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Alexandre Dumas Zwanzig Jahre später - bilder.buecher.de · Alexandre Dumas Zwanzig Jahre später...

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Alexandre Dumas Zwanzig Jahre später
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»Ich liebe Ihre Romane in einundzwanzig Bänden; ich liebe Ihre Fortsetzungen. Ich habe kein Wort von ›Monte Christo‹ ver-säumt, und ich empfand tiefes Glück, als mir nach der Lektüre der ›Drei Musketiere‹ mein Buchhändler weitere zehn Bände brachte mit dem Titel ›Zwanzig Jahre später‹ …« Der englische Roman-cier Thackeray, der das 1847 ironisch an Dumas schrieb, mag ihn gleichwohl auch bewundert haben. Denn Alexandre Dumas (1802–1870), Sohn eines napoleonischen Generals und König des literarischen Feuilletons in der Mitte des neunzehnten Jahr-hunderts, hatte den Nerv des Leserpublikums getroffen: Er bot historische Wahrheit, phantasievoll aufgefüllt mit Dichtung, und mischte dem Ganzen jenen feinen Schuss Ironie bei, der seine Ro-mane bis heute so lesenswert macht.

Vor zwanzig Jahren waren die drei Musketiere und ihr gewitzter gascognischer Freund d’Artagnan noch sehr jung und verwegen. Jetzt begegnen wir ihnen als nicht mehr ganz so jugendlichen Hel-den wieder; aber kühne Haudegen sind sie geblieben, und so stür-zen sie sich erneut in Abenteuer und in die hohe Politik, von der sie, wie es scheint, nicht allzu viel verstehen. Doch selbst die Len-ker des Staatsschiffes machen im Paris der Fronde einen recht hilflosen Eindruck. Sie brauchen kluge Köpfe, die ihnen die harte Arbeit des Kämpfens und die oft noch härtere des Denkens abnehmen, und da springen unsere vier Kavaliere in die Bresche. Allerhöchster Befehl führt sie – auf getrennten Wegen – nach Eng-land, wo dramatische Ereignisse ihrer harren. Wieder in Frank-reich, erleben sie noch so manche böse Überraschung, bis sich so-gar die stolze und schöne Anna von Österreich ihnen huldreich zuwendet – nachdem sie sie ein ganz klein wenig erpresst haben.

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Zwanzig Jahre späterRoman

Aus dem Französischenvon Christine Hoeppener

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Titel der OriginalausgabeVingt ans après

ISBN 978-3-7466-2930-8

Aufbau Taschenbuch ist eine Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

1. Auflage 2013© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2013

Die deutsche Übersetzung erschien erstmals 1971 bei Rütten & Loening

Rütten & Loening ist eine Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Umschlaggestaltung morgen unter Verwendungeines Motivs von Kai Dieterich, bobsairport

Satz LVD GmbH, BerlinDruck und Binden – Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

www.aufbau-verlag.de

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D’Artagnan ist in Verlegenheit,aber einer von unsern alten Bekannten

kommt ihm zu Hilfe

D’Artagnan ging also sehr nachdenklich heim, wobei es ihm kein geringes Vergnügen bereitete, den Beutel des Kardinals Mazarin bei sich zu tragen, während er an den schönen Diamantring dach-te, der einst ihm gehört und den er für einen Augenblick am Fin-ger des Ersten Ministers hatte funkeln sehen.

Als er in die Rue Tiquetonne einbog, vernahm er ein verworre-nes Getöse und gewahrte einen beträchtlichen Auflauf in der Ge-gend seines Quartiers.

»O weh!«, sagte er. »Sollte das Haus des Chevrette in Flam-men stehen oder der Mann der schönen Madeleine wahrhaftig zurückgekehrt sein?«

Es handelte sich weder um das eine noch das andere; als er nä-her kam, bemerkte d’Artagnan, dass der Tumult sich nicht vor seinem Gasthof, sondern vor dem Nachbarhaus abspielte. Lautes Geschrei erscholl, Leute mit Fackeln liefen umher, und im Schein dieser Fackeln erkannte d’Artagnan Uniformen.

