zu finanzieren. Die Einfüh-rung von vorsorgebezogenen Freibeträgen würde damit auch die Verbreitung der Riester-Rente – oder anderer Formen der geförder-ten Vorsorge – in den unteren Einkommens-gruppen begünstigen und so – in der Umkeh-rung der oben dargestellten „self fulfilling prophecy“ – dazu beitragen, Altersarmut zu vermeiden

Fazit

Die gesetzliche Rentenversicherung funktio-niert im Wesentlichen nach dem Äquivalenz-prinzip, wonach versicherte Erwerbseinkom-men entsprechende Alterssicherungsanwart-schaften generieren und die Altersrente letzt-lich Erwerbsbiografien mit den darin enthaltenen Beitragszeiten und den erreich-ten Erwerbseinkommen bilanziert. Wenn dagegen in der Rentenversicherung sowohl das Vorliegen dieser rentenbegründenden Vorleistungen als auch deren Fehlen hono-riert wird, stellt sich die Frage, ob ein solches System noch die notwendige gesellschaft-liche Akzeptanz in der Bevölkerung findet.

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Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Bei der Bekämpfung von Altersarmut sollten präventive Maßnahmen Vorrang haben, um schon die Entstehung von Altersarmut soweit wie möglich zu vermeiden. Die ver-bleibende nachsorgende Bekämpfung von Altersarmut sollte nicht in die gesetzliche RV verlagert werden, sondern systemgerecht bei der Grundsicherung verbleiben. Im Zusammenwirken von Alterssicherungssys-tem und Grundsicherung angelegte negative Vorsorgeanreize, die auch zur Entstehung von Altersarmut beitragen können, ließen sich durch die entsprechende Gestaltung der Grundsicherungsregelungen für die Anrech-nung von Einkünften von Alterssicherungs-systemen vermeiden. Autoreninfo und Kontakt:Gundula Roßbach ist Direktorin und ab 1.1.2017 Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, Berlin. Kontakt: gundula.rossbach@drv­bund.de

Aus der Altersforschung

Aus dem DZA

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

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Aus der Altersforschung

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Aus dem DZA

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Riester-Rente gescheitert: Abriss oder Sanierung? Titelthema Soziale Sicherheit, Heft 4 / 2016

Das Heft widmet sich der Reform der Riester-Rente mit folgenden Beiträgen: – Hans­Nakielski: Riester­Rente im Mittel­punkt der neu entflammten Rentendebatte

– Markus Kurth: Zur Zukunft der privaten Alters­vorsorge und zum Vorschlag der Grünen Verschiedene Reformvorschläge zur Ries-ter-Rente liegen auf dem Tisch, darunter auch der Grünen Bundestagsfraktion. (…)Im Folgenden werden – im Anschluss an eine Skizze der zentralen Problemfelder – die gegenwärtig erwogenen Reformpfade und dabei insbesondere der Vorschlag der Grünen beleuchtet. (…) (ebd. S. 137)

– Gerhard Bäcker: Runderneuerung der Riester­Rente: Mehr von der falschen Medizin? (…) Die private Altersvorsorge – Herzstück des mit der Riester-Reform von 2001 einge-leiteten Paradigmenwechsels in der deut-schen Alterssicherung – steht in der politi-schen wie wissenschaftlichen Debatte un-ter massiver Kritik. (…) Die Grünen im Bun-destag haben mittlerweile einen Antrag zu einer umfassenden Runderneuerung der Riester-Rente vorgelegt. Doch brauchen wir tatsächlich eine runderneuerte, ausge-weitete private Altersvorsorge zur Lösung der anstehenden Alterssicherungs-Proble-me? (ebd. S. 143)

– Fünf Fragen zur Zukunft der Riester­Rente: an DGB­Vorstandsmitglied Annelie Bunten­bach

– Heiner Flassbeck: Das Problem der Ver­zinsung von Ersparnissen fürs Alter. Eine „kapitalgedeckte“ Rente gibt es nicht. Als in Deutschland die Riester-Rente einge-führt wurde, glaubte fast jeder, im Rahmen des so genannten Kapitaldeckungsver-fahrens würden die Zinsen auf private und öffentliche Anlagen auf Dauer weit über der

(impliziten) Verzinsung des Umlageverfah-rens bei der gesetzlichen Rente liegen. (…)Die folgende volkswirtschaftliche Analyse zeigt vielmehr, dass es bei einer steigenden Zahl von Netto-Sparern (fürs Alter) und einer sinkenden Zahl von Netto-Schuldnern kaum möglich sein wird, Zinsen auf Kapital fürs Altersvermögen ausgezahlt zu bekommen.

