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Al Capone trifft Lolita von Steffen Gresch

Date post: 13-Jan-2016
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...zwei Personen, Verlierer-Typen in anonymer Großstadt. Sie, Christiane von Lüderitz: abgebrochenes Filmhochschul-Studium, Telefonsex, Fellini. Er, Marcel Kowalski: abgebrochenes BWL-Studium, Computer, Pulp Fiction. Endstation: Sehnsucht. Schluss mit diesem Leben wie eine Hühnerleiter, kurz und beschissen! Kowalski träumt davon, als Hacker eine Millionen-Stadt lahm zu legen. Ob Christianes neuer Verehrer, der betuchte und undurchsichtige Robert, dabei von Nutzen sein kann? Ob das Unternehmen nicht doch zu riskant ist? ...Ein Manierismus, der hier allerdings stimmig ist. Denn das Ende der pfiffig konstruierten Geschichte bleibt offen. SAARBRÜCKER ZEITUNG
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Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Erste Szene Steffen Michael Gresch AL CAPONE TRIFFT LOLITA (Alle Rechte beim Autor.) Die Handlung wurde frei erfunden. Personen. Marcel Kowalski, um die Dreißig. Hatte sein BWL-Studium abgebrochen. Christiane von Lüderitz , Mitte Zwanzig. War mal für kurze Zeit auf der Filmhochschule. Einziger Schauplatz: Die Ein-Raum- Wohnung von Marcel.(In einer Millionenstadt.) Die Fernsehbilder werden in schwarz-weiß gezeigt. Es empfiehlt sich eine Pause nach dem ersten Akt. ©Steffen Gresch 2000-2005
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Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Erste Szene

Steffen Michael Gresch

AL CAPONE TRIFFT LOLITA(Alle Rechte beim Autor.)

Die Handlung wurde frei erfunden.

Personen.

Marcel Kowalski, um die Dreißig. Hatte sein BWL-Studium abgebrochen.

Christiane von Lüderitz , Mitte Zwanzig. War mal für kurze Zeit auf der Filmhochschule.

Einziger Schauplatz: Die Ein-Raum- Wohnung von Marcel.(In einerMillionenstadt.)

Die Fernsehbilder werden in schwarz-weiß gezeigt.

Es empfiehlt sich eine Pause nach dem ersten Akt.

©Steffen Gresch 2000-2005

Erster Akt.

Erste Szene.

Es ist Nacht. Der Fernseher ist an. - Der Ton abgeschaltet. Es läuft „Derrick“. Auf

einem die späten 50’er oder frühen 60’er Jahre nachempfundenen Designerstuhl

sitzend, arbeitet Marcel am PC. Eine fahrbare Stehlampe beleuchtet seinen

Schreibtisch.

Auf diesem befindet sich neben einem Ventilator, ein eingerahmtes Foto von

Christiane und Marcel aus besseren Zeiten. Marcel unterbricht die Arbeit und

betrachtet es. Er geht zum Kühlschrank und bereitet sich einen Longdrink zu. Er

schaltet den PC ab.

Marcel: Schon wieder die Firewall! Scheiße! Immer das Gleiche! Ich komme nicht

durch. (Trinkt.) Ein Jahr lang zerbreche ich mir nun den Kopf darüber, wie ich die

Infrastruktur dieser Metropole nur für einen Nachmittag lang lahm legen kann. Ein

verdammtes Jahr lang! Wenn ich doch nur endlich auf dieses verdammte Passwort

käme! Ich wäre am Ziel! (Trinkt. ) Ich, Marcel Kowalski, alias „Blue Screen XXL“,

starte die Hacker-Offensive des einundzwanzigsten Jahrhunderts. - Das

Telefonfestnetz außer Betrieb. - Die Flughafensicherung fällt aus. - Keine U- Bahn

oder S-Bahn fährt mehr. - Alle Verkehrsampeln stehen auf Grün. - Den Rest wird ein

Virus erledigen: Sämtliche Festplatten der öffentlichen Verwaltung löschen sich von

selbst. Und überall auf den Bildschirmen erscheint vor meeresblauem Hintergrund:

„Grüße von „ Blue-Screen-XXL“, - Eurem Mega-Hacker!“ „ Blue-Screen- XXL“!

(Trinkt.) Diesen Namen wird man sich noch merken müssen!(Trinkt aus. Macht

sich noch einen Drink.)Ich werde Geld damit machen. Ja, viel Geld. Moral etabliert

doch nur den Alltag. Die sitzen bloß

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/ Erste/Zweite Szene

an den längeren Hebeln. Das ist alles. Mehr Moral haben die auch nicht. Wenn

überhaupt. ( Nimmt das eingerahmte Foto zur Hand und betrachtet es erneut.

Spricht zum Foto.) Ja, Christiane! Manchmal hast du da wohl noch Skrupel. Das

musst du dir unbedingt abgewöhnen! (Trinkt.) Bankräuber sind schließlich keine

Pazifisten. Unglaublich! - Was wäre passiert, wenn ich die Sparbuch-Omi nicht in den

Schwitzkasten genommen hätte. Die Alte hat doch tatsächlich geglaubt, wir drehen ’n

Film hier. (Trinkt.) Wie kommt Christiane nur dazu, mir deswegen jetzt Vorwürfe zu

machen ? Am Ende gefährdet sie noch unser ganzes...(Handy läutet.) So spät! Sollte

Charlie morgen was dazwischen gekommen sein? - Hallo! -Du Christiane? Es ist neun

vor eins! - Kannst du wieder nicht schlafen? Früher war das mal anders. Hättest eben

nie ausziehen sollen. Aber du führst ja eine... - Was? Warum das denn jetzt? - Hatten

wir nicht ausdrücklich vereinbart, dass niemand von der Aktion erfährt, bevor ich

ihn nicht selbst durchgecheckt habe! - Na hoffentlich! Ich sag’ dir, halte bloß dicht! -

Wie die Sache liegt hier anders? - Schluss jetzt. Nicht am Telefon, und schon gar

nicht via Mobilfunk. Wir treffen uns wie immer morgen vor der Orangerie im

„Internet- Cafe´“. - Wann? Na wie sonst auch, das weißt du doch. Wenn die Ämter

Mittagspause haben. Ach, und sei bitte so lieb und komme diesmal pünktlich! Und

noch was: Lass dein verdammtes Handy gefälligst auch mal angeschaltet! Ich will

nicht schon wieder Stunden lang auf dich warten, ohne zu wissen, was abgeht! - Das

ist deine Sache. Komm’ pünktlich, und alles ist o.k.!( Legt eine Kassette in den

Videorecorder.) Ich schau mir jetzt noch mal Pulp-Fiction an. Travoltas beste

Rolle. Mal ganz abgesehen von der genialen Szene, wo der Gangsterboss am Stuhl

gefesselt ist, und der Bulle ihn von hinten in den.. - Entschuldigung Schatz , war

nicht so gemeint. Träum jetzt schön. Bis Morgen Mittag dann., ciao.

-Black out-

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/ Erste/Zweite Szene

Zweite Szene (a).

Einen Abend später. Im Fernsehen läuft „Ally McBeal“ Christiane und Marcel im

Bett. Es brennt nur das Licht der Stehlampe ,welche neben Marcel steht. Sie tut ihm

unter der Decke einen Gefallen. Er zeigt sich unbeeindruckt davon. Denkt über

etwas nach. Nach einer Weile lässt sie es sein und steht auf.

Christiane: Du bist wieder nicht gekommen, Marcel. Wozu liege ich eigentlich

neben dir im Bett?

Marcel: Was soll ich denn machen. Ich kann mich im Moment nicht so richtig

einlassen.

Christiane: Weil du selbst im Bett nur noch an unsere Aktion denkst! (Zündet sich

eine Zigarette an.) - Was ist wenn die Sache ins Leere geht? Angenommen, alles

würde nach Plan verlaufen. Woher wollen wir denn wissen, ob die Bonzen auch

wirklich erpressbar sind, „Blue Screen XXL“?

Marcel: Ich hab das Passwort noch nicht geknackt, Christiane. Wir können die

sechzigtausend auch in Wertpapiere investieren. Das wäre anständig, unauffällig,

volkswirtschaftlich sinnvoll...

Christiane: Na prima. Da haben wir letzte Woche eine Postfiliale überfallen, mussten

fast eine Rentnerin, die nicht verstanden hatte, worum es ging, als Geisel nehmen, und

du willst mit der Beute an die Börse. (Schweigt eine Weile.) Originell ist das nicht

gerade.

Marcel: Ja, warum eigentlich nicht? Wir müssten dann eben etwas bescheidener

leben. Die Maskierung war perfekt. Die Flucht verlief, wie geplant. Und den

Zwischenfall mit der Sparbuch-Omi hatten wir auch ganz gut gemeistert.

Christiane: Hattest du „gemeistert“. In dem du sie in den Schwitzkasten genommen

hast. Bestimmt wird sie einen Schock davon getragen haben. Sie könnte meine

Großmutter sein!

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Zweite Szene

Marcel: Jetzt aber mal halblang! (Nimmt einen Zug von Christianes Zigarette.) Du

kümmerst dich um ungelegte Eier, mein Schatz. Keiner wird uns zur

Verantwortung ziehen. Und niemand zwingt uns zu weiteren kriminellen Handlungen,

mein Schatz. Wir können, wenn wir nur wollen, ab heute für immer brave Bürger

sein. Bis das der Tod uns scheidet. Falls Eurer Hoheit dies nicht zu unoriginell sein

sollte, Mademoiselle von Lüderitz. (Gibt ihr die Zigarette zurück.)

