Auf einen Blick
Im Vergleich mit dem Myokardinfakrt (MI) ist die Perikarditis
eine seltene Erkrankung. Eine akute Perikarditis ist in der Regel
viraler Ätiologie oder unbekannten Ursprungs. Das Haupt-
symptom ist ein scharfer (gelegentlich dumpfer) Schmerz, der
ziemlich plötzlich in der Herzregion auftritt und sich mit der
Atmung und der Körperhaltung ändert. Er kann in den Hals
und in die Region des Schulterblattes ausstrahlen. Die EKG-
Veränderungen lassen sich in rund 90% der Fälle feststellen,
sofern mehrere EKGs in Serie zur Verfügung stehen.
Ätiologie
Eine akute Perikarditis ist in der Regel unklaren Ursprungs (in
diesem Fall als „idiopathische Perikarditis“ bezeichnet) oder
hat eine virale Ätiologie. Eine chronische Perikarditis geht mit
vielen Zuständen einher. Eine Zusammenfassung der Ätiolo-
gien, eingeteilt in akute/subakute und subakute/chronische
Perikarditis, ist in Tabelle 15.1 aufgeführt.
EKG
1 Akute Perikarditis
Bei der akuten Perikarditis können vier (oder fünf) Stadien
(theoretisch) unterschieden werden. Beim gleichen Patienten
sind nicht immer alle Stadien zu sehen.
i. akutes, sehr frühes Stadium: PQ-Senkung, positive T-Welle
ii. akutes Stadium:: ST-Hebung (plus PQ-Senkung), positive
T-Welle
iii. Intermediärstadium: ST und PQ isoelektrisch, flache T-
Wellen
iv. subakutes Stadium: negative T-Wellen, ST und PQ isoelek-
trisch
v. (postperikarditisches Stadium: normales EKG)
Die PQ-Senkung (eine leicht deszendierende Strecke zwischen
dem Ende der P-Welle und dem Beginn des QRS-Komplexes)
wird als isoliertes EKG-Zeichen im sehr frühen Stadium
(Stadium 1) der Perikarditis nach unserer Erfahrung besten-
falls in rund 50% der Fälle beobachtet (EKG 15.1). Diese Verän-
derung ist bei einem akuten MI (AMI) äußerst selten. Die EKGs
15.2–15.3 zeigen die häufigere Kombination der PQ-Senkung
mit einer ST-Hebung im Stadium 2 der Perikarditis.
Die ST-Hebung geht in der Regel nicht über 2,0 mm hinaus
und kann in der Mehrheit der 12 Standardableitungen vorhan-
den sein mit Ausnahme der Ableitung aVR, wo das ST immer
gesenkt ist, und der Ableitung V1, wo eine ST-Senkung möglich
ist. In den präkordialen Ableitungen kann die ST-Hebung mehr
im mittleren Bereich (V3 bis V5) oder mehr lateral (V5 bis V6)
akzentuiert sein. Im Gegensatz zum AMI (bei dem die ST-
Hebung meistens vom Abwärtsschenkel des S abgeht und
meistens höher ist) nimmt die ST-Strecke ihren Abgang in die
mittleren präkordialen Ableitungen oft von der S-Zacke aus. In
den Extremitätenableitungen und in den lateralen Ableitungen
V5/V6 entspringt die ST-Hebung oft dem Abwärtsschenkel des
R – gleich wie beim akuten Infarkt.
Der frontale ST-Vektor liegt zwischen +30° und +70°. Da-
durch ist die ST-Strecke in den Ableitungen aVF, II und I er-
höht, was beim AMI nie zu beobachten ist.
Im Gegensatz zum EKG-Bild des MI zeigt das EKG im Ver-
lauf einer akuten Perikarditis weder reduzierte R-Zacken noch
pathologische Q-Zacken.
Die negativen T-Wellen sind bei der subakuten Perikarditis
(Stadium 4) in der Regel symmetrisch (wie bei Ischämie) und
lassen sich am besten in den präkordialen Ableitungen fest-
15 A
uf e
inen
Blic
k
297
Kapitel 15Akute und chronische Perikarditis
stellen. Sie können während Tagen oder mehrerer Wochen vor-
handen sein.
