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Algebra || Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

Date post: 08-Dec-2016
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Page 1: Algebra || Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

24 Algebraischer Abschluss.Zerfällungskörper

Übersicht24.1 Der algebraische Abschluss eines Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

24.2 Zerfällungskörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

24.3 Normale Körpererweiterungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

Ein Großteil des Erfolgs der modernen Algebra beruht auf der Idee der Körperer-weiterung. Erst die Erweiterung der reellen Zahlen R zum Körper C der komple-xen Zahlen ermöglichte etwa die einheitliche Behandlung quadratischer GleichungenaX2 + bX + c = 0 mit a, b, c ∈ R, a = 0. Der (klassische) Fundamentalsatz derAlgebra besagt, dass nicht nur quadratische Polynome, sondern jedes Polynom ausC[X] vom Grad ≥ 1 in C eine Wurzel hat und somit über C vollständig in Linear-faktoren zerfällt. Einen (jetzt beliebigen) Körper K mit dieser Eigenschaft nennt manalgebraisch abgeschlossen. Ist ein Körper K nicht algebraisch abgeschlossen, so werdenwir eine algebraische Erweiterung K/K konstruieren, wobei K algebraisch abgeschlos-sen ist. D. h., wir begründen einen fundamentalen Satz der Algebra: Jeder Körper hateinen algebraischen Erweiterungskörper, der algebraisch abgeschlossen ist – dieser istim Wesentlichen eindeutig bestimmt. So ist beispielsweise C dieser bis auf Isomorphieeindeutig bestimmte algebraische Abschluss von R.Wir beschäftigen uns auch mit der Frage, ob es zu einem vorgegebenen nichtlinearenPolynom über einem Körper K überhaupt einen Erweiterungskörper L von K gibt,über dem das Polynom in Linearfaktoren zerfällt. Auch diese Frage lässt sich positivbeantworten: Zu jedem nichtkonstanten Polynom P über K gibt es einen im Wesentli-chen eindeutig bestimmten Körper L (den Zerfällungskörper von P über K), über demdieses Polynom in Linearfaktoren zerfällt.

C. Karpfinger, K. Meyberg, Algebra, DOI 10.1007/978-3-8274-3012-0_25,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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272 24 Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

24.1 Der algebraische Abschluss eines Körpers

Im Folgenden ist ein Körper K gegeben. Wir befassen uns mit der Frage, ob es Erwei-terungskörper von K gibt, in denen vorgegebene Polynome aus K[X] Wurzeln haben.

Beispiel 24.1In R hat das Polynom X2 + 1 keine Wurzel, in C hingegen die beiden Wurzeln ± i.In Q hat das Polynom X3 − 2 keine Wurzel, in Q( 3

√2) hingegen die Wurzel 3

√2.

Genauer: Über Q( 3√2) gilt X3 − 2 = (X − 3

√2) (X2 + 3

√2X + 3

√4) mit einem über

Q( 3√2) irreduziblen Polynom X2+ 3

√2X+ 3

√4 ∈ Q( 3

√2)[X]. Nach dem Beispiel 21.1

auf Seite 249 wissen wir, dass X3 − 2 über Q( 3√2, e

2π i3 ) in Polynome vom Grad 1,

d. h. in Linearfaktoren zerfällt.

Bei den Beispielen war es nicht schwer, einen gewünschten Zerfällungskörper anzuge-ben: Wir haben einfach die aus C bekannten Wurzeln des gegebenen Polynoms an denKörper R bzw. Q adjungiert. Im allgemeinen Fall muss man aber erst mal zeigen, dassein Körper einen Erweiterungskörper hat, in dem man Wurzeln beliebiger nichtkon-stanter Polynome findet – einen solchen (algebraischen) Erweiterungskörper werdenwir nun zu jedem beliebigen Körper angeben.

24.1.1 Der Satz von Kronecker

Ausgangspunkt ist die (mit Beweis) wichtige Aussage:

Satz 24.1 (L. Kronecker 1882)Ist P ∈ K[X] irreduzibel, so existiert ein Erweiterungskörper L von K mit [L : K] =

degP , der eine Wurzel von P enthält, d. h., es gibt ein a ∈ L mit P (a) = 0.

Beweis: Die Begründung wird durch Lemma 21.1 (b) nahegelegt: Wenn ein Erwei-terungskörper von K eine Wurzel a von P enthält, so existiert ein Isomorphismusψ : K(a) → L := K[X]/(P ) mit ψ(a) = X + (P ).Es sei P ∈ K[X] irreduzibel. Das Ideal (P ) in dem Hauptidealring K[X] ist maximal(beachte Lemma 16.5 (d)). Damit ist L := K[X]/(P ) ein Körper (vgl. Korollar 15.17).Und die Restriktion τ des kanonischen Epimorphismus

π :

⎧⎨⎩ K[X] → L

Q �→ Q+ (P )

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24.1 Der algebraische Abschluss eines Körpers 273

auf K, d. h. τ = π|K ist nach Korollar 15.7 injektiv, weil τ(1) = 1+ (P ) = (P ). Daherkönnen wir jedes α ∈ K mit τ(α) = α+(P ) aus L identifizieren, also K als Teilkörpervon L ansehen. Für a := X + (P ) ∈ L und P =

∑ni=0 γi X

i ∈ K[X] gilt dann

P (a) =

n∑i=0

γi ai =

n∑i=0

γi (X + (P ))i =

n∑i=0

γi Xi + (P ) = P + (P ) = (P ) = 0L .

