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Achtsamkeit und Resilienz - haraldreiter.files.wordpress.com · der Meditation, die in den...

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Achtsamkeit und Resilienz ACHTSAMKEIT UND RESILIENZ Achtsamkeit in Resilienzberatung, Stressmanagement und Burnout-Prävention nach dem Wiener Resilienz Modell Harald Reiter Jänner 2017 Abbildung 1: Copyright BLICKHAN
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Achtsamkeit und Resilienz

ACHTSAMKEIT

UND RESILIENZ Achtsamkeit in Resilienzberatung, Stressmanagement und

Burnout-Prävention nach dem Wiener Resilienz Modell

Harald Reiter Jänner 2017

Abbildung 1: Copyright BLICKHAN

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Harald Reiter - Achtsamkeit und Resilienz

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Achtsamkeit in Resilienzberatung, Stressmanagement und Burnout-

Prävention nach dem Wiener Resilienz Modell

Inhalt Achtsamkeit in Resilienzberatung, Stressmanagement und Burnout-Prävention nach dem Wiener

Resilienz Modell ...................................................................................................................................... 1

1. Einleitung ......................................................................................................................................... 2

2. Definition: Was ist Achtsamkeit? .................................................................................................... 2

2.1. Achtsamkeit: Eine alte Methode zur Gewinnung von Erkenntnis ........................................... 3

2.2. MBSR – eine moderne Anwendung von Achtsamkeit zur Stressreduktion in Stresskliniken

und in 8Wochenkursen ....................................................................................................................... 3

2.3. Stress und Achtsamkeit ........................................................................................................... 3

2.4. Die Praxis der Achtsamkeit ...................................................................................................... 6

2.4.1. Die Entwicklung von Achtsamkeit in meiner Beratungspraxis ........................................ 6

2.4.2. Achtsamkeit als Unterstützung in der Resilienzberatung ............................................... 6

3. Das Wiener Resilienz – Modell und Achtsamkeit ............................................................................ 8

3.1. Das SOR – Modell und Achtsamkeit ........................................................................................ 8

3.2. Resilienz und Achtsamkeit ..................................................................................................... 10

3.3. Die Stress-Straße nach Greenberg und Achtsamkeit ............................................................ 11

4. Der Einsichtsdialog in der Stress- und Resilienzberatung ............................................................. 14

4.1. Theorie: Der Einsichtsdialog nach Gregory Kramer .............................................................. 14

4.2. Der Einsichtsdialog in der Resilienz- und Stressberatung ..................................................... 16

5. Zusammenfassung ......................................................................................................................... 18

6. Literaturverzeichnis ....................................................................................................................... 20

7. Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................... 20

8. Anhang........................................................................................................................................... 21

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1. Einleitung

Diese Abhandlung dient als Arbeit für die Zertifizierung als Resilienzberater für den Aufbaulehrgang

„Stressmanagement und Burnout – Prävention“ für Lebens- und Sozialberater. Kern dieses

Lehrganges ist das Wiener Resilienz Modell (WRM), das theoretisch und in der praktischen

Anwendung vermittelt wird. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit das WRM als bekannt

vorausgesetzt.

Diese Abhandlung spannt den Bogen von der Entwicklung von Achtsamkeit ausgehend von den

ältesten bekannten Quellen im frühen Buddhismus über die heutige Anwendung im MBSR (Mindful

based stress reduction = Achsamkeitsbasierte Stressreduktion nach Jon Kabat-Zinn) bis hin zum

Einsichtsdialog nach Dr. Gregory Kramer und dessen Anwendung in der Resilienzberatung und im

Stressmanagement. Als gemeinsame Basis für meine Ausführungen verwende ich die Broschüre

„Wiener Resilienz-Modell“ (WRM) in der Fassung vom Dezember 2016.

Im WRM findet Achtsamkeit als „natürliches Arzneimittel“ zur Stressvermeidung oder – linderung

Erwähnung. Achtsamkeit wird dabei wie folgt definiert: „Achtsamkeit ist der Zustand, unsere

Gedanken und Gefühle vollkommen auf das Hier und Jetzt bewusst konzentrieren zu können.“

Achtsamkeit trägt damit zu mehr Gelassenheit und Gleichmut bei, was in einer Welt der

zunehmenden Reizüberflutung als äußerst hilfreich angesehen wird.

2. Definition: Was ist Achtsamkeit?

Jon Kabat-Zinn, der Begründer von MSBR definiert Achtsamkeit wie folgt: „Achtsamkeit bedeutet, auf

eine bestimmte Art und Weise aufmerksam zu sein.“1 Achtsamkeit ist dabei nicht mit Konzentration

gleichzusetzen. Konzentration beschreibt einen sehr fokussierten Geisteszustand. Achtsamkeit

hingegen zeichnet sich durch eine Breite und Weite des Gewahrseins aus, sie ist eine beobachtende

Haltung auf einer Metaebene. Studien belegen, dass Achtsamkeit und Konzentration

unterschiedliche Hirnareale aktivieren.2

Nach Brown3 sprechen Achtsamkeit und Konzentration zwei hauptsächliche kortikale

Kontrollmechanismen an, die an der Selektion und Verarbeitung von Information beteiligt sind. Die

Achtsamkeit spricht ein posterior-temporales System an, das mit einer weiträumigen Verarbeitung

von Information verbunden ist. Konzentration spricht ein frontales System an, das mit restriktiver

Informationsverarbeitung verbunden ist. Er vergleicht somit das Gehirn mit einer Kamera, die

entweder mit einem Weitwinkelobjektiv oder einem Zoomobjektiv arbeitet.

1 KABAT-ZINN, 2009, Seite 27 2 ANALAYO, Seite78, Fußnote 87 3 BROWN, 1977, Seite 243

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2.1. Achtsamkeit: Eine alte Methode zur Gewinnung von Erkenntnis

Die Übung von Achtsamkeit findet sich bereits in Lehrreden des zum Buddha erwachten Gautama

Siddharta vor rund 2500 Jahren. Dort wird die systematische Entwicklung von Achtsamkeit als

Satipatthana4 –Methode bezeichnet, die der Überlieferung nach bereits von einem werdenden

Buddha der Vorzeit, dem Bodhisatta Vipassi praktiziert wurde. Gautama Siddharta hat diese in

Vergessenheit geratene Übung wiederentdeckt.5 Die Übung der Achtsamkeit ist somit eine sehr alte

Methode. Im frühen Buddhismus wird die Satipatthanamethode als Achtsamkeit auf den Körper, die

Gefühle, den Geist und die dhammas (=alle Phänomene, die nicht in die 3 anderen Kategorien

passen) geübt. Der Sinn und das Ziel ist kein geringeres als das vollständige Erwachen, weitläufig als

Erleuchtung bekannt.

2.2. MBSR – eine moderne Anwendung von Achtsamkeit zur

Stressreduktion in Stresskliniken und in 8Wochenkursen

Jon Kabat-Zinn ist Gründer der Stress Reduction Clinic (1979) und hat die Methode MBSR entwickelt.

„Das Programm der Stressklinik basiert auf dem systematischen Training der Achtsamkeit, einer Form

der Meditation, die in den buddhistischen Traditionen Asiens entwickelt wurde“.6 Er wurde

international bekannt durch den Einsatz der Achtsamkeitsmeditation als Hilfe für seine Patienten im

Umgang mit Stress und chronischen Schmerzen. Seit seinem Bestehen hat die Methode MBSR

hunderttausenden von Menschen geholfen, besser mit Stress, Schmerz und chronischen Krankheiten

umzugehen. MBSR ist mittlerweile auch in Europa weit verbreitet und spezielle 8Wochenkurse

werden vor allem außerhalb des stationären Settings angeboten.

