20 Grundlagen der Körpertheorie
Übersicht20.1 Körpererweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
20.2 Ring- und Körperadjunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
20.3 Algebraische Elemente. Minimalpolynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Körper wurden bereits im Abschnitt 13.7 eingeführt. Eigentlich kennt man auch schonaus der linearen Algebra den Begriff eines Körpers. In diesem ersten Kapitel zur Kör-pertheorie beginnen wir von Neuem: Wir definieren Körper, bringen zahlreiche Bei-spiele und führen die wichtigsten Begriffe wie Charakteristik, Primkörper, Grad einerKörpererweiterung, Körperadjunktion und algebraische Elemente ein. Mit diesen Be-griffen ausgerüstet können wir uns dann in einem weiteren Kapitel daran machen, dieeinfachsten Körpererweiterungen genauer zu untersuchen.
20.1 Körpererweiterungen
20.1.1 Definition und Beispiele
Ein kommutativer Ring K mit 1 ( = 0), in dem jedes von null verschiedene Elementinvertierbar ist, heißt Körper. Eine Auflistung aller Axiome findet man auf Seite 377.
Beispiel 20.1Es sind Q, R, C Körper.Es ist Q[i] = {a + i b | a, b ∈ Q} mit + und · aus C ein Körper. Allgemeiner istQ[
√d] für jedes quadratfreie d ∈ Z ein Körper (siehe Aufgabe 13.11).
Ist R ein kommutativer Ring mit 1, so ist für jedes maximale Ideal M von R derFaktorring R/M nach Korollar 15.17 ein Körper; die zwei wichtigsten Sonderfälle:
• Für jede Primzahl p ist Zp = Z/pZ = {0, . . . , p− 1} ein Körper mit p Elementen.Zur Erinnerung: Addition und Multiplikation sind gegeben durch
k + l = k + l , k · l = k l (k, l ∈ Zp) ;
und es gilt k = k′ genau dann, wenn ein m ∈ Z existiert mit k = k′ +mp.
C. Karpfinger, K. Meyberg, Algebra, DOI 10.1007/978-3-8274-3012-0_21,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
236 20 Grundlagen der Körpertheorie
• Für jedes irreduzible Polynom P ∈ K[X], dem Polynomring über einem KörperK, ist K[X]/(P ) ein Körper.
Für jeden Körper K ist der Quotientenkörper K(X) des Polynomrings K[X] einKörper – der Körper der rationalen Funktionen (vgl. Abschnitt 14.3.6).
Voraussetzung. Im Folgenden bezeichnetK = (K,+, ·) immer einen Körper mit Eins-element 1 = 1K . Es ist K× = K \ {0}.
20.1.2 Die Charakteristik eines Körpers
Zu jedem a ∈ K sind in üblicher Weise die ganzzahligen Vielfachen k a, k ∈ Z, durch
0a = 0 , n a = a+ · · ·+ a︸ ︷︷ ︸n Summanden
, (−n) a = n (−a) für n ∈ N
erklärt. Speziell für a = 1K = 1 gilt entweder
n 1 = 0 für alle n ∈ N oderes gibt ein n ∈ N mit n 1 = 0.
Im ersten Fall sagt man, K hat die Charakteristik 0 und schreibt CharK = 0, imanderen Fall ist die Charakteristik von K gleich der Ordnung der 1 in der additivenGruppe (K,+),
p = CharK = min{n ∈ N |n 1 = 0} .
Es ist p in diesem Fall eine Primzahl, weiter gilt p a = 0 für alle a ∈ K (vgl. Lemma13.4), und die Frobeniusabbildung
Φ :
⎧⎨⎩ K → K
a �→ ap
ist ein Ringmonomorphismus – wir nennen Φ in diesem Fall auch Frobeniusmono-morphismus (vgl. Lemma 13.5).Im Fall CharK = 0 ist mit a ∈ K, a = 0, auch n a = 0 für alle n ∈ N. Es folgtsomit na = n′ a für alle natürlichen Zahlen n = n′, insbesondere besitzt der KörperK unendlich viele Elemente.
