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Abenteuer Im Ferienlager

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Stefan Wolf

Abenteuer imFerienlager

Ein Fall fur

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cbj ist der Kinder- und Jugendbuchverlagin der Verlagsgruppe Random House

www.cbj-verlag.deGesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

1. Auflage(c) 2005 cbj, Munchen

Alle Rechte vorbehaltenIllustrationen: Reiner Stolte, Munchen

Satz: Uhl+Massopust, AalenISBN: 978-3-641-01318-9Datenkonvertierung eBook:

Kreutzfeldt Electronic Publishing GmbH, Hamburgwww.kreutzfeldt.de

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Inhalt

1. Der Dieb 11

2. Die Gespenster 45

3. Die Erpresser 80

4. Die Rocker 113

5. Rettung in letzter Sekunde 152

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TARZAN

heisst in Wirklichkeit Peter Carsten,aber kaum einer nennt ihn so. Er istder Anfuhrer unserer vier Freunde,der TKKG-Bande. Warum sie soheissen? Weil das dieAnfangsbuchstaben ihrer Vornamensind: Tarzan, Klosschen (auch das istfreilich nur ein Spitzname), Karl undGaby. Tarzan, 13 Jahre alt, ist immerbraun gebrannt und ein toller Sportler- vor allem in Judo, Volleyball undLeichtathletik, und da besonders imLaufen. Seit zwei Jahren wohnt derbraune Lockenkopf in derInternatsschule, geht jetzt in dieKlasse 9b. Sein Vater, ein Ingenieur,kam vor sechs Jahren bei einemUnfall ums Leben. Seine Mutter, dieals Buchhalterin arbeitet, kann dasteure Schulgeld nur muhsamaufbringen. Doch fur ihren Sohn ist ihrnichts zu viel. Tarzan dankt es ihr mitguten Zeugnissen. Aber deshalb

wurde ihn niemand - nicht mal im Traum - fur einen Streberhalten. Im Gegenteil: Wenn es irgendwo ein Abenteuer zuerleben gibt, ist er der Erste und immer dabei.

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Ungerechtigkeit kann ihn fuchsteufelswild machen. Und sokommt es, dass er fur andere immer wieder Kopf undKragen riskiert.

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KARL, DER COMPUTER

geht in dieselbe Klasse wie Tarzan, indie 9b, wohnt aber nicht im Internat,sondern bei seinen Eltern in der Stadt.Er heisst mit Nachnamen Vierstein undsein Vater ist Professor fur Mathematikan der Universitat. Wahrscheinlich hatKarl von ihm das tolle Gedachtnisgeerbt, denn er merkt sich einfach alles- wie ein Computer. Karl ist lang unddunn, und wenn ihn etwas aufregt, putzter sofort die Glaser seiner Nickelbrille.Bei einer Prugelei nutzt ihm seinGedachtnis leider wenig. Muskelnwaren dann besser. Weil er die nichthat, bleibt er lieber im Hintergrund undkampft mit den Waffen seines Gehirns -aber feige ist er nie.

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KLOSSCHEN

ist ein prima Kerl, an demman nichts auszusetzenhatte, wenn er bloss nicht sovernascht ware. Eine TafelSchokolade - und er wirdschwach. Noch lieber sindihm zwei, drei oder gar funfTafeln. So bleibt es nicht aus,dass Willi Sauerlich - soheisst er mit vollem Namen -immer dicker undunsportlicher wird.Zusammen mit Tarzan, indessen Klasse er auch geht,wohnt er im Internat in derBude ADLERNEST.Klosschens Eltern, die sehrreich sind und in der gleichenStadt leben, haben nichtsdagegen, denn dem Jungengefallt es bei seinenKameraden besser als zuHause. Da ist mehr los, sagt

er. Sein Vater ist Schokoladenfabrikant und er hat sogareinen Zwolf-Zylinder-Jaguar. Heimlich wunscht Klosschensich, so schlank und sportlich zu sein wie Tarzan.

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GABY, DIE PFOTE

hat goldblonde Haare undblaue Augen mit langendunklen Wimpern. Sie ist sohubsch, dass Tarzanmanchmal nicht hinguckenkann, weil er sonst rot wird.Er mag sie halt sehr gern.Aber affig ist Gaby Glocknerdeshalb kein bisschen - imGegenteil: Sie macht alleStreiche mit.Selbstverstandlich passendie drei Jungens immer aufsie auf, besonders wenn’sgefahrlich wird. Vor allemTarzan ist dann sehr besorgt.Er gibt es zwar nicht zu, aberwenn es darauf ankame,wurde er sich fur Gabyzerreissen lassen. Sie wohnt,wie Karl, bei ihren Eltern inder Stadt, besucht aber auchdie Klasse 9b im Internat.Der Vater ist Kriminalkommissar, die Mutter fuhrt einkleines Lebensmittelgeschaft. Als Ruckenschwimmerin istGaby unschlagbar und in Englisch hat sie die besten

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Noten.

Sie ist sehr tierlieb und lasst sich von jedem Hund diePfote geben, deshalb heisst sie auch >>Pfote

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1. Der Dieb

Der Zug ratterte. Gellend pfiff die Lokomotive.Telefonmasten flitzten am Abteilfenster vorbei. Vor einembacksteinroten Bahnwarterhauschen standen Kinder undwinkten.

Gaby, die einen Fensterplatz hatte, winkte zuruck. Nebenihr rutschte Karl unruhig auf seinem Sitz hin und her. Schonzum dritten Mal sah er auf die Uhr.

>>Wir mussen gleich da sein

Tarzan nickte. Er sass Gaby gegenuber und hatte seinelangen Sprinterbeine ausgestreckt. Scheinbar gleichmutigsah er in die flache Landschaft hinaus. Kuhe weideten auffetten Wiesen. Und in der Ferne, dort, wo der graublaueAbendhimmel an den Horizont stiess - dort musste dasMeer sein: die Nordsee.

Klosschen, auf dem Platz neben Tarzan, richtete sichplotzlich steil auf.

>>Um Himmels willen! Wisst ihr, was mir einfallt!>Wennwir zu spat ankommen im Ferienlager - und die dort schongegessen haben, dann…>Dann… dann kriegen wir nichtsmehr. Kein Abendessen! Und das nach so vielen Stundenanstrengender Bahnfahrt.

>>Beruhig dich!>Im Ferienlager werden wir bestimmtnicht verhungern. Die wissen dort: Seeluft macht Appetit.

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Sogar du wirst endlich mal zulangen!

Gaby und Karl lachten. Auch Klosschen lachelte gutmutiguber den Spott. Denn dass er, der Nimmersatt, Seeluft alsAppetitanreger brauchte, war wirklich ein Witz.

>>Bin ich aufgeregt!>Das ist unsere erste gemeinsameFerienreise. Toll! Das verdanken wir Karl. Noch toller! Undausgerechnet in ein Ferienlager fur Kinder und Jugendlichedirekt an der Nordsee fahren wir.Am tollsten!

Sie sprang auf. Sofort hob Oskar, ihr schwarz-weisserCockerspaniel, den Kopf. Schlafend hatte er ihr zu Fussengelegen. Aber jetzt teilte sich ihm Frauchens Aufregung mit.

Gaby nahm ihre Umhangetasche aus dem Gepacknetz,holte einen grossen Kamm hervor und brachte ihr langes,goldblondes Haar in Ordnung. Aus den Augenwinkelnsahen die Jungs ihr zu. Und jeder dachte: Sie wird auch imFerienlager die Hubscheste sein. Ist sie ja uberall.

Ein schriller Pfiff. Merklich verlangsamte der Zug dasTempo. Jetzt ging’s in die Kurve.

Tarzan presste den Kopf an die Scheibe und blicktevoraus. Es war so weit. Er sah die ersten Hauser desNordseebades, den Bahnsteig und Reisende, die auf denZug warteten.

>>Freunde, der grosse Moment naht. Der rote Teppichist ausgerollt. Die Blaskapelle steht bereit. Kurz: Man

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weiss, dass wir kommen.

Seine Freunde lachten, denn abgesehen vom Leiter desFerienlagers, das ein Stuck ausserhalb des Nordseebadeslag, wusste kein Mensch von ihrer Ankunft.

Jetzt ging es hopp-hopp. Koffer, Taschen undRucksacke wurden aus dem Gepacknetz genommen - undOskar an die Leine. Tarzan schleppte die Halfte von GabysGepack und sah aus wie ein Kuli. Aber das machte ihmnichts - war er doch barenstark; und fur Gaby tat er ja alles.Sie kummerte sich um Oskar, der dringend mal das Beinheben musste.

Jetzt fuhr der Zug in den Bahnsteig ein. Bremsenkreischten. Dann standen die Rader still.

Die vier Freunde drangten durch den Gang zur Tur. UberLautsprecher wurde die nachste Abfahrtszeit bekanntgegeben. Oskar jaulte auf, als Klosschen ihm versehentlichauf eine Pfote trat. Gaby puffte Klosschen in die Rippen;und er entschuldigte sich hastig, bei ihr und auch beiOskar.

Voller Erwartung und vor Freude auf eine hoffentlich tolleZeit im Ferienlager verliessen die vier unzertrennlichenFreunde der TKKG-Bande den Zug.

Am 3. Juli schrieb Tarzan in sein Tagebuch: GesternAbend sind wir in T. angekommen. Der Ort ist dufte - so einrichtiges Nordseebad. Das Ferienlager liegt ein bisschen

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entfernt, eine Viertelstunde mit dem Rad. Leihrader gibt’shier. Naturlich haben wir uns die gleich besorgt. EinDutzend Hauser auf einem Wiesengelande >>hintermWaldchen

Karl, Klosschen und ich haben eine Bude fur uns: DreiFeldbetten, die als Trampolin gut waren, und schmaleSchranke. Gaby schlaft im Obergeschoss mit zweiMadchen zusammen, die aber junger sind - zehn und elf.Sie darf Oskar im Zimmer halten. Er ist der einzige Hundim Lager.

Wie wir von einem Betreuer horten - er ist Student, siehtverhungert aus und hat einen Bart wie Rasputin -, sind alleHauser uberbelegt. Mehr als 200 Kinder und Jugendlichewollen hier die Sommerferien geniessen. Jedes Haus hateinen Betreuer (wir haben Rasputin). Verpflegt werden wirvon der Gemeinschaftskuche. Vor jeder Mahlzeit ziehen

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zwei Hausbewohner mit dem Wagelchen los und holenFutter fur alle: in Behaltern und Kannen. Dass SeeluftHunger macht, merken wir schon. Klosschen frisst naturlichfur drei. Gaby hat Sorge um ihre schlanke Linie; worauf ichbeinahe gesagt hatte, wenn man so hubsch sei wie sie,waren ein paar zusatzliche Pfunde nicht schlimm.

Dass Karl mit dem ganzen Geld, das er kurzlich beieinem grossen Preisausschreiben gewonnen hat, unsereFerienreise finanziert, werde ich ihm nie vergessen. Gabyund Klosschen sind ihm genauso dankbar, obwohl erdavon kein Wort horen will und sich jedes Mal die Ohrenzuhalt, wenn einer auch nur anfangt. Er ist schon ein primaFreund.

Zum ersten Mal verbringen wir vier die Sommerferiengemeinsam. Es kann eine tolle Zeit werden. Gaby meintallerdings, dass es so friedlich bliebe, traue sie uns einfachnicht zu. Bestimmt wurden wir bald in eine heisse Sachereinsegeln, wo es dann rundgeht.

Ach so, das Wetter: Es ist ein bisschen kuhl und vorhinhat’s geregnet. Nichts fur den Strand - so nennen wir dasWatt vor dem Deich. Wir fahren nachher in den Ort.

*

>>Hier gibt’s offenbar alles>Sogar ein Kaufhaus. Wollenwir rein?

Peter Carsten, genannt Tarzan, stoppte seinen Drahtesel

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und setzte einen Fuss auf die Bordsteinkante. Er war vorein paar Monaten 13 Jahre alt geworden, wie seineFreunde auch, hatte dunkle Locken und gebraunte Haut. ZuHause war er als Super-Sportler bekannt - in Judo undVolleyball meisterlich; allerdings auch in Mathematik. Dasser - ohne sich aufzuspielen - immer der Anfuhrer war,uberliessen ihm die anderen ohne Neid. Er hatte die Nasevorn und liebte Abenteuer; und wenn es darum ging, eineUngerechtigkeit aus der Welt zu schaffen, scheute ernichts.

>>Wahrscheinlich gibt’s Schokolade im Kaufhaus>ImSonderangebot. Ich muss unbedingt einkaufen. Hier stirbtman ja vor Hunger.

Dass Willi Sauerlich, genannt Klosschen, sofort anSchokolade dachte, war typisch fur ihn. Als Sohn einesreichen Schokoladenfabrikanten liebte er Schokolade uberalles - und sah auch so aus: Rund und schwer, wie seinSpitzname verriet. Das Mopsgesicht mit denSommersprossen passte dazu. Abgesehen von seinerunseligen Fresssucht war er ein netter Kerl. Fur seine dreiFreunde ging er durchs Feuer.

Karl lachte. >>Bin ja gespannt, welche Schokoladensortedu kaufst. Die von deinem Vater. Oder die von derKonkurrenz.

Karl Vierstein, genannt Computer, war lattendurr und trugeine Nickelbrille. Sein Gedachtnis konnte es mit einem

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Computer aufnehmen - deshalb der Spitzname.

>>Unsere Schokolade ist die beste>Ein Kenner wie ichkann das beurteilen. Stimmt doch, Gaby?

>>Entzieht sich meiner Kenntnis.

Tarzan sah die Strasse hinunter. Sie war belebt wie ineiner Grossstadt, obwohl der Ort nur 8000 Einwohnerzahlte. Aber jetzt war Saison. Feriengaste bevolkertenHotels und Pensionen. In Cafes wurde um Platze gekampft.Hunderte schlenderten durch die Fussgangerzone, die dorthinten begann. Von den schwarzen Regenwolken, die tiefdahinzogen, liess sich niemand beirren.

Oskar, Gabys schwarz-weisser Cockerspaniel, zerrte ander Leine. Er hatte einen Dackel erspaht und wollte sichbekannt machen. Aber der Dackel verschwand mit seinemFrauchen im Kaufhaus.

Einer musste auf die Rader aufpassen. Karl erbot sich.Die drei anderen betraten das Kaufhaus, sahen sich in denAbteilungen um und fuhren mit der Rolltreppe bis zumvierten Stock, wobei Tarzan seinen Freund Oskar auf demArm trug, damit er sich nicht die Pfoten einklemmte.Klosschen hatte bereits Schokolade gekauft: 20 Tafeln,was bei seinem Konsum nur ein bescheidener Vorrat war.

Gaby und Tarzan waren in einer anderen Abteilung, alsKlosschen wieder zu ihnen stiess. Er hatte dieVerschnurung am Saum seiner orangeroten Windjacke fest

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zugebunden. Und der Reissverschluss war bis zum Halsgeschlossen. Unter der Windjacke wolbte sich eingewaltiger Bauch.

>>Wie siehst du denn aus?

>>Mir ist die Tute kaputtgegangen>Da habe ich dieTafeln unter die Jacke gestopft.

>>Und wie willst du Rad fahren?

>>Das geht.

>>Aber der Schokolade wird’s warm werden>Du bringstnur Kreme nach Hause.

>>Ich hab ja einen Loffel.

Langsam drangten sie sich durch die Menge zumAusgang. Oskar nahmen sie in die Mitte, damit ihmniemand auf die Pfoten trat. Was das betraf, war erwehleidig und konnte jaulen, dass es einen Steinerweichte.

Was jetzt passierte, kam wie ein Donnerwetter uber sie.Plotzlich waren zwei Manner neben Klosschen. Eine harteHand griff ihn von hinten an der Schulter.

>>Halt!>Das ist er. Das muss er sein.

Klosschen hatte sich umgedreht und sah die beiden mitgrossen Augen an. >>Ja, bitte?

>>Du hast gestohlen>Komm sofort mit ins

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Direktionsburo. Sofort! Sonst verstandigen wir die Polizei.

Klosschen sperrte den Mund weit auf, als erwarte er einegebratene Taube. >>Gestohlen? Bei Ihnen… piept’swohl>Ich habe nicht gestohlen, mein Herr. Das muss einIrrtum sein.

>>Kommst du mit? Oder…

>>Moment, bitte!>Wir gehoren dazu. Ihr Irrtum, meineHerren, wird sich bestimmt gleich aufklaren. Denn dieBeschuldigung ist lacherlich. Mein Freund Willi Sauerlichstiehlt nicht. Keiner von uns stiehlt. Und Sie sollten hier nichtso voreilig rumschreien, sonst ist das nachher mit einerEntschuldigung Ihrerseits kaum noch gutzumachen.

Beide Manner starrten ihn an. Dass sie aufgebrachtwaren, verrieten ihre Mienen. >>Wer bist du denn?

>>Wollen wir hier weiterreden?>In Ihrem Direktionsburoist es doch sicherlich gemutlicher.

Einige Kunden, die in der Nahe standen undaufmerksam geworden waren, lachelten.

>>Kein Aufsehen!>Bleiben Sie hinter denen, damit dienicht abhauen.

Das Direktionsburo war nicht mal so gross wie einSchlafraum im Ferienlager. Und bescheiden mobliert.

Hornbrille setzte sich gleich hinter den Schreibtisch undbegann an einem seiner Pickel zu kratzen.

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Der Vierschrotige blieb an der Tur stehen - offenbar umFluchtversuche zu verhindern. Unbehagliche Stille fullte denRaum.

>>Machen Sie’s kurz!>Wir haben unsere Zeit nichtgestohlen.

>>Dir werden die frechen Tone gleich vergehenbrille.>>Wahrscheinlich bist du Komplize, wie? Mal sehen, waswir sonst noch bei einer Durchsuchung finden. Derjedenfalls>hat in der Susswaren-Abteilung Schokoladegestohlen. Leider war er so schnell verschwunden, dassOlsen - der zustandige Verkaufer - nicht eingreifen konnte.Aber der kommt sofort, um ihn zu identifizieren. Bestimmtwird er ihn als Dieb erkennen. Habe ich recht, he? Und nun

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mach mal deine Jacke auf! Was hast du denn dortversteckt, he? Sieht mir ganz wie Schokoladentafeln aus.

Klosschen offnete den Reissverschluss. Tafel um Tafellegte er auf den Schreibtisch. Eine purzelte zu Boden.Erhob sie auf. Als er zwei Stapel geschichtet hatte, trat erzuruck.

>>Zwanzig Tafeln. Dafur habe ich genau 19,60 Markbezahlt.

Was das betrifft, sind sie etwas preiswerter alsanderswo. Diese Schokolade stammt namlich aus derHerstellung meines Vaters. Ja, von der Firma Sauerlich.Aber das nur nebenbei. Und ich sage nochmal: Gestohlenhabe ich nicht.

>>Und wo ist dann der Kassenbon?

>>Verloren!>Die Tute riss auf. Da war der Bon drin.Deshalb habe ich mir die Tafeln unter die Jacke gestopft.Die Tute habe ich im zweiten Stock auf einen Wuhltischgelegt. War ein Wuhltisch mit Pullis, glaube ich.

>>Hah!

Und der Vierschrotige gluckste, als hatte er einenSchluckauf wie Windstarke funf.

>>Du bist der Dieb!>Und das ist dein funfter Coup.Vorher hast du Uhren gestohlen, Fotoapparate,abgepackte Briefmarken und Brieftaschen aus Schlangen-

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und Krokoleder.

Klosschen sagte: >>Habe ich das alles hier bei Ihnengeklaut?

>>Naturlich! Alles bei uns.

>>Heute?

>>In der letzten Woche.Tu nicht so dumm. Du…

Er wurde unterbrochen. Auch Klosschen kam nicht mehrdazu, den beiden zu erklaren, dass er erst seit gesternAbend hier war. Ein Mann kam herein und wurde von demVierschrotigen mit >>Olsen

Er war unscheinbar und in mittleren Jahren. Ausserdemschielte er so stark, dass er den Augenfehler mit einerBrille ausgleichen musste. Wild und kreuzweise blickte erjetzt umher. Dann konzentrierte sich sein Interesse aufKlosschen.

>>Die Jacke stimmt, Herr Vierhaus>Aber dieser Jungeist es nicht. Er hat seine Schokolade bezahlt. Der Dieb warauch grosser und… nicht so korpulent.

Herr Vierhaus - das war Hornbrille - liess von seinemPickel ab und machte ein schafsdummes Gesicht. >>SindSie sicher, Olsen?

>>Naturlich. Ich habe scharfe Augen und erkenne jedenwieder.

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>>Hm.>Aber das beweist noch gar nichts. Die Verkauferaus den anderen Abteilungen werden dich identifizieren.

>>Jetzt wird’s ulkig>Sie konnen wohl nicht zugeben,dass Sie Unsinn machen, Herr Vierhaus. Fur die anderenDiebstahle kommt Willi Sauerlich uberhaupt nicht in Frage.Wir alle sind namlich gestern Abend erst angekommen.

>>Das kann jeder behaupten>Wie der Dieb aussah,wissen wir. Meine Mitarbeiter wissen es. Jedenfalls trug ereine orangefarbene Windjacke.

>>Ist die so selten?

>>Allerdings. Gelbe, blaue und rote nicht. Aber so eineschon.

>>Jetzt weisst du,Willi>wie man zum Verbrecher wird.Brauchst nur die falsche Jacke anzuziehen, schonprasselt’s Beschuldigungen. Sind Sie hier der Direktor,Herr Vierhaus?

>>Ich bin Abteilungsleiter.

Das wunderte auch Gaby und Klosschen. Erstaunt sahensie ihn an, wahrend Oskar ein Stuhlbein beschnuffelte unddann ungeduldige Seufzer horen liess. Tarzan stierte ineinen halb gefullten Papierkorb - wobei die Blickrichtungzufallig war -, nagte auf der Unterlippe und sein kuhngeschnittenes Gesicht schien sich zu verharten. EinGedanke, eben noch winzig wie ein Samenkorn, wuchs im

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Zeitraffer-Tempo zu einem gewaltigen Baum heran.

Es klopfte. Vierhaus schrie: >>Ja!Frauen, denen dieBriefmarken und Brieftaschen anvertraut waren.

>>Wir haben den Dieb erwischt!

>>Spinner!>Jetzt ubertreibt er wirklich.

Klosschen, dem die Sache allmahlich Spass machte,fletschte fur einen Moment schaurig die Zahne, zog dannden Kragen hoch und versteckte das Gesicht bis zur Nasedahinter. Gaby kicherte und blies gegen ihren Pony, derunbedingt geschnitten werden musste.

>>Der?>Aber nein, Herr Vierhaus. Der Dieb wargrosser. Und alter. Etwa 16. So eine Jacke hatte er an, dasstimmt. Aber ein eckiges Gesicht hatte er, mitaufgeworfenen Lippen und tief liegenden Augen. Unddunkleres Haar, das wie eine Teufelskappe in die Stirnwuchs.

Vierhaus musterte Klosschen. Sorgfaltig suchte er ihnnach derartigen Merkmalen ab, fand - zu seinemLeidwesen - aber keine. Argerlich schlug er mit der Faustauf den Tisch.

>>Warum sagt mir das keiner? Muss ich meine Zeitdamit zubringen? Vorhin hiess es, der Dieb hatte schonwieder zugeschlagen. Der mit der orangefarbenen Jacke.Und nun ist nichts. Alles Fehlanzeige.

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>>Jetzt tut es mir fast Leid, dass ich nicht der Diebbin>Bitte, entschuldigen Sie, Herr Vierhaus.

Das war zu viel. Tarzan wurde von Lachen geschuttelt.Dabei schlug er sich auf die Schenkel. Gaby hielt sich dasZwerchfell, und Klosschen liess ein Lachen horen, das wiedas Meckern eines Ziegenbocks klang. Die drei Freundesahen Vierhaus an. Und lachten ihn aus. Dann verliessensie das Zimmer.

Draussen war Karl schon unruhig geworden. Als die dreiendlich kamen, sah er sie vorwurfsvoll an. Gaby erzahlteund alle lachten nochmal. Dann wurde Tarzan ernst.

>>Was machen wir nun mit dem Dieb?>Liefern wir ihnaus?

>>Wen?>Sag nur, du kennst ihn?

>>Orangefarbene Windjacke, 16 Jahre, aufgeworfene

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Lippen, tief liegende Augen, die Haare hier so …>Nun,keine Ahnung? Ach so, ihr wart ja nicht dabei. Aber ichkenne den Typ. Er wohnt bei uns. Im Ferienlager, meineich. Heute Morgen, als ich das Fruhstuck holte, bin ich mitihm zusammengerempelt. Leute, spielt der sich auf! So einrichtig mieser Typ. Am liebsten hatte ich ihm einegeschallert. Aber gleich am ersten Tag… Dann heisst es…Jedenfalls habe ich Rasputin nach ihm gefragt. Der wollteerst nicht mit der Sprache raus, hat aber dann zugegeben,dass Billy Schneider - so nennt er sich - keine Freude fursFerienlager sei. Die Beschreibung des Diebes passt ihmwie die eigene Haut. Und ich glaube, es ist unsere Pflicht,ihn anzuzeigen. Dieb bleibt Dieb. Habe ich Recht?

Die drei schluckten zunachst mal, dann redeten siedurcheinander. Schliesslich verschaffte sich Gaby Gehor,indem sie Karl und Klosschen kurz gegen die Schienbeinetrat, allerdings mit nacktem Zeh, denn sie trug Sandalen,die vorn offen waren.

>>Habe ich’s nicht gesagt. Wir schlittern gleich in wasrein. Aber wir sollten fair sein und diesem Billy eine Chancegeben. Wir sagen ihm, er soll sich freiwillig stellen undseine Beute zuruckgeben. Das wird dann als Reuegewertet und man lasst vielleicht Gnade vor Recht ergehen.

Der Vorschlag fand Zustimmung. Sogar Oskar war dafur.Jedenfalls wedelte er mit dem Schwanz.

Die Kinder schwangen sich auf ihre Drahtesel und

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radelten an fetten Wiesen und wogenden Weizenfeldernvorbei - zuruck ins Ferienlager.

Als sie dort ankamen, meldeten sich in Tarzan Zweifel.Stand ihr Verdacht nicht auf ziemlich wackligen Beinen?Waren sie, die vier Freunde, nicht drauf und dran, genausovoreilig Schlusse zu ziehen wie Herr Vierhaus? Eineorangerote Windjacke und die ubrige Beschreibung - na,gut! Aber ein Beweis war das nicht.

Wahrend sie ihre Rader hinter dem Haus abstellten,sagte Tarzan: >>Wir sollten nicht gleich wie mit Knuppel aufihn losgehen. Erst mal behutsam. Um Sicherheit zukriegen, sollte Willi ein Foto von ihm machen. Das zeigenwir den Leuten im Kaufhaus. Dann wird sich’s rausstellen.

>>Gemacht!

Die vier TKKG-Freunde gingen ins Haus.An der Eckehob Oskar schnell noch das Bein. Hinten, beim Waldchen,war eine Schnitzeljagd im Gang. Auf der Wiese fand einFederball- Turnier statt. Aber der Wind spielte mit, machtemit dem Federball, was er wollte; und Treffer warenGluckssache.

Billy Schneider wohnte im Nachbarhaus; Tarzanentdeckte ihn sofort. Der Junge lungerte vor dem Eingangherum. In der hohlen Hand hielt er eine brennende Zigaretteversteckt, denn im Ferienlager war Rauchen furJugendliche verboten. Freilich - fur einen Typ wie Billy

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Schneider galten nur die Verbote, die er sich selbstverordnete.

Gaby lief mit Oskar zu ihrem Zimmer hinauf, um rascheinen anderen Pulli anzuziehen. Der mit dem Rollkragenwar doch zu warm. Tarzan und Karl halfen Klosschen beimSuchen. Er hatte zwar - wie alle - nur zwei Gepackstuckemitgebracht: Koffer und Tourenrucksack. Aber dieSofortbildkamera schien unauffindbar. Karl entdeckte siedann in Klosschens Schuhputzbeutel. Sie hatte einbisschen Schuhcreme abgekriegt, aber deshalb wurde siewohl noch genauso funktionieren.

>>Willst du das Foto machen?>Vielleicht ist er schlechtaufgelegt und haut mir eine rein, wenn ich ihn ablichte.

>>Gern!>Ich werde ihm sagen, worum es geht. Es wareheimtuckisch, ihn im Unklaren zu lassen.

>>Und wenn er davonlauft?

>>Das Risiko mussen wir eingehen.

Im Gemeinschaftsraum, wo lange Tische und einFernsehapparat standen, warteten sie auf Gaby und Oskar.Gaby trug jetzt ihr Haar offen, und Tarzan konnte sichvorstellen, wie es im Seewind wehen wurde. >>Wenn ichnur heimlich ein Bild von ihr machen konnte>Und das dannbehalten!

Billy Schneider lehnte an der Hauswand. Mit

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geschlossenen Augen hielt er das Gesicht in die Sonne.Eben stiess er Rauch durch die Nase wie ein Feuerspeiender Drache und aus dem Mundwinkel spuckte ereinen Tabakkrumel.

>>Tolle Gelegenheit!

Er war ein stabiler Brocken, so gross wie Tarzan, aberschwerer und immerhin drei Jahre alter. Zu seinenGewohnheiten gehorte es, umherzublicken, ohne den Kopfzu bewegen. Diese aus den Augenwinkelnhervorzuckenden Blicke wirkten berechnend und manchmalsogar tuckisch.

>>Was denn?>Fotografierst du mich?

>>Ich brauche ein Bild von dir>Druben im Kaufhaus wirdnamlich ein Dieb gesucht, mit dem du identisch seinkonntest. Angestellte haben ihn beschrieben. Er gleicht diraufs Haar. Weil der Dieb erheblichen Schaden angerichtethat, ist es unsere Pflicht, auf dich aufmerksam zu machen.Ich sage dir das ganz offen, damit du - falls du der Dieb bist- deine Lage bessern kannst. Indem du die ganze Beutezuruckgibst: Uhren, Kameras, Briefmarken undBrieftaschen. Kapiert?

Billy Schneider starrte ihn an. In den tief liegenden Augenschien ein Funke zu spruhen. Das Gesicht rotete sich. Miteinem Ruck stiess er sich von der Wand ab. DerZigarettenrest fiel zu Boden. Er trat die Glut aus.

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Breitbeinig stellte er sich vor Tarzan auf.

>>Hallo, Kleiner!>Hore ich recht! Detektiv spielen willstdu? Und mich in die Pfanne hauen? Dir hat wohl derSeewind dein bisschen Gehirn aus dem Hohlkopfgeblasen? Du Mistkerl! Bist mir schon heute Morgen saueraufgestossen. Her mit dem Bild, oder du fangst eine, dassdu dich in Helgoland wiederfindest.

>>Komisch!>Wenn ich du ware, hatte ich jetzt als Erstesgesagt, dass ich kein Dieb bin. Aber dir geht es nur umdas Foto.

>>Her damit!

Tarzan schuttelte den Kopf und trat einen Schritt zuruck.

Billy Schneider setzte nach. Sicherlich hatte er Tarzanangegriffen, aber in diesem Moment tauchte Rasputin auf.

Der Betreuer, ein 22-jahriger Student, schien eineAntenne zu haben fur Feindseligkeit. Mit zwei Schritten warer neben den beiden.

>>He, was ist denn hier los? Keinen Streit, Jungs.

Billy Schneider sah ihn aus den Augenwinkeln an, balltedie Fauste, sagte aber nichts.

Tarzan lachelte. >>Nichts von Bedeutung, Gunther. Wirkonnten uns nur nicht einigen, ob backbord rechts oderlinks ist. Tschuss, denn! Bis nachher! So long! Arrivederci!(ital. Auf Wiedersehen!). Was meinen Sie Gunther: Wird’s

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heute noch regnen?

Der Betreuer hiess Gunther mit Vornamen und so wurdeer angeredet. Seinen Spitznamen gebrauchten die Kindernur unter sich.

Wahrend Tarzan zu seinen Freunden trabte, die etwasabseits standen, fuhlte er Billy Schneiders Blicke wieBrennglasstrahlen im Rucken. Aber so was ist immerEinbildung. Als er den Kopf wandte, hatte der Junge sichumgedreht. Murrisch beantwortete er Rasputins Fragen.Der gab auch bald auf und ging zu den Federballspielern.

Das Foto war aus der Kamerakassetteherausgekommen - etwas uberbelichtet, aber gestochenscharf. Billy Schneiders orangefarbene Windjacke -abgesehen von Klosschens die einzige im Ferienlager -leuchtete wie eine Rettungsboje. Sein Gesicht war gutgetroffen, es sah dem Original wirklich ahnlich.

Tarzan schwenkte das Foto. Die vier liefen zu denRadern. Oskar hechelte vor Aufregung. Tarzan stopfteKamera und Bild unter seine Windjacke - er trug eine blaue-, und ab ging die Post. Als sie uber den sandigen Wegstrampelten, drehte Tarzan sich um. Eben kam BillySchneider um die Hausecke. Er schuttelte drohend dieFauste.

Herr Vierhaus war wie umgewandelt, als sie im Kaufhausankamen. Er triefte vor Freundlichkeit wie ein Schwamm,

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der unausgepresst aus der Badewanne kommt. Immerwieder hielt er den vier Verkaufern - zwei Mannern und zweiFrauen - das Foto hin.

>>Sie sind also sicher? Ganz sicher? Der! Undhundertprozentig der. Der ist der Dieb. Fantastisch! Unserejungen Freunde>sind einmalig tuchtig. Richtige Spurnasenseid ihr. Als Hausdetektive sollte man euch anstellen. Also,ehrlich!

Er hatte Kaffee und Kuchen aufgetischt - Klosschen assbereits das dritte Stuck - und liess sich zum zweiten Malerzahlen, wie sie Billy Schneider aufgrund derPersonenbeschreibung entdeckt hatten. Dass der sichhalsstarrig verhielt, sagten die Kinder nicht. Im Gegenteil!

>>Bevor Sie Polizei zu ihm schicken>warten Sie bittenoch etwas. Ungefahr eine Stunde, wurde ich sagen. Wirglauben namlich, Anzeichen entdeckt zu haben, dass Billyseine Taten bereut. Es ware doch schon, wenn er freiwilligherkommt, sich sozusagen stellt. Und alles Gestohleneunbeschadigt abliefert.

>>In dem Fall>konnten wir.., wurden wir.., ich meine, esware vielleicht mit einem Hausverbot getan. Allerdings!Nein, ich glaube, anzeigen mussen wir ihn. Er ist zu dreistvorgegangen. Und systematisch. Wie ein Profi. Denbisherigen Schaden beziffern wir auf 8000 Mark. Das lasstsich nicht mit jugendlicher Dummheit entschuldigen.

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Tarzan zuckte mit den Achseln. >>Wir dachten, Reuemildert eine Tat.

>>Daruber muss der Jugendrichter befinden.

Mehr liess sich daruber nicht sagen. Und Tarzanverspurte keine grosse Lust, sich fur Billy Schneider in dieBresche zu werfen.

Herr Vierhaus wurde hinausgerufen. Die Kinder solltenbleiben. Sie sassen an einem Rauchtisch, tranken, assen;auch Oskar erhielt ein Stuck trocknen Kuchen. Allzu susswar er nicht, deshalb konnte Gaby - die Hunde uber allesliebte und viel von Kynologie (Hundeforschung) verstand -mal eine Ausnahme machen.