Die T-Negativität kann nur korrekt interpretiert werden,
wenn eine Serie von EKGs mindestens eines der typischen vor-
ausgehenden EKG-Zeichen aufweist: ST-Hebung oder PQ-
Senkung. Das EKG 15.5 zeigt ein „gemischtes“ Bild des akuten
und subakuten Stadiums mit ST-Hebung und beginnender T-
Negativität.
Arrhythmien werden durch eine Perikarditis sehr selten ausge-
löst (ausgenommen Sinustachykardie). Sollten Arrhythmien
auftreten, muss nach einer zusätzlichen organischen Herz-
krankheit gesucht werden. Dies kann eine begleitende Myokar-
ditis (ziemlich selten bei viraler oder idiopathischer Perikar-
ditis) oder eine Herzkrankheit anderer Genese sein.
2 Chronische Perikarditis
Für die chronischen Perikarderkrankungen gibt es keine spezi-
fischen EKG-Zeichen. Ziemlich häufig ist eine T-Negativität.
Ein massiver Perikarderguss kann zu einer peripheren „low
voltage“ führen. Bei der Herztamponade ist möglicherweise ein
„elektrischer Alternans“ vorhanden. Eine konstriktive Perikar-
ditis und eine Herztamponade resultieren in einer diastoli-
schen Dysfunktion des linken Ventrikels (LV) und/oder des
rechten Ventrikels (RV).
298
Im Detail
Die idiopathische ist ebenso wie die virale akute Perikarditis
eine Krankheit, die sich in der Regel außerhalb des Spitals
abspielt. Ein junger Arzt in einer Allgemeinpraxis kann daher
innerhalb weniger Jahre mehr Patienten mit einer Perikarditis
antreffen, als er in all den Jahren seiner Spitalausbildung gese-
hen hat. Tatsächlich werden nur Patienten mit Komplikationen
(z.B. großem Perikarderguss) oder mit einer Perikarditis ande-
rer Ätiologie (z.B. bakteriell, Niereninsuffizienz, maligne
Tumoren, Tuberkulose oder als Folge einer Herzoperation) im
Spital behandelt.
3 Ätiologie und Prävalenz
Die Ätiologie der Perikarditis ist zwar meistens viral oder
unbekannt. Doch sind die Ursachen trotzdem vielfältig
(Tabelle 15.1.).
EKG Spezial
4 PQ-Senkung
Eine akute Perikarditis bewirkt eine transmurale „Verletzung“
der Atrien, was zu einer Veränderung des STa-Vektors führt. Da
die Vorhofwände dünn sind, ist der Vektor in die entgegenge-
setzte Richtung des P-Vektors gerichtet. Dies erzeugt eine
Senkung der „PQ”-Strecke.
Diese leicht deszendierende Strecke zwischen dem Ende
der P-Welle und dem Beginn des QRS-Komplexes ist sehr
typisch für eine akute Perikarditis und wird in rund 50% der
Fälle (siehe „Auf einen Blick“) – häufiger in den frühesten Sta-
dien der Perikarditis – gefunden [1,2]. Die PQ-Senkung ist in
der Regel in den Ableitungen V3 bis V5 und manchmal in den
frontalen Ableitungen zu sehen. Bei anderen Zuständen als der
Perikarditis folgt die PQ-Senkung (einem vergrößerten „STa“
entsprechend) auf hohe P-Wellen in den frontalen Ableitun-
gen, zum Beispiel bei Individuen mit erhöhtem Sympathiko-
tonus, bei dem das negative „STa“ auch die frühe ventrikuläre
Repolarisation beeinflusst, was eine ST-Senkung und nicht
eine ST-Hebung ergibt.
5 ST-Hebung und ST-Vektor
Die ST-Hebung entspricht der Verletzung des subepikardialen
Myokards und die T-Negativität einer Reaktion desselben Sub-
strates, die zu gleichen oder ähnlichen EKG-Zeichen wie jene
ischämischen Ursprungs führt. Die Richtungen der ST- und T-
Vektoren sind bei der Perikarditis im Vergleich zum akuten
und subakuten MI aber verschieden. Der ST-Vektor beim AMI
ist zur verletzten Region hin gerichtet (inferior oder anterior),
während der (kleinere) ST-Vektor bei der akuten Perikarditis
infolge der generalisierten Entzündung des Perikards oft eine
mehr intermediäre Richtung aufweist. Dies führt zu dem cha-
rakteristischen Verhalten der ST-Hebung in den frontalen
Ableitungen, die bei den beiden Krankheiten verschieden ist.
