+ All Categories
Home > Documents > 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Date post: 29-Dec-2015
Category:
Upload: lorenzh1
View: 109 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
29
Geigenbauschule Brienz - aus einem Tagebuch ADOLF KÖNIG 14. Mai 1956. Montagmorgen - eine volle Woche vor uns. Während der letzten Woche sind anläßlich des Besuches eines befreundeten Geigenliebhabers in langen Gesprächen umfangreiche Pläne gereift. Aber zuerst kommt der Stundenplan: 7-8 Musikgeschichte; 8-9 Berufskunde; 9-11.30 Fachzeichnen; 13.30-18.00 Praktikum. In der Musikgeschichte sind wir gerade in der Epoche der klassischen italie- nischen Geigenbauer, deren Zeitgenossen z. B. Bach, Händel und Corelli waren. Die vier anwesenden Schüler - Charles meldet sich um halb acht per Telefon von Zuhause, er muß dringend zum Zahnarzt - hören sich diese Kunde wohl interessiert an, aber noch sichtbar ohne großes Verständnis für die Zusammen- hänge. In der Berufskunde behandeln wir die Anfänge der Cremoneser Schule: Andrea Amati, 1505 bis zirka 1580, seine Söhne Antonio und Girolamo, und den berühmtesten von allen, Girolamos Sohn Nicolo, 1596 bis 1684, der wiederum einen Nachfolger Girolamo hat. Als Grundlagen dienen uns Fargas unterhaltsam geschriebenes Buch und das Geigenbauerlexikon von Vannes 1 - letzteres trocken, aber genau. Es ist nicht leicht, anhand von Abbildungen und von zwei im Schul- betrieb entstandenen Nachbildungen von Amati-Geigen den noch sehr jungen Schülern die Bedeutung dieser Epoche für unsern Beruf näherzubringen: Edith, als Älteste, hat zwei Jahre Lehrzeit hinter sich, Karl eines. Peter kam erst im ver- gangenen Herbst; und Lukas und Charles stecken noch im ersten Semester. Die angehenden Geigenbauer kommen sofort nach erfüllter Schulpflicht in unsere Schule. Die Ausbildungszeit dauert vier Jahre. In dieser Zeitspanne sollte jeder Lehrling die nötigen Kenntnisse erwerben, um sich selber durchbringen zu können. An dieser Verantwortung für das ganze spätere Leben trägt der Meister nicht leicht, denn nicht immer sind es talentierte Schüler. Allerdings: ein einzelner wirklich Begabter reißt auch seine Kollegen mit und wird so zur Hilfe für den Meister. Dieser hat ja neben der Leitung der Werkstattarbeit noch die Verwaltung zu besorgen und dazu den Unterricht in der Berufskunde selber zu erteilen. Zur 1 R. Vannes, Dictionnaire universel des Luthiers, Bruxelles 1951. 4
Transcript
Page 1: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Geigenbauschule Brienz - aus einem Tagebuch

ADOLF KÖNIG

14. Mai 1956. Montagmorgen - eine volle Woche vor uns. Während der letzten Woche sind anläßlich des Besuches eines befreundeten Geigenliebhabers in langen Gesprächen umfangreiche Pläne gereift. Aber zuerst kommt der Stundenplan:

7-8 Musikgeschichte; 8-9 Berufskunde; 9-11.30 Fachzeichnen; 13.30-18.00 Praktikum.

In der Musikgeschichte sind wir gerade in der Epoche der klassischen italie­nischen Geigenbauer, deren Zeitgenossen z. B. Bach, Händel und Corelli waren. Die vier anwesenden Schüler - Charles meldet sich um halb acht per Telefon von Zuhause, er muß dringend zum Zahnarzt - hören sich diese Kunde wohl interessiert an, aber noch sichtbar ohne großes Verständnis für die Zusammen­hänge. In der Berufskunde behandeln wir die Anfänge der Cremoneser Schule: Andrea Amati, 1505 bis zirka 1580, seine Söhne Antonio und Girolamo, und den berühmtesten von allen, Girolamos Sohn Nicolo, 1596 bis 1684, der wiederum einen Nachfolger Girolamo hat. Als Grundlagen dienen uns Fargas unterhaltsam geschriebenes Buch und das Geigenbauerlexikon von Vannes1 - letzteres trocken, aber genau. Es ist nicht leicht, anhand von Abbildungen und von zwei im Schul­betrieb entstandenen Nachbildungen von Amati-Geigen den noch sehr jungen Schülern die Bedeutung dieser Epoche für unsern Beruf näherzubringen: Edith, als Älteste, hat zwei Jahre Lehrzeit hinter sich, Karl eines. Peter kam erst im ver­gangenen Herbst; und Lukas und Charles stecken noch im ersten Semester.

Die angehenden Geigenbauer kommen sofort nach erfüllter Schulpflicht in unsere Schule. Die Ausbildungszeit dauert vier Jahre. In dieser Zeitspanne sollte jeder Lehrling die nötigen Kenntnisse erwerben, um sich selber durchbringen zu können. An dieser Verantwortung für das ganze spätere Leben trägt der Meister nicht leicht, denn nicht immer sind es talentierte Schüler. Allerdings: ein einzelner wirklich Begabter reißt auch seine Kollegen mit und wird so zur Hilfe für den Meister. Dieser hat ja neben der Leitung der Werkstattarbeit noch die Verwaltung zu besorgen und dazu den Unterricht in der Berufskunde selber zu erteilen. Zur

1 R. Vannes, Dictionnaire universel des Luthiers, Bruxelles 1951.

4

Page 2: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Vorbereitung des letztern ist während der täglichen Arbeit kaum Zeit zu finden; zudem ist ein großer Teil des Lehrstoffes im Laufe der Jahre in der eigenen «Werkstatt» entstanden. Je nach den vorliegenden Arbeiten und Aufträgen wur­den auch immer wieder neue Themata aufgenommen.

Nun also, Vannes bringt uns die genauen Familienverhältnisse der berühmten Amati-Dynastie: Großvater und Großonkel, Vater und Onkel, Söhne und Enkel, über eine Zeitspanne von zwei Jahrhunderten. Diesen Stoff verdauen die an­gehenden Geigenbauer leichter, stammen doch drei davon aus kinderreichen Familien.

Da die im Stundenplan vorgesehene Zeit noch nicht ganz verstrichen ist, be­nützt der Meister die Gelegenheit, von seinen Plänen für die nächsten sechs bis acht Monate zu sprechen. In Sicht ist ein Wettbewerb für Streichquartette, den die Stadt Lüttich ausgeschrieben hat. Schon 1954 hat ein solcher stattgefunden; der Meister hat die ausgestellten Instrumente besichtigen können, und nun möchte er die gesammelten Erfahrungen nach Möglichkeit verwenden. Nach Möglichkeit - mit Schülern anfangs des zweiten und dritten Lehrjahres wird es sehr schwer halten, konkurrenzfähige Instrumente herzustellen. Es geht daher in erster Linie um die Frage, welche Modelle gewählt werden sollen. Der Wett­bewerb schreibt schlichte Instrumente in der klassischen Art vor. Das kommt unsern Möglichkeiten entgegen. Das Cellomodell kann heute noch nicht fest­gelegt werden; ein Instrument nach Stradivarius und eines nach Stainer werden in absehbarer Zeit fertig, und dann kann die Entscheidung getroffen werden. Für die Bratsche kommt nur das Modell der Brüder Amati in Frage. Die Vor­schriften der Ausschreibung erleichtern auch diesen Entschluß. Aber eben die Geigen! Nur allzu viele Modelle stehen zur Verfügung; aber ein Wettbewerb verlangt lautstarke Instrumente, also vielleicht Guadagnini oder Guarnerius.