Er fragte, was es gäbe, und erhielt zur Antwort, ein Bürger habe mit zwanzig Freunden eine von Garden des Kardinals eskortierte Kutsche überfallen, doch durch eine unvermutet eingetroffene Verstärkung seien die Bürger in die Flucht geschlagen worden. Der Rädelsführer habe sich in das Haus neben dem Gasthof ge-flüchtet, und dieses Haus werde jetzt durchsucht.

In seiner Jugendzeit wäre d’Artagnan dorthin gelaufen, wo er Uniformen sah, und hätte den Soldaten gegen die Bürger Bei-stand geleistet, aber dergleichen Hitzköpfigkeiten hatte er über-wunden, außerdem befanden sich in seiner Tasche die hundert Pistolen vom Kardinal, und er wollte sich nicht einer Gefahr in einem Tumult aussetzen.

Ohne weitere Fragen zu stellen, betrat er den Gasthof. Früher hatte d’Artagnan stets alles wissen wollen, jetzt wusste er stets ge-nug.

Er suchte die schöne Madeleine auf, die ihn nicht erwartete, da

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sie nach dem, was er ihr gesagt hatte, glaubte, er werde die Nacht im Louvre verbringen. Daher bereitete sie ihm einen festlichen Empfang bei seiner unvorhergesehenen Heimkehr, die ihr diesmal umso mehr zusagte, als ihr die Vorgänge auf der Straße Angst und Bange machten und sie zu ihrem Schutz keinen Schweizer bei sich hatte. Sie wollte nun ein Gespräch mit ihm anknüpfen und ihm erzählen, was geschehen sei, aber d’Artagnan hieß sie, das Abend-essen mitsamt einer Flasche altem Burgunder in seinem Zimmer auftragen zu lassen.

D’Artagnan nahm seinen Schlüssel und seine Kerze und stieg in sein Zimmer hinauf. Um das Vermieten von Räumen nicht zu beeinträchtigen, hatte er sich mit einem Zimmer im vierten Stock begnügt. Unsere Achtung vor der Wahrheit zwingt uns sogar, zu erwähnen, dass sich dieses Zimmer unmittelbar unter dem Dach und der Traufe befand.

Dies war sein Achilles-Zelt. Hier sperrte er sich ein, wenn er durch seine Abwesenheit die schöne Madeleine strafen wollte.

Seine erste Sorge war nun, den Beutel, den er nicht einmal zu prüfen brauchte, um über die darin enthaltene Summe Bescheid zu wissen, in einen alten Schreibtisch mit einem neuen Schloss ein-zuschließen; einen Augenblick später wurde ihm sein Abendessen mit der Flasche Wein serviert, worauf er den Kellner entließ, die Tür zusperrte und sich zu Tisch setzte.

Dass er sich einsperrte, geschah nicht, wie man glauben könnte, um nachzudenken, sondern weil er meinte, gut könne man nur etwas machen, wenn man die Dinge der Reihe nach erledige. Er hatte Hunger, er speiste, und nach dem Essen legte er sich zu Bett. D’Artagnan gehörte auch nicht zu den Leuten, die sich einbilden, die Nacht bringe Rat; nachts schlief d’Artagnan. Dagegen hatte er am Morgen, wenn er munter und völlig bei Verstand war, die bes-ten Einfälle. Seit langem hatte er keine Veranlassung gehabt, mor-gens nachzudenken, aber nachts geschlafen hatte er immer.

Zeitig erwachte er, sprang mit einer durchaus militärischen Ent-schiedenheit aus dem Bett und spazierte überlegend im Zimmer umher.

»1643«, sagte er, »ungefähr sechs Monate vor dem Tod des

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Kardinals Richelieu, habe ich von Athos einen Brief erhalten. Wo? Moment mal … Aha! Das war bei der Belagerung von Besançon, erinnere ich mich … ich war im Laufgraben. Was schrieb er mir? Dass er auf einem kleinen Landgut wohne, ja, das stimmt, einem kleinen Landgut, aber wo? Bis dahin war ich gekommen, als mir ein Windstoß den Brief entführte. Früher hätte ich ihn mir zu-rückgeholt, auch wenn ihn der Wind an eine Stelle ohne jede De-ckung geweht hätte. Aber die Jugend ist ein schwerer Mangel … wenn man nicht mehr jung ist. Ich habe meinen Brief mit Athos’ Adresse den Spaniern bringen lassen, die sie nicht brauchen kön-nen und sie mir getrost hätten zurückschicken sollen. An Athos darf ich also nicht mehr denken. Weiter … Porthos.

