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HEUTE IN DER TAZ
KURZWEILIG ChristianeRösingers Buch überihre Busfahrt nachBaku ➤ SEITE 16
GEADELT WolfgangNeskovic will einBundestagsmandatholen. Der Linke wirdvon einem Fürstenunterstützt ➤ SEITE 7
BERLIN Unterkünfte fürAsylbewerber sindüberbelegt – undschließen ➤ SEITE 21
VERBOTEN
Guten Tag,meine Damen und Herren!
Zum NSU-Prozess gegen BeateZschäpe sind 50 Journalistenfest akkreditiert, aber so gutwie keine Vertreter ausländi-scher Medien, keine türkischenZeitungen, aber auch keineNew York Times oder keine BBC.Dafür werden folgende Medienfür eine Vielfalt der Berichter-stattung sorgen: Radio Arabel-la („Der beste Nazirock allerZeiten“), die ThüringerAllgemei-ne („Es geht um uns“) und derMDR mit der Sendung „Bri-sant“ („Alles über Beate Zschä-pes Prozess-Look“). Und einausländischer Sender ist ja da-bei: RTL Niederlande. Womitdie sich qualifiziert haben?
Mit der Erfindung der „BigBrother Show“
om Eise befreit sind Stromund Bä-che leider noch lange nicht in die-sem Jahr, und Goethes Osterspa-
ziergang wirkt anno 2013 wie ein Hohn:Der alte Winter hat sich eben noch nichtin die rauen Berge zurückgezogen, son-dern quält die Frühlingssehnsüchtigen.Aber das hat auch sein Gutes: Es wirdübers Wetter geredet und damit endlichauchwieder über das Thema, das unsereZukunft wie kein anderes bedroht: überdenKlimawandel.
Zuletzt schien der völlig aus den Au-gen verloren zu werden: Beim Atomaus-stieg ging es um die Wettbewerbsfähig-keit der Industrie, bei der Energiewendeum die Strompreise, beim Netzausbau
VumErdkabel. Das großeGanze blieb ver-stellt und dank des Frackings wurde gareinneuer Erdöl-Boomvorhergesagt.
NunaberbibbertEuropaunderinnertsich, dass da ein Problem schlummert:Weltweit sind im Boden 12.000 Gigaton-nenKohlenstoff gespeichert.Werdenda-vonmehrals230Gigatonnenfreigesetzt,erwärmt sich die Globaltemperatur umdurchschnittlich 2 Grad. Was nicht dra-matisch klingt, aber dramatisch ist: DieWissenschaft sagt uns, dass es ab dieserSchwellevölligegalist,obdieMenschheitvernünftig wird und Klimaschutz be-treibt. Jenseits von 2 Grad treten soge-nannteKippmechanismeninKraft. ZumBeispiel der Permafrostboden in Sibiri-
KOMMENTAR VON NICK REIMER ÜBER DEN ANHALTENDEN WINTER
Alle redenvomWetter.Na endlich!en,AlaskaundKanada:Unterdieserdau-ergefrorenen Erde lagernMilliarden Ku-bikmeterMethan,ein22-malsoaggressi-vesKlimagiftwieKohlendioxid. TautderBoden, wird dieses Gift freigesetzt. 4, 5Grad mehr wären die Folge – ohne dassdagegen etwas unternommen werdenkönnte.
Aktuellaber istnichts inSicht,wasunsdiesen Horrortripp erspart: Eigentlichhatte sich die Welt 1997 mit dem Kioto-
Ein Thema, das dieZukunft aller bedroht: dieweltweite Klimaerwärmung
BRRRRR Der eisigeMärz ist eine
Folge der Klimaerwärmung,
sagt die US-Wissenschaftlerin
Jennifer Francis. Das klingt
paradox. Warum es dennoch
möglich ist ➤ Seite 3
Globale Erwärmunglässt Europa zittern
Die gute Nachricht
Ostern soll es wenigstens mini-mal wärmer werden:■ Berlin: tags knapp über null!■ München: Frost nur nachts!■ Hamburg: Montag bis 5 Grad!■ Köln: Montag bis 9 Grad!■ Freiburg: Montag bis 11 Grad(Achtung: mäßiger Pollenflug!)