Christiane: (Ihn anschmusend.) Mensch, Kowalski! Lass uns von den

sechzigtausend lieber ein Jahr Ferien auf Hawaii machen! Stell dir vor! Du gehst

morgens im Tanga-Slip surfen. Ich besuche einen Hula-Hula-Kurs. Abends mieten

wir dann ein Hotelzimmer mit blauen Wänden. Und hören Telemann.

Marcel: Wer ist Telemann? Und wieso mit blauen Wänden?

Christiane: Na wegen der Blue-Box! Was dachtest du denn?

Marcel: (Etwas genervt.) Ach jetzt geht das wieder los!

Christiane: Du treibst es mit anderen Frauen (Holt ihren Camcorder aus der

Handtasche.) , und ich filme dich dabei...

Marcel: Ach lass den Quatsch! Ich weiß doch, was nun kommt.

Christiane: ...Wir spielen Tages-Sau.(Filmt ihn.) , im „Blue-Screen-Verfahren“

(Filmt irgendwelche Männer im Publikum.) . Meine Kamera unterdrückt die blaue

Farbe an den Zimmerwänden. So wirst nur du mit deinen Gespielinnen abgebildet.

Beim Schneiden kann ich dann im Hintergrund beliebig operieren: Der Eiffelturm.

Eine Pyramide! Eine Lotosblume. Die Skyline von Honolulu. Oder die erste

Mondlandung...

Marcel: ...die sowieso im Studio gedreht worden ist.

Christiane: Und wenn schon. Die Hauptsache ist doch der Effekt. (Legt den

Camcorder weg. Geht auf ’s Klo.)

Marcel: Jetzt aber mal ernsthaft, Christiane! Das ist ohne Perspektive. So was nennt

man ein Fass ohne Boden. Honululu hin, Honululu her.

Gresch , Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Zweite Szene

Christiane (Vom Klo rufend.): Es heißt Honolulu, Marcel! Honolulu!

Marcel: Mir ist es egal, wie es heißt. Nach vier, fünf Monaten jedenfalls, wären

wir blank. Verstehst du! Blank! Nix Money. Nix da, Homolulu.

Christiane: Honolulu, du Idiot ! Honolulu ! (Kommt vom Klo zurück.) Sag mal

Honolulu!

Marcel: Jetzt leck mich doch! (Geht auf’s Klo.)

Christiane: (Ihm nachrufend.) Wenn wir blank sind, rauben wir eben noch mal eine

Bank aus. Schließlich läuft uns das Geld doch nicht weg. Bei den Banken ist es

bombensicher. Außer vor uns natürlich.

Marcel: (Kommt zurück.) Sag mal, kannst du, oder willst du mich nicht verstehen?

Wir brauchten Start-Kapital!. Jetzt haben wir die Kohle und können ganz anders

operieren. Charlie besorgt mir ein Kennwortentschlüsselungsprogramm. Wir

verwenden modernste Software und zehn Laptops, an verschiedenen Orten

miteinander verbunden. Und stets starten wir von einem neuen Standort . Dann wird

es für sie noch schwieriger sein, uns zu lokalisieren.

Christiane: Wie das?

Marcel: Unser Bewegungsprofil wird sie irritieren, vorausgesetzt, du führst ab jetzt

nicht mehr derart brisante Telefongespräche mit mir, wie gestern Abend . Dann haben

sie uns nämlich früher am Arsch, als uns lieb sein kann! Und ins

Internetcafe´ bist du auch nicht, wie verabredet, gekommen! Und dein Handy war,

wie auch so oft, wieder mal nicht online! (Steht auf.) Und dann hat mich

Charlie obendrein noch versetzt heute! (Holt zwei Flaschen Bier aus dem

Kühlschrank. Öffnet diese und reicht Christiane eine Flasche.) Aber lassen wir das

jetzt mal. ( Schaltet den Fernseher ab. Legt eine CD auf. -Drum ’n bass.) Also, was

ist das für’n Typ? Du wirst ihm doch wohl nicht schon alles erzählt haben!

Christiane: Ich hab ihm gesteckt , dass ich mit einem versierten Hacker befreundet

bin. Sonst nichts.

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/ Zweite Szene

Marcel: Sonst nichts! Wie kommst du dazu? Geht ’s vielleicht nicht noch etwas

vertrauensseliger!

Christiane: Na, wie so was eben passiert: Nach dem dritten Glas Sekt hatte ich ihn

aufgerissen. Dann vertraute er mir an, mal n’ großes Ding in der IT-Branche

gedreht zu haben: Jede Menge von Schurkenstaaten angelegte Schweizer Konten, hat

er dabei über Internet abgeräumt. Da hab ich mir gedacht...

Marcel: Hat er dich wenigstens gut bezahlt. Oder hast du dich etwa umsonst von

ihm...Christiane: Marcel, denk’ an unsere Abmachung!

Marcel:( Schaltet den Ventilator ein.) O.K. - Ist ja auch deine Angelegenheit. -

(Trinkt.) Aber vielleicht wollte der Kerl bloß imponieren. Hier laufen neuerdings jede

Menge Spinner ’rum, die den Eindruck erwecken wollen, viel Geld zu haben. Die

Story mit den Schurkenstaaten kann sich doch jeder Penner ausdenken.

Christiane: Er fährt n’ Mercedes der S-Klasse. Bei ihm an der Wand hängt ein

echter van Gogh. Sechs Laptops standen in seiner Wohnung einfach so herum. So

jemand lebt nicht von Sozialhilfe, Marcel.

Marcel: Ein echter van Gogh! Woher willst du denn das wissen! So ein Bild ist ein

Vermögen wert. Den Schlitten hat ihm möglicherweise sein Papa geliehen, und

Laptops kann man selbstverständlich auch leasen.

Christiane: Der ist fünfundzwanzig Jahre älter als ich. Von wegen Papa

geliehen. (Trinkt.) Marcel: Aha! Al Capone trifft Lolita. Na Klasse! Sicher will er ja

noch ein Bäumchen pflanzen. Verantwortung übernehmen, und so ’n Scheiß.

Christiane: Nix Verantwortung. Nix Bäumchen. Er sagte, er handle niemals auf

eigene Faust, sondern arbeitet für eine größere Organisation oder Institution. (Macht

die Zigarette aus.)

Marcel: So? Für welche denn?

Christiane: Dazu hat er nichts gesagt. Ich hatte ihn auch nicht danach befragt. Jetzt

lieber nicht. - Dachte ich mir. (Geht wieder ins Bett.)

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Zweite Szene

Marcel: Aber wie er heißt, wird er dir doch wenigstens verraten haben.

Christiane: Sein Name ist Robert. Mehr hatte er nicht preisgeben wollen. Das wäre

nebensächlich, meinte er. Allerdings habe ich mir merken können, wo er wohnt.

Marcel: Robert, - erinnert mich eher an die Werbefigur eines großen

Telekommunikationsunternehmens. Klingt jedenfalls nicht gerade authentisch.

(Trinkt.)

Christiane: Wie meinst du das? (Trinkt.)

Marcel: Sein Klarname wird das kaum sein. (Trinkt aus.) So einer lebt mindestens

mit drei Identitäten. (Schaltet die CD ab.)

Christiane: Na und? Ist das nicht egal? Er wäre möglicherweise unser Mann .

Allein schaffen wir das doch niemals. Wir brauchen für die Aktion jemanden mit

Background. Einen Insider eben. Einen absoluten Insider!

Marcel: Du meinst also, wir sollten uns auf den einlassen?

Christiane: Im Moment spricht einiges dafür.

Marcel: Habt ihr schon ein neues Date vereinbart?

Christiane: Nein. Aber ich kann ihn jederzeit anrufen. (Trinkt aus. Stellt die

Flaschen weg.)

Marcel: O.K. Das nächste Mal will ich mit dabei sein. Ist das klar Christiane!

Christiane: Mach jetzt das Licht aus! (Er knipst die Stehlampe aus.. Es ist dunkel.)

Oh! .. Es ist dunkel.) Oh! Ein Wunder der Natur!

Marcel:( Sanftes Stöhnen.) Das ist ja wie bei Goethes Faust!

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Zweite Szene

Zweite Szene (b).

Am nächsten Morgen. Christiane wacht auf. Sie schaut auf die Uhr.

Sie muss weg. - Zieht sich an, packt ihre Sachen ein, schreibt Marcel noch ein paar

Zeilen. Geht. Marcel hört die Wohnungstür zuknallen, wacht kurz auf, schläft dann

aber wieder ein. Einige Zeit später läutet sein Handy.

Marcel: (Nimmt ab.) Blue- Screen, äh, Kowalski! - Ach du bist es Papa! Wie geht’s

dir, wie geht’s Mama? - Na, das freut mich ja das dass so prima gelaufen ist mit dem

Vorruhestand bei euch beiden. - Was ich so mache? - Ach, ich hab das

Studium inzwischen geschmissen, Betriebswirtschaft ist doch nicht so mein Ding. -

Wovon ich jetzt lebe? - Mach dir keine Sorgen Papa, ich arbeite viel an

Computern. Weißt du, in der IT- Branche lässt sich gutes Geld verdienen,

Internetseiten für kleinere Firmen einrichten und so. - Natürlich auch ohne

Abschlüsse, entscheidend ist hier, dass du durchblickst, und das tut nun mal

nicht jeder. - Was Christiane so macht? - So was wie Telefonservice oder in der

Richtung. - Nein, nicht Nullhundertneunzig. Irgend so ein Kundendienst bei einem

Mobilfunkunternehmen. Wenn jemandem sein Handy geklaut wurde etwa, weißt du.

