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Algebra || Die allgemeine Gleichung

Date post: 08-Dec-2016
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31 Die allgemeine Gleichung Übersicht 31.1 Symmetrische Funktionen ........................................... 359 31.2 Das allgemeine Polynom ............................................ 362 31.3 Die Diskriminante eines Polynoms * .................................. 364 31.4 Die allgemeine Gleichung vom Grad 3 * ............................... 366 31.5 Die allgemeine Gleichung vom Grad 4 * ............................... 369 Wir beenden nun diesen einführenden Kurs in die Algebra mit dem bedeutenden und berühmten Ergebnis von P. Ruffini und N.H. Abel. Salopp ausgedrückt besagt dieses Ergebnis: Es gibt keine allgemeine Lösungsformel mit den Operationen +, , ·, ·, mit der man aus den Koeffizienten eines Polynoms vom Grad 5 die Wurzeln dieses Polynoms ermitteln kann. Mit dem Beweis dieses Satzes endete eine etwa 200-jährige Suche nach einer solchen Formel, nachdem entsprechende Formeln für Polynome vom Grad 3 und 4 gefunden worden sind – wir leiten diese abschließend her. Der eigentliche Grund dafür, dass es solche Auflösungsformeln für Polynome vom Grad 2, 3 oder 4 gibt, für Polynome vom Grad 5 und höher aber nicht, liegt darin, dass die symmetrischen Gruppen S 2 ,S 3 und S 4 auflösbar sind, S n für n 5 jedoch nicht. Voraussetzung. Im Folgenden sind ein Körper K sowie n N gegeben. 31.1 Symmetrische Funktionen Unter einer symmetrischen Funktion werden wir – etwas salopp ausgedrückt – eine rationale Funktion in n Unbestimmten verstehen, die sich nach beliebiger Umnumme- rierung der Unbestimmten nicht ändert – klingt kompliziert, ist aber ganz einfach: C. Karpfinger, K. Meyberg, Algebra, DOI 10.1007/978-3-8274-3012-0_32, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
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31 Die allgemeine Gleichung

Übersicht31.1 Symmetrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

31.2 Das allgemeine Polynom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

31.3 Die Diskriminante eines Polynoms * . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

31.4 Die allgemeine Gleichung vom Grad 3 * . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366

31.5 Die allgemeine Gleichung vom Grad 4 * . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

Wir beenden nun diesen einführenden Kurs in die Algebra mit dem bedeutenden undberühmten Ergebnis von P. Ruffini und N.H. Abel. Salopp ausgedrückt besagt diesesErgebnis: Es gibt keine allgemeine Lösungsformel mit den Operationen +, −, ·,

√·,

mit der man aus den Koeffizienten eines Polynoms vom Grad ≥ 5 die Wurzeln diesesPolynoms ermitteln kann.Mit dem Beweis dieses Satzes endete eine etwa 200-jährige Suche nach einer solchenFormel, nachdem entsprechende Formeln für Polynome vom Grad 3 und 4 gefundenworden sind – wir leiten diese abschließend her.Der eigentliche Grund dafür, dass es solche Auflösungsformeln für Polynome vom Grad2, 3 oder 4 gibt, für Polynome vom Grad 5 und höher aber nicht, liegt darin, dass diesymmetrischen Gruppen S2, S3 und S4 auflösbar sind, Sn für n ≥ 5 jedoch nicht.

Voraussetzung. Im Folgenden sind ein Körper K sowie n ∈ N gegeben.

31.1 Symmetrische Funktionen

Unter einer symmetrischen Funktion werden wir – etwas salopp ausgedrückt – einerationale Funktion in n Unbestimmten verstehen, die sich nach beliebiger Umnumme-rierung der Unbestimmten nicht ändert – klingt kompliziert, ist aber ganz einfach:

C. Karpfinger, K. Meyberg, Algebra, DOI 10.1007/978-3-8274-3012-0_32,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

360 31 Die allgemeine Gleichung

Beispiel 31.1Es ist P = X1 X2 eine symmetrische Funktion in zwei Variablen, da auch P = X2 X1

gilt. Es ist P aber keine symmetrische Funktion in drei Variablen X1, X2, X3, daP = X1X2 + 0X3 aber P = X3 X2 + 0X1.

Weitere Beispiele folgen, aber zuerst eine strenge Definition.