Herr Vierhaus kam zweimal zuruck, musste aber gleichwieder weg; und die Stunde verging. Kein reuiger Sunderwar aufgetaucht.

>>Wir hatten auf ihn aufpassen sollen>Vielleicht ist ergeflohen.

Die Jungs gaben ihr Recht, aber jetzt war nichts mehr zumachen. Deshalb warteten sie, bis der Streifenwagen mitden beiden Polizisten kam, die Herr Vierhaus verstandigthatte. Die vier Freunde wiederholten ihre Angaben. DieVerkaufer wurden angehort. Dann stapelten die Polizisten -freundliche Beamte - die vier Rader in den Kofferraum unddie Kinder quetschten sich auf die Rucksitze. Oskar fanddas prima, kroch unter ihren Beinen herum und setzte sich

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dann auf Gabys Schoss, wo er bald einschlief.

Der Wagen rollte langsam, weil der Kofferraumdeckelsich nicht schliessen liess und in Schlaglochern auf undnieder wippte. Die Polizisten unterhielten sich in friesischerMundart. Die Kinder verstanden nur Bahnhof. UndKlosschens Magen knurrte. Er hatte zwar vier StuckKuchen verschlungen, aber deshalb war er noch nicht satt.Im Gegenteil. Jetzt war er richtig wild auf Schokolade. Dochdie lag in seinem Spind. Und Klosschen konnte an nichtsanderes denken.

Sie kamen ins Ferienlager.

Nur ein paar kleinere Kinder nahmen von demPolizeiwagen Notiz. Aber Rasputin kam vorbei, zufallig,blieb stehen, furchte die Stirn und trat naher.

>>Habt ihr was ausgefressen?

>>Wir nicht. Es geht um Billy Schneider. Moment!

Rasputin sperrte den Mund unter seinem Bartgestruppauf und kriegte Augen wie Untertassen. >>So was!>Undausgerechnet hier. Verdammt!

>>Wahrend der letzten Woche, sagt ihr, hatte Billy dieSachen gestohlen? Und heute die Schokolade?

Die Kinder nickten. Die Beamten bestatigten.

>>Unmoglich!>Billy Schneider kann’s nicht gewesensein. Weder noch. Ich meine: Weder in der vergangenen

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Woche noch heute.

>>Es gibt aber nicht den geringsten Zweifel>Anhand desFotos wurde der Dieb eindeutig identifiziert. Von vierVerkaufern, deren Seriositat unbestritten ist.

>>Mag sein.>Trotzdem irren Sie sich. Ich weiss esgenau. Billy Schneider war seit neun Tagen krank. Eineschwere Angina. Mit vereiterten Mandeln. Er hatte langeZeit Fieber und einen so schwachen Kreislauf, dass erschwindelig wurde, wenn er zur Toilette musste. Wir habeneine Krankenstation dort im Haupthaus. >> Er wies auf dasGebaude. >>Dort lag er mit zwei anderen Jungen in einemRaum. Taglich hat der Arzt nach ihm gesehen. Und unsere

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Schwester war Tag und Nacht im Haus. Dass BillySchneider das Haupthaus wahrend dieser neun Tage nichtfur eine Sekunde verlassen hat, dafur burgt sie. Dazu wareer auch gar nicht in der Lage gewesen. Heute Fruh durfteer zum ersten Mal aufstehen. Aber im Ort war er nicht. Erlungerte die ganze Zeit hier herum. Ich hatte ihn standig imAuge.

Rasputins Erklarung schlug wie eine Bombe ein.Klosschen vergass fur einen Moment seine Schokolade.Karl begann heftig an seiner Nickelbrille zu rucken - bei ihmein Zeichen von Uberraschung. Gaby zeigte eine betontkuhle Miene, hinter der sie versteckte, wie verdattert siewar. Die Polizisten staunten, wirkten ziemlich hilflos undwussten offenbar nicht, was sie tun sollten.

Nur Tarzan uberwand die Uberraschung sofort. Wie aufKnopfdruck bildeten sich Gedanken, Fragen, Vermutungen.Stimmte das, was Rasputin sagte? Log der etwa, weil erBillys Komplize war? Unmoglich! Rasputin war einPfundskerl. Um das zu beurteilen, brauchte man ihn nichtlange zu kennen. Aber was dann? Hatte Billy Schneidersich verstellt? War er heimlich aus dem Krankenrevierabgehauen, um im Kaufhaus Beute zu machen?>>Seltsam!>Die meisten Diebe bemuhen sich umUnauffalligkeit. Und Billy Schneider zieht mit knallbunterWindjacke los. Da fehlte nur noch die Aufschrift DIEB aufdem Rucken. Wie passt das alles zusammen?

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>>Wir mussen den Fall untersuchen>Wo ist dieser BillySchneider?

Er war in seiner Bude und lag auf dem Bett; als man ihnholte, druckte er rasch eine brennende Zigarette amBettgestell aus. Die Polizisten befragten ihn. Er antwortete,bestritt naturlich alles und wurde sogar pampig. Dann holteman die Krankenschwester. Sie sagte aus, es ware fur denJungen vollig unmoglich gewesen, das Krankenzimmer zuverlassen. Sie hatte es bestimmt bemerkt und BillysVerfassung hatte das auch gar nicht erlaubt. Die Aussageder Frau wurde von den beiden Jungen bestatigt, die nochimmer auf der Krankenstation lagen: Der eine mitgebrochenem Bein, der andere mit einer schlimmenBlutvergiftung am Fuss - er war in eine Scherbe getreten.

All das entlastete Billy Schneider, aber die Polizistenwaren hartnackig. Sie nahmen den Jungen mit zumKaufhaus und stellten ihn den Verkaufern gegenuber. Dassdie jetzt umkippen und ihren Irrtum zugeben wurden, hattejeder erwartet. Doch das Gegenteil trat ein. Einhelligversicherten sie, dieser Junge sei der Dieb. Ihn hatten sie -sie nannten Tage und Tageszeiten - in ihren Abteilungengesehen. Sein Verhalten sei auffallig gewesen und er seiauch jedes Mal plotzlich verschwunden. Und sofort danachhatten sie das Fehlen besagter Waren bemerkt. Feststunde auch, der Junge habe eine Schultertasche bei sichgehabt. Vermutlich, um die Beute zu transportieren.

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Vom Ergebnis der Gegenuberstellung erfuhren die vierFreunde spater durch Rasputin. Zu funft - und Oskar -sassen sie jetzt im Gemeinschaftsraum des Ferienlagersund der Betreuer liess sich seine Betroffenheit anmerken.

>>Verstehe ich nicht>Sicherlich, keiner der Verkauferhat tatsachlich gesehen, dass Billy etwas an sich nahm.Dass er der Dieb sein musse, beruht auf Folgerungen, weilgerade kein anderer Kunde in der Nahe war. Weil Billy soplotzlich verschwand - jedes Mal. Weil unmittelbar dann dasFehlen der Ware entdeckt wurde.So kam man im Kaufhausdarauf, der Junge in der orangeroten Windjacke musse derDieb sein. Aber darum, Kinder, geht’s jetzt gar nicht. Wasmich wahnsinnig macht, ist die Sturheit der Verkaufer! VorGericht wurden sie unter Eid aussagen, dass BillySchneider am Mittwoch, am Donnerstag, am Freitag, amSamstagvormittag und am Montag im Kaufhaus war. Warer aber nicht. Er war hier! Oder ich will Rasputin heissen.

Alle lachten.

>>Spuk scheidet sicherlich aus>Dass jemand zurgleichen Zeit an zwei Orten sein kann, gibt’s nur inHorrorfilmen.

>>Und wer so aussieht wie Billy Schneider, hat auchgewiss keinen Doppelganger>Vielleicht irren sich dieVerkaufer und wollen es nicht zugeben. Oder sie…

>>Du willst sagen>die Verkaufer arbeiten zusammen,

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haben die Waren selbst genommen und sich auf einenSundenbock geeinigt, damit sie nicht in Verdacht kommen.Hm. Ich kenne die Leute nicht. Wer weiss.

Diese Wendung passte Tarzan nicht. >>Unsinn!>DieVerkaufer sind ehrliche Leute. Billy Schneider ist derWiderling.

>>Fur den bin ich Luft

Es war am nachsten Tag: Ein heisser Tag mit wolkenlosemHimmel und hochsommerlicher Temperatur. Gaby,Tarzanund Karl hatten vor dem Eiscafe gewartet. Klosschen, derseinem unbezahmbaren Appetit wieder mal die Zugelschiessen liess, kam mit einer riesigen Eistute zuruck.Immerhin - er liess jeden mal lecken; und Gaby, die furMokka-Eis eine Schwache hatte, leckte gleich zweimal.

>>Fur wen bist du Luft?

>>Billy Schneider sitzt drin, zuzelt Cola und stiert jedenan, als wollte er ihn fressen.>Nur mich nicht. Mich sieht er

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an, als wollte er ihn fressen.>Nur mich nicht. Mich sieht ergar nicht.

>>Warum er dich nicht fressen will, ist doch klar>Er magnur mageres Fleisch.

>>Mir tut’s schon wieder Leid, dass ich dich von meinemEis kosten lasse

>>Ich glaube, ich hole mir auch eins>Kommst du mit?

Er verstand die Aufforderung. Gaby war ein bisschenbesorgt. In seiner Begleitung fuhlte sie sich sicherer. Ausgutem Grund. Fur seine 13 Jahre war Tarzan unglaublichstark und dazu ein Ass im Judo. Ausserdem: Fur Gabywurde er sich, wenn es darauf ankam, in Stucke reissenlassen. Das hatte er schon mehr als einmal bewiesen.Daruber verlor er zwar kein Wort, aber Gaby wusste, wassie an ihm hatte.

>>Klar. Ich habe auch Appetit

Karl hielt jetzt drei Rader, denn Klosschen war mitseinem und der Eistute vollig ausgelastet. Gaby und Tarzangingen ins Eiscafe. Oskar trottete neben Gaby; und erst alssie schon drin waren, fiel Tarzan ein, dass der sanfte Oskarjetzt wahrscheinlich seinen Koller kriegen und wie irrebellen wurde. Denn der Cockerspaniel - so viel stand fest -konnte Billy Schneider nicht leiden. Weshalb auch immer -wo er den Jungen traf, bellte er ihn wutend an und fletschtemanchmal sogar die Zahne. Die Kinder hegten denVerdacht, dass Billy Schneider den Hund in einem

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unbeobachteten Augenblick geschlagen hatte. Odergetreten. Aus Rache naturlich.

>>Gleich geht’s los

Billy Schneider sah die beiden an. Aber sein Gesichtblieb leer. Kein Ausdruck. Keine versteckte Wut. Nicht malGleichgultigkeit. Nur an Gabys hubscher Figur wandertesein Blick rauf und runter; dann widmete er sich wiederseiner Cola.

>>Ist ja direkt unheimlich>Als ob er uns nicht kennt.

Sie kauften ihr Eis, gingen hinaus und Oskar bliebfriedlich.

>>Der Schneider macht aber auf locker>Dich,Klosschen, will er nicht fressen. Uns kennt er nicht mal. Istirgendwie schade, dass wir so einen ekligen Typ imFerienlager haben.

>>Ficht uns doch nicht an>Blod ware nur, wenn wir hiernoch lange rumstehen. Wir wollten doch zum Deich fahren.

Den Deich gab es hier zwar uberall, aber Karl meinteeine besonders idyllische Stelle, wo grune Wiesen bis dichtan den Deich grenzten. Einen Zelt- und Campingplatz gabes dort und nordlich davon ein Landschaftsschutzgebiet mitseltenen Vogeln.

Die vier radelten los. Dass sie in den ersten Tagen dieUmgebung erkunden wollten, war abgemacht. Unterwegs

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gab Karl wieder mal eine Probe seinesComputergedachtnisses und erklarte, dass man Fluss- undSeedeiche unterscheide und der Deich als aufgeschutteterDamm nicht nur als Schutz vor Uberschwemmungenanzusehen sei, sondern auch der Landgewinnung diene.Indem man dem Meer Stuck um Stuck abringe. An der Seeseien die so genannten Sommerdeiche der Schutz vordem Sommerhochwasser, die Winterdeiche der Schutz vordem maximalen Hochwasser.

>>Die Bewohner der deutschen Meereskusten habensich zum so genannten Deichverbandzusammengeschlossen>Der untersteht einemDeichhauptmann. Oder auch Deichgrafen. Der Verband istfur die Deiche verantwortlich.

>>Logisch>Ohne Deiche gabe es hier ofters nasseFusse.

Tarzan, der an der Spitze fuhr, horte kaum hin. Er dachtenach. Als Gaby, die ihn beobachtet hatte, fragte, zuckte ermit den Achseln. >>Die Sache mit Billy Schneider geht mirnicht aus dem Kopf. Irgendwas ist daran faul. Dass ihn vierVerkaufer falschlich beschuldigen, glaube ich einfach nicht.Andererseits zweifle ich nicht an, was Rasputin und dieKrankenschwester sagen. Wo also ist die Erklarung?Wenn ihr mich fragt: Ich traue Schneider zu, dass er stiehlt.Beweisen konnte man es allerdings nur, wenn die Beutegefunden wird. Unterstellen wir mal, dass er sie hat. Aber

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wo? In seinem Spind im Ferienlager? Unmoglich. Alsoirgendwo draussen. Verschimmeln lasst er die Sachennicht.Er wird sich darum kummern. Und wenn wir ihm dannnachschleichen und ihn dabei uberraschen… Nun?

>>Das kann spannender werden als das Gelandespiel,das fur morgen angesetzt ist>Vielleicht irrst du dich; und eskommt nichts dabei raus. Aber versuchen konnen wir’s. Ichmache mit.

Auch Gaby und Klosschen stimmten zu. Dann waren sieschon beim Campingplatz, wo buntes Treiben herrschte.Vor einem Wohnwagen wurden Wurstchen gegrillt, undGaby hatte ihre liebe Not, Oskar weiterzuziehen.

Plotzlich vergass Tarzan das Radeln. Wahrend seinStahlross im Leerlauf weiterholperte, augte er angestrengtvoraus. Und jetzt entdeckten auch die anderen denRadfahrer, der ihnen langsam entgegenkam. Seineorangefarbene Windjacke hatte er uber den Lenkergehangt. Gesicht und Hemd waren verschwitzt.

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Billy Schneider wirkte angestrengt.

Wortlos fuhr er vorbei. Aber wenn seine Blicke Dolchegewesen waren, hatte es die vier tot aus dem Sattelgeworfen. Oskar knurrte, bellte dann sogar und zog bosedie Lefzen zuruck.

>>Donnerwetter!>Der muss eine Abkurzung kennen,sonst hatte er vor uns nicht hier sein konnen.Wahrscheinlich war er bei seinem Beuteversteck, aber dasfinden wir nicht. Hochstens mit Oskars Hilfe.

>>Oskar einzusetzen, ist eine gute Idee>Habt ihrubrigens bemerkt, was Schneider fur Socken anhatte. DieFarbe, meine ich.

>>Klar>Blaue. Eben habe ich zwar nicht darauf geachtet.

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Aber als er im Eiscafe mit ubergeschlagenen Beinen sass,fiel’s mir auf.

>>Bist du farbenblind?>Die waren grun. Grasgrun. Dassah man doch eben ganz deutlich, weil er sich die Jeanshochgestreift hatte.

>>Ach, wirklich?>Ich glaube, ihr habt beide Recht

>>Das ist nach allen Gesetzen der Logik unmoglich

>>Was ist daran unlogisch, dass er im Eiscafe blaueSocken anhatte und eben grune?

>>Ach, so meinst du’s. Hm. Unlogisch ist das naturlichnicht. Hochstens ungewohnlich. Denn es hiesse doch, erhatte seine Socken gewechselt.

>>Vielleicht hat er Kasefusse>Aber was ein feiner Diebist, der halt auf sich. Und wenn wir ihn nachher sehen, tragter rote Socken. Wetten?

Am nachsten Tag braute sich ein Unwetter uber derKuste zusammen. Regenwolken schleiften sich uberDacher und Wipfel hinweg. Wolken, die an einen Kirchturmgerieten, schlitzten sich die Bauche auf. Aber der Regenfiel erst spater.

Das war gegen 15 Uhr, als Billy Schneider dasFerienlager verliess.

Tarzan, der am Fenster seiner Bude stand, beobachtetees zufallig.

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Gaby war auf ihrem Zimmer und ruhte sich aus.Klosschen und Karl sassen im Gemeinschaftsraum undspielten Schach, wobei Klosschen standig verlor. Damit esfur Karl spannender wurde, tauschten sie - sobaldKlosschen kurz vor dem >>Matt

Regen prasselte hernieder, als hatte man Schleusenaufgedreht. Durch die fast blinde Scheibe sah Tarzan, wieBilly Schneider sich aufs Rad schwang und eiligst zurStrasse radelte. Er trug seine orangefarbene Windjackeund hatte die Kapuze festgezurrt. Schon nach wenigenAugenblicken war er hinter Regenschleiern verschwunden.

Wie vom wilden Affen gebissen, sprang Tarzan zumSpind und riss seine Windjacke hervor. Er trug Turnschuhe.Dass Schneider sich bei diesem Wetter davonmachenwurde, damit hatte er nicht gerechnet. Zeit, um in festeSchuhe zu steigen, blieb nicht. Tarzan rannte in den Flur,streifte die Jacke dabei uber und zerrte denReissverschluss hoch.

Sollte er Karl und Klosschen verstandigen? Er entschiedsich dagegen. Die beiden waren prima Freunde, aber -wenn’s ums Verfolgen ging - nicht halb so geschickt wie erselbst. Ausserdem: Ein einzelner Verfolger kann sich leichtverbergen. Bei dreien oder vieren wird das schonschwieriger. Und Billy Schneider war sicherlich vorsichtigund dazu noch mit allen Wassern gewaschen.

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Tarzan sturmte ins Freie. Augenblicklich fuhlte er sichwie geduscht. Da er ohne Kopfbedeckung war, lief ihm derRegen aus den dunklen Locken, stromte in den Kragen undflutete dann uber Schultern und Rucken. Immerhin - derRegen war lau und Tarzan nicht aus Zucker.

Er sprang aufs Rad, spurtete uber den asphaltiertenWeg, erreichte das Tor, bog auf die Strasse, hieltAusschau, wich einem Auto aus, das mit Abblendlicht fuhr,und trat dann mit aller Kraft in die Pedale. Schneider hatteVorsprung. Den galt es aufzuholen.

Wer sich bei dem Wetter aufmacht, dachte Tarzan, hateinen triftigen Grund. Vielleicht rechnet er mit Beobachtungund glaubt, der Regen ware seine Tarnkappe. Will er zumBeuteversteck? Wahrscheinlich. Ob das im Ort ist?

Aber Billy Schneider fuhr nicht zum Ort.

Tarzan entdeckte ihn in dem Moment, als der Verfolgtevon der Strasse abbog und in einen Feldweg fuhr.

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Tarzan duckte sich und blieb zuruck. Hoffentlich drehteSchneider sich nicht um. Aber das Wetter half. Die Wiesenschienen zu brodeln. Dunst stieg auf. Der Regen entfalteteSchleier, die mit wehenden Randern uber das flache Landzogen.Tarzan konnte aufrucken, ohne zu viel zu riskieren.Erverlor den dunklen Schemen, der dort auf dem Rad vor ihmkeuchte, nicht aus dem Blick.

Der Boden wurde glitschig. Manchmal rutschten dieReifen weg. Es war schwer, die Balance zu halten.

Plotzlich waren sie am Wald und Billy Schneiderverschwand unter den Baumen. Tarzan folgte vorsichtig.Aber weil er vorausspahte - in das graue Licht unter den

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Buchen, konnte er nicht auf den Weg achten. Ein Stein, derin der Spur lag, schlug das Vorderrad beiseite. TarzansStahlross kippte. Halten konnte er sich nicht mehr. Erhechtete aus dem Sattel. Sicher landete er auf den Fussen.Hinter ihm purzelte das Rad ins Gras.

Einen Moment hielt er inne und spahte in den Wald. VonSchneider war nichts zu sehen. Als Tarzan sein Radaufhob, blickte er zufallig in die Richtung zuruck, aus der ergekommen war. Verblufft riss er die Augen auf, denn vondort naherte sich ein Radfahrer.

Aber nicht irgendwer, sondern - Billy Schneider.

Dass er es war, daran gab’s keinen Zweifel, obwohlTarzan das Gesicht noch nicht erkennen konnte. Doch allesandere stimmte, einschliesslich der orangefarbenenWindjacke.

>>Hat er mich bemerkt?>Und einen Bogen geschlagen,um mir in den Rucken zu kommen? Oder?ODER war es,woruber er seit gestern nachgedacht hatte. Jetzt verzog ersich eiligst unter die Baume, samt Rad. Hinter ein Gebuschgekauert, spahte er dem Jungen entgegen. Allerdings bliebungewiss, ob der ihn nicht langst bemerkt hatte.

Schneider kam heran, hielt den Kopf gesenkt und radeltevorbei. Mit keinem Blick verriet er, dass er misstrauischwar oder nach Tarzan suchte.

Der wartete ein paar Sekunden. Dann machte er sich

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wieder an die Verfolgung. Der Feldweg wurde zumWaldweg, sonst anderte sich nichts. Minutenlang ging’sdurch halbdunklen Wald. Immer noch rauschte der Regenherab. Der Boden saugte sich voll, und Blatter, die demGeprassel nicht standhielten, wurden von den Astengerissen.

Plotzlich war die Lichtung da; und darauf stand - schonvon Buschen uberwuchert - die Ruine eines Bunkers: EinBau aus dem Zweiten Weltkrieg, der den auf den Feldernarbeitenden Bauern bei einem Fliegerangriff Schutzgeboten hatte. Jetzt war das Gemauer verrottet, derEingang - ein schwarzes Loch - nur halbmeterhoch uberdem Boden. Die schwere Tur hing noch in den Angeln. Siestand offen. Neben der Tur lehnte Schneiders Rad aneinem Busch.

Tarzan stieg ab, liess sein Stahlross zuruck und schlichzur Tur. Nur Sehschlitze waren in den Mauern. Die liessenkein Licht ins Innere. Tarzan horchte. Nichts. Nur derRegen. Gebuckt schob er sich durch die Tur. Ubler Geruchkam ihm entgegen. Unrat. Offenbar wurde der Bunker alsMullkippe benutzt. Er machte noch einen Schritt, war jetztdrin, sah aber kaum die Hand vor Augen. Im selbenMoment knirschte hinter ihm Sand. Auf dem Absatzwirbelte er herum.Er sah gerade noch, wie Schneider dieschwere Bunkertur zuwarf. Das ging freilich nicht mit einemRuck, denn auf den Angeln sass zentimeterdick der Rost.

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Also hat er mich bemerkt - schoss es Tarzan durch denKopf.

Die Tur fiel zu. Rabenschwarze Finsternis. Aber bevorSchneider verriegeln konnte, druckte Tarzan mit aller Kraftgegen die Tur. Auf Anhieb schob er sie spaltbreit auf. Erhorte, wie Schneider keuchte und irgendwas rief. Tarzanstemmte sich gegen den rauen Beton. Wut verdoppelteseine Kraft. Er druckte Schneider weg, der Ausgang warfrei,Tarzan sprang ins Freie und Schneider fiel ihn an wieein tollwutiger Terrier.

Aber da kam er an den Falschen.

Der hinterhaltige Bursche wusste nicht, wie ihm geschah,als er mit einem Judogriff gepackt wurde und eine Luftreiseantrat. Wuchtig landete er in dem Busch, an dem auch seinRad lehnte. Zweige krachten, das Rad fiel um, Blechschepperte, und Schneider brullte wie am Spiess, dennseine Landung war alles andere als sanft.

Hart wurde Tarzan von hinten gepackt. Ein Arm, der ineiner orangeroten Windjacke steckte, wollte seinen Halsumklammern. Aber so was kann man mit einem Judo-Assnicht machen. Tarzan griff hinter sich und setzte einenSchulterwurf an. Sein Gegner wurde emporgerissen, durchdie Luft gewirbelt, und erst als der Schwung stimmte, liessTarzan los. Mit voller Pulle krachte der zweite Gegner aufBilly Schneider, der sich eben hochrappeln wollte.

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Da lagen sie nun - achzend -, und der eine blutete ausder Nase. Billy Schneider lag dort und neben ihm lagnochmal Billy Schneider: Ein Mensch in doppelterAusgabe, eineiige Zwillinge, einander zu ahnlich, als dassman sie unterscheiden konnte. Durch nichts waren sieauseinander zu halten - doch, halt: Der eine trug gruneSocken, der andere blaue.

>>Das erklart alles>Das erklart das Alibi. Das erklart,wieso Billy Schneider an zwei Orten gleichzeitig sein kann.Es erklart, dass der eine uns kennt, der andere aber nicht.Und es erklart Oskars Verhalten. Denn der orientiert sichnicht mit dem Auge, sondern uber die Nase. Und derGeruch ist offenbar das Einzige, worin ihr nichtubereinstimmt. Dass es einen Doppelganger geben muss -den Verdacht hatte ich gestern schon. Aber dann kam mirdie Idee, dass es Zwillingsbruder sein mussten, dochziemlich kuhn vor. Wer ist Billy?

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Der mit dem Nasenbluten hob schwachlich die Hand.Dass er vollig fertig war, sah man ihm an.

>>Jetzt will ich alles wissen>und ich rate euch, keineAusfluchte zu machen.

Sie machten keine. Sie wussten, dass sie verspielthatten.

Nr. zwei hiess Werner Schneider. Er zeltete heimlich -und allein - in einem sumpfigen Moor nordlich des Ortes.Dass sich nur der eine zeigte und der andere in derVersenkung blieb, war Voraussetzung fur ihren Trick. Aufdiese Weise blieb ihr Alibi - wo auch immer sie klauten -unerschutterlich; und damit hatten die eineiigen Zwillingesicherlich nicht nur hier Beute gemacht. Auch eineRuckfrage bei den Eltern hatte die >>Doppelexistenz BillySchneiders

Tarzan liess sich die Beute zeigen. Alles steckte in einergrossen Milchkanne und die war im Wald versteckt.

Durch den heftigen Regen fuhrte Tarzan seineGefangenen zum Ort. Die beiden mussten ihre Raderschieben und die Kanne transportieren.

Bei der Polizei-Station staunte man Bauklotzer.

Im Kaufhaus konnte Herr Vierhaus sich kaum beruhigen.Immer wieder versicherte er, dass Tarzan - falls er nachAbschluss der Schule eine Lehrstelle suche - hier jederzeit

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anfangen konne. Tarzan bedankte sich, erklarte aber, dasser das Abitur machen werde und seine beruflichen Plane inandere Richtung gingen.

Dann fuhr er zum Ferienlager zuruck.

>>He, wo steckst du denn?>Schneider ist weg. Aber…

>>Der kommt auch nicht wieder

Seine Freunde staunten. >>Nicht zu glauben>Und habeich’s nicht gesagt: Kaum sind wir angekommen, schon istwas los. Das war dann also unser erstes Abenteuer imFerienlager.

>>Aber bestimmt nicht das letzte>Denn wir bleiben janoch vier Wochen hier.

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2. Die Gespenster

Seeurlaub ist toll!, schrieb Tarzan am 9. Juli in seinTagebuch. Seit einer Woche sind wir in dem Nordsee-Ferienlager bei T. Mein Freund Klosschen isst noch mehrals zu Hause, vor allem naturlich Schokolade, Gaby lasstsich von der Sonne braun brennen und wird jeden Taghubscher. Karl behauptet, der Seewind starke dasGedachtnis - sicherlich wird sein Computer-Gehirn nochmehr aufnehmen als sonst. Und Gabys Hund Oskar - derschlappohrige Cockerspaniel - fuhlt sich genauso wohl wieich.

Das Ferienlager liegt eine Viertelstunde von T. entfernt,gleich hinter dem Deich. Uber 200 Jugendliche - wir 13-Jahrigen gehoren zu den Jungsten - verbringen hier ihreFerien. Keine Eltern, keine Lehrer - nur einige Studentenals Betreuer. Fur uns ist Rasputin zustandig. Er siehtverhungert aus und tragt einen Bart, in den sich anschwulen Tagen die Mucken einnisten. Ein netter Kerl.Selbst wenn wir’s ganz schlimm treiben, druckt er samtlicheAugen zu - einschliesslich der Huhneraugen. Nur an meinenSpitznamen hat er sich noch nicht gewohnt. Manchmal sagter >>Peter

Die letzte Woche hat uns ein packendes Abenteuerbeschert. Und Gaby meint, uns stunde noch mehr bevor.Jedenfalls behauptet das ihr Horoskop.An den Mumpitzglaube ich zwar nicht - aber uberraschen lasse ich mich

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gern…

*

>>Herrliche Ferien!>Vor allem braucht man sich nichtanzustrengen!

>>Jammer mal von was anderem!,>Im Ubrigen tut dir dieBewegung recht gut.

Aber Willi Sauerlich, genannt Klosschen, war andererMeinung. Wer so viel Pfunde zu schleppen hat wie er,schiebt gern eine ruhige Kugel.

Hintereinander radelten die vier Freunde uber dieLandstrasse in Richtung Ort. Es war fruher Nachmittag.Schwule druckte auf das Land und schwarzeGewitterwolken verdusterten den Himmel. Kein Luftchenregte sich uber den Weizenfeldern. Aber in der Fernezuckte der erste Blitz aus den Wolken.

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>>Vielleicht schaffen wir’s noch, ohne nass zuwerden!sicherlich, weil Gaby Glockner fur jedermann - alsoauch fur Hunde - ein erfreulicher Anblick war: goldblond,blauaugig, mit langen Wimpern und sehr hubschemGesicht. Dass sie zur Zeit etwas Sonnenbrand auf derNase hatte, bereitete ihr Kummer. Und Tarzan hatte sichbeinahe eine Ohrfeige eingehandelt, als er arglosversicherte, es stunde ihr gut.

Jetzt drosselte er etwas das Tempo, weil er merkte,dass seine Freunde kaum mitkamen. So war es meistens:Peter Carsten, der Super-Sportler, musste sich bremsen.Dass er schnell war - auch im Denken - sah man ihm an.Erwar hoch gewachsen und trainiert.

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>>Den ersten Tropfen>habe ich eben abgekriegt! Gleichoffnet der Himmel die Schleusen.

Karl Vierstein schirmte die Gruppe nach hinten ab. Erwar lattendurr. Hinter seiner Nickelbrille blitzten intelligenteAugen.

>>Achtung, Hindernis!

Das Hindernis war noch 100 Meter entfernt: Eine alteFrau, die einen Karren zog.

Jetzt blieb sie stehen und blickte suchend umher.

Tarzan erkannte, weshalb.

Auf zwei Meter Breite wurde die Strasse von Wasseruberflutet. Es war etwa knocheltief. Das Wasser kam auseinem Bach. Normalerweise floss er unter der Strassedurch. Dicke Rohren waren sein Bett. Aber die hatten sichverstopft, mit Abfallen aller Art, die ein gewissenloserMensch vor dem Rohreneingang abgeladen hatte. Dortstaute sich der Bach zum See. Der hatte die Hohe derFahrbahn erreicht und platscherte munter hinuber.

Der Oma mussen wir helfen, dachte Tarzan. Sie willkeine nassen Fusse haben.

Auf das Auto, das sich hinter ihnen naherte, achtete ernicht.

Es war ein dicker Brummer, mit einem Mann hintermLenkrad. Langsam uberholte er die vier Freunde. Mit

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derselben Gemachlichkeit fuhr er auf die alte Frau zu.

Sie stand noch am Fahrbahnrand. Jetzt drehte sie sichum, und in derselben Sekunde benahm sich der Fahrer, alssei er vom wilden Affen gebissen.

Der Motor heulte auf. Der Wagen schoss vorwarts.Erschreckt trat die Frau zuruck.

Gewiss - weder so noch so hatte der Wagen sie erfasst.Aber es genugte, dass er mit hoher Geschwindigkeit durchdas Wasser preschte.

Hoch spritzte es auf. Ein spruhender Wasserschleierhing in der Luft - und traf die alte Frau.

Tarzan horte ihren erschreckten Ruf. Unbeirrt jagte derWagen weiter. Tarzan traute kaum seinen Augen. Noch die

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letzten Meter - dann hielt er, sprang vom Rad und sah dieFrau aus der Nahe.

Ihr heller Staubmantel war durchnasst, als hatte sie vorder Mundung einer aufgedrehten Feuerwehrspritzegestanden. Sogar aus ihrem weissen Haar, uber dem sieein Kopftuch trug, tropfte schmutziges Wasser. Mit runzligerHand wischte sie sich ubers Gesicht.

>>Ich hab’s gesehen>so ein rucksichtsloser Kerl! Findetder das komisch? Ich glaube, es war Absicht.

>>Klar war das Absicht>Es gab ja gar keinen Grund,plotzlich so zu rasen. Noch dazu hier.

Die Frau nickte. Sie war alt, hoch in den Siebzigern.Aber in dem faltigen Gesicht leuchteten die hellen Augenwie bei einem Teenager. Sie sah nett aus - und gutig.Nichts in ihrer Miene deutete an, dass sie wutend oderverargert war. Im Gegenteil: Angstlich blickte sie demWagen nach, der jetzt hinter der Kurve verschwand.

Die Staubwolke uber der Strasse loste sich langsam auf.>>Ja>Das hat er absichtlich gemacht.

>>Kennen Sie ihn?

>>Freilich. Von Will Thiessen werde ich schon langeschikaniert.

>>Das gib’s doch nicht!>Ist dieser Thiessenubergeschnappt? Wie kann er so gemein sein!

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Die Oma lachelte traurig. >>Ihr seid nette Kinder. Euchfiele so was nicht ein. Aber Thiessen ist anders. Der sahees am liebsten, wenn ich schon unter der Erde ware. Weiler mein Haus haben will. Er ist Bauunternehmer - derreichste Mann der Gegend. Dort hinten beim Wald, womein Haus steht, will er Apartmenthauser fur Feriengastebauen. Das Gelande ringsum hat er schon aufgekauft. Nurich bin noch im Weg. Deshalb bedrangt er mich, endlich zuverkaufen. Aber ich wohne dort seit uber 50 Jahren und willauf meine alten Tage nicht mehr weg. So ist es zu derFeindschaft gekommen. Vielleicht>muss ich eines Tagesdoch nachgeben. Ich bin allein. Kinder habe ich nicht. MeinMann war Kapitan und ist auf See geblieben. Sein Schiffging unter.

Schweigen folgte ihren Worten.

Tarzan spurte, wie heisser Zorn in ihm hochstieg. SeinGesicht verhartete sich.

>>Wo wohnt denn Herr Thiessen?

>>Die grosse Villa links am Ortsanfang>Und wie ist Ihrwerter Name?

Sie hiess Martha Truels.

Tarzan liess sich beschreiben, wo sie wohnte, dannwandte er sich an seine Freunde: >>Ihr kummert euch umFrau Truels, ja? Bringt Ihren Karren nach Hause. Ichkomme gleich hin.

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Als er dann - vorsichtig - durch das Wasser fuhr, horte erFrau Truels verwunderte Frage: >>Was hat er denn vor?

