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6. Gemeinsamer DGSP Fachtag am 8. April 2016: Begegnung mit süchtigen Klienten- eine unvermeidbare Herausforderung zum gemeinsamen Handeln Das Stigma Sucht – welche Haltung nimmt die Gesellschaft zu den schweren Verläufen der Abhängigkeitserkrankungen ein?
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6. Gemeinsamer DGSP Fachtag am 8. April 2016:

Begegnung mit süchtigen Klienten- eine unvermeidbare Herausforderung zum gemeinsamen Handeln

Das Stigma Sucht – welche Haltung nimmt die Gesellschaft zu den schweren Verläufen der Abhängigkeitserkrankungen ein?

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Sucht zwischen Tabu und Akzeptanz

Eine ambivalente Beziehungsgeschichte am Beispiel des Alkohols…

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Funktion des Alkohols in der Gesellschaft

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Funktion des Alkohols in der Gesellschaft

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Funktion des Alkohols in der Gesellschaft

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Konsummuster in Zahlen (DHS Jahrbuch 2015)

• 7,4 Millionen Deutsche konsumieren Alkohol in riskanter Weise

• 1,77 Millionen sind abhängig von Alkohol

• 1,6 Millionen konsumieren in schädigender Weise

• Mindestens 14.500 Menschen sterben jährlich an den Folgen (74.000 Todesfälle bedingt durch die Kombination von Alkohol und Tabak)

• Vergleich illegale Drogen: Deutschland gehört mit geschätzten 4,7 problematischen Drogenkonsumenten pro 1.000 Einwohner (ca. 376.000) im Alter von 15 bis 64 Jahren zu den Ländern mit niedrigerer Prävalenz.

• Im Jahr 2013 wurden 1.002 Rauschgifttote (+6%) registriert. Der Altersdurchschnitt der Drogentoten betrug 38 Jahre.

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Risikoarmer Konsum

• Männer: Nicht mehr als 2 Standardgläser Alkohol pro Tag (20g reinen Alkohol)

• Frauen: Nicht mehr als 1 Standardglas Alkohol pro Tag (10g reinen Alkohol)

• Für Männer und Frauen gilt: An mindestens zwei Tagen pro Woche sollte ganz auf Alkoholkonsum verzichtet werden.

• Unter einem Standardglas versteht man: 1 kleines Glas Bier

oder 1 Glas Wein oder 1 Gläschen Schnaps

(Ein kleines Glas Bier (0,25 l) enthält bei einem Alkoholgehalt von ca. 4,8 Vol.-% ungefähr 10 g reinen Alkohol, ein Glas Sekt (0,1 l) mit

einem Alkoholgehalt von 11 Vol.-% enthält etwa 9 g, ein Achtel Glas Wein (0,125 l) mit einem Alkoholgehalt von 11 Vol.-% enthält etwa 11 g reinen Alkohol, mit einem Gläschen Spirituosen (4 cl), etwa einem Schnaps oder Magenlikör, mit einem Alkoholgehalt von ca. 33 Vol.-%, nehmen Sie auch ungefähr 11 g reinen Alkohol zu sich.)

sehr rasch wird die risikoarme Menge überschritten im Rahmen gesellschaftlich noch akzeptierten Konsums

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Konsum in Deutschland

Verbrauch je Einwohner an Bier, Wein, Schaumwein und Spirituosen (Liter)* lt. DHS-Jahrbuch 2015

2000 2005 2010 2012ª 2013b

Bier 125,5 115,3 107,4 107,3 106,6

Wein 19,0 19,9 20,5 20,8 21,1

Schaumwein 4,1 3,8 3,9 4,2 4,0

Spirituosen 5,8 5,7 5,4 5,5 5,5

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Konsum in Deutschland

Alkoholverbrauch je Einwohner in Litern reinen Alkohols (an 13. Stelle in der EU, Beitrittskandidaten, Norwegen und Schweiz – Tschechien, Rumänien, Slowenien bilden „Top3“ )

2000 2005 2010 2012 2013

10,5 10,0 9,6 9,7 9,7b

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Ökonomische Ebene

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Ökonomische Ebene

• Eine gesundheitsökonomische Schätzung für das Jahr 2007 ergab, dass sich die durch den Alkoholkonsum verursachten direkten und indirekten Kosten auf 26,7 Mrd. Euro belaufen

• Steuereinahmen 2013: 3.22 Mrd. €

• Die Alkoholindustrie hat in Deutschland im Jahr 2007 einen Umsatz von 15 Mrd. Euro gemacht