Von einer Studienreise nach England sind noch einige unausgeführte Modelle vorliegend, die Erfolge versprechen. Man wird mehr als zwei Geigen machen müssen, um eine Auswahl treffen zu können. Also ein Cello - eine Bratsche - vier Geigen, bis Ende 1956 sollten sie fertig sein (wir sind jetzt im Mai!), dann anfangs 1957 lackiert und eingespielt, am 1. Juli spätestens in Lüttich - das scheint den Schülern reichlich ungewiß und dem Meister offen gestanden auch, denn er weiß aus Erfahrung, wie viele Störungen immer wieder eintreten.

Es klopft; der Saitenreisende zeigt sich wieder einmal; er bekommt eine kleine Bestellung auf Cellosaiten und verschwindet wieder.

Nun aber rasch in den Holzlagerraum; das Projekt ist jetzt so lebendig, daß wenigstens das Holz heute noch ausgesucht und wenn möglich zugeschnitten werden soll. Die Wahl für die Böden, Hälse und Zargen ist bald getroffen: drei gewichtige Stücke altes Ahornholz, eigentlich für einen Kontrabaß berechnet.

5

Page 3: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Ein heller und luftiger Raum beherbergt die Geigenbauerwerkstätte, die der Schauplatz unseres Tagebuches is

Edith und Karl, mit der Lackretouche an einem reparierten Cello und einer Bogenreparatur beschäftigt, erheben ein Hallo, als der Meister, Lukas und Peter statt der säuberlich zugerichteten Böden und Decken drei mächtige Ahorn­klötze anschleppen. Nach Deckenholz haben die drei nicht mehr gesucht; das Zurichten der Böden, Zargen und Hälse wird mindestens bis zum Abend dauern. Peter ist bald mit dem Velo zur Sägerei unterwegs, um eines der Ahornstücke in der Mitte durchsägen zu lassen; es soll den Celloboden geben.

Mitten im Ratschlagen, wie die andern Stücke am besten aufgeteilt werden, klopft es wieder: ein Herr sucht die Bogenmacherwerkstatt. Der Herr besitzt ein Auto, und der Meister hat ohnehin mit den Bogenmachern etwas zu be­sprechen - also schnell mitgegangen; und schon läutet es Mittag. Und Karl hätte doch Hilfe und Anleitung gebraucht für seine Bogenreparatur und Edith wenig­stens etwas Aufsicht bei ihrer Arbeit. Aber «Kantonales Amt für Gewerbeförde­rung » heißt unsere Hauptfirma, wenn man so sagen darf, und dazu gehört auch der Dienst am Kunden.

Um halb zwei wird nun erst einmal das reparierte Cello retouchiert. Lukas arbeitet an seinen Fiedeln, und Karl macht sich definitiv an die Bogenreparatur, während Peter mit dem zweiten Stück Ahorn zur Säge fahrt. Aber diesmal kommt

Page 4: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Der Geigenbauerberuf wird ausnahmsweise auch von Töchtern erlernt. Die Herstellung eines Violoncellos ist allerdings keine ausgesprochene Frauenarbeit, doch spielt die Lehrtochter dieses Instrument und baut nun ein solches als «Gesellenstück». Auch Charles spielt Cello und hätte gerne ein gutes Instrument, das er sich hier machen darf.

er mit schlechtem Bericht zurück: das Holzstück ist nur halb durchgesägt, der Sägemeister sehr unzufrieden wegen des Nagels, der genau mitten in dem doppel¬ zölligen Brett steckte, von außen absolut unsichtbar. Wir haben leider noch keinen Röntgenapparat, trösten wir uns; aber das kostbare Sägeblatt ist stark mitge­nommen; das wird eine Rechnung absetzen! Und doch muß das Brett auseinander! Also probiert's der Meister auf der eigenen Säge. Er hat Glück und kommt unge­schoren an dem zwölf Zentimeter langen Nagel vorbei, den ein Bauer beim Hagen in den noch jugendlichen Baum geschlagen haben muß. Schade ist nur, daß der Sägemeister vertäubt ist - er ist uns sonst sehr gewogen und außerordent­lich geduldig den Wünschen der Geigenbauer gegenüber, die jeweils die schönsten Tannen- und Ahornbäume auf die ungewöhnlichste Art geschnitten haben wollen.

Nach vier Uhr ist es wieder aus mit dem Arbeiten: in drei Cars ist Besuch aus dem Jura eingetroffen; und sie zeigen sich sehr interessiert, die Uhrmacher- und Bauernfrauen.

Gleich darauf kommt ein Ehepaar mit einem kleinen Sohn aus den USA; sie sprechen nur englisch und etwas französisch. Anstelle der erkrankten Sekretärin führt der Geigenbauermeister die reizenden Leute durchs Haus; einige Lindenholz¬ abschnitte machen sie glücklich; und auch für die Schülerreisekasse fällt etwas ab.

Page 5: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Schade, daß man solche Besuche nicht für einige Tage nach Hause einladen kann -nach amerikanischem Vorbild! - , der Boy war ungewöhnlich flott und hätte sich mit den gleichaltrigen Geigenbauerbuben sicher ausgezeichnet verstanden.

In der letzten halben Stunde wird nun Karls Bogen doch noch fertig; Edith half Lukas bei den verflixten Baßbalken, und Peter fand auch etwas zu tun, das nichts schaden konnte. 15. Mai 1956

Um fünf vor sieben steht schon ein Kunde mit einer defekten Geige vor der Tür. Da den Geigenbauschülern natürlich auch das Reparieren gelehrt wird, sind Patienten dieser Art willkommen, sie bringen ja auch immer einen Beitrag an unsere Einnahmen - «Soll». In letzter Zeit mußten solche Aufträge zwar öfter abgelehnt werden, da der Schulbetrieb darunter zu leiden begann. Der heutige « Patient» ist aber nicht sehr krank, und der Kunde verläßt uns mit der Aussicht, seine Geige in vierzehn Tagen wieder in gutem Zustand abholen zu können.

In der Werkstatt warten die Schüler, sie wollen Arbeit! Edith bekommt ein Cello, an dem der Lack geschliffen werden muß. Es ist einer der letzten Arbeits­gänge vor der Fertigstellung; er verlangt sowohl Aufmerksamkeit wie Ausdauer. Zuerst kommt die Decke dran als schwierigste und zugleich dankbarste Partie. Bis zum Mittag ist sie fertig geschliffen; der Meister poliert sie noch etwas auf, um der Schülerin eine Vorstellung zu geben, wie das Instrument zuletzt aus­sehen wird. Der hübsche Anblick macht ihr wieder Mut für die restlichen Par­tien. Sie ist bis zum Feierabend damit beschäftigt.

Charles kommt um einen Backenzahn leichter wieder zur Arbeit. Er hat zwei angefangene Gitarren, an deren Böden er die Balken bearbeitet. Bewunderns­würdig ist, wie unermüdlich er diese bis zur Vollendung hobelt und schleift. Was tut's, wenn jetzt noch so viel, so viel zu viel Zeit darauf geht - dieser Junge mit dem Flaumbart scheint aus dem richtigen Holz geschnitzt zu sein.

Karl hat noch die Schablonen fertigzumachen zu einer Bratsche. Es ist ein vorklassisches Modell von Gasparo da Salö, hat nur zwei Ecken und auch sonst von der üblichen Gestalt abweichende Einzelheiten. Es klappt etwas nicht ganz mit der Zeichnung; die Proportionen müssen nachgerechnet werden; aber Hilfe bringt erst eine Änderung, die nach Augenmaß und von freier Hand eingezeichnet wird.