31.1.1 Der Körper der symmetrischen Funktionen

Es sei L := K(X1, . . . , Xn) der Quotientenkörper des Polynomrings K[X1, . . . , Xn]

über K in den Unbestimmten X1, . . . , Xn, der sogenannte Körper der rationalenFunktionen in den Unbestimmten X1, . . . , Xn über K.Jede Permutation π von {X1, . . . , Xn} lässt sich nach den in den Sätzen 14.13 (b)und 13.9 geschilderten universellen Eigenschaften auf genau eine Weise zu einem K-Automorphismus fortsetzen, nämlich zu

π :P (X1, . . . , Xn)

Q(X1, . . . , Xn)�→ P (π(X1), . . . , π(Xn))

Q(π(X1), . . . , π(Xn))

für P, Q ∈ K[X1, . . . , Xn], Q = 0. Offenbar sind Δ := {π | π ∈ S{X1,..., Xn}} eineUntergruppe von Γ(L/K) und π �→ π ein Isomorphismus von S{X1,..., Xn} auf Δ,sodass also Δ ∼= Sn wegen S{X1,..., Xn} ∼= Sn.Der Fixkörper S := F(Δ) heißt der Körper der symmetrischen Funktionen inX1, . . . , Xn über K. Es gilt für P ∈ K[X1, . . . , Xn]:

P ∈ S ⇔ P (X1, . . . , Xn) = P (π(X1), . . . , π(Xn)) für jedes π ∈ S{X1,..., Xn} .

Demnach ist ein Polynom P genau dann eine symmetrische Funktion, wenn sich P

nach beliebiger Umnummerierung der Unbestimmten nicht ändert.

31.1.2 Die elementarsymmetrischen Funktionen

Zur konkreten Beschreibung des Körpers S der symmetrischen Funktionen wählt manzu X1, . . . , Xn eine weitere Unbestimmte X und betrachtet

Q :=

n∏i=1

(X −Xi) =

n∑i=0

(−1)i si Xn−i ∈ K(X1, . . . , Xn)[X] = L[X]

mit noch durch Ausmultiplizieren und Koeffizientenvergleich zu bestimmenden si =

si(X1, . . . , Xn) ∈ L = K(X1, . . . , Xn). Man achte auf die Nummerierung! Nun multi-plizieren wir

∏ni=1(X −Xi) aus und vergleichen die Koeffizienten. Wir erhalten dabei:

sk =∑

1≤i1<···<ik=n

Xi1 · · ·Xik .

31.1 Symmetrische Funktionen 361

D.h.

s0 = 1 ,

s1 = X1 + · · ·+Xn ,

s2 = X1 X2 + · · ·+X1 Xn +X2 X3 + · · ·+Xn−1 Xn ,

......

sn = X1 · · ·Xn .

Wegen∏n

i=1(X −Xi) =∏n

i=1(X −Xπ(i)) für alle π ∈ Sn erkennt man mittels Koef-fizientenvergleich si(X1, . . . , Xn) = si(Xπ(1), . . . , Xπ(n)). Somit sind die Funktionens1, . . . , sn in den Unbestimmten X1, . . . , Xn symmetrische Funktionen, d. h.:

Lemma 31.1Es gilt si ∈ S für i = 1, . . . , n, also K(s1, . . . , sn) ⊆ S.

Man nennt die Funktionen s1, . . . , sn die elementarsymmetrischen Funktionenin X1, . . . , Xn. Sie erzeugen den Körper der symmetrischen Funktionen S über K,d. h., es gilt K(s1, . . . , sn) = S – das ist Inhalt des Hauptsatzes über symmetrischeFunktionen, den wir nach den folgenden Beispielen beweisen.

Beispiel 31.2Im Fall n = 1 ist s1 = X1 die einzige elementarsymmetrische Funktion.Im Fall n = 2 sind s1 = X1+X2 und s2 = X1 X2 sämtliche elementarsymmetrischeFunktionen.Im Fall n = 3 sind s1 = X1 + X2 + X3, s2 = X1 X2 + X1 X3 + X2 X3 unds3 = X1 X2 X3 sämtliche elementarsymmetrische Funktionen.