Papa ich muss jetzt los. Ich hab noch ’nen wichtigen Termin. Es

geht um ’nen Geschäftsauftrag. Schön dass du mal wieder angerufen hast! Grüß

Mama von mir! O.K. - Bis bald. Tschüß dann. (Legt auf. Zieht sich an.) Der

hatte mir ja nun noch gefehlt.(Liest Christianes Brief) „Tut mir leid Marcel, dass ich

so unvorsichtig gewesen bin. Aber vielleicht ist er ja auch der richtige Partner für uns.

Ich komme heute Abend wohl erst nach Acht Uhr zu dir. Im Dessousladen Ecke

Kantstrasse ist neue Ware aus London angekommen. Wenn ich Glück habe, finde ich

da was, dass uns beiden gefällt.“ (Schaut auf die Uhr) Ich muss los. Charlie wartet.

(Schaltet den Ventilator ab. Wählt am Handy eine Nummer an.) Ja, Hallo Charlie!

Ich bin in zehn Minuten da. O.K. Bis gleich. (Legt auf. Geht.) -Fade out-

Gresch,, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Dritte Szene

Dritte Szene. (a)

Am Abend.. Zimmerlicht. Im Fernsehen läuft die Tagesschau.

Christiane duscht. Marcel kommt in die Wohnung. In die Tiefkühltruhe des

Kühlschrankes legt er eine Flasche Sekt. Er setzt sich an den PC und beginnt zu

arbeiten. Christiane kommt aus der Dusche. Aus der Einkaufstasche holt sie neu

gekaufte Dessous und zieht sie sich, langsam, im Spiegel betrachtend, an.

Christiane: (Spaßhaft sächselnd.) Guten Abend, Mr. Blue-Screen-XXL! Wie war

Ihr Tag?

Marcel: (Bewusst berlinernd.) Heut’ hab’ ick endlich die CD-Rom mit dem

Kennwortentschlüsselungsprogramm von Charlie erjattert. (Gibt etwas ein.) Ick

versteh’ bloß det System noch nicht janz.

Christiane: ( Wieder in hochdeutsch.) Mal im Ernst, Kowalski Was hat’s

gekostet?

Marcel: Eigentlich wollte er fünftausend haben. Aber ich hab ihn auf dreitausend

runtergehandelt.

Christiane: Clevere Aktion.

Marcel: Am Ende war er froh, das Teil überhaupt losgeworden zu sein. Is’ nämlich

nich’ von schlechten Eltern. Echt dufte das Teil.

Christiane: (Hat sich die Dessous inzwischen übergezogen.) Und sonst war

nichts besonderes?

Marcel: (Zündet sich eine Zigarette an.) Nein. Das heißt, mein Daddy hatte

angerufen. Die Beiden gehen demnächst in den Vorruhestand.

Christiane: Hat er auch nach mir gefragt?

Marcel: Wollte eben wissen was du so treibst. Er mag dich halt.

Christiane: Doch du hast ihm hoffentlich nicht gesagt dass ich...

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Dritte Szene

Marcel: Aber Frau von Lüderitz! Außer Ihnen und mir, weiß doch niemand, auf

welche Weise Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen.(Mimt eine weibliche

Telefonstimme.) Ich verrate dir jetzt was! (Singt.) Nullhundertneunzig-eins-zwei-

drei -vier-fünf-sechs...

Christiane: Jetzt hör auf, XXL! Ich hab ja nur mal nachgefragt. Manchmal

verplappert man sich ja auch leicht.

Marcel (Arbeitet weiter.) Ja, verstehe. So wie du bei diesem Robert nach dem

dritten Glas Sekt. Scheinst ja ein glühender van Gogh-Fan zu sein.

Christiane: Davon hast du doch null Ahnung! Du mit deinem degenerierten

Kunstverständnis! Wer von uns beiden war denn in der Filmbranche tätig. Ich

frage wer von uns beiden?

Marcel: (M acht sich eine kleine Konservendose auf.) Jetzt komm mal wieder

runter! Christiane: Ich bin noch gar nicht oben, Kowalski! Pulp-Fiction, das ist

deine Welt! Was weißt du denn von Fellini, Fassbinder, Bunuel?

Marcel:(Holt sich einen Löffel.) Mit Verlaub! Ich kenne nur „Bonduelle“. (Isst

den rohen Inhalt aus der Dose. Arbeitet dabei weiter.) Und soviel Ahnung hast

du ja nun auch wieder nicht. Mal abgesehen davon, dass man dir in drei Semestern

das Blue-Screen-Verfahren beigebracht hat. (Schaltet den Ventilator ein.)

Christiane: Das kommt auf den Vergleich an. Mehr als ein abgekackter BWL’ er

auf jeden Fall. Marcel:(Bricht die Arbeit erbost ab.) Das nimmst du zurück,

Christiane! Das nimmst du sofort zurück! - Oder...

Christiane: Oder was?

Marcel: Jedenfalls lasse ich mich von dir nicht beleidigen. (Geht kurz auf ’s Klo.

Kommt wieder zurück.) Du weißt genau, dass ich damals nicht

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Dritte Szene

„abgekackt“, sondern mir die ganze Scheiße einfach zu geradlinig war! (Isst den

Rest aus der Dose. Wirft sie in den Mülleimer)

Christiane: O.K. Es tut mir leid.

Marcel: (Nimmt die Arbeit wieder auf.) Na klar. Hinterher tut es dir immer leid.

Um die Ecke steht ’ne Kirche. Dort kannst du von mir aus beichten gehen.

Christiane: Was denn? Bei den Zeugen Jehovas!

Marcel: Mir egal. Ich erteile dir für dein dummes Gequatsche keine Absolution.

Christiane: Jetzt langt’s aber, Freundchen! Du hattest doch schließlich damit

angefangen! (Geht wieder unter die Dusche.)

Marcel: (Steht auf. Klopft an die Bad-Tür.) Christiane, sei vernünftig! Willst du

jetzt die ganze Nacht lang bei mir duschen? (Macht die Zigarette aus.)

Christiane: (Aus dem Bad.) Ich mache , was ich will. Das beste wird sein, ich

gehe.

Marcel: Ja. Kannst du ja auch. Aber lass uns doch zuvor bitte noch das

Geschäftliche besprechen! Hast du mit dem Typen jetzt ein Date ausgemacht, oder

nicht?

Christiane: (Kommt im Bademantel wieder zurück.) O.K. - Also es war

schwierig ihn im Büro oder auf dem Handy zu erreichen. Aber dann hab ich Glück

gehabt.Marcel: Und? (Schaltet den Ventilator ab.)

Christiane: Ich habe ihn für nächste Woche Freitagabend eingeladen.

Marcel: (Im Fernsehen beginnt eine Volksmusiksendung. Er schaltet den Ton ab.) Du hast ihn

also eingeladen!

Christiane: Ja, was ist denn schon dabei!

Marcel: Und wo trefft ihr euch, wenn ich fragen darf? - Im „Maritim“? Im

„Kempinski“? Oder bei „Mc Donalds“?Christiane: Du liegst völlig falsch,

Kowalski. Er kommt zu mir.

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Dritte Szene

Marcel: Was denn, zu dir?

Christiane: Ja zu mir.

Marcel: Zu dir nach Hause!

Christiane: Irgendein ein Problem damit, XXL?

Marcel: Mach das wieder rückgängig!

Christiane: Ich denke nicht daran. So einen hochkarätigen Kerl kriegen wir so

schnell nicht noch mal.

Marcel: Das ist zu riskant, Christiane! Ich operiere mit dem Laptop manchmal

auch von deinen ISDN-Anschluss aus. Wir wissen doch gar nicht, wer dieser

Robert ist. Ganz zu schweigen davon , wem der vielleicht alles seine Dienste

anbietet! Und wenn er auf uns angesetzt ist?

Christiane: Ach komm, hör auf!

Marcel: Nein. Ich meine es ernst. Was wäre denn, wenn?

Christiane: Du planst mit einer waghalsigen, verheerenden Hacker-Offensive

nicht weniger als zwanzig Millionen von Staat und Wirtschaft zu erpressen, und

zeigst hier null Mut zum Risiko. Weißt du, was ich glaube! Eigentlich willst du das

doch alles gar nicht. (Nimmt sich ein Buch.)

Marcel:(Verlegen.) Na ja. Vielleicht ist es tatsächlich die Chance zum richtigen

Zeitpunkt. Aber ganz wohl ist mir nicht dabei.

Christiane: Warum? Verpfeifen kann er uns wohl kaum, wenn er selbst was auf

dem Kerbholz hat. (Schlägt das Buch auf.)

Marcel: Das ist nicht sicher, Christiane. (Schaltet den PC auf Stand-by.)

Außerdem könnten wir die Kontrolle über das Projekt verlieren! Du und ich, wir

sind ein eingespieltes Team. Wenn jetzt ein Dritter...

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/ Dritte Szene

Christiane: Man muss ja nicht gleich alle Karten auf den Tisch legen. Wir haben

schließlich Zeit, Marcel! Wenn er nicht der richtige für uns ist, lassen wir ihn

wieder fallen. Er muss es ja noch nicht einmal merken.