Zusammen mit der unterschiedlichen Amplitude der ST-He-
bung stellt der frontale ST-Vektor den wichtigsten Unterschied
zwischen dem EKG bei akuter Perikarditis und dem bei AMI
dar (siehe Abschnitt 6.1.3).
6 Differentialdiagnose der akutenPerikarditis versus akutemMyokardinfarkt
Erstaunlicherweise findet man aufgrund von seriellen EKGs in
rund 90% der Patienten mit idiopathischer oder viraler Peri-
karditis im EKG Zeichen dieser Krankheit [1,3], während ein
AMI nur in 60–70% im EKG diagnostiziert werden kann.
Wichtige Unterschiede bezüglich Amplitude, Konfiguration
und Lokalisation der ST-Strecke in den verschiedenen Ablei-
tungen erlauben in den meisten Fällen eine korrekte Diagnose.
Außerdem ist der EKG-Verlauf bei der Perikarditis und beim
MI völlig verschieden.
6.1 ST-Hebung
6.1.1 Amplitude der ST-HebungDie ST-Hebung beträgt bei der akuten Perikarditis im Allge-
meinen 1–2 mm und geht selten über 2,5 mm hinaus. Beim
typischen Bild des AMI hingegen übersteigt die ST-Hebung oft
2,5 mm und kann über 10 mm erreichen.
6.1.2 Konfiguration der ST-HebungAus vielen EKG-Büchern haben wir gelernt, dass bei der aku-
ten Perikarditis die ST-Strecke meistens nach oben konkav ist
und von der S-Zacke abgeht, während sie beim AMI in der Re-
gel nach oben konvex ist und direkt dem Abwärtsschenkel der
R-Zacke entspringt (so genannte monophasische Deforma-
tion). Diese Aussage ist nicht korrekt; beim anterioren AMI
kann die ST-Hebung in den Ableitungen V1 bis V3 auch von der
S-Zacke abgehen und bei der akuten Perikarditis entspringt
die ST-Hebung in den Extremitätenableitungen und in V5/V6oft der R-Zacke. Überdies ist die Differenzierung der ST-Konfi-
guration (konvex/konkav) nicht zuverlässig. Das Verhalten des
frontalen ST-Vektors ist viel wichtiger.
15 I
m D
etai
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299
Tabelle 15.1 Ätiologie der Perikarditis
Akute/subakute Perikarditis
Häufig
– Idiopathisch
– Viral: Coxsackievirus A und B, Echovirus, Adenovirus
– Bakteriell: Staphylokokken, Streptokokken, Pneumokokken
– Myokardinfarkt [12]
– Herzoperation
– Thoraxtrauma
Selten
– Viral: Mononucleosis,Varizellen, Mumps-Virus, Hepatitis B, Epstein-Barr-Virus
– Bakteriell: Bacteroides fragilis, Bifidobacterium [13], Borrelia burgdorferi
(Lyme disease), Brucella, Clostridium, Escherichia coli, Fusobacterium,
Gramnegative Sepsis, Klebsiella, Meningokokken [14], Mycoplasma,
Neisseria gonorrhoea, Neisseria meningitidis, Proteus, Pseudomonas,
Salmonella
– Lungenembolie (in 4% der Fälle) [15]
– Pilze: Candida, Histoplasmose
– Andere Infektionen: Amoebiasis [16], Echinokokken,
Leishmaniasis (Kala Azar) [17], Toxoplasmose
– Akutes rheumatisches Fieber
– Andere Bedingungen: Dissezierendes Aortenaneurysma, Bestrahlung,
Schrittmacherimplantation [18]
– Medikamente: Procainamid, Phenytoin, Hydralazin, Phenylbutazon,
Doxorubicin, Clozapin [19], Penicillin mit Eosinophilie.