Foto: plainpicture
AUSGABE BERLIN | NR. 10067 | 13. WOCHE | 35. JAHRGANG MITTWOCH, 27. MÄRZ 2013 | WWW.TAZ.DE € 1,90 AUSLAND | € 1,30 DEUTSCHLAND
Protokollverpflichtet,denTreibhausgas-Anstieg bis 2013 um5 Prozent zu senken.Stattdessen liegen wir heute 40 Prozentdarüber. Statt jetzt deutlich mehr GeldfürdenAusbauderErneuerbarenzumo-bilisieren, streitet die Politik darum, wieder Ausbau abgebremst werden könnte.Argument: Die Mehrkosten sind nie-mandem zumutbar. Dabei hat schon2006 der Report von Nicholas Stern auf-gelistet, dass unser derzeitiger Kurs vielteurer wird. Der ehemalige Weltbank-ChefökonomwarzudemSchlussgekom-men,dass 2GradplusmehrSchädenver-ursachen werden als Weltkrieg eins undzwei zusammen. Gut also, wenn endlichmalwiederdarüber geredetwird.
Fotos oben: Anja Weber; ap
Die tageszeitung wird ermöglichtdurch 12.540 GenossInnen, die indie Pressefreiheit investieren.Infos unter [email protected] 030 | 25 90 22 13Aboservice: 030 | 25 90 25 90fax 030 | 25 90 26 [email protected]: 030 | 25 90 22 38 | 90fax 030 | 251 06 [email protected]: 030 | 25 90 22 22Redaktion: 030 | 259 02-0fax 030 | 251 51 30, [email protected] tageszeitungPostfach 610229, 10923 Berlintaz im Internet:www.taz.detwitter.com/tazgezwitscherfacebook.com/taz.kommune
Das ModellZypern löstPanik aus
BERLINafp/taz |DieEuropäischeZentralbank (EZB) hat Äußerun-genvonEurogruppenchef JeroenDijsselbloem kritisiert, wonachdieMaßnahmen zur Zypern-Ret-tung als Vorbild bei anderen Eu-rokrisenstaaten dienen könnten.„Es war falsch von Herrn Dijssel-bloem, zu sagen, was er gesagthat“, bekräftigte das französischeEZB-Direktoriumsmitglied Be-noîtCoeuréamDienstag.Dijssel-bloem hatte am Montag ange-deutet, die Rettung Zyperns kön-ne künftig bei anderen Euro-krisenstaaten als Vorbild dienen.Börsenkurse waren daraufhineingebrochen, weil neue Zweifelan der Eurorettung aufkamen.Später relativierte Dijsselbloemseine Aussage.➤ Reportage SEITE 5➤ Wirtschaft + Umwelt SEITE 8➤ Meinung + Diskussion SEITE 12
EURO Zentralbank rüffeltEurogruppenchef.Aktienkurse gebennach
NSU-Prozess
ohne türkische
Presse?BERLIN taz | Die Entscheidungdes Münchner Oberlandesge-richts, keinem einzigen türki-schen Medium einen der 50 fes-ten Journalistenplätze im NSU-Prozess zuzusichern, hat zu hef-tigerKritikgeführt.MehrereVer-bände, Politiker und Opferver-treter forderten ein festes Kon-tingent für ausländische Journa-listen, insbesondere aus der Tür-kei und Griechenland. Acht derzehn Opfer der Terrorzelle hattetürkischeWurzeln, eines griechi-sche. Das Gericht verteidigte sei-ne Entscheidung. Laut einerSprecherin wurden die Plätzeausschließlich nach demPrinzip„Wer zuerst kommt…“ vergeben.Dabei erhielten jedoch fast nurdeutscheMedien den Zuschlag.➤ Inland SEITE 6➤ Meinung + Diskussion SEITE 12
Ja, sagt Occupy-Aktivist Michael Levitin. Nein, sagt Globalisierungskritiker Tadzio Müller ➤ Seite 9
Weltsozialforum: Ist das noch wichtig?