Wegen∑k

i=0 αi Xi+(P ) =

∑ki=0 αi a

i gilt L = K(a). Mit Lemma 21.1 (b) folgt daher[L : K] = degP .

Ist P ein beliebiges Polynom vom Grad ≥ 1, so zerlege man dieses in irreduzibleFaktoren. Man erhält dann unmittelbar aus dem Satz von Kronecker:

Korollar 24.2Ist P ∈ K[X] nicht konstant, so existiert ein Erweiterungskörper L von K mit [L :

K] ≤ degP , der eine Wurzel von P enthält.

Man sagt, ein Polynom P ∈ K[X] zerfällt über dem Erweiterungskörper L, wenn esElemente c, a1, . . . , an ∈ L derart gibt, dass P = c (X − a1) · · · (X − an), d. h. wennP sich über L in ein Produkt von Linearfaktoren zerlegen lässt.

Beispiel 24.2X3 − 2 zerfällt über Q( 3

√2, e

2π i3 ).

X3 − 2 zerfällt nicht über Q( 3√2).

24.1.2 Algebraisch abgeschlossene Körper

Der KörperK heißt algebraisch abgeschlossen, wenn jedes nichtkonstante Polynomaus K[X] eine Wurzel in K hat.

Beispiel 24.3Das klassische Beispiel ist K = C – der Fundamentalsatz der Algebra. Wir werdendiesen Satz 27.15 auf Seite 321 beweisen.

Weitere Kennzeichnungen algebraisch abgeschlossener Körper sind nützlich:

Lemma 24.3 (Kennzeichnungen algebraisch abgeschlossener Körper)Die folgenden Aussagen sind äquivalent:

(1) K ist algebraisch abgeschlossen.

(2) Jedes Polynom aus K[X] zerfällt über K.

(3) Jedes irreduzible Polynom aus K[X] ist linear, d. h. hat Grad 1.

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274 24 Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

(4) Es gibt keinen über K algebraischen Erweiterungskörper = K von K.

(5) Es gibt keinen Erweiterungskörper L = K von K mit [L : K] ∈ N.

Beweis: (1) ⇒ (2): Es sei P ∈ K[X] nicht konstant. Da K algebraisch abgeschlossenist, existiert eine Wurzel a ∈ K von P . Nach Korollar 14.7 gilt P = (X − a)Q für einQ ∈ K[X]. Wegen degQ = (degP ) − 1 führt vollständige Induktion nach dem Gradzur Behauptung (2).(2) ⇒ (3) ist klar.(3) ⇒ (4): Es sei L algebraischer Erweiterungskörper von K und a ∈ L. Nach Voraus-setzung gilt ma,K = X − a, sodass a ∈ K. Es folgt L = K.(4) ⇒ (5) ist klar, weil endliche Körpererweiterungen algebraisch sind.(5) ⇒ (1): Es sei P ∈ K[X] nicht konstant. Nach Korollar 24.2 hat P eine Wurzelin einem geeigneten Erweiterungskörper von K. Da K(a)/K nach Lemma 21.1 (b)endlich ist, folgt mit der Voraussetzung K(a) = K und damit a ∈ K. Folglich ist K

algebraisch abgeschlossen.

24.1.3 Algebraischer Abschluss

Ein Erweiterungskörper von K wird algebraischer Abschluss von K genannt, wenner algebraisch über K und algebraisch abgeschlossen ist.

Wir erinnern an den Begriff algebraischer Abschluss von K in L von Seite 252: Ist L/Keine Körpererweiterung, so nennt man den Körper A(L/K) = {a ∈ L | a ist algebraischüber K} den algebraischen Abschluss von K in L. Der Zwischenkörper A(L/K)

ist stets algebraisch über K, aber im Allgemeinen kein algebraischer Abschluss von K.

Beispiel 24.4Das Polynom X2 + 1 ∈ Q[X] hat im algebraischen Abschluss A(R/Q) von Q in Rkeine Wurzel. Die beiden Wurzeln ± i von X2 +1 ∈ Q[X] liegen aber im algebraischenAbschluss A(C/Q) von Q in C.

Ist der Erweiterungskörper L von K algebraisch abgeschlossen, so ist der Zwischen-körper A(L/K) ein algebraischer Abschluss von K:

Lemma 24.4Es sei L ein algebraisch abgeschlossener Erweiterungskörper von K. Dann ist der al-gebraische Abschluss A(L/K) von K in L algebraisch abgeschlossen (und algebraischüber K) – es ist also A(L/K) ein algebraischer Abschluss von K.

Beweis: Ist P ∈ A(L/K)[X] nicht konstant, so hat P eine Wurzel a ∈ L, da L alge-braisch abgeschlossen ist und P ein Polynom aus L[X] ist. Es sind a algebraisch überA(L/K) und A(L/K) algebraisch über K. Aufgrund der Transitivität der Eigenschaft

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24.1 Der algebraische Abschluss eines Körpers 275

algebraisch ist a algebraisch über K (vgl. Lemma 21.6), sodass a ∈ A(L/K). Somithat jedes nichtkonstante Polynom P ∈ A(L/K)[X] eine Wurzel in A(L/K).