Vorsicht. Im Fall CharK = p mit einer Primzahl p ist der Körper nicht zwangsläufigendlich, so enthält Z2 zwar nur zwei Elemente 0 und 1, aber der Körper der rationalenFunktionen Z2(X) =
{PQ |P, Q ∈ Z2[X], Q = 0
}unendlich viele Elemente – z.B. die
Monome 1, X, X2, . . . Wegen 1 + 1 = 0 in Z2(X) gilt CharZ2(X) = 2.
20.1 Körpererweiterungen 237
20.1.3 Teilkörper, Körpererweiterungen
Man nennt K ⊆ E einen Teilkörper von E und E einen Erweiterungskörper vonK sowie E/K eine Körpererweiterung, wenn K ein Teilring von E und als solcherein Körper ist, d. h. wenn gilt:
a, b, c ∈ K , c = 0 ⇒ a− b , a b , c−1 ∈ K .
Nach Lemma 2.7 gilt dann 1K = 1E, also auch CharK = CharE. Es heißt F einZwischenkörper von E/K, wenn F ein K umfassender Teilkörper von E ist. Esist dann K ⊆ F ⊆ E ein Körperturm, d. h. eine Familie ineinandergeschachtelterKörper.
Beispiel 20.2Es ist C/Q eine Körpererweiterung, Q also ein Teilkörper von C und C ein Erwei-terungskörper von Q, und R bzw. Q[
√19] ist ein Zwischenkörper von C/Q.
Es ist K(X)/K eine Körpererweiterung, und K(X2) (siehe Beispiel 14.3 auf Seite173) ist ein Zwischenkörper von K(X)/K.
20.1.4 Primkörper
Der Durchschnitt von Teilkörpern von K ist offenbar ein Teilkörper von K. Insbeson-dere ist der Durchschnitt P aller Teilkörper von K der kleinste Teilkörper von K. Erwird der Primkörper von K genannt:
P =⋂
{U |U ist ein Teilkörper von K} .
Der Isomorphietyp von P hängt nur von der Charakteristik von K ab:
Lemma 20.1Für den Primkörper P des Körpers K gilt:
(a) CharK = 0 ⇒ P = {(r 1) (s 1)−1 | r, s ∈ Z, s = 0} ∼= Q.
(b) CharK = p = 0 ⇒ P = {n 1 | 0 ≤ n < p} ∼= Zp.
Mit Worten heißt dies: Hat K die Charakteristik 0, so ist der Primkörper von K zu Qisomorph; ist die Charakteristik p = 0, so ist er zu Zp isomorph.
Beweis: Mit 1 liegen auch alle Vielfachen n 1 in P . Und die Abbildung
τ :
⎧⎨⎩ Z → P
n �→ n 1
238 20 Grundlagen der Körpertheorie
ist nach den Aussagen in 1.5 und 13.1 (d) ein Ringhomomorphismus.(a) Im Fall CharK = 0 gilt Kern τ = {0}, sodass Z ∼= τ(Z) = {n 1 |n ∈ Z} nach demMonomorphiekriterium in 13.3. Mit dem Satz 13.9 zur universellen Eigenschaft folgt
Q = Q(Z) ∼= {(r 1) (s 1)−1 | r, s ∈ Z, s = 0} ⊆ P .
Da jedoch P definitionsgemäß in allen Teilkörpern liegt, folgt Q = P .(b) Hier gilt Kern τ = pZ nach Lemma 5.1. Mit dem Homomorphiesatz 15.12 folgt
τ(Z) = {n 1 |n ∈ Z} ∼= Z/pZ = Zp ;
und Zp ist nach Satz 5.14 ein Körper. Demnach ist τ(Z) = {n 1 | 0 ≤ n < p} bereitsein Körper, enthalten in P , τ(Z) ⊆ P . Wie im Teil (a) folgt hieraus die Gleichheitτ(Z) = P .
20.1.5 Der Grad einer Körpererweiterung
Es sei L/K eine Körpererweiterung, d. h., K und L sind Körper und K ⊆ L. Diefolgende einfache Beobachtung ist grundlegend für die gesamte Körpertheorie: Es ist Lein Vektorraum über K. Die additive Gruppe (L,+) ist nämlich eine abelsche Gruppe,und es ist eine Multiplikation von Elementen aus Lmit Skalaren ausK erklärt, nämlichdie gegebene Multiplikation in L:
· :
⎧⎨⎩ K × L → L
(λ, a) �→ λa.