DER TAG02 MITTWOCH, 27. MÄRZ 2013 TAZ.DIE TAGESZEITUNG
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HOMO-EHE IN DEN USA
US-Gericht vor historischer WeichenstellungBERKELEY |Fürgleichgeschlecht-liche Paare in den USA steht indieser Woche viel auf dem Spiel:Der Oberste Gerichtshof verhan-delt über die Homo-Ehe. In 40US-Staaten ist schwulen oder les-bischen Paaren eine Eheschlie-ßung bislang verboten. Bei einerAnhörunggesterngingesumdieKlage eines lesbischen Paares,das erreichen will, dass das Ver-bot gleichgeschlechtlicher Ehenin Kalifornien aufgehoben wirdund solche Eheschließungenlandesweit zugelassen werden.Das Verbot war in einem Volks-entscheid von den Wählern be-stätigt worden. Seine Befürwor-
ter machen daher geltend, dasssich das Gericht nicht über einedemokratische Entscheidunghinwegsetzen sollte.
IneinemzweitenFall,derheu-te verhandelt wird, geht es umdas Bundesgesetz zum Schutzder Ehe. Darin ist festgelegt, dassverheiratete gleichgeschlechtli-che Paare – anders als Hetero-Ehepaare – nicht in den Genussvon Steuer-, Renten- und ande-ren Vergünstigungen kommen.In der US-Öffentlichkeit ist indenvergangenen JahreneinMei-nungsumschwung zugunstenvon mehr Rechten für Schwuleund Lesben eingetreten. (ap)
FRAUEN IN AUFSICHTSRÄTEN
ÜberparteilicheEinigkeit für Quote
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ITALIENS STREIT MIT INDIEN
Außenminister Terzitritt zurückROM | Italiens AußenministerGiulio Terzi hat vor dem Hinter-grund der diplomatischen Krisemit Indien wegen zwei unterMordverdacht stehender italie-nischer Soldaten seinen Rück-tritt erklärt. Wegen der Entschei-dung der Regierung, die beidenSoldaten zurück nach Indien zuschicken, trete er zurück, sagteTerzi gestern vor dem Abgeord-netenhaus in Rom. „Ich bin seit40 Jahren der Meinung, dass dieEhrhaftigkeit des Landes, derStreitkräfte und der Diplomatiegeschützt werdenmüssen.“ (afp)
17-jährigerMultimillionär
er Internetkonzern Ya-hoohat einenneuenMit-arbeiter: den gerade ein-mal 17-jährigen Briten
Nick D’Aloisio. Reich ist er nochdazu. Dennder inWimbledon le-bende Schüler hat eine iPhone-Appentwickeltunddiesenunfürviel Geld an den US-amerikani-schen Internetkonzern verkauft.Der Tech-Blog „All Things D“ be-zifferte den Kaufpreis auf knapp30MillionenDollar (rund 23Mil-lionen Euro). Weder Yahoo nochD’Aloisio bestätigten jedoch dieSumme.
Die Anwendung für Smart-phones und Tablet-Computermit demNamen „Summly“ fasstNachrichtentexte aus dem Inter-net inmaximal 400 Zeichen lan-ge Übersichtstexte zusammen.Die App durchsucht Artikel nachbestimmten Kriterien, sodassNutzerInnen in kurzer Zeit ab-schätzen können, ob sie der Textinteressiert. „Summly“ wirddemnächst in Yahoo-Produkteintegriert, im Internet ist sie nunnichtmehr erhältlich.
Besonders Smartphone-Nut-zerInnen wollen sich unterwegsschnell über viele Themen infor-mieren – lange Artikel werdennur selten gelesen.
Nick D’Aloisio war gerade ein-mal 15 Jahre alt, als er eine ersteVersion von „Summly“ entwi-ckelte.Aufdie IdeekamderSchü-ler, als er auf Prüfungen lernteund sich bessere Zusammenfas-sungen von Texten im Netzwünschte. Das nötige Geld fürdie Entwicklung bekam er vongroßen InvestorInnen, die aufden jungen Programmierer auf-merksamwurden. So etwa von LiKa-shing, einem Milliardär ausHongkong, von SchauspielerAshton Kutcher oder von derKünstlerin Yoko Ono.