Lukas schwitzt schon am letzten der fünf Baßbalken, die er in die Fiedel­decken einzupassen hatte. Das Einpassen der Baßbalken ist eine heikle Arbeit für Anfänger; doch halfen ihm Karl und auch Edith mehr oder weniger freiwillig. Den letzten bringt er aber allein fertig.

Drei Fiedeldecken werden dann auf die fertigen «Schachteln» aufgeleimt; morgen die restlichen. Und dann kommt für Lukas ein neues Kapitel.

8

Page 6: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Mit Peter ist etwas nicht in Ordnung. Schon gestern schien es so; doch heute behandelt er seine Arbeitsstücke unwürdig. Eine telefonische Anfrage bei seiner Mutter ergibt nichts Neues; zu Hause sei er ebenfalls seit einigen Tagen ziemlich unwirsch. Auch die Mitschüler wundern sich über die Allüren des sonst recht ruhigen und gefälligen Burschen. Ist Peter verliebt oder krank?

Natürlich wäre es das einfachste, sich um solche Launen weiter nicht zu kümmern; doch sind diese oft ansteckend, und erfahrungsgemäß tut der Meister gut, seinen erzieherischen Einfluß rasch geltend zu machen. Es ist eine wichtige Lebensepoche; die jungen Leute sind den Anforderungen der neuen Situation und der relativen Freiheit oft noch nicht gewachsen. Die Anwesenheit von Schülern beiderlei Geschlechts gibt natürlicherweise auch Anlaß zu «Komplikationen».

16. Mai 1956

Aus einem Briefwechsel: Sehr geehrter Herr Vorsteher! Nachdem ich viele Wochen nichts mehr vom Stand des neu zu lackierenden

Cellos - Modell Jacobus Stainer - gehört habe, möchte ich Sie anfragen, wie weit nun das Instrument gediehen ist. . . . Wollen Sie die Güte haben und mir dem­nächst berichten, wie es um das Instrument steht. Ihnen im voraus für Ihre Rückäußerung dankend, begrüße ich Sie bestens Ihr Kunde.

Sehr geehrter Herr Kunde!

Ich bestätige dankend den Inhalt Ihres Briefes. Wenn Sie so lange nichts von uns hörten, so hat das seinen Grund darin, daß wir bis über die Ohren beschäftigt sind. Um Ihnen eine postwendende Antwort geben zu können, bin ich heute -an meinem Geburtstag! - um fünf Uhr aus den Federn:

Ich kann mich nicht dazu entschließen, das meiner Meinung nach schön lackierte Instrument abzuwaschen, und verspreche mir auch auf Grund einer Besprechung mit einem Kollegen nicht viel davon hinsichtlich einer tonlichen Änderung. Die typischen Stainer-Wölbungen ergeben halt einen gambenähnlichen Ton. Wir haben uns daher dahinter gemacht, ein zweites Stainer-Cello mit mo­dernisierten Wölbungen zu bauen. Dieses ist nun so weit, daß es in den nächsten Tagen spielbar sein wird.

Ich erwarte gerne Ihren Bericht, ob Sie das neue Cello zu sehen wünschen, und grüße Sie mit aller Hochachtung. Geigenbauschule Brienz

Vorsteher

17. Mai 1956 Das Stainer-Cello wäre nun also so weit, daß nur noch der Griff in Ordnung

gebracht und poliert, sowie Steg, Stimmstock und Wirbel hergestellt werden

9

Page 7: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Die Schulbibliothek enthält alle wichtigen Fachbücher. Diese werden fleißig zu Rate gezogen - wenn sie auch nicht immer befriedigende Auskunft zu geben vermögen! Auf Studienreisen werden unter anderem auch Instrumentenmuseen besucht und dort interessante Instrumente abgezeichnet - hier im «Musee instrumental du Conservatoire royal de musique de Bruxelles». So wird der Bestand an Modellen für die Werkstattarbeit ständig geäufnet.

müssen. Leider ist Edith noch nicht fähig, diese Arbeiten selber zu machen, und der Meister hat keine Muße dazu. Es wird also noch einige Tage dauern, bis das Instrument zum erstenmal klingen wird. Immerhin hat der gestrige Briefwechsel die Dringlichkeit dieser Arbeit unterstrichen. Edith macht inzwischen den Hals fertig zu einer Bratsche nach Modell Stainer und setzt ihn fast selbständig ein.

Auch Karl hat ein Instrument zum Fertigmachen: eine Tenor-Viola da gamba. Aber auch er braucht die Hilfe des Meisters; es ist noch nicht zu erwarten, daß er eine solche Arbeit selbständig machen könnte.

Charles schleift die Decken zu seinen Gitarren und bereitet die vielen kleinen Balken vor, die für die Ausstattung der Innenseiten notwendig sind. «Übungen im Sägen und Hobeln» heißt es im Reglement; sinnvoll angewendet, gibt das zuletzt Gitarren!

Lukas feilt und schleift die Zargen seiner jetzt zusammengeleimten Fiedel­korpusse ; leider findet der Meister zuletzt immer wieder Spuren der Feile, was nicht gestattet ist.

Peter hatte gestern eine kleine Unterredung mit dem Meister; seine Sorgen sind leider berechtigt. Aber heute scheint er schon wieder wesentlich erleichtert und gibt sich Mühe bei der Arbeit.

Nachmittags haben die drei altern Schüler Gewerbeschule; das ist günstig zu einer Theoriestunde für die Anfänger. Heute ist das erste Kapitel, die Gesetzes¬

Page 8: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

kunde, an der Reihe. Lehrvertrag, Gesetz über die berufliche Ausbildung, Regle­ment für die Ausbildung der Geigenbauer; das ist der Stoff. Aber auch der Art. 33ter der Bundesverfassung und die Hausordnung werden behandelt. Gerade die letztere scheint den Schülern entbehrlich, dem Lehrpersonal dagegen gar nicht. 18.Mai 1956

Heute kommt der Musiklehrer, bei dem jeder Schüler allwöchentlich seine Violinlektion absolviert. Die meisten bringen zwar schon einige Kenntnisse im Violin- oder Cellospiel mit, aber das Reglement erklärt diesen Unterricht obliga­torisch, und es ist klar, daß die Kenntnisse im Violinspiel jedem Geigenbauer außerordentlich nützlich sein werden. Die Cellospieler sind besonders will­kommen als Mitwirkende beim allwöchentlichen Spielabend, wo die Belegschaft der Geigenbauschule samt dem Meister und einigen Zuzügern aus dem Dorf Kammermusik macht.

Während die Schüler abwechselnd für eine Stunde in den Zeichnungssaal verschwinden, wo der Musikunterricht erteilt wird, holen die andern das am Montag ausgefallene Fachzeichnen nach.

Die in einer Ecke stehenden Ahornbretter, die die Böden, Zargen und Hälse für das Wettbewerbs-Quartett geben sollen, liefern heute das Thema. Karl meldet sich für das Cello, zum Zeichnen und Bauen! Für die Bratsche interessiert sich Edith brennend - auch zum Zeichnen und Bauen - und die Geigenmodelle werden Lukas und Charles anvertraut. Allerdings nur zum Zeichnen, denn für den Bau von Geigen sind sie noch nicht reif. Peter arbeitet weiter an einer angefangenen

Der Bau von Gitarren ist das erste, die Lackierkunst eines der letzten und schwierigsten «Kapitel» des Lehr­ganges. Diese Arbeit muß deshalb oft noch vom Lehrmeister ausgeführt werden.