Wenn hier von Achtsamkeitsmeditation die Rede ist, so bedarf der Begriff Meditation einer

Definition. Meditation wird hier als systematische und gezielte Geistesschulung bezeichnet im Sinne

von Entwicklung eines achtsamen und klaren Geistes. Meditation ist in diesem Sinne kein passiver

Zustand, sondern eine Anstrengung, die Aufmerksamkeit konstant zu halten.7

2.3. Stress und Achtsamkeit

Kurz zusammengefasst kommt es bei der Stressreaktion zu folgendem Ablauf: Biologische,

physikalische, soziale, ökonomische und politische Stressoren wirken von extern ein, Gedanken und

Gefühle – selbst wenn sie nicht der Realität angemessen sind – wirken als innere Stressoren auf uns

4 „Der Begriff satipatthana kann erklärt werden als zusammengesetzt aus sati, „Achtsamkeit“ oder „Gewahrsein“ und upatthana, wobei das u des letzteren aufgrund einer Vokalauslassung wegfällt. Der Pali-Ausdruck upatthana bedeutet wörtlich „in der Nähe platzieren“, und bezieht sich im vorliegenden Fall auf eine besondere Weise des „Gegenwärtigseins“ und der „begleitenden Anwesenheit“ bei einem Geschehen mit Achtsamkeit…………..Satipatthana kann hier also als „Gegenwart von Achtsamkeit“ oder als „Begleiten mit Achtsamkeit“ übersetzt werden.“, ANALAYO, Seite 39f 5 ANALAYO, Seite 26, Fußnote 6 6 KABAT-ZINN, Seite 16 7 KABAT-ZINN, Seite 38

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ein. Der Köper und die Psyche reagieren mit einer Kampf-oder-Fluchtreaktion (=Stressreaktion).

Diese ist eine ungeheuer schnelle Abfolge von neuralen Entladungen sowie der Freisetzung von

Stresshormonen. Die Pupillen weiten sich, um mehr Licht einzulassen, die Körperhaare stellen sich

auf, um die Empfindsamkeit für Vibrationen zu erhöhen, Herzfrequenz und damit der Blutdruck

erhöhen sich, damit mehr Blut an Arme und Beine abgegeben werden kann, die Blutversorgung des

Verdauungssystems wird gedrosselt, die Verdauungstätigkeit wird eingestellt, die Bronchien weiten

sich, die Atmung wird schneller. Alle physiologischen und emotionalen Veränderungen kommen

durch die Aktivierung des sympathischen Nervensystems zustande, einem Teil des autonomen

Nervensystems. Diese Reaktion ist im Augenblick wirklicher Gefahr unser Verbündeter.

Abbildung 2: Stressreaktion nach Kabat-Zinn

Ein Großteil der Belastungen denen wir in der heutigen Zeit in unseren Breiten ausgesetzt sind,

entsteht durch Bedrohungen, die nicht unserem Überleben gelten, viele davon existieren nur in

unserem Inneren. Somit kommt es zu keiner Kampf- oder Fluchtreaktion, die aufgebaute Energie

wird nicht freigesetzt, sondern verlagert sich nach innen. Die Stresshormone bleiben damit

ungenutzt im Körper, wo sie mit den äußerst erregten Gedanken und Gefühlen Schaden anrichten.

Dazu kommt, dass die Stressreaktion schnell zu einer Gewohnheit werden kann, d.h. sie wird

ausgelöst, aber nicht mehr aufgehoben. So entstehen Verspannungen, erhöhte Herzfrequenz, innere

Unruhe etc. Meist versuchen wir dann, die Gefühle zu kaschieren, es kommt zu maladaptivem

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Verhalten: Stress wird nach außen und nach innen geleugnet, manche Menschen verfallen in

Arbeitswut oder sonstige Geschäftigkeit. Schließlich kann es zu einem Substanzmissbrauch kommen

bis hin zu einem Zusammenbruch des gesamten Systems.8

Die Achtsamkeit kann hier bereits während der Stressreaktion ansetzen. Kabat-Zinn konstatiert:

„Erster und wichtigster Schritt auf dem Weg zur Befreiung von der Macht der Stressreaktion ist, das

was wirklich geschieht, zu erkennen, noch während es geschieht.“9 Zur Stressreaktion ergibt sich eine

Alternative, die er Stressaktion nennt. Eine Stressreaktion verläuft automatisch und unbewusst. Eine

Situation, die man sich aber bewusst vor Augen hält verändert sich alleine dadurch, dass man nicht

mehr automatisch reagiert. Diese veränderte Einstellung versetzt einen Menschen in die Lage, seine

Möglichkeiten zu erkennen und Einfluss auf das Geschehen nehmen zu können.

Abbildung 3: Stressaktionsprogramm nach Kabat - Zinn

Sobald man eine Situation bewusst wahrnimmt und nicht automatisch reagiert, verändert man sie

grundlegend, einfach aufgrund der Tatsache, dass man nicht mehr automatisch reagiert. Man ist

integraler Bestandteil der Situation und verändert sie, sobald man den Grad der Achtsamkeit erhöht,

noch bevor man etwas getan hat. Somit ist die veränderte Einstellung ausschlaggebend. Sie versetzt

uns in die Lage, die Situation und das Spektrum der Möglichkeiten wahrzunehmen und zu nutzen, um

8 KABAT-ZINN, Seite 208-219 9 KABAT-ZINN, Seite 220

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das weitere Geschehen beeinflussen zu können. Indem man die Anspannung, Aufgeregtheit etc. in

einer Situation als solche erkennt, man sich also einer Stresssituation bewusstwird, nimmt man ihr

bereits die Spitze. Agitation wird als das erkannt, was sie ist: Gedanken, Gefühle, Impulse.10

2.4. Die Praxis der Achtsamkeit

Achtsamkeit kann gezielt geschult werden, indem man den eigenen Erfahrungen gegenüber die Rolle

eines neutralen Beobachters einnimmt. Zu dieser Praxis gehören 7 Faktoren bzw. Einstellungen, die

bewusst entwickelt werden: Nicht-Beurteilen, Geduld, den Geist des Anfängers bewahren,

Vertrauen, Nicht-Greifen, Akzeptanz und Loslassen. Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit der

Übung und Anwendung von Achtsamkeit ist die Bereitschaft zu sehen und zu lernen. Diese

Einstellungen werden in Stresskliniken geschult und die Erfahrung hat gezeigt, dass Menschen mit

einer skeptischen, aber offenen Grundeinstellung die wenigsten Probleme dabei haben. Die

Ursachen für Heilung in der Stressklinik liegen somit in Offenheit und Akzeptanz.11 In der Prävention

finden 8Wochen-Kurse Anwendung, in denen man die Schulung von Achtsamkeit durch

unterschiedliche Methoden bezogen auf Körper, Gefühl und Geist erlernen kann.