31.1.3 Der Hauptsatz über symmetrische Funktionen

Die elementarsymmetrischen Funktionen s1, . . . , sn bilden ein algebraisch unabhängi-ges Erzeugendensystem von S/K; und L/S ist galoissch mit einer zu Sn isomorphenGaloisgruppe:

Satz 31.2 (Hauptsatz über symmetrische Funktionen)(a) Es gilt S = K(s1, . . . , sn), d. h., jedes Element aus S ist von der Form

P (s1,..., sn)Q(s1,..., sn)

mit P, Q ∈ K[X1, . . . , Xn], Q = 0.

(b) Es sind s1, . . . , sn algebraisch unabhängig über K, d. h.

P ∈ K[X1, . . . , Xn] und P (s1, . . . , sn) = 0 ⇒ P = 0 .

362 31 Die allgemeine Gleichung

(c) L/S ist galoissch, und Γ(L/S) ∼= Sn.

Beweis: (a) Nach obiger Betrachtung ist L der Zerfällungskörper von Q =∑ni=0(−1)i si X

n−i ∈ K(s1, . . . , sn)[X], sodass [L : K(s1, . . . , sn)] ≤ n ! nach Lemma24.6. Andererseits gilt [L : S] = |Δ| = n ! (beachte den Satz 27.9 von Dedekind unddie Isomorphie Δ ∼= Sn). Nun liefert der Gradsatz 20.3 [S : K(s1, . . . , sn)] = 1.(b) Diese Aussage wird in (1) im Beweis zu Lemma 31.3 mitbegründet.(c) Die Galoisgruppe von L/S ist Δ, und es gilt F(Δ) = S und Δ ∼= Sn.

Bemerkung. Es gilt auch S ∩K[X1, . . . , Xn] = K[s1, . . . , sn].

Beispiel 31.3Wir stellen die symmetrische Funktion X1 X

32 + X3

1 X2 im Fall n = 2 durch ele-mementarsymmetrische Funktionen dar: X1 X

32 + X3

1 X2 = X1 X2 (X21 + X2

2 ) =

X1 X2 (X1 +X2)2 − 2 (X1 X2)

3 = s21 s2 − 2 s32.

31.2 Das allgemeine Polynom

Wir führen das allgemeine Polynom ein, wir suchen ja auch nach einer allgemeinenFormel für die Wurzeln eines Polynoms.

31.2.1 Motivation

Es gelte CharK = 2, und es seien t1, t2 Unbestimmte überK und P := X2+t1 X+t2 ∈K(t1, t2)[X]. Die Wurzeln von P in einem Zerfällungskörper L über K(t1, t2) sind

(∗) v1,2 =1

2

(−t1 ±

√t21 − 4 t2

).

Die Wurzeln eines beliebigen normierten quadratischen Polynoms X2 + a1 X + a2 ∈K[X] sind

b1,2 =1

2

(−a1 ±

√a21 − 4 a2

),

und diese entstehen aus v1,2 durch Einsetzen von ai für ti, i = 1, 2. Man kann also (∗)als die allgemeine Lösung für normierte quadratische Polynome aus K[X] bezeichnen.Nach entsprechenden allgemeinen Lösungen für normierte Polynome höheren Gradesn in Radikalform hat man lange gesucht und für n = 3, 4 auch gefunden.

31.2 Das allgemeine Polynom 363

31.2.2 Das allgemeine Polynom vom Grad n

Es seien t1, . . . , tn Unbestimmte über K. Dann heißt

P := Xn + t1 Xn−1 + · · ·+ tn−1 X + tn ∈ K(t1, . . . , tn)[X]

das allgemeine Polynom vom Grad n über K. Es sei

(∗) P = (X − v1) · · · (X − vn)

die Zerlegung von P über dem Zerfällungskörper M von P über K(t1, . . . , tn), d. h.M = K(t1, . . . , tn) (v1, . . . , vn). Ausmultiplizieren von (∗) führt mit den in Abschnitt31.1.2 eingeführten elementarsymmetrischen Polynomen s1, . . . , sn zu

t1 = s1(v1, . . . , vn), . . . , tn = sn(v1, . . . , vn) .

Somit gilt M = K(v1, . . . , vn). Mit den Voraussetzungen und Bezeichnungen aus demAbschnitt 31.1 folgt:

Lemma 31.3Es existiert ein K-Isomorphismus ω : M = K(v1, . . . , vn) → L = K(X1, . . . , Xn) mitω(ti) = si für i = 1, . . . , n und ω({v1, . . . , vn}) = {X1, . . . , Xn}.