Marcel: Na gut. Warum eigentlich nicht. Vielleicht hat er ja den Zugriff auf die

Omega-Datei, welche alle bedeutsamen Passwörter speichert. Oder er hilft uns,

das Kennwort herausfinden.

Christiane: Woher willst du wissen, ob die überhaupt existiert?

Marcel: Dass was existiert?

Christiane: Die Omega-Datei.

Marcel: Vom Passwort mal abgesehen, kenne ich von Charlie den Zugangsweg.

Es macht im Übrigen auch Sinn, dass es sie gibt.

Christiane: So?

Marcel: Omega ist bekanntlich der letzte Buchstabe im griechischen Alphabet.

Christiane: Weiß ich. Komm’ zur Sache, XXL!

Marcel: Gut. Stell dir vor, irgend so ein hochrangiger Mitarbeiter vergisst

plötzlich sein Passwort, fällt ins Koma, oder nimmt es gar mit ins Grab! Was dann?

Christiane: Der Zugang wäre nicht möglich.

Marcel: Genauso würde es sein. Die letzte Möglichkeit also. Deshalb Omega

-Datei. ( Schaltet das Zimmerlicht aus, und den Fernseher aus.. Knipst die

Stehlampe an.)

Christiane: Sei’s drum. Feierabend. Hattest du nicht ‘ne Flasche Jahrgangs-Sekt

in der City gekauft? Sagtest du jedenfalls am Telefon.

Marcel: Ja. Einen nullhundertneunziger Cremant. Ich hol ihn aus der Kühltruhe.

Er wird kalt genug sein.(Geht zum Kühlschrank.)

-Fade out-

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Dritte Szene

Dritte Szene (b).

Zwei Stunden später. Im Bett. Marcel spielt auf einem Magnetbrett mit sich selbst

Schach. Christiane liest in ihrem Buch, und macht sich zuweilen am Rand Notizen.

Die Cremant-Flasche ist fast leer.

Christiane: Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass es funktioniert.

Marcel: Es wird funktionieren, wenn ich den Zugriff bekomme.

Christiane: Und dann?

Marcel: Wir können nur einmal zuschlagen. Dann, innerhalb von drei - vier

Tagen, wenn die Normalität wieder hergestellt ist, setzten wir sie wieder unter

Druck. Und eine Frist. Die darf nicht zu kurz, aber auch nicht zu lang sein.

Niemand kann ja wirklich wissen, dass wir nun eigentlich nichts mehr in der Hand

haben. Sie werden die Kohle rüberschieben. Da bin ich mir ganz sicher.

Christiane: Woher nimmst du diese Gewissheit?

Marcel: In ihren Augen steht schließlich die gesamte öffentliche Sicherheit erneut

auf dem Spiel. Das können die sich nicht leisten. Die zahlen. Da wette ich drauf.

(Triumphiert im Geist. Dann unsicher.) Aber was ist , wenn sie uns kriegen

sollten? Wie lange müssten wir sitzen?

Christiane: Zehn, zwölf Jahre, wenn es Tote gibt, länger. Ich hab’ keine Ahnung.

Robert sagte, er sei Jurist. Vielleicht weiß er es..

Marcel: Der kann viel erzählen. Wer weiß schon ob das stimmt mit den Schweizer

Konten, die er angeblich via Internet abgeräumt hat. Ha! Weiß ist schachmatt. Und

überhaupt, ein echter van Gogh. Das kann sich doch keine gewöhnlich sterbliche

Sau leisten. Was liest du da eigentlich die ganze Zeit? (Nimmt ihr das Buch aus

der Hand.) „Wie ein Drehbuch geschrieben wird“ - Das dich das jetzt noch

interessiert.

Christiane: Ach, das ist noch von Nora.

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Dritte Szene

Marcel: Die Nora etwa, mit der du studiert hattest?

Christiane: Ja, genau die. Ich hatte vergessen, es ihr damals zurückzugeben.

Marcel: Sag mal, wieso bist du eigentlich damals von der Filmhochschule

geflogen? Ich hab’ das nie verstanden.,Christiane: Ich mag da nicht mehr drüber

reden. Das ist der Schnee von gestern. Marcel: Erzähl es mir jetzt ! Bitte!

Eigentlich wissen wir doch so wenig übereinander. Stell dir mal vor, wir kämen

wirklich in den Knast. Dann würden wir uns wahrscheinlich niemals wieder

sehen. Im Gerichtsaal vielleicht noch mal...

Christiane: Also gut. Es war so. Ich hatte mein Abi gerade gemacht, und mich

zusammen mit ein paar Freundinnen als Komparse zu den Dreharbeiten eines

Fernsehkrimis gemeldet. Monika führte Regie. Von Beginn an war sie mir

sympathisch, wenn auch ihr Stil sehr hart war. Der Dreh zog sich über mehrere

Wochen hin. Als die letzte Klappe endlich im Kasten war, Monikas „O.K. - Die

Szene ist gestorben“, habe ich noch wie damals im Ohr, sind sich alle

überglücklich in die Arme gefallen. Abends dann war eine große Party

angesagt. Was das für ein Gefühl war, mit allen Leuten im Team, auch den Stars,

die ganze Nacht hindurch zu tanzen, zu trinken und natürlich auch zu

flirten! Die notwendige Hierarchie bei den Dreharbeiten. Hier hörte sie auf zu

existieren. Sie hatte im Nu ihre Bedeutung verloren. Am Ende standen sich nur

noch Menschen gegenüber, die glücklich waren , gemeinsam etwas erreicht zu

haben. - Menschen, die in den vergangenen Wochen sich mehr oder weniger

irgendwie näher kamen. - Und Monika mochte mich, und ich sie auch. Sie war

während der Dreharbeiten fast schon zu so einer Art Ersatzmutter für mich

geworden. Zum Abschied , draußen wurde es schon wieder hell, und wir zwei

lagen uns in den Armen , und wollten nicht mehr einander lassen, empfand ich ein

bisher noch nie gekanntes Glücksgefühl. Vielleicht war es Liebe.

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/ Dritte Szene

Marcel: War es das?

Christiane: Ich weiß es nicht. Damals hatte ich es geglaubt. Heute bin ich mir

nicht mehr so sicher.

Marcel: Egal. Was war dann? Christiane: Die Wochen und Monate danach waren

schrecklich. Der Alltag hatte mich wieder eingeholt. Ich arbeitete in einigen Bars.

Auch da, wo wir uns kennen lernten. Doch irgendwann wurde mir urplötzlich klar:

Diesen Alltag will ich nicht. Soll den leben wer will. Für mich war das kein

lebenswertes Leben. Und dann hatte ich Sehnsucht nach Monika. Hinzu kam noch,

dass der triviale Lebensrhythmus meiner Mutter: Hotelmanagerin im „Ritz“,

geschieden, ich wohnte noch bei ihr, mich immer mehr anwiderte. Endlich rang ich

mich also dazu durch, Monika von meinen Problemen zu schreiben. Ich habe ihr

richtig mein Herz ausgeschüttet. So, wie noch nie im Leben. Als der Brief an sie

im Briefkasten war, fühlte ich mich unglaublich erleichtert aber gleichzeitig auch

unsicher. Würde sie überhaupt reagieren? - Ja vielleicht erinnerte sie sich auch gar

nicht mehr an mich? - Doch sie antwortete kurz und knapp. Ich sollte ein kleines

Drehbuch schreiben und mich damit an der Filmhochschule bewerben. Sie sei dort

auch als Dozentin beschäftigt. Wenn es ihr gefiele, das Drehbuch, würde sie sich

für mich einsetzen.

Marcel: Und dann hast du tatsächlich ein Drehbuch geschrieben?

Christiane: Anfangs versuchte ich es, aber es fiel mir natürlich schwer in solch’

komplexen Dimensionen zu denken. Schon die Expose´s, die ich entwarf,

überzeugten mich nicht. Also drehte ich lieber einen Videoclip über die Müllhalde

am Stadtrand. Als ich das Ding abgeschickt hatte, dachte ich, die fühlen sich

bestimmt von mir verarscht . Und meine Mutter erklärte mich für verrückt. Einfach

für verrückt. Verstehst du! Marcel: Ja und? Was war dann?

Christiane: Ich wurde genommen.

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/ Dritte Szene

Marcel: Hm. - Und dann stellte sich im Laufe des Studiums heraus, dass du dann

doch zu blöd dafür warst?

Christiane: Das war anders, Marcel. Aber wozu ist das jetzt noch wichtig. Wie

schon gesagt, der Schnee von gestern. (Gießt sich den letzten Schluck Cremant

ein.)

Marcel: Nein, erzähl weiter Christiane! - Wir wollen doch wissen, wohin wir

gehen. Also müssen wir auch wissen, woher wir kommen. Du sollst es von mir

auch erfahren.

Christiane: (Nippt.) Eigentlich fing alles so gut an. Ich entwickelte mich wirklich

toll, und auch mit Monika verstand ich mich immer besser. Wir wurden

Freundinnen. Sie verliebte sich in mich, ich liebte sie ja schon. -Monika bot mir

nun sogar die Regie-Assistenz bei ihrem nächsten Film an. - Doch dann ...., willst

du’s ehrlich wissen, Marcel? Marcel: Ja. Natürlich.

Christiane: ... lernte ich jemanden kennen.

Marcel: So. Wen denn?

Christiane: Dich.

Marcel: Ach, nee. Komm!

Christiane: Ich war schon glücklich mit Monika. Doch mir fehlte auch etwas.