2.4.1. Die Entwicklung von Achtsamkeit in meiner Beratungspraxis

Um Achtsamkeit zu entwickeln, ist es von Vorteil den Istzustand zu eruieren. Dazu verwende ich

einige einfache Fragen, die den KlientInnen Auskunft darüber geben, wie achtsam sie derzeit sind

(siehe Anhang). Ausgehend davon versuche ich bei Bedarf einen Geschmack von Achtsamkeit zu

vermitteln, indem einfach die Sitzhaltung in ihren Feinheiten bewusst wahrgenommen wird. Als

Hausübung bekommen die Klienten meist eine gekürzte Version des Bodyscan aus dem MBSR für

freie Zeiten zum download von meiner Webseite. Es gibt dann eine Fülle von weiteren

Achtsamkeitsübungen zur individuellen und beratungsspezifischen Auswahl. Sie sollen die Basis

schaffen, um in einer stressigen Lebenssituation ein größeres Bild der Lage zu bekommen, welches

auch die positiven Aspekte miteinbezieht und gegebenenfalls diese verstärkt betont. Übungen

können zum Beispiel sein: Glücksmomente kultivieren, Sich selbst zur Blüte bringen, Die Freude des

Seins, Das Gras unter deinen Füßen usw.12 Diese werden je nach Bedarf in die Beratung eingebaut

oder als Hausübungen mitgegeben.

Für die weitere und vertiefende Entwicklung von Achtsamkeit empfehle ich einen 8Wochen-Kurs

MBSR wie er bei vielen zertifizierten Anbietern in Anspruch genommen werden kann.

2.4.2. Achtsamkeit als Unterstützung in der Resilienzberatung

Der Wert der Entwicklung von Achtsamkeit in der Resilienzberatung und im Stressmanagement ist

vielschichtig. Achtsamkeit unterstützt, einem Vergrößerungsglas gleich, die Wahrnehmung

bestehender Verhaltensmuster, der Bewusstmachung ihrer Wurzeln in Konditionierungen,

Glaubenssätzen etc., und der Gewinnung von Erkenntnis. Die Umsetzung dieser Erkenntnisse führt zu

angestrebten Veränderungen. Prägungen sitzen sehr tief und reichen ins Unbewusste hinein. Um

10 KABAT-ZINN, Seite 220-222 11 KABAT-ZINN, Seite 45-55 12 IDING

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schädliche Verhaltensweisen zu verringern, bedarf es daher einer kontinuierlichen Übung der

Achtsamkeit. Es ist hilfreich, Klienten eine Art Trainingsplan in die Hand zu geben, mit dem sie

bewusstes Denken, Fühlen und Handeln präzise beobachten und transparent gestalten können. Dazu

können Handlungsabläufe in einzelne Teile zerlegt werden. Automatismen lassen sich dadurch

erklären, dass sie sich im Gehirn als „Gedankenautobahnen“ eingeprägt haben, sodass das Gehirn

immer wieder auf diese breit eingefahrene Spur einbiegt. Soll eine Verhaltensänderung

herbeigeführt werden, müssen neue neuronale Verschaltungen etabliert, also „Trampelpfade“

angelegt werden. Sobald aber Stresshormone im Blut sind, greift das System auf altbekannte

Programme zurück und verwehrt den Zugriff auf neue Handlungsoptionen. Es ist also einerseits

notwendig, die Prägungen zu kennen und zu wissen, bei welchen Reizen man immer wieder schwach

wird (z.B. ja sagt, obwohl man nein meint), andererseits braucht es einen achtsamen Tagesablauf,

der davor bewahrt, permanent unter Stress zu stehen. Dann ist es möglich, auch tief verankerte

Verhaltensmuster durch kontinuierliches Üben von Achtsamkeit aus dem Verhaltensrepertoire zu

eliminieren und neue, hilfreichere zu etablieren.13

Abbildung 4: Achtsamkeitsmodus (BLICKHAN, Seite 209)

13 WELLENSIEK, Seite 133f

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3. Das Wiener Resilienz – Modell und Achtsamkeit

Die Säulen des Wiener Resilienz Modells sind Food, Move und Mind. Die Entwicklung und

Anwendung von Achtsamkeit kann für alle drei dieser Säulen ein wertvoller Nährboden sein.

3.1. Das SOR – Modell und Achtsamkeit

Abbildung 5: Das SOR-Modell, Broschüre WRM, Haris Janisch

Das SOR-Modell (Stressoren – Organismus – Reaktionen – Modell) zeigt, wie auf den Menschen

einwirkende Stressoren einer Bewertung unterzogen werden, welche von verschiedenen

Vorbedingungen wie persönlicher Erfahrung, Einstellungen, aktueller Verfassung, Fähigkeiten etc.

beeinflusst werden. Aufgrund dieser Bewertungen kommt es zu Reaktionen des Menschen auf

unterschiedlichen Ebenen: kognitiv, emotional, vegetativ, muskulär und im Verhalten. Interessant für

diese Abhandlung ist die Frage, wo Achtsamkeit in diesem Modell seine Wirksamkeit entfalten kann.

Achtsamkeit wirkt auf der Ebene der Bewertung und zwar schon vor einer möglichen Stressreaktion.

Eine Lebenssituation kann von einem Menschen – vereinfacht ausgedrückt - positiv, neutral oder

negativ bewertet werden. Bei einer negativen Bewertung entsteht Stress mit all seinen möglichen

Wirkungen im Rahmen der Stressreaktion bzw. wie oben beschrieben. Damit eine negative

Lebenssituation erst gar nicht zu einer Stressreaktion führt, kann Achtsamkeit auf mehreren Ebenen

angewandt werden.

Mit der Praxis der Achtsamkeit kann das Gehirn darin trainiert werden, seine Aufmerksamkeit zu

fokussieren und die bewusste Wahrnehmung zu stärken. Dies unterstützt das klare Erkennen von

konditionierten Reaktionsmustern, eine Voraussetzung um sich bei Bedarf von ihnen lösen zu

können. Achtsamkeit trainiert das Gehirn darin, sowohl die Erfahrung des gegenwärtigen Moments

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wie auch die Reaktion auf diese Erfahrung inklusive resilienter oder nicht resilienter Reaktionsmuster

oder ganzer Bewältigungsstrategien und ihrer Wirksamkeit gewahr zu werden.14

Offensichtlich ist die Anwendung auf der Ebene realer Situationen, mit denen man konfrontiert ist.

Um damit umzugehen, eignen sich die Methoden aus dem Methodenkatalog der Lebens- und

Sozialberatung15 wobei diese Methoden durch die Praxis der Achtsamkeit in ihrer Wirkung verstärkt

werden.

Weniger offensichtlich ist die innere virtuelle Welt. Nur etwa 20% der an den Hinterhauptslappen

unseres Gehirns gelangenden Inputs kommt direkt aus der äußeren Welt. Der Rest kommt von

inneren Gedächtnisspeichern und perzeptuellen Verarbeitungsmodulen. 16 Das Gehirn simuliert die

Welt. Im Inneren des simulierenden Gehirns laufen fortwährend Minifilme ab, welche die Bausteine

eines großen Teiles der bewussten geistigen Aktivität sind. Bei unseren frühen Vorfahren förderte

das Abspielen von Simulationen vergangener Ereignisse das Überleben. Es stärkte das Lernen

erfolgreicher Verhaltensweisen, indem es neuronale Feuermuster wiederholte. Ebenso förderte die

Simulation zukünftiger Ereignisse das Überleben. Es versetzte unsere Vorfahren in die Lage, mögliche

Ausgänge einer Situation miteinander zu vergleichen, um die beste Methode zu wählen und

potentielle sensomotorische Vorgänge für unmittelbares Handeln startbereit zu machen. Die Größe

des menschlichen Gehirns hat sich in den letzten drei Millionen Jahren verdreifacht, was die

Fähigkeiten des Simulators verbessert hat. Das Gehirn produziert auch heute Simulationen, auch

wenn sie nichts mehr mit dem blanken Überleben zu tun haben. Wenn wir tagträumen oder

Beziehungsprobleme durchgehen, sehen wir Clips ablaufen, kleine Spulen simulierter Erfahrung,

meist nur ein paar Sekunden lang. Bei genauer Betrachtung ergeben sich dabei einige Auffälligkeiten:

Der Simulator reißt uns aus dem gegenwärtigen Augenblick. Wir tun etwas und plötzlich ist der Geist

weit weg und verfängt sich in einem Minifilm. Je öfter und je mehr wir das tun, umso mehr verlieren

wir den Kontakt zum gegenwärtigen Moment, wobei gerade dieser Moment, dieser Augenblick es ist,

in dem wir wirklich leben und handeln können.