>>Wie ich ihn kenne>wird er diesem Herrn Thiessenwas erzahlen. Gemeines Benehmen und Ungerechtigkeitkann er namlich auf den Tod nicht vertragen. Das bekamschon mancher zu spuren.

Das Gewitter brach kurz darauf los. Blitze zuckten,Donner grollte und der Regen prasselte. Als Tarzan dieThiessen-Villa erreichte, war er bis auf die Hautdurchnasst.

Das kuhlte ab - aber nicht seinen Zorn.

Die Villa stand auf einem grossen Grundstuck,Thiessens Wagen vor der Garage. Hier war alles vomBesten. Sogar bei diesem Unwetter konnte man im Freiensitzen: rechts vom Haus, zum Garten, auf der uberdachtenTerrasse. Gartenmobel standen dort. Ein Mann lummeltesich auf der Hollywood-Schaukel. Er paffte eine dickeZigarre und blickte in den Garten, wo der Regen den Staubvon den Obstbaumen spulte.

Tarzan fuhr zur Terrasse und bremste hart.

Kies spritzte weg.

Der Mann erschrak. Sein Kopf fuhr herum. Aus blassenKalbsaugen starrte er Tarzan an, argerlich.

Will Thiessen war nicht gross, wog aber sicherlich zweiZentner. Seine Haut war rosig wie bei einem jungen Ferkel.

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Er hatte kein Doppel-, sondern ein Dreifachkinn - und keinHaar mehr auf dem Kopf.

>>Bist du ubergeschnappt?>Hier mit deinem Radrumzugurken! In meinem Garten wird nicht gefahren.

>>Entschuldigung. Sind Sie Herr Thiessen?

Thiessen nickte.

>>Ich muss mich vergewissern>damit ich nicht demFalschen die Meinung geige. Eben war ich Zeuge, wie Siemit ihrem Wagen an Frau Truels vorbeifuhren. Absichtlichhaben Sie die alte Frau uber und uber mit Schmutzwasserbespritzt. Ihr Mantel muss gereinigt werden. Sie ist volligdurchnasst. Einige der Lebensmitteltuten, die sie auf ihremKarren hatte, sind nass und verdorben. Ausserdem - alsSie plotzlich auf die alte Frau losrasten, hatte der Schrecksie umbringen konnen. Ihr Verhalten, Herr Thiessen, istrucksichtslos, unverschamt und gemein. Falls Frau TruelsSie anzeigen will - meine Freunde und ich werdenbezeugen, wie es sich zugetragen hat. Dazu mochte ichIhnen noch sagen, wie mies ich Sie finde. Sie konnenwirklich stolz auf sich sein.

Sprachlos starrte Thiessen ihn an. Sein Mund standoffen. Er hatte viele Goldkronen auf den Zahnen. Diebleckte er jetzt wie ein Raubtier.

>>Das hat mir noch keiner gesagt, du Lummel! Willst duein paar hinter die Ohren haben?

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>>An Ihrer Stelle wurde ich das nicht versuchen

>>Nils!

Tarzan wandte den Kopf. Wurde jetzt ein Hund auf ihngehetzt?

Aber Nils war ein Junge. Im Laufschritt kam er auf dieTerrasse.

>>Hau diesem Lummel eine rein!>Lugen verbreitet deruber mich. Und benimmt sich rotzfrech.

Nils war etwa vier Jahre alter als Tarzan, etwa 17: Eingedrungener, bulliger Bursche - und seinem Vater sehrahnlich. Freilich, die flachsblonden Haare hatte er noch;und Doppelbzw. Dreifachkinn wurden sich erst in spaterenJahren bilden.

Grinsend uberquerte Nils die Terrasse.

Saubere Familie, dachte Tarzan. Der Vater stiftet seinenSohn zur Schlagerei an. Aber es ist wohl besser, ich treibees nicht auf die Spitze.

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>>Ich geh schon

>>Vater, er kneift!

Kneifen?, dachte Tarzan, wahrend er langsam auf diePedale trat. Wenn du wusstest, Dicker, was dir erspartbleibt! Den braunen Gurtel im Judo habe ich bereits; undnach den Sommerferien mache ich den schwarzen. Danngehore ich zur Meisterklasse.

Nils versuchte, ihn einzuholen. Aber Tarzan legte einenZahn zu. Seine Wut war jetzt verraucht. Lachend sah eruber die Schulter zuruck.

Thiessen war aufgesprungen und stand vorn an derTerrasse, die kurzen Arme in die gepolsterten Huftengestemmt.

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Nils hatte sich vor der Villa aufgebaut und schutteltedrohend die Faust.

Gesindel!, dachte Tarzan geringschatzig.

Dann fuhr er durch platschenden Regen die langeStrecke zuruck. Er fand die Abzweigung, die Frau Truelsihm beschrieben hatte, sah in der Ferne den Wald unddavor ein einsam stehendes Haus. Der Weg dorthin fuhrtedurch bluhende Wiesen. Aber die waren jetzt pitschnassund die Blumen duckten sich unter der Wucht des Regens.

Beim Naherkommen stellte Tarzan fest, dass es sich umein altes, aber immer noch ansehnliches Haus handelte:Ziemlich gross, verwinkelt, mit Turmchen, Erkern und hohenFenstern. Es war nicht so, wie man sonst an der See baut.Das Haus in Ordnung zu halten, musste schwer sein fureine alte Frau.

Drei Rader und der Karren standen neben dem Eingang.Noch bevor Tarzan an dem altmodischen Glockenzugziehen konnte, wurde geoffnet.

>>Bist du nass geworden?

>>Nass? Wie kommst du darauf?

>>Oma Truels hangt dich zum Trocknen auf die Leine

Tarzan folgte ihr durch einen gekachelten Flur in einegemutliche Bauernkuche.

Karl und Klosschen sassen dort am Tisch.

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Oma Truels - wie sie kunftig genannt wurde - hatteMantel und Kopftuch abgelegt. Freundlich, aber etwasbesorgt, sah sie Tarzan an.

>>Da bist du ja, Tarzan>Wie du gerufen wirst, haben mirdeine Freunde verraten. Warst du wirklich bei Thiessen?

>>Ich habe ihm gesagt, was ich von ihm halte. Sie solltenihn anzeigen.

Oma Truels schuttelte den Kopf. >>Das nicht auch noch.In meinem Alter, weisst du, vertragt man Aufregungen nichtmehr so wie in der Jugend. Ich habe ein schwaches Herz.Aber setz dich doch! Du hast sicherlich Hunger.

>>Hier gibt’s die besten Schinkenbrote, die ich jemalsgegessen habe>Ich hoffe, Oma Truels, Sie kriegen keinenfalschen Eindruck von mir. Im Allgemeinen bin ichbescheiden. Dass ich jetzt schon das funfte esse, daransind Sie selber schuld. Es ist einfach zu gut.

Alle lachten. Auch Oma Truels hatte schon gemerkt, dassKlosschen ein Vielfrass war.

Tarzan wurde bewirtet. Zu den Schinkenbroten gab’sLimonade. Er erzahlte. Oma Truels nickte, als die Rede aufNils kam.

>>Das ist Thiessens Sohn. Sein einziger. Genausorucksichtslos wie der Vater. Aber gegen die Thiessenssagt niemand was. Sie haben Geld und viel Einfluss.

>>Das wurde mich nicht beeindrucken>Vor Reichtum

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buckeln - so weit kam’s noch!

>>Da sind Gespenster gefahrlicher

>>Wer?

>>Oma Truels>hat nicht nur Arger mit Thiessen. Vielschlimmer ist, dass es hier seit einiger Zeit spukt. Ichpersonlich glaube zwar nicht an Gespenster. Aber es soll jaDinge zwischen Himmel und Erde geben, von denen mansich nichts traumen lasst.

>>Hochstens in Alptraumen

>>Ihr denkt sicherlich>die alte Frau wird wunderlich. Wasman auch unfeiner ausdrucken konnte, wenn man sagt: Siefangt an zu spinnen. Aber wer, wie ich, sein ganzes Lebenan der See verbracht hat, dem ist manches nicht geheuer.Ich glaube doch: Es gibt unerklarliche Vorgange. UndVorzeichen. Und Spuk. Man kann die Erscheinungen nichtleugnen. Mit eigenen Augen habe ich nachts dieGespenster gesehen. Wie sie aus dem Wald kommen - mitgluhenden Augen. In Nebelnachten schleichen sie umsHaus. Sie klopfen an die Fenster, an die Turen und glotzenherein. Schrecklich ist das! Eines Tages sterbe ich nochvor Angst.

Verblufft sah Tarzan sie an. >>War das schon immer so?

Sie schuttelte den Kopf. >>Erst seit Anfang des Jahres.Allerdings - damals, als der Matthias - mein Mann - nichtzuruckkam, habe ich nachtelang seine Stimme gehort. Wie

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er draussen stand und meinen Namen rief. Aber wenn ichdann hinausging, war nur der Nebel da und die Dunkelheitund manchmal das Heulen des Sturms.

>>Sicherlich sind damals Ihre Nerven uberreiztgewesen>und Sie haben sich alles nur eingebildet.

Oma Truels hob die Achseln. >>Wer weiss.

Eine Weile herrschte Schweigen. Auch die Frau ass einkleines Stuck Schinkenbrot. Tarzan, der herzhafte Speisenmochte, liess sich’s schmecken.

>>Klosschen hat Recht: Der Schinken ist ausgezeichnet.Was ich fragen wollte, Oma Truels: Seit wann sind Siedenn mit Thiessen verfeindet?

>>Seit ich sein Angebot abgelehnt habe.

Tarzan nickte. >>Das liegt wohl schon Jahre zuruck?

>>Nein, nein. Im November hat er hier gesessen.Schinkenbrot hat er zwar nicht gekriegt. Aber einenSchnaps habe ich ihm eingeschenkt. Anfangs dachte erwohl, dass ich mit meiner Weigerung nur den Preishochtreiben will. Als er dann merkte, dass ich entschlossenbin, hier bis zu meinem Lebensende zu bleiben, wurde errichtig ausfallend.

Tarzan lachelte vor sich hin. Er hatte erfahren, was erwissen wollte. Aber daruber redete er noch nicht.

Oma Truels hatte die Kinder auf Anhieb ins Herz

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geschlossen. Das ganze Haus zeigte sie ihnen. DieRaume im Obergeschoss waren voll gestellt mit altenMobeln. Es roch nach Plusch, ausgetrocknetem Holz undlangen Jahren der Einsamkeit. In dem ehemaligenArbeitszimmer von Kapitan Truels tickte eine riesigeStanduhr. Gerahmte Fotografien schmuckten die Wande:Schiffe, der Kapitan und die Truels als junges Paar. Aberdiese Zeit lag ein halbes Jahrhundert zuruck.

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Die Kinder waren beeindruckt. Vor allem Gaby stellteimmer wieder Fragen.

Schliesslich legte Oma Truels ihr den Arm um dieSchulter. >>Schade, Gaby, dass du nicht meine Enkelinbist! Ein Madchen wie dich hatte ich mir gewunscht.

Gaby wurde rot. Aber dann uberwand sie ihreVerlegenheit und sagte: >>Ich habe zwar schon zweiGrossmutter. Aber ab heute, Oma Truels, bist du die dritte.Und da man eine Grossmutter duzt, sage ich jetzt einfachdu zu dir.

>>Einverstanden!>Und ihr>konnt mich genauso anreden.

>>Prima, Oma!>Dann wirst du auch sicher nichtsdagegen haben, wenn wir uns um deine Gespensterkummern.

>>Um Himmels willen! Wie denn das?

>>Deine vier Enkel mochten zu gern mal Gespenstererleben. Und aus der Nahe sehen. Kommen sie jedeNacht?

>>Nein. Nur ein- oder zweimal in der Woche. In denletzten Tagen hatte ich Ruhe.

Sie waren jetzt in der Diele, zwischen holzgetafeltenWanden. Auf dem Tisch neben der Garderobe stand dasTelefon. Tarzan wies darauf.

>>Bitte, Oma Truels, ruf uns an, sobald sich von den

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Gespenstern was zeigt. Wir haben zwar keinen Apparat aufder Bude. Aber wir verstehen uns gut mit Rasputin - eh, ichmeine: mit Gunther Berger. Das ist unser Betreuer. SeineNummer schreiben wir dir auf. Wenn du ihn anrufst, egal zuwelcher Zeit, verstandigt er uns. Mit den Radern sind wirdann in zehn Minuten hier.

Nachdenklich rieb Oma Truels sich die Stirn. Ganz wohlwar ihr nicht bei dem Gedanken. Verschmitzt sah sie dieKinder dann an.

>>Ihr habt doch was vor?

Tarzan lachelte. >>Vielleicht konnen wir die Gespenstervertreiben.

>>Ihr glaubt, dass jemand seinen Schabernack mit mirtreibt. Aber uberlegt doch mal, Kinder! Seit einem halbenJahr! Und immer wieder! Nein, das ist unmoglich! Dawurde jeder die Lust verlieren.

>>Gespenster, die unsere neue Oma fast zu Todeerschrecken>mussen es sich gefallen lassen, dass wirihnen auf die Finger sehen.

Oma Truels zogerte noch. Aber dann nickte sie. >>Alsogut! Ich rufe euch an.

Der Regen hatte aufgehort. Die Sonne kam hervor.Wiesen und Felder dampften. Brodelnde Schwaden hobensich aus dem Laubwald.

Klosschen schwitzte, als die vier zum Ferienlager zuruck-

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radelten. Er keuchte noch schlimmer als vorhin. Immerhinhatte er sieben Schinkenbrote verputzt. Und jetzt fuhlte ersich wie ein gefullter Truthahn.

>>Sobald ich 18 bin>mache ich den Fuhrerschein unddann ruhre ich kein Stahlross mehr an.

>>Wozu denn den Fuhrerschein?>Wenn du soweiterfutterst, passt du in funf Jahren nicht mehr hintersLenkrad. Also brauchst du einen Chauffeur. Und naturlicheinen Wagen mit sehr stabiler Federung. Und wer dichsieht, wird sagen: Da kommt der dicke Sauerlich. Der warschon als Junge so verfressen.

>>Du kannst mir meinen Appetit nicht verderben! Dunicht!

>>Keiner kann das>Du wurdest sogar einem Gespenstdas Fruhstucksbrot aus der Tasche klauen - wenn sonstnichts da ware. Stimmt’s, Willi? Oder habe ich Recht?

>>Von dir, Gaby, hatte ich mehr Mitgefuhl erwartet.

>>Hort, hort!>Das war das siebte Schinkenbrot. Eswehrt sich noch.

>>Aber nicht mehr lange>Sobald wir auf der Bude sind,schiebe ich mir noch eine Tafel Schokolade rein. Dasberuhigt meinen Magen.

Sie erreichten das Ferienlager. Es bestand aus einemDutzend Hausern auf schonem Wiesengelande, unweit desDeichs.

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Tarzan, Karl und Klosschen hatten eine Bude fur sich.Gaby wohnte mit zwei kleineren Madchen imObergeschoss. Sie durfte Oskar im Zimmer halten, weil ergut erzogen und stubenrein war.

Die Rader wurden hinterm Haus abgestellt. Dannmachten sich die vier Freunde auf die Suche nachRasputin. Sie fanden ihn im Haupthaus, wo dieKrankenstation war und das Verwaltungsburo.

>>Wir haben ein Problem>Bei der Losung konnen nurSie uns helfen, Gunther. Sie haben doch nichts dagegen,wenn Sie nachts mal geweckt werden.

>>Hm.>Ihr bringt mich ganz schon in Verlegenheit.Nachts das Lager zu verlassen, ist eurer Altersgruppestrengstens untersagt. Und ich trage die Verantwortung fureuch. Andererseits scheint eure neue Oma wirklich Hilfe zubrauchen. Eine alte Frau so zu erschrecken, ist eineSchufterei.

>>Die Gespenster wollen sie langsam, aber sichermurbe machen

>>Wie kommst du darauf?

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>>Ist doch klar. Hinter dem Spuk steckt System. Ichvermute, dieser Thiessen hat irgendwelche Strolchebeauftragt, Oma Truels die Freude an ihrem Haus zuverleiden. Sie soll so weit gebracht werden, dass sie dochnoch verkauft. Was mich dabei besonders emport: DieVerbrecher nehmen in Kauf, wie gefahrlich das fur OmaTruels werden kann. Ihr Herz ist geschwacht, sie vertragtkeine Aufregung. Wenn ein Gespenst mit gluhenden Augenzum Fenster hereingrinst, kann der Schreck sie glattumbringen. Bewundernswert, dass sie sich noch nichtgefugt hat. Unsere neue Oma ist eine tapfere Frau.

Sprachlos hatten Karl und Klosschen zugehort.

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Gaby blinzelte mit ihren Kornblumenaugen und lachelteverschworerisch.

>>Ich dachte mir, dass du das vermutest>Als du OmaTruels ausgefragt hast, war der Zusammenhang deutlich.

>>Ich habe nichts gemerkt

>>Du warst ja auch ausschliesslich mit deinenSchinkenbroten beschaftigt.

>>Hm.>Ich glaube, ich kann’s nicht erlauben.

>>Uberlegen Sie mal, Gunther, was Sie damitanrichten>Wir lassen Oma Truels bestimmt nicht im Stich.Das heisst, wir hauen ab, sobald es so weit ist - mit oderohne Erlaubnis. Da wir aber ohne Ihre Hilfe nichts vomAuftauchen der Gespenster erfahren, mussen wir jedeNacht raus. Aber - wenn ich’s mir recht uberlege - das istgar nicht so ubel. Oma Truels’ Gastezimmer sindgemutlich. Und verpflegen wird sie ihre vier Enkel, dass unsdas hiesige Essen wie Gefangniskost vorkommt.

>>Na, aber!>Das Gulasch heute Mittag war nichtschlecht.

>>Aber man kriegt ja nur drei Portionen

>>Also, gut!>Ich weiss von nichts. Und da ichgelegentlich schlafwandle, ist es durchaus moglich, dassich nachts zu euch komme und was von einem Anruferzahle. Ich weiss dann buchstablich nicht, was ich tue, undhabe am nachsten Tag keine Ahnung.

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>>Spitze!>So habe ich mir einen Jugendbetreuer immervorgestellt.

Klosschen schnarchte in der folgenden Nacht besonderslaut. Karl stohnte im Schlaf, warf sich auf seinemquietschenden Bett herum und boxte ins Kopfkissen:Offenbar erlebte er im Traum etwas Schreckliches.

Tarzan war seit wenigen Augenblicken wach. Irgendwashatte ihn geweckt. Noch dosig, sah er auf die Leuchtziffernseiner Armbanduhr: gleich Mitternacht.

In der Bude war’s dunkel wie in einem Tintenfass. Windfauchte ums Haus. Jetzt wurde wieder an der Tur geklopft.

>>Tarzan!

>>Eure Oma hat sich dreimal entschuldigt. Ihr war’s sehrpeinlich, einen jungen Mann um Mitternacht anzurufen. Ichsoll euch ausrichten, ein Gespenst schleiche ums Haus.

>>Danke, Raspu… ah, Gunther! Das vergessen wirIhnen nicht.

Tarzan machte kehrt, schloss die Tur, knipste Licht an,ruttelte Karl an der Schulter - und hatte beinahe einen derBoxhiebe abgekriegt, der eigentlich dem Kopfkissen galt.

>>Es ist so weit, Computer! Raus aus der Koje! DieGespester erwarten uns.

>>Hah? Spinnst du? Ach so! Ja. Uuuuaaaah!

In Sekundenschnelle zog Tarzan sich an: Jeans,

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Turnschuhe und einen dicken Pullover in Dunkelblau, dennder Abend war kuhl gewesen, und die Nacht wurde rechtunerquicklich sein.

Karl bemuhte sich, Klosschen wach zu kriegen.Vergebens.

>>Willi, es gibt Fruhstuck!>Kasesemmeln und Kakao.Beeilung! Die andern mampfen alles weg.

Das wirkte. Klosschens Schnarchen verstummte. Hurtigsetzte er sich auf. >>Ich habe Anrecht auf Fruhstuck. Diedurfen nicht… He, wieso ist es noch dunkel?

>>Oma Truels hat eben angerufen. Los, hopphopp! Dumeine Gute! Wir mussen Gaby wecken. Ich mach’s.

Leise trat er auf den Flur. Auf Zehenspitzen schlich er dieTreppe hinauf. Im Obergeschoss schliefen nur Madchen.Fur alle Jungs war dort Sperrzone.

Nur nicht erwischen lassen!, dachte Tarzan und tapptedurch einen schwach erleuchteten Gang bis zu Zimmer 5.

Zentimeterweit offnete er die Tur. Augenblicklich schobOskar seine weissschwarze Schnauze heraus.Schlaftrunken wie er war, hatte er garantiert einenmarkerschutternden Beller losgelassen. Aber Tarzan hieltihm die Schnauze zu. Oskar machte >>wuff, wuff

>>Tarzan?

>>Es ist so weit!>Zieh dich warm an. Es ist kalt

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draussen.

Sie brauchte nur funf Minuten - etwas langer alsKlosschen, der seine Strickjacke falsch zugeknopft hatte.Ausserdem stand seine Hose noch offen und gekammt warer auch nicht.

Gaby hatte sich eingemummelt mit dickemRollkragenpullover und Windjacke. Das lange Haar warzum Pferdeschwanz zusammengebunden.

Sie sieht sogar um Mitternacht zum Anbeissen aus,dachte Tarzan. Hubsch bleibt hubsch - das ist eben so.

Gaby fuhrte Oskar an der Leine. Freudig wedelndbegrusste er die Jungs. Gesprochen wurde nicht. Karloffnete leise die Haustur. Irgendwo im Haus rauschte eineWasserspulung, dann huschten die vier Freunde und ihrvierbeiniger Begleiter in die Nacht hinaus.

Es war tatsachlich kuhl. Mond und Sterne verstecktensich hinter dunstigen Wolken. Vom Meer her kroch Nebelheran - nicht so dick wie im Herbst oder Winter. Aber zumFrosteln reichte es; und bei Oma Truels - am Waldrand -war die Sicht bestimmt noch viel schlechter. Die richtigeNacht also - fur Gespenster.

Die Kinder holten ihre Rader. Klosschen klapperte mitdem Schutzblech, dass Tarzan ihn ermahnen musste.

>>Willi, du weckst das ganze Dorf.

>>Nicht meine Schuld!>Diese Leihrader sind der letzte

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Blechhaufen. Wenn ich da an mein Sportrad zu Hausedenke…

>>Das wird doch verschrottet, wenn du 18 bist. Dannruhrst du doch kein Stahlross mehr an.

>>Hm. Mal sehen.

Sie fuhren rasch. Tarzan sah zuruck. Das Ferienlagerschlief. Nirgendwo brannte Licht. Unentwegt trieb derSeewind Nebel heran; und wenn das Sauseln und Fauchenmal Pause hatte, konnte man horen, wie das Meerrauschte.

>>Geben wir den Gespenstern gleich eins uber dieRube?

>>Mir geht’s darum, dass Thiessen entlarvt wird>WennPolizei und die Leute hier von seiner Gemeinheit erfahren,kann er nichts mehr gegen Oma Truels unternehmen.AmTelefon eben war wohl nur von einem Gespenst die Rede.Schauen wir mal, was wir mit dem anfangen. Wenn’sThiessen personlich ware, konnten wir uns gratulieren.

>>So wie du ihn beschrieben hast>brauchte er nicht vielVerkleidung, um als Schreckgespenst aufzutreten.

Sie fuhren jetzt uber die einsame Landstrasse. Nochetwa 200 Meter trennten sie von der Abzweigung zu OmaTruels’ Haus. Der Nebel schien hier dichter zu sein alsbeim Deich - trotzdem: Tarzans Adleraugen erspahten denWagen.

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>>Halt!>Seht mal dort.

Es war ein kleines Auto. Langsam rollte es denSandweg entlang - kam also vom Waldrand her - und hattedie Strasse fast erreicht. Nur Standlicht war eingeschaltet.Jetzt wandten sich die schwach glimmenden Scheinwerferin Richtung Ort.

>>Ob der bei Oma Truels war?

>>Falls das Gespenst drinsitzt>ist es bestimmt nicht biszum Haus gefahren. Der Weg ist ja noch weit. Also - ihrkummert euch um Oma Truels. Ich folge dem Wagen. Willdoch mal sehen, wer das ist.

Er wartete keine Zustimmung ab, sondern zischte los.Dass er sich allein zur Verfolgung aufmachte, war eineFrage des Tempos. Der Wagen beschleunigte jetzt, fuhrsicherlich 50 km/h. Tarzan - der nicht nur ein toller Judo-Sportler war, sondern auch bester Sprinter und Volleyball-Spieler seiner Schule - wurde den Anschluss behalten.Aber seine Freunde konnten das nicht.

Mit seinem Rennrad ware es leichter gewesen. Aber dasstand zu Hause.

Tief uber den Lenker gebeugt, jagte er die nachtdunkleLandstrasse entlang. Nur die Rucklichter vor ihmermoglichten Orientierung.

Zum Gluck war es nicht weit bis zum Ort. Zwischen denersten Hausern drosselte der Wagen sein Tempo.

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Tarzan holte auf. Das Fahrzeug bog in eine Gasse. Alsder Junge die Ecke erreichte, sah er gerade noch, wie dieRucklichter in einer Einfahrt verschwanden.

Er stieg ab, lehnte das Rad in einem dunklen Winkel andie Wand, lief an einer Backsteinmauer weiter, lockertesich, um seinen Atem zu beruhigen, und erreichte dieEinfahrt. Sie fuhrte auf einen Hof, der von den Ruckfrontenzweier Hauser und einem flachen Garagentrakt begrenztwurde.

Tarzan presste sich an die Mauer und verharrte.

Der Wagen war in die zweite Garagenbox gerollt. Ebenwurden die Scheinwerfer ausgeschaltet. Ein Schlag fiel zu.Ein Mann kam aus der Dunkelheit, lachte leise und riss einStreichholz an.

>>Diesmal, Nils, habe ich Terror gemacht.

>>Klasse! Hoffentlich schnallt die Alte endlich, was lauft.

Die Stimme des zweiten kam von links. Tarzan schobden Kopf etwas vor. Jetzt sah er ihn. Erkannt hatte er ihnnicht - dazu war es zu dunkel. Aber an die Stimme erinnerteer sich: Es war Nils Thiessen.

Der Fahrer hatte sich eine Zigarette angesteckt. Die Glutleuchtete auf.

Fur einen Moment hatte auch das Streichholz seinGesicht erhellt. Demnach handelte es sich um einen jungenBurschen - wenig alter als Nils — mit zwei Pfund

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Kraushaaren. Sie vergrosserten den Umriss seines Kopfesaufs Doppelte.

>>Hast du das Geld mit?

>>Hundert, wie abgemacht.

Ein Geldschein raschelte.

>>Mein Alter wird allmahlich ungeduldig>Seit einem halbenJahr lauft das Theater. Die Alte graust sich, denkt abernicht ans Verkaufen.

>>Wir waren zu sanft. Wir mussen auf den Putz hauen,dass ihr vor Schiss die morschen Knochen zittern.Jedenfalls habe ich vorhin durch die Flustertute gestohntwie die armen Seelen von anno dunnemals.

>>Und?

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>>Sie hat uberall Licht gemacht.

>>Mensch, Jens! Das macht sie doch immer. Das wirktnicht. Okay, morgen Nacht bin ich wieder dabei. Unddiesmal machen wir sie fertig. Sie muss endlich kapieren,dass sie in der Ecke hier nichts mehr zu suchen hat.Morgen dringen wir ins Haus ein. Vorher zerstoren wir dieLichtleitung. Dann ist es dunkel bei ihr. Wenn sie eineKerze anzundet - die wird ausgeblasen. Ich habeNachschlussel. Durch die Hintertur geht’s rein. Wir nehmendie Phosphor-Kostume. Und dann machen wir sie reif fursIrrenhaus.

>>Und wenn sie um Hilfe telefoniert?

>>Gut, dass du daran denkst. Bevor wir ihr auf den Halskommen, mache ich das Telefon unbrauchbar. Ich weiss,welches Teilchen man aus dem Horer rausschraubenmuss. Hinterher installiere ich das wieder. Zerstoren durfenwir den Apparat nicht. Gespenster richten keinenSachschaden an.

>>Hochstens einen Dachschaden>Und den besorgenwir der Alten. Also dann, um elf bei dir, ja?

>>Um elf>Wir fahren mit deinem Wagen.

Mehr horte Tarzan nicht. Lautlos zog er sich zuruck. DasBlut klopfte in seinen Schlafen. Sein Gemut war in Aufruhr.Am liebsten hatte er sich auf die beiden Ganoven gesturzt.Aber das ware unklug gewesen. Denn er hatte keinen

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Beweis.

Einer alten Frau so zuzusetzen! dachte er. Die sindunmenschlich. Verbrecher! Aber diesmal haben sie sichverrechnet.

Dann kehrte Tarzan um.

Bei Oma Truels brannte hinter allen Fenstern Licht. Dassah Tarzan freilich erst, als er das Haus fast erreicht hatte.Der Nebel war immer noch dicht.

Karl und Klosschen kamen an die Tur und liessen ihn ein.

>>Ihr fehlt nichts. Ist gesund, hat aber Beruhigungstropfennehmen mussen>Hast du was erreicht?

>>Das erzahle ich gleich.

Oma Truels sass mit Gaby in der Bauernkuche. DieHangelampe uber dem Tisch war tief heruntergezogen.

>>Tut mir Leid, dass wir zu spat gekommensind>Diesmal war’s ja nur ein Gespenst. Und lange hatsich’s nicht aufgehalten, wie? Immerhin, Oma Truels, weissich jetzt, wie das Gespenst heisst: Jens. Es ist ungefahr soalt wie Nils Thiessen, kriegt 100 Mark pro Auftritt und hateinen Krauskopf wie ein Berberlowe, der lange nicht beimFrisor war. Wie geht es, Oma? Hast du Herzbeschwerden?

>>Nein, nein!>Die Tropfen wirken schon. Aber… ichmeine, der Spuk ist nicht echt…? Keine echten Geister?

>>Keine Geister, keine Gespenster, keine ubersinnliche

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Erscheinung, kein Nachtmahr. Sondern derverbrecherische Versuch vom bosen Thiessen, dich ausdeinem Haus zu verjagen. Die beiden Faschings-Gespenster kommen morgen wieder.

Oma Truels ballte ihre zerbrechliche Hand zur Faust undklopfte auf den Tisch.

>>Jetzt habe ich keine Angst mehr. Ich werde rausgehenund sie zusammenstauchen.

>>Lieber nicht. Denen ist es namlich ziemlich egal, ob dueinen Herzanfall kriegst. Das Zusammenstauchen uberlassuns. Wir haben da Ubung.

Was die beiden Kerle morgen Abend vorhatten, verrieter absichtlich nicht. Die Vorstellung, dass zwei alsGespenster verkleidete Ganoven in ihr Haus eindringen,hatte die alte Frau doch zu sehr aufgeregt.

>>Aber ihr sollt meinetwegen nicht…

>>Alles klar, Oma. Wir kommen bei Einbruch derDunkelheit her. Unsere Rader verstecken wir im Keller.Dann lassen wir uns draussen nicht mehr sehen. Niemandsoll ahnen, dass wir hier sind. Morgen machen wir demSpuk ein Ende.

>>Sicherlich bleibt uns vorher Zeit, ein zweitesAbendessen einzunehmen>Oma Truels hat namlich einenriesigen Katenschinken, der zwar Dauerware ist, aber auchdie halt sich nicht ewig und…

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>>Wenn du in der Nahe bist, halt sich nichts Essbaresewig

Oma Truels schmunzelte. >>Du wirst nicht zu kurzkommen, Willi. Fur dich schneide ich besonders viel auf.

>>Diese Ferien werde ich nie vergessen>Zu Hause,Oma, zahlt man mir namlich die Bissen in den Mund. Ganzschrecklich ist es in der Internatsschule. Dort haben Tarzanund ich eine Bude gemeinsam. Und er gonnt mir einfachnichts.

>>Das sieht man dir an>Du bist wirklich nur Haut undKnochen.

Auf dem Heimweg schenkte Tarzan seinen Freundenreinen Wein ein. Klosschen erschrak ein bisschen, als erhorte, dass die Gespenster ins Haus eindringen wurden.Gaby war entsetzt. Karl schlug vor, gleich die Polizei zuverstandigen. Aber davon wollte Tarzan nichts wissen.

>>Die Polizei kommt, wenn wir die beiden im Sackhaben. Erst will ich von ihnen - unter Zeugen - horen, dassWill Thiessen der Auftraggeber ist. Nichts gegen diePolizei. Aber weiss ich, ob die erst Samthandschuheanziehen, bevor sie sich mit den Herren Nils und Jensbeschaftigen? Im Ubrigen bin ich dafur, dass Gaby mitOskar im Ferienlager bleibt. Fur ein Madchen konnte esdoch zu gefahr …

>>Hast du einen Triller unterm Pony?>Mich ausbooten,wie? Nur weil ich ein Madchen bin. Und wenn ich mich mit

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wie? Nur weil ich ein Madchen bin. Und wenn ich mich mitdem Schinken bewaffne!

Klosschen stohnte auf. Alles in ihm straubte sich bei demGedanken, man konne mit etwas Kostlichem so umgehen.

Aber Gaby fuhr unbeirrt fort: >>Ich bin nicht aus Zucker.Sondern gleichberechtigt! Ausserdem habe ich dich…ah… euch als Schutz. Oder - he! - habe ich schon mal wasvermurkst, wenn ich bei gefahrlichen Abenteuern dabeiwar?

>>Eigentlich nicht

Beinahe hatte er noch hinzugefugt: >>Zum Henker!Kapier doch! Mir geht’s nur um dich! Um deine Sicherheit.Wenn dir was zustosst, werde ich rasend. SamtlicheGespenster der Meereskuste drehe ich dann durch denWolf.naturlich fur sich. Eher hatte er sich die Zungeabgebissen als seine Gefuhle so aufzublattern.

>>Eigentlich? Was heisst eigentlich?

>>Beruhig dich. Du hast noch nie was vermurkst. Alsogut, du kommst mit. Aber wir verstecken dich imObergeschoss. Oma Truels auch. Und Oskar. Wir sinddann immer noch drei gegen zwei.

Jetzt war’s an Gaby, beinahe zu sagen: >>Einer gegenzwei, denn Karl und Klosschen sind bei einer Prugeleikeine Hilfe.

Sie kamen zum Ferienlager. Leise stellten sie die Raderab. An der Ecke musste Oskar nochmal das Bein heben.

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Dann schlichen sie ins Haus. Alles schlief. Aber unterRasputins Turritze schimmerte Licht.

Tarzan klopfte. Rasputin lag im Bett und las. Er sagte eszwar nicht, aber Sorge um die Kinder hatte seinen Schlafverscheucht. Jetzt war er erleichtert. Tarzan lieferte ihmeinen kurzen Bericht: Das Gespenst sei schon weggewesen. Mit keinem Wort erwahnte er, was sie in derkommenden Nacht vorhatten. Es war unnotig, den Betreuerin die Sache hineinzuziehen.

Als Tarzan ins Bett schlupfte, schnarchte Klosschenbereits. Karl gahnte. Augenblicke spater waren beide aucheingeschlafen.