Page 9: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Kontrabaßzeichnung. Seine derzeitige Hauptarbeit besteht im Bau eines solchen Instrumentes, denn im Anschluß an eine Ausstellung konnte ein in der Schule hergestellter Kontrabaß zu einem guten Preis und mit Prädikat «konzertfähig» verkauft werden, und der Meister möchte nun auch dieses Gebiet systematisch pflegen.

Kurz vor Mittag kommt ein Anruf aus der Sägerei, daß ein besonders schöner Tannenstamm gerüstet wäre; vielleicht gäbe es Geigenholz? Der Sägemeister ist also nicht verärgert wegen des Nagels, sondern entgegenkommend wie immer. Gleich nach dem Mittagessen fährt der Meister in die Säge. Der Stamm wird einmal in der Mitte aufgesägt und erweist sich für die Zwecke der Geigenbauer verwendbar. Somit wird er aufgesägt, hauptsächlich für Cellodecken diesmal. Die Beschaffung geeigneten Holzes ist nicht einfach; das Holz muß bei jeder guten Gelegenheit gekauft werden, die manchmal wieder jahrelang auf sich warten läßt. Dieses Jahr ist ausnehmend günstig, es konnten schon drei Tannen und ein Ahornstamm gesägt werden für unser Lager.

Kurz vor Feierabend läutet noch der Cellokunde an. Er ist etwas erstaunt über die «Neuigkeit», will aber gerne das neue Cello prüfen. Es ist zu hoffen, daß ihm die Lackfarbe und die Lautstärke diesmal zusagen, nachdem diese am ersten Instrument ja nicht nach seinem Geschmack ausgefallen waren.

Der Bau von Violoncelli und von Kontrabässen ist ein Gebiet, das eigentlich von Spezialisten betreut werden sollte und auf dem noch viele Erfahrungen ge­sammelt werden müssen. Es wäre dies am besten zu erreichen, wenn Schüler als Cello- oder Kontrabaßbauer ausgebildet werden könnten. Bei der normalen Ausbildung eines Geigenbauerlehrlings bleibt für solche Entwicklungsarbeiten zu wenig Zeit, und es muß der Initiative der Schüler überlassen bleiben, ob sie die Kenntnisse auf solchen Spezialgebieten später zu erweitern suchen. Daß es nicht belanglos oder Liebhaberei ist, wenn der Geigenbauer neben seinen Haupt­instrumenten - Geige, Bratsche und Cello - noch einen weitergezogenen Inter­essenkreis besitzt, das zeigt der Umstand, daß einige frühere Schüler nicht nur ihre während der beiden ersten Lehrjahre erworbenen Kenntnisse von der Familie der «Viola da gamba» gut brauchen können, sondern sogar wegen der Möglichkeit der Ausbildung auf diesem Gebiet die Absolvierung einer Lehre in der Brienzer Geigenbauschule als Vorbedingung einer Anstellung genannt wor­den ist. 19.Mai 1956

Der Vormittag vor dem Wochenende konnte zum Glück ungestört dazu ver­wendet werden, die angefangenen Arbeiten zu einem gewissen Abschluß zu bringen. Die vergangene Woche war ungewöhnlich reich mit «Extras» befrachtet, und für die kommende wäre ein ruhiges Arbeitsklima sehr erwünscht. Die Post

1 2

Page 10: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

bringt aber kurz vor Mittag die Besuchsanzeige eines Kunden für den kommenden Montag, und es ist dem Meister klar, daß er den Samstagnachmittag zum Erledigen der Post und zum Vorbereiten des Unterrichts benützen muß. 21. Mai 1956

Der Montagvormittag vergeht nach «Programm», d.h. er ist diesmal ganz der Musikgeschichte und der Berufskunde gewidmet, um mit den angeschnittenen Themen ein gutes Stück vorwärts zu kommen. Doch dann bleibt gerade noch Zeit, den avisierten Kunden am Bahnhof abzuholen. Schon nach der Begrüßung ist es dem Meister klar, daß er in der Person des Maestro Professore einen ungewöhn­lichen Besuch erhalten hat. Beladen mit einem Violin- und einem dicken Viola­etui in ihren Segeltuchüberzügen, einer braun- und einer weißledernen Mappe und bewaffnet mit einem dicken, weißen Blindenstock, dazu in seinem Wintermantel in der mittäglichen Maisonne wacker schwitzend, ist er trotzdem imstande, schon auf dem Wege zum Geigenbauerheim seine Sorgen und Wünsche in einem er­staunlich guten Deutsch hervorzusprudeln.

Nach dem Kaffee sind dem Meister und der Hausfrau auch die Ursachen der Sorgen klar - eine noch nicht lange überstandene Nerven- und eine fortschreitende Augenkrankheit. Doch ist es auch schon wieder höchste Zeit zum Gang zur Nachmittagsarbeit, und vollbeladen machen sich Meister und Maestro auf den kurzen Weg zur Geigenbauschule. Diesmal geht's glücklicherweise talwärts!

Die helle Werkstätte mit den fünf Schülern, die vielen in Arbeit befindlichen Instrumente und Instrumententeile, der Wandschmuck, das leise Brummen einer sichtlich neuen Schleifmaschine, das Büro des Meisters mit den an den Wänden hängenden Nachbildungen alter Streichinstrumente - sie alle entlocken dem Besucher eine Reihe von «Ah, bello!» und «Ooh, bellobellissimo!»

Zuerst werden die Schüler betreut. Dann können die Wünsche des Besuchers endlich ernsthaft besprochen werden. Nummer eins: Echtheit oder Nichtechtheit einer vor Jahren teuer bezahlten Meistergeige. Da besitzt der Meister wohl Kennt­nisse und Einrichtungen, um eine fundierte Ansicht zu äußern. Er zieht es aber vor, den Besitzer der kostbaren Geige auf die Existenz der Expertenkammer des Schweizerischen Geigenbaumeister-Verbandes hinzuweisen.

Nummer zwei: Der Maestro wünscht, eine «Viola d'amore» in Auftrag zu geben - genau nach dem von ihm mitgebrachten Instrument, aber mit bessern tonlichen Eigenschaften! Das Vorbild hat glücklicherweise einige Schwächen, deren Behebung möglich scheint. Der Meister kann also die Bestellung getrost entgegennehmen, denn der Bau von vorklassischen Instrumenten wird ja in der Geigenbauschule seit jeher gepflegt. Die «Viola d'amore» ist allerdings mit Abstand das komplizierteste Instrument, das für einen Geigenbauer überhaupt in Frage kommt. Der Auftrag eilt aber nicht besonders, und il Maestro Professore ist

13

Page 11: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Flugaufnahme des Gebäudes, in dem die kantonale Schnitzlerschule und die Geigenbauschule untergebracht sind. Dieser Bau konnte im Jahre 1950 bezogen werden - die Schnitzlerschule befand sich vorher in einem alten Haus auf dem gleichen Platz, und die Geigenbauschule war in dem Wohnhaus mit den Giebelaufbauten (direkt hinter dem Neubau) während sechs Jahren provisorisch untergebracht.

außerdem willens, das Musterinstrument einige Wochen zum Abzeichnen und Studieren in Brienz zu lassen. Mehr kann im Moment über diese Angelegenheit nicht gesprochen werden. Und nun wünscht der Besucher, die Schule eingehend in Augenschein zu nehmen.