Freudige Situationen erscheinen im Simulator für gewöhnlich ziemlich groß. Normalerweise sind die

Belohnungen im wirklichen Leben nicht so intensiv, wie im Simulator, was zu Enttäuschung führen

kann und in weiterer Folge zur Flucht in die Simulation oder andere Unwirklichkeiten.

Die im Simulator ablaufenden Clips beinhalten viele Überzeugungen: wenn ich Person X treffe und

Situation Y anspreche, wird X so wie immer reagieren und die Situation wird sehr unangenehm

werden. Manchmal sind diese Überzeugungen wahr, meist sind sie es aber nicht. Die Minifilme im

Simulator können uns durch ihre vereinfachende Sicht der Vergangenheit und durch ihr Ignorieren

realer Möglichkeiten in der Zukunft davon abhalten, weiterzukommen. Die enthaltenen

Überzeugungen können wie Stäbe eines unsichtbaren Käfigs sein. Hier kann man an Glaubenssätze

und innere Antreiber etc. denken.

14 GRAHAM, Seite 86 15 Methodenkatalog Lebens- und Sozialberatung vom 16.8.2013: „Methoden der Lebens- und Sozialberatung sind jene, deren Grundlage der philosophische Dialog und/oder die psychologische Beratung ist und sich einer oder mehreren der nachfolgend angeführten Orientierungen zuordnen lassen: tiefenpsychologische-psychodynamische Orientierung, humanistisch-existenzielle Orientierung, systemisch-soziodynamische Orientierung, verhaltensmodifizierende Orientierung.“ 16 RAICHLE

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Der Simulator lässt schlimme Ereignisse in der Vergangenheit immer wieder ablaufen, wodurch die

neuronalen Verknüpfungen zwischen einem Ereignis und den mit ihnen einhergehenden

schmerzlichen Gefühlen gestärkt werden. Daraus ergeben sich dann bedrohliche Voraussagen für die

Zukunft. Die meisten dieser besorgniserregenden Ereignisse, die der Simulator präsentiert, treten

glücklicherweise nie ein. Einerseits kann man damit in negativen Erfahrungen hängen bleiben und

andererseits neue Situationen vorschnell negativ beurteilen, was in beiden Fällen eine wesentliche

Einschränkung der Handlungsfähigkeit mit sich bringt.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass der Simulator uns aus dem gegenwärtigen Moment holt

und dazu bringt, vermeintlichen Leckerbissen hinterherzujagen, die nicht wirklich so schmackhaft

sind, und gleichzeitig viel wichtigere Belohnungen wie Zufriedenheit oder inneren Frieden zu

ignorieren. Schmerzhafte Erfahrungen werden verstärkt und wir weichen bedrohlichen Situationen

aus, die nicht so bedrohlich sind oder entwickeln Ängste vor Situationen, die nie eintreten. Der

Simulator tut dies Stunde für Stunde, Tag für Tag, selbst in den Träumen, und baut damit ständig

neue neuronale Strukturen, von denen ein großer Teil den Stress im Leben vermehrt.17

Und genau hier kann Achtsamkeit ansetzten. Indem man sich in Achtsamkeit übt und sich des

gegenwärtigen Moments bewusst wird, ist man im Hier und Jetzt. Daraus ergibt sich die Möglichkeit,

die Simulationen des Geistes als das zu erkennen was sie sind, nämlich als (in der Außenwelt) nicht

real. Und es ergibt sich die Möglichkeit, die Fähigkeit zur Simulation bewusst einzusetzen, um

Situationen durchzuspielen. Der Unterschied liegt einfach darin, ob man von einer Fähigkeit des

Geistes davongetragen wird oder ob man sie gezielt einsetzt.

Ob es sich nun um reale Situationen handelt oder um die Produkte des Simulators, Achtsamkeit kann

in jedem Fall ein Katalysator für eine selbstgesteuerte Gehirnveränderung sein.18 Hier kann die

Plastizität des Gehirns bewusst genutzt werden. Jede geistige Aktivität erzeugt neue neuronale

Strukturen oder verstärkt bestehende. Das zu nutzen bedeutet, die Aufmerksamkeit entweder auf

spezielle neue Erfahrungen zu richten oder auf alte Muster, die gegebenenfalls verändert werden

sollen.

3.2. Resilienz und Achtsamkeit

Achtsamkeit und Empathie stellen wissenschaftlich nachgewiesen mächtige Katalysatoren für die

Neuverdrahtung unseres Gehirns dar. Die Forschung19 zeigt, dass einfache Achtsamkeitspraktiken

wie die Achtsamkeit auf den Atem das Zellvolumen des anterioren cingulären Cortex (jener

Hirnstruktur, die unsere Aufmerksamkeit fokussiert) und anderer damit zusammenhängender

Hirnstrukturen erhöhen kann. Genauso wie Muskeln trainiert werden können, kann die

Aufmerksamkeit trainiert werden. Aufmerksamkeit hilft, klar zu sehen was geschieht und auch

welche Entscheidungsmöglichkeiten hinsichtlich dessen, was gesehen wird, bestehen. Ebenso

wissenschaftlich belegt ist, dass Achtsamkeitspraktiken das Volumen der Insula (ein Teil der

Großhirnrinde) vergrößern und ihre Funktion der Introzeption verbessern. Es handelt sich dabei um

die Wahrnehmung von Vorgängen im Körperinneren. Eine verbesserte Introzeption stärkt die

17 HANSON, Seite 59-63 18 GRAHAM, Seite 86 ff 19 GRAHAM Seite 90-94

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Fähigkeit der Selbsterkenntnis und der Selbstempathie. Dies steigert das Vertrauen in sich selbst, was

wieder die Resilienz erhöht.

Eine verbesserte Wahrnehmung von Körperempfindungen, z.B. ein Jucken, ein Schmerz, eine

Anspannung in einem Muskel bewirkt auch eine verbesserte Wahrnehmung großer Wogen von Zorn,

Kummer, Schrecken etc. im Körper. Das Gehirn wird darauf trainiert, wahrzunehmen, bevor

Ereignisse und die Reaktionen darauf aus dem Ruder laufen. Es ist dann möglich, anfängliche

Reaktionen zu erkennen und auf Gedanken zu beschränken (z.B. angenehm, unangenehm, neutral)

anstatt in die Spirale großer Reaktivität zu geraten.