Von dem habe ich auch einen Brief erhalten, er lud mich zu einer hohen Jagd auf seinen Besitzungen ein, für den September 1646. Leider war ich zu der Zeit im Béarn, weil mein Vater gestorben war. Der Brief folgte mir dorthin; als er ankam, war ich schon fort. Aber er folgte mir weiter und traf in Montmédy ein, einige Tage nachdem ich die Stadt verlassen hatte. Endlich, im April, erreichte er mich, aber da er mich erst im April 1647 erreichte und die Ein-ladung für den September 1646 lautete, konnte mir das nichts nüt-zen. Ich werde den Brief heraussuchen, er muss bei meinen Besitz-urkunden sein.«

D’Artagnan öffnete eine alte, in einer Zimmerecke abgestellte Schatulle voller Urkunden über das Besitztum d’Artagnan, das sei-ner Familie seit zweihundert Jahren völlig verloren war, und stieß einen Freudenschrei aus, er hatte die große Schrift von Porthos er-kannt und darunter ein paar Zeilen Krähenfüße von der dürren Hand seiner würdigen Gemahlin.

D’Artagnan hielt sich nicht damit auf, den Brief noch einmal zu lesen; er wusste, was er enthielt, und suchte eifrig die Adresse. Sie lautete: Château du Vallon. Alle weiteren Hinweise hatte Porthos vergessen. In seinem Dünkel bildete er sich ein, alle Welt müsse das Schloss kennen, dem er seinen Namen gegeben hatte.

»Zum Teufel mit diesem Prahlhans!«, sagte d’Artagnan. »Im-mer noch derselbe! Trotzdem werde ich mit ihm anfangen, da er mit den von Monsieur Coquenard geerbten achthunderttausend

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Livres kein Geld braucht. Vorwärts, das ist der Beste, der mir fehlt. Athos wird durch das viele Trinken blödsinnig geworden sein. Und Aramis muss in seinen Andachtsübungen untergegan-gen sein.«

D’Artagnan warf abermals einen Blick auf den Brief von Por-thos. Da war noch eine Nachschrift: »Ich schreibe mit derselben Post an unseren ehrenwerten Freund Aramis in seinem Kloster.«

»In seinem Kloster! Ja, aber in welchem Kloster? In Paris gab es zweihundert und in Frankreich dreitausend. Und vielleicht hatte er überdies, als er ins Kloster eintrat, ein drittes Mal den Namen gewechselt? Doch halt! Auch von dem habe ich einen Brief be-kommen, in dem er mich um einen kleinen Gefallen bat, den ich ihm dann erwies. Ja, natürlich. Aber wo habe ich diesen Brief nur hingetan?«

D’Artagnan überlegte einen Augenblick und ging dann zu dem Kleiderrechen, an dem seine alten Sachen hingen. Er suchte sein Wams vom Jahre 1648, und da d’Artagnan ein ordentlicher Mensch war, fand er es an einem Haken. Er durchwühlte die Tasche und zog ein Papier hervor: es war just der Brief von Aramis.

»Monsieur d’Artagnan«, schrieb er, »ich habe mich mit einem Edelmann gestritten, der mich heute Abend zu einem Treffen auf der Place Royale bestellt hat. Da ich Geistlicher bin und die Affäre mir schaden könnte, wenn ich sie einem anderen als einem so zu-verlässigen Freund wie Ihnen mitteilte, schreibe ich Ihnen, damit Sie mir als Sekundant dienen.

Kommen Sie durch die Rue Neuve-Sainte-Catherine, unter der zweiten Laterne rechts werden Sie Ihren Gegner finden. Ich werde mit dem meinen unter der dritten sein.