Vorsicht. In Lemma 24.4 ist L im Allgemeinen kein algebraischer Abschluss von K; dieErweiterung L/K muss keineswegs algebraisch sein. Ist die Erweiterung L/K jedochalgebraisch, so ist L = A(L/K) natürlich ein algebraischer Abschluss von K.

Beispiel 24.5Da C/Q nach Lemma 21.9 keine algebraische Erweiterung ist, ist der algebraisch ab-geschlossene Körper C kein algebraischer Abschluss von Q. Aber der algebraische Ab-schluss A := A(C/Q) von Q in C ist wegen Lemma 24.4 ein algebraischer Abschlussvon Q. Seine Elemente sind die sogenannten algebraischen Zahlen.

Bemerkung. Ist L/K algebraisch, so folgt mit Lemma 21.6 (b): Jeder algebraischeAbschluss von L ist auch ein solcher von K.

24.1.4 Existenz eines algebraischen Abschlusses

Wir zeigen, dass jeder Körper einen algebraisch abgeschlossenen algebraischen Erwei-terungskörper besitzt:

Satz 24.5 (E. Steinitz 1910)Jeder Körper K besitzt einen algebraischen Abschluss.

Beweis: Wir begründen die Existenz mit dem Zorn’schen Lemma (vgl. AbschnittA.2.3). Es existiert eine K umfassende überabzählbare Menge S mit |K| < |S| (vgl.Abschnitt A.3). Es sei X die Menge aller Erweiterungskörper L von K, die in S liegenund über K algebraisch sind. Wegen K ∈ X ist X nicht leer. Wir ordnen X durch dieVorschrift:

L ≤ L′ :⇔ L ist ein Teilkörper von L′ .

Offenbar ist ≤ eine Ordnungsrelation. Wir zeigen:

(1) (X,≤) ist induktiv geordnet.

Es sei K = ∅ eine Kette in (X,≤) und T :=⋃

L∈K L. Zu beliebigen a, b ∈ T existiertL = (L,+, ·) ∈ K mit a, b ∈ L. Wir definieren a⊕b := a+b, a�b := a ·b, wobei + und ·der rechten Seiten die Verknüpfungen aus L sind. Diese Definition ist unabhängig vonder Wahl von L. Einfache Überlegungen zeigen, dass (T,⊕,�) ein Körper ist (z. B.: Zua, b, c ∈ T existiert E ∈ K mit a, b, c ∈ E, sodass a� (b� c) = a · (b · c) = (a · b) · c =(a� b)� c). Nach Definition ist T ⊆ S Erweiterungskörper von L für jedes L ∈ K. Dajedes L ∈ K algebraisch über K ist, ist auch T/K algebraisch, d. h. T ∈ X. Und T isteine obere Schranke von K. Also gilt (1).Aus (1) folgt mit dem Zorn’schen Lemma: (X,≤) besitzt ein maximales Element M .Wir zeigen nun für ein solches M :

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276 24 Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

(2) M ist algebraisch abgeschlossen.

Angenommen, M ist nicht algebraisch abgeschlossen. Dann existiert nach der Kenn-zeichnung (4) algebraisch abgeschlossener Körper in Lemma 24.3 ein algebraischerErweiterungskörper M ′ = M von M . Der Körper M ′ muss aber nicht in X liegen, daer nicht notwendig Teilmenge von S ist. Daher ist es nun unser Ziel, ein isomorphesBild von M ′ in S zu finden.Da nach Voraussetzung die Menge S überabzählbar ist und |K| < |S| gilt, folgt mitLemma 21.9:

|M ′ \M | ≤ |M ′| < |S| = |S \M |

(für die Gleichheit |S| = |S\M | siehe Abschnitt A.3.2: Aus |S\M | < |S| folgte nämlichder Widerspruch |S| = |(S \M) ∪M | = |S \M | + |M | = max{|S \M | , |M |} < |S|).Daher existiert eine injektive Abbildung ϕ : M ′ → S mit ϕ|M = IdM . Wir übertragendie Operationen +′, ·′ von M ′ auf ϕ(M ′):

ϕ(a) + ϕ(b) := ϕ(a+′ b) , ϕ(a) · ϕ(b) := ϕ(a ·′ b) für a, b ∈ M ′ .

Dann ist ϕ ein M -Isomorphismus von M ′ auf ϕ(M ′); und ϕ(M ′) ein algebraischerErweiterungskörper = M von M :

a ∈ M ′ , ma,M =

n∑i=0

mi Xi ⇒ 0 = ϕ

(n∑

i=0

mi ai

)=

n∑i=0

mi ϕ(a)i .

Nach Lemma 21.6 (b) ist ϕ(M ′) überK algebraisch, d. h. ϕ(M ′) ∈ X. Das widersprichtder Maximalität von M . Also gilt (2).Da M/K algebraisch ist, gilt die Behauptung des Satzes.

Beispiel 24.6Für jede Primzahl p besitzt der Körper Zp einen algebraischen Abschluss Zp. Angenom-

men, Zp ist endlich, etwa |Zp| = n. Dann ist auch die multiplikative Gruppe Z×p endlich,

es gilt |Z×p | = n − 1. Nach dem kleinen Satz 3.11 von Fermat gilt an−1 = 1 für jedes

a ∈ Z×p , d. h. a

n−a = 0 für jedes a ∈ Zp. Damit hat das Polynom Xn−X+1 ∈ Zp[X]

keine Nullstelle in Zp. Folglich ist Zp nicht algebraisch abgeschlossen – einWiderspruch.Fazit: Der algebraische Abschluss von Zp ist nicht endlich.