Der nachste Morgen war grau, der Tag zeigte einunfreundliches Gesicht. Tarzan machte einen 5-km-Trainingslauf uber den Deich und erfreute sich an denMowen, dem heulenden Wind und der gischtenden See.Auf dem Ruckweg lief er zum Turnplatz, wo ein Reck stand.Er schaffte 32 Klimmzuge - ohne Pause. Damit hatte ersich sein Fruhstuck verdient.

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Das Wetter wurde noch sturmischer.Es regnete. Ein Tag,um im Gemeinschaftsraum Spiele zu machen. Karlverbluffte die anderen Jugendlichen im Haus, indem er amSchachbrett beruhmte Partien von Schachmeisternnachspielte - aus dem Gedachtnis naturlich.

Gaby burstete Oskar das Fell und sauberte ihm dieOhren. Sie liebte Tiere uber alles, besonders Hunde. Ihrenschlappohrigen Oskar hatte sie sich aus dem Tierheimgeholt.

Klosschen spielte mit drei Jungen aus Hamburg

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>>Mensch argere dich nicht

So verging der Tag.

Als um neun Uhr abends das Licht geloscht wurde, lagenalle im Bett. Um halb zehn stahlen die vier TKKG-Freundesich leise aus dem Haus. Um Viertel vor zehn wurden sievon Oma Truels durch die Hintertur eingelassen. Siebugsierten die Rader in den Keller. Nur in der Kuchebrannte Licht. Aber die Vorhange waren geschlossen.

>>Wir werden es so machen, Oma Truels>Mit Gaby undOskar schliesst du dich oben im Kapitans-Zimmer ein.Kein Licht, bitte! Und sprecht ganz leise. Die Kerle sollendenken, du schlafst schon. Deshalb muss das ganze Hausdunkel sein. Wir drei warten in der Diele.

Wenn Tarzan Anweisungen traf, spurte man, dass er esauch so meinte. Oma Truels fugte sich. Um 22.07 Uhrerlosch auch in der Kuche das Licht. Stille legte sich uberdas Haus. Karl und Klosschen hockten in der dunklenDiele. Beide waren mit Knuppeln bewaffnet. Tarzan sassauf der Treppe, ausgerustet mit einer Taschenlampe.Anfangs flusterten sie miteinander. Aber dann gab esnichts mehr zu sagen. Die Spannung wuchs.

Sie horten, wie der Wind um die Hausecken heulte.Regenschauer klatschten gegen die Fenster und imBadezimmer zerbrach knirschend eine Scheibe.

Augenblicklich war Tarzan auf den Beinen.

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>>Pst!

Es lag zur Ruckseite und hatte nur ein Fenster.

Lautlos offnete Tarzan die Tur.

Der Raum war dunkel. Aber das graue Rechteck desFensters hob sich aus der Dunkelheit hervor. Die Scheibewar zerbrochen, dahinter eine Gestalt. Sie hatte den Riegelgeoffnet. Vorsichtig wurde das Fenster aufgeschoben. DieGestalt stieg herein, keuchend. Nichts an ihrphosphoreszierte. Nichts war gespenstisch. Wie ein dicker,dunkler Sack walzte sich der Einbrecher uber die Brustung.Ein ubler Geruch ging von ihm aus. Neben der Toilettelandete er auf dem gefliesten Boden.

Tarzan liess ihn herankommen. Als er nur noch einenMeter entfernt war, knipste der Junge die Taschenlampean.

Der Einbrecher prallte zuruck: Ein altlicher Kerl, zerlumpt,zahnlos, mit entzundeten Augen und verwildertem Bart. EinLandstreicher.

Mit einem Wutschrei warf er sich auf Tarzan. Ein Tritt vorden Leib beforderte den Kerl in Oma Truels’ Badewanne.

Sicherlich geschah es seit Jahrzehnten zum ersten Mal,dass dieser Mensch in einer Badewanne landete -allerdings in einer leeren. Wasser und Seife hatten ihnvermutlich an den Rand einer Ohnmacht gebracht.

>>Nicht hauen! Ich tu nichts.

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>>Pst!>Ein lautes Wort - und du kannst dir gratulieren.Oder gehorst du zu Nils und Jens?

>>Ha? Zu wem?

>>Schon gut. Komm her.

>>Nicht hauen, ich …

>>Halt die Klappe, dann haut dich keiner. Wolltest diealte Frau bestehlen, wie?

>>Ich… dachte doch, das Haus ware leer. Ist ja allesdunkel und…

>>Pustekuchen! Hier wimmelt’s von Menschen. Du wirstjetzt in den Heizungskeller gesperrt. Der hat eine Stahlturund das Fenster ist vergittert. Ich rate dir nochmals, ruhig zusein. Sonst gibt’s Haue, Alter.

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In der Diele sagte Karl: >>Leute, was ist das fur eineNacht! Wochenlang passiert nichts - und dann zweiEinbruche auf einmal. Falls die andern noch kommen.

>>Unglaublich!

Tarzan fragte den Alten nach dem Namen. Er hiessPalotza und er wurde im Heizungskeller eingeschlossen. Insein Schicksal hatte er sich offenbar ergeben. Als Tarzanihn fragte, ob er draussen jemanden gesehen hatte,schuttelte er den Kopf.

Die Jungs gingen auf ihre Posten zuruck - verwundertuber den Zufall, der die seltsamsten Ereignissezusammenfugt.

Plotzlich verstummte in der Kuche das leise Summendes Kuhlschranks. Tarzan begriff: Nils und Jens hatten ihrVorhaben wahr gemacht und die Lichtleitung zerstort. Erprobierte den Schalter in der Diele. Tatsachlich! Es bliebdunkel.

>>Ob ich mir wohl noch ein Stuck Schinken holen kann?

Tarzan wollte gerade was Gepfeffertes antworten, als erdas Kratzen horte. Es kam von der Hintertur. Jemandbeschaftigte sich mit dem Schloss. Stocksteif verharrtendie drei. Dann dauerte es nur noch Augenblicke. Leisewurde die Tur geoffnet.

Tarzan spurte den Wind. Das Prasseln des Regenswurde lauter. Was er dann sah, war atemraubend.

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Ein Skelett kam herein: Totenschadel undKnochengerust in phosphoreszierender Farbe. Es bewegtesich langsam, ein grausiger Anblick. Ihm folgte ein Wesen,das in eine Art Monchskutte gehullt war - auch die inweissgruner Phosphorfarbe. Unter der Kapuze lugtengluhende Augen hervor und der Mund war angedeutet mitzwei Reihen gefletschter Zahne.

Tarzan schauderte. Seine Bewunderung fur Oma Truelswuchs. Wie musste sie sich geangstigt haben, wenn solcheGespenster in dunklen Nachten um ihr Haus schlichen,plotzlich aus dem Nebel hervortraten und durchs Fenstersahen! Die beiden wirkten unglaublich echt - sofern manbei Gespenstern von Echtheit sprechen kann.

Das Skelett hatte eine Taschenlarnpe. Sie blitzte auf.Der Schein fiel - zufallig - sofort auf das Telefon. Mit NilsThiessens Stimme flusterte das Skelett: >>Da ist es.

Der krauskopfige Jens, der in der Monchskutte steckte,hatte die Tur geschlossen. Tarzan wartete, bis Nils amTelefon hantierte. Dann knipste er seine Taschenlampe an.

Beide wurden vom Lichtkegel erfasst. Auch jetzt war ihrAnblick noch schaurig. Doch man sah: Nils trug einschwarzes Trikot. Kunstvoll war mit Leuchtfarbe das Skelettauf den Stoff gemalt. Eine eng anliegende Kappe verhullteKopf und Gesicht. Nur fur Mund und Augen blieben Schlitzefrei. Der Totenschadel war aufgemalt. Auch Jens’Monchskutte war bemalt und sein Gesicht blieb ebenfalls

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verborgen, nur die Augen gluhten unter der Kapuze.

Der Schreck versteinerte die beiden. Dann liess Nils dasTelefon fallen.

>>Helau!>Ihr konnt’s wohl nicht abwarten. Der Faschingbeginnt doch erst im Januar.

>>Das ist der Rotzbengel>Hau ihn zusammen, Jens!

Das liess sich der Krauskopf nicht zweimal sagen. Miteinem Hunderter pro Auftritt fuhlte er sich offenbaruberbezahlt - deshalb war er bereit, einiges mehr zu tun.Mit wehender Monchskutte sturzte er sich auf dieLichtquelle.

Tarzan schaltete aus. Er brauchte kein Licht. DieLeuchtfarbe markierte den Gegner, wie er sich’s bessernicht wunschen konnte. Jens wusste dann auch nicht, wieihm geschah. Er wurde gepackt, hochgerissen und perSchulterwurf an die Wand gedonnert, dass das Hausbebte. Wimmernd fiel er zu Boden - unfahig, wieder auf dieFusse zu kommen.

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Fassungslos sah Nils Thiessen die Luftreise seinesKomplizen an. Dann warf sich das Skelett herum und wolltedurch die Hintertur turmen. Auf der Schwelle wurde er vonhinten gepackt und mit einem Huftfeger in die Dielebefordert. Dort stand Klosschen, fuhlte sich angegriffen undzog ihm mit dem Knuppel eins uber. Jaulend rollte Nils zurSeite. Er stiess gegen Karls Beine, klammerte sich festund - kriegte noch eins drauf- gebrannt. Das erstickteseinen Widerstand vollig.

>>Ich brauche die Taschenlampe>Wie soll ich denn imDunkeln die Polizeistation anrufen!

Im selben Moment wurde im Obergeschoss die Tur desKapitans-Zimmers geoffnet. Oskar begann zu klaffen. UndOma Truels rief: >>Ich glaube, das Licht ist weg, Kinder.

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Tarzan telefonierte und die Polizisten kamen sehr rasch.Sie waren zu zweit, mit dem Streifenwagen, trauten ihrenAugen nicht, als sie die Gespenster sahen, und horten sichsprachlos an, was Tarzan berichtete.

>>Unter Zeugen>haben beide zugegeben, dass dieserhalbjahrige Terror gegen Frau Truels im Auftrag desBauunternehmers Will Thiessen verubt wurde. Mit demeinzigen Ziel, Frau Truels aus ihrem Haus zu vertreiben.Sie erstattet Anzeige. Wir sind Zeugen. Und auch diezerstorte Lichtleitung geht auf das Konto der beiden.

>>Da wird der Thiessen sich wundern>Diesmal nutzt ihmsein Geld nichts. Aber wie ihr Frau Truels geholfen habt,Kinder - Hut ab!

Schon wollten die Polizisten mit den Festgenommenenabziehen, als Karl aufgeregt rief: >>He, wir haben ja nocheinen.

>>Richtig!>Den hatten wir fast vergessen. EinenLandstreicher. Er wollte einbrechen. Wir haben ihn imHeizungskeller eingesperrt.

>>Ihr wollt uns wohl arbeitslos machen?>Himmel, daswird ja eine Fuhre. Da reicht der Streifenwagen kaum.

Nachdem die Polizei gegangen war, sassen Oma Truelsund die Kinder noch lange zusammen. Bei Kerzenscheinwurden Schinkenbrote vertilgt. Immer wieder druckte diealte Frau allen die Hand.

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>>Euch verdanke ich’s, dass ich jetzt Ruhe habe vorThiessen. Er kann nichts mehr gegen mich unternehmen.Ohne euch hatte ich am Ende doch nachgegeben. DieAufregungen waren zu schlimm.

>>Das ist jetzt vorbei. Und wir haben es sehr, sehr gernfur dich getan, Oma

Aber Klosschen war schneller.

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3. Die Erpresser

Heute beginnt unsere dritte Ferienwoche an der Nordsee -notierte Tarzan am 16. Juli in sein Tagebuch. Und weiter:Nur Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 18 sind indem Ferienlager. Es liegt eine Viertelstunde von T. entfernt,gleich hinterm Deich, in einer Gegend, die alles bietet:Bluhende Wiesen, Laubwalder, Bauerndorfer und sogar einMoor. Karl und Klosschen - meine Freunde - und ich habeneine Bude gemeinsam. Gaby wohnt im oberen Stock undOskar - ihr schlappohriger Cockerspaniel - schlaft unterihrem Bett. Wir 13-Jahrigen sind die Altesten im Haus.Rasputin, unser Betreuer, zieht uns manchmal heran, umauf die Kleineren aufzupassen. Naturlich heisst er nichtRasputin, sondern Gunther Berger, und ist Student.

Letzte Nacht wurde ein Attentat verubt - auf seinenschwarzen Vollbart. Zwei kleine Jungs schlichen sich insein Zimmer und wollten ihm, als er schlief, den Bartstutzen. Vor Aufregung haben sie ihm mit der Papierschereins Ohr gepiekt. Rasputin wurde wach. Und kriegte einenMordsschreck. Zum Gluck versteht er Spass.

Der gestrige Sonntag verregnete. Rasputin hat imGemeinschaftsraum nette Spiele mit uns gemacht. Dabeiging’s darum, andere zu charakterisieren. Erstaunt habeich festgestellt, dass auch Zehn- und Elfjahrige schon guteBeobachter sind. Willi Sauerlich, genannt Klosschen,wurde so beschrieben: Gutmutig, lustig und - verfressen

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wie eine neunkopfige Raupe. Vor allem, wenn erSchokolade kriegen kann, seine Lieblingsspeise. Er wurdeauch gezeichnet und das Portrat gelang gut: Sein rundesGesicht, sein dicker Wanst und die Sommersprossen.

Gaby Glockner, genannt Pfote, kam naturlich viel besserweg. Als charmant, frohlich und temperamentvoll wurde siebezeichnet. Aber dass sie eigensinnig bis zurDickschadeligkeit sein kann, haben einige bemerkt.An ihrPortrat wagte sich zunachst niemand ran. Denn wer kannschon ein so bildhubsches Madchen malen. Immerhin, wasdann zustande kam, zeigte wenigstens ihr langes,goldblondes Haar und die blitzenden blauen Augen.

Die Zeichnung von Karl Vierstein, genannt Computer, fielals Karikatur aus: Bohnenstange mit Nickelbrille. Aber dastrifft’s ziemlich genau und Karl war nicht beleidigt. Ohnehinlegt er ja mehr Gewicht auf innere Werte; und dass seinphanomenales Gedachtnis an einen Computer heranreicht- daher auch der Spitzname -,weiss hier inzwischen jeder.

Meine Charakteristik geriet so freundlich, dass ich’skeinem weitersagen wurde, sondern nur hier ins Tagebuchschreibe: Ein Anfuhrer - hiess es -, der weiss, was er will.Emport sich uber Ungerechtigkeit und tritt fur dieSchwachen ein, ohne an sich zu denken. Als ich das horte,fuhlte ich mich wie Robin Hood und bin rot geworden. Dassich im Judo ein Ass bin, imponiert den anderen enorm. UndGaby hat auch erzahlt, dass ich der beste Volleyball-

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Spieler und Sprinter auf der Internatsschule sei. Na ja,damit ich nicht zum Sport-Idioten gestempelt werde, hatKarl netterweise angemerkt, dass ich in Mathe eine Einshabe, seit Jahren.

Uschi, eine Zehnjahrige aus Hannover, hat mich danngemalt. Ware herrlich, wenn ich wirklich so schoneschwarze Locken hatte. Aber so braun gebrannt - wie siemich angepinselt hat - bin ich inzwischen. Die Sonne hierbraunt und Sonnenbrand kriege ich - Gott sei Dank - nie.

*

Nach dem Fruhstuck verteilte Rasputin die Post.

Die Jungen gingen leer aus, was sie nicht erschutterte,denn Eltern sind nun mal schreibfaul und schicken doch nurErmahnungen. Aber Gaby bekam einen Brief.

>>Nanu?

>>Zeig mal her!

Aber Gaby klatschte ihm auf die Finger und sagte:>>Pfoten weg! Ist mein Brief.

>>Komischer Brief.

Tarzan hatte gesehen, dass die Anschrift - An GabrieleGlockner, Ferienlager und so weiter - weder mit der Handnoch mit der Schreibmaschine geschrieben war. Vielmehrhatte jemand Druckbuchstaben aus einer Zeitungausgeschnippelt und aufgeklebt.

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>>Kein Absender>Was ist nun? Machste ihn auf?

Gaby sah die drei Jungen an. >>Und da sagt manimmer, Madchen waren neugierig.

>>Wir sind nicht neugierig>sondern nur besorgt.Vielleicht schickt dir jemand eine geschickt verpackteKlapperschlange, weil du so tierlieb bist.

>>Vielleicht ist eine Brillenschlange drin

Aber dann spannte sie die drei nicht langer auf dieFolter, sondern riss den Umschlag auf. Als der Briefbogenentfaltet war, bot sich ein ahnliches Bild: Der Absenderhatte ganze und halbe Worte aus einer Zeitungausgeschnitten, zum Text zusammengefugt und aufgeklebt.

Tarzan sah Gaby uber die Schulter, wobei ihn ihrseidiges Haar am Hals kitzelte. Was er las, war wie einTritt vors Schienbein.

>>Du widerwartiges Strassenmadchen, du verdiensteinen Denkzettel. Dir soll der Hochmut vergehen. Wennich deinen Hund umgebracht habe, wirst du bedient sein.Dein Koter lebt nicht mehr lange - ist schon so gut wieTod.

Tatsachlich stand >> Todda statt >>totNach demEigenschaftswort hatte der Absender in seiner Zeitungoffenbar vergebens gesucht.

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Gaby liess das Blatt sinken. Aus entsetzten Augenblickte sie um sich.

>>Das.., das.., Unerhort! So eine Gemeinheit! Tarzan,der.., der will Oskar umbringen!

Oskar, der schwarz-weisse Cockerspaniel, der ihr zuFussen

sass, war das Maskottchen und erklarter Liebling der vier

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Freunde. Jetzt fuhlte er sich angesprochen. Er hob denKopf, sah sein Frauchen an und wedelte freundlich.

>>Eher geht die Welt unter>Aber ich glaube, nur einerwird untergehen: Dieser Schweinekerl, der den Briefverzapft hat. So ein Scheusal! Hinterhaltig und feige. Hastdu ne Ahnung, wer das ist?

Gaby schuttelte heftig den Kopf, hielt aber so plotzlichinne, dass ihr Kopf in schrager Position verharrte. Ihrelangen Haare rutschten zur linken Schulter.

>>Dirk Hansen!

>>Klar wie Klossbruhe

>>Klar wie Kakao

>>Mir ist uberhaupt nichts klar>Wer ist Dirk Hansen?

>>Ein Rupel

In diesem Moment ging Rasputin, der bartige Betreuer,an ihnen vorbei. Er horte Gabys Worte. Sofort blieb erstehen. >>Ist was?

Gaby hielt ihm den Brief hin.

Rasputin las dreimal, strahnte dabei seinen Bart,schuttelte den Kopf und machte ein besturztes Gesicht.

>>Ist das ernst zu nehmen?

>>Wenn’s um Oskar geht>nehme ich alles ernst. Da

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riskiere ich nichts.

>>Sie weiss, wer dahinter steckt

>>Ich vermute es>Das heisst: Ich bin mir sicher. Aberbeweisen kann ich’s naturlich nicht. Und der Mistkerl wird’sabstreiten. Und seine Wut an Oskar auslassen.

Tranen traten in ihre Augen, teils aus Zorn, teils ausEntsetzen uber so viel Unmenschlichkeit. Sie buckte sich,streichelte Oskar, nahm ihn dann auf den Arm, was ernaturlich prima fand. Er legte den Kopf auf ihre Schulter undseufzte andachtig.

>>Kommt, wir gehen auf mein Zimmer

Bis jetzt hatten sie im Gemeinschaftsraum gestanden.Die kleineren Kinder wurlten um sie herum, waren mitKuchendienst beschaftigt, wurden aber aufmerksam undmachten lange Ohren.

In Rasputins Zimmer herrschte Platzmangel. Deneinzigen Stuhl kriegte Gaby, Rasputin setzte sich auf seinBett. Die Jungs nahmen Platz auf dem Teppich, wobeiKlosschen sich abmuhte, wie Tarzan im Schneidersitz zuhocken. Aber das erfordert Gelenkigkeit, was nichtKlosschens Starke ist.

>>Dann erzahl mal, Gaby

>>Auch Tarzan weiss noch nichts>Weil ich’s furunwichtig hielt. Er war ja am Samstag nicht dabei, weil ihn

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der Judo-Verein im Ort zum Training eingeladen hatte.Aber Karl, Klosschen und ich sind zu diesem Dorf geradelt,wo das Schutzenfest war. War auch ganz lustig, und…

>>Nach Warnsund?

>>Ich glaube, so heisst das Dorf>Wir sind Karussellgefahren und waren im Irrgarten. Karl hat einen Teddygeschossen - aus Versehen. Nicht wahr, Karl? Du hast aufden Stoffhasen gezielt. Klosschen hat funf PortionenSchoko-Eis verputzt, und dann haben wir in das Zeltgeguckt, wo Tanz war. Dort hatten sich einige Typenversammelt. Ich kam mit einem Madchen ins Gesprach.Die war ganz nett - sie besucht die Realschule im Ort. Vonder Gerti weiss ich auch, wie die drei heissen.

Sie holte ihr Taschentuch hervor und schnauzte sich,bevor sie fortfuhr. Die Tranen waren schon abgetupft.

>>Ein Junge war ein richtig mieser Typ. Dirk Hansen. 17ist der. Er wollte mit mir tanzen. Ich habe hoflich abgelehnt.Da ist er frech geworden. Und wie! Ausfallend und eklig.Hat Oskar - der mit war - getreten und mich am Armgepackt und geschuttelt. Da habe ich ihm vor allen eineOhrfeige reingehauen. Der war so perplex, dass es schonwieder komisch aussah. Dann lief er rot an vor Wut, und ichdachte schon, er wurde handgreiflich werden. Aber andere,die dabeistanden, lachten und meinten, er werde sich wohlnicht mit einem Madchen prugeln - ein Herkules wie er.Darauf hat er sich abgewandt, aber mir noch zugezischt:

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>Das wirst du bussen, du Dreckstuck.

>>Du sprachst von dreien

>>Dirk Hansens Freund war dabei - auch so ein Typ.Heisst Jurgen Roloff. Und dessen Freundin solltest du malsehen. Sylta Dinrich ist erst 15, hat aber schon Haschgenommen und raucht sowieso einen Zigarillo nach demanderen. Beliebt sind die drei nicht, hat mir Gerti erzahlt.Aber keiner wagt, was gegen sie zu sagen, weil Hansenund Roloff gleich jeden zusammenhauen. Wir sind dannweitergezogen. Spater haben wir Gerti nochmal an derLuftschaukel getroffen. Sie sagte, Sylta Dinrich hatte sienach meinem Namen gefragt. Und, wo ich wohnte.

>>Und Gerti hat naturlich Auskunft gegeben

>>Sie ist eine kleine, verhuschte Maus>Und hat vor dendreien ziemlich viel Bammel.>Mein Gott! Ich kann’s immernoch nicht fassen, dass sich jemand fur einen Korb sogemein rachen will.

>>Das gibt’s

>>Und nun?>Wollt ihr die Polizei einschalten?

>>Was soll die denn tun?>Oskar in Schutzhaft nehmen?Gegen Dirk Hansen kann sie erst vorgehen, wennbewiesen ist, dass er diesen Drohbriefzusammengekleistert hat. Lasst mich mal machen.

Seine drei Freunde sollten hier bleiben, um auf Oskar

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Acht zu geben. Im Ferienlager war er immer noch amsichersten.

Es war ein heisser Tag, sonnig, ohne ein Wolkchen amHimmel.

Tarzan radelte uber die Landstrasse zum Ort. Er kam amCampingplatz vorbei, wo Hochbetrieb herrschte. Diemeisten Urlauber sassen noch beim Fruhstuck und lasenZeitung. Welche? Den KREISBOTEN naturlich.

In dieser Gegend war der KREISBOTE die fuhrendeZeitung. Sicher - am Bahnhofskiosk und in denZeitschriftenladen konnte man nahezu jede uberregionale(nicht an ein bestimmtes Gebiet gebundene) Zeitungkaufen. Aber die Einheimischen begnugten sich mit demKREISBOTEN. Darauf beruhte Tarzans Plan.

Verlag und Redaktion waren in einer engenNebenstrasse hinter dem Kaufhaus untergebracht: ineinem vierstockigen Burohaus mit viel Glas und einemFlachdach.

Im Buro der Anzeigen-Annahme verwies man Tarzan anHerrn Kaus, den verantwortlichen Redakteur derBezirksausgabe. Kaus sass in einem Buro, dasGlaswande hatte. Wie in einem Aquarium, dachte Tarzan.Und so schien sich Herr Kaus auch zu fuhlen. Freilich - wieein Goldfisch sah er nicht aus, eher wie ein abgehetzterTerrier. Er qualmte aus einer kurzen Pfeife mit abgekautem

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Stiel, hatte strahniges Haar und offenbar Magersucht.Durch dicke Brillenglaser sah er Tarzan an. Immerhin - mitfreundlichen Augen.

>>Ich habe ein Anliegen>Es geht um einen gemeinenAnschlag. Mit Ihrer Hilfe kann ich ihn vielleicht verhindern.

Er zeigte den Drohbrief.

>>Man sollte es nicht fur moglich halten>Was kann ich furdich tun, mein Junge?

>>Ich habe den KREISBOTEN schon ein paarmalgelesen. Mir fiel auf, dass die Schrifttypen sich von denenanderer Zeitungen unterscheiden.

>>Stimmt. Wir sind etwas ruckstandig.

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>>Dann sind diese ausgeschnipselten Worte aus demKREISBOTEN?

>>Ganz sicher.

>>Ich vermute>dass der Absender nur eine Ausgabebenutzt hat, sonst hatte er das Eigenschaftswort >tot

Kaus pfiff durch die Zahne. >>Ganz schon schlau. Ichwurde auf Anhieb sagen - aber das uberprufen wir noch -,dass es sich um die Ausgabe vom letzten Samstaghandelt. Doch was nutzt dir das?

Tarzan lachelte. >>Ausserdem musste ich noch wissen,ob der Kreisbote von einer bestimmten Person inWarnsund bezogen wird. Ein Blick in dieAbonnenten-(Dauerbezieher-)Liste macht doch sicherkeine Muhe?

>>Gewiss nicht. Du hast also einen bestimmtenVerdacht?>Hab ich. Und ich kann mich doch daraufverlassen, dass Sie’s fur sich behalten?

>>Ehrensache.

Kaus erhob sich. Einige Minuten spater stand fest: DerAbsender hatte die Worte aus der Samstag-Ausgabeausgeschnitten. Und in Warnsund wurde die Zeitung voneinem gewissen Herbert Hansen bezogen. Tarzan warejede Wette eingegangen, dass es sich um Dirks Vaterhandelte, und merkte sich die Adresse.

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Wahrend Tarzan kurz darauf nach Warnsund radelte,dachte er uber sein Vorgehen nach. Einen Vorteil hatte er:Dirk Hansen kannte ihn nicht.

Nach etwa 20 Minuten fuhr er an dem OrtsschildWARNSUND vorbei. Ein hubsches Bauerndorf breitetesich aus. Kuhe standen auf den Weiden. Ein Jauchewagenparfumierte die Luft. Huhner gackerten auf einem Hof undin einem dunklen Stall grunzten Schweine.

Die Hansens wohnten am Dorfrand. >>Auf der Hohe

Ein kleines, altliches Haus. Ein Schuppen, eineunverputzte Garage, etwas Gemusegarten, hinterm HausKarnickelstalle. Tarzan erfasste alles mit einem Blick - auchdas Madchen, das vor der Haustur mit seinem Rad hieltund ihm den Rucken zuwandte.

Eine Frau stand auf der Schwelle, in Kittelschurze undLatschen, und trocknete sich die Hande an einem Tuch ab.

>>Dirk und Jurgen sind schon zum Strand!

>>Danke, Frau Hansen. Dann fahre ich hin!dergeschlossenen Tur zu und hob seinen Po auf den Sattel.

War das Sylta Dinrich?

Sie trug Shorts, die ziemlich stramm sassen, und einapfelgrunes T-Shirt. Das schwarze Haar war zu einemeinzigen Zopf geflochten, der ihr schwer auf den Ruckenbaumelte.

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Sie fuhr langsam. Tarzan uberholte und riskierte einenSeitenblick.

Sie sah alter aus als 15, aber das lag sicherlich an demgrellroten Lippenstift, den grunen Lidschatten und demsonstigen Make-up. Sie hatte ihn bemerkt und reagierte miteinem feurigen Blick.

Wahrscheinlich, dachte Tarzan, glotzt sie jeden Jungenso an. Es gibt ja diese Puppchen, die’s nicht ertragenkonnen, wenn sich nicht jeder nach ihnen die Hacken schieflauft.

Er nickte kurz und legte einen Zahn zu.

Die Strasse endete. Ein Weg fuhrte weiter, durch saftigeWiesen zum Deich. An morastigen Stellen waren Plankenausgelegt. Viele Reifenspuren verrieten, dass dieDorfjugend auf diesem Wege zum >>Strand

Jetzt war Ebbe.

Tarzan sah’s, als er sein Rad auf den Deichhinaufgeschoben hatte. Endloses Watt, als gabe es keinMeer. Aus dem Schlickboden stiegen Blasen. InVertiefungen hatte sich Wasser gesammelt. Aber dichtbeim Deich breiteten sich Sandbanke aus und dort brietenallerlei Leute in der Sonne.

Tarzan blickte zuruck. Sylta Dinrich war jetzt unten amDeich angelangt.

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Tarzan verharrte, blieb scheinbar versunken in denAnblick der endlosen Weite.

Das Madchen kam an ihm vorbei. Neugierig sah sie ihnan. Als sie zum Watt hinunterstieg, rief man ihr zu. ZweiJungen winkten. Sie trugen Badehosen und lagen aufLuftmatratzen.

Das also, dachte Tarzan, sind Hansen und Roloff.

Von Weitem sahen sie wie Bruder aus, beideflachsblond, gross und massiv gebaut.

Der mit der roten Badehose wurde von Sylta zuerstbegrusst. Wahrscheinlich war das Jurgen Roloff, ihrFreund.

Tarzan beobachtete, wie das Madchen sich zu ihnensetzte. Dann stieg auch er hinunter, stellte sein Rad ab,suchte eine halbwegs trockene Stelle und hockte sich hin.Etwa 50 Leute verteilten sich auf die sandigen Platze:Familien mit kleinen Kindern, die mit Schaufelchen undSandeimer im Schlick herummatschten, und faulenzendeDorfjungen, die Karten spielten und dazu Cola tranken -oder Bier, wie Roloff und Hansen.

Die beiden hatten sich einen ganzen Kasten mitgebrachtund waren schon ziemlich gross in Stimmung, aber leider inkeiner friedfertigen, wie Tarzan bald merkte.

Sie stankerten.

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Wer in Horweite war, musste sich einiges bieten lassen.

Im Augenblick nahmen sie eine Familie aufs Korn, einenschmachtigen jungen Mann mit krebsrotem Sonnenbrand,seine elfenzarte Frau und zwei allerliebste Madelchen vonschatzungsweise drei und vier Jahren. Eifrig formten dieKleinen ein Gebilde aus Sand, von dem die Jungerebehauptete: >>Haus

Tarzan sass nahe genug, um die Pobeleien des Trios zuhoren. Noch sagte Sylta zwar nichts, aber sie lachtebeifallig.

Wie jetzt, als Jurgen Roloff mit der roten Badehose nacheinem lauten Bierrulpser verkundete: >>Ich kann’s nichtvertragen, wenn mir dieses Touristenpack so dicht vor derNase hockt.

>>Man sollte sie wegekeln

>>Wie denn? Merkst doch, wie stur die sind.

>>Stimmt. Die sitzen hier noch, wenn die Flut kommt.Aber dann werden sie sich wundern.

>>Oder vorher schon.

Hansen riss die Verschlusskappen von zweiBierflaschen. Eine gab er seinem Kumpan. Sylta hatte ihreFlasche schon. Sie stiessen an miteinander. Es klirrtegewaltig. Elf leere Flaschen lagen bereits neben demBierkasten. Beide Jungs hatten rote Kopfe, und das nicht

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nur vom Sonnenbrand.

Bierschaum floss ihnen ubers Kinn. Sie stellten dieFlaschen in den Sand. Dann pobelten sie weiter.

>>Wenn die nicht bald abhauen, graben wir sie ein>Malsehen, wie der Boden hier ist.

Er stand auf. Der schmachtige Mann, der etwa zehnSchritt entfernt lag, hielt sich verzweifelt an seiner Zeitungfest und tat, als hore er nichts. Seine Frau lag mitgeschlossenen Augen in der Sonne.

Roloff zeigte, was fur ein Rohling er war. Gefuhllosstampfte er durch das Kunstwerk aus Sand, das diekleinen Madchen erbaut hatten, und zerstorte es vollig.

Fassungslose Kinderaugen sahen ihn an.

In Tarzans Magengrube zog sich etwas zusammen: EinSchmerz, als hatte er einen Hieb abgefangen.

>>Papi!>Er hat’s kaputtgemacht.

Der Mann blickte auf. Fur einen Moment schien es, alswollte er seine Kinder beschwichtigen.

Aber Roloff war auf den Trummern der Sandburg stehengeblieben, gab dem roten Plastikeimer einen Tritt undschoss dann den blauen in Richtung der Frau, verfehlte sieaber.

Der Mann erhob sich. Ihm blieb keine Wahl.

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>>Ihr Benehmen ist unmoglich. Lassen Sie uns endlich inRuhe.

>>Was denn, Mann?>Willst du frech werden?>EurenPapi graben wir ein. Bis zum Hals. Wollt ihr zusehen?

Hilfe suchend sah der Mann sich um. Aber niemand war inunmittelbarer Nahe. Nur grinsende Dorfjungen kriegten mit,was hier lief, und ein altliches Ehepaar. Aber von denLeutchen war keine Hilfe zu erwarten.

>>Wenn du mich beleidigst, Mann, fahre ich Schlitten mitdir

Er trat noch einen Schritt vor, war jetzt auf Armlange

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heran und - stiess dem Mann die Hand vor die Brust.

Das genugte. Der Mann taumelte, verlor den Halt und fielrucklings auf seine Luftmatratze.

Kerzengerade setzte seine Frau sich auf, mitverangstigtem Gesicht.

Tarzan stand auf.

Locker trabte er auf die Gruppe zu.

Hansen und das Madchen sahen ihn, sagten aber nichts.Roloff stand mit dem Rucken zu Tarzan.

Scheinbar uninteressiert ging er vorbei. Mit dem rechtenFuss stiess er beide Bierflaschen um. Schaumend ergosssich das Bier in den Schlick.

>>O Verzeihung!

Roloff hatte sich umgedreht. Fur einen Momentverschlug’s ihm die Sprache. Dann nahm sein Gesichteinen bosartigen Ausdruck an.

>>Du hast wohl Tomaten auf den Augen, du Penner.Was fallt dir ein, unser Bier umzukippen! Das hat nochkeiner gewagt, du Rotznase. Komm her und hol dir deineOhrfeige ab.

Tarzan ruhrte sich nicht.

>>Aha, du willst zwei haben>Wenn ich mich zu dirbemuhe, gibt’s namlich zwei.

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Tarzan stand wie angewurzelt.

>>Der scheint auf eine grosse Abreibung scharf zu sein!