Die Praxis von Achtsamkeit, formal als Achtsamkeitsmeditation sowie informell als Achtsamkeit im

Alltag, kann auf vielerlei Ebenen unterstützen:

dabei, mehr Lebensenergie zu haben

sich bei Stress beruhigen zu können

Klarheit und Selbstbewusstsein zu erlangen

Ängste abzubauen, um Situationen anders betrachten zu können

das negative Gedankenkarrussel anzuhalten

sich in kurzer Zeit wieder besser zu fühlen

fokussierter und klarer zu sein

3.3. Die Stress-Straße nach Greenberg und Achtsamkeit

Im Modell der Stress-Straße beschreibt Jerrold Greenberg eine allgemeingültige Stressdynamik, die

leicht verständlich und auch in der Stressbewältigung gut anwendbar ist und bei jedem Menschen

funktional so abläuft.20 Als Stress in Lebenssituationen werden dabei Reize von innen oder außen

20 JANISCH, Skriptum HARISMA Life-Management, Seite 54f

Resilienzfaktoren

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verstanden, die eine Störung des homöostatischen Gleichgewichts bewirken. Die individuelle

Wahrnehmung dieser Reize als „stressig“ ist eine wesentliche Komponente bei der Auslösung von

Stress. Im nächsten Schritt kommt es zu einer individuellen emotionalen Reaktion auf die als stressig

wahrgenommenen Reize. Die dabei auftretenden Gefühle führen im nächsten Schritt zu

physiologischen Veränderungen im Organismus, der typischen Stressreaktion.

Im Greenberg – Modell gibt es dann eine Reihe von Interventionen, mit denen die Klienten die

Stressdynamik umkehren können.

Abbildung 6: Umkehrung der Stress-Straße nach Greenberg durch beraterische Interventionen. WRM Broschüre Dezember 2016

Konsequenzen

Physiologische Veränderungen = Stressreaktion

Emotionale Veränderungen

Wahrnehmung als Stress

Lebenssituation

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Lebenssituation: darunter verstehen wir einen Lebensalltag, in dem wir inneren und äußeren

Stressoren ausgesetzt sind und die eine Störung des homöostastischen Gleichgewichts bewirken.

Was die Anwendung von Achtsamkeit hier bewirken kann, ist ein klares, nicht bewertendes Erkennen

der Situation von einer Beobachterposition. Es ist allgemein bekannt, dass ein gewisser Abstand zu

einer Lebenssituation diese klarer zu beurteilen vermag. Je involvierter wir in Lebenssituationen sind,

umso mehr neigen wir zu blinden Flecken, was die Beurteilung der Situation betrifft. Achtsamkeit auf

dieser Station unterstützt die proaktive Stressprophylaxe.

Wahrnehmung als Stress: die Lebenssituation an sich, auch wenn sie Stress beinhaltet, verursacht

noch nicht zwingend eine Stressreaktion. Es kommt auf die Beurteilung der Situation an. Wir

tendieren zu einer gewohnheitsmäßigen Bewertung basierend auf unserer Erfahrung,

gesellschaftlichen Normen, Vorurteilen etc. und sind dabei auch der hirnphysiologisch angelegten

Negativtendenz des menschlichen Gehirns ausgesetzt, aber nicht ausgeliefert. Wieder kann

Achtsamkeit hier Klarheit verschaffen: was sind die Stressoren, welche bereits erprobten Strategien

gibt es, mit diesen in einer hilfreichen Art und Weise umzugehen, was sind gewohnheitsmäßige

Reaktionen, welche davon sind hilfreich, welche nicht, wie lässt sich die Situation anders bewerten,

gibt es einen Sinn in der vorliegenden Situation, wie gelingt es, die neue Situation zu akzeptieren

bzw. sie als Ressource für das persönliche Wachstum zu nutzen etc. Im Grunde geht es an dieser

Station der Stressstraße um eine möglichst objektive Beurteilung der Situation und ein Nützen aller

möglichen Ressourcen.

Emotionale Veränderungen: Durch die Interpretation der Lebenssituation als Stress kommt es zu

Gefühlen wie Angst, Ärger, Unsicherheit, Wut, Überforderung, Hilflosigkeit, Frustration etc. Auch an

dieser Station der Stressstraße kann die Praxis von Achtsamkeit noch wirksam werden.

Voraussetzung ist ein regelmäßiges Achtsamkeitstraining, um nicht von den Gefühlen

weggeschwemmt zu werden. Die Praxis der Achtsamkeit kann hier hilfreich sein, sich in einem

breiten Gewahrsein zu ankern, in dem die Gefühle sein dürfen, aber nicht ausagiert werden müssen.

Hilfreich ist es auch, sich im Körper zu ankern und so direkt die körperlichen Auswirkungen der

emotionalen Veränderungen wahrzunehmen.

Physiologische Veränderungen: Eine klar etablierte Achtsamkeit kann hier Veränderungen im Körper

erkennen und vor allem leichter zuordnen, was eine sich selbst nährende Stressdynamik

durchbrechen kann. Verstärkte Muskelspannung bis hin zu Verspannungen bei Dauerstress werden

zum Beispiel deutlicher wahrnehmbar und können sich bei der Übung von Achtsamkeit auf den

Körper auch auflösen, bestenfalls unterstützt durch körperliche Betätigung.Herzrasen bei Angst kann

als körperliches Phänomen betrachtet und beobachtet werden und führt so nicht zwingend zu einer

Angstspirale, in der sich die Angst selbst nährt. In der Übung von Achtsamkeit beobachtet man, was

ist, atmet ein paar Mal tief ein und findet im Idealfall alleine dadurch eine gewisse Entspannung. Man

schafft sozusagen Raum für das, was man vorfindet.21

Konsequenzen: Selbst auf der Ebene der Konsequenzen kann Achtsamkeit noch unterstützend

wirken, wobei hier die Anwendung meist bereits in einem therapeutischen Setting stattfinden wird,

also in der Psychotherapie oder in Stresskliniken, was nicht mehr in den Arbeitsbereich von Lebens-

und Sozialberaterinnen fällt.

21 KORNFIELD Seite 46

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Von besonderer Bedeutung erscheint mir in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die Tatsache,

dass die Anwendung einer Achtsamkeitspraxis andere hilfreiche Interventionsmöglichkeiten

keinesfalls ausschließt, sondern unterstützt und positiv verstärkt. Aus meiner Beurteilung fügt sich

die Praxis von Achtsamkeit sehr gut in das Stressmodell nach Greenberg ein.

4. Der Einsichtsdialog in der Stress- und Resilienzberatung

4.1. Theorie: Der Einsichtsdialog nach Gregory Kramer

Ein wesentlicher Teil unseres Stresses am Leben entspringt in unseren Beziehungen zu anderen. Mit

dieser Erkenntnis hat Gregory Kramer in den 1990er Jahren eine Meditationsform entwickelt, die die

klassische Achtsamkeitsmeditation ergänzt, wobei diese als Basis empfohlen und auch sehr

unterstützend ist. Achtsamkeit wird im stillen Sitzen und Gehen und im Alltag erlernt. Der

Einsichtsdialog nach Gregory Kramer bietet eine gezielt entwickelte Meditationspraxis22 für die Arbeit

in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Das Leiden, das in Beziehungen und in der Gesellschaft insgesamt steckt, wird durch die

zwischenmenschliche Meditationspraxis direkt enthüllt. Der Einsichtsdialog liefert einen Weg, wie die

Knoten hinter Leid und Verwirrung im zwischenmenschlichen Kontakt gelöst werden können.

