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Aktuelle Trends bei der in vitro-Substanztestung in Deutschland und der Schweiz

Date post: 23-Jan-2017
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470 KARRIERE, KÖPFE & KONZEPTE Zellkulturtechnik Aktuelle Trends bei der in vitro-Substanz- testung in Deutschland und der Schweiz RALF PÖRTNER 1 , ILKA WAGNER 2 , TAMARA ATANASOVA 2 , RICHA GAUTAM 1 , JASMIN GATTLEN 3 , MARKUS RIMANN 3 , EPIFANIA BONO 3 , URSULA GRAF-HAUSNER 3 , UWE MARX 2 1 INSTITUT FÜR BIOPROZESS- UND BIOSYSTEMTECHNIK, TU HAMBURG-HARBURG 2 MEDIZINISCHE BIOTECHNOLOGIE, TU BERLIN 3 KOMPETENZZENTRUM TEDD, ZÜRCHER HOCHSCHULE FÜR ANGEWANDTE WISSENSCHAFTEN WÄDENSWIL, SCHWEIZ DOI: 10.1007/s12268-014-0466-6 © Springer-Verlag 2014 ó Der Bedarf an Testsystemen für chemische und pharmakologisch aktive Substanzen ist aufgrund regulatorischer Vorgaben (EU-Che- mikalienverordnung REACH, Kosmetikver- ordnung) immens gestiegen. Anstelle der heu- te noch üblichen Tierversuche sollen künftig organotypische Gewebekulturen treten, deren Aussagekraft eine höhere Relevanz ver- spricht. Tierversuche werfen zur ethischen Problematik weitere Limitierungen wie die unzureichende Verfügbarkeit oder die häufig nicht gewährleistete Übertragbarkeit von Daten aus dem Tiermodell auf den Menschen auf. Es wird erwartet, dass durch organotypi- sche Gewebekulturen die Medikamentenent- wicklung und Wirkstofftestung sicherer und vorhersehbarer werden. Die neuen Testver- fahren sind des Weiteren durch die Verwen- dung von patientenspezifischem Material als Ergänzung zu klinischen Studien zu sehen, da dadurch die genetische Vielfalt der Patienten besser berücksichtigt werden kann. Nach einer DECHEMA-Umfrage im Jahr 2009 zu akademischen und industriellen For- schungsaktivitäten auf dem Gebiet der Zell- und Gewebekulturtechnik für die regenera- tive Medizin und Substanzprüfungen in Deutschland [1] wurde im Jahr 2013 eine Neu- bewertung der Aktivitäten in diesem Bereich durchgeführt und um die Aktivitäten in der Schweiz erweitert. Die Umfrage wurde zudem stärker auf die in vitro-Substanztestung ein- schließlich der Nutzung systembiologischer Methoden ausgerichtet. Auf deutscher Seite wurde die Studie durch die Beiräte der Fach- gruppen „Zellkulturtechnologie“ und „Medi- zinische Biotechnologie“ der DECHEMA e. V., auf schweizerischer Seite vom nationalen Kompetenzzentrum TEDD (Tissue Engineering for Drug Development and Substance Testing) getragen. Methodik der Studie Zunächst wurden die wichtigsten deutschen und schweizerischen Institutionen aus Aka- demie und Industrie auf dem Gebiet „Sub- stanztestung und regenerative Medizin“ ermittelt. Dazu wurden Erhebungen in On- line-Datenbanken zu Veröffentlichungen, BIOspektrum | 04.14 | 20. Jahrgang ˚ Abb. 1: Verteilung der Institutionen, die an der Umfrage teilgenommen haben, auf die Bundes- länder (Deutschland) und Kantone (Schweiz). Nicht genannte Bundesländer bzw. Kantone blieben ohne Antwort.
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470 KARRIERE, KÖPFE & KONZEPTE

Zellkulturtechnik

Aktuelle Trends bei der in vitro-Substanz -testung in Deutschland und der SchweizRALF PÖRTNER1, ILKA WAGNER2, TAMARA ATANASOVA2, RICHA GAUTAM1, JASMIN GATTLEN3, MARKUS RIMANN3,

EPIFANIA BONO3, URSULA GRAF-HAUSNER3, UWE MARX2

1 INSTITUT FÜR BIOPROZESS- UND BIOSYSTEMTECHNIK, TU HAMBURG-HARBURG2 MEDIZINISCHE BIOTECHNOLOGIE, TU BERLIN3 KOMPETENZZENTRUM TEDD, ZÜRCHER HOCHSCHULE FÜR ANGEWANDTE WISSENSCHAFTEN WÄDENSWIL, SCHWEIZ

DOI: 10.1007/s12268-014-0466-6© Springer-Verlag 2014

ó Der Bedarf an Testsystemen für chemischeund pharmakologisch aktive Substanzen ist

aufgrund regulatorischer Vorgaben (EU-Che-mikalienverordnung REACH, Kosmetikver-ordnung) immens gestiegen. Anstelle der heu-te noch üblichen Tierversuche sollen künftigorganotypische Gewebekulturen treten, deren