(Trinkt den Cremant aus.) Ich wollte einfach wieder mal Sex mit einem Mann

haben.

Marcel: Und der war ich dann eben gerade mal.

Christiane: Ja. So war’s. (Seufzt.) Jetzt ist es raus.

Marcel: (Gefasst.) O. K. Was war dann?

Christiane: Als Monika von Nora davon erfuhr, wendete sie sich von einem Tag

auf den anderen von mir ab. Ich rief sie an, wollte mit ihr noch mal über alles

reden, ich liebte sie ja noch. Aber sie blieb hart. - Was sollte ich denn jetzt noch

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Erster Akt/Dritte Szene

an der Filmhochschule? Wie ein gefallener Engel fühlte ich mich und bin einfach

nicht mehr hingegangen. Es war aus, vorbei. -

Einen Monat später steckte in meinem Briefkasten die Exmatrikulation. Doch da

war mir schon längst alles egal.

Marcel: Da hatte dich der Alltag wieder. Und ich bin an allem schuld . Ahnte ich

damals doch , dass ich so in dein Schicksal eingreifen würde, - niemals hätte ich

dich im „Panama-Club“ angebaggert!

Christiane: Nein, Marcel, mach dir keine Vorwürfe ! Wärest du nicht gewesen,

wäre später ganz bestimmt ein anderer gekommen. Und als wir auf dem kleinen

See im Park rudern waren, weißt du noch? ( Liebkost ihn..) Der rote Feuerball

spiegelte sich im Wasser des Weihers. Die Schwäne begannen ihr Abendkonzert.

(Tut ihm einen Gefallen.)

Marcel:(Erregt.) Christiane, ich liebe dich.

Christiane: Und ich dich. (Umklammert ihn.)

Marcel: Reden wir jetzt noch?

Christiane: Nein. (Küssen sich.)

(Fade out)

Ende des Ersten Aktes.

Gresch,, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Erste Szene

Zweiter Akt.

Erste Szene.

Einige Tage später. Mitternacht. Im Fernsehen läuft „Upton Webber, oder

irgendeine amerikanische Comedy-Serie, bei der die Lacher eines imaginären

Publikums vom Band eingespielt werden. Die Stehlampe steht jetzt neben einem

Sessel, in welchem Christiane sitzt. Sie befasst sich mit dem Kreuzworträtsel eines

Life-Style-Magazins..

Christiane:(Macht den Fernseher etwas leiser.) Hm. „Jemand, der sich mit

unlauteren Mitteln in elektronische Systeme einschleust, um diese für illegale

Zwecke zu missbrauchen.“ - Sechs Buchstaben. - Na das ist ja wohl klar.

(Schreibt die Lösung ein. Legt die Zeitschrift weg.) Wo bleibt der denn nur so

lange! Wird doch nichts passiert sein? Oder hat er etwa eine andere ... Ach was!

Das Nachtleben hat ihn wohl seit langem wieder mal eingeholt. (Zieht sich einen

Pullover über.) Und ich sitze hier und warte. Sein Handy ist schon seit Stunden

abgeschaltet. (Ruft ihn an.) - Natürlich. - Die Mailbox. - Ja du, ich bin’s

Christiane. Ich versuche schon eine Ewigkeit lang dich zu erreichen. Wo steckst du

denn bloß? Melde dich doch bitte! Ich mache mir langsam Sorgen. Ciao! (Legt

auf.) Heute ist Mittwoch. Für übermorgen hab’ ich diesen Robert eingeladen.

Ganz geheuer ist mir das nicht. Vorgestern Nacht träumte ich, mit Marcel im

Gerichtssaal zu sein. Wir saßen auf der Anklagebank. Hinter dem Richter hing

Roberts van Gogh-Bild. Und Robert war der Staatsanwalt. Es war nur ein Traum.

Doch was hat er zu bedeuten? Eine Warnung? Sollte ich ihn ausladen? Vielleicht

ist Marcels Misstrauen ja berechtigt. Brauchen wir tatsächlich einen Partner?

Zugegeben, er hat etwas faszinierendes an sich. Aber verunsichern tut er mich

auch. Zu glatt, zu perfekt scheint alles an ihm. Da war keine einzige Schwäche, die

ich erkennen konnte . Das macht mir Angst. Wer weiß, für wen

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Erste Szene

er arbeitet. Hätt’ ich ihn doch gefragt, an diesem Abend! Möglicherweise

interessiert ihn unsere Aktion, von der er ja noch gar nichts wissen kann,

überhaupt nicht, und er will mich bloß ausspannen. Oder hält mich für ’ne

Karriere-Tussi, die sich nach oben schlafen will. Was wollte ich eigentlich von ihm

an diesem Abend? Egal. Ich sollte darüber mit Marcel reden. Schön war unsere

Nacht neulich. Danach hatte ich eine Zeit lang das wunderbare Gefühl, auf einem

Floß über einen Fluss zu fahren. Marcel ging es ähnlich. Wenn er doch mal käme!

So anziehend können doch die Mädels im „Panama-Club“ für ihn auch nicht sein.

Die meisten sind schon über dreißig. Außer Nora vielleicht. Sie ist

fünfundzwanzig, wie ich. Aber Nora ist ja schon seit November letzten Jahres in

Paris. Was sie wohl jetzt macht? Sie jedenfalls hat’s geschafft. Und ich nicht.

Warum? Warum war ich damals bloß so fixiert auf Monika! (Legt eine CD mit

Ambient-Musik auf. Schlummert.)

Marcel kommt. Macht einen heruntergekommenen Eindruck. ) - Na endlich! Wo

warst du denn so lange? Wieso war dein Handy abgeschaltet?

Marcel: Ich musste es sperren lassen. Christiane: Geklaut?

Marcel: Ja. In der U-Bahn. Stromausfall. Plötzlich war es stockfinster. Kaum war

der Strom wieder da, war es weg. Meine Brieftasche mit fünfhundert Euro und

Kreditkarte. - Weg! Zum Glück hatte ich meine Papiere nicht dabei. (Im

Fernsehen kommt ein lauter Lacher.) Jetzt mach doch mal diesen Quatsch aus!

Christiane: (Schaltet ab.) Merkwürdig. Marcel: „Merkwürdig“ finde ich hier

schon fast verniedlichend. (Geht kurz auf´s Klo. Kommt zurück.) Übrigens: In

der Orangerie hatte ich zufällig deine Freundin Nora getroffen.

Christiane: Was denn? Nora? Was macht sie jetzt?

Marcel: Sie ist auf der Durchreise. Eigentlich will sie nach Kopenhagen.

Christiane: Was will sie denn in Kopenhagen?

Gresch ,Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Erste Szene

Marcel: Sie fängt dort als Cutterin in einem Gay-Porno-Studio an.

Christiane: In einem Gay-Porno-Studio? - Und mir sagte sie immer, sie wolle nach

Hollywood! Marcel: Egal . Wir sind jedenfalls noch auf zwei, drei Cocktails in

den „Panama-Club“ gegangen. Jemand hat mich die ganze Zeit beobachtet.

Christiane: Wirklich? Vielleicht meinte er Nora.

Marcel: Glaub’ ich nich’. Der drehte sich sogar nach mir um, als ich auf’s Klo

musste. (Trotzdem der Fernseher nun abgeschaltet ist, wird jetzt noch einmal

ein Publikumslacher vom Band eingespielt.)

Christiane:(Lacht mit.) Beim Pinkeln hat er dir aber nicht zugeschaut? (Noch ein

Lacher vom Band.)

Marcel: Ich finde das jetzt überhaupt nicht witzig, Christiane!

Christiane:(Lacht noch. Wird allmählich wieder ernst.) Sorry! Du hast Recht.

(Schaltet den Fernseher wieder an. Wählt ein anderes Programm:

„Aktenzeichen XY“.) Was für eine furchtbare Sendung! - Hier wird das Unglück

des Nachbarn zum Gruselmaterial aufbereitet.

Marcel: Ach ja! Und mein Schicksal interessiert dich wohl gar nicht, oder was?

(Er schaltet ab.) Christiane: Also gut. Was hatte er angehabt?

Marcel: Schwarzer, langer Ledermantel, Hut , Sonnenbrille.

Christiane: Schon sehr auffällig. Scheint ganz so, als solltest du ihn geradezu

bemerken.

Marcel: Kann sein.

Christiane: Wie sah er sonst aus?

Marcel: Groß. Um die fünfzig vielleicht.

Christiane: Ist er dir gefolgt?

Marcel: Bemerkt habe ich niemanden. Muss aber nichts zu sagen haben.

Christiane: Würdest du ihn wieder erkennen?

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/ Erste Szene

Marcel: Dafür war es zu dunkel. Höchstens wenn er noch mal dasselbe an hätte.

(Geht zum Kühlschrank.)

Christiane: Kannst dir ja morgen ein neues kaufen. Bei „Fischer“ in der

Heroldstraße habe ich heute preiswerte UMTS-Handys gesehen.

Marcel: (Macht sich ein Bier auf.) Das ist nicht das Problem. (Trinkt.)

Christiane: Sondern.

Marcel: Das war immerhin mein Geschäftstelefon. Auf dem sind etliche sensible

Nummern abgespeichert.

Christiane: Na und?

Marcel: Mensch, kaum jemand von meinen Partnern ist doch wirklich sauber. Das

weißt du doch! Charlies Handynummer war auch dabei.

Christiane: Aber wenn es gesperrt ist, kann doch im Prinzip nichts passieren. Du

siehst Probleme, wo keine sind. (Geht zum Kühlschrank. Macht sich auch ein

Bier auf.)