• 50.000 Menschen in Vollzeit in der Alkoholindustrie beschäftigt (150.000 in Teilzeit, ohne Gaststättentätigkeit) Quelle: DHS

• Inanspruchnahme qualifizierter Hilfen bei Alkoholabhängigkeit liegt bei ca. 16% - viele Betroffene nehmen keine Hilfe in Anspruch

• Dem Alkoholkonsum in Europa sind 10,7% aller DALYs (= disability adjusted life years = durch

vorzeitiges Versterben verlorene Lebensjahre, Verlust an Lebensqualität durch das Leben mit Erkrankung und Behinderung ) zuzuschreiben, die durch die Gesamtheit aller Erkrankungen und Verletzungen verursacht werden (Vergleich: illegaler Drogenkonsum 1,0% der globalen Krankenlast (Männer 1,2%; Frauen 0,7%) Verläufe z.T. „dramatischer“)

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Ökonomische Ebene (BW, VW)- Barrieren und Risiken

Sind Gründe für den geringen Erreichungsgrad erkennbar?

• Hausärztliche Versorgung: motivierende Gesprächsführung wirtschaftlich unattraktiv?

• Krankenhausstrukturgesetz

• Psychiatrieentgeltsystem (welche Anreize werden gesetzt? – DRG-Analogie? Sind Alkoholkranke Menschen „attraktiv“ für das „moderne“ Gesundheitssystem? Wenn ja, an welcher Stelle?)

• Haushaltssituation der Kommunen – werden Chancen zur Prävention liegen gelassen?

• Demographische Entwicklung in Deutschland

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Funktion des Alkohols in der Gesellschaft

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Ausflüge in die Literatur

Bernhard Schlink „Die Frau auf der Treppe“

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Ausflüge in die Literatur

J.W. Goethe - West-östlicher Divan : Saki Nameh - Das Schenkenbuch

Trunken müssen wir alle sein... Trunken müssen wir alle sein! Jugend ist Trunkenheit ohne Wein; Trinkt sich das Alter wieder zu Jugend, So ist es wundervolle Tugend. Für Sorgen sorgt das liebe Leben, Und Sorgenbrecher sind die Reben.

Solang man nüchtern ist... Solang man nüchtern ist, Gefällt das Schlechte; Wie man getrunken hat, Weiß man das Rechte; Nur ist das Übermaß Auch gleich zu handen; Hafis, o lehre mich, Wie du's verstanden! Denn meine Meinung ist Nicht übertrieben: Wenn man nicht trinken kann, Soll man nicht lieben. Doch sollt ihr Trinker euch Nicht besser dünken! Wenn man nicht lieben kann, Soll man nicht trinken.

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Ausflug in einen Song von Herbert Grönemeyer

… Alkohol ist dein Sanitäter in der Not Alkohol ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot Alkohol ist das Drahtseil, auf dem du stehst Alkohol, Alkohol Die Nobelszene träumt von Kokain Und auf dem Schulklo riecht's nach Gras Der Apotheker nimmt Valium und Speed Und wenn es dunkel wird, greifen sie zum Glas Was ist denn los, was ist passiert? Ich hab' bloß meine Nerven massiert …

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Funktion des Alkohols in der Gesellschaft

• Hochgradig akzeptiertes Genussmittel

• In zahlreichen sozialen Situationen integriert

• Entspannung in einer beschleunigten Welt

• Stimmungshebend

• Phänomen „Neuroenhancement“

Alkoholimperative Gesellschaft? Gepflegtes Wegschauen /Ignorieren der Konsequenzen einer Überdosierung? Unsichtbare Demarkationslinie auf der ein plötzlicher Umschlag zur Ablehnung erfolgt

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Wie sehen die überschrittenen Grenzen aus?

• Soziale Unangepasstheit: Verletzung von Normen (Zuverlässigkeit, Besitzverhältnisse, Gewalt…)

• Unübersehbare Folgeerkrankungen

• Unübersehbare soziale Folgen

• Extreme soziale Folgen wie die Wohnungslosigkeit

• Verlust von Scham

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Haltungen

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Haltungen

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Haltungen

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Zwischenfazit

• Es ist eine realistische Grundhaltung an den Beispielen erkennbar

• Auf welchen Boden fällt sie jedoch? Woher kommt die Widersprüchlichkeit?

• Gehen wir einige Schritte zurück!