– Eosinophilie [20,21]
Subakute/chronische Perikarditis und chronische
Perikarderkrankungen
Häufig
– Urämie (behandelt oder unbehandelt)
– Neoplasien: Lunge, Mamma, Melanom, Leukämie, Hodgkin, Lymphom
– Tuberkulose
– Myxödem
– Verzögerte „Verletzung“ („delayed injury“): Postperikardiotomie-Syndrom
Selten
– Infektionen: AIDS, Amoebiasis, Amyloidose, entzündliche
Darmerkrankungen, Sarkoidose
– Bestrahlung
– Autoimmunkrankheiten: Dermatomyositis, Periarteritis nodosa, rheuma-
toide Arthritis, Sklerodermie, systemischer Lupus erythematosus
– Verzögerte „Verletzung“ („delayed injury“): Postmyokardinfarkt-Syndrom
Dressler-Syndrom)
– Primärtumoren: Mesotheliom, Sarkom
– Chyloperikard [22]
– Schrittmacherimplantation [23]
6.1.3 ST-Hebung in den frontalen EKG-Ableitungen und frontaler ST-Vektor
Der frontale ST-Vektor ist bei der akuten Perikarditis das beste
Kriterium zur Unterscheidung von einem Infarktbild. Bei der
akuten Perikarditis liegt der ST-Vektor zwischen +30° und
+70° (Abb. 15.1a), beim akuten inferioren Infarkt zwischen
+80° und +120° (Abb. 15.1b) und beim ausgedehnten akuten
anterioren Infarkt zwischen –40° und +10° (Abb. 15.c). Wir fin-
den also bei der akuten Perikarditis eine ST-Hebung in den
Ableitungen I, II und aVF, während in Ableitung aVR eine ST-
Senkung vorliegt. Je nachdem, ob der ST-Vektor mehr nach
rechts (bis zu +70°) oder mehr nach links (bis zu +30°) gerich-
tet ist, kann das ST in der Ableitung III oder in aVL isoelek-
trisch oder leicht erhöht sein. Das EKG 15.3 zeigt einen fronta-
len ST-Vektor von +30° mit ST-Hebung in den Ableitungen
aVL, I, II und aVF, kombiniert mit nur leichter ST-Hebung in
den präkordialen Ableitungen (und einer ST-Senkung in V1).
Ein derartiger ST-Vektor ist bei einem AMI äußerst selten.
Beim inferioren AMI finden wir die ST-Hebung in den Ablei-
tungen aVF, III und oft II (in aVL hingegen eine ST-Senkung).
Beim anterioren oder anterolateralen AMI zeigt sich die ST-
Hebung in den Ableitungen aVL, I und manchmal II, aber nie
in aVF oder III, wo das ST isoelektrisch oder gesenkt ist.
6.1.4 ST-Hebung in den horizontalen Ableitungen Bei der akuten Perikarditis ist eine ST-Hebung in allen präkor-
dialen Ableitungen möglich, mit Ausnahme der Ableitung V1,
in der das ST gesenkt sein kann (EKG 15.6). In den mittleren
(V3 bis V4) oder in den lateralen Ableitungen (V5 bis V6) kann
die ST-Hebung akzentuiert sein. Beim AMI hängt die Loka-
lisation der ST-Hebung vom Ausmaß des anterioren Infarktes
ab (anteroseptal: V1 bis V3/V4; anteroapikal: V1 bis V4, antero-
lateral: V1 bis V6; streng lateral: V5 und V6). Keiner der akuten
anterioren MI-Bilder weist je eine ST-Senkung in Ableitung V1auf. Eine ST-Senkung in V1 und V2/V3 ist üblich beim akuten
streng posterioren Infarkt als Spiegelbild der ST-Hebung in
den dorsalen Ableitungen V7 bis V9.
Eine plötzliche sekundäre ST-Hebung bei einem Patienten
mit subakutem MI zeigt eine lokale Perikarditis (oder neue
Ischämie) an oder kann ein Vorbote einer drohenden Myo-
kardperforation sein [4]. ST-Hebungen in den rechtspräkordi-
alen Ableitungen wurden als Folge einer akuten Perikarditis
beschrieben [5]. Jedoch sollte in einem solchen Fall eine trans-
murale Verletzung (ein akuter rechtsventrikulärer MI) nicht
übersehen werden. Ein RV-Infarkt tritt meistens nur in Verbin-
dung mit einem inferioren LV-Infarkt auf.
6.2 Pathologische Q-Zacke
Im Gegensatz zum EKG-Ablauf beim MI gibt es bei der akuten
Perikarditis keine oder nur eine minimale Reduktion der R-
Zacke und kein Erscheinen von pathologischen Q-Zacken. Tritt
eine Perikarditis als Komplikation eines akuten oder subaku-
ten MI auf, kann die EKG-Interpretation schwierig werden.