Beweis: Wir begründen, dass wir wie in der folgenden Skizze dargestellt ω durcheine schrittweise Fortsetzung von Id erhalten.

M = K(v1, . . . , vn)ω−→ L = K(X1, . . . , Xn)

K(t1, . . . , tn)ω1−→ S = K(s1, . . . , sn)

K[t1, . . . , tn]ω0−→ K[s1, . . . , sn]

KId−→ K

Nach Satz 14.13 (c) gibt es einen Epimorphismus ω0 : K[t1, . . . , tn] → K[s1, . . . , sn]

mit ω0|K = Id und (∗) ω0(ti) = si für alle i.

(1) ω0 ist ein Isomorphismus.

Es gelte R(s1, . . . , sn) = ω0(R) = 0 für R ∈ K[t1, . . . , tn]. Wegen si ∈ K[X1, . . . , Xn]

liegt R(s1, . . . , sn) in K[X1, . . . , Xn]. Nach Satz 14.13 (c) erhält man durch Einsetzenvon vi für Xi:

0 = R(s1(v1, . . . , vn), . . . , sn(v1, . . . , vn)) = R(t1, . . . , tn) = R .

Folglich ist ω0 auch injektiv. Es gilt also (1) (und damit auch Satz 31.2 (b)).Nach der universellen Eigenschaft in Satz 13.9 ist ω0 zu einem Isomorphismusω1 von K(t1, . . . , tn) auf S fortsetzbar. Es sind M ein Zerfällungskörper vonP =

∑ni=0(−1)i ti X

n−i über K(t1, . . . , tn) und L ein Zerfällungskörper von Q =∑ni=0(−1)i si X

n−i über S. Nach dem Fortsetzungssatz 24.8 ist ω1 daher zu einemIsomorphismus ω : M → L fortsetzbar.

364 31 Die allgemeine Gleichung

Wegen 0 = Q(Xk) =∑n

i=0(−1)k si Xn−ik , k = 1, . . . , n, gilt 0 = ω−1(Q(Xk)) =∑n

i=0(−1)k ti ω−1(Xk)

n−i = P (ω−1(Xk)), d. h. ω−1(Xk) ∈ {v1, . . . , vn}.

31.2.3 Die Galoisgruppe des allgemeinen Polynoms

Nach dem Hauptsatz 31.2 zu den symmetrischen Funktionen ist L/S galoissch mitΓ(L/S) ∼= Sn. Wegen Lemma 27.6 ist daher auch M/K(t1, . . . , tn) galoissch, undΓ(M/K(t1, . . . , tn)) ∼= Sn, d. h.:

Lemma 31.4Das allgemeine Polynom vom Grad n über K ist separabel und hat eine zu Sn isomor-phe Galoisgruppe.

31.2.4 Der Satz von Ruffini-Abel

Da Sn für n ≥ 5 nach dem Satz 9.11 von Jordan nicht auflösbar ist, erhält man ausKorollar 30.10 das berühmte Resultat:

Korollar 31.5 (P. Ruffini, N.H. Abel)Das allgemeine Polynom vom Grad n ≥ 5 über K ist nicht durch Radikale auflösbar.

Eine weitere Anwendung von Lemma 31.4 ist:

Korollar 31.6Zu jeder endlichen Gruppe G gibt es eine Galoiserweiterung mit einer zu G isomorphenGaloisgruppe.

Beweis: Nach dem Satz 2.15 von Cayley ist G zu einer Untergruppe H von Sn

isomorph, wobei n := |G|. Wegen Lemma 31.4 existiert eine Galoiserweiterung M/E,deren Galoisgruppe Γ zu Sn isomorph ist. Es ist dann H zu einer Untergruppe Δ

von Γ isomorph. Nach dem Hauptsatz 27.10 der endlichen Galoistheorie ist M/F(Δ)

galoissch, und Δ = Γ(M/F(Δ)) ∼= H ∼= G.

31.3 Die Diskriminante eines Polynoms *

Wir benutzen die Diskriminante eines Polynoms als Hilfsmittel für die Ermittlung derAuflösungsformeln allgemeiner Gleichungen vom Grad 3 und 4.