Aus den Körperaxiomen für L folgen unmittelbar die Vektorraumaxiome, denn fürλ, μ ∈ K, a, b ∈ L gilt
λ (a+ b) = λa+ λ b , (λ+ μ) a = λ a+ μa , (λμ) a = λ (μa) , 1 a = a .
Die Dimension dimK L des Vektorraums L über dem Grundkörper K bezeichnet manmit [L : K] und nennt sie denGrad von L/K; und die Erweiterung L/K heißt endlich,wenn [L : K] endlich ist, d. h. [L : K] ∈ N. Im Fall [L : K] = 2 spricht man von einerquadratischen Erweiterung. Man beachte
[L : K] = 1 ⇔ dimK L = 1 ⇔ L = K .
Bemerkung. Ist B ⊆ L eine Basis des Vektorraums L über K, so lässt sich jedesElement a ∈ L auf genau eine Weise in der Form
a = λ1 b1 + · · · + λn bn
mit λ1, . . . , λn ∈ K, b1, . . . , bn ∈ B und n ∈ N darstellen.
20.1 Körpererweiterungen 239
Beispiel 20.3[C : R] = 2. Das gilt wegen C = R+ R i, es ist also {1, i} eine R-Basis von (C,+).[Q[
√2] : Q] = 2. Wegen Q[
√2] = Q+Q
√2 ist {1,
√2} eine Q-Basis von (Q[
√2],+).
[K(X) : K] ∈ N; denn die Elemente 1, X, X2, . . . aus K(X) sind K-linear unab-hängig: Aus anXn+· · ·+a1 X+a0 = 0 mit a1, . . . , an ∈ K folgt an = · · · = a0 = 0.[K(X) : K(X2)] = 2, da {1, X} eine K(X2)-Basis von K(X) ist (man vgl. auchBeispiel 21.1 auf Seite 249).[R : Q] = |R| (siehe Aufgabe 20.3). Jede Q-Basis von (R,+) wird eine Hamelbasisgenannt. Eine solche ist nicht konstruktiv angebbar.
Bemerkung. Die einfache Beobachtung, dass L ein K-Vektorraum ist, ist fundamen-tal, weil so die Methoden der linearen Algebra genutzt werden können. Diese soge-nannte Linearisierung der Algebra (R. Dedekind, E. Noether, E. Artin) ist einer dermarkantesten Züge der modernen Algebra.
Wir bringen sogleich eine Anwendung dieses Konzepts für endliche Körper:
Lemma 20.2Jeder endliche Körper K ist eine endliche Erweiterung über seinem Primkörper P ∼=Zp, p = CharK. Falls [K : P ] = n, so hat K genau pn Elemente; ferner gilt ap
n
= a
für alle a ∈ K.
Beweis: Der Körper K ist eine Erweiterung seines Primkörpers P . Da K endlichist, kann es auch nur endlich viele über P linear unabhängige Elemente geben; alsogilt [K : P ] = n ∈ N. Ist (b1, . . . , bn) eine Basis von K über P , so lässt sich jedesa ∈ K eindeutig darstellen als a = λ1b1 + · · · + λnbn mit λ1, . . . , λn ∈ P , und es ista �→ (λ1, . . . , λn) ein P -Vektorraumisomorphismus von K auf Pn. Folglich gilt
|K| = |Pn| = |P |n = pn .
Bezüglich der Multiplikation istK× = K\{0} eine Gruppe der Ordnung pn−1, deshalbgilt ap
n−1 = 1 für alle a = 0 (nach dem kleinen Satz 3.11 von Fermat). Multiplikationdieser Gleichung mit a zeigt ap
n
= a für alle a ∈ K.
20.1.6 Der Gradsatz
Der folgende Gradsatz beherrscht die ganze Körpertheorie.
Satz 20.3 (Gradsatz)Für jeden Zwischenkörper E der Körpererweiterung L/K, K ⊆ E ⊆ L, gilt:
[L : K] = [L : E] · [E : K] .