Der Rundgang beginnt bei Charles, der nach den beiden ersten Instrumenten seiner Geigenbauerlaufbahn - zwei Ukulele - nun an zwei Konzertgitarren arbeitet. Die Herstellung solcher Instrumente gibt Gelegenheit, den Anfänger in den Gebrauch der Werkzeuge einzuführen und die Möglichkeiten der Holz­bearbeitung aufzuzeigen. Sollte der spätere Geigenbauer auch nie mehr eine Gitarre selber anfertigen, so hat er bei Reparaturen nun doch Kenntnis der «innern Organe» eines solchen Instrumentes.

Lukas ist drei Monate vor Charles eingetreten; er arbeitet an einfachen Schülergeiglein, im Schülerjargon «Fiedeln» genannt, die im Gegensatz zu den Ukus und Gitarren eine gewölbte Decke aufweisen. Noch vor den Sommerferien wird er mit dem Bau einer oder zweier Diskantgamben beginnen, wo er die beim Gitarren- und beim Fiedelbau erworbenen Kenntnisse verwenden und er­weitern kann.

Page 12: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Eine Rottanne im Berner Oberland. Die für den Geigenbau geeigneten Stämme wachsen allerdings nur in geschlossenen Beständen; es ist darum nicht möglich, sie auf die Platte zu bannen. Links im Hintergrund ein prachtvoller Ahorn, der unter Na­turschutz steht.

Charles wird nach den Gitarren gleich zu den Gamben übergehen. Er ist sehr sorgfältig und geschickt, außerdem ist der Vorrat an «Fiedeln» groß genug und derjenige an Gamben fast erschöpft.

Peter ist im zweiten Semester, auch er arbeitet an einer Gambe, da die Baß­zeichnung fertig geworden und die Baßform noch beim «Aussäger» ist. Peter liebt es nicht, wenn ihn die Besucher beanspruchen. Da seine Arbeit auch keinen neuen Aspekt liefern kann, so wird er diesmal in Ruhe gelassen.

Karl hat zu Beginn seines zweiten Lehrjahres eine Bratsche begonnen, doch ist er noch mit der Fertigstellung einer größern Gambe aus seinem ersten Lehrjahr beschäftigt, da er die Anleitung des Meisters für die Gestaltung der Wölbungen benötigt. Das ist das Hauptanliegen im zweiten Lehrjahr, das Wölben der Böden und Decken, und mancher sehr geschickte Schüler hat damit Mühe, während sonderbarerweise ein sonst durchschnittlicher für das Wölben unerwartetes Gefühl zeigen kann. Die Gestaltung der Wölbungen ist ein wichtiger Faktor für das tonliche Resultat, und es muß viel Zeit und Geduld darauf verwendet werden.

Ediths Arbeitsecke ist wieder einmal sehenswert: an einem Draht hängen von der Decke das nun spielfertige neue Cello - seine Saiten müssen jetzt fleißig nachgestimmt werden - und daneben das reparierte Cello, ebenfalls wieder spiel­bereit. Die letzten Dienstag zum Reparieren übernommene Geige hängt auch noch dazwischen, allerdings bis jetzt im alten Zustand. Auf der Hobelbank liegt ein großes Zeichnungsbrett, bis an den Rand mit chamoisfarbenem Papier be­zogen, darauf allerlei Zeichnungswerkzeug, Schablonen und Fotos. Der Meister

Page 13: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

hat sich über den Sonntag die Modellwahl für das Quartett noch einmal durch den Kopf gehen lassen, und nun soll Edith die Erstellung eines neuen Modells für eine Bratsche lernen. Das dritte Lehrjahr ist reich befrachtet: Neubau von Geigen und Bratschen, Unterricht im Lackieren und Reparieren, anspruchsvolle Zeichnungsarbeiten. Edith erhält zuerst den Rat, ihren «Lebensraum» nach Mög­lichkeit zu entlasten. Das reparierte Cello wandert hierauf in das Magazin und die unreparierte Geige in einen hierfür bestimmten Schrank. Eine Sichtung der Schablonen und Fotos ergibt, daß viele davon für die vorliegende Aufgabe nicht benötigt werden - auch sie werden wieder an ihren Platz verbracht.

Einen Schüler im vierten Lehrjahr hat die Schule im Moment nicht aufzu­weisen. Der Meister führt den Maestro deshalb wieder ins Büro, wo er ihm anhand von Arbeiten früherer Schüler deren Pensum vom letzten Lehrjahr erläutert. Eine wichtige Rolle spielt natürlich immer noch der Bau von Geigen; unter anderem darf jeder Schüler ein Lehrstück anfertigen, das ihm dann gegen Bezahlung der Materialkosten überlassen wird. Nebenbei - kostenlos, erhält jeder Schüler sein persönliches Werkzeug nach bestandener Abschlußprüfung; der größte Teil davon wird ihm lebenslang gute Dienste leisten. Im Abschlußjahr wird auch noch eine wesentliche und neue Aufgabe angepackt, das Schnitzen der Schnecken. Auge und Hand sind erfahrungsgemäß erst in diesem Stadium genügend geschult für diese Arbeit. Mit Rücksicht auf die Tätigkeit des spätern Geigenbauergesellen wird auch auf die Ausführung von Reparaturen viel Zeit verwendet. Mit diesen Aufgaben, einer vielleicht zu repetierenden Sparte oder besonders interessanten Aufträgen für neue Instrumente geht das vierte Lehrjahr meist nur zu schnell vorbei.

Zu schnell verging auch die Zeit an diesem Nachmittag. Der Maestro entdeckt plötzlich, daß «sein» Zug vor einer Viertelstunde abgefahren ist und daß er sein Domizil im Südkanton heute nicht mehr erreichen kann. Ebensogut wie in Luzern kann er in Brienz übernachten, und nach Fühlungnahme mit der Haus­frau - diese meldet dabei gleich noch die Ankunft eines befreundeten Schrift­stellers - wird das Programm für den Abend gemacht; und nun kann sich der Meister noch eine Stunde ungestört seinen Schülern widmen.

Die Aufgabe, den Maestro rechtzeitig zum Nachtessen ins Geigenbauerheim zu führen, hat dem Schriftstellerfreund zugeteilt werden können, und nach voll­brachtem Tagewerk findet der Meister die beiden weitgereisten und sprachkun­digen Männer zu Hause in lebhaftem Gespräch. «Gut, daß Sie kommen», sagt der Schriftsteller nach der Begrüßung, «il Maestro Professore will wissen, was denn die Geigenbauerstudenten treiben, wenn sie ihre Examina gemacht haben.» Der Meister findet aber, das Thema eigne sich besser als Nach- denn als Vorspeise, und überhaupt sei er nun an der Reihe zum Zuhören. Il Maestro Professore

16

Page 14: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

vergißt aber sein Anliegen keineswegs, und so berichtet der Meister nach dem Kaffee über frühere und der2eitige Schüler.

«Die Aussichten für seine spätere Tätigkeit bringt natürlich auch bei uns der Schüler schon beim Eintritt mit seinen Fähigkeiten und seiner Vorbildung weitgehend mit, wenn man das so ausdrücken will. Seit der Eröffnung wurden zehn ausgebildete Schüler entlassen, deren Entwicklung bis jetzt verfolgt werden konnte. Die beiden ersten Schüler waren gegensätzlich veranlagt: Alwin, künst­lerisch veranlagt und mit großer Handfertigkeit begabt, Fritz, bedächtig, aber sehr zuverlässig. Alwin glaubte das Zeug zu einem Jünger Casals in sich zu haben und ist nach vieljährigen Studien heute ein guter Blasmusik- und Jodelklub¬ direktor. Während seiner ersten Studienjahre hat er zu Hause noch etliche schöne Geigen gebaut, das Handwerk dann aber aufgegeben. Fritz ist nach mehrjähriger Tätigkeit als Geselle heute in einem größeren Musikhaus der Fachmann für alle Belange in Streichinstrumenten, glücklich verheiratet und Vater einer hübschen Tochter.