Bemerkungen. (1) Gezeigt ist: Jeder Körper K besitzt einen algebraischen AbschlussK. Eines unserer nächsten Ziele ist der Beweis dafür, dass K bis auf K-Isomorphieeindeutig bestimmt ist. Wir werden dies aus den Ergebnissen des nächsten Abschnittszu den Zerfällungskörpern folgern.(2) Steinitz hat diesen Satz zuerst mit dem Wohlordnungssatz bewiesen. Die Verwen-dung des Zorn’schen Lemmas scheint irgendwie natürlicher zu sein. Dennoch, jederBeweis dieses Satzes verwendet eine sogenannte transfinite Methode: transfinite In-duktion, Wohlordnungssatz, Zorn’sches Lemma, die wohlbegründet auf der heutzuta-ge akzeptierten axiomatischen Mengenlehre beruhen. Dennoch bleiben sie immer noch

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24.2 Zerfällungskörper 277

ein wenig mysteriös. Es gibt wichtige Sätze der Algebra, die man ohne diese transfi-niten Methoden (also ohne Zorn’schen Lemma oder dazu äquivalente Aussagen) nichtbeweisen kann.

24.1.5 Kennzeichnung mancher Koeffizienten eines Polynomsdurch die Wurzeln des Polynoms

In der linearen Algebra begründet man gelegentlich den folgenden Satz: Für eine Ma-trix A ∈ Cn×n gilt:

Die Spur von A ist die Summe der Eigenwerte von A.Die Determinante von A ist das Produkt der Eigenwerte von A.

Dieser Satz beruht auf den folgenden Überlegungen, die wir für einen beliebigen KörperK mit algebraischen Abschluss K durchführen: Ein (normiertes) Polynom P = Xn +

cn−1Xn−1+· · ·+c1X+c0 ∈ K[X]mit einem Grad ≥ 1 hat im algebraischen Abschluss

K nicht notwendig verschiedene Wurzeln a1, . . . , an und besitzt demnach über K dieFaktorisierung

P = (X − a1) (X − a2) · · · (X − an) .

Wird die rechte Seite ausmultipliziert, ergibt das

P = Xn − (a1 + a2 + · · ·+ an)Xn−1 + · · ·+ (−1)na1 a2 · · · an .

Ein Koeffizientenvergleich liefert die folgenden oft nützlichen Beziehungen zwischenden Koeffizienten von P und den Wurzeln von P :

cn−1 = −(a1 + a2 + · · ·+ an) und c0 = (−1)na1a2 · · · an .

24.2 Zerfällungskörper

Über dem algebraischen Abschluss K von K zerfällt jedes Polynom aus K[X]. Da-mit könnte man zufrieden sein. Haben wir es aber nur mit einer gewissen, evtl. aucheinelementigen Teilmenge A ⊆ K[X] von Polynomen zu tun, dann zerfallen zwar alleP ∈ A über K, für verfeinerte Untersuchungen, die nur mit A zu tun haben, ist K

evtl. zu groß. Wir suchen eine Erweiterung L/K, in der alle P ∈ A zerfallen, die alsoalle Wurzeln aller P ∈ A enthält, aber ansonsten nichts Überflüssiges leistet. Das sinddie Zerfällungskörper.Ein Erweiterungskörper L von K wird ein Zerfällungskörper von A ⊆ K[X] überK genannt, wenn die folgenden beiden Bedingungen erfüllt sind:

Jedes P ∈ A zerfällt über L, d. h. ist ein Produkt von Linearfaktoren aus L[X].

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278 24 Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

L = K(⋃

P∈A W (P )), wobei W (P ) := {a ∈ L |P (a) = 0}.

Diese zweite Bedingung besagt in Worten, dass L aus K durch Adjunktion aller Wur-zeln aller Polynome aus A entsteht. Ist A einelementig, d. h. A = {P}, so nennt manL auch Zerfällungskörper von P ∈ K[X] über K.

Beispiel 24.7Es ist C = R(i) = R(i, − i) ein Zerfällungskörper von X2 + 1 ∈ R[X].Beachte das Beispiel 24.1 auf Seite 272: Es sei P = X3 − 2 und K = Q. Dann istL = Q( 3

√2, e

2π i3 ) ein Zerfällungskörper von P über K.

Ist u ∈ L Wurzel des überK irreduziblen Polynoms P = X2+aX+b ∈ K[X], dannliegt die Wurzel u bereits in K(u) und über K(u) lässt sich der Linearfaktor X − u

abspalten. Der andere Faktor ist aus Gradgründen auch linear, d. h., P zerfällt überK(u). Also ist K(u) ein Zerfällungskörper von P , und es gilt [K(u) : K] = 2.Wir bestimmen einen Zerfällungskörper von X6+1 über Z3: Über Z3 gilt nach demLemma 13.5 zum Frobeniusmonomorphismus

X6 + 1 = (X2 + 1)3 .

Wir brauchen somit nur eine Wurzel u des über Z3 irreduziblen Polynoms X2+1 zuadjungieren (vgl. vorstehendes Beispiel): Z3(u) ist ein Zerfällungskörper von X6+1

über Z3, und es gilt [Z3(u) : Z3] = 2.