Roloff setzte sich in Bewegung.

Er war nicht viel grosser, aber erheblich schwerer alsTarzan: Klotzig und derb, sicherlich auch sehr stark. AberTarzan war austrainiert wie ein Superathlet und hattestahlerne Muskeln.

Roloff schlug uberraschend schnell zu - nicht mit offenerHand, sondern mit der Faust.

Tarzan packte den Arm. Blitzschnell drehte er sich unterihm durch. Roloffs Arm wurde gewunden wie ein Tau.Gellend schrie er auf. Aber das war noch nicht alles. Tarzanstand hinter ihm. Erbarmungslos wurde Roloffs Handzwischen den Schultern nach oben gerissen. EineWinzigkeit fehlte noch und sein Schultergelenk wareausgekugelt. Fast gleichzeitig schlug Tarzan ihm mit einemharten Tritt gegen die Knochel beide Beine weg.Aufschreiend sturzte Roloff auf die Knie.

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Tarzan beugte sich vor und hielt den verdrehten Arm ganzlocker, mit einer Hand.

>>Nun, was ist? Ich warte auf die Ohrfeigen.

Roloff wimmerte.

>>Wolltest du nicht irgendwen eingraben?>Vielleicht alsErstes deinen Arm. Noch eine winzige Bewegung und er istab.>An deiner Stelle, Dicker, wurde ich sitzen bleiben.Sonst bleibt nichts von dir ubrig.

Millimeterweise verstarkte er den Druck auf Roloffs Arm.Der Bursche brullte: >>Aufhoren! Du bringst mich um.>Erstsolltest du dich entschuldigen.

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>>Ja, ich entschuldige mich>Entschuldigung,Entschuldigung! Hor auf! Dirk, hilf mir doch!

>>Dirk hilft dir nicht>Er weiss namlich, dass ich ihm dieKnochen breche, falls er seinen Hintern von derLuftmatratze hebt. Aber du solltest jetzt hoflich zu diesemHerrn sagen: Entschuldigung, dass ich mich so rupelhaftbenommen habe. Es wird nicht wieder vorkommen. Los!

Und Roloff sagte: >>Entschuldigen Sie, dass ich michso… so rupelhaft benehme… benommen habe. Ganzbestimmt mache ich das nicht wieder.

>>Du bist so damlich>dass du nicht mal zwei Satzenachsprechen kannst.

Dann liess er ihn los.

Roloff verharrte kniend und nach vorn gesunken. Derrechte Arm baumelte von seiner Schulter, als gehore ernicht mehr dazu.

Aber Tarzan wusste: Verletzt war nichts. Der Schmerzwurde nachlassen und morgen war der Arm wiedergebrauchsfahig wie eh und je.

Tarzan wandte sich an den schmachtigen Mann, der ihnmit grossen Augen ansah.

>>Sagen Sie’s mir, falls Sie nochmal belastigt werden.Dann mache ich die beiden zur Schnecke.

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Das Trio bedachte er abschliessend mit einem eisigenBlick. Dann ging Tarzan zu seinem Rad zuruck und schobes den Deich hinauf.

Mist!, dachte er, wahrend er uber den Feldwegzuruckfuhr. Jetzt kennen sie mich. Ach, egal! Eingreifenmusste ich. So ein Lumpenpack! Betrinkt sich und machtTerror. Dass ich zu Gaby gehore, wissen sie trotzdemnicht.

Ein paarmal sah er sich um. Niemand folgte ihm.

Wahrend er weiterradelte, kam ihm eine tolle Idee.Frechheit siegt, dachte er und hielt auf das Hansen-Hauszu.

Vor der Hautur stieg er ab.

Frau Hansen war jetzt im Gemusegarten. Sie trugGummistiefel und stocherte zwischen irgendwelchenGewurzkrautern herum.

>>Guten Tag!>Sie sind Frau Hansen, nicht wahr? Dirkschickt mich. Er bleibt noch am Strand, aber er hat mir dieZeitung geschenkt. Die Samstagausgabe vomKREISBOTEN.

Die Frau hatte sich aufgerichtet und sah ihn misstrauischan - allerdings nur mit so viel Misstrauen, wie es hierFremden gegenuber ublich ist. Doch ihre Miene glattetesich rasch. Denn Tarzan wirkte gewinnend, wenn er nur

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wollte.

>>So? Wer bist du denn?

>>Ich heisse Detlef Wagner>Hat Dirk nicht erzahlt, dass wiruns angefreundet haben? Kann ich die Zeitung haben?

>>Ich will mal sehen, ob sie noch da ist

Tarzan musste minutenlang warten. Ein bisschen Unruhekribbelte ihm im Blut. Immer wieder sah er zum Deich. Aberdort ruhrte sich nichts.

Frau Hansen kam zuruck und uberreichte ihm eineziemlich dicke Zeitung.

Page 133: Abenteuer Im Ferienlager

>>Fehlt auch nichts?

>>Ich glaube nicht.

>>Besten Dank!

Das Beweisstuck klemmte er auf den Gepacktrager.Frohlich winkend fuhr Tarzan dann weiter.

Ausser Sicht trat er auf die Pedale, als musse er einenRekord brechen. Er sauste durchs Dorf. Haufig sah er sichum. Nicht wegen eventueller Verfolger, sondern weil er dieZeitung auf keinen Fall verlieren durfte.

Er preschte uber die Landstrasse, fuhr aber nicht in denOrt zuruck, sondern nahm eine Abkurzung querfeldein. Siefuhrte durch einsamen Wald zum Ferienlager.

Bei der ersten Bank unter schattigen Baumen hielt er an.

Die Zeitung legte er auf die Bank.Er kniete sich davor.Seite um Seite blatterte er um. Flink suchten seine Augendie Blatter nach den Spuren der Schere ab. Aber denersten Seiten fehlte nichts.

Auch den nachsten nicht. Er wurde unruhiger, je weiter erblatterte. Dann lag die letzte Seite vor ihm und auch sie warunversehrt.

Tarzan fuhlte die Enttauschung wie einen Kloss in derKehle. >>Unmoglich!>So kann ich mich nicht irren.Nochmal!

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Aber auch die zweite Durchsicht brachte kein anderesErgebnis.

Tarzan stand auf, faltete die Zeitung zusammen undstopfte sie in den Papierkorb neben der Bank. Entmutigtstieg er auf’s Rad. Was nun? Er fuhr uber einen holprigenWeg, bog aber wieder zur Strasse ab und war eineViertelstunde spater im Ort.

Beim KREISBOTEN-Verlag musste er diesmal eineWeile warten, denn Herr Kaus war in einer Besprechung.Endlich wurde Tarzan zu ihm vorgelassen. Mit wenigenWorten berichtete er von seinem Misserfolg.

>>Darf ich mir, bitte, die Samstagausgabe ansehen.Vielleicht fehlte ein Teil, ohne dass ich das gemerkt habe.

Sie wurde ihm vorgelegt. Er blatterte sie durch undschuttelte den Kopf.

>>Nein. Dirk Hansens Ausgabe war komplett.

>>Dann hast du den Falschen verdachtigt.

>>Bestimmt nicht, Herr Kaus. Jetzt, da ich die beidenkennen gelernt habe…

Er erzahlte sein Stranderlebnis und fugte hinzu:>>Unverschamtheit passt zu den beiden. Sie sind brutalgegen Schwachere und stecken so voller Aggressionen,dass sie jeden anpobeln. Ich weiss es genau: Die steckenhinter der Drohung gegen Oskar.

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>>Passt gut auf ihn auf. Ich habe auch einen Cocker.Wie lange seid ihr noch hier?

>>Drei Wochen.

>>O weh! Da kann viel passieren.

Tarzan biss sich auf die Lippen. Entschlossen stand erauf. >>Jetzt lasse ich Oskar nicht mehr aus den Augen.Ihnen herzlichen Dank, Herr Kaus! Ich melde mich wieder.

Als Tarzan ins Ferienlager kam, herrschte in demGebaude, in dem er und seine Freunde wohnten,unbeschreibliche Aufregung.

An der Haustur prallte er fast mit Gaby zusammen.

Ihr Gesicht war totenbleich. Dicke Tranen rannen ihr uberdie Wangen.

>>Oskar ist weg>Schon… seit einer halben Stunde.

Niemand wusste genau, wie es gekommen war. Ebenhatte Gaby den Hund noch neben sich gehabt. Dann drehtesie sich um - das war vor dem Haus gewesen -, redete mitanderen, passte nur wenige Sekunden nicht auf; und schonhatte sich das liebe Schlappohr - scheinbar - in Luftaufgelost.

Da half kein Rufen, kein Suchen, kein Forschen anseinen bevorzugten Platzen: Hinten beim Waldchen undnahe der Mulltonnen, wo er heimlich die Abfalle filzte undleckere Knochen aussortierte.

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Oskar blieb verschwunden.

>>Wenn… Hansen ihn nun weggelockt hat

>>Unmoglich.>Wie hatte Hansen das machen sollen?

>>Indem er einen Koder auslegt.>Einen vergifteten!

>>Bestimmt nicht! >Wahrscheinlich ist er einem Hasenhinterher - schliesslich sind Cockerspaniel Jagdhunde. Unddann… klar, dann hat er sich im Wald verlaufen.

>>Oskar ist doch nicht doof. Und bei seiner Nase! Derlauft auf der Spur zuruck.

>>Aber erst, wenn er will. In jedem Hund steckt’s, dass ermal uber die Strange schlagt und seine Freiheit richtiggeniesst. Trotzdem - ich bin nicht dafur, dass wir hierDaumchen drehen.

>>Was sollen wir denn machen?

Sie waren jetzt im Gemeinschaftsraum - zu funft,einschliesslich Rasputin.

>>Suchen, naturlich!>Wir bilden vier oder funf Gruppen.Die Kleinen machen bestimmt mit. Dann schwarmen wiraus. Eine Gruppe sucht am Deich entlang und behalt auchdas Watt im Auge. Die andern suchen den Wald und dieWeiden bis zum Moor ab. Ware doch gelacht, wenn wirdabei nichts erreichen.

>>Gute Idee!>Ich trommle die Kinder zusammen.

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Wenig spater war alles klar. Uber 30 Kinder machtenmit, begeistert sogar, denn alle mochten Oskar gern.Rasputin sowie jeder der vier Freunde fuhrte eine Gruppe.Sie verteilten sich generalstabsmassig uber das Gelande.Mittags, so war vereinbart, werde man sich wieder imFerienlager einfinden.

Tarzans Gruppe nahm sich das unubersichtlichste - unddamit schwierigste - Gebiet vor: den Wald. In weitauseinander gezogener Treiberkette ging es langsamvoran. Jeder rief in regelmassigen Abstanden nach Oskar,was zudem den Vorteil hatte, dass keines der kleinerenKinder verloren ging.

Hasen wurden aufgescheucht, Rehe und nistende Vogel.Die kleine Cornelia sah sogar einen Fuchs - jedenfallsbehauptete sie das spater. Von Oskar freilich zeigte sichkeine Spur.

Tarzan fuhlte sich so angespannt, dass er am liebsten ineinem Hollentempo die ganze Meereskuste abgesuchthatte. Finstere Gedanken bewegten ihn. GabysBefurchtung, Hansen konnte bereits seine Hand im Spielhaben, war leider keineswegs abwegig. Zumindestbestand die Gefahr, dass der gutmutige, tolpatschige undzutrauliche Oskar dem Kerl oder dessen Kumpanen in dieArme lief.

Eine Stunde verging. Einige der Kinder wurden mude.

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Tarzan trieb sie an. Dann sturzte ein kleiner Junge undschlug sich das Knie auf. Tapfer machte er weiter, aber dieLust war ihm vergangen. Wenig spater versammelteTarzan die Gruppe auf einem Waldweg. Es war sinnlos,weiterzusuchen. Niedergedruckt marschierten sie zumFerienlager zuruck.

Die andern waren schon da - ausgenommen GabysGruppe. Tarzan befurchtete, sie werde Deich und Watt bisnach Danemark hinauf absuchen. Aber dann traf auchGaby mit ihrem Gefolge ein, leider genauso erfolglos wiealle anderen.

So verzweifelt hatte Tarzan sie noch nie gesehen. Trotzihrer Sonnenbraune wirkte Gaby erschreckend blass undder Glanz ihrer Kornblumenaugen war vollig verschwunden.

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>>Oskar, da wette ich>wurde sich totlachen, wenn erwusste, was fur ein Gelandespiel wir seinetwegenveranstalten. Sollst mal sehen: Plotzlich ist er da - mit ‘nemBauch wie ‘ne Trommel, weil er sich, wie ublich,vollgefressen hat.

Aber Gaby erwiderte nichts.

Von seinem Vorhaben, nach Warnsund zu fahren undDirk Hansen energisch zu packen, sagte Tarzan noch

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nichts. Viel wurde ohnehin nicht dabei rauskommen. Wennder Kerl dem Hund was angetan hatte, war das irgendwo inaller Heimlichkeit geschehen; und zugeben wurde das Trionichts.

>>Jetzt hilft nur abwarten>und… nein, nicht Tee trinken,sondern Mittagessen. Es gibt Erbsensuppe mitSchweinebauch.

>>Ich esse nichts

Karl und sogar Klosschen stocherten lustlos in ihremEssen herum. Auch Tarzan war der Appetit vergangen. Erschob seinen Teller weg, sagte: >>Mahlzeit

Neben der Eingangstur lehnte er sich an die Mauer. Mitgeschlossenen Augen hielt er das Gesicht in die grelleMittagssonne. In Gedanken malte er sich Oskars Schicksalaus, und eine heisse Wut, die wie ein Vulkan war, stieglangsam in ihm auf.

Ein Winseln ertonte.

Tarzan riss die Augen auf.

Zehn Schritt von ihm entfernt stand eine riesige Dogge,eine Danische Dogge, ein prachtvolles Tier. Es war eineHundin.

Sie winselte abermals, lief ein paar Meter, wandte sichum und augte hinter die Hausecke zuruck.

Im Galopp kam Oskar hervor, hechelnd und aufgeregt

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wie eine Tute Mucken. Mit wahrem Besitzerstolz umkreisteer die Hundin. Zum - sicherlich - hundertsten Maleschnupperte er sie ab; und dann tollten und alberten diebeiden, dass der Sand stob und das Gras in Fetzen flog.

Wie in Zeitlupe rutschte Tarzan mit dem Rucken an derHauswand herunter. Von lautlosem Lachen geschuttelt,konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten. SeinBauch tat schon weh. Das Zwerchfell bebte und dieGesichtsmuskeln machten sich selbststandig.

Das also war’s. Eine heisse Hundin - etwa viermal sogross wie Oskar - hatte ihn weggelockt. Er ging aufFreiersfussen, und jetzt schleppte er seine Braut an, um sieFrauchen und Freunden vorzustellen.

>>Oskar, du Satansbraten!

Tarzan rannte ins Haus. Und prustend die halbe Treppehinauf.

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>>Gaby, schnell! Das musst du gesehen haben.

Sie kam sofort, sah Tarzans Gesicht und war auch schondraussen. So schnell konnte selbst Tarzan nicht mit.

Als er im Freien war, stand die Dogge schweifwedelndda und staunte uber Gabys Ausgelassenheit. Sie hatteOskar auf dem Arm und wirbelte mit ihm herum, als ware erihr Tanzpartner beim Walzer.

>>Sie ist laufig>Hatte ich das gewusst!

>>Du treuloser Patron!>Ich dachte, du liebst nur deinFrauchen.

>>Bring ihn ins Haus>Sonst geht das Ganze von vornlos.

In diesem Augenblick kam Hilfe: Ein Mann auf einemFahrrad.

>>Da ist ja die Ausreisserin!>Ist ja gut, Senta.

Er nahm das Tier an die Leine.

Die Kinder erfuhren, dass der Mann aus dem Ort war.Seit zwei Stunden hatte Oskar - vom Geruch der laufigenHundin angelockt - vor dem Gartentor gesessen. Die kleineTochter des Hauses hatte dann unbedacht die Tur offengelassen - nur fur einen Moment. Doch das reichte. Oskarund Senta waren geturmt.

>>Und was ist jetzt?>Rechnen Sie mit einem Wurf

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Doggen-Cocker-Mischlingen?

>>Da ist nichts zu befurchten>Bei demGrossenunterschied konnte euer Oskar von der Liebe nurtraumen. Aber jetzt musst ihr sehr auf ihn aufpassen. SeineNase scheint vorzuglich zu sein. Der riecht auf Kilometer,wo fur ihn was zu holen ist.

>>Das hat er uns voraus

Oskars gluckliche Ruckkehr musste gefeiert werden. Furalle Kinder, die sich an der Suche beteiligt hatten,spendierten die Freunde eine grosse Eisportion.

Klosschen, der von seinen reichen Eltern mitTaschengeld grosszugig ausgestattet war, fuhr in den Ort,um Koteletts und Bratwurste zu kaufen - freilich nur furGaby, Tarzan, Karl und sich selbst.

Das Ferienlager hatte einen Grillplatz. Dort entfachtendie vier TKKG-Freunde am Spatnachmittag mit Holzkohleeine anheimelnde Glut. Dann zog der Duft gebratenerKostlichkeiten durch die Luft. Die Kinder liessen es sichschmecken, aber ihr Gesprach war ernst.

>>Dirk Hansen weiss jetzt naturlich, dass ich zu euchgehore>Mein Zeitungs-Coup hat ihn gewarnt. Er und seineKumpane werden vorsichtig sein. Aber ihre Rachsucht istjetzt bestimmt noch grosser - nach der Blamage am Strandvor aller Augen.

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>>Vorlaufig lasse ich Oskar nicht von der Leine

>>Und wenn ich stundenlang hier im Kreis mit ihm laufe.Auslauf braucht er, aber seine Sicherheit geht vor.

Tarzan fuhrte gerade eine knusperige Grillwurst zumMund, verhielt aber plotzlich - so reglos, als hatte dasWurstchen sich vor seinen Augen in einen Regenwurmverwandelt.

>>Himmel, bin ich ein Esel!

>>Stimmt!

>>Wer sagt denn>dass es unbedingt die Zeitung derHansens gewesen ist, die fur den Drohbrief herhaltenmusste. Vielleicht hat Dirk Hansen den Brief bei seinemFreund Roloff zusammengekleistert und sie haben auchgleich dessen Zeitung genommen.

>>Richtig!

>>Ich rufe Kaus an

Nach funf Minuten war er zuruck. >>Wie ich’s mirgedacht habe: Auch die Roloffs sind KREISBOTEN-Bezieher.

>>Willst du auch Frau Roloff fragen, ob du die Zeitungkriegen kannst?

>>Das wurde nicht klappen. Aber ich werde wenigstenseinen Blick in die Abfalltonne werfen. Vielleicht ist die

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Zeitung drin. Sicherlich - die Chance ist gering. Aber immernoch besser als nichts. Heute Abend mache ich das,sobald es dunkel ist.

>>Wir kommen mit

>>Gut, aber Gaby muss hier bleiben. Wer passt sonstauf Oskar auf? Wir nehmen Plastiksacke mit. Falls manuns erwischt, behaupten wir, es ware eineAltpapiersammlung fur wohltatige Zwecke.

Der Nachthimmel war wie dunkelblauer Samt, auf demDiamanten funkeln.

Tarzan fuhr voran. Karl und Klosschen wurden vonseinem Rucklicht geleitet.

Sie erreichten Warnsund. Aus dem Telefonbuch hatteTarzan sich die Adresse der Roloffs herausgesucht. Auchsie - ein gunstiger Umstand - wohnten >>Auf der Hohe

Als sie jetzt uber die dunkle Dorfstrasse radelten, kamensie an einem Gasthaus vorbei.

Die Fenster waren erleuchtet. Man konnte hineinsehen.Tarzans Blick fiel auf einen Tisch im Hintergrund. Soforthielt er an.

>>Kennt ihr die?

>>Klar>Das sind sie ja: Hansen, Roloff und dieseaufgetakelte Zicke. Mir fallt der Name nicht ein.>SyltaDinrich

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Tarzan beobachtete die drei. Sie hatten Bier- undSchnapsglaser vor sich stehen und auch das Madchen hieltmit.

>>Wir mussen aufpassen, dass sie uns nichtuberraschen>Allerdings - es sieht nicht so aus, als wurdensie bald heimgehen.

Sie fuhren weiter. Als sie in die Nebenstrasse abbogen,wurde es dunkel wie in einem Schlauch.

Am Anfang von >>Auf der Hohe

Das Haus lag zuruckgesetzt. Nur ein Fenster warerleuchtet. Die Jungs hielten an. Tarzan maunzte, um sichzu vergewissern, dass kein Hofhund in der Dunkelheitlauerte.

Leise hob Karl den Deckel der Mulltonne. Tarzanleuchtete mit seiner Taschenlampe hinein. Die Tonne warvoll gestopft und wartete auf den Mullwagen. Ganz oben lagder Katalog eines Versandhauses, darunter - die Samstag-Ausgabe des KREISBOTEN.

>>So ein Dusel!

Sie fuhren bis zur Laterne zuruck und blatterten dieZeitung auf. Dann machten sie lange Gesichter.

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Kein Stuck fehlte. Auch die Seiten waren vollstandig.

Tarzan liess ein paar Fluche vom Stapel, dass seineFreunde interessiert die Ohren spitzten. Beidebeschlossen, diese Prachtworter in ihren Sprachschatzaufzunehmen, um bei Bedarf nicht verlegen zu sein.

Tarzan warf die Zeitung zu Boden.Aber dann besann ersich und brachte sie zur Mulltonne zuruck.

>>War also alles umsonst

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>>Jetzt stobern wir noch bei den Dinrichs imAbfallTarzan. >>Weiss zwar nicht, ob die denKREISBOTEN lesen. Aber nachsehen kostet nichts. Wennja - kann auch ihre Zeitung dafur benutzt worden sein.

Zweimal mussten sie fragen, bevor sie die Adresse derDinrichs fanden. Es war ein hubsches Haus - soweit man inder Dunkelheit sah - mit einer Bank vor dem Eingang undzwei Abfalltonnen, die unter einer niedrigen Uberdachungstanden und auf Radern herausgerollt wurden.

Auf der Bank sassen ein Mann und eine Frau. Der Mannrauchte, die Frau genoss die Abendluft. Bestimmt warendas Sylta Dinrichs Eltern. Wer sonst?

>>Guten Abend!>Entschuldigen Sie bitte, dass wir IhreMulltonnen durchstobern. Aber wir sammeln Altpapier - fureinen wohltatigen Zweck. Karl, gib mal den Sack!

>>In den Tonnen ist kein Papier>Jedenfalls nurschmutzige Tuten. Aber wenn ihr die Zeitungen der letztendrei Monate haben wollt - die habe ich gebundelt. Ich wolltesie ohnehin zur Mullhalde bringen.

>>Das trifft sich ja grossartig

Als der Mann aufstand, um ins Haus zu gehen, sagte dieFrau: >>Wir konnten auch gleich Syltas Papierkorbausleeren, Walter. Der ist bis obenhin voll. Alles Schnitzel.

>>Schnitzel konnen die Jungs nicht gebrauchen

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Aber Tarzan protestierte wie aus der Pistolegeschossen: >>Doch, doch! Gern! Das nehmen wir auch.Schutten wir’s doch einfach in unseren Plastiksack.

>>Na, gut!

Herr Dinrich brachte drei schwere Stapel und lud sie Karlund Klosschen auf die Gepacktrager. Dann hielt Tarzanden Plastiksack auf und Herr Dinrich entleerte einenkniehohen Papierkorb hinein.

Die Jungs bedankten sich, radelten durchs Dorf,machten auf einem einsamen Feldweg Halt unddurchsuchten - als Erstes - den Inhalt von SyltasPapierkorb.

>>Da ist sie!

Aber jetzt kam erst die Hauptsache: Die Freunderadelten zum Gasthaus, wo Dirk, Jurgen und Sylta sassen.

Das Gesprach an ihrem Tisch verstummte. Ruckartighoben sie die Kopfe, und als sie aufblickten, standenTarzan und seine Freunde schon vor ihnen.

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>>Mit Gesindel wie euch>soll man sich nicht abgeben. Wirsind auch nur gekommen, um euch etwas zu zeigen. Hier!Die Zeitung vom Samstag. Die Ausgabe, aus der ihr dieWorte fur den hinterhaltigen Drohbrief ausgeschnitten habt.Ihr drei! Denn dass diese Gemeinheit nicht nur auf SyltasMist gewachsen ist, durfte klar sein. Ebenso, dass es sichnicht um eine beliebige Zeitung handelt, sondern um dievon den Dinrichs. Sylta war namlich so unvorsichtig, aufdem Rand einer Seite Schallplattentitel zu notieren. In ihrerSchrift. Ebenso hatte sie einen Namensstempeldraufdrucken konnen. Diese Zeitung hier und den Drohbriefhinterlegen wir beim KREISBOTEN. Als Beweis. Ob diedavon Gebrauch machen, ist ihre Sache. Euch aber sageich: Sollte Gabys Hund Oskar auch nur ein Haar gekrummtwerden - solange wir hier sind -, dann rechne ich mit euchab. Und was die beiden Herrn betrifft, kann ichversprechen: Ihr werdet Weihnachten noch nicht aus dem

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Krankenhaus raus sein.

Tarzan schob die Zeitung in seine Brusttasche, drehtesich um und ging hinaus, gefolgt von Klosschen undKarl.Am Tisch liessen sie lahmende Stille zuruck.

Zufrieden mit sich, radelten die drei Freunde zumFerienlager.

>>Geschafft!>Endlich,Tarzan. Oskar ist in Sicherheit.Das Lumpenpack kann nichts mehr unternehmen.

Als sie an einem Depot der Strassenwachtvorbeikamen, legten sie das Altpapier ab. Dann fuhren sieweiter.

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4. Die Rocker

Fast drei Wochen sind wir jetzt an der Nordsee, notierteTarzan am 22. Juli in sein Tagebuch. In dem Ferienlagerbei T. fuhlten wir uns gleich wie zu Hause und unzwischenkennen wir jeden Winkel - auch im Umkreis, einschliesslichder Platze und Ortlichkeiten, wo Zutritt verboten ist.

Zum Beispiel gibt es nordlich von Lasdorf einUbungsgelande der Bundeswehr - Sperrzone -, weil dortmanchmal Munition herumliegt. Oskar, Gabys lustigerCockerspaniel, zwangte sich gestern unter dem Zaun durchund brachte dann eine scharfe Handgranate im Maul. Karlund Klosschen sind gleich hinter einem Baum in Deckunggegangen. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, aber ichkonnte Oskar uberreden, sein Spielzeug herzugeben. Ichstiess dann auf eine Gruppe Bundeswehrsoldaten, denenich die Granate gab. Die haben vielleicht geguckt.

Im Ferienlager - wo nur Kinder und Jugendliche wohnen,alle zwischen zehn und 18 Jahre alt - ist standig was los:Spiele, Wettkampfe, Liederabende beim Lagerfeuer,Grillfeste, gemeinsame Wattwanderungen und andereAusfluge. Aber man hat auch genug Zeit fur sich; undunsere Altersgruppe, die 13- Jahrigen also, ist amschwachsten vertreten. Im Ferienlager nennt man uns diefunf Unzertrennlichen. Gemeint sind Gaby Glockner,genannt Pfote, Willi Sauerlich, den alle unter seinemSpitznamen Klosschen kennen, Karl Vierstein, unser

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Computergehirn, Oskar und ich.

Die Betreuer aus den anderen Hausern reden michmanchmal mit >>Peter>Carsten

Wir dagegen wollen von der Schule nichts horen. Umnicht zu verbloden, genugt es vollig, dass wir beiRegenwetter Schach spielen. Und naturlich lesen wirabends im Bett. Dass Seesonne braunt, wusste ich zwar,aber allmahlich sehe ich aus wie ein Sudlander. SogarKlosschen, unser dicker Vielfrass, hat seineSommersprossen um genau 1072 vermehrt - wie erbehauptet -, so dass er ziemlich nahtlos braun ist. Derlattendurre Karl nimmt beim Sonnen immer die Brille ab;und nachdem sich seine Haut dreimal geschalt hat, kriegter jetzt eine Art Indianer-Blasse, wie er’s nennt.

Gaby - von der an unserer Internatsschule allebehaupten, sie sei das hubscheste Madchen uberhaupt -braunt leicht. Erstaunlich bei einer Blondine mit so blauenAugen. Sie sagt, sie hatte reichlich Pigmente. Ich habedazu genickt - und dann heimlich im Lexikon nachgeguckt.Pigmente sind in Zellen abgelagerter Farbstoff der Haut.Aha! Demnach bin ich ein Pigment-Athlet, aber nur fureuropaische Verhaltnisse. Was ein richtiger Neger ausUganda oder Nigeria ist, der wurde denken: So einblasses Wurstchen!

*

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Sie lagen unter der Eiche im Gras. Es war Mittag. Vomwolkenlosen Himmel brannte die Sonne herab. LauerSommerwind strich uber die wogenden Getreidefelder.Uber der hoch stehenden Wiese gaukelten Schmetterlinge,und Oskar, der faul neben Gaby lag, schnappte trage nacheiner Hummel, die vor seiner Nase summte. Naturlichschnappte er daneben. Aber die Hummel war gewarnt,summte ein argerliches >>Ist-jaschon-gut!

>>Puh!

Da niemand antwortete, machte er wieder >>Puh!>Istwas?

>>Heiss ist es.

>>Mich friert

>>Wir sollten eine Kuhltasche besorgenvor. >>Dannkonnten wir ein paar Flaschen Cola mitnehmen. UndSchokolade, die dann nicht gleich aufweicht.

Wie jeder wusste, war Schokolade seineLieblingsspeise; und Klosschens Bedarf ungeheuerlich.Sogar jetzt, wahrend einer Radtour in die Umgebung, hatteer drei Tafeln mit. Sie steckten in seiner Hosentasche undverwandelten sich langsam in Nougatkreme.

>>Hm.>Sind schon ganz schief. Und aufgeweicht. Ichglaube, ich muss sie gleich essen. Mochte jemand etwas?

>>Schluck Kakao gefallig?

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Aber Klosschen meinte, das ware ubertrieben. So flussigsei die Schokolade nun doch noch nicht. Dann stopfte ersich in den Mund, was hineinging.

Oskar begann horbar zu schnuppern, setzte sich vorKlosschen und bettelte, kriegte aber nichts. Denn fur Hundeist alles Susse buchstablich Gift, zumal sie was gegenZahnbursten haben und nicht mal mit Mundwasser gurgeln.

Fur eine Weile war es dann wieder ganz still unter derschattigen Eiche. Nur das Summen der Bienen lag in derLuft, und die Blatter flusterten, wenn der Wind sie beruhrte.Und die Haselnusse knackten naturlich, wenn sie vonKlosschen zerbissen wurden. Denn seine zweite Tafel warVollmilch-Nuss.

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Eine Stille wie im Klassenzimmer wahrend einerDeutscharbeit, dachte Tarzan. Er hatte die Augengeschlossen. Gaby, die neben ihm lag, beruhrte mit derSchulter seinen Arm. Versehentlich. Ein paar Millimeterruckte Gaby zuruck. Aber eine leichte Beruhrung blieb; undTarzan empfand das uberaus angenehm.

Dass sich hollischer Larm naherte, drang verspatet insein Bewusstsein.

>>He!

>>Wohl keinen Respekt vor der Natur!

Tarzan trennte sich von Gabys sanfter Beruhrung, hobden Kopf und spahte zu dem Feldweg, der jenseits derWiese verlief. Ihr Rastplatz war hinter hohen Halmenversteckt. Sie konnten nicht gesehen werden von derMeute, die sich dort naherte.

Ein Dutzend Typen knatterte, rohrte, drohnte unddonnerte auf Motorradern heran. Jeder gab Gas - auch imLeerlauf -, dass die Luft zitterte. Die Auspuffrohre brullten.Erschreckt fluchtete ein grosser Hase uber den Weg: Esklang, als hatte man ein Motocross- und einSandbahnrennen in die Halle verlegt. Hinzu kamen dieAbgase - als weiteres Argernis.

Tarzan vermeinte einen blaulichen Miefschleier zu sehen,der sich uber den Feldweg legte.

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Die Fahrer waren Jungs, uberwiegend jedenfalls. Aberauch zwei oder drei Madchen sassen am Lenker. MehrereMotorradbraute hockten auf dem Sozius und klammertensich an ihren PS-Piloten fest. Einige gelbe und roteSturzhelme spiegelten das Sonnenlicht. Aber die meistenriskierten Schadelbruch und Mattscheibe und liessenbarhauptig die ziemlich langen Haare flattern. Die Jungsschienen so um die 17 oder 18 Jahre alt zu sein. EinigeMadchen wirkten junger. Gemeinsam war allen - und daswies sie als Gruppe aus: Sie trugen schwarze Jacken mitSchriftzeichen auf dem Rucken.

>>Ho… h… Hohlen… but… Hohlenbut>Was soll denndas bedeuten?

>>Du hast wohl Kakao auf der Pupille>Oder brauchst du‘ne Brille? Hollenbrut - steht da. Und so, finde ich,benehmen sie sich auch.

Die Meute raste vorbei und entschwand hinter denWeizenfeldern. Die Abgase blieben noch. Lange horte manden Larm. Aber dann schluckte die Weite der Landschaftauch das.

>>Meine Damen und Herren, soeben sahen Sie dieHollenbruter in voller Aktion>Himmel, unter denen mochteich kein Motorrad sein. Ist wohl ‘ne Rockerbande, wie?

>>Ich dachte, so was gibt’s nur in der Stadt>Aber dieschlechten Beispiele ahmt man uberall nach - sogar auf

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dem platten Land.

>>Bin froh, dass wir die nicht im Ferienlagerhaben>Aber die hatte man gar nicht aufgenommen, wie?>Schliesslich sind wir ein vornehmes Ferienlager und derService aus der Gulaschkanone ist toll. Jeder hat einFeldbett fur sich - und einen Schrank, in dem er locker einRegencape, eine Jacke und zwei Hemden unterbringt.Aber darauf kommt’s ja nicht an.

Tarzan stand auf. >>Wollen wir weiter?

Ihr Ziel war Lasdorf, wo es im Gasthaus den herrlichstenApfelkuchen gab.

Sie schoben ihre Rader zum Feldweg. Dann strampeltensie in die gleiche Richtung wie vor ihnen die Hollenbrut-Rocker.

Einige Zeit spater, als sie den Kirchturm von Lasdorfbereits sehen konnten, horte Tarzan das Geknatter.

Die Rocker kamen zuruck.

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Eine Staubwolke naherte sich, denn hier war der Wegsandig und nicht mehr mit Gras bewachsen.

>>Oje!

Der Weg wurde ziemlich schmal. Ausweichen konnteman nicht, es sei denn, man wollte durch brusthoheWeizenhalme.

>>Haltet euch hart rechts!>Die sind bestimmtrucksichtslos.

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Oskar, der von Tarzan an der Leine gefuhrt wurde undam liebsten links neben dem Rad lief, wurde auf die andereSeite gezogen.

Dann brausten die Rocker heran - mit unvermindertemTempo: Staubbedeckte Hollenbrut, deren Johlen fast solaut war wie der Larm ihrer Maschinen.

Tarzan hatte sie richtig eingeschatzt. Sie kamen daher,als wurden sie jedes Hindernis uberrollen.