240 20 Grundlagen der Körpertheorie
Genauer: Sind (vi)i∈I eine Basis von L/E und (wj)j∈J eine Basis von E/K, so ist
(wj vi)(j,i)∈J×I
eine Basis von L/K.
Beweis: Alle auftretenden Summen haben nur endlich viele Summanden = 0: Jedesa ∈ L hat die Form a =
∑i∈I ei vi mit ei ∈ E und jedes ei wiederum die Gestalt
ei =∑
j∈J ki jwj mit ki j ∈ K, sodass
a =∑
(i,j)∈I×J
ki j wj vi .
Somit ist (wj vi)(j,i)∈J×I ein K-Erzeugendensystem von (L,+). Aus
∑(i,j)∈I×J
ki j wj vi = 0 (ki j ∈ K) , d. h.∑i∈I
⎛⎝∑
j∈J
ki j wj
⎞⎠ vi = 0 , folgt
∑j∈J
ki jwj = 0
für jedes i ∈ I und damit ki j = 0 für alle i, j. Somit ist (wj vi)(j,i)∈J×I linear unab-hängig über K. Wegen |I| = [L : E], |J | = [E : K] und |J × I| = |I| · |J | gilt die imSatz angegebene Gradformel.
Korollar 20.4Für jeden Zwischenkörper E einer endlichen Körpererweiterung L/K, K ⊆ E ⊆ L,gilt:
(a) [L : E] und [E : K] sind Teiler von [L : K].
(b) [L : E] = [L : K] ⇒ E = K.
Das Korollar schränkt die Möglichkeiten für Zwischenkörper E einer endlichen Kör-pererweiterung L/K stark ein. So besitzt z. B. eine Körpererweiterung vom Prim-zahlgrad keine echten Zwischenkörper, d. h., jeder Zwischenkörper E einer solchenErweiterung L/K erfüllt E = L oder E = K.
Beispiel 20.4Die Körpererweiterung C/R hat keine echten Zwischenkörper.Für einen Körperturm K1 ⊆ K2 ⊆ · · · ⊆ Kn von Körpern K1, . . . , Kn folgt induk-tiv:
[Kn : K1] =
n−1∏i=1
[Ki+1 : Ki] .
Obwohl C = R, gilt [C : Q] = [C : R] · [R : Q] = [R : Q] (vgl. Abschnitt A.3.2).
20.2 Ring- und Körperadjunktion 241
20.2 Ring- und Körperadjunktion
Will man im Rahmen der Körpertheorie in einer Erweiterung L/K Aussagen übereine Teilmenge S ⊆ L machen, so beschränkt man sich oft zweckmäßigerweise auf dieUntersuchung des kleinsten Zwischenkörpers von L/K, der S umfasst. Es seien L/K
eine Körpererweiterung und S ⊆ L. Dann bezeichnet
K[S] den kleinsten Teilring von L, der K und S umfasst undK(S) den kleinsten Teilkörper von L, der K und S umfasst.
Diese Bezeichnung ist konsistent mit den bereits eingeführten BezeichnungenK[X], K(X), K[X2], K(X2), . . .. Man sagt, der Ring K[S] bzw. der Körper K(S)
entsteht aus K durch Adjunktion von S. Für S = {a1, . . . , an} schreibt manK(a1, . . . , an) anstelle von K({a1, . . . , an}), insbesondere K(a), falls S = {a}.
20.2.1 Einfache Körpererweiterungen
Gilt L = K(a) für ein a ∈ L, so heißen L/K eine einfache Körperweiterung und a
ein primitives Element von L/K.
Beispiel 20.5C/R ist einfach: C = R + R z = R[z] = R(z) für jedes z ∈ C \ R – jedes nichtreellez ∈ C ist also ein primitives Element.Für den Körper der rationalen Funktionen K(X) über K ist K(X)/K eine einfacheKörpererweiterung und X ein primitives Element.R/Q ist nicht einfach, da |Q(a)| = |Q| für jedes a ∈ R nach der Aussage (c) desfolgenden Lemmas 20.5 gilt; und bekanntlich gilt |Q| < |R|.Jede endliche Erweiterung L/K eines endlichen Körpers K ist einfach. Denn imFall [L : K] = n ∈ N besteht die K-Vektorraumisomorphie L ∼= Kn, insbesonderegilt |L| = |K|n, sodass L wieder endlich ist. Nach dem Korollar 14.9 ist die multi-plikative Gruppe L× zyklisch, d. h., es gibt a ∈ L, sodass L = {0, a, a2, . . . , am};insbesondere gilt L = K(a).
