Akut bis chronisch: Rücken-, Bein- und Gesichtsschmerz
Christian Rainer WirtzNeurochirurgische Universitätsklinik Ulm
am Bezirkskrankenhaus Günzburg
3. Fachtag der Bezirkskliniken Schwaben, 5.6.2019
Überblick
• Schmerz: Definition & Physiologie
• Trigeminusneuralgie / Kopfschmerz– Anatomie & Definition– Therapieverfahren & Outcome
• Rückenschmerz / Beinschmerz– Operative ursächliche Therapie– Symptomatische Schmerztherapie– Stimulationsverfahren, Ergebnisse
Was ist Schmerz?Akuter Schmerz: Sinneswharnehmung, Warnsignali.d.R. nozizeptiv
Chronischer Schmerz: Übergang zur Schmerz‐Erkrankung
Nozizeptive Bahnen (rot) und taktil‐propriozeptive Bahnen (schwarz) am Beispiel der Hautsensibilität.
in: Baumgärtner U, Schmerz 2010 ꞏ 24:105–113aus: Treede R-D (2007) Das somatosensorische System. In: Schmidt RF, Lang F(Hrsg) Physiologie des Menschen, 30. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
fMRI und Schmerz
aus: H.O. Handwerker, Schmerz 2007 ∙ 21:307–317 (Nachdruck ausMaihöfner et al. (2003), Neurology 61: 1707–1715, Fig. 4)
Veränderte, geschrumpfte
cortikale Repräsentation
der Hand (D1, D5) im fMRi
bei CRPS
CRPSCRPS
50-Jährige Patientin klagt seit drei Jahren über attackenartige Schmerzen an der linken Wange und Unterkiefer. Diese Schmerzen werden durch Sprechen, Kauen und Lachen
provoziert. Bild: Bayerischer Rundfunk, br.de
International Headache Society (IHS)
Idiopathische =
klassische
Trigeminusneuralgie
typische Anamnese
keine nächtlichen Attacken
AWMF – Leitlinie 2012
Trigeminusneuralgie Pathophysiologie
• neurovaskuläre Kompression an der Eintrittszone
des Nerven im Kleinhirn‐Brücken‐Winkel
• i.d.R. Ast der oberen Kleinhirnarterie (80%)
• häufiger im höheren Alter
• Schädigung der Myelinscheiden („Isolation“)
• Ausbreitung sensibler Reize auf Schmerzfasern
Trigeminusneuralgie Therapie
AWMF – Leitlinie 2012
Gabapentin
Lamotrigin Substanzen der 2. Wahl
Levetiracetam mit unterschiedlichen Erfolgsraten
Topiramat
Valproat
Baclofen
Die Primäre Therapie ist medikamentös – konservativ !!
Wann Operieren?
• Typische Trigeminusneuralgie(Ursache: Neurovaskulärer Konflikt)
• Versagen der konservative Therapie / intolerable Nebenwirkungen
• Eingeschränkt bei symptomatischer TN (MS, Trigeminusneuropathie)
Und wie kann man operieren?
Operative / invasive Therapiemöglichkeiten
läsionelle vs. nicht-läsionelle VerfahrenNur die MVD nach Jannetta ist nicht läsionell
Mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta
Inspektion im Kleinhirn-Brücken-Winkel
Trigeminusnerv
Arterien-Schlinge
Ort der Kompression mit erkennbarer Eindellung
MVD - Ergebnisse
• Sofortige Schmerzfreiheit in 80‐100%
• Langzeitergebnisse: – Schmerzfreiheit nach 6,8 Jahren 72%– Geringes Rezidiv nach 6,8 Jahren 9%– Komplette Schmerzfreiheit n. 20 Jahren 64%– Keine Besserung 8%
(n=271)Tronnier VM, Rasche D, Hamer J, Kienle AL, Kunze S: Treatment of idiopathic trigeminal neuralgia: Comparisonof long-term outcome after radiofrequency rhizotomy and microvascular decompression. Neurosurgery 48:1261-1267, 2001
• Hypästhesie (Pelzigkeit) 12,0 %• Hörminderung 4,0 %• Hörverlust 3,0 %• Fazialisparese 2,2 %• Liquorfistel 1,5 %• Kornealreflexausfall 0,4 %• Anästhesia dolorosa 0,0 %
MVD – Komplikationen
Prognostische Parameter
• Holste et al.: Pain Outcomes Following Microvascular Decompression for Drug‐Resistant Trigeminal Neuralgia: A Systematic Review and Meta‐Analysis; Neurosurgery 2019
• Yongxu WEI et al.: Long‐Term Therapeutic Effect of Microvascular Decompression for Trigeminal Neuralgia: Kaplan‐Meier Analysis in a Consecutive Series of 425 Patients; Turk Neurosurg 28(1):88‐93, 2018
Positive prognostische Faktoren: • Typische TN• Arterielle Kompression• Alter > 60 Jahre• Krankheitsdauer < 5 Jahre• fehlende Atrophie des Trigeminus
Stimulationsgesteuerte Thermokoagulation
Punktion 2,5 cm paraoral; Sondierung des Foramen ovale Koagulation (70-75°C, 60 Sekunden) in Ultrakurznarkose ggf. Wiederholung bis Hyp-/Analgesie im betroffenen Ast
Thermokoagulation Ergebnisse
• Sofortige Schmerzfreiheit in 90‐100%
• Langzeitergebnisse:• Schmerzfreiheit nach 2 Jahren 50%• Schmerzfreiheit nach 4,5 Jahren 25%
(n=206)
Tronnier VM, Rasche D, Hamer J, Kienle AL, Kunze S: Treatment of idiopathic trigeminal neuralgia: Comparisonof long-term outcome after radiofrequency rhizotomy and microvascular decompression. Neurosurgery 48:1261-1267, 2001
ThermokoagulationKomplikationen
• Kaumuskelschwäche 16 %• Dysästhesie (gering/schwer) 17 / 3 %• Anästhesia dolorosa 1 %• Mortalität 0 %• Ophthalmologische Komplikationen 9,2 %
(n=1200: Taha JM, Tew JM Jr.; 1996)
Welche Therapie ?