31.3 Die Diskriminante eines Polynoms * 365

31.3.1 Die Diskriminante liegt in K

Es seien P ∈ K[X] normiert und L ein Zerfällungskörper von P über K, etwa P =

(X − w1) · · · (X − wn) mit w1, . . . , wn ∈ L. Dann heißt

DP :=∏

1≤i<j≤n

(wi − wj)2

die Diskriminante von P . Es gilt DP = 0 genau dann, wenn P mehrfache Wurzelnhat. Andernfalls ist L/K als separable und normale Erweiterung galoissch (beachteKorollar 27.11), und für jedes τ ∈ ΓK(P ) = Γ(L/K) gilt τ(DP ) = DP , weil τ nachLemma 27.1 (d) die Wurzeln w1, . . . , wn permutiert und DP in den w1, . . . , wn sym-metrisch ist. Es folgt: DP ∈ F(Γ) = K.

Beispiel 31.4Als DiskriminanteDP des Polynoms P = X3−3X2+2X−6 = (X2+2) (X−3) ∈ Q[X]

erhalten wir

DP = (√2 i−(−

√2) i)2(

√2 i−3)2(−

√2 i−3)2 = (2

√2 i)2(2 + 9)2 = −8 · 112 .

31.3.2 Die Wurzel der Diskriminante

Es sei W := {w1, . . . , wn}. Dann ist die durch ϕ(τ) : wi �→ wτ(i), τ ∈ Sn, gegebeneAbbildung ϕ ein Isomorphismus von Sn auf SW . Mit der Bijektion π : i �→ wi von{1, . . . , n} auf W gilt nämlich ϕ(τ) = π τ π−1. Man nennt AW := ϕ(An) auch diealternierende Gruppe von W . Mit diesen Bezeichnungen gilt:

Lemma 31.7Es sei CharK = 2, und P ∈ K[X] habe nur einfache Wurzeln w1, . . . , wn im Zerfäl-lungskörper L. Dann gilt für dP :=

∏1≤i<j≤n(wi − wj), wenn ΓK(P ) gemäß Lemma

28.4 als Untergruppe von SW aufgefasst wird:

(a) ϕ(τ)(dP ) = sgn τ dP (ϕ(τ) ∈ ΓK(P )).

(b) dP ∈ K ⇔ ΓK(P ) ⊆ AW .

(c) Es ist K(dP ) = K(√DP ) der Fixkörper von ΓK(P ) ∩AW .

Beweis: (a) Wegen CharK = 2 gilt für τ ∈ ΓK(P ):

ϕ(τ)(dP ) =∏

1≤i<j≤n

(wτ(i) − wτ(j)) = sgn τ∏

1≤i<j≤n

(wi − wj) = sgn τ dP .

(b) folgt aus (a), da dP ∈ K mit ϕ(dP ) = dP für alle ϕ ∈ ΓK(P ) gleichwertig ist.

366 31 Die allgemeine Gleichung

(c) Im Fall dP ∈ K folgt die Behauptung aus (b), weil L/K galoissch ist. Im FalldP ∈ K gilt [K(dP ) : K] = 2, denn d2P = DP ∈ K; und (a) impliziert K(dP ) ⊆ F(Δ)

für Δ := ΓK(P ) ∩AW . Aus dem ersten Isomorphiesatz 4.12 folgt:

ΓK(P )/Δ = ΓK(P )/ΓK (P ) ∩AW∼= ΓK(P )AW /AW = SW /AW ,

also [ΓK(P ) : Δ] = 2, sodass [F(Δ) : K] = 2 nach dem Hauptsatz 27.10 der endlichenGaloistheorie. Das begründet K(dP ) = F(Δ).

Beispiel 31.5 (Kubische Polynome)Es sei CharK = 2, und P = X3 + pX + q ∈ K[X] habe die Wurzeln v1, v2, v3 ∈ L,d. h. P = (X − v1) (X − v2) (X − v3) in L[X]. Für {1, 2, 3} = {i, j, k} folgt mit derProduktregel

(vi − vj) (vi − vk) = P ′(vi) = 3 v2i + p =1

vi

(3 v3i + p vi

)=

1

vi(−3 p vi − 3 q + p vi) =

2 p

vi

(−3 q

2 p− vi

),

sodass

DP = (v1 − v2)2 (v2 − v3)

2 (v3 − v1)2 = (−1)3 P ′(v1)P

′(v2)P′(v3)

=−8 p3

v1v2v3P

(−3q

2p

)=

−8p3

−q

(−(3q

2p

)3

− p3q

2p+ q

),

d. h. DP = −27q2 − 4 p3. Für a, b, c ∈ K ist

Q := X3+aX2+bX+c =(X +

a

3

)3+

(b− a2

3

) (X +

a

3

)+

(c− a3

27+

a3

9− a b

3

).