6.3 PQ-Senkung
Eine PQ-Senkung ist bei einem AMI extrem selten; in diesem
Fall bedeutet sie eine atriale Ischämie oder einen atrialen In-
farkt.
300
Abb. 15.1aFrontaler ST-Vektor bei akuter Perikarditis
Abb. 15.1bFrontaler ST-Vektor bei akutem inferi-orem Myokardinfarkt
Abb. 15.1cFrontaler ST-Vektor bei akutem anteriorem Myo-kardinfarkt
6.4 T-Negativität
Negative T-Wellen entwickeln sich bei der Mehrheit der sub-
akuten Perikarditis und sind in der Regel symmetrisch. Sie
sind am besten in den präkordialen Ableitungen V3 bis V6 zu
sehen, während sie beim MI in den Ableitungen mit den patho-
logischen Q-Zacken erscheinen. Außerdem tritt die T-Negati-
vität bei der Perikarditis auf, nachdem die ST-Strecke zur isoe-
lektrischen Linie zurückgekehrt ist (eine Ausnahme siehe im
EKG 15.5), während beim Infarkt die T-Wellen noch bei beste-
hender ST-Hebung negativ werden.
7 Allgemeine Differentialdiagnose derST-Hebung
Eine ST-Hebung kommt vor bei akuter Perikarditis, akutem
und subakutem Infarkt, altem Infarkt mit Aneurysma, Prinz-
metal-Angina, Spiegelbild der LV-systolischen Überlastung
und bei normalen Varianten (einschließlich früher Repolarisa-
tion). Selten wird sie angetroffen bei Hyperkaliämie, Hyper-
kalzämie, zerebrovaskulären Ereignissen, Hypothermie, Pneu-
mothorax und hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie
[6]. Ginzton und Laks [7] untersuchten 19 Patienten mit akuter
Perikarditis und 20 gesunde Individuen mit ST-Hebung vom
Typ „normale Variante“ (einschließlich frühe Repolarisation).
Sie stellten fest, dass ein ST/T-Amplituden-Verhältnis von
≥0,25 in Ableitung V6 die Patienten mit Perikarditis identifi-
zierte und die normalen Varianten ausschloss.
Eine stärkere ST-Hebung in den Ableitungen V1/V2 stellt
eine inhärente Komponente des Brugada-Syndroms dar (siehe
Kapitel 31: Spezielle Wellen, Zeichen und Phänomene des
EKGs).
Fallbeispiel/Short Story 1
Im April 2001 traten bei einer 83-jährigen Frau Atemnot und
persistierende, dumpfe Schmerzen in der Herzgegend auf.
Bei der Hospitalisation zwei Tage später war sie in gutem
(subfebrilem) Allgemeinzustand; ihr Blutdruck betrug
140/80 mmHg und der Puls 80/min. Das EKG (EKG 15.7)
zeigte in den Ableitungen III, aVF, II und V4 bis V6 eine auf-
fallende ST-Hebung von 2–2,5 mm, die in den inferolateralen
Ableitungen von der R-Zacke abging (es bestand aber auch
eine leichte ST-Hebung in Ableitung I!). Ein Echokardio-
gramm wurde nicht durchgeführt. Trotz nur grenzwertig
erhöhter Serumspiegel von Creatinphosphokinase (CPK)
und Troponin wurde die Diagnose eines AMI gestellt und die
Thrombolyse eingeleitet. Die Dyspnoe verschlimmerte sich,
und die Patientin wurde wegen eines Präschocks in ein an-
deres Spital verlegt. Ein Echokardiogramm zeigte einen
großen Perikarderguss und normale Funktionen des LV und
RV. Mittels einer Perikarddrainage wurden 400 ml Flüssig-
keit (Hämatokrit 4%) sofort und 300 ml in den folgenden 24
h entleert. Die Patientin erholte sich, und das EKG kehrte zur
Norm zurück (keine pathologischen Q-Zacken). Eine
Koronarangiographie wurde nicht durchgeführt. Ein Jahr
später ging es der Patientin weiterhin gut, die Ätiologie des
Perikardergusses blieb aber im Dunkeln.