Aussagekraft eine höhere Relevanz ver-spricht. Tierversuche werfen zur ethischenProblematik weitere Limitierungen wie dieunzureichende Verfügbarkeit oder die häufignicht gewährleistete Übertragbarkeit vonDaten aus dem Tiermodell auf den Menschenauf. Es wird erwartet, dass durch organotypi-sche Gewebekulturen die Medikamentenent-wicklung und Wirkstofftestung sicherer undvorhersehbarer werden. Die neuen Testver-fahren sind des Weiteren durch die Verwen-dung von patientenspezifischem Material alsErgänzung zu klinischen Studien zu sehen, dadadurch die genetische Vielfalt der Patientenbesser berücksichtigt werden kann.

Nach einer DECHEMA-Umfrage im Jahr2009 zu akademischen und industriellen For-schungsaktivitäten auf dem Gebiet der Zell-und Gewebekulturtechnik für die regenera-tive Medizin und Substanzprüfungen inDeutschland [1] wurde im Jahr 2013 eine Neu-bewertung der Aktivitäten in diesem Bereichdurchgeführt und um die Aktivitäten in derSchweiz erweitert. Die Umfrage wurde zudemstärker auf die in vitro-Substanztestung ein-schließlich der Nutzung systembiologischerMethoden ausgerichtet. Auf deutscher Seitewurde die Studie durch die Beiräte der Fach-gruppen „Zellkulturtechnologie“ und „Medi-zinische Biotechnologie“ der DECHEMA e. V.,auf schweizerischer Seite vom nationalenKompetenzzentrum TEDD (Tissue Engineeringfor Drug Development and Substance Testing)getragen.

Methodik der StudieZunächst wurden die wichtigsten deutschenund schweizerischen Institutionen aus Aka-demie und Industrie auf dem Gebiet „Sub-stanztestung und regenerative Medizin“ermittelt. Dazu wurden Erhebungen in On -line-Datenbanken zu Veröffentlichungen,

BIOspektrum | 04.14 | 20. Jahrgang

˚ Abb. 1: Verteilung der Institutionen, die an der Umfrage teilgenommen haben, auf die Bundes-länder (Deutschland) und Kantone (Schweiz). Nicht genannte Bundesländer bzw. Kantone bliebenohne Antwort.

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Patenten und staatlichen Förderprogrammennach vorgegebenen Stichwörtern, außerdemErhebungen in den Datenbanken des natio-nalen thematischen Netzwerks Swiss Biotechgenutzt. Des Weiteren diente die Analyse vonVeröffentlichungen, Kongressen und Messenneben anderen (beim Korrespondenzautoreinsehbaren) Quellen der Ermittlung vongeeigneten Institutionen.

An diese ausgewählten Institutionen wur-de ein Fragebogen verschickt, der folgendeAspekte umfasste:– Werden in vitro Zellkultursysteme für die

Substanztestung und/oder regenerativeMedizin verwendet?

– Werden Omics-Techniken (Genomics, Tran -scriptomics, Metabolomics, Proteomics odersonstige) für die Zellkulturanalyse ver-wendet?

– Werden Omics-Datensätze in der system-biologischen Auswertung zusammenge-führt?

– Welche Arten von Zellquellen (primäre Zel-len, Gewebe bzw. Organe oder Zelllinien)werden genutzt?

– Werden in Testansätzen mehrere unter-schiedliche organotypische Kulturen mit-einander kombiniert, um Organwechsel-wirkungen nachzubilden?

ErgebnisseFür Deutschland ergab die Recherche 1.146Kontakte an akademischen Institutionen, vondenen 62 den Fragebogen beantworteten. DieSuche nach Firmen führte zu 141 Kontaktenbei 103 positiven Antworten. Für die Schweizwurden 104 akademische Gruppen und228 Firmen identifiziert, mit 56 bzw. 30 posi-tiven Antworten.

Bei den akademischen Institutionen inDeutschland fielen mehr als 30 Kontakte aufdie Regionen Aachen (38), Berlin (82), Dres-den (37), Freiburg (39), Hannover (57), Hei-delberg (70), Leipzig (35), München (85),Münster (31), Regensburg (30), Tübingen (44),Würzburg (34). Dies spiegelt im Wesentlichendie Standorte der großen klinischen Zentrenwider. Die Firmen in Deutschland finden sichzum überwiegenden Teil in den Bundes -ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlinund Nordrhein-Westfalen (Abb. 1). Für dieSchweiz konzentrieren sich die akademischenInstitutionen auf die Kantone Bern, Baselund Zürich, die Firmen auf die Kantone Basel,Ticino und Zürich (Abb. 1).