Wenn v1, v2, v3 die Wurzeln von P := X3 +(b− a2

3

)X +

(c− ab

3 + 2a3

27

)sind, sind

w1 = v1 − a3, w2 = v2 − a

3, w3 = v3 − a

3die Wurzeln von Q.

Wegen wi − wj = vi − vj folgt DQ = DP = −27(c− ab

3 + 2a3

27

)2− 4

(b− a2

3

)3, d. h.

DQ = −27 c2 − 4 b3 + a2b2 − 4 a3c+ 18 a b c .

31.4 Die allgemeine Gleichung vom Grad 3 *

Wir lösen das allgemeine Polynom vom Grad 3 durch Radikale auf. Im Folgendengelte CharK = 2, 3; und K besitze eine primitive dritte Einheitswurzel ε (andernfallsadjungiere man sie zu K).

31.4 Die allgemeine Gleichung vom Grad 3 * 367

31.4.1 Reduktion auf spezielle kubische Polynome

Nach Lemma 31.4 und Satz 30.5 ist das allgemeine Polynom

Q = X3 + t1X2 + t2X + t3 ∈ E := K(t1, t2, t3)[X]

vom Grad 3 über K durch Radikale auflösbar mit Galoisgruppe Γ ∼= S3 nach Lemma31.4. Es sei M ein Zerfällungskörper über K des separablen Polynoms Q mit denverschiedenen Wurzeln w1, w2, w3 von Q. Es hat Γ einen zu A3 = 〈(1 2 3)〉 isomorphenNormalteiler Δ. Wegen Lemma 31.7 gilt L := F(Δ) = K(t1, t2, t3)(dQ), wobei

d2Q = DQ = −27 t23 − 4 t32 + t21t22 − 4 t31t3 + 18 t1t2t3 .

Zur Vereinfachung der Rechnungen betrachten wir wie im obigen Beispiel (mit t1 statta, t2 statt b, t3 statt c) neben Q das Polynom P := X3 + pX + q mit

p := t2 −1

3t21 , q := t3 −

1

3t1t2 +

2

27t31

und den Wurzeln

v1 = w1 +1

3t1 , v2 = w2 +

1

3t1 , v3 = w3 +

1

3t1 .

Nach dem eben erwähnten Beispiel gilt

DQ = DP = −27 q2 − 4 p3 ,

und Δ wird (da L auch der Zerfällungskörper von P über K(t1, t2, t3) ist) von demdurch

σ(v1) = v2 , σ(v2) = v3 , σ(v3) = v1

gegebenen Element σ ∈ Γ erzeugt. Nach Lemma 31.3 sind w1, w2, w3, also auchv1, v2, v3 K-linear unabhängig, sodass

a := v1 + ε σ(v1) + ε2 σ2(v1) = v1 + ε v2 + ε2 v3 = 0 .

Anwenden des durch τ(v1) = v1, τ(v2) = v3, τ(v3) = v2 gegebenen Elements τ ∈ Γ

liefert die 2. Lagrange’sche Resolvente

b := v1 + ε v3 + ε2 v2 = 0 .

Nach dem Beweis zu Lemma 30.2 gilt a3, b3 ∈ L. Wegen v1 + v2 + v3 = 0 und1 + ε+ ε2 = 0 folgt:

a+ b = 3 v1 , ε2a+ ε b = 3 v2 , ε a+ ε2b = 3 v3 .