Die drei nächsten Schüler sind auch nicht über einen Leisten zu schlagen: Hans, ein Künstlersohn, mit bescheidener, Martin, ein Lehrerssohn, mit ausgezeichneter Schulbildung, und Jack, ein Geigenbauersohn. Der erste hatte schon zwei Jahre als Geselle in einer gutgeführten Werkstatt hinter sich, als er durch einen schweren Unfall aus dem Gleis geworfen wurde - heute kündigt sich für ihn wohl eine Künstlerlaufbahn an. Martin verzog sich gleich nach der Lehre ins Ausland, wo er eine Stelle offen wußte. Er konnte sich nach einigen Jahren vorteilhaft ver­ändern und nimmt heute als selbständiger Meister mit Frau und zwei Kindern eine geachtete Stellung ein. Auch Jack konnte im Ausland seine Ausbildung er­weitern und arbeitet jetzt im elterlichen Geschäft, ebenfalls verheiratet und glück­licher Vater.

Die nächste «Serie» umfaßt nur einen Schüler im normalen Lehralter, Ueli, ein hübscher Bursche mit schwarzen Locken. Er war nie aus der Ruhe zu bringen, arbeitete immer sehr sauber und zuverlässig und ist heute Geselle bei einem Schweizer Geigenbaumeister, von dem er große Förderung erfährt. Als ihm sein Meister eine Gehaltserhöhung in Aussicht stellte, meinte unser Ueli: « Es hätt bis jetzt immer no glängt! »

Die andern vier Mitschüler waren 19 bis 23 Jahre alt, als sie eintraten: Lydia, nach mehrjährigen Musikstudien doch noch auf den ursprünglich erwählten Beruf zurückkommend; Alfred, ein Spätling; Ralph, wegen einer chronischen Schwäche auf einen mehr sitzenden Beruf angewiesen, Nikiaus, nach Versuchen auf diversen Berufen. Die Arbeit mit diesen volljährigen Schülern hatte sicher viel Schönes, brachte aber auch wieder andere Problemkomplexe.

Was sie heute tun?

17

Page 15: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Ralph und Lydia haben nicht nur die Liebe zum Geigenbauerberuf entdeckt, sondern auch zueinander. Ralph trat nach der Lehre die zuerst von Martin und dann von Ueli ein Jahr vertretungsweise bekleidete Stelle an, und Lydia folgte ihm bald nach Vollendung ihrer Lehrzeit - sie hausen noch heute mit einem Töchterchen dort als glückliche kleine Familie. Ralph hat eine eher bescheidene, aber aller Voraussicht nach sichere und entwicklungsfähige Stelle; Lydia hilft ihm bei gewissen Arbeiten, wo eine geschickte weibliche Hand von Nutzen ist.

Nicht mehr als Geigenbauer betätigen sich Alfred und Nikiaus - Alfred etwa noch zum Vergnügen und neben seiner Arbeit im Großbetrieb seiner Eltern. Nikiaus benutzte seinen Lehrausweis als Grundlage, um nach weitern zwei Jahren Ausbildung eine Staatsstelle zu bekleiden.

Natürlich ist der Ausfall gerade bei diesen beiden sehr begabten Jungen zu bedauern. Wir haben immer Nachfrage nach jungen Geigenbauern; kurz nach dem Austritt von Alfred und Nikiaus hätten wir sieben Stellen besetzen sollen, zum Teil im Inland und zum Teil bis nach Australien.

Das genügt nun auch dem Maestro Professore. Aber statt Feierabend zu machen, holt er seine «Viola d'amore» hervor und spielt - nachts elf Uhr, hellwach nach südlicher Art - vor den schon ziemlich bettreif dreinschauenden Zuhörern ein Virtuosenstück ums andere, auf diesem so schwer zu spielenden Instrument

Innenseite einer Violindecke, bereit zum Aufleimen auf die « Schachtel» (links). Violin-«Schachtel», das heißt der Boden ist auf den Zargenkranz aufgeleimt und dieser inwendig fertiggestellt worden (rechts).

Page 16: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Einige Werkzeuge des Geigenbauers (von rechts nach links): Schnitzer, Löffeleisen, Raspel, Feile, Wölbungs¬ höbel mit flacher und gewölbter Sohle.

anscheinend keine Schwierigkeiten kennend. Dann zieht er aus seiner wei߬ ledernden Mappe noch eine Handvoll Noten, komplimentiert die Hausfrau ans Spinett und den Meister ans Bratschenpult, und mit einem Divertimento des ewigjungen Haydn geht der Tag zu Ende.

Die Geige ADOLF KÖNIG

DAS Aussehen einer Geige ist heute jedermann bekannt. Wir sehen auf den ersten Blick die beiden Hauptteile: den Körper mit den beiden Schallöffnungen (F-Löcher genannt) und den Hals mit dem schwarzen Griffbrett, den vier ebenfalls schwarzen Wirbeln, zuoberst in die «Schnecke» auslaufend. Über das Griffbrett laufen die vier Saiten zum Saitenhalter hinunter, der auch wieder aus dem schwarzen Eben­holz gefertigt ist. Bei einer genauen Betrachtung fallen uns noch mehr Einzelteile auf - jede Geige ist aus annähernd hundert solcher zusammengesetzt - , und nun möchten wir doch gerne wissen, wie so eine Geige gemacht wird. In einem Konzert oder sicher am Radio haben wir Geigen- gehört, eine allein oder mit andern Streichinstrumenten zusammen im Orchester. Diese herrlichen Klänge

Page 17: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

werden aus diesen federleichten Holzgebilden hervorgebracht, kaum fünfhundert Gramm sind sie «schwer», und nicht nur von Künstlerhänden - nein, auch das Duettspiel der Nachbarskinder klingt frisch und rein. Wir holen uns die Auskunft an der Quelle in einem kleinen Laden an der Künstlergasse, «Rudolf Herzog, eidg. dipl. Geigenbaumeister » steht auf der Messingtafel. Herr Herzog ist gerne bereit, uns zu zeigen, wie eine Geige gebaut wird. «Liebe junge Freunde, so eine Geige besteht zum größten Teil aus Luft. Diese Luft brauchen wir nach Fertig­stellung des Instrumentes zur Übertragung der Schwingungen der Saiten zum Ohr des Hörers. Weil wir zum Aufbau der Geige aber einen festeren Kern brauchen als Luft, so machen wir uns aus Holz eine „Form", die genau die Form des Luft­raumes der entstehenden Geige hat. Um diese Form bauen wir die Zargen zu­sammen, Brettchen aus Ahornholz von 1,2 mm Dicke und 32 mm Breite. Diese Brettchen werden über- einem erhitzten „Biegeisen" in die gewünschte Form gebogen. So entsteht der „Zargenkranz" mit seinen vier Spitzen, auf dessen untere Seite dann der „Boden" und auf die obere die „Decke" geleimt wird. Den Boden machen wir auch aus Ahornholz, die Decke aber aus Tannenholz. Die Verwen­dung dieser beiden Holzsorten hat sich seit Jahrhunderten bewährt und in neuester Zeit auch ihre wissenschaftliche Erklärung gefunden. In der Schweiz haben wir so viel Fichtenholz, daß es eben nicht mehr geschätzt wird wie in andern Ländern, wo es nie Tannenwälder gab oder nicht mehr gibt. Die Schalleitungsgeschwindig­keit ist in Tannenholz beinahe so groß wie in Stahl, und damit erfüllt es eine der Hauptanforderungen, die eine Geigendecke besitzen muß, in ganz hervorragender Weise. Das Ahornholz mag zuerst seiner schönen Zeichnung wegen gewählt worden sein, die je nach dem Holzwuchs und der Schnittart ganz verschieden sein kann, manchmal wie kostbare Seide schillernd. Ahornholz ist aber nicht nur schön, es läßt sich auch gut verarbeiten und ist trotzdem außerordentlich fest und widerstandsfähig gegen Druck und Schlag. Selbstverständlich ist aus all dem vielen Ahorn- und Tannenholz, das in den ganzen Alpen jeden Winter geschlagen wird, nur ein sehr kleiner Bruchteil für den Geigenbau brauchbar. Der Geigen­bauer muß die Täler oder Wälder kennen, wo geeignetes Holz wächst - und auch dort sind nur wieder einzelne Bäume im Wuchs so geraten, daß gute Instrumente aus ihnen gebaut werden können. Umgekehrt wird aber auch manche schöne Tanne zu Brennholz zersägt, die alle Eigenschaften von gutem Tonholz aufweist, und manches Ahornbrett zu Melkstühlen und Käsertischen verwendet - und hätte doch dem Geigenbauer kostbares Rohmaterial geliefert!