24.2.1 Einfache Tatsachen

Aus der Definition folgt für einen Zerfällungskörper L von A ⊆ K[X] über K:

Kein Zwischenkörper = L von L/K ist ein Zerfällungskörper von A über K.L/K ist algebraisch (vgl. Lemma 21.5 (a)).Ist A endlich, also A = {P1, . . . , Pn}, so kann A durch {P}, wobei P := P1 · · ·Pn,ersetzt werden.

Ein Zerfällungskörper ist also ein kleinster Körper, über dem jedes der Polynome ausA zerfällt. Wir geben eine Abschätzung für den Grad eines Zerfällungskörpers eineseinzelnen Polynoms P an:

Lemma 24.6Es sei L ein Zerfällungskörper von P ∈ K[X] über K, und n := degK P . Dann gilt[L : K] ≤ n !.

Beweis: Es hat P eine Wurzel a ∈ L. Nach Korollar 14.7 gilt P = (X−a)Q mit Q ∈K(a)[X]; und L ist Zerfällungskörper von Q über K(a). Mit vollständiger Induktionnach dem Grad können wir [L : K(a)] ≤ (n− 1) ! voraussetzen. Wegen [K(a) : K] ≤ n

(vgl. Lemma 21.1 (b)) folgt [L : K] ≤ n ! mit dem Gradsatz 20.3.

Page 9: Algebra || Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

24.2 Zerfällungskörper 279

Bemerkung. Es gilt sogar [L : K] |n ! (siehe Aufgabe 24.11); und die obere Schrankekann nicht verkleinert werden, wie das folgende Beispiel zeigt.

Beispiel 24.8Die Wurzeln von X3 − 2 ∈ Q[X] aus C sind 3

√2, ε 3

√2, ε2 3

√2 mit ε := e

2π i3 . Der

Zerfällungskörper in C von X3 − 2 ist daher Q( 3√2, ε) und hat (vgl. Beispiel 21.1 auf

Seite 249) den Grad 6 = 3 ! über Q.

24.2.2 Existenz von Zerfällungskörpern

Wir begründen, dass es zu jeder Menge A von Polynomen über K einen Zerfällungs-körper von A über K gibt:

Satz 24.7Es sei A ⊆ K[X] eine Menge von Polynomen.

(a) Jeder Erweiterungskörper L von K, über dem jedes P ∈ A zerfällt, enthält (genaueinen) Zerfällungskörper von A über K.

(b) Zu A existiert ein Zerfällungskörper über K.

Beweis: (a) Ist L ein solcher Erweiterungskörper, so ist K(W ) ⊆ L, wobei W ⊆ L

die Menge aller Wurzeln aus L aller Polynome von A ist, ein in L eindeutig bestimmterZerfällungskörper von A über K.(b) Nach dem Satz 24.5 von Steinitz besitzt K einen algebraischen Abschluss K. ÜberK zerfällt jedes Polynom P ∈ A. Nach der Aussage in (a) enthält K einen Zerfällungs-körper von A über K.

Beispiel 24.9Für den Zerfällungskörper L von X4 + 1 über Q gilt L ⊇ Q(i), da X4 + 1 = (X2 −i) (X2+i). Weiter gilt L ⊇ Q(i,

√i). Aber über Q(i,

√i) = Q(

√i) zerfällt X4+1 bereits,

sodass L = Q(√i), und es gilt [L : Q] = 4.

24.2.3 Fortsetzung von Isomorphismen auf Zerfällungskörper

Mithilfe des folgenden Fortsetzungssatzes werden wir zeigen, dass jeder Zerfällungs-körper über K wie auch jeder algebraische Abschluss von K bis auf K-Isomorphieeindeutig bestimmt ist. Der Satz ist eine starke Verallgemeinerung von Satz 21.2.

Satz 24.8Es seien ϕ ein Isomorphismus von K auf einen Körper K ′, A ⊆ K[X] und A′ :=

{ϕ̃(P ) |P ∈ A}, wobei ϕ̃(∑n

i=0 ai Xi):=∑n

i=0 ϕ(ai)Xi.

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280 24 Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

Sind L ein Zerfällungskörper von A über K und L′ ein solcher von A′ über K ′, sokann ϕ zu einem Isomorphismus von L auf L′ fortgesetzt werden.

Beweis: Wir begründen die Behauptung mit dem Zorn’schen Lemma. Es sei X dieMenge aller Fortsetzungen von ϕ zu Monomorphismen von Zwischenkörpern von L/K

in L′. Wir definieren in X eine Ordnungsrelation ≤ durch

σ ≤ τ ⇔ τ ist Fortsetzung von σ .

(1) (X, ≤) ist induktiv geordnet.