Ganz der IhreAramis«

Diesmal gab es nicht einmal Abschiedsgrüße. D’Artagnan ver-suchte, sich zu erinnern: Er war zu dem Stelldichein gegangen, hat-te den bezeichneten Gegner angetroffen, dessen Namen er nie er-fuhr, hatte ihm einen hübschen Degenstich in den Arm versetzt, dann war er zu Aramis gegangen, der ihm schon entgegenkam, da er seine Sache bereits erledigt hatte.

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»Es ist zu Ende«, hatte Aramis gesagt. »Ich glaube, ich habe den Unverschämten getötet. Wenn du mich einmal brauchst, lie-ber Freund, so weißt du, dass ich dein ergebener Diener bin.«

Darauf hatte ihm Aramis die Hand gedrückt und war unter den Arkaden verschwunden.

Er wusste also ebenso wenig, wo sich Aramis aufhielt, wie er es von Athos und Porthos wusste, und die Sache begann recht be-schwerlich zu werden, als er das Geräusch einer zerklirrenden Fensterscheibe in seinem Zimmer vernahm. Er dachte sogleich an seinen Beutel im Schreibtisch und stürzte aus dem Kabinett. Er hatte sich nicht getäuscht, im selben Augenblick, da er durch die Tür trat, stieg ein Mann durch das Fenster.

»Ha, Schurke!«, rief d’Artagnan, der den Mann für einen Dieb hielt und den Degen in die Hand nahm.

»Monsieur«, rief der Mann, »um Himmels willen, stecken Sie den Degen wieder in die Scheide, und töten Sie mich nicht, ohne mich anzuhören! Ich bin kein Dieb, weit gefehlt! Ich bin ein ehr-barer, wohlbestallter Bürger mit einem eigenen Haus. Ich heiße … Aber was ist das? Ich täusche mich nicht, Sie sind Monsieur d’Artagnan!«

»Und du bist Planchet!«, rief der Leutnant.»Zu Ihren Diensten, Monsieur«, sagte Planchet in höchstem

Entzücken, »wenn ich dazu noch in der Lage bin.«»Vielleicht«, erwiderte d’Artagnan, »aber was, zum Teufel,

plagt dich, um sieben Uhr früh im Januar über die Dächer zu lau-fen?«

»Monsieur«, antwortete Planchet, »Sie müssen wissen … Aber vielleicht brauchen Sie es nicht zu wissen.«

»Lass hören, was?«, sagte d’Artagnan. »Aber zuerst häng eine Serviette vor das Fenster und zieh die Vorhänge zu.«

Planchet gehorchte, und als er fertig war, fragte d’Artagnan: »Nun?«

»Monsieur, vor allem eins«, sagte der vorsichtige Planchet, »wie stehen Sie mit Monsieur de Rochefort?«

»Vortrefflich! Was denn? Du weißt doch wohl, dass Rochefort jetzt einer meiner besten Freunde ist?«

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»Ah! Umso besser.«»Aber was hat Rochefort damit zu tun, wie du in mein Zimmer

eingestiegen bist?«»Das ist es ja, Monsieur! Zuerst muss ich Ihnen sagen, dass

Monsieur de Rochefort …«Planchet zögerte.»Bei Gott«, sagte d’Artagnan, »ich weiß es, er befindet sich in

der Bastille.«»Das heißt, er befand sich dort«, entgegnete Planchet.»Wie? Befand sich?«, rief d’Artagnan. »Hat er das Glück ge-

habt zu entwischen?«»Ach, Monsieur!«, rief jetzt Planchet. »Wenn Sie das Glück

nennen, ist alles gut. Ich muss Ihnen also sagen, dass man gestern anscheinend Monsieur de Rochefort aus der Bastille hat holen lassen.«

»Wahrhaftig! Das weiß ich, da ich ihn geholt habe.«»Aber zu seinem Glück haben Sie ihn nicht wieder dorthin

zurückgebracht, denn hätte ich Sie in der Eskorte erkannt, glau-ben Sie mir, Monsieur, ich habe immer noch zu viel Respekt vor Ihnen …«