Obwohl Nick D’Aloisios ElternkeinebesonderenTechnikkennt-nisse haben, brachte sich ihrSohnmit 12 Jahren das Program-mieren selbst bei. Knapp andert-halb Jahre Schule hat er jetztnoch vor sich und wird künftigneben dem Pauken auf die Ab-schlussprüfungen im LondonerYahoo-Büromitarbeiten.Danachmöchte er studieren. Am liebs-ten Philosophie.
Was er mit dem vielen Geldmachenwill,weißer auch schon:Einen neuen Computer undTurnschuhe will er haben. EinGroßteil der Summe wird in ei-nen Treuhandfonds fließen, denseine Eltern verwalten. Für neueTurnschuhe sollte es dennochreichen. MICHAELA ZISCHEK
D
HAMBURG |EineGruppevonAb-geordneten aus Regierung undOpposition will nach einem Be-richt der Zeit im Bundestag ge-meinsam für das Gesetz zurFrauenquote in Aufsichtsrätenstimmen. Bekomme die Initiati-ve am 18. April eine Mehrheit,werde ein Entwurf des LandesHamburg Gesetz, wonach derFrauenanteil in Aufsichtsrätenbis 2018 auf 20 und bis 2023 auf40Prozentsteigensoll, sodieZei-tung. Im Bundesrat hatte derHamburger Antrag bereits eineMehrheit gefunden. (epd)
AnalysierenAbwägenDiskutieren
In einer mobilen Gesellschaftgibt es Flugzeuge – und dem-nach auch Krach. Ist Leben ohneFluglärm denkbar? DiskutierenSie mit – auf taz.de/streit
STREIT DER WOCHE!
PORTRAIT
Der millionenschwere Nick D’AloisioFoto: reuters
NACHRICHTEN
Das sind ja schönePläne: Imgan-zenLandwerden innerhalbeinesMonats viele Nichtregierungsor-ganisationen von diesen Kon-trolleuren, die wie Überfallkom-mandos auftreten, aufgesucht.Eine konstruktive Zusammenar-beit von Behörden und NGOssieht anders aus.Was bedeuten diese Überprü-fungen fürMemorial?Dem Staat gefällt nicht, dass wirso leben und handeln, wie wir esfür richtig halten, und dass wirmit unserer Arbeit Einfluss aufdie Gesellschaft und die Macht-haber nehmen. Offensichtlichnimmt man uns als Bedrohungwahr. Die Machthaber registrie-
ren die wachsende Unzufrieden-heit in der Gesellschaft und ver-suchen, uns für die Missständeverantwortlich zu machen. Un-ser Ansehen leidet unter diesenÜberprüfungen. Viele nehmenuns nun als seltsameOrganisati-on wahr, in der Hausdurchsu-chungenstattfinden,die ihrGeldaus dem Westen bezieht. Immerhäufigerwird die Vermutung ge-äußert, wir würden für die CIAarbeiten.Wie reagiert ihr unmittelbaresUmfeld?Kürzlich wollte ein Anwalt vonseinem Kollegen wissen, warumer eigentlich noch für Memorialarbeite. Angesichts der jüngsten
„Man nimmt uns als Bedrohung wahr“KONTROLLE Das Gesetz zu ausländischen Agenten ist Propaganda gegen NGOs, sagt die Memorial-Vorsitzende Gannuschkina
taz: Frau Gannuschkina, habenSie die Überprüfungen erwar-tet?Swetlana Gannuschkina: Ja, istdoch Memorial eine von elf Or-ganisationen, die sich an den Eu-ropäischen Menschengerichts-hof gewendet habenmit der For-derung,unsalspotenzielleOpferdes sogenannten Gesetzes zuausländischen Agenten anzuer-kennen. Gleichzeitig sind wir alseine der führenden Menschen-rechtsorganisation schon langeim Blickfeld der Behörden.Wie sind diese Überprüfungenabgelaufen?Die Behörden sagen, diese Über-prüfungen seien vorab geplant.