Marcel: Dein Wort in Gottes Ohr. (Trinkt die Flasche aus.)

Christiane: Ich wollte eigentlich mit dir noch mal über Freitagabend reden. Du

weißt ja, Robert ...

Marcel: Ja, aber nicht jetzt. So fertig wie heute war ich schon lange nicht mehr.

(Legt sich angekleidet ins Bett.)

Christiane: Ausziehen könntest du dich ja noch!

Marcel: Ich bin so müde. Lass mich!

-Fade out-

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/ Zweite Szene

Zweite Szene.

Am nächsten Vormittag. Marcel duscht. Christiane deckt den Frühstückstisch. Leise House-

Rhythmen im Hintergrund. Handy läutet. Christiane: Christiane von Lüderitz.Guten

Morgen, Robert! - Danke gut. - Ah, du kommst morgen Abend also erst gegen

neun . O. K. - Ja die Nacht bei dir war wirklich wunderbar. Und dieses

einzigartige Gemälde da, von van Gogh, wie heißt es noch mal? - Ja richtig, „Der

Sonnenanbeter“! Wirklich sehr beeindruckend! Ich hatte ja auch mal mit Bildern

zu tun, weißt du, nur nicht in der Malerei, sondern beim Film. Sag mal, so ein

Originalwerk muss doch ein Vermögen wert sein, oder? - Ah , verstehe, nicht am

Telefon. Also dann Robert, bis morgen Abend! - Ja, und ich freu mich auch ganz,

ganz doll!!!- Ciao! (Legt auf.) Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt freuen soll! Besser

wäre wohl gewesen, ich hätte ihn irgendwie diplomatisch ausgeladen. Ich werde

partout das Gefühl nicht los, dass er ’ne Nummer zu heftig für uns ist. Da war eine

Festnetznummer, die ich laut seiner Mailboxansage anwählte.Sie landete

unerwartet im Innenministerium. Ich wusste zunächst erst einmal überhaupt nicht ,

was ich sagen sollte, als die Sekretärin mich fragte, worum es sich drehe. Mit dem

Namen Robert konnte sie nichts anfangen. Als sie dann wissen wollte, von wo aus

ich anrufe, hatte ich vorsichtshalber aufgelegt. Und dann dieser Traum. Im

Gerichtssaal. Robert war der Staatsanwalt ...( Handy läutet.) Was denn, schon

wieder! Wenn er das jetzt noch mal ist, sag ich ihm aber endgültig ab! Ich weiß

auch schon, wie ich’s mache... Ja, bitte! - Ach hallo ! - Ja, Marcels Handy ist

gestern in der U-Bahn gestohlen worden. Er ist noch unter der Dusche. - Was? -

Oh Gott! (Marcel kommt aus dem Bad.) - Marcel! (Bedrückt.) Für dich! (Schaltet

die Musik ab.)Marcel: Wieso machst du denn die Musik aus? (Nimmt das

Handy.) Ja bitte! - Morgen Mama! Alles O.K. bei euch? - Wie? - Herzinfarkt!

Oh!.(Schweigt einige Sekunden.) -Soll ich kommen? - Wann? - Dienstag. - Na

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Zweite Szene

klar, wir kommen. Natürlich, wir kommen. - Ich kann das gar nicht begreifen. Wir

hatten doch vor ein paar Tagen noch so fröhlich telefoniert. - Du musst jetzt stark

sein, Mama! Pass auf dich auf, ja?! - Vielleicht kommen wir auch schon ein

bisschen früher. Also dann, bis spätestens am Dienstag! - Machs gut! Ciao

Mama! Ciao! (Legt auf. Sinkt in den Sessel.) Warum? Wieso mein Vater? Er war

doch erst achtundfünfzigeinhalb! (Schluchzt.)Christiane:(Verlegen, halb fragend,

halb feststellend.) Es trifft dich sehr. Marcel: Er hat sich ja nie wirklich

gekümmert um mich. Aber ich habe ihn geliebt. Zuletzt, als er anrief, hatte ich ihn

abgeschüttelt. Es passte mir nicht in den Kram. Vielleicht ahnte er da schon so

was, und wollte deshalb mit mir noch mal reden. Ich hatte mich sowieso

gewundert, dass er das machte. Sonst ist das nämlich nichtseine Art, so einfach mal

anzurufen. Ein kurzes, letztes Gespräch über Belanglosigkeiten. (Holt sich ein

Glas Leitungswasser.) Christiane: Du musst dir keine Vorwürfe machen, Marcel!

Niemand konnte das ahnen. Marcel: Aber ich hätte doch mit ihm noch so viel zu

besprechen gehabt! Als ich klein war, hatte er kaum mit mir geredet. Höchstens:

„Kannst du mal Bier holen gehen?“ Oder: „ Marcel ! - Wo ist der Öffner?“ Ich war

schwer erziehbar. Mit dreizehn hatte ich das erste Mal Sex: mit meiner Mathe-

Lehrerin. Mutter wollte, dass ich in ein Heim komme. Da hatte er mich in Schutz

genommen. - „Wenn du ihn verstößt, verlass ich dich!“ - Soll er gesagt haben.

Und jetzt das! -Herzinfarkt! - Ich fass es nicht! - Eine Kreuzfahrt von Sydney

nach San Francisco wollte ich mit ihm unternehmen .Was er sich ja schon immer

wünschte...( Wirkt, wie weggetreten.) Mein Gott! Als ich begann, unser perfides

Verbrechen zu planen, dachte ich doch nicht nur an das Glück von uns beiden!

(Geht zum Fenster.)Christiane: Marcel! Was hast du vor? (Versucht ihn

aufzuhalten.)

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/ Zweite Szene

Marcel:(Streift sie ab.) Immer ist der Alltag an allem schuld. (Öffnet das

Fenster.) - Meine verkorkste Kindheit. - Wer war schuld? - Der Alltag!

Christiane: (In Todesangst.) Marcel!

Marcel: (Besteigt das Fensterbrett.) Unsere nicht mehr so intakte Beziehung: Der

Alltag hat uns auseinandergetrieben!

Christiane: (Hysterisch.)Marcel! Nein!!!

Marcel: (Setzt zum Sprung an.) Der tödliche Herzinfarkt meines Vaters: auch

eine Folge des Alltags! - (Sinkt zusammen.) Halt mich!!! (Er fällt zur

Zimmerseite. Sie fängt ihn mit Mühe auf.)

Christiane: Bist du O.K.?

Marcel : Das Leben sei eine einzige Hühnerleiter, meinte mein Daddy immer.

Nämlich kurz und beschissen. Wie recht er doch hatte! Scheiß Alltag! Scheiß

Leben! (Richtet sich allmählich wieder auf.)

Christiane: (Ihn mütterlich tröstend.) Lass uns nach vorne sehen, Marcel! Wer,

wenn nicht wir beide, sind dafür auserwählt, den Alltag für immer zu

überwinden?!

Marcel: (Erschöpft.) Schaffen wir das?

Christiane: Wir schaffen es. (Sie liegen sich in den Armen.)

-Black out-

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Dritte Szene

Dritte Szene.

Es ist Freitagnachmittag. Das Bett ist zu einem Sofa zusammengeklappt. Im

Zimmer liegen hier und da Kindheitsfotos von Marcel und seinen Eltern herum.

Marcel liest am Zimmertisch die FAZ. Die eingeschaltete Stehlampe steht

daneben.

Marcel: Ich habe das Passwort, um in die Omega-Datei zu kommen, immer noch

nicht herausgefunden. Manchmal spekuliere ich darauf, es irgendwo zwischen den

Zeilen beim Lesen einer Tageszeitung finden zu können. Im Wirtschafts- oder

Computer - Teil etwa. Einmal ist es mir auch fast gelungen. Doch dann wurde

eingeblendet „Codewort wurde geändert. Geben Sie das aktuelle ein!“ -Und dann

kam die Firewall, und nichts ging mehr. Dann heißt es nichts wie raus der

Verbindung. Dennoch bin ich sicher, dass es mir irgendwann gelingen wird.

Charlies Kennwortentschlüsselungsprogramm hilft mir nun schon entscheidend

weiter. Jedenfalls ist jetzt schon mal deutlich klarer, was alles in Betracht kommt

und was nicht. Bei dreihunderttausend Kennwortoptionen, die in der Minute

getestet werden, ist es nur noch eine Frage der Zeit und der Geduld. (Legt die

FAZ weg.) - Aber vielleicht erweist sich ja auch dieser Robert als ein wahrer

Glücksbringer. Wenn er vertrauenswürdig ist, vorausgesetzt, und wirklich etwas

von der Materie versteht, was ich im Moment noch nicht weiß. Warten wir mal ab.

Heute will er zu Christiane kommen. Ich bin einigermaßen gespannt, was er für’n

Typ ist. (Macht sich einen Espresso. Setzt sich an den Tisch. Nippt.) So etwas

wie vorgestern in der U-Bahn darf mir jedenfalls nicht noch mal passieren. Auf

dem Handy war auch die Nummer und mindestens eine brisante SMS von Charlie

abgespeichert. Keine Frage. Wenn Charlie auffliegt, bin ich mit dran. Einer seiner

Komplizen hat das Kennwortentschlüsselungsprogramm beim LKA auf

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Dritte Szene

CD-Rom für mich runtergeladen. Gebe Gott, dass das Telefon nicht in die falschen

Hände geraten ist! ( Holt sich an der Maschine noch einen Espresso. Greift sich

ein Familienfoto. Setzt sich auf’s Sofa.) Für Dienstag ist die Beerdigung

angesetzt. Ich habe keine Lust hinzufahren. Doch das darf ich Mama nicht antun.