20.2.2 Darstellungen von K[S] und K(S)
Wir zeigen, wie sich die Elemente von K[S] und K(S) darstellen lassen – dies istmithilfe von Polynomen möglich:
Lemma 20.5Für jede Körpererweiterung L/K und beliebige s, s1, . . . , sn ∈ L und S, T ⊆ L gilt:
242 20 Grundlagen der Körpertheorie
(a) K(S) = {a b−1 | a, b ∈ K[S], b = 0} ∼= Q(K[S]).
(b) K(S ∪ T ) = (K(S))(T ).
(c) K[s1, . . . , sn] = {P (s1, . . . , sn) |P ∈ K[X1, . . . , Xn]}, insbesondere gilt
K[s] = {P (s) |P ∈ K[X]}.
(d) K[S] =⋃
V⊆S
V endlich
K[V ], K(S) =⋃
V⊆S
V endlich
K(V ).
Beweis: (a) Die Isomorphie von Q(K[S]) mit der Menge W := {a b−1 | a, b ∈K[S], b = 0} folgt aus dem Satz 13.9 zur universellen Eigenschaft: Man wähle dortϕ : K[S] → L, a �→ a. Daher ist W ein K ∪ S umfassender Körper, sodass K(S) ⊆ W
gilt. Offenbar gilt W ⊆ K(S).(b) folgt direkt aus den Definitionen.(c) Die rechte Seite der ersten (behaupteten) Gleichung ist nach Satz 14.13 (a), (c) einTeilring von L und enthält alle s1, . . . , sn. Daraus folgt die Gleichheit.(d) Offenbar liegen die rechten Seiten C :=
⋃V⊆S
V endlich
K[V ] und D :=⋃
V⊆S
V endlich
K(V )
in den linken. Zu a, b ∈ C existieren endliche V, V ′ ⊆ S mit a ∈ K[V ], b ∈ K[V ′].Es folgt a, b ∈ K[V ∪ V ′], also a ± b, a b ∈ K[V ∪ V ′] ⊆ C. Somit ist C ein K und S
umfassender Ring, sodass K[S] ⊆ C. Analog begründet man K(S) ⊆ D.
20.3 Algebraische Elemente. Minimalpolynome
Ist L/K eine Körpererweiterung, so ist ein Element a ∈ L über K algebraisch odertranszendent.
20.3.1 Algebraische und transzendente Elemente
Es sei L/K eine Körpererweiterung. Ein Element a ∈ L heißt
algebraisch über K, wenn es ein von null verschiedenes Polynom P ∈ K[X] gibtmit P (a) = 0.transzendent über K, wenn es nicht algebraisch ist, d. h., für P ∈ K[X] giltP (a) = 0 nur für das Nullpolynom P = 0.
Beispiel 20.6Jedes a ∈ K ist algebraisch über K, nämlich Nullstelle von X − a ∈ K[X].Die Unbestimmte X ∈ K(X) ist transzendent über K, denn für jedes Polynom P ∈K[X] mit P (X) = 0 folgt P = 0 (es gilt P (X) = P ). Die Unbestimmte X ist aberalgebraisch über K(X), X ist nämlich Nullstelle des Polynoms Y −X ∈ K(X)[Y ].
20.3 Algebraische Elemente. Minimalpolynome 243
Es sind π und e aus R transzendent über Q. Dies bewiesen Lindemann (1882) undHermite (1873). Die Beweise sind nicht einfach, wir verzichten darauf.Es ist i ∈ C algebraisch über R, nämlich Nullstelle von X2 + 1 ∈ R[X].Es ist 3
√2 ∈ R algebraisch über Q, denn P = X3 − 2 ∈ Q[X] erfüllt P ( 3
√2) = 0.