Wegen ϕ ∈ X ist X nicht leer. Es sei K eine Kette in (X,≤). Der Definitionsbereich vonσ ∈ X sei Eσ . Dann ist E :=

⋃σ∈K Eσ ein Zwischenkörper von L/K. Wir definieren

χ : E → L′ folgendermaßen: Zu a ∈ E existiert σ ∈ K mit a ∈ Eσ . Dann ist dieDefinition χ(a) := σ(a) unabhängig von σ, da nämlich im Fall a ∈ Eσ, a ∈ Eτ undo. E. σ ≤ τ folgt σ(a) = τ(a).Zu a, b ∈ E existiert τ ∈ K mit a, b ∈ Eτ wegen der Ketteneigenschaft von K, sodassχ(a + b) = τ(a + b) = τ(a) + τ(b) = χ(a) + χ(b), analog χ(a b) = χ(a)χ(b). Es istdemnach χ ein Monomorphismus von E in L′. Offenbar setzt χ jedes σ ∈ K fort,sodass χ ∈ X eine obere Schranke von K ist. Somit ist (X,≤) induktiv geordnet undbesitzt nach dem Zorn’schen Lemma ein maximales Element ψ : F → L′ mit einemZwischenkörper F von L/K. Wir zeigen:

(2) F = L.

Es sei P ∈ A und a ∈ L mit P (a) = 0 gegeben. Es zerfällt P̃ ∈ A′ in L′, sodassm̃a,K | P̃ eine Wurzel in L′ hat. Nach Satz 21.2 ist ψ daher zu einemMonomorphismusvon F (a) in L′ fortsetzbar. Wegen der Maximalität von ψ folgt F (a) = F und somita ∈ F . Das impliziert F = L. Also gilt (2). Wir zeigen nun, dass ψ surjektiv ist:

(3) ψ(F ) = L′.

Für P = c (X − a1) · · · (X − an) ∈ A mit c, a1, . . . , an ∈ L gilt P̃ = ψ(c) (X −ψ(a1)) · · · (X−ψ(an)) nach dem Satz 14.3 zur universellen Eigenschaft. Daher enthältψ(F ) = ψ(L) einen Zerfällungskörper von A′ über K ′, sodass ψ(F ) = L′. Also gilt (3).Nach (2) und (3) ist ψ ein ϕ fortsetzender Isomorphismus von L auf L′.

Zwei Erweiterungskörper L, L′ von K heißen K-isomorph, in Zeichen L ∼=K L′,wenn ein K-Isomorphismus von L auf L′ existiert (zur Erinnerung: ϕ ist ein K-Isomorphismus von L auf L′, wenn ϕ ein Isomorphismus von L auf L′ ist und ϕ(k) = k

für alle k ∈ K erfüllt ist; kurz: ϕ|K = IdK).

24.2.4 Eindeutigkeit des Zerfällungskörpers und des algebraischenAbschlusses

Der Sonderfall K = K ′, ϕ = IdK in Satz 24.8 liefert:

Page 11: Algebra || Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

24.2 Zerfällungskörper 281

Korollar 24.9 (E. Steinitz 1910)Je zwei Zerfällungskörper einer Teilmenge von K[X] über K sind K-isomorph.

Beispiel 24.10Es ist C ein Zerfällungskörper von X2 + 1 über R. Es ist aber auch R[X]/(X2 + 1)

ein Zerfällungskörper von X2 + 1 über R. Folglich gilt C ∼=R R[X]/(X2 + 1).Es hat P = X4 +X2 + 1 = (X2 +X + 1) (X2 −X + 1) in C die Wurzeln ±ε, ±ε2

mit ε = exp(2π i3 ). Also ist L = Q(ε) der Zerfällungskörper, und es gilt [L : Q] = 2,

denn X2 +X + 1 ist das Minimalpolynom von ε über Q.

Wir untersuchen den Fall A = K[X]:

Lemma 24.10Für einen Erweiterungskörper L von K sind äquivalent:

(1) L ist ein algebraischer Abschluss von K.

(2) L ist ein Zerfällungskörper von K[X] über K.

Beweis: (1) ⇒ (2): Es sei L algebraischer Abschluss von K. Nach Satz 24.7 (a)enthält L einen Zerfällungskörper E von K[X]. Für jedes a ∈ L zerfällt das Minimal-polynom ma,K über E, sodass a ∈ E. Das zeigt L = E.(2) ⇒ (1): Es sei L Zerfällungskörper von K[X]; und L sei ein algebraischer Abschlussvon L. Wegen Lemma 21.6 (b) ist L algebraischer Abschluss von K, also nach demersten Teil ein Zerfällungskörper von K[X] über K. Es folgt L = L.

Für den algebraischen Abschluss implizieren Korollar 24.9 und Lemma 24.10:

Korollar 24.11 (E. Steinitz)Je zwei algebraische Abschlüsse von K sind K-isomorph.

Bemerkung. Satz 24.5 und Korollar 24.11 besagen zusammengefasst: Jeder Körper Kbesitzt bis auf K-Isomorphie genau einen algebraischen Abschluss K.

24.2.5 Fortsetzung eines Monomorphismus auf eine algebraischeErweiterung

Wie bereits mehrfach erwähnt, spiegelt sich die Struktur einer Körpererweiterung L/Kin ihren K-Monomorphismen wider. Wir werden uns später im Rahmen der Galois-theorie damit noch eingehender befassen (vgl. Kapitel 27). An dieser Stelle, weil ergerade hierher passt, begründen wir einen für verschiedene Anwendungen nützlichenFortsetzungssatz:

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282 24 Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

Satz 24.12Es sei L/K eine algebraische Körpererweiterung. Jeder Monomorphismus von K ineinen über K algebraisch abgeschlossenen Körper M ist zu einem Monomorphismusvon L in M fortsetzbar.