Abschied nehmen kann verdammt schwer sein! Eigentlich ist es kaum zu ertragen,

mit der Gewissheit zu leben, dass man irgendwann mal stirbt. Verdrängt es ein

Leben lang. Als ob es nicht passieren würde. -Dabei wird es passieren. Kommt auf

die Welt, und ist auch gleich wieder zum Tode verurteilt. Ewig muss man darauf

warten, und weiß noch nicht einmal, wann es soweit ist. - Wie ungerecht! - Wie

pervers!(Christiane kommt mit einer größeren Umhängetasche. Knallt die

Wohnungstür hinter sich zu.)Was ist denn los?

Christiane: Ich will den Scheißtelefonsex nicht mehr machen. Diese perversen

ekelhaften Typen. Ich hab es satt. Kurz vor Dienstschluss hatte ich einen an der

Strippe, der verlangte, ich soll mir eine Klobürste hinten reinschieben. - „Das tut

doch weh“, hab’ ich daraufhin gesagt.

„Mir doch egal“, meint da der Scheißtyp, „wofür wirst du denn bezahlt!“

Marcel: Scheint ja ’n ganz Spezieller zu sein.

Christiane: Allerdings.

Marcel: Also ich würde so was nicht von dir verlangen.

Christiane: Das wäre ja auch noch schöner! (Holt eine Flasche Champagner aus

ihrem Einkaufsbeutel. Stellt sie in den Kühlschrank.)

Marcel: (Geht zur Mikrowelle.)Ich meine ja nur. ( Bereitet ein Pasta-Gericht

vor.) Heute ist übrigens Freitag. Ich hoffe du hast deine Wohnung aufgeräumt.

Christiane: Darüber wollte ich mit dir noch mal reden. Noch kann ich ihm

absagen. (Holt aus der Umhängetasche ein Abendkleid, und legt es auf das

Sofa.)

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Dritte Szene

Marcel: Jetzt versteh’ ich gar nichts mehr. Warum willst du dem jetzt auf einmal

absagen? Du warst es doch, die mir diesen Robert regelrecht aufgeschwatzt hatte.

Christiane: Ja. Ich weiß. Aber irgendwas ist faul an der Sache. Die Ereignisse

überschlagen sich in letzter Zeit so. Da geht dir dein Geschäftstelefon unter

mysteriösen Umständen verloren. Dein Vater stirbt plötzlich. Und nun der perverse

Typ heute. Wer weiß. Vielleicht ist dieser ominöse Robert in Wirklichkeit auch nur

ein Perverser!

Marcel: Was habt ihr denn miteinander getrieben, dass du auf solche Gedanken

kommst? Er wird sich doch nicht etwa ’ne Gasmaske aufgesetzt haben? (Stellt das

Pasta-Gericht in die Mikrowelle.)

Christiane: Das war jetzt vielleicht etwas übertrieben. Aber er machte auf mich

schon einen unberechenbaren Eindruck.

Marcel: Kein Wunder: Bei dem Hintergrund. Alles ist unklar. Klar ist nur, dass im

Moment einiges schief zu gehen scheint. (Stellt das Pasta-Gericht auf den Tisch.

Holt Besteck und Porzellanteller.) Merkwürdigerweise seit dein Rosenkavalier

mit ins Spiel gekommen ist.

Christiane: Muss es überhaupt so ein megahartes Ding sein, Marcel?

Marcel: Wie? Was meinst du?

Christiane: Haben wir nicht auch noch andere Möglichkeiten zu sehr viel Geld zu

kommen?

Marcel: Ich versteh’ deine Frage nicht.

Christiane: Das geht nicht gut. Ich sag’ dir: Das geht nicht gut.

Marcel: Wo liegt das Problem? Wo liegt es? Sag es mir!

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Dritte Szene

Christiane: Wir sind nicht die geborenen Terroristen, Marcel. Wir interessieren

uns nicht für Ideologien. Wir wollen nur unsere Freiheit. Ohne Zwang und ohne

Verantwortung leben. Wir wollen den Alltag überwinden. Aber wir sollten nicht

über Leichen gehen. Das geht nach hinten los. Glaub mir!

Marcel: (Lässt die Teller fallen. Es gibt Scherben.) Hab ich dich richtig

verstanden, Christiane? Fast ein Jahr lang harte Arbeit soll allein deshalb umsonst

sein, weil du plötzlich Angst und Gewissensbisse bekommst!

Christiane: Du etwa nicht? Marcel: Mag sein. So geht es sicher jedem, der so

etwas plant. Aber: „Sich selbst besiegen ist der schönste Sieg“, - schrieb mir mal

eine Schulfreundin ins Poesiealbum. (Kehrt die Scherben zusammen.) Soll

übrigens von Goethe sein.

Christiane: Was verstehst du denn von Poesie und von Goethe! Wenn es einen

Kulturbanausen in diesem Stadtteil gibt, dann bist das du! (Lästernd.) Du, der da

doch nur einen Singvogel kennt, und das ist ein Schwein!

Marcel: Schweig, du Miststück! Christiane: Ich denke gar nicht daran. Sondern

eher darüber nach, ob da einst nicht mal was schief gelaufen war, zwischen einer

nymphomanen Mathematiklehrerin, und einem ihrer Schüler, der, wer weiss es

schon, vielleicht im Suff erzeugt wurde...

Marcel:(Verliert die Kontrolle.) Jetzt reicht es. Endgültig! Es reicht!!. Unsere

Beziehung ist um einiges strapazierbar nach all den Jahren. Doch du könntest hier

auch etwas zu weit gehen. Wenn du mich los werden möchtest, dann sag es gleich.

(Holt das Pasta-Gericht aus der Mikrowelle und stellt es demonstrativ in den

Kühlschrank.) Lass dich meinetwegen doch wieder von deiner Lesben-

Regisseurin vögeln! Aber geh’ mir nicht weiter auf den Keks!

Christiane: Komm, spiel’ dich nicht so auf, Kowalski! Liebe verdient Respekt.

Das scheint wohl bei so jemandem, wie dir, noch nicht angekommen zu sein!

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Dritte Szene

Marcel: Und ob! (Packt sie. ) Ja, ich weiß natürlich: Mit mir zusammenwohnen

war dir zu flach, zu langweilig, zu stereotyp! Ich arbeite eben nur den ganzen

Tag am PC und spiele nicht wie dieser Robert überall den Zampano. Brauche ich

mal Abwechslung, gehe ich höchstens ins „Internet-Cafe“ oder in den „Panama-

Club“. Aber das ist natürlich nicht sexy genug für dich.

Christiane: Lass mich los! (Befreit sich und ohrfeigt ihn.) Das ist mir zu blöd,

Kowalski! Du kannst mich mal! (Verlässt die Wohnung. Die Tür bleibt offen.)

Marcel: (Ruft ihr nach.) - Dann zieh doch zu dem, wenn er mehr Kultur hat als

ich! Darum geht es dir doch . (Weint.) Deshalb dieses ganze Theater hier!

(Geht zum Kühlschrank .Macht sich ein Bier auf. Trinkt die Flasche auf Ex.

Verharrt eine Weile regungslos, einem Tableau, ähnlich, im Sessel.)

Christiane: (Kommt wieder zurück. Setzt sich auf den Designerstuhl am PC.)

Nein. Darum ging und geht es mir nicht. Im Gegenteil. Ich will ihn ja eher

loswerden. Du bist der Mann, den ich liebe, und sonst ist da niemand. Ich kenne

doch diesen Robert gar nicht weiter. Du liebst mich doch noch, oder?

Marcel:(Streicht ihr ins Haar.) Keine Frage. Aber lass uns jetzt gemeinsam

überlegen, wie wir aus dem Schlamassel wieder herauskommen. (Gleitet mit der

Hand über ihren Rücken, welchen sie ihm zuwendet.) Wenn du dich nicht mit

ihm treffen magst, bleiben wir eben einfach hier, oder gehen ins „ Kempinski“

essen. (Küsst ihren Po.) Und vorher rudern wir noch ein bisschen im Parkweiher.

So einen wunderschönen Spätnachmittag muss man doch nutzen! Oder? Wir

genießen die anbrechende Dunkelheit. Wie einst...

Christiane: Ja, wie damals, beim ersten Mal. Frühsommer! Sonnenuntergang!

Blaue Stunde!

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Dritte Szene

Marcel: Jaaa! Blue Moon! (Steigert sich in etwas hinein.) Hand in Hand gingen

wir barfuß durch Brennnesseln.

Christiane: (Legt sich entspannt auf’s Sofa.) Eigentlich würde ich mich schon

mit ihm treffen, aber...

Marcel: Aber was?

Christiane:(Spielerisch.) Aber aus irgendeinem anderen Grund. Ich weiß ihn nur

noch nicht so genau. Mir schwebt da so etwas vor...

Marcel:(Geht auf Distanz.) Also, um das klarzustellen: Gruppensex oder so was

läuft nicht mit mir. (Publikumslacher vom Band.)

Christiane:(Lacht.) Nein. Das ist es nicht. Es hat etwas mit Kunst zu tun.

Marcel: Nun. Das ist ja leider auch nicht so meine Stärke. (Geht zum

Kühlschrank. Macht sich einen Longdrink.)