Hausdurchsuchungen, so derAnwalt,müssemandochnunda-vonausgehen,dassdieseOrgani-sation in der nächsten Zeit ge-schlossen werde. Das Gesetz zuausländischen Agenten hat dochnur eine Funktion: Es ist Propa-ganda gegen uns. Und mit denÜberprüfungen hat man derStimmung gegen uns weiterenVorschub geleistet.Was soll derWesten tun?Vom Westen erwarte ich mir So-lidarität. Doch das ist wahr-scheinlich vergeblich. Denn derWesten zeigt schon lange, dassihm seine Interessen wichtigersind als seine Werte. Durch seinNichreagieren ist er mit dafür
verantwortlich, was hier abläuft.Dabei müsste der Westen dochbegriffen haben, dass er von ei-ner großen Nähe zu Putin nichtshat. INTERVIEW: BERNHARD CLASEN
ten Moskauer Staatsanwälte undSteuerfahnder die SPD-naheFriedrich-Ebert-Stiftung (FES)ins Visier genommen. Bei derFES ließen sich die Kontrolleurestundenlang Dokumente zeigen,dort soll es etwas ruppiger zuge-gangen sein. Auch die FES wurdevon der Staatsanwaltschaft ein-
bestellt. Beide Stiftungen ver-mieden es, die Durchsuchungenan die große Glocke zu hängen.Wohl um ungestört weiterarbei-tenzukönnen.AmDienstagmel-dete sich jedoch der KAS-Vorsit-zende Hans-Gert Pöttering zuWort: „Diese Behinderung unse-rer Arbeit kann auch zu einer Be-lastung unserer Beziehungenmit Russland führen“.
Jens Siegert von der Böll-Stif-tung in Moskau wies daraufhin,dass es sichumkeineRazzienge-handelt habe, sondern um Prü-fungen im Rahmen des Gesetzesüber Nichtregierungsorganisati-
onen. Die Böll-Stiftung wurdebislang verschont. „Wir sind un-sere Bücher noch mal auf Flüch-tigkeitsfehler hin durchgegan-gen“, sagt Siegert. Mehr könneman nicht tun. Dennoch handlees sich weniger um Routineprü-fungen denn um Einschüchte-rungsversuche. Die Arbeit derwestlichen Stiftungen ist Kreml-chef Wladimir Putin seit langemeinDorn imAuge. Erhält dieNie-derlassungen für Agenturen, dienur imLandesind,umanseinemSturz zu arbeiten. Der Kremlchefhat sich von seiner Geheim-dienstvergangenheit nie befrei-
Putin lässt prüfenRUSSLAND Staatsanwaltschaft und Steuerbehörden durchsuchen Unterlagen und Räume deutscher Stiftungen
AUS MOSKAU
KLAUS-HELGE DONATH
Die CDU-nahe Konrad-Adenau-er-Stiftung (KAS) in Sankt Peters-burg bekam am Dienstag uner-warteten Besuch. Beamte derStaatsanwaltschaft und Fahnderder Steuerbehörde standenplötzlich vor der Tür. Sie warenjedoch höflich und gaben einenFragenkatalog zu Mitarbeiternund Programm der Stiftung ab.Außerdem forderte sie einenVertreter der KAS auf, bei derStaatsanwaltschaft zu erschei-nen. Vor zehn Tagen schon hat-
en können. Bislang richtete sichdas Misstrauen indes mehr ge-genbritischeundUS-Einrichtun-gen. Die deutschen galten alsumgänglich. Die eigentlichenAdressaten der Durchsuchun-gen sind denn auch die russi-schen Partner der ausländischenStiftungen. Seit Wochen läuft ei-ne Aktion gegen zivilgesell-schaftliche Einrichtungen lan-desweit. Bis zu2.000wurdenseitAnfangMärz bereits untersucht.
Letzte Woche war es die be-kannte Moskauer Menschen-rechtsorganisation Memorial,die von Beamten der Staatsan-waltschaft und einem Fernseh-team des denunziatorischen TV-Kanals NTW im Schlepptauheimgesucht wurden. Montagfolgte das Moskauer Büro vonAmnesty International. Dieplötzliche Umtriebigkeit der Be-hördengeht auf eineAnordnungKremlchef Putins zurück. Derhatte im Sommer einGesetz ver-abschieden lassen, wonach sichrussische, vom Ausland mitfi-nanzierte NGOs als „ausländi-sche Agenten“ registrieren las-sensollten. SeitNovember istdasGesetz inKraft, ohnedass sichei-ne einzige NGO die Zuschrei-bung „Agent“ zugelegt hätte.