Schlussfolgerung: Das EKG war dem eines Infarktes auffal-
lend ähnlich. Der frontale ST-Vektor betrug aber +65° (mit
leichter ST-Hebung in Ableitung I), und es bestand eine
leichte PQ-Senkung in den Ableitungen V4 bis V6 (Artefakt
in V3). Die Differentialdiagnose einer akuten Perikarditis
hätte in Betracht gezogen werden sollen, besonders auf-
grund der nur grenzwertig erhöhten Troponin- und CPK-
Spiegel. Wäre das Echokardiogramm rechtzeitig durchge-
führt worden, hätte die (in diesem Alter) potentiell gefähr-
liche Thrombolyse, die infolge Blutung den Perikarderguss
noch vergrößerte, vermieden werden können.
Ein kurzer, positiver und kleiner Ausschlag (etwa 1 mm) in der
Region des J-Punktes (am Ende des QRS-Komplexes resp.
Beginn der ST-Strecke, die erhöht ist) wird Storchenbein-
Zeichen genannt. Die Abb. 15.2 zeigt den Grund für diese
Bezeichnung. Drehen wir das EKG um 180°, so ähnelt es einem
Storch, der auf einem Bein (der umgekehrten R-Zacke) steht,
während das andere Bein (der kleine „J-Punkt-Ausschlag“)
zum Körper zurückgezogen ist. Dieses besondere Zeichen wird
in den Ableitungen V4 bis V6 und gelegentlich inferior beob-
achtet und gilt als diagnostisches Zeichen für eine akute
Perikarditis (EKG 15.8). In diesem EKG vermissen wir die PQ-
Senkung, was möglicherweise die Folge des kurzen PQ-
Intervalls ist. Die gesenkte PQ-Strecke könnte im QRS-
Komplex verborgen sein.15
Im
Det
ail
301
Fallbeispiel/Short Story 2Im Februar 2000 erhielt der Autor einen Telefonanruf eines
engen Freundes, eines Professors für psychosomatische
Medizin, der im Ski-Urlaub in einem kleinen Dorf weilte.
Seit einigen Tagen hatte er sich irgendwie krank gefühlt und
unter einem dumpfen retrosternalen Schmerz gelitten, der
zeitweise in die Schulterblätter, den Hals und beide Ohren
ausstrahlte. Der Schmerz intensivierte sich bei tiefer Atmung
und beim Valsalva-Manöver. Trotz des Krankheitsgefühls
unternahm er täglich einen Ski-Langlauf von rund 20 km.
Auf den Rat des Autors suchte er den Dorfarzt auf, der ein
EKG registrierte. Nach Meinung des Arztes konnte ein
subakuter inferolateraler MI nicht ausgeschlossen werden
(die CPK war mit 648 u/l (Normalwert bis 195) signifikant
erhöht; der Troponinspiegel, dessen Resultat später von
einem auswärtigen Labor eintraf, war normal). Aufgrund
des per Fax übermittelten EKGs beruhigte der Autor beide
Kollegen. Die mäßige ST-Hebung entsprang der S-Zacke, der
frontale ST-Vektor betrug +50°, und es war ein Storchen-
bein-Zeichen vorhanden (EKG 15.8). Der weitere Verlauf war
komplikationslos. Zwei Wochen später zeigte das Echokar-
diogramm einen kleinen Perikarderguss über dem RV, das
EKG hatte sich normalisiert, und der Patient fühlte sich
wieder wohl. Virologische Untersuchungen (wie das bei ei-
nem Arzt üblich ist, der zum Patienten wird) wurden nicht
gemacht. Der erhöhte CPK-Wert wurde dem Ski-Langlauf
zugeschrieben. Eine Koronarangiographie wurde nicht
durchgeführt. Warum sollte man auch? – Der Patient hatte
keine Risikofaktoren für eine koronare Herzkrankheit …
abgesehen von Stress.
Die EKGs 15.9 und 15.10 zeigen weitere Beispiele von akuter
Perikarditis mit dem Storchenbein-Zeichen. Dieses wird in
rund 30% der Fälle gefunden. Es kann in einigen Ableitungen
auch als normale Variante, ohne ST-Hebung in den lateralen
Ableitungen, vorkommen (EKG 15.11). Am wahrscheinlichsten
ist das Storchenbein-Zeichen eine Variante der „Osborn-Welle“
(siehe Kapitel 31: Spezielle Wellen, Zeichen und Phänomene
des EKGs). Bei der „frühen Repolarisation“ ist ein begleiten-
des, ähnliches Phänomen auch beim Beginn der ST-Hebung
lokalisiert, die manchmal von der R-Zacke abgeht (EKG 15.12).