Stufenplan1. Medikamentöse Therapie2. ‐Mikrovaskuläre Dekompression bei
typischer Trigeminusneuralgie (kausal!)‐Thermokoagulation bei MS‐Neuromodulation bei Neuropathie
3. Thermokoagulation / Re‐Jannetta
Rücken‐ / Beinschmerz
Neurochirurgische Therapieverfahren :Vorher zuerst (!) konservativ
Ursache beheben: • Bandscheibenoperation, Dekompression • Instrumentierte Versteifung• Kyphoplastie
Therapie der Schmerzerkrankung:• Läsionelle Verfahren• Neuromodulation – Stimulationsverfahren• Rückenmarkstimulation• Feldstimulation u.a.
Ischiasnerv und Versorgungsgebiete
Typische Schmerz-Ausstrahlung (undGefühlstörung)
L4 Außenseite des Oberschenkels bis zur Vorderseite des Knies
L5 Außenseite des Beins bis zur Großzehe
S1 Rückseite des Beins bis zur Fußsohle
Lumbale Spinalkanalstenose
Ziel der Operation: Dekompression der neuralen Strukturen ohne Destabilisierung
Degenerative Spondylolisthese
Wirbelgleiten / Instabilität der (Lenden‐)Wirbelsäule
Operative instrumentierte Spondylodese (PLIF)
= „Versteifung“ von Wirbeln
Rückenoperationen
Nur, wenn es notwendig ist: konservative Maßnahmen ausreizen!
neurologische Ausfälletherapieresistente Schmerzen,
zu sehr eingeschränkte Lebensqualität: Patient entscheidet (mit)!
Bei der Wahl des Operationsverfahrens:kleinstmöglicher Eingriff, der Erfolg verspricht
Postoperative Nachsorge: ca. 10 Tage Schonung und Mobilisation unter physiotherapeutischer Anleitung.
Rückenschule, Kräftigung der Haltemuskulatur, KG und Physiotherapie.
Und wenn‘s nicht klappt?
• anhaltende Schmerzen nach OP• neue Schmerzen als Folge einer Wirbelsäulen‐OP• im Bein oder im Rücken
• Postdiskektomie‐Syndrom oder • Failed Back Surgery Syndrome – FBSS
• ca. 5% der Patienten nach einer Rückenoperation• 50% nach 4 Operationen• typischerweise mehrere Wochen nach OP• oft Chronifizierung der Beschwerden
• Schmerzkrankheit (Stadien nach Gerbershagen)
Auch hier gilt:
Zunächst Ausschöpfung der konservativenMedizin !
‐ Physiotherapie‐ Medikamente‐ Schmerztherapie‐ PRTs, Infiltrationen ....‐ Klassische OPs bei einer Ursache der Schmerzen wie: BSV, Spinalkanalstenose, Instabilität ...
Spinal Cord Stimulation = Rückenmarkstimulation
• epidurale Platzierung von Elektroden zur• Lokalanästhesie• intraoperative Testung
• anschließende Probestimulation
SCS = Rückenmarkstimulation
1. Implantation der Elektroden in Lokalanästhesie zur Testung
mit externem Stimulationsgerät für eine Woche inkl.
Schmerztagebuch
2. Evaluation der Stimulation (Wirksamkeit mind. 50%)
3. Implantation des dauerhaften Stimulationsgerätes in eine
Hauttasche (subkutan) in Vollnarkose
4. 3 Wochen postop. keine übermäßigen Rückenbewegungen
5. Wiedervorstellung in 6 Monaten
Spinal Cord Stimulation
Leitlinienempfehlungen Neurostimulation I
Tronnier V.: Neuromodulation bei neuropathischen Schmerzen; Schmerz 2014 ∙ 28:417–432
Neurostimulation/modulation
• risikoarmes Verfahren
• innerhalb eines multimodalen Therapiekonzepts
• frühzeitig eingesetzt (vor einer Chronifizierung)
• aber nach Ausschöpfen konservativer Verfahren
• zunehmend breiteres Anwendungsfeld• Stimulation ggf. vor Langzeiteinnahme von Opiaten
• weitere Methoden wie Tiefe Hirnstimulation (THS), subcutane Feldstimulation, Dorsalganglienstimulation