Überdies hatte das Justizmi-nisterium Zweifel laut werdenlassen, dass sich das Gesetz invorliegender Fassung umsetzenließe. Es stünde sogar in Wider-spruch zur sonstigen Gesetzge-bung. Jurist Putin beschwertesich daraufhin beim Geheim-dienst und seitdem sind die Hä-scher unterwegs. Aus der Masseder konfiszierten Dokumentelasse sich genügendMaterial fin-den, das sich gegen unliebsame
NGOs im Bedarfsfall auchverwerten ließe, vermu-tet ein Aktivist.Auch Greenpeace, hier bei einer Aktion in Moskau gegen die Ölförderung in der Arktis, könnt bald Besuch vom Staat bekommen Foto: afp
THEMADES TAGES
Die Arbeit der west-lichen Stiftungen istPutin seit langemein Dorn im Auge
Foto: Bernhard Clasen
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........................................................................................................................................................................................................Swetlana Gannuschkina
■ Die 71-Jährige ist Vorstandsmit-glied von Memorial International
und Vorsitzendeder Moskauer
OrganisationKomitee Bür-gerbeteili-gung.
MITTWOCH, 27. MÄRZ 2013 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 03SCHWERPUNKT www.taz.de
Klima Ist der eisige März eine Folge der Klimaerwärmung? Wie
kann das überhaupt möglich sein? Und ist das wirklich so?
Wenig Eis, viel Schnee und KälteWETTERBERICHTE Klimaforscher wollen Zusammenhänge zwischen der Eisbedeckung in der Arktis und dem kaltenMärz entdeckt haben. Der Deutsche Wetterdienst ist skeptisch. Der Winter sei insgesamt nicht zu kalt gewesen
BERLIN taz |Drohtder langeWin-terdiedeutscheWirtschaft zube-einträchtigen? Das meint zu-mindest der Deutsche Industrie-und Handelskammertag. Auf2 Milliarden Euro bezifferte An-fang der Woche der Chefvolks-wirt des Kammertages, Alexan-der Schumann, den Schaden. Da-mit könne sich der erwarteteWirtschaftsaufschwung verzö-gern und das Bruttoinlands-produkt im ersten Quartal stag-nieren. Doch Nachfragen der tazzeigen: In einer echten Krisesehen sich die wenigstenBranchen.
„Viele Baustellen liegen lahm“,berichtet ein Sprecher der deut-
schen Bauindustrie, „frostige Bö-den blockieren vor allem denTiefbau“. Im Vergleich zum Vor-jahr seien die Umsätze der Bran-che um 10 Prozent gesunken, imStraßenbau sogar um knapp 20Prozent.Verantwortlichdafürseinicht eine schwacheKonjunktur,sondern die Witterung. Die Auf-tragslage sei zwar „sehr gut“, je-doch sei die Branche vomWetterabhängig, worunter die Liquidi-tät vieler Unternehmen leide.
Auch die Bauernwerden lang-sam unruhig, weil viele Äckernoch unter einer Schneedeckeliegen. „Viele Arbeitsabläufe wieBodenbearbeitung, Düngungund Säarbeiten kommen durch-
Wirtschaftsfaktor WetterKONJUNKTUR ObBauwirtschaft oderGastronomie, der langeWintermacht vielenBranchen zu schaffen. Aber von einer echten Krise will kaum jemand reden
einander“, erzählt Johannes Fun-ke vom Deutschen Bauernver-band. „Sobald es wärmer wird,ballen sich dann die Aufgaben.“
Insgesamt stabil
Problematisch ist das kalte Wet-ter auch für denTextileinzelhan-del. Die Branche hat in zehn vonzwölf Frühjahrswochen einenUmsatzrückgang erlitten. „Daskann nur schwer eingeholt wer-den“, sagt Axel Augustin vomBranchenverband des Mode-fachhandels. Die Hoffnung aufein starkes Ostergeschäftschwindemehr undmehr: „VielepotenzielleKäufer sind schon imSüden.“
In der Außengastronomie ha-be es in diesem Frühjahr nochkeine nennenswerten Umsätzegegeben, sagt Ingrid HartgesvomDeutschenHotel- undGast-stättenverband. Ursache hierfürsei das kalte Wetter.