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Medizin- Historisches nach 1945

• WHO definiert Alkoholismus 1952 offiziell als Krankheit

• Am 18. Juni 1968 zieht das Bundessozialgericht nach

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Medizin- Historisches vor 1945

• In Deutschland fanden die ersten stationären Behandlungen in den vom katholischen Kreuzbund gegründeten sogenannten Trinkerheilstätten statt (um 1900)

• Charakter einer Erziehungs- und Besserungsanstalt mit ärztlicher Behandlung

• 1933-1945 Erbgesundheitsgesetz (14.Juli 1933) zur Verhütung erberkrankten Nachwuchses

• Sterilisationen waren gesetzlich zuvor schon geregelt ( Deutschland, aber auch USA seit 1920 in einigen Staaten, Quelle: Pfeifer M 2008)

• Insgesamt muss von etwa 350.000 Betroffenen ausgegangen werden, die bis Kriegsende zwangsweise sterilisiert wurden, darunter auch alkoholabhängige Menschen

• Historiker und Historikerinnen schätzen, dass im sogenannten "Euthanasieprogramm" des Nationalsozialismus 200.000 Menschen getötet (Deutsches Institut für Menschenrechte), auch hier waren alkoholabhängige Menschen unter den Opfern

Auswirkungen auf die Haltung?

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Gefühle und (Ver-) Haltungen gegenüber der schweren Verläufen

Agnes Ebi: „Der ungeliebte Suchtpatient“ (1998) – Auszüge der unbewussten Haltungen • Die aggressive Gegenübertragung und ihre Auswirkungen • Der pädagogisch-erzieherische und sadistische Druck auf den Suchtpatienten

• Die Dämonisierung der Sucht

• Die moralische Verurteilung des Suchtkranken

• Die Heftigkeit, Destruktivität und Aggressivität in der Übertragungs-/Gegenübertragungs-

dynamik und die beruflichen Identitätserschütterungen des Behandlers

• Der Neid in der Gegenübertragung auf den Suchtpatienten

• Die bedrohlich gespürte Nähe zum Süchtigen

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Haltungen

Agnes Ebi: „Der ungeliebte Suchtpatient“ (1998) – Schlussfolgerungen »In der Begegnung mit Suchtkranken spiegelt sich für den Therapeuten auf eigentümliche Art

etwas von der existentiellen Verwundbarkeit unseres Daseins wider, von der Frage nach der Beziehungslosigkeit des Menschen, nach freier Willensbestimmung, nach persönlicher Moral und Schuld, wie das in dichterer Form vielleicht nur noch im Kontakt mit dem suizidalen Patienten erlebt werden kann.»

In der »Ungeliebtheit« und der Ablehnung des Süchtigen findet im Sinne einer Wiederholung

gerade das einen paradoxen Niederschlag, was der Suchtkranke mit seinem oft dramatischen Lebensschicksal dringend brauchen würde - und immer wieder verhindert. Benedetti (1996) drückt das für die Psychosentherapie so aus: Respekt vor der Persönlichkeit des Patienten und »therapeutische Liebe« (in abstinenter Weise) gegenüber einem Vertreter menschlichen Leidens. Genau das erschwert der Suchtkranke dem Therapeuten immer wieder.

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Haltungen

• Die Beziehung zum unbelebten Objekt ist risikoarm im Vergleich zum Wagnis der menschlichen Beziehungen mit all Ihren Unwägbarkeiten (Voigtel R (1996): Die Überlassung an das unbelebte Objekt)

• Sehr frei daran angelehnt: „Die Flasche hat 24 Stunden ein Ohr, ohne eine einzige dumme Frage zustellen…“ - eine Beruhigung für Menschen mit traumatisierenden Beziehungserfahrungen-

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Gepflegtes Hinschauen – ein präventives Must?

• In Deutschland leben schätzungsweise 2,65 Millionen Kinder von alkoholmissbrauchenden oder –abhängigen Eltern und ca. 30.000 - 40.000 Kinder drogenabhängiger Eltern, womit etwa jedes fünfte Kind in einer suchtbelasteten Familie aufwächst.

• Kinder suchtkranker Eltern sind nach heutigem Kenntnisstand die größte bekannte Risikogruppe für spätere Suchtstörungen

• Von den Kindern alkoholabhängiger Eltern entwickeln ca. 33% bis 40% selbst eine substanzbezogene Abhängigkeitserkrankung (Sher, 1991; Windle & Searles, 1990; Klein,2005; Zobel, 2006)

• Ein Drittel (teilweise überlappend mit dem erstgenannten Drittel) zeigt psychische Störungen (z.B. Ängste, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen)

Quelle: Bundesministerium für

Gesundheit, Berlin

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Gepflegtes Hinschauen – ein präventives Must?