368 31 Die allgemeine Gleichung

Somit bleiben a3, b3 ∈ L zu bestimmen. Wegen τ(a) = b und τ2 = Id sowie Γ = 〈σ, τ〉sind a3, b3 die Wurzeln des Polynoms

R := (X − a3) (X − b3) = X2 − (a3 + b3)X + a3 b3 ∈ K[X] ,

denn τ(a3 + b3

)= τ(a3 + τ(a3)

)= a3 + b3, analog τ

(a3 b3

)= a3 b3. Nun gilt

a b = (v1 + ε v2 + ε2 v3) (v1 + ε v3 + ε2 v2)

= v21 + v22 + v23 + (ε+ ε2) (v1v2 + v2v3 + v3v1)

= (v1 + v2 + v3)2 − 3 (v1v2 + v2v3 + v3v1) = −3 p .

Die Wurzeln von X3 +1 sind −1, −ε, −ε2, sodass X3 +1 = (X +1) (X + ε) (X + ε2).Einsetzen von a

bund Multiplikation mit b3 liefert

a3 + b3 = (a+ b) (a+ ε b) (a+ ε2 b) = 3 v1 3 v2 3 v3 = −27q .

Es folgt R = X2 + 27 q X − 27 p3 und damit

a3 , b3 = −27

2q ±

√(27

2

)2

q2 + 27 p3 ,

also etwa (a3

)3,

(b

3

)3

= − q

2±√(q

2

)2+(p3

)3= − q

2± 1

2 · 3√3

√−DQ .

Wir fassen diese Überlegungen zusammen:

31.4.2 Cardanosche Formeln

Die cardanoschen Formeln liefern die Wurzeln des allgemeinen Polynoms vom Grad 3.

Satz 31.8Es gelte CharK = 2, 3.

(a) Die Wurzeln des allgemeinen Polynoms Q = X3 + t1X2 + t2X + t3 sind

v1 = − t13

+ a′ + b′ , v2 = − t13

+ ε2a′ + ε b′ , v3 = − t13

+ ε a′ + ε2b′ ,

wobei

a′ = 3

√− q

2+

1

6√3

√−DQ , b′ = 3

√− q

2− 1

6√3

√−DQ .

Dabei ist DQ = −27 t33−4 t32+ t21t22−4 t31t3+18 t1t2t3 und q = t3− 1

3 t1t2+227 t31;

die 3-te Wurzel a′ ist beliebig wählbar, während b′ dann so zu wählen ist, dass

(∗) 3 a′ b′ =1

3t21 − t2 .

31.5 Die allgemeine Gleichung vom Grad 4 * 369

(b) Die Wurzeln eines Polynoms P = X3 + a1X2 + a2X + a3 ∈ K[X] erhält man

aus v1, v2, v3 in (a), indem man ai für ti einsetzt, i = 1, 2, 3 (und damit DQ

durch DP ersetzt) und die (∗) entsprechende Aussage beachtet.

Beweis: (a) Gezeigt wurde 9 a′ b′ = a b = −3 p = t21 − 3 t2.(b) Es seien b1, b2, b3 die Wurzeln von P in K. Nach Lemma 31.4 und Satz 14.13 (b)existiert ein K-Monomorphismus ϕ von K[v1, v2, v3] auf K[b1, b2, b3] mit ϕ(vi) = bi,für i = 1, 2, 3. Es folgt ϕ(ti) = ai für i = 1, 2, 3 (z. B. ϕ(t1) = ϕ(−(v1 + v2 + v3)) =

−(b1 + b2 + b3) = a1) und damit

ϕ(DQ) = ϕ((t1 − t2)2(t2 − t3)

2(t3 − t1)2 = (a1 − a2)

2(a2 − a3)2(a3 − a1)

2 = DP .

Wegen bi = ϕ(vi) für i = 1, 2, 3 folgt die Behauptung.

Bemerkung. Die Lösungsformeln aus Satz 31.8 (a) wurden von Tartaglia, der eigent-lich N. Fontana hieß, und S. del Ferro ca. 1515 gefunden. L. Ferrari entdeckte 1545 dieLösungen der allgemeinen Gleichung 4. Grades (vgl. Abschnitt 31.5).

31.4.3 Der klassische Fall

Es sei K := R. Wir begründen, dass für jedes normierte kubische Polynom P genaudann alle Wurzeln von P reell sind, wenn DP ≥ 0.Nach dem Zwischenwertsatz hat P eine reelle Wurzel b1. Wenn alle Wurzeln b1, b2, b3

von P reell sind, gilt

dP = (b1 − b2) (b2 − b3) (b3 − b1) ∈ R , also DP = d2P ≥ 0 .