Das Vorgehen ist ähnlich wie in der traditionellen individuellen Meditation indem Achtsamkeit und

Geistesruhe kultiviert wird. Im Ablauf einer formalen Praxis findet zuerst eine stille Sitzperiode statt.

Im Anschluss werden die Praktizierenden gebeten, sich paarweise oder in kleinen Gruppen

zusammenzufinden. Sechs Anweisungen führen durch die zwischenmenschliche Meditationspraxis.

Die erste lautet „Innehalten“ und lädt ein, die Bewegung des Geistes zu unterbrechen. Die

Praktizierenden verankern dazu ihre Achtsamkeit im Hier und Jetzt im Körper und Geist. Mit der

22 Meditation wird auch hier als Entwicklung des menschlichen Geistes definiert.

Einsichtsdialog

die Wahrheit sprechen

Innehalten

entspannen

öffnen

dem Entstehen vertrauen

tief zuhören

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zweiten Anweisung „Entspannen“ bietet sich die Möglichkeit, die Erfahrung im Innehalten

akzeptierend anzunehmen, sich körperlich und geistig zu entspannen, damit der Geist sich beruhigen

kann. In der dritten Anleitung „Öffnen“ begeben sich die Meditierenden erstmals in die spezifische

Situation der zwischenmenschlichen Meditation, sie öffnen sich sowohl der MeditationspartnerIn wie

auch dem inneren Erleben und damit der gesamten Erfahrung. Die Ausweitung auf die Außenwelt

öffnet die Tür für die Gleichzeitigkeit von Innen und Außen. Gregory Kramer bezieht sich hier auf die

Satipatthana Sutta aus dem Palikanon, die Grundlagen der Achtsamkeit23, wo es im zwischen den

Abschnitten wiederkehrenden Vers heißt: „Auf diese Weise verweilt er hinsichtlich des Körpers…. der

Gefühle… des Geistes… der dhammas innerlich…äußerlich….sowohl innerlich wie auch äußerlich

betrachtend.“ Die vierte Meditationsanweisung im Einsichtsdialog lautet „dem Entstehen vertrauen“.

Diese Anweisung lädt ein, das Entstehen, Verändern und Vergehen, die Vergänglichkeit allen

Erlebens, zu beobachten. Die letzten beiden Instruktionen beziehen sich direkt auf den Dialog: „tief

zuhören“ und „die Wahrheit sprechen“. Tief zuhören öffnet für die Worte, die Stimme und die

Körpersprache. Und die Wahrheit sagen ist das wahrhaftige Sprechen über das, was wir sehen,

hören, spüren, erleben, über unsere subjektive Wahrheit des Erlebens.

Die Anweisungen können einzeln geübt werden, sind aber im Erleben gleichzeitig ablaufende

Prozesse. Nachdem die Meditierenden die Anweisungen kennengelernt und erlebt haben, folgen im

formalen Praxisablauf Kontemplationen im Sinne einer vertieften Betrachtung. Themen für die

Kontemplationen können vorgegeben werden, wie es in einem Retreat geschieht, oder in einer

Übungsgruppe von den TeilnehmerInnen selbst eingebracht werden. Die Bandbreite reicht von

alltäglichen Betrachtungen wie zum Beispiel die Lebensrollen die wir einnehmen, Veränderung,

Freude im Leben, Sterben bis hin zu Themen aus der Buddhalehre. Bei den Kontemplationen wenden

die Meditierenden die sechs Anweisungen an.

Die Meditierenden stoßen beim Einsichtsdialog auf mehr Reize zu reagieren oder festhalten oder

ablehnen zu wollen, als in stiller Praxis. Aber sie entdecken auch, dass sie sich bei diesen

Herausforderungen wie bei der Praxis insgesamt gegenseitig unterstützen können – die Dinge so zu

sehen, wie sie wirklich sind. Achtsamkeit und Geistesruhe sind das Fundament des meditativen

Prozesses, während die Kontemplationen es möglich machen, dass die Praxis tief in die mentalen und

emotionalen Konstrukte hinabreicht und sie mit einer großen Kraft transformieren. So kann sich zum

Beispiel das Festhalten an alten und nicht mehr adäquaten Mustern auflösen und Platz machen für

neue, passendere Denk- und Verhaltensweisen.

Das Erlebnis der Interaktion mit einem anderen Menschen ändert sich von Moment zu Moment,

sowohl in der zwischenmenschlichen Meditation wie im täglichen Leben. Die befreiende Dynamik der

Meditation kann so in den Alltag und in die Gesellschaft hinausgetragen werden. In der Interaktion

zum Beispiel mit einer Arbeitskollegin oder im Familienkreis ist eine spontane Erinnerung möglich,

sich zu entspannen sobald ein krampfhaftes Festhalten an irgendetwas mit Klarheit und Mitgefühl

gesehen werden kann. Das ermoglicht Dinge, die normalerweise in der Geschaftigkeit des

Alltagslebens ubersehen werden, wahrzunehmen und zu verstehen und mehr Akzeptanz fur sich

selbst und andere aufzubringen.

23 Der Palikanon ist die Sammlung der Lehrreden des Buddha im frühen Buddhismus. Auf die Satipatthana Methode wurde in Fußnote 4, Seite eingegangen. Sutta ist die Bezeichnung für eine Lehrrede in Pali, der Sprache, in der die Lehrreden des Buddha ursprünglich mündlich weitergegeben wurden.

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4.2. Der Einsichtsdialog in der Resilienz- und Stressberatung

Im Folgenden führe ich kurz aus, wie die oben beschriebene Meditationsmethode als Methode in der

Beratung allgemein und in der Resilienzberatung im speziellen angewendet werden kann.

Innehalten ist für die Entwicklung von Achtsamkeit und damit einem bewussten Handeln höchst

hilfreich. Um dies zu trainieren, lade ich die Klientin ein, ihre aktuellen körperlichen Wahrnehmungen

zum Ausdruck zu bringen. Ein solcher Ablauf dauert 5 bis 10 Minuten. Die Zeit wird vorher vereinbart.

Die Klientin spricht jene körperliche Wahrnehmung aus, die im Moment am präsentesten ist. Das

kann ein Kribbeln an einer Körperstelle sein, ein Ziehen, eine Spannung, eine Entspannung etc. Die

Wahrnehmung und die Verbalisierung der Wahrnehmung können dabei nicht gleichzeitig stattfinden,

das Aussprechen einer Körperwahrnehmung wird stets zeitverzögert stattfinden. In dieser Zeit finden

weitere Körperwahrnehmungen statt. Hier ist es wichtig, den verbalen Ausdruck der

Wahrnehmungen nicht zu beschleunigen, sondern Wahrnehmungen dann nicht auszusprechen.

Körperliche Wahrnehmungen, die die Klientin nicht mitteilen will, weil ihr vielleicht das Aussprechen

unangenehm ist, sollten nicht geteilt werden. Wenn mehrere Wahrnehmungen gleichzeitig

auftreten, so kann die Klientin auch schweigend beobachten, welche sich davon zur präsentesten

entwickelt. Üblicherweise sitze ich während des Ablaufes der Klientin gegenüber und wir halten

Augenkontakt. Dieser Augenkontakt unterstützt die Achtsamkeit, das Abschweifen wird weniger

leicht. Der Berater ist sozusagen Zeuge des Erlebens einerseits, andererseits bekommt die Klientin

das Gefühl, dass ihr zugehört wird, dass ihre Empfindungen Bedeutung haben. Mit dieser Übung wird

die Körperwahrnehmung und das Körperbewusstsein geschult, die Möglichkeit der körperlichen

Ankerung in Stresssituationen wird erschlossen, ebenso ein Rückzugsort, ein Ort der Sicherheit.