Nun wollen wir aber zu unserer Geige zurückkehren. Das Ahorn- und das Fichtenbrett, die unseren Geigen Boden und Decke geben sollen, sind zirka 15 mm dick. Wir sägen sie sorgfältig auf die gewünschte Form, entfernen auf einer Seite mit einem Meißel rundherum so viel Holz, daß die „Wölbung" ent¬

2 0

Page 18: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

steht. Diese wird mit kleinen Hobeln - die größten etwa so groß wie ein Daumen -noch weiter bearbeitet, bis die ganze Oberfläche die gewünschte Form hat. Boden und Decke sind jetzt in der Mitte immer noch 15 mm dick, am Rand 4 mm. Die schöngeformte Wölbung wird mit der Ziehklinge geglättet und mit feinem Glas­papier geschliffen. Dann kehren wir die Stücke um und entfernen mit dem Meißel nun inwendig so viel Holz, daß die beiden Platten durchgehend ungefähr so dick sind wie der Rand. Mit den kleinen Hobeln und der Ziehklinge wird dann die ge­naue Dicke von Boden und Decke ausgearbeitet. Sie ist so wichtig für das klangliche Resultat, daß es auf den Zehntelsmillimeter ankommt. Der Boden ist jetzt fertig und wird nun mit der Zarge, die sich immer noch auf der „Form" befindet, verleimt.

Die Decke macht uns noch mehr Arbeit: erstens müssen die F-Löcher auf­gezeichnet, mit der Laubsäge ausgesägt und mit einem ganz feinen Messer ge­schnitten werden, zweitens müssen wir einen „Baßbalken" einpassen. Das ist eine Leiste aus Tannenholz, die unter dem linken Stegfuß eingeleimt wird. Dieser Balken hilft der Decke die Last tragen, die ihr dann in Form der gespannten Saiten aufgebürdet wird.

Die fertige Decke können wir nun auch auf die Zargen aufleimen, aus denen wir unterdessen die „Form" herausgenommen haben. Den so geschlossenen Geigenkörper nennt der Geigenbauer „Korpus". Dieser wird mit den „Einlagen" versehen - Streifen aus schwarzem und weißem Holz, die in die vorbereiteten Gräbchen geleimt werden. Der Korpus wird nun ganz sauber geschliffen, die Ränder verrundet und der Untersattel eingepaßt. Dieser ist aus hartem, schwar­zem Ebenholz, da er dem ganzen Saitenzug am untern Ende standhalten muß.

Nach dem Biegen der Zargen, dem Ausarbeiten von Boden und Decke gehen wir nun ans Schnitten des Halses. Dieser wird aus Ahornholz erstellt; er besteht aus dem „Griff" mit halbkreisförmigem Querschnitt und dem darauf aufgeleimten „Griffbrett" aus Ebenholz und aus dem „Kopf". Der Kopf wird wieder einge­teilt in „Wirbelkasten" und „Schnecke". In den Wirbelkasten werden die Wirbel­löcher gebohrt. Die Schnecke verlangt noch einmal die ganze Aufmerksamkeit des Geigenbauers. Sie soll ganz sauber gestochen sein, möglichst symmetrisch, nicht zu groß und nicht zu klein, in schön geschwungenen Linien dem ganzen Werk einen würdigen Abschluß aufsetzend.

Der fertige Hals wird sorgfältig in den Korpus eingepaßt, daß später die Saiten genau in der gewünschten Höhe über Griffbrett und Steg laufen können. Damit ist die „weiße" Geige fertig, sie muß jetzt lackiert werden. Den Geigenlack macht der Geigenbauer oft selber, er besteht aus dem Lösungsmittel (Sprit, Ter­pentin), den Harzen (Schellack und andere exotische Harze, kein Tannenharz!) und den Farbstoffen (Auszüge aus Farbharzen und Farbhölzern). Der Lack kann gelbe, orange, rote, rotbraune oder braune Färbung aufweisen. Er dient nicht nur

21

Page 19: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Ravanastron (in der Schulwerkstätte angefertigte Nach­bildung).

Gezupfte Rotte (links), Nachbildung nach einem Ori­ginal aus einem allemannischen Grabe aus dem 5. bis 7. Jahrhundert. Mit einem Bogen gestrichenes Crout (rechts), Rekon­struktion nach einer Miniatur aus einem Codex (Li¬ moges, 11. Jahrhundert).

zur Verschönerung der Geige, sondern er soll diese auch schützen gegen Schmutz und Beschädigungen. Damit verlangt man von ihm etwas viel, denn anderseits soll Geigenlack sehr elastisch sein, damit er die Schwingungen von Boden und Decke möglichst wenig behindert.

Ist die Geige lackiert - das kann wenige Tage bis zu einem Jahr in Anspruch nehmen, je nach Lacksorte - , so kann an die letzten Arbeiten gedacht werden. Die Wirbel, mit denen man die Saiten anspannt und stimmt, werden eingepaßt, der Saitenhalter zugerüstet. Durch das eine F-Loch schieben wir den „Stimmstock" ins Innere der Geige, ein rundes Tannenstäbchen von 7 mm Durchmesser. Dieser Stimmstock soll hinter dem rechten Stegfuß die Decke stützen - als Gegenstück zum Baßbalken. Außerdem hat er die Schwingungen des Steges auf direktem Weg zum Boden zu leiten. Seine Funktionen sind sehr wichtig - die Italiener nennen ihn denn auch „anima", und auch im deutschen Sprachgebiet wird er oft „Seele" genannt. Nach dem Einsetzen der „Seele" kann der Steg aufgepaßt werden - auch da ist größte Genauigkeit notwendig, damit die beste Klangqualität erzielt und ein einwandfreies Spiel möglich wird. Jetzt noch die Saiten aufziehen und stim¬

Page 20: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Deutsche Fiedel (links), Rekonstruktion nach einem Gemälde von Hans Memling, 1480.—Italienische Viella (rechts), Nach­bildung nach einem Original aus dem Jahre 1500 ca.

Lira da braccio. Nachbildung nach einem Original von Giovanni Maria, Brescia, ca. 1540. Das Instrument zeigt sehr schön die typi­schen Merkmale der Lyrengattung: das Wirbelbrett mit den aufwärts stehenden Wirbeln und die freilaufenden Bordun-Saiten; anderseits sind Umriß, Schallöcher und Besaitung schon so weit entwickelt, daß bis zur Geige kein großer Schritt mehr zu machen war.

men: zum erstenmal läßt die Geige ihre Stimme erklingen, es wird nun das Resultat wochen- oder monatelanger, sorgfältiger und ausdauernder Arbeit end­lich einmal hörbar.»