Für a =√2 + 3
√2 gilt (a2 − 2)3 = 2. Also ist a ∈ R algebraisch über Q, a ist
Nullstelle von X6 − 6X4 + 12X2 − 10 ∈ Q[X].Für a =
√3 + 5
√3 gilt
3 = (a−√3)5 = a5 − 5
√3 a4 + 10 · 3 a3 − 10 · 3
√3 a2 + 5 · 9 a− 9
√3 .
Damit gilt (5 a4+30 a2+9)√3 = a5+30 a3+45 a−3 und es folgt duch Quadrieren
a10 − 15 a8 + 90 a6 − 6 a5 − 270 a4 − 180a3 + 405 a2 − 270 a− 234 = 0 .
Folglich ist a ∈ R algebraisch über Q.
20.3.2 Das Minimalpolynom algebraischer Elemente
Nun seien L/K eine Körpererweiterung und a ∈ L algebraisch über K. Der Kern desEinsetzhomomorphismus
εa :
⎧⎨⎩ K[X] → L
P �→ P (a)
(vgl. Satz 14.5) ist nach Lemma 15.1 (a) ein Ideal Ia von K[X]. Da a algebraisch überK ist, gilt Ia = (0). Nach dem Homomorphiesatz 15.12 gilt
εa(K[X]) ∼= K[X]/Ia .
Da εa(K[X]) ⊆ L nullteilerfrei ist, ist auch der Ring K[X]/Ia nullteilerfrei. Somit istIa ein Primideal (vgl. Lemma 15.15). Da K[X] ein Hauptidealring ist, wird Ia voneinem Primelement, d. h. irreduziblen Element, P ∈ K[X] erzeugt: Ia = (P ) (vgl.die Aussagen in Lemma 18.2 und Korollar 18.5). Infolge K[X]× = K× und Lemma16.5 (b) gibt es genau ein – notwendig irreduzibles – normiertes Polynom ma,K mitIa = (ma,K). Man nenntma,K das Minimalpolynom von a über K. Begründet sind(a) und (b) von
Lemma 20.6Es sei a ∈ L algebraisch über K.
(a) Es ist ma,K normiert und irreduzibel, und a ist Nullstelle von ma,K .
(b) Für P ∈ K[X] gilt: P (a) = 0 ⇔ ma,K | P .
(c) ma,K ist durch die in (a) formulierten Eigenschaften eindeutig festgelegt undunter allen normierten Polynomen mit Nullstelle a dasjenige mit kleinstem Grad.
244 20 Grundlagen der Körpertheorie
(d) Es ist a über jedem Zwischenkörper E von L/K algebraisch, und ma,K ist inE[X] durch ma, E teilbar.
Beweis: (c) Es sei P ∈ K[X] irreduzibel und normiert, und es gelte P (a) = 0. Mit(b) folgt ma,K | P , sodass ma,K ∼ P . Wegen der Normiertheit folgt P = ma,K . Auchdie zweite Aussage folgt mit (b). (d) folgt ebenfalls mit (b).
Beispiel 20.7Für jedes a ∈ K gilt ma,K = X − a.Es ist X2 + 1 ∈ R[X] das Minimalpolynom von i ∈ C über R, d. h. mi,R = X2 + 1.Es ist a := 1√
2(1 + i) Nullstelle des normierten Polynoms X4 + 1 ∈ Q[X]. Mit
dem Reduktionssatz 19.8 – man reduziere modulo 3 – folgt, dass X4 + 1 in Z[X]
irreduzibel ist. Folglich ist X4 + 1 nach Lemma 19.4 (b) auch in Q[X] irreduzibel,sodass ma,Q = X4 + 1.Wegen
X4 + 1 = (X2 +√2X + 1) (X2 −
√2X + 1)
über Q(√2) bzw. R ist X4 + 1 hier zerlegbar. Es gilt
ma,Q(√
2) = ma,R = (X2 −√2X + 1) | ma,Q .
Es ist X2 − 2 ∈ Q[X] das Minimalpolynom von√2 ∈ R, d. h. m√
2,Q = X2 − 2.
Oftmals ist es durchaus schwierig, das Minimalpolynom eines über K algebraischenElementes zu bestimmen. In den folgenden Aufgaben findet man Beispiele, an denenman sich versuchen sollte.