8 Arrhythmien
Eine Sinustachykardie stellt die einzige Arrhythmie dar, die bei
der akuten Perikarditis auftritt [8,9]. Alle übrigen Arrhyth-
mien, einschiesslich dem Vorhofflimmern, sind mit einer orga-
nischen Herzkrankheit verbunden, z.B. mit einer deutlichen
myokardialen Beteiligung (Perimyokarditis), die selten bei der
idiopathischen oder viralen Perikarditis vorkommt, oder mit
Herzkrankheiten jeglicher Ätiologie. Spodick [10] macht die
folgende Aussage: Wenn Ihr Patient mit einer Arrhythmie an
einer Perikarditis leidet, suchen Sie sorgfältig nach einer Herz-
krankheit.
9 Chronische Perikarditis
Für eine chronische Perikarditis existieren keine typischen
EKG-Zeichen und zwar weder für die restriktive noch für die
konstriktive Form. Eine leichte ST-Hebung, die jener bei der
akuten Perikarditis ähnelt, kann vorkommen. In vielen Fällen
finden sich negative T-Wellen (symmetrische oder asymmetri-
sche) in den präkordialen und einigen frontalen Ableitungen.
Eine konstriktive und eine restriktive Perikarditis führen zu
diastolischer Herzinsuffizienz [11]. Im fortgeschrittenen Sta-
dium der konstriktiven Perikarditis ist ein Vorhofflimmern
nicht ungewöhnlich, und die frontale Achse kann vertikal sein.
Ein großer Perikarderguss erzeugt oft eine periphere „low vol-
tage“. Diese Veränderungen werden bei der Herztamponade
302
Abb. 15.2Storchenbein-Zeichen(Zeichnung von UrsulaGertsch)
nie gesehen, wo die Herzsilhouette im Röntgenbild unverän-
dert sein kann.
10 Herztamponade
Ein elektrischer Alternans wird manchmal bei Herztamponade
beobachtet und kann in diesem Fall eine Notfallsituation
anzeigen (EKG 15.13). Die Diagnose dieser lebensbedrohlichen
Komplikation wird aber mit Hilfe der klinischen Befunde
gestellt und mit dem Echokardiogramm bestätigt. In der Mehr-
heit der Fälle mit Herztamponade (besonders nach Herzopera-
tionen und im Zusammenhang mit einer Antikoagulation) ist
das Volumen der Flüssigkeit oder des Blutes im Perikard klein
(150–400 ml), weswegen es im EKG sehr selten zu einer peri-
pheren „low voltage“ kommt.
11 Klinische Befunde bei akuterPerikarditis
Die klassischen Symptome der idiopathischen und viralen
Perikarditis bestehen in allgemeinem Unwohlsein, Thorax-
schmerz und gelegentlich Fieber. Häufig beginnt der Schmerz
plötzlich; er ist ziemlich umschrieben in der Herzregion loka-
lisiert, links vom Sternalrand oder retrosternal, und sein Cha-
rakter ist scharf oder brennend. Akzentuiert wird er durch
Atmung, liegende Position, Thoraxbewegung und durch Val-
salva-Versuch, besonders wenn eine begleitende Pleuritis be-
steht. Vorwärtsbeugen des Oberkörpers bringt eine Schmerz-
entlastung. Der Schmerz kann aber auch dumpf oder drückend
sein, und er kann in den Hals, in den Nacken oder in den
Trapezius-Kamm ausstrahlen und so den Schmerz bei einem
AMI imitieren. Ein Perikardreiben kann nur in rund der Hälfte
der Fälle auskultiert werden. Es empfiehlt sich, den Patienten
so oft wie möglich zu auskultieren, nicht über dem Apex, son-
dern in der Mitte des Sternums in Höhe des zweiten bis vierten
Interkostalraums oder am linken Sternalrand – und während
Inspiration und Exspiration.
(Die Literaturangaben 12–23 sind aufgeführt in Tabelle 15.1:
Ätiologie der Perikarditis).