DieTerrassen,GärtenundBal-konewerden indiesemJahrauchspäter eingerichtet als gewöhn-
VON RICHARD ROTHER
BERLIN taz | Schnee zu Ostern!Viele Kinder in Nord- und Ost-deutschland werden an Osterndas Vergnügen haben, Eier undSüßigkeiten im Schnee zu su-chen. Schnee zu Ostern ist dabeinicht ungewöhnlich, zuletzt gabes das im Jahr 2008. Sehr unge-wöhnlich aber ist die lang anhal-tende Kälte, die im März diesesJahres weite Teile Deutschlandsund Europas erfasst hat. Wissen-schaftler sagennun:Darankönn-te der Klimawandel schuld sein,also die globale Erwärmung.
Wie kann das sein? Durch dieglobale Erwärmung geht die vonEis bedeckte Fläche in der Arktiszurück; im September vorigenJahres gab es einen Negativ-rekord, undaktuell liegt derWertunter dem zu dieser Jahreszeitüblichen.
Dies führt zu wärmeremWas-ser und damit zu wärmerer Luftim nördlichen Polargebiet, wo-
durch sich der jet stream, zudeutsch Strahlstrom, verlagernkann.Das ist dasvorherrschendeStarkwindband in höheren Luft-schichten, das das Wetter in denmittleren Breiten auf der Nord-halbkugel wesentlich beein-flusst. Verschiebt sich der jetstream nach Süden, kann arkti-sche Kaltluft ebenfalls weit nachSüden vordringen.
„Das führt zu dem extremenWetter, das wir in den mittlerenBreiten beobachten“, sagt Jenni-fer Francis, Wissenschaftlerin ander Rutgers-Universität in denUSA, dem Guardian. Bereits imvergangenen Jahr warnte sie da-vor, dass der Negativrekord beider arktischen Eisausdehnungzu einem kalten Winter in Groß-britannienundNordeuropa füh-ren könnte.
Vladimir Petoukhov, Physikeram Potsdam-Institut für Klima-folgenforschung, unterstütztdiese These. „Im vergangenenJahr gab es einen Negativrekord
bei der Eisausdehnung, und imMoment ist sie in einigen Gebie-ten wie der Labradorsee und derGrönlandsee außergewöhnlichgering.“ Dies könnte ein Grunddafür sein, dass sich Tiefdruck-gebiete entwickeln.
Bereits 2010 hat Petoukhov ineiner Simulationsstudie darge-legt, dass ein Rückgang des Ark-tiseises zu kalten Wintern in Eu-ropa führen könnte. Schrumpftdas Eis auf dem Meer, führt dieErwärmung zu veränderten Luft-strömungen. Die Folge: KalteLuftmassen könnten verstärktaus nordöstlichen Richtungennach Europa gelangen.