»Komm zum Schluss, Tölpel! Was ist geschehen?«»Nun ja, als die Kutsche von Monsieur de Rochefort mitten auf

der Rue de la Ferronnerie durch eine Volksmenge fuhr und die Leute von der Eskorte die Bürger anschnauzten, erhob sich ein Murren. Der Gefangene hielt die Gelegenheit für günstig, er nann-te seinen Namen und rief um Hilfe. Ich war da, und ich kannte ja den Namen des Grafen de Rochefort. Ich dachte daran, dass er mich zum Sergeanten im piemontesischen Regiment gemacht hatte, und da hab ich ganz laut gesagt, dass er ein Gefangener und ein Freund des Herzogs von Beaufort ist. Da gab’s Krawall, die Pferde wurden aufgehalten und die Eskorte runtergeworfen. In-zwischen hatte ich den Kutschenschlag geöffnet, Monsieur de Rochefort war rausgesprungen und in der Menge verschwunden. Zum Unglück kam in diesem Augenblick eine Patrouille, die sich mit den Garden vereinigte und uns angriff. Ich trat den Rückzug an zur Rue Tiquetonne, wurde verfolgt und flüchtete mich hier ins

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Nebenhaus, es wurde umstellt, durchsucht, aber vergebens; im fünften Stock hatte ich eine mitleidige Person gefunden, die mich unter zwei Matratzen versteckte. Bis Tagesanbruch, oder beinahe, bin ich in meinem Versteck geblieben, und weil ich mir dachte, abends wird man vielleicht wieder alles durchsuchen, habe ich mich auf die Dächer getraut und zuerst eine Luke und dann einen Einstieg in ein Haus gesucht, das nicht bewacht wurde. Das ist meine Geschichte, und auf Ehrenwort, Monsieur, ich würde un-tröstlich sein, wäre sie Ihnen unangenehm.«

»Keineswegs«, sagte d’Artagnan, »im Gegenteil, und ich freue mich wirklich, dass sich Rochefort in Freiheit befindet, aber weißt du denn auch, dass man dich ohne Erbarmen hängen wird, wenn du den Leuten des Königs in die Hände fällst?«

»Bei Gott, und ob ich das weiß!«, sagte Planchet. »Wahr-scheinlich wird man mich sogar foltern, und deshalb bin ich so froh, dass ich Sie wiedergefunden habe, denn wenn Sie mich ver-stecken wollen, so kann das keiner besser als Sie.«

»Ja«, sagte d’Artagnan, »nichts lieber als das, obgleich ich nicht mehr und nicht weniger als meinen Rang verliere, wenn es bekannt wird, dass ich einem Aufrührer Zuflucht gewährt habe.«

»Ach, Monsieur, Sie wissen wohl, dass ich für Sie mein Leben riskieren würde.«

»Du könntest sogar hinzufügen, dass du es bereits getan hast, Planchet. Ich vergesse nur Dinge, die ich vergessen muss, und was dies betrifft, so will ich mich daran erinnern. Setz dich also und iss in Ruhe, denn ich sehe, dass du mit einem höchst beredten Blick auf die Reste meines Abendessens schaust.«

Während Planchet sein Bestes tat, die verlorenen Stunden auf-zuholen, ging d’Artagnan auf und ab und überlegte, welchen Nut-zen er unter den gegenwärtigen Umständen aus Planchet ziehen könnte.

Endlich gab Planchet jenen Seufzer der Befriedigung eines aus-gehungerten Menschen von sich, durch den er erkennen lässt, dass er nach einer ersten und soliden Abschlagszahlung eine kleine Pause einzulegen gedenkt.