Beweis: Es seien ϕ : K → M ein Monomorphismusund L ein algebraischer Abschluss von L, also auchvon K. Wegen Lemma 24.10 ist L Zerfällungskörpervon K[X] über K; und nach Satz 24.7 (a) enthält Meinen Zerfällungskörper E von ϕ(K)[X] über ϕ(K).Wegen Satz 24.8 zur Fortsetzung von Isomorphismenauf Zerfällungskörper ist ϕ zu einem Isomorphismusψ von L auf E fortsetzbar. Die Einschränkung ψ|List dann ein ϕ fortsetzender Monomorphismus von L

in M .

M

Lψ �� E

L

�� ϕ(K)

24.3 Normale Körpererweiterungen

Wir betrachten in diesem Abschnitt spezielle algebraische Körpererweiterungen.

24.3.1 Kennzeichnungen normaler Körpererweiterungen

Ein Zerfällungskörper L von A über K ist stets ein algebraischer Erweiterungskörpervon K. Wir geben zwei nützliche Charakterisierungen von Zerfällungskörpern:

Satz 24.13 (Kennzeichnungen normaler Körpererweiterungen)Es seien L/K eine algebraische Körpererweiterung und L ein algebraischer Abschlussvon L. Dann sind äquivalent:

(1) L ist ein Zerfällungskörper einer Teilmenge A von K[X] über K.

(2) Für jeden K-Monomorphismus ϕ : L → L gilt ϕ(L) = L.

(3) Jedes irreduzible Polynom aus K[X] mit einer Wurzel in L zerfällt über L.

Beweis: (1) ⇒ (2): Es seien ϕ : L → L ein K-Monomorphismus und a ∈ L eineWurzel von P =

∑ni=0 ci X

i ∈ A. Wegen

0 = ϕ

(n∑

i=0

ci ai

)=

n∑i=0

ci ϕ(a)i

Page 13: Algebra || Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

24.3 Normale Körpererweiterungen 283

ist ϕ(a) ebenfalls Wurzel von P . Da P nach Voraussetzung alle Wurzeln in L hat, folgtϕ(a) ∈ L. Es permutiert ϕ also die (in L liegenden) Wurzeln von P . Bezeichnet W

die Menge aller Wurzeln aller Elemente aus A, so gilt also ϕ(W ) = W , und da auchL = K(W ) gilt, folgt:

ϕ(L) = ϕ(K(W )) = K(ϕ(W )) = K(W ) = L .

(2) ⇒ (3): Es sei a ∈ L eine Wurzel des irreduziblen Polynoms P ∈ K[X]. Und b ∈ L

sei eine beliebige Wurzel von P . Nach Korollar 21.3 existiert ein K-Monomorphismusϕ : K(a) → K(b) mit ϕ(a) = b, und dieser ist nach dem Fortsetzungssatz 24.12 zueinem Monomorphismus ψ : L → L fortsetzbar. Mit der Voraussetzung folgt b =

ψ(a) ∈ ψ(L) = L. Daher zerfällt P über L in Linearfaktoren.(3) ⇒ (1): Für jedes a ∈ L zerfällt das Minimalpolynom ma,K nach Voraussetzungüber L. Daher ist L Zerfällungskörper von {ma,K | a ∈ L} über K.

Man nennt eine algebraische Körpererweiterung L/K normal, wenn sie eine (unddamit alle) der Eigenschaften (1), (2), (3) aus Satz 24.13 hat. Die Charakterisierung (3)in Satz 24.13 besagt in Worten: Eine algebraische Körpererweiterung L/K ist normal,wenn mit jedem Element a ∈ L auch alle zu a konjugierten Elemente (das sind dieanderen Wurzeln von ma,K) in L liegen.

Vorsicht. Wenn M/L und L/K normal sind, ist M/K nicht notwendig normal.

Beispiel 24.11Jede quadratische Körpererweiterung ist normal: Ist nämlich a ∈ L \K Wurzel desirreduziblen Polynoms P ∈ K[X], so gilt degP = 2. Aus Gradgründen zerfällt P

daher über L (siehe auch Korollar 14.7) in ein Produkt zweier linearer Polynome.Also ist L Zerfällungskörper von A = {P} über K.

Es sind Q(√2)/Q und Q( 4

√2)/Q(

√2) nor-

mal, da beide Körpererweiterungen quadra-tisch sind (vgl. erstes Beispiel). Dagegen ist dieErweiterung Q( 4

√2)/Q nicht normal: Das Mi-

nimalpolynom m 4√2,Q = X4 − 2 zerfällt nicht

über Q( 4√2), weil die Wurzel i 4

√2 von m 4√

2,Q

nicht in Q( 4√2) liegt.

Q( 4√2)

nicht normal

normal

Q(√2)

normal

QIst K ein algebraischer Abschluss von K, so ist K/K normal, da K Zerfällungskör-per von A = K[X] über K ist.

Page 14: Algebra || Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

284 24 Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

24.3.2 Normale Hüllen

Wir begründen, dass es zu jeder algebraischen Körpererweiterung L/K einen kleinstenim Wesentlichen eindeutig bestimmten Erweiterungskörper N von L gibt, sodass N/K

normal ist – eine sogenannte normale Hülle:

Lemma 24.14Es sei L/K eine algebraische Körpererweiterung. Dann gilt:

(a) Es existiert ein Erweiterungskörper N von L mit den Eigenschaften:

(1) N/K ist normal.