Zudem befindet sich die Klientin während dieser Übung ganz im Hier und Jetzt. Im Anschluss wird die

Übung reflektiert. Diese Übung kann dann als Hausübung alleine durchgeführt werden und ist zur

Integration in den verschiedenen Lebenssituationen empfohlen, z.B. beim Warten auf oder in

öffentlichen Verkehrsmittel oder während einer Rotphase der Verkehrsampel etc.

Ein weiterer Ablauf dient der Erforschung des Entspannens. Der Klient wird eingeladen, durch seinen

Körper zu spüren und seine Aufmerksamkeit auf Areale mit besonderer Spannung zu lenken. Was

passiert, wenn angespannten Bereichen im Körper besondere Aufmerksamkeit zuteilwird? Was

passiert mit der Spannung? Wie kann er aktiv dazu beitragen, die Spannung zu reduzieren? Als

Beispiel werden eine Veränderung der Körperhaltung, eine Veränderung der Atmung etc. angeboten.

Der Klient ist wieder aufgefordert, sein Erleben auszusprechen, der Berater hört tief zu. In einem

weiteren Ablauf – eventuell in einem folgenden Gespräch – kann die Aufgabenstellung dahingehend

verändert werden, dass der Klient eingeladen wird, von einer Stresssituation in der letzten Zeit zu

berichten und dabei den Fokus auf die Körperspannung zu richten. Wie hat sich die Situation

angefühlt, was hätte er tun können, um die körperliche Anspannung zu lösen, was hätte er anders

machen können. Der Klient kann in diesem Schritt aktiv erkunden, dass er durch Achtsamkeit auf den

Körper die Wahl hat, ob er sich in einer Stresssituation körperlich anspannt oder ob er sich für

Gelöstheit entscheidet. Er ist somit handlungsfähig und der Stresssituation nicht hilflos ausgeliefert.

Er kann dadurch auch lernen, der eigenen Anspannung freundlich und mit Selbstmitgefühl zu

begegnen. Im Anschluss wird die Übung reflektiert. Als Hausübung ist der Klient eingeladen auf

Anspannung im Alltag zu achten: in welchen Situationen treten wo im Körper Anspannungen ein,

kann er diese durch Lenken von Aufmerksamkeit auf diese Körperstelle positiv beeinflussen etc.

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Öffnen ist der nächste Schritt. In einer ersten Übung wird die Klientin eingeladen, im Stehen ihre

Augen zu schließen und den Kontakt der Füße mit dem Boden wahrzunehmen. Von dort aus kann sie

die Achtsamkeit auf den ganzen Körper ausdehnen und ihn mit Achtsamkeit füllen. In einem

nächsten Schritt wird die Aufmerksamkeit auf die Körpergrenzen gerichtet und mit Achtsamkeit

erforscht, ob diese exakt zu fühlen sind. Die Klientin wird sodann aufgefordert, den Kopf leicht zu

senken und die Augen langsam ganz leicht zu öffnen, dabei den Kopf zu heben und die Augen

langsam weiter zu öffnen. Mit Achtsamkeit beobachtet sie, was mit der Wahrnehmung der eigenen

Grenzen passiert. Nach einer kurzen Weile kehrt sie den Vorgang um und schließt die Augen wieder.

Dies kann sie mehrmals wiederholen. Sie kann dabei verbalisieren, was sie wahrnimmt. Was ist

äußerlich wahrnehmbar, wie ist die innere Reaktion auf diese Wahrnehmung? In einer weiteren

Sitzung kann diese Methode verändert werden: Klientin und Berater sitzen einander gegenüber und

die Klientin kann verbalisieren, wie es ihr mit der visuellen Kontaktaufnahme mit der anderen Person

ergeht, wie sie die Person des Beraters wahrnimmt. Diese Übung kann ausgedehnt werden, indem

die Klientin darauf achtet, welche Urteile über die gegenüber sitzende Person auftreten. Im

Anschluss wird die Übung reflektiert. Mit dieser Übung kann die Klientin lernen, ihre Aufmerksamkeit

bewusst zu steuern und wahrzunehmen, wo sich diese befindet – im Innen oder im Außen – oder ob

es möglich ist, die Aufmerksamkeit gleichzeitig im Innen und im Außen zu halten. In

Alltagssituationen kann sie damit sowohl die Person, mit der sie es zu tun hat wahrnehmen, deren

Absichten und Befindlichkeiten und gleichzeitig die eigene Resonanz darauf, die auftauchenden

Emotionen und Gedanken und Bewertungen. Als Hausübung wird die Klientin eingeladen, mit dem

Öffnen und Schließen einerseits und den auftauchenden Bewertungen andererseits zu

experimentieren.

Dem Entstehen vertrauen widmet sich der Vergänglichkeit der Erscheinungen. Alles was entsteht, ist

der Veränderung unterworfen und wird auch wieder vergehen. Unser Körper und unsere Psyche sind

von Natur aus sehr gut dafür ausgestattet, sich in den Wechsel der Bedingungen hinzuentspannen.

Mit dieser Übung wird der Klient eingeladen, in seinem Körper das Entstehen, sich verändern und

Vergehen von Wahrnehmungen zu beobachten und zu verbalisieren, die Veränderung der

Körperhaltung, der Körpertemperatur, der Körperspannung, den Blutfluss wahrzunehmen, das

Entstehen und Vergehen eines Juckens etc. In einer folgenden Kontemplation können die

Lebensrollen oder die Arbeitssituation etc. betrachtet werden. Der Klient lernt zu akzeptieren, dass

das Leben ein Fluss ist und es Stabilität, wie diese oft gewünscht wird, in dem Sinne nicht gibt. Er

lernt, auf sich im Fluss der Veränderung zu vertrauen. Als Hausübung kann der Klient die

Vergänglichkeit in allen möglichen Lebenssituationen beobachten, seine Empfindungen dazu (die sich

auch verändern) und die Veränderung seiner inneren Haltung. Er kann darauf achten, wer er als

Person ist und wie sich seine Person in den letzten fünf oder zehn Jahren verändert und entwickelt

hat. Er kann reflektieren, welche Situationen er erfolgreich gelöst hat (Selbstwirksamkeit,

Zukunftsorientierung, Lösungsorientierung, Optimismus etc.). Er kann sehen, wie durch Akzeptanz

weitere Resilienzfaktoren entstehen und sich entwickeln.

Tief zuhören hängt mitunter auch mit der Rolle zusammen, die man im Moment einnimmt – ist die

Klientin gerade in ihrer Rolle als Angestellte, Teamleiterin, Mutter, Ehefrau, Tänzerin etc. Hier

können wieder die Lebensrollen wichtig sein und somit kann es sinnvoll sein, so die Lebensrollen

Thema der Beratung sind, nochmals auf diese zurückzukommen. Die Klientin ist eingeladen tief

zuzuhören: der Berater kann in dieser Sequenz seine Wahrnehmung des bisherigen

Beratungsprozesses positiv unterstützend teilen. Die Klientin kann den Worten, der Stimme, der

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Körpersprache des Beraters zuhören und dabei darauf achten, ob sie sich wirklich im Zuhören

befindet oder ob sie seine Sätze vervollständigen möchte, sich Antworten, Erwiderungen,

Rechtfertigungen, Zustimmungen etc. bereitlegt. Dann findet ein Rollentausch statt und die Klientin

spricht, was sie gehört hat. Der Berater kann dann kurz sein Gesagtes ergänzen. Als Hausübung kann

jede Gelegenheit wahrgenommen werden, in der sich die Klientin in der Rolle der Zuhörerin sind.