Wenn b2 nicht reell ist, gilt b3 = b2, sodass dP = (b1 − b2) (b2 − b2) (b2 − b1) = 0 reinimaginär ist und daher DP = d2P < 0 gilt. Mit Satz 31.8 (a) folgt daher:Für separables P (d. h. DP = 0) liefern die cardanoschen Formeln genau dann nurreelle Nullstellen, wenn die in ihnen vorkommende Quadratwurzel

√−DP nicht reell

ist (casus irreducibilis).So hat z.B. das Polynom P = X3 − 2X + 1 wegen DP > 0 nur reelle Wurzeln.

31.5 Die allgemeine Gleichung vom Grad 4 *

Gegeben sei die allgemeine Gleichung 4. Grades über K:

Q = X4 + t1X3 + t2X

2 + t3X + t4 .

Mit der Abkürzung Y := X + t14 lässt sich Q in der transformierten Form

R = Y 4 + p Y 2 + q Y + r

370 31 Die allgemeine Gleichung

schreiben. Sind v1, v2, v3, v4 die Wurzeln von R in einem Zerfällungskörper M , sosind wi = vi − t1

4 für i = 1, 2, 3, 4 die Wurzeln von Q; und M = K(v1, v2, v3, v4).Nach dem Translationssatz 27.14 und Lemma 31.4 ist die Galoisgruppe von R (überK(p, q, r)) zu S4 isomorph. Zu dem Untergruppenturm 1 � V4 � A4 � S4 mit V4 =

{Id, (1 2) (3 4), (1 3) (2 4), (1 4) (2 3)} gehört ein Körperturm K(p, q, r) = L0 ⊆ L1 ⊆L2 ⊆ L3 = M . Die Elemente

z1 := (v1 + v2) (v3 + v4) , z2 := (v1 + v3) (v2 + v4) , z3 := (v1 + v4) (v2 + v3)

bleiben fest bei der Klein’schen Vierergruppe V4 ⊆ S4, liegen also in L2. Da z1, z2, z3

bei keinem weiteren Element von S4 sämtlich festbleiben, folgt L2 = L0(z1, z2, z3).Das Polynom

S := (X − z1) (X − z2) (X − z3)

wird eine kubische Resolvente von R genannt und ist (offenbar) symmetrisch inv1, v2, v3, v4, liegt also in L0[X]. Eine elementare Rechnung zeigt:

(i) S = X3 − 2 pX2 + (p2 − 4 r)X + q2 .

Hieraus gewinnt man z1, z2, z3 mithilfe der cardanoschen Formeln in Satz 31.8.Wegen z1−z2 = (v4−v1) (v2−v3), z1−z3 = (v3−v1) (v2−v4), z2−z3 = (v2−v1) (v3−v4)

haben S und R dieselbe Diskriminante.Die Klein’sche Vierergruppe V4 hat die nichttrivialen Untergruppen 〈(1 2) (3 4)〉,〈(1 3) (2 4)〉, 〈(1 4) (2 3)〉. Die zugehörigen Zwischenkörper werden über L2 erzeugt von

u1 := v1 + v2 , u2 := v1 + v3 , u3 := v1 + v4 .

Wegen v1 + v2 + v3 + v4 = 0 gilt

(ii)

u21 = (v1 + v2) (v1 + v2) = −(v1 + v2) (v3 + v4) = −z1 ,

u22 = (v1 + v3) (v1 + v3) = −(v1 + v3) (v2 + v4) = −z2 ,

u23 = (v1 + v4) (v1 + v4) = −(v1 + v4) (v2 + v3) = −z3 .

und

(iii) v1 =1

2(u1 + u2 + u3) , v2 =

1

2(u1 − u2 − u3) , v3 =

1

2(−u1 − u2 + u3) .

Dabei sind die Wurzeln u1 , u2 , u3 so zu wählen, dass

u1 u2 u3 = −q ,

denn u1 u2 u3 = (v1 + v2) (v1 + v3) (v1 + v4) = v31 + v21v2 + v21v3 + v1v2v3 + v21v4 +

v1v3v4 + v1v2v4 + v2v3v4 = v21(v1 + v2 + v3 + v4)− q = −q.Berücksichtigt man u1 u2 u3 = −q, so gewinnt man die Wurzeln von R (und damit vonQ) aus (i), (ii) und (iii).


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