Aufgaben
20.1 Es seien K ein Körper der Charaktistik p �= 0 und a �= 0 ein Element aus K. ZeigenSie: Für ganze Zahlen m, n gilt ma = na genau dann, wenn m ≡ n (mod p).
20.2 Bestimmen Sie (bis auf Isomorphie) alle Körper mit 3 und 4 Elementen.
20.3 Begründen Sie: [R : Q] = |R|.20.4 Man zeige: Die Charakteristik eines Körpers mit pn Elementen (p Primzahl) ist p.
20.5 Es sei P ∈ R[X] ein Polynom vom Grad 3. Begründen Sie: R[X]/(P ) ist kein Körper.
20.6 Es sei ϕ : K → K ein Automorphismus eines Körpers K. Zeigen Sie, dass F := {a ∈K |ϕ(a) = a} ein Teilkörper von K ist. Begründen Sie auch, dass für alle a aus demPrimkörper P von K gilt: ϕ(a) = a.
20.7 Es seien E und F Zwischenkörper einer Körpererweiterung L/K, und es bezeichne E Fden kleinsten Teilkörper von L, der E und F enthält. Für r := [E : K], s := [F : K]und t := [EF : K] beweise man die folgenden Aussagen:
20.3 Algebraische Elemente. Minimalpolynome 245
(a) t ∈ N ⇔ r ∈ N und s ∈ N.
(b) t ∈ N ⇒ r | t und s | t.(c) r, s ∈ N und ggT(r, s) = 1 ⇒ t = r s.
(d) r, s ∈ N und t = r s ⇒ E ∩ F = K.
(e) Es besitzt X3 − 2 ∈ Q[X] genau eine reelle Nullstelle 3√2 und zwei nichtreelle
Nullstellen α, α ∈ C. Für K := Q, E := K( 3√2) und F := K(α) zeige man:
E ∩ F = K, r = s = 3 und t < 9.
20.8 Bestimmen Sie den Grad der folgenden Teilkörper K von C über Q und jeweils eineQ-Basis von K:
(a) K := Q(√2,√3),
(b) K := Q(√18, 10
√2),
(c) K := Q(√2, i
√5,
√2 +
√7),
(d) K := Q(√8, 3 +
√50),
(e) K := Q( 3√2, u), wobei u4 + 6u+ 2 = 0,
(f) K := Q(√3, i).
20.9 Bestimmen Sie die Minimalpolynome ma, Q der folgenden reellen Zahlen a über Q:
(a) a := 12(1 +
√5),
(b) a :=√2 +
√3,
(c) a := 3√2 + 3
√4,
(d) a :=√
2 + 3√2.
20.10 Es seien p, q Primzahlen, p �= q, L = Q(√p, 3
√q). Man zeige:
(a) L = Q(√p 3√q).
(b) [L : Q] = 6.
20.11 Man zeige, dass für a, b ∈ Q gilt: Q(√a,
√b) = Q(
√a+
√b).
20.12 Es sei K := Q(√3, i, ε), wobei i, ε ∈ C mit i2 = −1 und ε3 = 1, ε �= 1 gelte.
(a) Bestimmen Sie [K : Q] und eine Q-Basis von K.
(b) Zeigen Sie, dass√3+ i ein primitives Element von K/Q ist und geben Sie dessen
Minimalpolynom über Q an.
20.13 Es sei a ∈ C eine Wurzel von P = X5 − 2X4 + 6X + 10 ∈ Q[X].
(a) Man bestimme [Q(a) : Q].
(b) Zu jedem r ∈ Q gebe man das Minimalpolynom von a+ r über Q an.
20.14 Eine Zahl a ∈ C heißt ganz algebraisch, wenn a Wurzel eines Polynoms P aus Z[X]mit höchstem Koeffizienten 1 ist. Man zeige:
(a) Zu jeder über Q algebraischen Zahl z gibt es ein a ∈ Z, sodass a z ganz algebraischist.
(b) Ist a ∈ Q ganz algebraisch, so ist bereits a ∈ Z.
(c) Ist a ∈ C ganz algebraisch, so sind auch a+m, ma mit m ∈ Z ganz algebraisch.