»Hör zu«, sagte d’Artagnan, der den Augenblick, mit dem Ver-

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hör zu beginnen, für gekommen hielt, »gehen wir der Reihe nach vor: Weißt du, wo Athos ist?«

»Nein, Monsieur«, antwortete Planchet.»Zum Teufel! Weißt du, wo Porthos ist?«»Auch nicht.«»Teufel, Teufel! Und Aramis?«»Ebenso wenig.«»Teufel, Teufel, Teufel!«»Aber«, sagte Planchet mit spitzbübischer Miene, »ich weiß,

wo Bazin ist.«»Wie? Du weißt, wo Bazin ist?«»Ja, Monsieur.«»Und wo ist er?«»In Notre-Dame.«»Und was macht er in Notre-Dame?«»Er ist Mesner.«»Bazin Mesner in Notre-Dame? Bist du sicher?«»Völlig, ich habe ihn gesehen, und ich habe mit ihm gespro-

chen.«»Er muss wissen, wo sein Herr ist.«»Ohne jeden Zweifel.«D’Artagnan überlegte, dann nahm er seinen Mantel und seinen

Degen und schickte sich zum Gehen an.»Monsieur«, sagte Planchet mit kläglichem Gesicht, »Sie las-

sen mich im Stich? Bedenken Sie, dass Sie meine einzige Hoffnung sind!«

»Aber hier wird man dich nicht suchen«, erwiderte d’Artagnan.»Doch wenn sie hierher kommen«, sagte der vorsichtige Plan-

chet, »bedenken Sie, dass ich für die Leute im Haus, die mich nicht haben eintreten sehen, ein Dieb bin.«

»Das ist richtig«, sagte d’Artagnan, »wart einmal, sprichst du irgendeinen Dialekt?«

»Noch Besseres als das, Monsieur«, antwortete Planchet, »ich spreche eine fremde Sprache, ich spreche Flämisch.«

»Wo, zum Teufel, hast du das gelernt?«»Im Artois, wo ich zwei Jahre lang den Krieg mitgemacht habe.

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Hören Sie: Goeden morgen, mynheer! itk ben begeeray te weeten the ge sond heots omstand.«

»Was heißt das?«»Guten Morgen, Monsieur, ich bin begierig, mich nach Ihrem

Gesundheitszustand zu erkundigen.«»Das nennt sich eine Sprache! Aber einerlei«, sagte d’Artagnan,

»es trifft sich vorzüglich.«D’Artagnan ging zur Tür, rief einen Bedienten und befahl ihm,

die schöne Madeleine heraufzubitten.»Was tun Sie, Monsieur«, sagte Planchet, »Sie wollen unser

Geheimnis einer Frau anvertrauen?«»Sei unbesorgt, die wird kein Wort verlauten lassen.«In diesem Augenblick trat die Wirtin ein. Lachenden Gesichts

eilte sie herbei, da sie erwartete, d’Artagnan allein zu finden, doch als sie Planchet bemerkte, wich sie mit erstaunter Miene zurück.

»Meine liebe Wirtin«, sagte d’Artagnan, »ich stelle Ihnen Ihren Herrn Bruder vor, der aus Flandern kommt und den ich für ein paar Tage in meinen Dienst nehme.«

»Meinen Bruder?«, wiederholte die Wirtin immer verwunder-ter.

»Wünschen Sie doch Ihrer Schwester guten Tag, Master Peter.«»Vilkom, zuster!«, sagte Planchet.»Goeden day, broer!«, erwiderte die erstaunte Wirtin.»Die Sache liegt so«, sagte d’Artagnan. »Monsieur ist Ihr Bru-

der, den Sie vielleicht nicht kennen, den ich aber kenne. Er ist aus Amsterdam gekommen. Sie kleiden ihn während meiner Abwe-senheit an; bei meiner Rückkehr, in etwa einer Stunde, stellen Sie ihn mir vor, und auf Ihre Empfehlung hin, da ich Ihnen nichts abschlagen kann, nehme ich ihn in meinen Dienst, obgleich er kein Wort Französisch spricht, haben Sie verstanden?«

»Das heißt, ich errate, was Sie wünschen, und mehr brauche ich nicht«, antwortete Madeleine.

»Sie sind eine unbezahlbare Frau, meine schöne Wirtin, ich verlasse mich auf Sie.«

Nachdem er Planchet ein verständnisinniges Zeichen gegeben hatte, entfernte sich d’Artagnan, um Notre-Dame aufzusuchen.


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