(2) Für keinen Zwischenkörper E = N von N/L ist E/K normal.

Man nennt N eine normale Hülle von L/K.

(b) Sind N und N ′ normale Hüllen von L/K, so existiert ein K-Isomorphismus vonN auf N ′.

Beweis: (a) Wähle für N einen Zerfällungskörper der Menge aller Polynome ausK[X], die eine Wurzel in L haben. Nach der Kennzeichnung (1) in Satz 24.13 ist dannN/K normal. Und jeder Zwischenkörper E von N/L, für den E/K normal ist, enthältwegen der Kennzeichnung (3) in Satz 24.13 bereits N , sodass E = N gilt.(b) folgt unmittelbar aus Korollar 24.9.

Beispiel 24.12Für L = Q( 4

√2) und K = Q ist die algebraische Erweiterung L/K nicht normal. Es

ist N = Q(i, 4√2) eine normale Hülle von L/K.

Bemerkung. In der Galoistheorie werden wir uns mit speziellen normalen Körperer-weiterungen auseinandersetzen. Daher haben wir die eindringliche Bitte an den Leser,dass er sich mit diesem kurzen Abschnitt 24.3 zu den normalen Erweiterungen intensivauseinandersetzt.

Aufgaben

24.1 Bestimmen Sie für die folgenden Polynome aus Q[X] jeweils einen Zerfällungskörper inC und den Grad dieses Zerfällungskörpers über Q:

(a) X2 − 3,

(b) X4 − 7,

(c) X4 − 2X2 − 2,

(d) X4 + 1,

(e) X6 + 1,

(f) X5 − 1.

24.2 Man gebe Wurzeln a1, a2, a3 des Polynoms X4 − 2 ∈ Q[X] an, sodass Q(a1, a2) nichtisomorph zu Q(a1, a3) ist.

Page 15: Algebra || Algebraischer Abschluss. Zerfällungskörper

24.3 Normale Körpererweiterungen 285

24.3 Für a, b ∈ Q seien P = X2 + a, Q = X2 + b irreduzibel über Q. Für welche a, b sinddie Zerfällungskörper von P und Q isomorph? Wann sind sie gleich (als Teilkörper vonC)?

24.4 Man gebe den Zerfällungskörper L von P = X4 − 2X2 + 2 über Q an, zerlege P überL in Linearfaktoren und bestimme [L : Q].

24.5 (a) Es sei L/K eine algebraische Erweiterung. Ist jeder algebraische Abschluss vonL auch ein algebraischer Abschluss von K und umgekehrt?

(b) Existieren algebraische Abschlüsse E, F eines Körpers K derart, dass F zu einemechten Teilkörper von E isomorph ist?

24.6 Es seien a1, a2, a3 ∈ C die Wurzeln von X3 − 2 ∈ Q[X]. Man zeige, dass die KörperQ(ai) für i = 1, 2, 3 paarweise verschieden sind.

24.7 Man zeige, dass je zwei irreduzible Polynome vom Grad 2 über Zp (p eine Primzahl)isomorphe Zerfällungskörper mit p2 Elementen besitzen.

24.8 Es sei L = K(S) ein Erweiterungskörper von K und jedes Element a ∈ S algebraischvom Grad 2 über K. Begründen Sie, dass L/K normal ist.

24.9 Man zeige, dass die Erweiterungen Q(i√5)/Q, Q((1 + i) 4

√5)/Q(i

√5) normal sind,

jedoch nicht Q((1 + i) 4√5)/Q.

24.10 Man zeige:

(a) Ein algebraisch abgeschlossener Körper hat unendlich viele Elemente.

(b) Es sei F ein algebraischer Abschluss eines endlichen Körpers F . Dann gibt es fürjedes a ∈ F \ {0} ein q ∈ N mit aq = 1.

24.11 Es sei L ein Zerfällungskörper von P ∈ K[X] über K, und n := degK P .

(a) Zeigen Sie, dass [L : K] ein Teiler von n ! ist.

(b) Geben Sie ein Beispiel mit n ≥ 3 an, bei dem [L : K] = n ! gilt.

(c) Geben Sie ein Beispiel an, bei dem n < [L : K] < n ! gilt.

24.12 Man bestimme den Zerfällungskörper von X6 + 1 über Z2.

24.13 Zeigen Sie: Die Körpererweiterung Q(e2π i

n +e−2π i

n )/Q (n ∈ N) ist normal. Hinweis:Verwenden Sie die Kennzeichnung (2) aus Satz 24.13, und ermitteln Sie eine Rekursi-

onsformel für αk := e2π i k

n +e−2π i k

n mit k ∈ N.

24.14 Man überprüfe die folgenden Körpererweiterungen auf Normalität:

(a) Q(√

2 +√2)/Q, (b) Q(

√1 +

√3)/Q.

24.15 Es seien K ein algebraischer Abschluss des Körpers K und K(X) bzw. K(X) derKörper der rationalen Funktionen in der Unbestimmten X über K bzw. K. Zeigen Sie,dass K(X)/K(X) normal ist.

24.16 Es seien E, F, K, L Körper mit K ⊆ E, F ⊆ L und E F := E(F ) das sogenannteKompositum von E und F . Beweisen Sie: Sind die Erweiterungen E/K und F/Knormal, so auch E F/K und E ∩ F/K.


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