Schon war der Erste vorbei. Ein vierschrotiger Burscheauf einer schweren Maschine folgte. Der machte sich einenSpass - falls man es Spass nennen kann. Mit einemSchlenker nach links streifte er Tarzan.

Ein weniger geschickter Junge ware kopfuber ins Feldgeflogen. Aber Tarzan, der Super-Sportler, konnte seinGleichgewicht wahren.

Das Gluck hatte Gaby nicht.

Tarzan horte, wie sie aufschrie. Obwohl das in demHollenlarm nur ganz schwach zu horen war.

Sofort drehte er sich um. Und sah noch, wie Gaby samtRad in das Weizenfeld kippte.

Er sprang aus dem Sattel, zog Oskar beiseite, sah in dievorbeirasenden, hohnischen Gesichter einiger Rocker undwollte Gaby helfen. Aber sie stand bereits auf.

Dann war der Spuk vorbei. Nur die Luft schmeckte noch

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Dann war der Spuk vorbei. Nur die Luft schmeckte nochwie nach einem Sandsturm in der Sahara.

>>Mistvolk!

Er und Karl standen im Feld und lugten zwischen Ahrenhervor.

>>Die denken wohl, jeder Weg gehort ihnen

>>Hast du dir wehgetan?

>>Einen blauen Fleck gibt’s bestimmt.

>>Ich mochte nicht wissen, was die alles anrichten

Unverschamtes Verhalten ging ihm grundsatzlich gegenden Strich. Aber das Schlimmste, das jemand machenkonnte, war, sich an Gaby zu vergreifen. Und das war ebengeschehen. Der vierschrotige Hollenbrut-Rocker hatteGaby durch seine rucksichtslose Fahrweise vom Radgestossen. Dass sie sich nur geringfugig verletzt hatte, warZufall - und nicht das Verdienst dieses Mistkerls.

Fur einen Moment schloss Tarzan die Augen. Dannwusste er, dass er das Gesicht des Rockersunausloschlich im Gedachtnis hatte.

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Lauf du mir noch mal uber den Weg!, dachte er.

>>Hat Oskar was abgekriegt?

>>Nichts. Er hat nur Angst gehabt wegen des Larms.

Das beruhigte Gaby. Oskars Wohl war ihr wichtiger alsdas eigene. Tiere liebte sie nun mal uber alles - besondersHunde.

>>Ich glaube, die waren dort.

Was Klosschen meinte, schien eine Baracke zu sein.

Sie stand ziemlich dicht am Waldrand, einen reichlichenKilometer vom Dorf entfernt. Ein Weg fuhrte hin. Umgebenwar sie von Wiese. Vor der Baracke bewegten sich etlicheGestalten - offenbar Jugendliche.

Karl hatte seine Brille poliert und augte hinuber.

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>>Rocker sind das nicht

>>Wir konnen ja nachsehen>Der Apfelkuchen imGasthaus lauft uns nicht weg.

Dabei sah er Klosschen streng an. Denn wenn es umden Verzicht auf eine Mahlzeit ging, protestierte ermeistens. Immerhin - jetzt maulte er nicht. Vielleicht hattenihn die drei Tafeln halb flussiger Schokolade fur kurze Zeitgesattigt.

Die vier Freunde fuhren weiter in Richtung Dorf, bogenauf den Weg ab und naherten sich der Baracke.

Sie sah unfertig aus. An einigen Stellen war das Dachnoch nicht gedeckt. Die Wande hatte man aus denverschiedensten Brettern und Bohlenzusammengezimmert. Das Fundament - verwitterterZement - hatte wohl ehemals etwas anderes getragen: EinLagerhaus oder eine Scheune besonders stabiler Art.

Bretterstapel lagen vor der Baracke - und zwei HaufenZiegelsteine.

Jungen und Madchen standen vor dem Bauwerk, etwa15. Irgendwas hatte ihnen die Stimmung verhagelt.

Verbiesterte Gesichter und finstere Mienen sahen denvier Freunden entgegen.

Die Rocker waren hier, dachte Tarzan, aber willkommenwaren sie nicht.

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Wahrend er die letzten Meter radelte, sah er, dass einJunge im Gras lag. Neben ihm kniete ein Madchen. DerJunge hielt sich ein Taschentuch gegen die Nase. Es hatteBlutflecken.

>>Hallo!

Der Junge mit dem Nasenbluten stand sofort auf. Ermochte 15 sein, hatte blonde Locken und einsympathisches Gesicht.

>>Hallo!>Seid ihr den Rockern begegnet?

Tarzan nickte. >>Sie haben uns sozusagen von derStrasse gefegt. Gaby ist gesturzt.>Und ihr?

Der Junge hiess Volker Schmied, das Madchen, dassich um ihn gekummert hatte, Marlene Dolvert. Sie sah nettaus mit ihren kurzen, rotbraunen Haaren, der Stupsnaseund den grossen - immer etwas erschreckt blickenden -Augen. Freundlich wandte sie sich gleich Gaby zu, wahrenddie Jungs von Volker erfuhren, was sich hier tat.

>>Wir>haben uns zu einer Gruppezusammengeschlossen. Die meisten sind aus dem Ort,einige aus den umliegenden Dorfern. Weil’s nirgends einrichtiges Freizeitheim gibt und mancher nicht weiss, was erin den Ferien anfangen soll, wollen wir uns eine eigeneBude bauen. So ne Art Jugendheim.Wo man sich trifft.Wowir bei schlechtem Wetter zusammenhocken konnen.Woman Musik machen kann, denn einige von uns spielen

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Gitarre. Na, ihr wisst schon. Der Bauer, dem dieses Feldhier gehort, hat uns erlaubt, auf dem Fundament was zubauen. In Eigenarbeit machen wir das. Das Material holenwir uns vom Mullplatz. Im Fruhjahr haben wir angefangen.So weit>sind wir. Und dabei hat uns niemand geholfen.

>>Spitze!>Selbermachen ist sowieso das Wahre. Findeich toll.

>>Mein Vater ist Architekt>er hat mir erklart, wie man’saufrichten muss, damit es nicht einsturzt. Wenn wir fertigsind, uberpruft er alles - damit spater kein Ungluck passiert.So weit sind wir auch ganz happy. Wenn nur die Hollenbrut-Rocker nicht waren. Neulich war ein Artikel in der Zeitung.Da wurde die Polizei aufgefordert, endlich was gegendiese Typen zu unternehmen. Geschehen ist nichts. DiePolypen haben selber Schiss, glaube ich. Die furchtenwohl, dass ihnen sonst das Haus angezundet wird oderman ihnen zumindest die Fenster einwirft. Unser Pech ist,dass die Rocker ausgerechnet uns im Visier haben. Dieschikanieren jeden. Weiss der Himmel, warum. Sicherlich,weil sie selber so mies sind, dass sie das auch von allenanderen glauben. Jedenfalls - wir haben den Terrorauszuhalten. Dreimal haben sie uns die Wandeeingerissen. Wir haben sie immer wieder aufgebaut. Unduns vorgenommen, nicht lockerzulassen. Wahrscheinlichsind die nur neidisch, dachten wir, weil sie selbst nichts zuWege bringen. Aber irgendwann - das hofften wir - wird’s

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ihnen langweilig werden, auf uns rumzuhacken. Jetzt bin ichmir da nicht mehr so sicher. Wenn die Putz machen konnen- wie sie’s nennen -, lassen sie keine Gelegenheit aus.Vorhin haben sie uns eine Frist gesetzt.

>>Wofur?

>>Unsere Bude verschandelt die Landschaft, sagen sie.Das konnten sie nicht zulassen. Bis morgen Nachmittag umdrei mussten wir alles niederreissen. Und wegschaffen.Wenn wir’s nicht tun, sollen wir uns gleich die Knochennummerieren. Ich Esel war so unvorsichtig, diesem HeikoMehlsen zu widersprechen. Da…

>>Ist das der Anfuhrer?

>>Ist er. Und der schlimmste Schlager der ganzenGegend. Dreimal flog er wegen Gewalttatigkeit aus seinerLehrstelle raus. Dann wollte ihn keiner mehr haben. Jetzt ister ohne Berufsausbildung. Und naturlich arbeitslos. Nichtmal als Hilfsarbeiter nehmen sie den. Aber von seinemVater - der hat eine kleine Kneipe im Ort - kriegt er genugGeld. Fur seine schwere Honda und fur…

>>Dann weiss ich>welcher Typ das ist. So einVierschrotiger, Bulliger.

>>Stimmt.

>>An Gaby ist er so hart vorbeigefahren, dass siesturzte.

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>>Wenn’s weiter nichts ist>Andere uberfahrt er glatt. Alsich sagte, der Bauer hatte uns erlaubt, hier die Barackeaufzurichten, kriegte ich eine verpasst, dass ichminutenlang k. o. war.

Fur einen Moment herrschte Schweigen.

Tarzan war emport und biss sich auf die Lippen. Prufendsah er in die Runde. Aber in den Gesichtern der Jungenund Madchen war kein Grimm, sondern nur Enttauschungund Trauer. Sie hatten sich gefreut, auf ihr selbstgeschaffenes Jugendheim. Jetzt begriffen sie, dass darausnichts mehr werden konnte.

>>Schade!>Ware schon gewesen. Aber die schlagenuns halbtot, wenn wir weitermachen. Hilfe haben wir nicht.Man kann ja auch nicht erwarten, dass hier standig einPolizist steht und aufpasst.

>>Ihr wollt nachgeben?

Volker hob die Achseln. >>Was bleibt uns denn ubrig!Das nachste Mal kriege ich eins mit dem Schlagring, hatMehlsen mir gedroht. Dann konnte ich mein Gesicht auf derWiese zusammensuchen. Damals habe ich die Sacheangefangen - den Bau hier, meine ich. Jetzt bin ichirgendwie fur uns alle verantwortlich. Mit gutem Gewissenkonnte ich nicht empfehlen, dass wir weitermachen. DieRocker prugeln uns zusammen. Die schlagen auchMadchen.

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>>Dieser Heiko Mehlsen ist also der Anfuhrer

>>Er und sein Unterhauptling Dieter Plaschke. Der ist vomgleichen Kaliber, nur noch bloder. Mehlsen hat naturlichimmer ne Rockerbraut bei sich. Jutta Kranig. Die hat schonzwei

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Jugendstrafen weg wegen Diebstahls. In denAusflugslokalen arbeitet sie manchmal als Bedienung,aushilfsweise. Ich horte, wie sie mal sagte, dass sie sichgern in den Po kneifen lasst, weil’s dann besonders vielTrinkgeld gabe.

>>Ekelhaft>Wie wurdest du Mehlsen einschatzen: Ist derfair, wenn man ihn herausfordert?

>>Wie meinst du das?

>>Tarzan meint>ob Mehlsen die Herausforderung zumZweikampf annehmen wurde, oder ob dann die ganzeHorde uber Tarzan herfiele. Tarzan, um Himmels willen,lass das doch! So was kann nicht immer gut gehen.Einmal… Ich…

Sie stockte. Aus grossen Augen sah sie ihn an, bittend.Im selben Moment wurde sie rot. Weil sie merkte: Alle umsie herum kapierten, wie besorgt sie seinetwegen war.

>>Ach!>Mach doch, was du willst. Machst es ja sowieso.

Tarzan lachelte. >>Du denkst doch da genauso wie ich,Gaby. Wenn man irgendwo helfen kann… Nur hast duhier>nicht genug, um diesen Mehlsen zu vertrimmen.Argumente kapiert der nicht. Aber wenn er eine verpasstkriegt, dammert’s ihm vielleicht.

>>Leider muss der erst noch geboren werden>der demeine verpasst. Mehlsen ist stark wie ein

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Ochse.>Tatsachlich.

Volker sah ihn aufmerksam an. >>Ehrlich, Tarzan, lassdie Finger von dem. Du siehst zwar sehr kraftig aus, aber -Mehl- sen ist schon 18 und ein geubter Schlager. Bist du15 oder 16?

Tarzan grinste. >>13 vorbei.

>>Na, also.

>>Du hast meine Frage noch nicht beantwortet: Mussteich damit rechnen, dass sich plotzlich alle auf mich sturzen?

>>Ich weiss nicht. Bisher war das noch nie notig.Mehlsen ist mit jedem allein fertig geworden. Denk nichtmehr dran!

>>Im Gegenteil!>Und ich werde euch was sagen: DieBaracke bleibt. Morgen um drei Uhr bin ich hier. Sollen dieRocker kommen. Diesem Mehlsen werde ich sagen, es seimeine Baracke; und wenn er was will, soll er’s mit miraustragen - im ehrlichen Kampf. Der Einsatz ist euerJugendheim. Verliere ich, ist es Pech fur uns alle. Gewinneich, sollen die Rocker abziehen und euch kunftig in Ruhelassen. Klar?

Gemurmel wurde laut. Die Mitglieder der Jugendgruppekonnten sich kaum beruhigen.

>>Du bist verruckt

Tarzan lachte. >>Meinetwegen.

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>>Da konntest du auch gleich gegen Muhammad Aliantreten.

>>Nee, nee!>Ganz so ist das nicht. Ihr kennt vielleichtdiesen Mehlsen. Aber von Tarzan habt ihr keine Ahnung.Jedenfalls kann ich euch verraten: Er ist nicht nur stark wieein Panter, sondern auch ein Ass im Judo. Den braunenGurtel hat er bereits - falls ihr wisst, was das bedeutet. Undden schwarzen, also den ersten der Meisterklasse, machter nach den Sommerferien. Dass er die Prufung besteht,ist fur mich vollig klar. Ob es noch irgendwo einen 13-Jahrigen gibt, der den schwarzen Gurtel hat, bezweifle ich.Und wenn Mehlsen schlau ist, lasst er sich hier nicht mehrblicken.

Auf dem Ruckweg fuhren die vier Freunde eine andereStrecke. Der Weg verlief dicht am Wald. Manchmal ragtenZweige weit vor und spendeten Schatten. BesondersKlosschen war dafur dankbar. Er schwitzte wieder mal wieein Affe und brummelte oft vor sich hin.

Oskar, der die Zunge weit herausbaumeln liess, soffzweimal aus kleinen Bachen, und hechelte gewaltig.

Tarzans Gedanken eilten voraus. Er dachte an morgenNachmittag und an das, was ihm bevorstand. Dieser HeikoMehlsen war sicherlich ein brutaler und gefahrlicherGegner. Trotzdem bereute Tarzan seinen Entschluss nicht.

Vor ihnen gabelte sich der Weg. Schrag links fuhrte er

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uber Wiesen und Felder zur Strasse, auf der man dann zumOrt gelangte. Rechts schnitt ein schmaler Weg in denLaubwald. Dort, unter den Baumen, standen zweiMotorrader.

Tarzan stoppte.

Seine Freunde hielten neben ihm.

>>Kommt mir bekannt vor

>>Die schwere Honda>konnte Mehlsen gehoren.

Tarzan nickte. >>Es ist seine. Ich habe mir dieZulassungsnummer gemerkt.

>>Aber nur zwei Maschinen?>Und die anderen?

>>Wahrscheinlich haben sich Mehlsen und noch wer vonden Ubrigen getrennt. Fragt sich nur, weshalb

Die Antwort kam prompt, als hatte er das Stichwortgegeben.

Ein Schuss krachte.

Oskar zuckte zusammen.

Dann fiel ein zweiter Schuss, ein dritter. Nach kurzerPause wurde noch zweimal gefeuert.

>>He, wildern die?

>>Das waren Pistolenschusse>Genauso klangen neulichdie Schusse auf dem Pistolenschiessstand - zu Hause.

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>>Die sind nicht sehr weit weg

>>Geht ein Stuck zuruck!>Versteckt euch unter denBaumen. Gaby, achte drauf, dass Oskar nicht bellt. Notfallsdie Schnauze zuhalten. Karl, nimm bitte mein Rad mit. Ichschlangele mich mal durch die Busche und sehe nach, wasda los ist.

>>Vielleicht ein Duell>Vielleicht bringen Mehlsen undPlaschke sich gegenseitig um.

>>Blodsinn! So bescheuert sind die nicht. Ausserdemhaben sie nur mit einer Pistole geschossen. Also, los!

Tarzan wartete, bis sich seine Freunde versteckt hatten.Dann pirschte er los.

Ein Stuck folgte er dem Waldweg. Die Laubbaumestanden dicht, dazwischen Busche und Farne. Eine richtigeWildnis - ideal zum Anschleichen.

Tarzan verliess den Weg, huschte durch die Busche undbewegte sich lautlos wie ein Schatten.

Nach etwa 200 Metern horte er Stimmen vor sich. EinMadchen lachte.

Durch die Blatter eines dichten Strauchs sah er auf eineschmale Lichtung. Sie war mit kniehohem Gras bestandenund lag etwas abseits vom Weg. Ausserdem schien siesumpfig zu sein, denn der Boden schmatzte, als sich diedrei bewegten: Der bullige Typ, der Gaby im Vorbeifahren

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gestreift hatte - zweifellos Heiko Mehlsen -, ein zweiterJunge von etwa 17 Jahren - knochig, mit pickligem Gesichtund einer Nase wie eine Beil- klinge - und ein Madchen.

Sie hatte rotes Haar. Aber es war gefarbt. Denn amAnsatz des Mittelscheitels wuchs es dunkel nach. Sie trugweisse Jeans und die schwarze Rockerjacke. Ihr Gesichtwar stark geschminkt, allerdings leidlich hubsch, die Stirnjedoch sehr niedrig, was dem Madchen ein primitivesAussehen gab.

Mehlsen stand in der Pose eines Westernhelden mitdem Rucken zur Sonne. In der Hand hielt er eine Pistole.

Jetzt zielte er auf einen etwa 20 Meter entfernten Baum.Der Schuss krachte.

>>Schon wieder ein Treffer!>Du wirst Schutzenkonig,Heiko.

Heiko grinste geschmeichelt. Sein Gesicht erinnerteTarzan an ein rohes Beefsteak und garantiert warMehlsens Gemut nicht viel anders.

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>>Willst du auch mal, Jutta?gefarbten Locken. >>Nee, soeinen Ballermann fasse ich nicht an.

>>Du, Dieter?

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>>Klar.

Plaschke, der Unterhauptling, nahm die Pistole mit derlinken Hand, schoss aus der Hufte und verfehlte den Baum.Argerlich probierte er’s nochmal - uber Kimme und Korn -,aber es ging wieder daneben.

>>Dazu muss man geboren sein>Ich habe noch nievorbeigeschossen.

>>Was machste denn, wenn jetzt wer kommt?>Waredoch blod, wenn man eine Bundeswehrpistole bei unsfindet, die gestern erst geklaut wurde.

Donnerwetter! Tarzan hatte sich fast verschluckt.

Mehlsen lachte. >>Erstens habe ich hier noch neGaspistole in der Tasche. Mit der hatte ich geballert, wurdeich sagen - falls es jemand ist, dem man antworten muss.Polypen. Oder vielleicht ‘n Jager. Jeder andere konntemich kreuzweise. Na ja, und was das Durchsuchen betrifft -den mochte ich sehen, der mich anfasst.

Das Madchen riss gahnend den Mund auf, ohne sich dieHand vorzuhalten. Es sah unmoglich aus.

>>Fahren wir heim!>Das hier ist doch langweilig.

Was Mehlsen antwortete, verstand Tarzan nicht mehr. Erpirschte eilig zuruck.

Seine Freunde kauerten hinter Buschen. Gaby kraulteOskar, damit der Cocker keinen Rabatz machte. Tarzan

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setzte sich ins weiche Moos.

>>Die kommen gleich. Also leise!>So ein Gluck!>Einegeklaute Bundeswehrpistole hat er. Das kann ihn insGefangnis bringen. Wir…>Pst! Da sind sie!

Sie beobachteten, wie die drei abfuhren. Jutta Kranighockte bei Mehlsen auf dem Soziussitz wie ein Affe aufdem Schleifstein. Die Motorrader rohrten in RichtungStrasse, uber einen Weg, der fur Kraftfahrzeuge jeder Art -mit Ausnahme von landwirtschaftlichen Maschinen -gesperrt war.

>>Damit fallt der Kampf morgen aus>Das ist jetzt nichtmehr notig. Eine Anzeige bei der Polizei genugt.

Tarzan schuttelte den Kopf. >>Nein.

>>Nicht? Wieso?

>>Erstens: Es soll nicht aussehen, als wurde ich kneifen.Zweitens: Wenn Mehlsen mit der Polizei Arger kriegt, sindVolker Schmied und seine Freunde noch lange nichtgerettet. Nur wenn man die Rocker einschuchtert, lasst sichihr Terror beenden. Ein besseres Mittel als ihren Anfuhrerlacherlich zu machen, gibt’s nicht. Drittens: Mehlsen hateine Abreibung verdient. Eine Gefangnisstrafe - diewahrscheinlich zur Bewahrung ausgesetzt wird - machtdoch auf den keinen Eindruck. Hochstens, dass sie seinenHass auf die Menschheit noch steigert.

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>>Wenn man dich so hort>konnte man denken, duprugelst dich gern.

>>Du weisst, dass es mir zuwider ist. Judo ist Sport.Dass er sich bei solchen Gelegenheiten als nutzlicherweist, steht auf einem anderen Blatt.

>>Ausserdem>hast du mit deinen Argumenten Recht.Was willst du nun machen?

>>Wir mussen rauskriegen, was es mit dieser Pistoleauf sich hat. Ich frage Herrn Kaus. Die Presse erfahrt’sdoch zuerst, wenn so was passiert.

Herr Kaus war Redakteur beim KREISBOTEN, dermeist- gelesenen Zeitung dieser Gegend. Vor einer Wochehatte Tarzan ihn, Kaus, kennen gelernt. Die beidenverstanden sich. Tarzan konnte mit Hilfe rechnen.

>>Wuff!

>>Machen wir uns auf die Socken!>Oskar ist schonungeduldig.

Durch den heissen Nachmittag radelten sie zur Strasse.Dort war Betrieb. Autos mit Urlaubern pendelten zwischenCampingplatz und Ort hin und her. Die Kinder fuhren zumOrt.

Verlag und Redaktion des KREISBOTEN befanden sichin einem modernen Burohaus dicht bei derFussgangerzone. Wahrend Tarzan zu Herrn Kaus ging,

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beschlossen Gaby, Karl und Klosschen, sich das BierlokalZUR TRANKE anzusehen - wenigstens von aussen. Esgehorte Heiko Mehlsens Vater und lag - wie VolkerSchmied beschrieben hatte - nicht weit von hier.

Herr Kaus war in seinem Buro. Sein hageres Gesichtwirkte noch abgehetzter als beim letzten Mal und in dasstrahnige Haar mischte sich ziemlich viel Grau. Er trug eineBrille mit dicken Glasern und rauchte Pfeife. DerenMundstuck war zerkaut wie ein Hundeknochen ausBuffelleder.

Tarzan wurde mit Handschlag begrusst. >>Setz dich,mein Junge.Wo brennt’s denn?

Tarzan grinste. >>Stimmt es eigentlich, dass gestern beider Bundeswehr Waffen geklaut wurden?

>>Donnerwetter! Woher weisst du das?>Daruber habenwir doch noch gar nichts gebracht!

>>Ich horte was lauten.

>>Wirklich?>Nun mal raus mit der Sprache!

>>Morgen kann ich Ihnen Einzelheiten sagen>Ehrenwort!Wenn ich was rauskriege, erfahren Sie es als Erster. Wiehat sich’s denn uberhaupt abgespielt?

>>Wahrscheinlich kennst du das Ubungsgelande derBundeswehr. Liegt nordlich von Lasdorf. Mit Stacheldrahtist es umzaunt. Aber wer wirklich will, der kann den

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Drahtverhau uberwinden. Ein kleines Lager ist auf demGelande. Bewacht, naturlich. Werkzeuge, hiess es,lagerten dort. Aber jetzt ist rausgekommen, dass ingeringer Menge auch Waffen deponiert sind. Letzte Nachtsind Unbekannte auf der Ruckseite durch ein winzigesFenster eingestiegen, wahrend der Posten vor demEingang vermutlich mit seiner Mudigkeit kampfte. Er hatnichts gehort, nichts gesehen - und soweit man bis jetztfeststellen konnte, fehlen funf Pistolen, ein Nato-Gewehr,mehrere Handgranaten sowie Munition. Schlimm! Manweiss ja nicht, wer das jetzt hat. Kann ein harmloserWaffennarr sein - obwohl er sich damit die Finger verbrannthat. Es konnen aber auch verbrecherische Typen sein. Unddann ist was zu erwarten. Mindestens ein Bankraub. Wennnicht gar ein Anschlag noch schlimmerer Art. Deshalb,Tarzan: Wenn du was weisst, ist es deine Pflicht, diePolizei zu verstandigen.

Tarzan nickte.

>>Also? Weisst du was?

>>Es reicht noch nicht, Herr Kaus, um es weiterzugeben.Aber morgen melde ich mich bestimmt.

Dann ging er zuruck zu seinen Freunden, die unten beider TRANKE auf ihn warteten.

Die Tur zur TRANKE stand offen. Man konntehineinsehen. Der Fernsehapparat in einer Ecke lief, aber

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der Ton war abgedreht. Eine junge Frau lachelte von derMattscheibe herab und bewegte die Lippen. Vier Mannerstanden an der Theke, aber jeder war fur sich - allein mitBier und Schnaps und vollig uninteressiert an derUmgebung. Mehlsen - er musste es sein, denn er hatte dasgleiche Gesicht wie sein Sohn - lehnte hinter der Theke,hatte Glaser poliert, zundete sich jetzt einen Stumpen anund wedelte lange mit dem Streichholz umher, obwohl dieFlamme langst erloschen war.

Die vier Freunde standen auf der anderen Strassenseite,scheinbar in den Aushang eines Zeitschriftenkiosks vertieft.

>>Also, gut>Jetzt wissen wir, wie Mehlsens Vateraussieht. Wie der Sohn. Dasselbe in Grau. Und nun?

>>Ich mochte wissen, wann Heiko auftaucht

>>Der kann doch sonst wann kommen und…

>>Er ist langst da. Seine Maschine steht auf demHof.>Ach!>Tatsachlich.

Das Bierlokal ZUR TRANKE war ein schmalbrustigesHaus in einer Hauserzeile; mit spitzen Giebeln und buntenFassaden. Zwischen der TRANKE und demNachbargebaude befand sich der Durchlass zum Hof.Schmal war er. Ein Auto hatte nicht durchgepasst, auchkein Fuhrwerk. Aber die Honda schaffte es naturlich.

Jetzt stand sie in der schattigen Einfahrt. Im Hintergrund

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begrenzte eine Backsteinmauer den Hof. Uber ihr erhobsich die Ruckfront eines Hauses, das zur Parallelstrassegehorte.

>>Wahrscheinlich wohnen die Mehlsens uber demLokal>und der Rocker ist oben.

>>Dann wird er gleich runterkommen>Seine Jacke hangtnamlich auf dem Gartenstuhl hinter der Maschine. Ichkann’s genau sehen. Vielleicht ist er auf dem Hof. Mochtewissen, was er macht.

>>Schiessubungen

Sie warteten eine Weile.

Als Heiko Mehlsen hemdsarmelig vom Hof herkam,stellten sie sich hinter den Kiosk. Der Rocker trug eine alte,

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stellten sie sich hinter den Kiosk. Der Rocker trug eine alte,abgeschabte Aktentasche mit schwerem Inhalt, zog seineJacke an, schob die Maschine aus der Einfahrt, schnalltedie Tasche fest und fuhr dann - mit massigem Larm - dieStrasse hinunter.

Tarzan sagte: >>Ich seh mal nach.

Er uberquerte die Fahrbahn - an einer Stelle, wo ihn derKneipenwirt nicht sehen konnte.

Ungeniert naherte er sich der Einfahrt.

Zwischen die engen Mauern kam die Sonne wohl nie hin.Es roch modrig. In den Spalten der gefliesten Einfahrtspross mosiger Schimmel.

Tarzan ging auf den Hof. Niemand hinderte ihn.Beobachtet wurde er nur von seinen Freunden.

Die Tur eines Flachbaus stand offen. Leere Flaschen,leere Bierkasten, Kartons und Sperrgut lagen herum.An derRuckseite des Hauses fuhrte eine Treppe zur Kellerturhinunter. Sie war aus Eisenblech. Tarzan druckte auf dieKlinke. Naturlich war abgeschlossen, das kleine Fensterdaneben vergittert.

Als Tarzan durchs Gitter griff und gegen die staubblindeScheibe druckte, glitt das Fenster auf.

Eine Weile starrte er in den halbdunklen Raum, ohnewas zu erkennen. Aber dann hatten sich seine Augeneingewohnt, und er sah die Werkzeuge, die dort auf

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Hobelbank und Holztisch lagen. Offenbar hatte sich derRocker auf seinen verschiedenen Lehrstellen allesBrauchbare zusammengeklaut. Jedenfalls passten dieWerkzeuge nicht zueinander. Einige stammten aus einerKfz-Werkstatt, andere aus einer Tischlerei - und auch vomBau.

Die tarngrune Holzkiste stand in der hinteren Ecke.

Der Deckel war aufgebrochen. Jetzt schloss er nichtmehr und in dem handbreiten Spalt schimmerte esmetallisch.

Tarzan glaubte, die Konturen einer Pistole zu erkennen,war sich aber nicht sicher. Dagegen konnte es keinenZweifel geben wegen des Gegenstandes, der - in eineDecke gewickelt - neben der Kiste lag. Ein Stuck vomGewehrkolben ragte heraus.

>>Was machst du denn fur ein Gesicht?

>>Ich bin in einem Konflikt.

Erwartungsvoll sahen seine Freunde ihn an.

>>Heiko Mehlsen ist der Waffendieb>Und fuhlt sich volligsicher. Hat das ganze Arsenal im Keller abgestellt. Nichtmal versteckt. Und jetzt frage ich mich: Konnen wir unterdiesen Umstanden unsere Mitteilung an die Polizei aufmorgen verschieben?

>>Warum nicht?

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>>Weil Mehlsen die Waffen heute Nacht vielleichtwoanders hinbringt. Dann gibt’s keinen Beweis mehr.Meine Aussage kann doch boswillige Verleumdung sein.

>>Stimmt!

>>Wir mussen es melden>Da hilft nichts. Aber erst kriegtHerr Kaus Bescheid. Das habe ich versprochen.

Tarzan fuhr nicht nochmal zum KREISBOTEN-Verlag,sondern telefonierte von einer Telefonzelle aus. Herr Kauswar verblufft, als er die Neuigkeit erfuhr. Den Rocker kannteer; personlich zwar nicht, aber Heiko Mehlsen war im Ortals gewalttatiger Unruhestifter verschrien - und uber soeinen weiss die Presse naturlich Bescheid.

Eine Viertelstunde dauerte es, bis die vier Freunde beider Polizeistation ankamen. Sie lag am Ortsrand, und wersich nicht auskannte, fand nicht so leicht hin.

Gaby, Karl und Klosschen warteten draussen. Tarzanbetrat das Wachlokal, einen schmucklosen Raum mit zweiTuren im Hintergrund und einer langen Barriere. DerWachtmeister am Schreibtisch blickte auf und nickte,nachdem Tarzan gegrusst hatte.

>>Ich mochte etwas melden>Ich weiss, wo sich dieWaffen befinden, die gestern vom Ubungsgelande derBundeswehr gestohlen wurden.

Der Wachtmeister klappte den Mund auf, schloss ihn

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wieder, legte seinen Bleistift weg und stand auf. >>So?Wirklich?

>>Ich bin durch Zufall darauf gekommen. Das war, als imWald geschossen wurde…

Tarzan erzahlte. Die Schikanen der Rocker gegenVolker Schmied und dessen Freunde liess er unerwahnt -das gehorte nicht dazu.

Funf Minuten spater fuhren zwei Streifenwagen ab.Tarzan sass im ersten und winkte seinen Freunden durchsRuckfenster zu. Sie strampelten hinterher, so gut siekonnten, aber naturlich wurden sie mit Verspatung beimBierlokal eintreffen.

Die Ankunft vor der TRANKE verlief dramatisch. Diebeiden Beamten aus dem zweiten Wagen rannten sofortauf den Hof, um die Kellertur zu bewachen. Ihre Kollegen -ebenfalls zwei - sturmten ins Lokal, wo nur noch ein altlicherZecher an der Theke hockte und trube in sein Glas glotzte.

Tarzan sollte im Wagen bleiben. Aber das ging ihmgegen den Strich.Er wollte horen, wie sich das abspielte,stieg aus und stellte sich neben die Lokaltur, die immernoch offen war.

>>… Nee>mein Sohn ist nicht da. Der kommt auch heutenicht mehr zuruck. Was wollen Sie denn von ihm? Sie sindwohl darauf abonniert, immer die Falschen zu belastigen.Mein Heiko ist ein lieber…

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>>Ein Krimineller ist erbarsch, >>ein Dieb. Aus einemBundeswehr-Depot hat er Waffen gestohlen. Die liegenhinten im Keller. Ja, in Ihrem Keller. Wahrscheinlich gehortIhr lieber Heiko zu einer kriminellen Vereinigung, die sonstwas vorhat. Also, wo ist er?

Der Wirt liess seine dicke Unterlippe hangen und glotzteverdattert. >>Was? Waffen?

>>Wo Ihr Sohn ist, wollen wir wissen! Antworten Sie!>Ichweiss es doch nicht!

>>Was heisst das?

>>Das heisst, dass er mir nichts sagt.Er kommt undgeht, wann er will. Morgen Abend ware er zuruck - das hater gesagt. Ich glaube, er macht mit seinen Freunden eineSpritztour uber Land. Wohin - das wissen siewahrscheinlich selber noch nicht.

>>Offnen Sie jetzt den Keller!

>>Kann ich nicht>Heiko hat die Schlussel. Den zu derinneren Tur. Und den zu der, die auf den Hof geht. Ist seinKeller. Ich misch mich da nicht ein. Seine Werkzeuge hat erdort. Und was er sonst noch so hat. Woher sollte ich dennwissen, dass er Waffen… gestohlene Waffen von derBundeswehr…

Als die Kellertur gewaltsam geoffnet wurde, standen dievier Freunde in der Einfahrt und sahen zu. Nur Oskar zeigte

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geringes Interesse.

Sichergestellt wurden: Das Nato-Gewehr, achtHandgranaten, drei Pistolen und eine erhebliche MengeMunition.

Zwei Pistolen fehlten. Vermutlich befanden sie sich in derabgeschabten Aktentasche, die Heiko Mehlsenmitgenommen hatte.

Jetzt galt es, den Rocker zu finden. Mehlsen, der Vater,schien wirklich nichts zu wissen. Tarzan verwies die Polizeiauf Dieter Plaschke und Jutta Kranig. Aber auch dortgriffen die Beamten ins Leere. Beide waren verschwunden.

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Plaschkes Eltern zuckten die Achseln. Sie hatten keineAhnung, was ihr Sohn trieb; und offenbar interessierte essie auch nicht. Das Madchen lebte allein. Ihre Wirtin, beider sie zur Untermiete wohnte, konnte lediglich mitteilen,die >>Motorradbande

Bei diesen Nachforschungen der Polizei waren die vierFreunde nicht dabei. Aber Tarzan telefonierte zweimalnoch am Abend mit Herrn Kaus und erfuhr, wie es stand.