Die Wahrheit sprechen ist die letzte der spezifischen Übungen für den Einsichtsdialog. Der Klient

kann mit Sprache experimentieren, Laute und Worte wiedergeben und dabei darauf achten, wie

diese in ihm entstehen, geistig und körperlich. In dieser Sequenz kann sich der Klient sodann ein

Kontemplationsthema wählen, über das er sprechen will, sei es nun mit dem Beratungsthema in

Beziehung stehend oder nicht. Er achtet dabei darauf, ob das was er sagt wahrhaftig ist in dem Sinne,

dass es seine subjektive Wahrheit wiedergibt. Er kann versuchen, die Perspektive zu einem Thema zu

verändern und erforschen, ob sich die Wahrheit aus der neuen Perspektive verändert. Als Hausübung

kann er jede Situation nehmen, in der er spricht. Er kann achtsam betrachten, aus welcher

Motivation heraus er spricht, mit welchem Gefühlston, welche Gewohnheiten auftauchen, ob es

einfach oder schwierig ist die Achtsamkeit zu halten und ob sich sein Sprachverhalten dadurch

ändert. Und er kann darüber kontemplieren, ob dies zu positiven Veränderungen bezüglich seines

Beratungsthemas führt.

Die angeführten Übungen sind beispielhaft und können erweitert werden, sollte der Prozess das

verlangen.

Erweiterung: Zur Festigung und Verankerung der Methode biete ich seit Herbst 2016 monatlich einen

Übungsabend für den Einsichtsdialog in meiner Praxis an. Meine Klienten sind eingeladen, daran

teilzunehmen, um formal üben zu können bzw. besteht dort auch die Möglichkeit für Fragen zur

Methode.

5. Zusammenfassung Abschließend lässt sich festhalten, dass die Entwicklung und Anwendung von Achtsamkeit als

zugrundeliegende Haltung die Arbeit in der Resilienzberatung, im Stressmanagement und in der

Burnout-Prävention mit den Methoden der Lebens- und Sozialberatung auf allen Ebenen

unterstützen kann. So wie Wertschätzung, Empathie und Echtheit in der Beratung nach Rogers eine

unterstützende Grundhaltung für die Beraterin und den Berater zum Wohle der KlientInnen

darstellen, so kann Achtsamkeit als weitere Grundhaltung sowohl die beratende Person

unterstützen24 wie auch die Klienten auf ihrem Weg unterstützend begleiten. Angewandte

Achtsamkeit als eine Methode die vor mehreren tausend Jahren im Osten entwickelt wurde tritt

dabei nicht in Konkurrenz zu psychologisch-beraterischen Methoden des Westens, sondern kann als

Katalysator für deren Wirksamkeit dienen und diese in ihrer Kraft verstärken.

Als Lebensberater sehe ich mich in der Rolle, einen wertvollen Beitrag für die Menschen in unserer

Gesellschaft mit zunehmenden Anforderungen, was Reize, Leistung und Lebensgeschwindigkeit

betrifft, zu leisten. Idealerweise gelingt das auf der Ebene der Entwicklung und Stärkung der inneren

Widerstandskraft (Resilienz) und in einem gesunden Umgang mit den zahlreichen Reizen unserer Zeit

(Stressmanagement). Aber auch wenn eine Person bereits in die Dynamik des Ausbrennens (Burnout)

24 KÖCK

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eingetreten ist und mit Hilfe von Professionisten aus dem Gesundheitsbereich davon wieder

gesunden konnte, so sehe ich meine Rolle in der Rückfallprophylaxe durch die Anwendung von

Achtsamkeit wie sie in der vorliegenden Abhandlung kurz umrissen wurde sehr gut unterstützt.

„Burnout ist eine normale Reaktion auf eine anormale Situation. Das Burnout-Syndrom ist keine

Krankheit im klassischen Sinne, sondern ein Bündel von körperlichen und seelischen Reaktionen auf zu

hohen und zu langanhaltenden negativen Stress. Es ist die logische Konsequenz, wenn die Balance

von Anspannung und Entspannung, von Stress und Erholung langfristig aus dem Gleichgewicht ist.“25

Menschen zu unterstützen, dieses Gleichgewicht zu erhalten oder zu entwickeln, ist mein Angebot.

Ich bediene mich dabei der Methoden der Lebens- und Sozialberatung, unterstützt durch

angewandte Achtsamkeit im allgemeinen und dem Einsichtsdialog im speziellen als meine

Kernkompetenzen.

25 FABACH

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6. Literaturverzeichnis Analayo, B. (2010). Der direkte Weg - Satipatthana. Verlag Beyerlein & Steinschulte.

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Graham, L. (2014). Der achtsame Weg zu Resilienz und Wohlbefinden. Freiburg: Arbor Verlag.

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Sukhacitto, B. (2016). Mitschrift Retreat Einsichtsdialog. Amitayus.

Wellensiek, S. K. (2011). Handbuch Resilienz-Training. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.

7. Abbildungsverzeichnis Abbildung Titelseite: Baum auf Felsen © Harald Reiter

Abbildung 1: Copyright BLICKHAN 0

Abbildung 2: Stressreaktion nach Kabat-Zinn 4

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Abbildung 3: Stressaktionsprogramm nach Kabat - Zinn 5

Abbildung 4: Achtsamkeitsmodus (BLICKHAN, Seite 209) 7

Abbildung 5: Das SOR-Modell, Broschüre WRM, Haris Janisch 8

Abbildung 6: Umkehrung der Stress-Straße nach Greenberg durch beraterische Interventionen. WRM

Broschüre Dezember 2016 12

8. Anhang Anhang 1: Fragebogen zur Achtsamkeit

Überprüfen Sie, wie achtsam Sie normalerweise im Alltag sind. Beantworten Sie dazu die Fragen und

tragen Sie eine Bewertung von 1 (selten) bis 6 (meistens) ein.

Frage Punkte

Ich mache oft mehrere Sachen gleichzeitig.

Vieles von dem, was ich denke und tue, passiert automatisch.

Beim Autofahren reagiere ich sehr schnell gereizt.

Ich habe oft Konzentrationsschwierigkeiten.

Ich nehme das kleine Glück im Alltag oft nicht wahr.

Ich empfinde Anspannung oft erst dann, wenn sie sich als körperliche Verspannung oder Migräne äußert.

Manchmal bin ich so in Gedanken, dass ich gar nicht weiß, wie ich von A nach B gekommen bin.

Ich falle meinen GesprächspartnerInnen oft ins Wort.

Ich liebe es, von einer besseren und schöneren Zukunft zu träumen.

Ich esse oft so schnell, dass ich gar nicht richtig schmecke, was ich zu mir nehme.

Meine Gesamtpunkteanzahl: _________

Je höher die erreichte Punkteanzahl, desto intensiver sollten Sie sich mit dem Üben in Achtsamkeit

befassen.

Quelle: IDING, Seite 4

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