Das Ergebnis der ausgewerteten Frage -bögen erlaubt für Deutschland folgendeSchlüsse (Abb. 2):

– Es sind mehr akademische Institutionenund Firmen in der „Substanztestung“ aktivals in der „regenerativen Medizin“. Hier istallerdings zu berücksichtigen, dass dieRücklaufquote bei akademischen Institu-tionen gering war. Es ist nicht auszu-schließen, dass viele der akademischenInstitutionen, die nicht geantwortet haben,sich von „Substanztestung“ nicht ange-sprochen fühlten.

– Die relative Anzahl der Firmen, die sowohlin der „Substanztestung“ als auch in der„regenerativen Medizin“ aktiv sind, istgering.

– Omics-Techniken werden anscheinend vorallem in akademischen Institutionen ange-wendet.

– Gleiches gilt für primäre Zellen, Gewebeund Organe sowie für organotypischeGewebekulturen.

Für die Schweiz ergibt sich Folgendes(Abb. 2):– In der Relation zu Deutschland sind mehr

akademische Institutionen und Firmen in„regenerativer Medizin“ aktiv.

– Auch die relative Anzahl der Firmen, diesowohl in der „Substanztestung“ als auch inder „regenerativen Medizin“ aktiv sind,scheint höher zu sein.

– Omics-Techniken sind offenbar gut in derIndustrie etabliert, weniger in der Akade-mie.

– Primäre Zellen, Gewebe und Organe sowieorganotypische Gewebekulturen scheinenin der Akademie und bei Firmen gut eta-bliert zu sein.

Diskussion und SchlussfolgerungenFür Deutschland lässt sich aus den aktuellenDaten im Vergleich zur Umfrage 2009 [1]

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˚ Abb. 2: Einsatz von verschiedenen Methoden der in vitro-Substanztestung bei akademischenInstitutionen und Firmen in Deutschland und der Schweiz.

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grundsätzlich eine erheblicheZunahme der Aktivitäten imBereich „regenerative Medi-zin/Substanztestung“ registrie-ren. So wurden damals nur 161akademische Institutionen iden-tifiziert, bei der aktuellen Umfra-ge hingegen über 1.000. Bei denidentifizierten Firmen hat sichdie Anzahl etwa verdoppelt, derüberwiegende Teil im Bereich der„Substanztestung“. Im Jahr 2009wurden aber noch mehr Firmenim Bereich „regenerative Medi-zin“ identifiziert. Die Überlap-pung beider Bereiche ist demnachbei Firmen gering. Daraus ist zuschließen, dass die industrielle„Substanztestung“ an Bedeutungerheblich zugenommen hat.Dabei scheint bei aktuellenMethoden wie den Omics-Techni-ken oder der Nutzung von Gewe-ben oder organotypischen Struk-turen noch Nachholbedarf zubestehen.

Im Vergleich dazu konnte fürdie Schweiz kein wesentlicherUnterschied zwischen „Sub-stanztestung“ und „regenerativerMedizin“ gefunden werden, beideBereiche sind hier offenbar gleichbedeutend. Auch in Bezug auf dieAnwendung von Omics-Technikenzeigen sich Unterschiede: In derSchweiz sind diese anscheinendsehr viel besser in der Industrieetabliert. Außerdem werden orga-notypische Gewebekulturen hierauch industriell eingesetzt.

Insgesamt unterstreicht dieStudie die zunehmende Bedeu-tung von zellbasierter Substanz-testung, auch im industriellenUmfeld. Dabei ist das Potenzialneuer Technologien (Omics, orga-notypische Kulturen) bei Weitemnoch nicht ausgeschöpft. Da dieEinführung dieser Technologienüblicherweise sehr zeit- und kos-tenintensiv ist und zudem eineenge Kollaboration verschiedenerFachgebiete in Wissenschaft undIngenieurwesen bedingt, solltennationale und transnationale För-dermaßnahmen hier unterstüt-zend eingesetzt werden. In Anbe-tracht der weit verbreiteten

grundsätzlichen Vorbehaltegegenüber (schwer)belastendenTierversuchen kommt zudem derFörderung alternativer in vitro-Testmethoden eine außer -ordentlich wichtige gesellschaft-liche Bedeutung zu.

DanksagungWir bedanken uns herzlich fürdie fi nanzielle Unterstützung derStudie durch die DECHEMA unddie Gebert Rüf Foun dation. ó

Literatur[1] Pörtner R, Burger C, Maier-Reif K et al.(2010) Organotypic tissue cultures for sub-stance testing – a survey of academic andindustrial activities in Germany. BIOforumEurope 3:21–23

Korrespondenzadresse:Prof. Dr.-Ing. habil. Ralf PörtnerTechnische Universität Hamburg-HarburgInstitut für Bioprozess- und Biosys-temtechnikDenickestraße 15D-21073 HamburgTel.: 040-42878-2886Fax: [email protected]

BIOspektrum | 04.14 | 20. Jahrgang


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