Christiane: Internet schon.

Marcel: Internet schon. Aber passt das zusammen? Kunst und Internet?

Christiane: Weiß nicht.

Marcel: (Denkt angestrengt nach.) Gut. Gehen wir einen anderen Weg. Woran

denkst du denn, wenn du an Kunst und gleichzeitig an diesen Robert denkst?

Christiane: An Bilder.

Marcel: An was für Bilder?

Christiane: (Schließt die Augen.) Bilder mit viel Licht. Solche wie von van Gogh.

Marcel: Ich hab’s! Ich Idiot! Dass ich darauf nicht schon früher gekommen bin!

Wie heißt noch mal das van Gogh-Bild, was da bei ihm hängt? (Geht zum PC.)

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Dritte Szene

Christiane: „Der Sonnenanbeter“.

Marcel: O.K. Sonnenanbeter. (Tippt etwas ein.) - Hier ist es. Liste verschollener

oder gestohlener Gemälde. „Der Sonnenanbeter“ - Vincent van Gogh - 1889. -

Geschätzter Wert: Zwölf Millionen Dollar.

Christiane: Das gibt’s doch nicht.

Marcel: Doch, Darling. Es ist wie im Märchen.

Christiane: Dann haben wir ihn ja... (Trinkt von Marcels Longdrink) ... im Sack!

(Trinkt aus.) Ich fass es nicht.

Marcel: War ja einfach! ( Lacht.) Ich Kulturbanause!

Christiane: Wir schütten ihm was in den Champagner, nehmen ihm Schlüssel,

Handy, Geld, Papiere, Telefonkarte, Kreditkarte und Schuhe ab...

Marcel: ... holen uns das Prachtstück...

Christiane: ...und verschwinden von hier. Ich kenne jemanden am Stadtrand, bei

dem wir erst einmal sicher unterkommen . Hab ich noch irgendwas vergessen?

Marcel: Hm. (Überlegt.) Passt das Bild denn in meinen Passat?

Christiane: Denke schon..

Marcel: Na dann nix wie los! Wieso gegen Gott und die Welt auf Risiko spielen,

wenn sich auf diese Weise der Alltag viel einfacher überwinden lässt!

Christiane: Und ohne Tote. Ist das nicht phantastisch? Marcel: (Sucht etwas in

der Schublade seines Schreibtisches.) Ja Christiane. Ohne Tote. Wir sind human.

Christiane: Humane Arschlöcher.

Marcel: (Hat in der Schublade eine Zigarre gefunden.) Daran besteht nicht der

geringste Zweifel, Fräulein von Lüderitz!. (Zündet sie sich an.)

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Dritte Szene

Christiane: Doch wir sind draußen, Liebster. Und schlimmer. Immer werden

draußen bleiben. (Zieht sich allmählich ihr Abendkleid an.)

Marcel: (Nimmt einen kräftigen Zug.) Na und! Ich bin gerne draußen. Und ich

bin gern ein Arschloch. Wieso nicht Arschloch sein, wenn man von Arschlöchern

regiert wird. (Macht sich am Kühlschrank noch ein Bier auf. Trinkt.) Wir

missachten die Gesetze und basta! Es ist und geil und zeitgemäß ein Arschloch zu

sein.

Christiane: Die Lebensphilosophie des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts.

Marcel: (Zieht genüsslich.) Dabei sind wir noch nicht einmal Philosophen,

Darling.Christiane: Sondern?

Marcel: Künstler. Christiane: Wie denn Künstler?

Marcel: Ja. Wir sind Künstler. Wir verfassen unser Drehbücher selbst, und

können sie jederzeit umschreiben..(Schaltet den PC ab.) Oder nicht, mein Schatz?

(Umklammert sie hinterrücks.) Du bist doch vom Fach!

Christiane:(Löst sich.) Ich würde es so ausdrücken: (Holt ihren Camcorder aus

der Handtasche.) Das Leben gleicht einem einzigen Blue-Screen-Verfahren.

(Filmt das Publikum.) Willkommen in der Blue-Box! Wir können unser Glück

vor jedem Hintergrund immer wieder neu programmieren. So oft wir nur wollen.

(Nimmt Marcel in die Halb-Totale.) Und Action!!

Marcel: (Spricht in die Kamera.) Da wäre also zunächst erst einmal das

Abendprogramm. Ein Krimi, der zu Ende geht, bevor er eigentlich richtig

begonnen hat. Wie wollen wir ihn nennen, mein Schatz?

Christiane: Ich würde sagen - “ Al Capone trifft Lolita.”

Marcel: Perfekt! Und es wird ihm wohl noch leid tun.

Gresch, Al Capone trifft Lolita, Zweiter Akt/Dritte Szene

Christiane: (Legt die Kamera weg.) Ärmster Robert! Nun muss er als Blitzableiter

für unseren Frust herhalten. Wieder ein Stück Unschuld verloren. (Zieht sich

extrem hohe Stöckelschuhe an.)

Marcel: Aber Schatz!. Warum so sentimental? Nichts geht hier auf dieser Welt

ohne Opfer. Lass uns jetzt nach vorne schauen ! Nach der Beerdigung schauen

wir uns auf Hawaii nach einem Kunstliebhaber um.

Christiane: Was denn? (Fällt ihm um den Hals.) Das würdest du wirklich tun?

Mit mir nach Honolulu gehen?

Marcel: (Cool.) Klar doch, Baby.

Christiane: (Greift sich die Kamera.) Marcel! Vor uns ist noch jede Menge

Leben! ( Filmt das Publikum.) Für meine Zukunft seh’ ich blau! Gleich morgen

werde ich dir im Dessousladen in der Kantstraße einen Tanga-Slip kaufen! Wie

war noch mal deine Größe?

Marcel: Langsam Schätzchen ! Vorher müssen wir das noch regeln. (Drückt die

Zigarre auf dem Zimmertisch aus.)

Christiane: Wir regeln das.( Legt die Kamera weg. Holt den Champagner aus

dem Kühlschrank. Legt ihn in die Umhängetasche.)

Sie packen noch ein paar Sachen in die Umhängetasche. Unter anderem jede

Menge Bündel mit Euro-Scheinen. Marcel schaltet die Stehlampe aus. Sie gehen.

Man hört noch, wie die Wohnung zweimal abgeschlossen wird.

-Ende-

Käfers Sturzflug auf den Dichter

Erschienen:21.07.2003 / Saarbruecker_Zeitung / SBM_LOK / BLOK11_6

Ressort:Lokales

Käfers Sturzflug auf den Dichter

Krimi-Nacht: Steffen Greschs „Al Capone trifft Lolita“

Saarbrücken. Ein unsicheres Streifen durch nachtschwarzes Gesträuch – so muss es wohl zu Zeiten Goethes zugegangen sein, als die Freunde der Hochliteratur sich den Weg zu des Geheimrats Mitternachts-Cafés ertasten mussten, weil diese oft an geheimnisvollen, nur Eingeweihten bekannten Plätzen stattfanden.Nun, Jürgen Wönnes „Kir Resonanz Residenz“ im Deutsch-Französischen Garten ist für Ortsunkundige schon tagsüber kaum auszumachen, geschweige denn nachts. Drum wurden die Gäste, die sich trotz der vorgerückten Stunde recht zahlreich zur Premiere von Steffen Greschs live gelesenem Krimi „Al Capone trifft Lolita“ einfanden, von den ausführenden Künstlern selbst am Eingang des DFG empfangen und treulich zur Bühne, Wönnes Garten-Terrasse nämlich, geführt. Skurriles an skurriler Stätte: Da gehörte es irgendwie dazu, dass sich ein den Lese-Frieden störender Hund quer durchs Gebüsch auf die Jagd nach Wönnes Mieze-Tigern begab und ein gewaltiger Käfer surrende Angriffe auf die beiden Vortragenden flog. Doch weder Steffen Gresch noch Nelia Dorscheid ließen sich durch derlei Unwägbarkeiten beirren und widmeten sich intensiv ihrem „Hörspiel“. Das spielt ausschließlich in einem Zimmer; dort agieren und erzählen zwei Personen, Verlierer-Typen in anonymer Großstadt. Sie, Christiane von Lüderitz: abgebrochenes Filmhochschul-Studium, Telefonsex, Fellini. Er, Marcel Kowalski: abgebrochenes BWL-Studium, Computer, Pulp Fiction. Endstation: Sehnsucht. Schluss mit diesem Leben wie eine Hühnerleiter, kurz und beschissen! Kowalski träumt davon, als Hacker eine Millionen-Stadt lahm zu legen. Ob Christianes neuer Verehrer, der betuchte und undurchsichtige Robert, dabei von Nutzen sein kann? Ob das Unternehmen nicht doch zu riskant ist? Vielleicht ist Robert auch auf Marcel angesetzt? Spannung bezieht die heikle Beziehungskiste mit abrupter Wende aus demreizvollen Kontrast des Vortrags-Stils. Rauht Gresch seine stoische Coolness mit manch emotionalem Ausbruch auf, so gibt Dorscheid das berechnende Nymphchen von unterkühlt leiernder Dauer-Laszivität: Jeder Satz ein vages Versprechen, ein „Vielleicht?“. Ein Manierismus, der hier allerdings stimmig ist. Denn das Ende der pfiffig konstruierten Geschichte bleibt offen.kek &routv;Wieder: 19. September, 20.30 Uhr in der Saarbrücker Weingalerie „Die Winzer“; Tel. (0681) 583816.


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