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Risiken und Hoffnungen

• Inanspruchnahme qualifizierter Hilfen bei Alkoholabhängigkeit liegt bei ca. 16% - viele Betroffene nehmen keine Hilfe in Anspruch

• Berichte der KK machen deutlich, dass deutlich mehr Fälle in somatischen Abteilungen versorgt werden (ohne Vermittlung qualifizierter Hilfen)

• TACOS-Studie (Rumpf et al. 2000): 24,5% aller abhängigen und 14% der alkoholmissbrauchenden

Menschen werden zumindest einmal im Jahr in einem Krankenhaus behandelt

• Internationale Studien: In sehr unterschiedlich großen Gruppen (n= 35-2001) wurden bei den 18-65 jährigen Männern und Frauen Prävalenzen zwischen 3,0-30,0% ermittelt

• In einer Studie von Freyer et al. (2006), in der mehr als 14 000 Menschen hinsichtlich ihres Alkoholkonsums befragt wurden, zeigten 1166 Menschen eine aktuelle Alkoholproblematik, wovon zwischen 66-72% positiv auf unterschiedliche Formen der Kurzintervention reagierten.

• Herrmann M Symposium AktivA 07.05.2014: NNT 10 für Reduktion der TTM bei Ansprechen der Problematik und NNT 2 für 30-minütige Kurzintervention - SIQ (Strukturiertes Informationsmanagement für hausärztliche Qualitätszirkel) in Sachsen-Anhalt

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Fragen und Konsequenzen

Hält der Umgang mit Abhängigkeitserkrankungen der Gesellschaft einen Spiegel vor ? • Werden schnelle Lösungen und Befriedigungen akzeptiert oder sogar bevorzugt?

• Werden Beziehungen gehäuft nur im Hier und Jetzt stabilisiert zulasten der „Nachhaltigkeit“?

• Alkoholimperative/Alkoholpermissive Gesllschaft?

• Ist Leistungssteigerung durch psychoaktive Substanzen akzeptiert?

• Reagieren wir moralisch, wenn es „zu viel“ wird?

• Macht uns der Abhängige Angst, weil er uns im Grunde auch ähnlich ist?

• Was machen wir mit den 2,65 Mio Kindern?

• Welche Ressourcen haben wir?

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Fragen und Konsequenzen

• Der Alkoholpermission, dem Alkoholimperativ kann kein Alkoholverbot entgegen gesetzt werden

• Die moralische Keule verschärft das „Wegsehen“

• Das Hinschauen sollte sich nicht auf Elternempfehlungen beschränken

• Institutionen haben mehr Chancen, als wir bislang annehmen

• Netzwerke aktivieren

• Kinder benötigen unseren Schutz, Betroffene unsere Hilfe

• Die Studien von Freyer (2006) in Greifswald und von Hermann (2012) in Sachsen-Anhalt machen Mut zur Ansprache

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Haltung zu illegalen Substanzen

• Eine Abhängigkeit von illegalen Substanzen haben nach Hochrechnungen des Epidemiologischen Suchtsurveys insgesamt 376.000 Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren

• Aber: die Generation Mischkonsum entwickelt sich- die gesellschaftliche Bewertung verändert sich (s.a. Neuroenhancement-Debatte und aktuelle Beispiele aus der Politik)

• Diskussion um die Legalisierung von Cannabis (risikoarmer Konsum ab dem 24. Lebensjahr?)

• Partykultur setzt Schwellen herab

• Moralische Bewertung bei hohem Grad der Kriminalisierung oder Verlust an sozialem Halt

• Nische Substitution- welches Stigma haftet den Klienten an? Auch hier: Umgang mit chronischer Erkrankung versus „geben sich keine Mühe“

Reizen wir hier alle Chancen aus?

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Mischkonsum von 2 Substanzen durch Freizeitdrogenkonsumierende in der Schweiz 2013

Mischkonsum von 2 psychoaktiven Substanzen durch Freizeitdrogenkonsumierende während einer typischen Partynacht* in der Schweiz zwischen 2011 und 2013

Quelle: ISGF; ID 385376

Hinweis: Schweiz; 2011 bis 2013; 2.384 Freizeitdrogenkonsumierende

33,8%

24,1%

18%

16,2% 15,6%

14,4%

11,4%

0,0%

5,0%

10,0%

15,0%

20,0%

25,0%

30,0%

35,0%

40,0%

Alkohol + Cannabis Alkohol + Ecstasy Alkohol + Amphetamin Cannabis + Ecstasy Ecstasy +Amphetamin

Alkohol + Kokain Cannabis +Amphetamin

Ante

il der

Konsum

en

ten

Weitere Angaben zu dieser Statistik, sowie Erläuterungen zu Fußnoten, sind auf Seite 8 zu finden.

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Schadenpotential (Quelle DHS)

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


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