ZwarwardermeteorologischeWinter 2012/13 – das sind dieMo-nate Dezember bis Februar – inDeutschland nicht besonderskalt, sondern durchschnittlich.AllerdingsgabeshäufigeTempe-raturschwankungen und reich-lich Schnee. Große Schneemen-gen könnten dabei auch durchden Lake-Effekt entstehen, in-
lich. „Die Outdoor-Saison mussnochwarten“,meintKaiFalkvomHandelsverband Deutschland.Der fortdauernde Winter führtdazu, dass Frühjahrsblüher wiePrimeln oder Narzissen wenigerverkauft werden. „Das Geschäftläuft schleppender als gewöhn-lich“, sagt Claudia Zapolska vomZentralverbandGartenbau.Hoff-
dem kalte Luft über warme Was-serflächen streiche und dabeiFeuchtigkeit aufnehme, sagt derPotsdamer Forscher StephanRahmstorf. „Kaltlufteinbrücheaus Nordosten, die über die im-mer öfter eisfreie Ostsee strö-men, eignen sich dazu bestens.“
Liegt, wie derzeit in weitenTeilen Deutschlands, vielSchnee, beeinflusst dies auch die
Temperaturen. Nachts kühlt essich stark ab, und tagsüber wirdeinTeilderSonnenwärmereflek-tiert, anstatt den Boden und da-mit die unteren Luftschichten zuerwärmen. Anders gesagt: Beigleicher Luftmasse aus Nordost-europa wäre es bei uns derzeitdeutlich wärmer, wenn zuvornicht so viel Schnee gefallen wä-re. Immerhin steht die Sonne
„Der kalte März isteine Laune im SystemAtmosphäre“ANDREAS FRIEDRICH, DWD
Sieht nach Klimawandel aus, sind aber Zebras im Zoo von Krasnojarsk Foto: Ilya Naymushin/reuters
nung schöpft die Branche durchdas herannahende Osterfest.„Wir sind zuversichtlich, dass esnur eine Verzögerung gibt undUmsatzeinbußen wettgemachtwerden können“, sagt Zapolska.
Auch der Verband der Deut-schenBauindustrieglaubt,dass–zumindest im Hochbau – aufge-holt werden kann, was sich jetztverzögert. Ferdinand Fichtner,Konjunkturexperte am Deut-schen Institut fürWirtschaftsfor-schung, sieht keinen Grund zurSorge: „Manche Branchen leidenunterdemlangenWinter, andereprofitieren, doch die Gesamt-wirtschaft bleibt stabil.“
THERESA ZIMMERMANN
schon sohochwieMitte Septem-ber, wenn immernoch Tempera-turen von über 30 Grad erreichtwerden können.
Auch das Alfred-Wegener-Ins-titut für Polar- und Meeresfor-schung sieht Zusammenhängezwischen demMeereis und demeuropäischenWinterwetter: „DieWahrscheinlichkeit für kalte,schneereiche Winter in Mittel-europa steigt,wenndieArktis imSommer von wenig Meereis be-deckt ist.“ Durch die bodennaheErwärmung der Luft über derArktis komme es zu auftsteigen-denBewegungen, dieAtmosphä-re werde instabiler. „Wir habendie komplexen Prozesse analy-siert, die hinter dieser Destabili-sierung stecken“, sagt Instituts-forscher Ralf Jaiser. „Wir habengezeigt, wie sich die so veränder-ten Bedingungen in der Arktisauf typische Zirkulations- undLuftdruckmuster auswirken.“
Eines dieser Muster ist derLuftdruckgegensatz zwischender Arktis und den mittlerenBreiten. Istergroß,bringenWest-winde milde Atlantikluft nachEuropa; bleibt er aus, kann arkti-sche Kaltluft nach Europa vor-dringen. Allerdings spielten vie-leweitere Faktoren eine Rolle fürunser Winterwetter, so Jaiser.„Weitere Mechanismen hängenbeispielsweise mit der Schnee-bedeckung Sibiriens oder tropi-schen Einflüssen zusammen.“
SkeptischzeigtesichderDeut-sche Wetterdienst (DWD). „Derkalte März ist eine Laune im Sys-tem Atmosphäre“, sagt DWD-Sprecher Andreas Friedrich.„Dasmussman abgekoppelt vonglobalen Klimatrends betrach-ten, die sich über lange Zeit-räume ergeben.“
Derzeit gebe es eine Wetterla-gemit einem stabilenHoch überIsland, die kalte Luft aus Nord-osten bringe. „Warum das so ist,weiß keiner.“ Wenn es einen di-rekten Zusammenhang mit derMeereisbedeckunggebenwürde,hätte ja der gesamte Winter inDeutschland zu kalt sein müs-sen. Dies sei aber nicht der Fallgewesen. Irgendwann werde eseinen Impuls geben, der dieGroßwetterlage ändere. „Viel-leicht bekommen wir eine Süd-westlage mit über 25 Grad“, sagtFriedrich. „Sollen wir dann wie-der über den Klimawandel alsUrsache spekulieren?“