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15 I
m D
etai
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303
304
EKG 15.1 53J/m. EKG 6 h nach Beginn von akuten Tho-raxschmerzen. Frühes akutes Stadium derPerikarditis mit PQ-Senkung in I, II, aVF undV1 bisV6.
EKG 15.2 65J/m. Akute idiopathische Perikarditis. EKG: ST-Hebung in Ablei-tungen I, II und aVF (frontaler ST-Vektor rund +50º) und in (V2/V3)V4 bis V6. PQ-Senkung in I, II, aVF, III und V2 bis V6. Beachte die klei-nen Q-Zacken in V2/V3, eine normale Variante aufgrund des nor-malen Koro.
Kapi
tel 1
5 E
KGs
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EKG 15.3 74J/m. Lebertransplantation. Subakute Lungenembolie mit kleinemPleura- und Perikarderguss. EKG: frontaler ST-Vektor +30º, ST-He-bung in aVL, I, II und aVF. Nur leichte ST-Hebung in (V2/V3/V4) V5/V6.Beachte auch die PQ-Senkung in I, II, aVF und V3 bis V6.
EKG 15.4 60J/w. Subakute virale Perikarditis. EKG: negative T-Wellen in IIund V3 bis V6.
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EKG 15.5 44J/m. Akute/subakute virale Perikarditis. EKG: leichte ST-Hebung in I, II und aVF, und in (V2/V3) V4 bis V6, mit beginnender„T-Negativität“ in V3 bis V5 (V6). Beachte:„negative T-Welle“oberhalb der isoelektrischen Linie. Leichte ST-Senkung in V1.
EKG 15.6 28J/w. Akute virale Perikarditis. EKG: frontaler ST-Vektor +60°, mitST-Hebung in I, II, aVF und V2 bis V6. ST-Senkung in V1(!) Typische PQ-Senkung in II, aVF (I) und V2 bis V6.
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tel 1
5 E
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EKG 15.7 Fallbeispiel/Short Story 1. 83J/w. EKG: Akute Perikardi-tis, die einen inferioren AMI vortäuscht. Aber der fron-tale ST-Vektor beträgt +60°, mit ST-Hebung nicht nurin II, aVF und III, sondern zusätzlich in I (und in V5/V6).Leichte ST-Senkung in V1. Keine PQ-Senkung, mögli-cherweise infolge des kurzen PQ-Intervalls (130 ms).
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EKG 15.8 Fallbeispiel/Short Story 2. 62J/m. Idiopa-thische akute Perikarditis. EKG: frontalerST-Vektor +50°. ST-Hebung in I, II, aVF, IIIund V4 bis V6 (V2/V3). Storchenbein-Zei-chen in aVF und V4 bis V6 (Pfeil). MinimalePQ-Senkung in V4/V5 und in einigen Extre-mitätenableitungen (kurzes PQ-Intervall).
Kapi
tel 1
5 E
KGs
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EKG 15.9 ��
68J/w. Akute idiopathische Perikarditis. EKG: frontaler ST-Vektor+60°. ST-Hebung in I, II, aVF, III und V2 bis V6. Storchenbein- Zeichenin V2 (V3), siehe Pfeile. Beachte, dass die ST-Hebung ausschließlichvom Abwärtsschenkel des R abgeht.
EKG 15.10 ��
73J/m. Perikarditis 3 Wochen nach ausgedehntem posteroinferio-rem MI (Dressler-Syndrom). Hohe R-Zacken in V1 bis V3 als Spiegel-bild des posterioren MI, nichtsignifikante Q-Zacken in II, aVF, III.Typisches Bild der akuten Perikarditis. Frontaler ST-Vektor +60°,mit ST-Hebung in I, II, aVF, III, und (V1) V2 bis V6. Storchenbein-Zeichen in V2 bis V5 (Pfeil).
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EKG 15.12 57J/m. Normales Herz. Variante einerOsborn-Welle bei „früher Repolarisa-tion“. Die Osborn-Wellen gehen vomAbwärtsschenkel des R ab, siehe Ab-leitungen V2/V3 (V4 bis V6).
EKG 15.11 57J/m. Normales Herz. Storchenbein-Zeichen in V3 (V4) als normale Variante(Pfeile).
Kapi
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EKG 15.13 27J/m. Herztamponade. Elektrischer Alternans des QRS-Komplexes.
http://www.springer.com/978-3-540-34371-4