Die rentenpolitische Agenda 2030

Die Zukunftsfähigkeit der gesetzlichen Alterssicherung vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen

Nach der Reform ist vor der Reform. Diese Erkenntnis gilt auch für die Alterssicherung in Deutschland. Nachdem im Jahr 2014 mit dem Rentenpaket das finanziell umfangreichste Leistungspaket in der Rentenversicherung ver-abschiedet wurde, ist keineswegs Ruhe an der Rentenfront eingekehrt. Im Gegenteil: die Bewährungsprobe für die Zukunftsfähigkeit der umlagefinanzierten Rentenversicherung wird erst ab 2020 kommen. Auf kommende Probleme und Lösungen für den wichtigsten Eckpfeiler der Alterssicherung gehen die Auto-ren ein. In der Analyse der Ausgangslage grei-fen sie insbesondere das Normalarbeitsverhält-nis auf und schildern, wie sich die gesellschaft-lichen Grundlagen der Sozialversicherung schon verändert haben und noch verändern werden (Stichwort Arbeit 4.0). Daran anknüp-fend entwerfen sie Lösungen für die gesetz-liche Alterssicherung, die vom auskömmlichen Leistungsniveau über Flexibilisierung des Renteneintritts bis hin zu Veränderungen bei Prävention und Rehabilitation reichen.

R. Kreikebohm, U. Koakowski, S. Kochert u. J. Rodewald (2016), Berliner Wissenschafts­Verlag, Berlin Quelle: ebd.

Kurzinformationen aus Politik und Praxis der Altenhilfe

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Aus der Altersforschung

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Fachtagung Vielfalt und Wandel des Alters – Zwei Jahrzehnte Deutscher Alterssurvey (DEAS)

Am 05.10.2016 findet in der Berlin-Branden-burgischen Akademie der Wissenschaften (Berlin) die Fachtagung „Vielfalt und Wandel des Alters – Zwei Jahrzehnte Deutscher Alters-survey (DEAS)“ statt. Die Veranstaltung wird zusammen mit der Bundearbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) organi-siert und richtet sich an Politik, Praxis, Wissen-schaft und Medien sowie an die interessierte Öffentlichkeit. Auszug aus dem Programm: – Prof. Dr. Ursula Lehr, stellv. Vorsitzende der BAGSO: Begrüßung

– Dr. Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Bun­desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Grußwort

– Prof. Dr. Clemens Tesch­Römer: „20 Jahre Deutscher Alterssurvey“

– Dr. Julia K. Wolff: „Ist 60 heut die neue 40? Gesundheit im Kohortenvergleich“

– Dr. Katharina Mahne: „Zu Hause ist es doch am schönsten! Wohnung, Wohnumfeld und Nachbarschaft“

– Janna Franke: „Länger zufrieden arbeiten? Erwerbs tätigkeit und Übergang in den Ruhe-stand“

– Dr. Daniela Klaus: „Who cares? Sorgetätig-keiten und ihre Vereinbarkeit mit Erwerbs-tätigkeit“

– Anne Böger: „Ist sich heute jeder selbst der Nächste? Soziale Beziehungen und Einsamkeitsge fühle im Wandel“

– Franz Müntefering, Vorsitzender der BAGSO: Fazit und Ausblick

Um Anmeldung bis zum 09. September 2016 wird gebeten.

Report Altersdaten „Pflege und Unterstützung durch Angehörige“ Langzeitpflege bedeutet in Deutschland vor allem Pflege innerhalb der Familie. Die Leistungen der Angehörigen ermöglichen es gesundheitlich eingeschränkten Menschen, in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben, auch wenn sie den Alltag nicht mehr allein bewältigen können. Mit Daten der amtlichen Statistik, des Deutschen Alterssurveys (DEAS) sowie Befunden aus anderen Studien beleuch-tet dieser Report die Bereiche informelle Pflege im engeren Sinne und Unterstützung im Alltagsleben. Nach einem Überblick über die Entwicklung der häuslich versorgten Pflegebe-dürftigen widmet sich der Report den pflegen-den Angehörigen und ihren Lebensumstän-den. Einige ausgewählte Befunde des Reports im Überblick:

– Jede sechste Person zwischen 40 und 85 Jahren unterstützt und pflegt Angehörige. Jüngere unterstützen dabei meist ein Elternteil, Ältere häufig den / die PartnerIn.

– Pflege verteilt sich oft auf mehrere Schul-tern. Dabei tragen meist weibliche Famili-enmitglieder die Hauptlast.

– Über 70-Jährige unterstützen Angehörige etwas seltener als Jüngere, aber leisten dabei den höchsten zeitlichen Umfang.

– Jede dritte Person, die unterstützt und pflegt, fühlt sich dadurch stark belastet.

– Zwei Drittel der Personen unter 65 Jahren, die Pflege leisten, sind erwerbstätig. Die Pflege von Angehörigen führt oft zur Ein-schränkung des Erwerbsumfangs.

– Erwerbstätige sehen große Vereinbarkeits-probleme zwischen Beruf und Pflege. Sie wünschen sich mehr Flexibilität in der Ar-beitsgestaltung. Nur ein Fünftel der Unter-nehmen hält betriebsinterne Angebote für pflegende Angehörige bereit.

Download: www.dza.de

Aus dem Deutschen Zentrum für Altersfragen

Aus dem DZA

Aus dem DZA

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Informationsdienst Altersfragen im Internet: www.dza.de

DZA, Manfred-von-Richthofen-Str. 2, 12101 Berlin

PVST, Deutsche Post AG Entgelt bezahlt

A 20690


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