>>Bis morgen will die Polizei noch warten

>>Bis morgen Abend werden sie hoffentlich kein Unheilanrichten

Er hatte die offentliche Telefonzelle im Haupthaus desFerienlagers benutzt. Zufrieden lachelnd ging er zu seinenFreunden zuruck. Sie sassen im Gemeinschaftsraum.Gaby strickte an ihrem vergissmeinnichtblauen Pullover,der eigentlich langst fertig sein sollte. Karl und Klosschenspielten Schach. Es war die dritte Partie, und Karl brauchtevon Mal zu Mal weniger Zuge, um Klosschen matt zusetzen. Aber der war ein guter Verlierer und meintehinterher immer: >>Dabei sein ist alles.

>>Was grinst du denn so?>Sind die Rocker verhaftet?

>>Eben nicht.

Sie sah ihn argwohnisch an. >>Was ist daran so lustig?

>>Ich stelle es mir so vor: Die karriolen (unsinnig

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herumfahren) durch die Gegend, ubernachten irgendwo -oder auch nicht -, und morgen fallt ihnen ein, dass sie um15 Uhr einen Termin haben: draussen bei Lasdorf, am halbfertigen Jugendheim. Dorthin werden sie ihre Feuerstuhlelenken; und nur wenn sie Pech haben, laufen sie der Polizeiin die Arme. Ich jedenfalls werde beim Jugendheim sein.Versprochen ist versprochen. Volker Schmied und seineFreunde rechnen mit mir. Die lasse ich nicht im Stich.

Gaby seufzte. >>Und ich hoffte, es ginge ohne Prugelei.

>>Was heisst Prugelei? Es geht hochstens um eineDemonstration von Strassenkampf-Technik. So nennen wirdas, was ausserhalb der Matte stattfindet.

>>Und was kommt danach?

>>Danach kommt die Polizei>Ich werde Herrn Kausbitten, dass er sie verstandigt. Aber erst gegen 15 Uhr.Sollten die Rocker uber mich herfallen, weiss ichwenigstens, dass irgendwann Hilfe naht.

>>Wer weiss, ob sich Herr Kaus an deinen Zeitplan halt

>>Ihm bleibt nichts anderes ubrig. Denn verstandigt wirder erst, kurz bevor wir aufbrechen.

Der nachste Tag war sonnig und klar. Tarzan machteFruhsport. Viele der kleineren Kinder sahen ihm zu, als erauf dem Rasen Judo-Rollen drehte, Salto vorwarts undruckwarts vorfuhrte, 80 Liegestutze schaffte und uber 30

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Klimmzuge. Mittags gab’s Rinderbraten mit Kartoffeln undGemuse. Er ass nur das Fleisch, den Rest kriegteKlosschen. Wie ein Mullschlucker nahm er alles auf, wasseine Freunde ubrig liessen.

Um 14 Uhr rief Tarzan den Redakteur Kaus an und teiltemit, er hatte aus zuverlassiger Quelle erfahren, die Rockerwurden sich gegen 15.30 Uhr vor Lasdorf am Waldrandversammeln.

>>Oder hat man sie etwa schon dingfest gemacht?

>>Nicht, dass ich wusste>Jedenfalls werde ich diePolizei uber deinen Hinweis informieren.

In gluhender Sonne fuhren die vier Freunde los. DassGaby mitkam, passte Tarzan uberhaupt nicht. Sobald esgefahrlich wurde, hielt er sie gern aus der Schusslinie. AberGaby meinte emport, das kame nicht in die Tute. Sie hattekeine Angst und wollte dabei sein. Tarzan, der ihrenDickkopf kannte, gab nach.

Um Viertel vor drei kamen sie bei der Baracke an.Tarzan hatte nicht erwartet, die anderen vollzahligvorzufinden. Doch sie waren da, die meisten allerdingsetwas blass um die Nasenspitze.

Volker Schmied hatte vor Aufregung schweissigeHande, als er die vier Freunde begrusste.

>>Ich habe es mir nochmal genau uberlegt, Tarzan>Wir

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konnen nicht verlangen, dass du dich unseretwegen…

>>Kein Wort mehr daruber>Haltet ihr euch zuruck! ImUbrigen: Da sind sie schon.

Er deutete in Richtung Lasdorf. Von dort naherte sich einrohrender Pulk.

Sie wirbelten Staub auf. Ihre Sturzhelme - sofern siewelche trugen - blitzten in der Sonne; und als die Horde aufden Weg zur Baracke einbog, war das Johlen bereits zuhoren.

Sie brausten heran, stoppten, bildeten einen Halbkreis.Die Motoren wurden ausgeschaltet und fur einen Momentklingelte die plotzliche Stille in den Ohren.

Heiko Mehlsens Gesicht war rot, seine Kleidungstaubbedeckt. Er stieg ab. Langsam ging er auf VolkerSchmied zu.

>>Ihr seid ein bisschen im Ruckstand mit eurerAbbrucharbeit. Ich habe gesagt, um drei Uhr ist alles weg.Ihr habt noch knapp zehn Minuten. In der Zeit werdet ihr’swohl kaum schaffen.

Volker antwortete nicht. Sein Gesicht war weiss. Er bisssich auf die Lippen.

>>Hier wird nichts abgebrochen

Gemachlich drehte sich Mehlsen zu ihm um. Er hattekalte Augen, denen Mitgefuhl fremd war. >>Ach nee? Wer

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sagt denn das?

>>Ich.

Mehlsen musterte ihn von Kopf bis Fuss. >>Fur einenKindersarg bist du schon ein bisschen zu gross.Aber ichhabe heute meinen gnadigen Tag. Du wirst mit einemlangeren Krankenhausaufenthalt davonkommen. Aber -nein, nein! - bedank dich nicht.>So gnadig bin ich nun auchwieder nicht. Wehtun wird’s.

Seine Rocker-Kumpane wieherten vor Lachen. Als sichdie Heiterkeit legte, nahm Tarzan seine Uhr ab. Er gab sieGaby zur Verwahrung.

>>Es gibt zwei Moglichkeiten, Mehlsen>Entweder dubist ein feiger Hund, dann brauchen wir nicht weiter zureden. Oder du nimmst meine Herausforderung an. Undhaltst dich an die Bedingungen. Eine Massenschlagereiware doch idiotisch. Machen wir’s wie in alter Zeit. Zweikeilen sich, und der Sieger bestimmt, was geschieht. Wenndu gewinnst, ist es um das Jugendheim geschehen. Bin ichder Sieger, dann wird das Jugendheim weitergebaut, undihr belastigt meine Freunde nicht mehr. Einverstanden?

Mehlsen starrte ihn an. Auch seine Kumpane glaubten,nicht richtig zu horen. Einige Rockerbraute lachten auf.Dann brach Mehlsen in lautes Gelachter aus.

>>Hort euch den Spinner an!>Der will’s nicht andershaben. Also gut, Kleiner. Bin einverstanden. Erst haue ich

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dich zusammen, dann wird die Bude abgerissen. Los,Sohnchen! Wehr dich!

Er stand drei Schritte entfernt. Mit geballten Faustensturmte er auf Tarzan los, ein bulliger 18-jahriger Bursche.Viel grosser als Tarzan war er nicht, aber erheblichschwerer - und das ging sehr zu Lasten seinerSchnelligkeit.

Tarzan wich muhelos aus. Zur Seite geduckt rammte erMehlsen den Ellbogen auf die kurzen Rippen. Das stoppteden Rocker, als ware er gegen eine Wand geprallt. DieAugen quollen hervor. Stocksteif stand er. Aber nur fur eineSekunde.

Dann wurde er wie von Geisterhand gepackt, mit einemSchulterwurf in die Luft gewirbelt und wie ein nasser Sackauf den Rasen geschmettert. Bauchlings blieb er liegen.Doch er war aus hartem Holz. Erstaunlich schnell kam erhoch, mit wutrotem Gesicht. Wie ein Stier griff er Tarzan an- blindlings. Und die zweite Landung vollzog sich. Diesmalhatte Tarzan ihn noch harter geworfen - aber nicht hartgenug. Denn Mehlsen stand auf, japste, bewegte muhsamdie linke Schulter - und sturzte abermals vor.

>>Aller guten Dinge sind drei

Beim dritten Mal bebte der Rasen. Und Mehlsen schrieauf. Spater stellte sich heraus, dass seine Schulter verletztwar. Auch jetzt wollte er sich hochraffen. Aber dazu reichte

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es nicht mehr. Stohnend rollte er zur Seite.

>>Polypen!>Streifenwagen!

Er hatte Recht. Funf Polizeifahrzeuge naherten sich. Drei

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kamen uber den Feldweg, zwei vom Dorf her.

Hastig wurden die Maschinen gestartet. Aber es warschon zu spat. Die Polizeiwagen versperrten die Zufahrtund fur eine Flucht durch wegloses Gelande waren dieMaschinen nicht geeignet. Nur Plaschke wollte zu Fussturmen. Aber Tarzan erwischte ihn am Arm.

>>Du bleibst hier

Und Plaschke fugte sich schlotternd.

Augenblicke spater waren die Rocker umringt.

Eine der Pistolen wurde bei Mehlsen gefunden, diezweite bei Plaschke.

>>Das kommt euch teuer zu stehen>Waffendiebstahl beider Bundeswehr! - da hort der Spass auf. >> Er blickteumher und fragte: >>Wer von euch ist Peter Carsten?

Tarzan hatte sich gern verdruckt. Aber das ging naturlichnicht. Verlegen trat er vor. Dann durften alle mit ansehen,wie ihm der Polizeioffizier die Hand schuttelte.

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>>Das hast du grossartig gemacht, mein Junge>Nur dankdeiner Hilfe konnte dieser schwere Diebstahl so schnellgeklart werden.

Und das Jugendheim bleibt jetzt auch stehen, hatteTarzan am liebsten geantwortet; aber er sagte nichts undsah nur zufrieden zu, wie die Rocker von der Polizeiabgefuhrt wurden.

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5. Rettung in letzter Sekunde

Volle vier Wochen sind wir jetzt hier, schrieb Tarzan am 30.Juli in sein Tagebuch. HIER - das ist immer noch dasFerienlager bei T. Es liegt so dicht am Meer, dass uns dieMowen beim Picknick zusehen. Wenn die Flut der Nordseekommt, horen wir das Klatschen der Wellen. Aber zwischenihnen und uns steht der Deich - Gott sei Dank! Sonst gabees oft nasse Fusse und alle Nichtschwimmer waren schonabgereist.

Ich glaube allerdings: Unter den 200 Kindern undJugendlichen - zwischen 10 und 18 - gibt’s keinenNichtschwimmer. Auch von den Betreuern, den einzigenErwachsenen im Lager, nehme ich an, dass sie sich uberWasser halten konnen. Unser Rasputin, der bartigeStudent, ist allerdings so dunn, dass ich ihm ohneSchwimmweste von einem langeren Bad abraten wurde.Mein Freund Willi Sauerlich, genannt Klosschen, hat’s dabesser. Fett schwimmt oben, heisst es. Und er hat eineWasserlage wie ein Fettauge auf der Fleischbruhe. Dereinzige Vorteil seiner Verfressenheit.

Dass auch schlanke Personen grossartig schwimmenkonnen, beweist Gaby. Sie hat ja mehrere Meistertitel imRuckenschwimmen, und dass man mit 13 Jahren nochsteigerungsfahig ist, weiss jeder. Fur sie scheint’sausserdem ein Schonheitsmittel zu sein, denn sie wirdjeden Tag hubscher. Seewind und Sonne haben ihr

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blondes Haar etwas gebleicht. Das hebt die Braune ihrerHaut hervor - und das Blau ihrer Augen. Sie wirkt auchetwas alter, als sie ist. Jedenfalls redet der Postbote sieimmer mit >>Fraulein Glockner

Was das Schwimmen betrifft, tut sich Karl Vierstein,unser Computergehirn, naturlicherweise etwas schwer. Erist wirklich zu durr. Auch hier hat er nicht zugenommen. Erist eben so ein magerer Typ. Als wir vorige Woche aneinem kuhlen Tag im Hallenbad waren, vergass er, seineNickelbrille abzunehmen.

Ich wollte ihm noch zurufen, aber er hechtete schon miteinem Kopfsprung ins Wasser. Lange haben wir dann nachseinem Nasenfahrrad gesucht. Entdeckt wurde es vonGaby. Und siehe - die Brille war noch heil!

Wahrend wir ins Hallenbad gingen, hat Margit Ploner aufOskar - Gabys schwarz-weissen Cockerspaniel -aufgepasst.Er mag Margit. Und wir mogen Margit. Margitist prima, aber - leider - behindert. Als kleines Kind hattesie Kinderlahmung. Jetzt ist sie 14, also ein Jahr alter alswir, aber sehr schmachtig; und ihre Beine sind so dunn wieGabys Arme. Ganz muhsam nur kann sie sich mit zweiKrucken bewegen; und zwanzig Meter sind eineRiesenstrecke fur sie. Die Krucken benutzt sie eigentlichnur im Haus. Fur draussen hat sie einen Rollstuhl. Einen sogenannten Sportrollstuhl, mit dem Behinderte vieleSportarten ausuben konnen, zu denen man die Beine nicht

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unbedingt braucht. Wie Tischtennis, Bogenschiessen undetliche Ballspiele.

Margit kam vorgestern an. Sie wurde von ihrer Muttergebracht, die aber wieder wegmusste - weil sie keinenUrlaub hat und arbeitet. Margit schlaft in Gabys Zimmer,und die beiden haben sich so schnell angefreundet, dassman eifersuchtig werden konnte. Ich denke mir: Weil Gabyfast immer nur mit uns Jungs zusammen ist, kommen ihreMadchenprobleme manchmal ein bisschen zu kurz. Willsagen: Uber manche Dinge kann eben ein Madchen nurmit einem Madchen reden. Dass sich das Thema dabeimanchmal um mich dreht, habe ich an den Blickengemerkt. Na ja, sollen sie.

Margit sieht nett aus - mit braunem langen Haar und sehrgrossen dunklen Augen. Aber sie hat was Trauriges imBlick. Nicht so sehr wegen ihrer Behinderung - damit hatsie sich abgefunden -, sondern wegen der Herzlosigkeit,mit der andere sie behandeln. Es gibt sogar ein paarIdioten, die sie hanseln. Lothar Habicht aus demNachbarhaus soll der Schlimmste sein. Allerdings - inmeinem Beisein hat er noch keine Lippe riskiert.Er ist zwarein bulliger Typ und etwas alter als ich, aber mir geht hierder Ruf voraus, dass ich ein Judo-Ass bin, was ja auchstimmt. Vorhin erzahlte mir Gaby - und vor Emporunghaben ihre Augen gespruht -, es sei Margits grossterKummer, dass sich - ausser uns - andere Kinder nie um sie

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kummern. Sie wird einfach nicht anerkannt. Das liegt aberauch daran, meine ich, dass sie kein Selbstvertrauen hat.So, jetzt habe ich schon die dritte Seite voll geschrieben.Das genugt. Es regnet mal wieder. Gaby, Margit, Karl undKlosschen sind im Gemeinschaftsraum und machenSpiele. Ich will mal rasch in den Ort radeln und dasnaturwissenschaftliche Monatsmagazin kaufen, das esheute neu gibt. Ausserdem habe ich Japs auf einenMilchmix.

*

In der Cortina-Eisbar war nichts los.

Peter Carsten, genannt Tarzan, trank nur einenMilchshake, gab der Bedienung das Geld und ging hinausin den Nieselregen. Eine Weile stand er an derStrassenecke und kaute seinen Kaugummi mal rechts undmal links. Seine Zeitschrift hatte er unter die Windjackegestopft, wo ihr der Regen nichts anhaben konnte.

Es nieselte bestandig. Tarzans dunkle Locken glanztenbeinahe wie Lack und dicke Tropfen rannen uber seingebrauntes Gesicht. Aber das storte ihn nicht. Er warabgehartet wie ein Eskimo und hatte stahlerne Muskeln.

Seine Aufmerksamkeit galt dem Polizeiwagen.

Er parkte druben auf der anderen Strassenseite. Unddas fiel auf. Denn dort, im Halteverbot, war sonst nie einer.

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Na ja, dachte er, warum sollen die nicht auch mal falschparken.

Er nahm sein Rad, stieg aber nicht auf, sondern schob’sum die Ecke.Im Moment hatte er’s nicht eilig. InsFerienlager kam er immer noch rechtzeitig.

Wahrend er weiterging, steckte er eine Hand in dieTasche, wo sein Munzgeld klimperte. Er zahlte. Blindkonnte er das. Funf Mark und achtzig Pfennig. Der Rest furdiese Woche. Nicht gerade viel, dachte er, wenn manFerien hat und das Wetter verruckt spielt.

Die Strasse, die er jetzt entlangtrottete, war wenigbelebt. Auf dem Bolzplatz im Park stritten tschilpendeSperlinge um aufgeweichtes Futter. Ein paarSpazierganger gingen uber Kieswege und hieltenRegenschirme uber sich. Dann begann eine dichte Hecke,die den Park von der Strasse trennte.

Als Tarzan an der Telefonzelle vorbeikam, hatte seinKaugummi keinen Geschmack mehr. Gezielt spuckte er ihngegen die gelbe Zelle.

Plobb! Der Gummi klebte am Turrahmen.

Dass jemand in der Zelle stand, bemerkte Tarzan erstjetzt. Der Mann hatte es gehort. Mit finsterem Gesichtdrehte er sich um.

Tarzan war schon ein paar Schritte weiter. Aber jetzt

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meldete sich sein Gewissen. Irgendwo hatte er malgelesen, was achtlos weggespuckte Kaugummis fur einePlage sind. Sie verschandeln den Asphalt und lassen sich -erst mal breitgetreten - nur sehr schwer entfernen.

Er machte kehrt, ging zuruck, zog das Silberpapierhervor und zupfte den Kaugummi ab. Den Mann in der Zellelachelte er an, uberzeugt, dass der freundlich nicken wurde.

Aber der hatte Bauchschmerzen oder er war heute mitdem linken Fuss zuerst aufgestanden oder er hielt Sturheitfur eine Tugend - jedenfalls guckte er immer noch grimmig,als hatte der Kaugummi nicht die Zellentur, sondern seineNase getroffen.

Saftheini! dachte Tarzan. Spielt sich auf. Sieht doch,dass ich’s wegmache. Wenn alle…

In diesem Augenblick durchfuhr es ihn wie einelektrischer Schlag.

Dieses Gesicht! Naturlich! Gestern Abend imGemeinschaftsraum hatte er’s im Fernsehen gesehen. Aufeinem Fahndungsfoto der Polizei. Der Kerl wurde gesucht.Wegen Raububerfalls!

Tarzan machte sein Kann-kein-Wasserchen-truben-Gesicht. Langsam wandte er sich ab. Scheinbargleichgultig wickelte er den Kaugummi ins Silberpapier.Dann schob er weiter, ganz locker und unverdachtig,obwohl sein Gehirn auf Hochtouren lief.

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Was jetzt? Sollte er versuchen, ihn festzunehmen? Aberwenn der Verbrecher bewaffnet war…

Die Strasse verlief im Bogen. Dicht stehendeParkbaume verstellten die Sicht.

Hinter der Kurve entdeckte Tarzan den zweitenPolizeiwagen. Er stand am Ende der Strasse. VierPolizisten sassen drin.

Aha! Das also war’s. Sie kreisten den Verbrecher ein.Sein Name…? Wie war doch sein Name? Kolchowski.Richtig!

Das seh ich mir an, dachte Tarzan und bog ab in denPark.

Den Kaugummi schnippte er in einen Papierkorb. Dannlief er entlang der Hecke zuruck.

Bevor er zum Bolzplatz kam, von wo man freie Sicht zurTelefonzelle hatte, horte er den Larm auf der Strasse.

Wagen preschten heran. Reifen kreischten. Turenwurden zugeschlagen. Schnelle Schritte drohnten auf demAsphalt. >>Stehen bleiben! Polizei!

Jetzt wurde es spannend. Tarzan legte einen Zahn zu.Aber dann horte er, wie hinter ihm Zweige knackten.

Er blieb stehen und drehte sich um. Zufallig wurde er vomdicken Stamm einer Kastanie verdeckt. Deshalb konnte ihn

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Kolchowski nicht sehen.

Wie ein Wildschwein war der durch die Heckegebrochen. Er rannte, als ginge es um sein Leben, undzwar genau in die Richtung, aus der Tarzan gekommenwar.

Dem fahre ich nach, dachte der Junge, und springe ihmins Genick.

Dann sah er, wie der Verbrecher stehen blieb und etwasaus der Tasche zerrte. Was es war, liess sich nichterkennen.

Kolchowski warf es in denselben Papierkorb, in dem

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auch Tarzans Kaugummi war, rannte sofort weiter, trat hartauf, dass der Kies zur Seite spritzte, und verschwand hinterden Buschen.

Tarzan sprang auf’s Rad.

Aber sein Eingreifen war nicht mehr notig.

Hinter den Buschen lief Kolchowski der Polizei in dieArme.

Offenbar war das ganze Gebiet abgeriegelt.

Eine scharfe Stimme befahl: >>Hande hoch! Stehenbleiben!

Und dann: >>Es ist aus, Mann!

Dann schrillte eine Pfeife.

>>Wir haben ihn!

Habe ja fast gar nichts gesehen, dachte Tarzan entrustetund lief den Weg zuruck. Immerhin erlebte er noch denletzten Teil der Verbrecherjagd.

Polizisten fuhrten Kolchowski ab. Er war schon mitHandschellen gefesselt und schien sich in sein Schicksalzu fugen. Tarzan sah, wie ihn die Beamten - auch Kripo wardabei - in einen Wagen verfrachteten.

In den Hausern druben wurden Fenster geoffnet.Neugierige steckten die Nasen heraus, als dasPolizeiaufgebot abfuhr. Spater hiess es dann

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falschlicherweise, es hatte eine Riesenschiessereigegeben mit drei Verwundeten. Und als das einige Maleweitererzahlt wurde, wuchs die Zahl der Verletzten. DerZwanzigste, der davon horte, musste den Eindruck kriegen,eine Strassenschlacht hatte sich abgespielt.

Tarzan klopfte nachdenklich mit dem Daumennagelgegen seine kraftigen Zahne.

Verdammt noch mal! Hatte ich’s der Polizei sagensollen?, uberlegte er. Ach was! Wenn’s wichtig ist, kannich’s immer noch abgeben.

Er schob sein Rad zum Papierkorb.

Was hatte Kolchowski hineingeworfen?

Abfall? Bestimmt nicht. Immerhin hatte ihn dieVerzogerung zwei, drei Sekunden gekostet. Und das aufder Flucht!

Tarzan sah sich um. Niemand war in der Nahe - aussereinem in Hut und Regenmantel verpackten Rentner. Dersass auf einer Bank, aber auch die war reichlich 150 Meterentfernt. Und der Opa schien so kurzsichtig zu sein, dass ervon der ganzen Verbrecherjagd nichts mitgekriegt hatte.Wahrscheinlich war er auch schwerhorig.

>>Rauschgift?>Ob’s das ist?

Der Regen hatte nachgelassen. Wind strich durch denPark und schuttelte die Zweige. Unter den Baumen war es

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jetzt feuchter als unter freiem Himmel.

Tarzan beugte sich uber den Papierkorb.

Wespen krabbelten auf Bananenschalen. ZerfledderteZeitungen hatten Regen aufgesogen. In zweiLimonadenflaschen steckten noch die rot-weiss gestreiftenPlastikhalme. Das silbrige Kaugummi-Klumpchen ruhtesich auf einem Butterbrot aus. Aber wo, zum Kuckuck, wardas Zeug von Kolchowski?

Tarzan verscheuchte die Wespen. Argerlich summendverzichteten sie auf Gegenangriff und schwirrten zumnachsten Abfallkorb. Tarzan wuhlte ein bisschen und fand -zwischen einer Zeitung - einen Briefumschlag.

Er war schmuddelig und abgegriffen, ohne Beschriftungund offen.

Verwundert blickte der Junge auf einen zweifachgefalteten, zerknitterten Bogen.

Er glattete ihn. Nach dem ersten Blick auf die seltsameZeichnung krauste Tarzan die Stirn. Was war denn das?Hatte ein Kind im Vorschulalter eine Landkarte gemalt?

Skizzenhaft war der Verlauf der Meereskuste aufs Blattgeworfen, davor der Deich, links ein Fluss mit Brucke,rechts ein windschiefes Gebaude - offenbar vom Einsturzbedroht. Uber dem Gebaude stand GASTHAUS.Aha! Auchdas gestrichelte Moor war nur an seiner Beschriftung zu

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erkennen. Einen Namen trug’s nicht. Aber ein Weg fuhrtedurch. Dahinter war ein bisschen Wald, ein bisschenWiese, ein bisschen Hugel - und am Fuss des Hugelsturmte sich Geroll. Mitten zwischen die Steine wies eingekrummter Pfeil. Vor seiner Widerhaken- spitzebalancierte ein fettes X auf einem Bein: Die Markierung fureine bestimmte Stelle im Geroll.

Tarzan lehnte sein Rad an einen Baum.

Kein Zweifel. Diese Skizze war ein Lageplan.Zu einemVersteck naturlich. War dort die Beute des Raubers?

Von Diamanten war in der Tagesschau die Redegewesen: Diamanten im Wert von 400 000 Mark.

Wo Kolchowski den Uberfall verubt hatte, wusste Tarzannicht mehr. Aber das war unwichtig: Unverkennbar stelltedie Zeichnung das hiesige Gebiet dar - obwohl kein Namedabeistand. Das bedeutete: Das Versteck musste in derNahe sein.

Zur Polizei mit der Skizze?

Bestimmt nicht!, entschied Tarzan. WIR werden dieDiamanten finden. Dann werden sie bei der Polizeiabgeliefert. Das ist spannend. Vielleicht gibt’s eineBelohnung.

Er schwang sich auf sein Stahlross.

In Rekordzeit strampelte er zum Ferienlager zuruck.

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Es war jetzt spater Nachmittag. Der Himmel klarte auf,als Tarzan sein Rad hinter dem Haus abstellte.

Das Ferienlager bestand aus einem Dutzend Hauser.Ringsum dehnte sich schones Gelande nach drei Seiten.Auf der vierten waren der Deich und das Meer.

Tarzan marschierte ins Haus. Sicherlich waren seineFreunde im Gemeinschaftsraum.

Er horte aufgeregte Stimmen. Da schien was los zu sein.Als er die Tur offnete, stiess sie gegen ein lebendesHindernis, das aber sofort zur Seite ruckte.

Tarzans erster Blick fiel auf Margit. Zusammengesunkensass sie in ihrem Rollstuhl. Dicke Tranen kullerten uber ihrhubsches Gesicht.

>>… nicht einbilden, dass du nutzlicher bist!>Du elenderMistkerl!

Offenbar standen die Zeichen auf Sturm. Tarzan trat ein.Wer mit Mistkerl gemeint war, zeigte sich sofort.

Hamisch grinsend stand Lothar Habicht neben der Tur:Ein kraftiger, etwa 15-jahriger Junge mit feistem Gesichtund eng stehenden Augen. Er hatte rotblondes Haar undtrug am liebsten knallrote Pullover.

Jetzt, als er Tarzan sah, rutschte ihm das Grinsen ausdem Gesicht wie eine Schneelawine vom Dach.

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Gaby stand vor ihm, mit flammenden Augen, die Hande indie Huften gestemmt. Hinter ihr hatten sich Karl undKlosschen aufgestellt. Auch sie mit Drohgebarden.Allerdings - im Ernstfall hatten sie gegen Lothar Habicht

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nichts ausrichten konnen.

>>Was ist denn los?

Gabys Zeigefinger zielte auf Habicht. >>Er hat Margitbeleidigt. Rollstuhl-Akrobatin hat er sie genannt.

>>Unter Zeugen?

>>Klar. Eben. Wir haben es alle gehort.

>>Ist nicht wahr> Ich… ich habe mich versprochen. Unddas gar nicht so gemeint. Sie nicht gemeint, meine ich.

>>Jetzt lugst du, weil du Angst hast>Ich habe ihn zurRede gestellt. Mit welchem Recht er denn auf Margitherumhackt? Du glaubst nicht, was er geantwortet hat!

>>Namlich?

>>Margit wurde storen. Sie passe nicht hier insFerienlager, wo nur gesunde Jugendliche waren. Sodachten die meisten; und deshalb ware es das Beste, siewegzuekeln.

Sekundenlang verschlug es Tarzan die Sprache.

>>Das kann nicht dein Ernst sein>Das heisst, dir wurdeich so eine Einstellung zutrauen. Du bist erstens ein Idiot,zweitens bosartig. Aber dass ausser dir noch jemand sodenkt, halte ich fur unmoglich.

>>Frag doch die andern!>Diese… die stort hier dasBild. Wir wollen Ferien machen und nicht dauernd eine im

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Rollstuhl sehen. Wozu ist die denn gut? Sie kann nichts.Sie macht nichts mit. Sie ist zu nichts zu gebrauchen.

>>Jetzt hor genau zu>Der Nachste, der auch nur einenTon gegen Margit sagt, kriegt es mit mir zu tun. Kannst dasjedem bestellen, der so denkt wie du. Dir und deinenGesinnungsgenossen sollte verboten werden, hier imFerienlager zu wohnen. Du kommst zwar auf deinenLaufwarzen schneller voran als Margit, aber auf jedemanderen Gebiet ist sie dir turmhoch uberlegen. Ich wette,beim Schachspielen braucht sie keine zehn Zuge, um dichmatt zu setzen. Sie ist eine hervorragende Schulerin.Tischtennis spielt sie so gut wie ich. Und - was dasWichtigste ist - sie hat Charakter. An der Stelle, wo derCharakter sitzt, ist bei dir nur ein Misthaufen.

Trotzig schob Habicht die Unterlippe vor. >>Das sagstdu. Ich sage, diese Spinatziege ist hier uberflussig und…

Weiter kam er nicht.

Die furchterlichste Ohrfeige, die jemals im Ferienlageram Deich ausgeteilt wurde, landete in Lothar HabichtsGesicht.

Er flog gegen die Tur, schreiend, prallte mit dem Kopfans Holz, schrie noch lauter und hatte Muhe, sich auf denBeinen zu halten.

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Tarzan offnete die Tur, schob Habicht hinaus undverabschiedete ihn mit einem Tritt in den Hintern.

>>Nicht vergessen: Margit steht unter meinem Schutz!

Er schloss die Tur, drehte sich um und versuchte, denbitteren Geschmack in seinem Mund runterzuschlucken.Lachelnd - obwohl ihm innerlich ganz anders zumute war -wandte er sich an Margit.

>>Es gibt Typen, die man auf den Mond schiessensollte. Mir hat neulich mal ein junger Mann erklart, wennjemand in verschiedenen Sportarten so gut ware wie ich,gehe das immer auf Kosten des Gehirns. Wahrscheinlichware ich doof. Nicht mal meine Eins in Mathe konnte ihnvom Gegenteil uberzeugen. Allerdings - ich war nicht sehr

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bemuht, ihn zu uberzeugen. Was so einer denkt, ist mirschnuppe. Da stehst du doch auch meilenweit druber,Margit.

Sie stand nicht druber. Man sah’s. Immer noch kullertenTranen. Und ihre schlanken Finger zitterten.

>>Vielen… Dank, Tarzan!>Wofur denn?

Bevor sich mutlose Stille ausbreitete, sagte Gaby: >>Ichweiss, wie wir Margit helfen. Dass sie tolle Zensuren hat,imponiert keinem.Da sagen die meisten: Na und?Streberin! Aber Schach ist ja hier gross in Mode. Wirveranstalten ein Turnier. Karl spielt ausser Konkurrenz.Denn mit ihm und seinem Computergehirn kann’s ohnehinkeiner aufnehmen. Du, Tarzan, machst am besten gar nichtmit. Mit deinen mathematischen Winkelzugen ist das soeine Sache. Alle anderen ziehen gegen Margit denKurzeren. Sollst mal sehen>wie die dann Respekt vor dirhaben.

Margit seufzte. >>Ich… weiss nicht, ob ich mir daszutraue. Wenn’s darauf ankommt, bin ich immer soaufgeregt.

>>Aber wir sind doch bei dir>Wollen wir das Turnierheute Abend machen? Um 20 Uhr hier imGemeinschaftsraum?

Margit fehlte der Mut. Aber die anderen redeten so langeauf sie ein, bis sie zusagte. Auch Tarzan war uberzeugt,

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dass es klappen wurde. Denn sobald Margit ihrLampenfieber uberwunden hatte, war sie die Konzentrationin Person.

Ausser ihr und den vier Freunden war jetzt niemand imGemeinschaftsraum, wenn man von Oskar absah, derverschlafen unter einem Tisch lag, den Kopf zwischen denPfoten.

Tarzan konnte also mit seinem Geheimnis herausrucken.

>>Mochte jemand von euch bei der Suche nach derBeute eines Raububerfalls mitmachen?>Es sollenDiamanten sein. Wert: 400 000 Mark.

Das schlug ein wie eine Bombe.

Sogar Margit kriegte rote Flecken auf den Wangen, alsTarzan erzahlte.

Gaby war sofort Feuer und Flamme.

Klosschen dachte an den weiten Weg zum Gerollhaufen -vermutlich war es weit, denn bis jetzt wusste ja niemand,wo’s langging - und achzte.

Karl erklarte, dass dem Finder mindestens funf Prozentdes Wertes als Belohnung zustunden. Also 20000 Mark.

Oskar schlief weiter und sagte gar nichts, nicht mal>>Wuff

>>Schade>dass ich bei der Suche nicht mitmachen

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kann.

>>Wieso nicht?>Naturlich machst du mit. Wir wissendoch, wie du mit dem Rollstuhl lospreschen kannst. Wenndir die Arme mude werden, schieben wir dich. Inunwegsamem Gelande sowieso. Abgemacht?

>>Furchtbar gern. Das ware… So was habe ich nochnie… Ein richtiges Abenteuer!

>>Und wenn wir Erfolg haben>springen 4000 Mark furdich raus. Wir teilen namlich immer.

>>Nein, das …

Aber die anderen schnitten ihr das Wort ab,uberstimmten sie; Tarzan war’s, der dann alle wieder aufden Boden der Wirklichkeit herunterholte, indem er sagte,es ware noch ein bisschen fruh, uber ungelegte Eier zureden.

>>Ob Kolchowski einen Komplizen hatte?

>>Richtig!>Das mussen wir einkalkulieren. Im Fernsehenwurde das zwar nicht erwahnt, aber es ist naturlich moglich,dass er die Skizze nicht nur fur sich gemacht hat, sondernfur einen Komplizen. Sehen wir sie uns mal an.

Er setzte sich so, dass Margit mit ihrem Rollstuhl nebenihn konnte. Die andern sahen ihm uber die Schulter.

>>Hm!>Unser Zeichenlehrer wurde ihm ne glatte Sechsverpassen.

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>>Den kunstlerischen Wert kannst du unberucksichtigtlassen>Anschaulich ist sie.

Margit war sekundenlang still. Dann tippte sie auf denGerollhaufen.

>>Ich glaube, ich weiss, wo das ist.

>>Wirklich?

>>Nordlich von Lasdorf.>Hier ist das Dorf. Hier verlaufteine Schnellstrasse. Dort ist ein Rastplatz. Mit meinerMutter war ich dort. Vorigen Sommer. War ein herrlicherTag. Wir sind einem Spazierweg gefolgt. Etwa hier entlang.Bis zu dem Hugel. Dort ging’s nicht weiter. Aber das Gerollhabe ich gesehen. Und spater im Auto habe ich mir dieGegend auf einer Wanderkarte nochmal angeguckt. Es wargenau wie das hier. Das weiss ich genau.

>>Klasse!>Du bist Spitze, Margit. Was taten wir ohnedeine Hilfe?

Das Madchen wurde rot vor Freude.

Karl sagte: >>Wenn Margits Angaben stimmen, wareihre Funftel-Beteiligung zu gering. Sie musste mehr von derBelohnung kriegen.

>>Die Halfte

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Aber diesmal entgegnete Margit mit Bestimmtheit: >>Aufkeinen Fall. Entweder jeder von uns kriegt ein Funftel oderich mache gar nicht erst mit.

Sie meinte es ernst. Die andern merkten es undwidersprachen nicht langer.

>>Wie kommen wir am besten hin?>Da wir kein Autohaben, nutzt uns die Schnellstrasse nichts.

>>Die verlauft auch mehr in diese Richtung.>Fur uns gibtes nur eine Moglichkeit: querfeldein. Uber die Felder unddann durchs Moor.

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>>Bis Lasdorf kennen wir die Gegend ziemlichgenauTarzan. >>Die Wege sind gut. Wie’s dannweitergeht, wird sich rausstellen. Dass wir durchs Moormussen, gefallt mir zwar nicht, aber wir haben schonSchlimmeres geschafft.

>>Wann geht’s los?

>>Fur heute ist es leider zu spat. Ich wurde sagen:Morgen, gleich nach dem Fruhstuck.

Alle waren einverstanden. Und Margit sagte, sie werdevor Aufregung nicht schlafen konnen.

Klosschen, der schon seit Minuten von einem Bein aufsandere trat, marschierte mit zusammengepressten Knienzur Tur. Kaum dass er draussen war, kam er - obwohl ersicherlich dringend verschwinden musste - wieder herein:mit grossen Augen und bebend vor Emporung.

>>Dieser… dieser Mistkerl! Ich glaube, der hatgelauscht.>Habicht?

>>Klar. Er war im Flur. Wie ich die Tur aufmache, sauster zur Haustur raus.Wo er doch hier gar nichts zu suchenhat, sondern im Nachbarhaus wohnt.

Tarzan biss sich auf die Lippen. >>Verdammt! Wirhaben nicht besonders leise gesprochen. Fragt sich, wieviel er gehort hat. Machen konnen wir nichts. Aber ohnediesen Plan hier ist er gar nicht in der Lage, uns die

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Diamanten vor der Nase wegzuschnappen. Also keineAufregung, Leute!

Das war gut gesagt. Ein dummes Gefuhl blieb doch. UndTarzan nahm sich vor, auf Lothar Habicht zu achten.

Klosschen konnte endlich auf die Toilette gehen. Gabyspannte ihre Freunde ein, fur das Schachturnier heuteAbend zu werben. Man beschloss, es auf 19 Uhrvorzuverlegen, weil sonst der Abend zu kurz wurde.Klosschen, der von seinen reichen Eltern grosszugig mitTaschengeld versorgt war, stiftete einen Kasten Cola. Dienachste Stunde verbrachten die vier TKKG-Freunde damit,in den Gemeinschaftsraumen der anderen HauserSchachinteressenten anzusprechen. Eine ganze Mengebeachtlich guter Spieler war da. Die meisten wolltenmitmachen - und sogar funf Betreuer, einschliesslichRasputin, der eigentlich Gunther Berger hiess und Studentwar. Angesichts dieses Andrangs entschloss sichKlosschen, noch einen Kasten Bier zu stiften - fur dieAlteren, immerhin waren viele 17- bis 18-Jahrige darunter,und fur die Betreuer.

Schliesslich standen 32 Teilnehmer fest. In aller Eilewurde zusammengesucht, was das Ferienlager anSchachbrettern zu bieten hatte. Auch kleineReiseschachspiele, bei denen man die Figurenfeststecken muss, wurden aufgestellt. Sechzehn kamenzusammen, so dass samtliche Spitzenspieler des

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Ferienlagers gleichzeitig beginnen konnten. Jeden gegenjeden spielen zu lassen, ware gerecht gewesen. Aber dashatte tagelang gedauert und sollte einem spateren Turniervorbehalten sein. Heute wollte man das K.-o.-Systemanwenden. Das heisst: Wer verliert, scheidet aus. Nur dieSieger spielen weiter.

Aufs Abendessen musste Margit verzichten. Sie war zuaufgeregt und knabberte nur an einem Apfel herum.

Kurz vor 19 Uhr fanden sich die Schachspieler ein. DassLothar Habicht nicht dabei war, versteht sich. Trotzdem -auch einige der andern guckten schief, als Margit undRasputin sich an Brett eins gegenubersassen. Karl, dasComputergehirn, hatte auf seine Teilnahme verzichtet,Tarzan ebenfalls. Dass jeder der beiden einen der erstenPlatze belegt hatte, war klar. Jetzt waren sie interessierteZuschauer - und naturlich mucksmauschenstill, umniemanden in seiner Konzentration zu storen.

Rasputin, ihren netten bartigen Betreuer, hatten dieKinder eingeweiht. Er wusste, dass es darum ging, MargitAnerkennung zu verschaffen, und er fand die Ideegrossartig. Er hatte schon mehrmals gegen das Madchengespielt - und immer verloren, obwohl er kein schlechterSpieler war. Auch jetzt gab er sich ehrlich Muhe; denn eineabgekartete Sache - ein gedokterter Sieg, wie man so wasnennt - hatte Margit nicht froh gemacht.

Rasputin gab sich also Muhe - und beinahe ging’s schief.

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Margit war noch so aufgeregt, dass sie anfanglich Fehlermachte, gleich einen Bauern und dann einen Springereinbusste, wahrend Rasputin eine geschickte Verteidigungaufbaute.

Tarzan, der’s bemerkte, sass wie auf Kohlen. Aber dannwurde Margit zusehends ruhiger und baute eine Falle auf.Tarzan und Karl ahnten, was sie vorhatte, und warfen sichunmerklich Blicke zu. Rasputin merkte nichts. Einige Zugespater war er matt.

Es war die schnellste Partie. Aber dann gingen auchandere zu Ende. Gegen halb acht standen sechzehnSieger fest. Gaby, die sich selbstverstandlich beteiligte,war noch dabei, obwohl Schach - wie auch Mathe - nicht zuihren Starken gehorte. Dafur war sie in Englisch die Beste.

Wieder wurde ausgelost - wie am Anfang -, wer gegenwen spielen sollte. Margit kriegte einen ziemlich leichtenGegner, einen 14-jahrigen Jungen. Er gab auf, bevor ermatt war. Seine Partie stand aussichtslos.

Gaby hatte Pech, geriet an einen der starksten Spieler,einen 18-Jahrigen, und blieb - nach zahem Widerstand -auf der Strecke. Ihre Niederlage war ehrenvoll und deshalbwar Gaby kein bisschen traurig. Aufmerksam verfolgte siedann, wie es mit Margit weiterging, als die nachstenVerlierer - acht naturlich - ausgeschieden waren.

Margit spielte gegen ein dickes Madchen von etwa 17

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Jahren. Die Dicke war fast ebenburtig. Immer langerstarrten beide auf die Schachfiguren, bevor sie sich zumnachsten Zug entschlossen.

>>Tolles Spiel>Konnte das vorweggenommene Finalesein.

Das stimmte. Aber beim nachsten Zug machte das dickeMadchen einen Fehler; und Margit konnte ihr die Damewegschnappen. Dann war es nur noch eine Frage der Zeit,bis Margit gesiegt hatte.

Die Spannung stieg. Nur noch vier Spieler waren ubrig.Keiner der andern hatte den Gemeinschaftsraumverlassen. Ein dichter Kreis umlagerte den Tisch, an demdie letzten Spieler sassen.

Einer der Betreuer kampfte gegen einen alteren Jungen,um ins Finale zu kommen, verlor aber nach spannendemSpiel.

Margit hatte wiederum ein Madchen als Gegner: EineZarte, Rehaugige, in der man kein Schachgenie vermutethatte; Inge hiess sie. Die Partie zog sich hin. Mal schienInge im Vorteil zu sein, mal Margit. Jede hatte drei Bauernverloren, mehr nicht.

Aus den Augenwinkeln beobachtete Tarzan dieUmstehenden. Alle waren gespannt. Aufmerksamverfolgten sie das Spiel. Alle Gesichter drucktenHochachtung aus. Und manchmal, wenn es anders lief, als

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sie sich selbst ausgerechnet hatten, klang unterdrucktesGemurmel auf. In den Blicken, die Margit galten, war keineGeringschatzung mehr. Im Gegenteil. Jeder merkte, was furein intelligentes Madchen die Behinderte war.

>>Selbst wenn sie jetzt verliert>ist das Ziel erreicht.Klasse! Von denen wird sie keiner mehr hanseln. Und weilsich hier Neuigkeiten wie ein Lauffeuer verbreiten, werdenauch alle andern bald wissen, wie Margit einzuschatzen ist.

Tarzans Sorge, Margit konnte verlieren, warunbegrundet. Sie gewann.

Kaum hatte sie >>Matt

Alle klatschten.Es war ein Applaus wie im Theater undMargit - die jetzt erst merkte, dass ihr diese Anerkennunggalt - wurde rot bis hinter die Ohren.

Das letzte Spiel.

Die Freude schien Margits Geist zu beflugeln. Nach nuracht Minuten gab ihr Gegner auf.

Ein Orkan brach los. Hochrufe erschollen. Handestreckten sich Margit entgegen, um sie zubegluckwunschen. Zwei der grosseren Jungs hoben sieaus dem Rollstuhl, Margit wusste kaum, wie ihr geschah,als sie plotzlich auf Peters rechter und Sebastians linkerSchulter sass und im Triumphzug durchs Haus getragenwurde. Und dann noch, weil sich immer mehr Kinder und

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Jugendliche anschlossen, hinaus und in einer grossenRunde durchs ganze Ferienlager.

Dass es draussen schon ziemlich dunkel war, hatteeinen Vorteil: Nur wenige sahen die Freudentranen, dieuber Margits Gesicht kullerten.

Der nachste Morgen war schwul, der Himmel bleifarben,uber dem Meer grummelte es.

Nach einem hastigen Fruhstuck versammelten sichMargit und die vier Freunde vor dem Haus.

Trotz der weiten Strecke, die sie vor sich hatten, liessensie ihre Rader hier. Sie waren nutzlos gewesen, weil mansich Margits Tempo anpassen musste.

Naturlich war Oskar dabei. Gaby fuhrte ihn an der Leine.Wie immer, schnupperte er mit der Nase dicht ubermBoden; und >>hinten freute er sich

Solange sie in Sichtweite des Ferienlagers waren, rollteMargit aus eigener Kraft. Das heisst: Sie fasste die beidenRader ihres Rollstuhls moglichst weit hinten und drehte sienach vorn, was ein regelrechtes Muskeltraining fur Armeund Schultern ist.

Sobald die Gruppe unbeobachtet war, sagte Tarzan:>>Spar deine Kraft, Margit. Wir haben viel vor uns. Ichschiebe dich.

Das wollte sie zwar nicht, aber er liess sich von ihrem

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Protest nicht abschrecken.

Und Gaby sagte: >>Das kannst du ruhig annehmen,Margit. Dass Tarzan schlapp wird, hat noch keiner erlebt.Er ist der beste Volleyballspieler unserer Schule, der besteSprinter, und im Judo wird er sicherlich mal Europameister.Wenn andere schon umfallen, ist er noch nicht mal ausserPuste. Ihm wurde es auch nichts ausmachen, wenn er dichdie ganze Strecke tragen musste.

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>>Stimmt!>Aber damit sich das nicht wie Angabe anhort,gebe ich gern zu, dass ich sehr zu Huhneraugen neige.Also habe auch ich korperliche Gebrechen.

Alle lachten und Margit stimmte frohlich ein.

Uberhaupt: Es war auffallend, wie sie sich seit gesternAbend verandert hatte. Ihr Gesicht wirkte frischer. DieTraurigkeit in ihren Augen war verschwunden und sie sass

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auch viel aufrechter in ihrem Rollstuhl.

Dass gestern der schonste Tag ihres Lebens war, hattesie den vier Freunden immer wieder versichert.

Auch jetzt sagte sie plotzlich: >>Was ihr fur mich getanhabt, werde ich nie vergessen. Ich bin euch so dankbar.

>>Wieso?>DU hast doch gespielt - wie ein Weltmeister.DU hast doch gewonnen. Und gewonnen. Und gewonnen.Wir standen nur dabei und staunten.

>>Aber ihr habt das Turnier veranstaltet.

>>Na ja>Hin und wieder hat auch Gaby eine gute Idee.

>>Hor dir den an, Margit!>Ohne meine Einfalle hattensich die drei Herren schon zu Tode gelangweilt. Und das istder Dank!

>>Hort ihr>jetzt wissen wir wenigstens, weshalb wir nochleben. Sonst waren wir - im zarten Alter von 13 - langstverblichen.

Auch das loste Heiterkeit aus. So ging es weiter. Jedemfiel was Lustiges ein. Und nach einer Stunde hatten siebereits eine beachtliche Strecke zuruckgelegt.

Anfangs waren sie ein Stuck der Strasse gefolgt, diezum Ort fuhrt; dann ging’s vorbei an Wiesen, Weiden undFeldern. Das Korn stand in voller Reife. Und der Laubwaldtrug bereits das dunkle Grun des Spatsommers.

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Etwas spater sagte Tarzan: >>Dreht euch nicht um. Wirwerden verfolgt.

>>Was?

>>Von wem?>Etwa Lothar Habicht?

>>Genau der>Er schleicht zwar wie ein Plattfussindianer,aber ich habe ihn bemerkt. Jetzt ist er hinter demWeizenfeld dort hinten. Was am Rand so rot leuchtet, istkeine Mohnblute, sondern einer von Lothar Habichtswunderschonen Pullis.

>>Bei der Hitze in Wolle>Also habe ich mich nichtgetauscht. Der Schweinebraten hat uns belauscht.>Wasnun?

>>Im Grunde stort er nicht>Aber ich hab’s nicht gern,wenn mich jemand verfolgt. Gleich sind wir im Wald. Dawerden wir ihn erwarten.

Der Feldweg fuhrte zum Wald.

Unter den Baumen war es schattig. Die Vogel sangen.Die Baume standen so dicht, dass man nicht weit blickenkonnte.

Hinter einer Wegbiegung versteckten sich die funf imGebusch.

Oskar wurde von Gaby abgelenkt, damit er denHinterhalt nicht durch Gebell verriet. Tarzan spahte durchdie belaubten Zweige auf den Weg; und Margit war so

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zapplig, dass sie die Hande nicht ruhig halten konnte.

Habicht kam.

Sein roter Pulli leuchtete wie ein Signal.

Der Junge lief geduckt, mit vorgerecktem Kopf. In derHand trug er einen dicken Knuppel.

Als er auf gleicher Hohe angelangt war, trat Tarzanhervor. Habicht erschrak so gewaltig, dass er einenkomischen Sprung machte - ruckwarts.

>>Na, Gevatter>wohin des Weges?>Wie?

>>Wohin du willst, du geistiger Trittbrettfahrer?

>>Nach… ah… das… einfach… gehe einfach nur sospazieren

>>Zufallig genau in unsere Richtung, wie?

>>Ja. Nein. Das heisst… Ich weiss ja nicht, wohin ihrwollt.

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>>Aber ich weiss ganz genau, Habicht, wohin du nichtwillst: In diese Richtung!>Du bist vielmehr wegen deinerweichen Knie und der vielen Blasen an deinen Plattfussenfest entschlossen, dich dorthin zu trollen. >> Tarzan wiesauf den Ruckweg. >>Und damit wir uns richtig verstehen,Habicht: Solltest du uns dennoch nachschleichen, kriegstdu eine geschallert, dass dir die gestrige Ohrfeige wie einGutenachtkuss deiner lieben Mammi vorkommt.

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Habicht verzog das Gesicht. Auf der einen Seite war esziemlich geschwollen.

Dann machte er kehrt und nahm die Beine in die Hand.>>Ich glaube, den sind wir los

Es wurde immer heisser. Aber der Himmel war nichtmehr so grau. Das Gewitter schien voruberzuziehen.

Hinter Lasdorf wurde die Landschaft eintoniger undeinsamer. Hier waren keine Felder und Wiesen, sondernsumpfiger Boden, gestruppreich und unwegsam.

Gegen Mittag erreichten die Kinder das Moor. Hierendete der Weg wie abgeschnitten. Mannshohes Schilfversperrte die Sicht.

Der Weg, den Kolchowski eingezeichnet hatte, erwiessich als kaum fussbreiter Pfad.

>>Endstation>Mit dem Rollstuhl kommen wir hier nichtdurch.

Margit liess sich ihre Enttauschung nicht anmerken.>>Das macht doch nichts. Ich warte, bis ihr zuruck seid.

Tarzan schuttelte den Kopf. >>Auf keinen Fall lassen wirdich allein zuruck.

>>Ich bleibe bei Margit

>>Gut. Aber das reicht nicht. Ausserdem…

>>Naturlich reicht das>Schliesslich sind wir hier nicht von

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Wolfen umzingelt, sondern in einer friedlichen Gegend.Was soll denn passieren?

Tarzan redete sich die Zunge fransig. Er wollte Karl undKlosschen hier lassen. Aber Gaby betrachtete das als eineEinschrankung ihrer Selbststandigkeit und kam mit demArgument, dass es allenfalls beim Beuteversteck gefahrlichwerden konne, Karl und Klosschen also viel nutzlicherwaren, wenn sie Tarzan begleiteten.

>>Mit dir kann man einfach nicht reden

>>Doch, man kann. Aber ich bin kein Baby.

>>Ich kenne kein Baby, das so einen Dickkopf hat.

>>Du kennst uberhaupt kein Baby. Und dickkopfig binich schon gar nicht. Aber du willst deinen Willendurchsetzen - wie uberall.

>>Kommt!>Wir storen. Die Damen wollen unter sichsein.

Als sie uber den Pfad balancierten, rief Gaby ihnen nach:>>Kommt ja nicht ohne die Diamanten zuruck!

Dann lachte sie und sagte leise zu Margit: >>Naturlichweiss ich, dass er’s gut meint. Aber er verhatschelt mich.Das muss ich ihm rechtzeitig abgewohnen. Was soll dassonst spater mal werden!

>>Wieso spater?

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>>Wie? Ach nichts!

Und Margit bemerkte taktvollerweise nichts von GabysVerlegenheit.

Auch der schwierigste Weg ist einmal zu Ende.

Als die Jungs das Moor hinter sich hatten, waren ihreSchuhe schlammig und nass.

Klosschen schwitzte gewaltig und zahlte elfMuckenstiche auf den nackten Armen.

Auch Karl floss der Schweiss von der Stirn.

Tarzan fuhlte sich frisch. Aber er war besorgt. SeineGedanken eilten zu den Madchen zuruck. Dass sie auf sichallein gestellt waren, behagte ihm nicht.

Nur einmal blieben die drei stehen, um den Lageplan zuRate zu ziehen. Sie hatten eine Wiese durchquert. Jetztfuhrte der Weg durch ein Waldchen. Als sie auf deranderen Seite waren, entdeckten sie den Hugel.

>>Als ob er uns zuwinkt>Das Geroll muss auf deranderen Seite sein.

>>Mann! Ist das aufregend!>Wenn wir Gluck haben, sinddie Diamanten noch da.

Den letzten Kilometer legten sie in flottem Tempo zuruck.Dann ging’s den Hugel hinauf. Er war nur 50 Meter hoch,schatzungsweise, und ragte spitz und grun aus der flachen

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Landschaft, als ware die von einer riesigen Wespegestochen worden.

Als sie die Hugelkuppe erreichten, sahen sie das Geroll:Eine Ansammlung kleiner und mittlerer Felsbrocken sowieGesteinssplitter, die sicherlich aus einer Baugrubestammten und hier abgeladen waren. Die Landschaftringsum war mit Buschen und Strauchern bestanden. Einsandiger Fahrweg kam von irgendwoher und endete beimGeroll.

Ein blauer Personenwagen parkte dort unten.

Der Fahrer stand zwischen den Steinen, wandte denJungs den Rucken zu, warf soeben einen Felsbrockenbeiseite, buckte sich abermals und zog eineMetallschachtel von der Grosse einer Zwei-Pfund-Keksdose unter den Steinen hervor.

>>Himmel!>Der Komplize! Es gibt ihn also doch! Michlaust der Affe! Wir sind buchstablich in letzter Sekundegekommen.

Gaby hatte sich inzwischen auf den Boden gesetzt. Einehalbe Stunde war vergangen. Angeregt unterhielten sichdie beiden Madchen. Margit horte deutlich heraus, wie sehrGaby Tarzan mochte - und, dass es umgekehrt sicherlichauch der Fall war. Leider hatte man hier die Luft mitMucken gespickt. Margit schlug um sich. Gaby schlug umsich. Und nach einiger Zeit hatten beide die Nase voll.

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>>Wir haben susses Blut>und die Viecher sindFeinschmecker. Wir sollten uns zuruckziehen.

>>Der Weg, der dort abzweigt>muss nach ungefahreinem Kilometer zur Strasse fuhren. Dort ist irgendwo einKiosk. Wir konnten uns Eis holen oder Limonade. Bis dieJungs zuruckkommen, sind wir langst wieder hier.

>>Klar! Und wenn nicht, dann sollen sie warten.

Sie machten sich auf den Weg. Gaby schob denRollstuhl, und Margit half, so gut sie konnte. Sie folgten demabzweigenden Weg. Anfangs ging es leicht voran. Aberdann sah man, dass er wenig benutzt wurde. Holprig warfsich der Boden auf, struppiges Gras uberwucherte dieFahrspur.

>>Was ist denn das?

>>Sieht aus wie ein Schacht. Oder ein Brunnen.

Neben dem Weg, der jetzt unmerklich anstieg, tat sichein dunkles Loch auf. Faulige Bohlen lagen daneben.Sicherlich war das Loch damit bedeckt gewesen, aberjemand hatte sie beiseite geraumt, wahrscheinlichneugierige Kinder. Das Loch hatte einen Durchmesser vonreichlich drei Metern.

>>Ich guck mal

Sie trat an den Rand.

Es war ein Brunnen. Gemauerte, glatte Wande fuhrten

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hinab. Sie waren mit Moos uberzogen. Fast vier Meterging’s in die Tiefe. Unten schimmerte schwarzes, fauligesWasser.

>>Iiiihhhh!>Ist ja eklig.

Sie drehte sich um.

In diesem Moment geschah das Ungluck.

Eine angriffslustige Wespe - gross wie einKinderdaumen - war plotzlich vor Gabys Gesicht, ganzdicht. Das Madchen erschrak, schlug nach ihr, wich einenSchritt zuruck und trat - ins Leere.

Ein gellender Schrei. Gaby griff um sich. Sie wollte sichnach vorn werfen, aber das Gleichgewicht war schonverloren.

Vor Margits entsetzten Augen sturzte Gaby schrillschreiend in die Tiefe - in den grausigen Brunnen.

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Der Schreck lahmte. Sie tauchte in das faulige Wasser,ging unter, spurte keinen Grund, schnellte hoch, spuckte diewiderliche Bruhe aus, schrie und schrie, begann wie irre imKreis zu schwimmen und sah zu der Offnung des Brunnenshinauf. Kilometerweit schien der Rand entfernt zu sein unddie Mauer ringsum war glatt. Keine Stufen, keine Fugen,nichts, woran man sich festhalten konnte, geschweigehinaufklettern. >>Gaby!

>>Ja. Ich lebe noch. Aber ich komme nicht raus. Und dasWasser ist kalt - und eklig. Bitte, hilf mir!

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>>Ja!>Gaby, mein Gott! Wie soll ich denn… Ich kanndich nicht rausziehen. Ich… Wir brauchen ein Seil. Odereine lange Stange. Aber… Ich habe so wenig Kraft. Esgeht nicht. Und hier ist auch nirgendwo eine Stange. Gaby,ich hole Hilfe. Halt dich irgendwo fest. Bitte, werd nichtschwach. Es ist nicht mehr weit bis zur Strasse. Ich schaffees. Bestimmt!

>>Ich kann ziemlich lange schwimmen!>Wenn’s nur nichtso kalt ware! Bitte, beeil dich!

>>Ja!

Der Weg stieg an. Margit keuchte. So schnell sie konnte,drehte sie die Rader. Einmal drohte der Rollstuhlumzusturzen, aber sie konnte es gerade noch verhindern.Auf halber Strecke glaubte sie, es niemals zu schaffen.Aber die Angst um Gaby gab ihr zusatzliche Krafte.Endlich, nach der schlimmsten Anstrengung ihres Lebens,erreichte Margit die Strasse - fast.

Keuchend hatte sie sich die sanfte Anhohehinaufgekampft. Jetzt hielt sie am oberen Rand einerBoschung. Unten verlief die Schnellstrasse - vier, funf Meterentfernt.

Die Boschung war steil, mit buschigem Gras undniedrigem Gestrupp bewachsen. Nirgendwo konnte manmit einem Rollstuhl hinunterfahren.

Ein Wagen preschte heran. Margit riss die Arme hoch,

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winkte, gestikulierte, schrie. Der Wagen fuhr vorbei. Auchder nachste. Und der dritte. Und der vierte. Im funftensassen Kinder auf der Ruckbank, kleine Kinder. Siewinkten Margit zu. Von der Verzweiflung des behindertenMadchens merkten sie nichts. Ihr Winken wurdemissverstanden. Niemand horte ihr Schreien.

Inzwischen passierte auch bei den Jungens eine Menge.

Bis auf einen Meter war Tarzan heran, ehe der Mann ihnhorte. Blitzartig drehte er sich um.

Tarzan sah in ein brutales Gesicht mit grossporiger Hautund tuckischen Augen.

>>Darf ich um die Schachtel bitten!>Die gehort namlichuns.

>>So?

Millimetergenau traf Tarzans Schuhspitze dasHandgelenk des Verbrechers. Der Kerl brullte auf. DasMesser wirbelte durch die Luft und fiel klirrend auf Steine.Mit einem Wutschrei warf der Mann sich auf den Jungen.Tarzan packte ihn meisterlich und setzte einen Schulterwurfan.

Dass Kolchowskis Komplize nicht auf einer Mattelandete und nicht auf Rasen, sondern auf einerknochenfeindlichen Gerollhalde, das war sein Pech. Unduberaus schmerzlich. Er blieb liegen und ruhrte sich auch

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nicht, als Tarzan ihn nach weiteren Waffen absuchte.

>>Das war gekonnt

>>Ist wohl besinnungslos>Aber der wird wieder zu sichkommen. Unkraut vergeht ja bekanntlich nicht.

Tarzan hob die Metallschachtel auf. Sie war schwer. Undsie liess sich offnen.

Staunend betrachteten die Jungs den funkelnden Inhalt.>>Donnerwetter!>So sehen also 400 000 Mark aus.

>>Du laufst zum Rastplatz>Da ist irgendwo ein Telefon.Verstandige die Polizei. Oder halt jemanden an.Klosschen, du laufst zu den Madchen und sagst, dass eslanger dauern wird. Ich bleibe hier und bewache den Kerl.

Margit, die noch immer auf der Boschung stand, hatte

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keine Tranen mehr und ihre Kehle war heiser vomSchreien. Ihre Arme schmerzten.

Ihr Entschluss stand fest: Sie wurde sich opfern. Egal,wie es ausging. Es gab nur noch eine einzige Moglichkeit,einen Wagen zum Anhalten zu zwingen.

Sie musste sich hinuntersturzen - auf die Strasse.

Dass sie sich verletzen wurde, vielleicht schwer, war klar.Uberfahren wurde man sie nicht. Die Stelle hier konnte vonbeiden Seiten auf weite Strecke eingesehen werden.

>>Wichtig ist, dass ich bei Besinnung bleibe>Dass ichsagen kann, wo Gaby ist.

Dann stiess sie ihren Rollstuhl uber den Rand derBoschung.

Er sauste hinunter. Margit schloss die Augen. Ihr Herzdrohte auszusetzen. Beide Arme hielt sie sich vor Kopf undGesicht. Sie spurte das harte Stauchen der rasendenFahrt.

Jetzt kippte der Rollstuhl nach rechts. Sie schrie auf.Zweige peitschten ihr uber die Arme. Ein brennenderSchmerz im Genick. Ein harter Stoss. Dumpf fuhlte sie denAufprall. Dann wurde sie aus dem Rollstuhl geworfen. Ihrschmachtiger Korper rutschte uber den Asphalt.An Schulterund rechtem Arm wurde die Haut abgefetzt. Klappernd unddrohnend schlitterte der Rollstuhl, auf einem Rad liegend,

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uber die Fahrbahn.

Margit offnete die Augen. Alles schien zu schmerzen.Aber sie lebte. Sie konnte die Arme bewegen, sich sogaretwas aufrichten.

Als riesiges Ungetum donnerte ein Lastzug heran.Hydraulische Bremsen pfiffen. Das Fahrzeug hielt. Zweikraftige Manner sprangen aus dem Fahrerhaus und kamenim Laufschritt.

>>Kindchen! Um Gottes willen! Wie ist das dennpassiert?>Gaby braucht Hilfe!>Sie mussen meineFreundin Gaby retten. Sie ertrinkt.

Indessen hatte Karl die Polizei verstandigt. Als sieeintraf, konnte sie Kolchowskis Komplizen versandfertigubernehmen. Tarzan hatte ihn gefesselt.

Nicht weit von diesem Schauplatz zog einer der Lkw-Fahrer mit einem haltbaren Abschleppseil die volligerschopfte Gaby aus dem Brunnen.

>>Du hast aber eine tolle Freundin>Um fur dich Hilfe zuholen, hat sie ihr Leben riskiert. Hat sich samt Rollstuhl dieBoschung hinunter und auf die Strasse gesturzt. Weil sie’snicht geschafft hatte hinunterzukriechen. Und weil trotz ihresWinkens kein Wagen anhielt.

Gaby konnte nichts antworten.Aber sie brach in Tranenaus.

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Der zweite Lastwagenfahrer hatte sich inzwischen umMargit gekummert. Sie hatte Abschurfungen undPrellungen, aber keine schwere Verletzung.

Gaby wurde von ihrem Retter zum Lastzug gebracht.Dort fielen sich die Madchen in die Arme. Einer der Fahrerging dann durchs Moor zur Gerollhalde, um die Jungs zuverstandigen. Unterwegs stiess er auf Klosschen,informierte ihn und brauchte nicht weiterzugehen.Klosschen machte kehrt und rannte zu Tarzan zuruck.

Der Lkw-Fahrer schmunzelte. Himmel, war das eineBande!

Dass Gaby und Margit von einem machtigen Lastzug insFerienlager zuruckgebracht wurden, hatten sie sich nichttraumen lassen. Tarzan, Karl und Klosschen trafen kurzeZeit spater ein - ebenfalls motorisiert. Ein Polizeiwagensorgte fur ihren Transport.

Was die funf erlebt hatten, sprach sich in Windeseileherum.

Dass Tarzan den Verbrecher uberwaltigt, die Diamantengerettet und damit fur sich und die andern die Belohnungverdient hatte, fanden alle Spitze.

Aber die Heldin des Tages war - Margit.

Ihren Mut und ihre Selbstlosigkeit bewunderten alle.

Auch jene, die das Madchen gestern noch verspottet

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hatten, dachten heute anders von ihr.

- Ende -

Noch ein Tipp: Mit der ISBN-Nummer kann jederBuchhandler das gewunschte Buch direkt fur dich

bestellen, wenn er es nicht am Lager hat.

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Stefan Wolf: Ein Fall fur TKKGDie Jagd nach den MillionendiebenDer blinde HellseherDas leere Grab im MoorDas Paket mit dem TotenkopfDas Phantom auf dem FeuerstuhlAngst in der 9aRatsel um die alte VillaAuf der Spur der VogeljagerAbenteuer im FerienlagerAlarm im Zirkus SaraniDie Falschmunzer vom MausewegNachts, wenn der Feuerteufel kommtDie Bettelmonche aus AtlantisDer SchlangenmenschUfos in Bad FinkensteinX7 antwortet nichtDie DoppelgangerinHexenjagd in LerchenbachDer Schatz in der DrachenhohleDas Geheimnis der chinesischen VaseDie Rache des BombenlegersIn den Klauen des TigersKampf der SpioneGefahrliche DiamantenDie Stunde der schwarzen MaskeDas Geiseldrama

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Banditen im Palast-HotelVerrat im HollentalHundediebe kennen keine GnadeDie Mafia kommt zur GeisterstundeEntfuhrung in der MondscheingasseDie weisse SchmugglerjachtGefangen in der SchreckenskammerAnschlag auf den SilberpfeilUm Mitternacht am schwarzen FlussUnternehmen Grune HolleHotel in FlammenTodesfracht im JaguarBestien in der FinsternisBombe an Bord (Haie an Bord)Spion auf der FluchtGangster auf der GartenpartyUberfall im HafenTodesgruss vom Gelben DrachenDer Morder aus dem SchauerwaldJagt das rote Geisterauto!Der Teufel vom Waiga-SeeIm Schatten des DamonsSchwarze Pest aus IndienSklaven fur Wutawia/Gauner mit der >>Goldenen HandAchtung: Die >>MonstersWer hat Tims Mutter entfuhrt?Stimme aus der Unterwelt

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Herr der SchlangeninselIm Schattenreich des Dr. MubaseLosegeld am HenkersbergDie GoldgraberbandeDer erpresste ErpresserHeisser Draht auf ParadisoEin Toter braucht HilfeWeisses Gift im NachtexpressHorrortrip im LuxusautoSpuk aus dem JenseitsHilfe! Gaby in Gefahr!Dynamit im KofferraumFreiheit fur gequalte Tiere!Die Schatzsucher-Mafia schlagt zuKampf um das Zauberschwert>>DrachenaugeDer bose Geist vom WaisenhausFeind aus der VergangenheitSchmuggler reisen unerkanntDie Haie vom Lotus-GartenHilflos in eisiger NachtOpfer fliegen 1. KlasseAngst auf der AutobahnMorderischer StammbaumIm Wettburo des TeufelsMorderspiel im BurghotelDas Phantom im Schokoladenmuseum

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Mit heisser Nadel Jagd auf KidsDie Sekte SatansDer Diamant im Bauch der KobraKlassenfahrt zur HexenburgIm Schloss der schlafenden VampireIm Kaufhaus ist der Teufel losFrische Spur nach 70 JahrenBei Anruf AngstEin cooler Typ aus der HolleDer Goldschatz, der vom Himmel fielDer Morder aus einer anderen ZeitVergebliche Suche nach GabyIm Schlauchboot durch die UnterweltDie Gehilfen des TerrorsDie gefahrliche Zeugin verschwindetStundenlohn fur flotte GangsterDer Meisterdieb und seine FeindeAuf vier Pfoten zur MillionenbeuteVerschleppt ins Tal DiaboloRaubzug mit dem BumerangDraculas Erben/Todesbiss der schwarzen MambaHinterhalt am Schwarzen FelsNonstop in die Raketenfalle


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