Mit einem erleichternden Seufzer quittieren wir die Fertigstellung der Geige; schließlich war das in Kürze der Stoff, den ein Geigenbauerlehrling in vier Jahren erlernt! Aber schon regen sich neue Fragen: Wie lange baut und spielt man schon Geigen ? Wer hat sie ursprünglich erfunden ? Was sind das für Instrumente, die wie Geigen aussehen, aber eine Handbreite länger oder doppelt so lang sind? Und die Baßgeigen, die mannsgroßen?

Herr Herzog meint lachend: «Halt, halt, so geht's nicht! Eins nach dem andern: Den Erfinder der Geige kennen wir leider nicht. Aber die Geige war auch nicht plötzlich da, sie entwickelte sich aus vielen älteren Formen von Streichinstru­menten. Schon vor 5000 Jahren soll ein asiatischer König im Traum ein Streich­instrument gesehen haben. Eine Sage von Ceylon erzählt uns darüber, daß König Ravana von seinen Hof handwerkern dieses Instrument dann bauen ließ. Es sieht aus wie eine kleine Trommel mit einem quer durchgesteckten Stab, eine Saite

Page 21: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

ist darüber gespannt und geht über einen Steg, der auf dem Trommelfell steht. Nach seinem „Erfinder" wurde das Instrument „Ravanastron" genannt. Ähnliche Instrumente werden heute noch bei asiatischen und afrikanischen Völkern be­nützt.

Im heutigen Europa sind mit dem Bogen gestrichene Saiteninstrumente unge­fähr seit dem Jahr 1000 n. Chr. nachgewiesen. Man nannte sie auf deutsch „Rotten"; sie wurden zum Teil auch nur gezupft. Aus ihnen entwickelten sich die „Fiedeln", die zirka 1200 bis 1500 in Gebrauch waren. Rotten und Fiedeln waren mit flachen Böden und Decken versehene Instrumente, im Umriß zuerst eiförmig, dann mit eingezogener Mitte, dem Bogen besser Platz freigebend. Erhalten sind fast gar keine dieser Instrumente, wir kennen sie aus Abbildungen in alten Handschriften, von Skulpturen und Gemälden. Um 1500 war dann die Familie der „Violen" ins Musikleben eingetreten, „Viole da gamba" und „Viole da braccio" - also Bein- und Armviolen. Die Armviolen waren nicht so beliebt, die Beinviolen ließen sich müheloser spielen und ergaben größere Klangfülle. Um 1500 waren auch noch zwei andere Streichinstrumente in Gebrauch, anscheinend ausschließ­lich in Italien: die „Lira da braccio" und die „Lira da gamba". Sie gehören wie die Rotten und Fiedeln zu den Instrumenten, von denen wir sehr wenig Kunde haben; vermutlich wurden sie aus dem Stegreif zur Begleitung des Gesanges be­nützt. Die „Lira da braccio" ist für uns aber deshalb interessant, weil aus ihr höchst wahrscheinlich die heutige Geige entstanden ist. Vorerst beherrschte aber die Gambe, wie die «Viola da gamba» deutsch benannt wurde, das musikalische Feld bis ungefähr 1750, und zwar von Italien bis Holland und von Ungarn bis England. Sie wurde in allen Stimmlagen - Sopran, Alt, Tenor, Baß - und den entsprechenden Größen gebaut, also von der Größe einer Geige bis zum manns­hohen Kontrabaß, wie ihr selber gesagt habt. Unser moderner Kontrabaß ist übrigens ein direkter Nachkomme der Baßgamben; er hat den gleichen Umriß behalten, sehr oft einen flachen Boden, und die Saiten werden im Quartabstand gestimmt. Diese Stimmung war bei allen Gamben in Gebrauch; sie hatten sechs Saiten, waren also in Saitenanzahl und Stimmung sichtlich der weitverbreiteten Laute angepaßt. Daher konnte ein Instrumentalist der damaligen Epoche leicht beide Instrumentarten spielen.

Ums Jahr 1600 tauchten die ersten Geigen (Violinen) auf; erhaltene Exem­plare dieser Epoche stammen aus Venedig und einer benachbarten Stadt: Brescia. Die Brescianer Geigen waren vollkommener, sie wurden aber bald übertreffen von denjenigen aus Cremona, einer andern Stadt in der Poebene. Bis 1700 spielten Gamben und Geigen im Musikleben ungefähr die gleiche Rolle, dann aber nahm die Geige einen großen Aufschwung. Begabte Künstler widmeten sich ihr, kom­ponierten für sie, und die Spieltechnik wurde raffinierter - die Geige bot mehr

24

Page 22: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Möglichkeiten als die Gambe. Neben den Geigen wurden die Bratschen gebaut, die eine Handbreite länger und auch breiter sind. Ihre Stimmung ist in Quint¬ abständen wie bei der Geige, aber eine Quinte tiefer als diese. Von den Tenor­gamben wurde ein Instrument in Geigenform entwickelt, das heutige Violon­cello. Auch dieses ist in Quinten gestimmt, aber wieder eine Oktave tiefer als die Bratsche. Das sogenannte Streichquartett besteht aus zwei Geigen, einer Bratsche und einem Violoncello. Für das letztere sagen wir meistens kürzer nur „Tschello". Die Namen der Streichinstrumente stammen ja aus dem Italienischen und sind teilweise verdeutscht worden, während die deutschen Namen fast in Vergessenheit geraten sind. Die deutsche Bezeichnung Bratsche hat sich aus dem italienischen „Viola da braccio" (gleich Armgeige) entwickelt, und das vergessene deutsche Wort „Kniegeige" hat sein Gegenstück im italienischen „Viola da gamba"; heute sagen wir (Violon-) Cello. Die Namensgeschichte zu verfolgen ist recht interessant. Während in England das Wort Fiedel heute noch im guten Sinne verwendet wird, haben wir fast vergessen, daß der Name Fiedler darauf hinweist, daß die Vorfahren Geiger waren, und verwenden - wie schon Luther -das Wort „Fiedel" in einem eher abschätzigen Sinn.

Klaviermacher und Orgelbauer lernt der junge Mann bei uns in einem guten Fachgeschäft während der Lehrzeit, und er bildet sich nachher noch weiter aus in guten Werkstätten des In- und Auslandes. In der Schweiz besteht nur für den angehenden Geigenbauer neben der traditionellen Lehre beim Geigenbaumeister noch die Möglichkeit, eine Berufsschule zu besuchen, nämlich die Geigenbau­schule in Brienz. Mit dieser Berufsschule weist das Geigenbaugewerbe gegenüber allen andern Musikbranchen eine Eigenart auf.»

Diese notwendigerweise unvollständigen Angaben haben doch wohl einen Überblick gegeben. In unseren Räten schließen Interpellationen mit der Frage: «Erklärt sich der Interpellant befriedigt?» Wir hoffen es.

Eine Sammlung von Schweizer Geigen

ADOLF KÖNIG

W I R besitzen in der Schweiz wohl Musikinstrumentensammlungen, die dem Mu­sikfreund und dem Wissenschaftler jeden gewünschten Aufschluß zu geben ver­mögen, doch suchen wir in den großen öffentlichen Museen vergeblich nach einer Dokumentation des Schweizer Geigenbaues. Im Landesmuseum in Zürich ent­decken wir vielleicht die Musikkammer unter dem Dach, und im gleichen Ge¬

25

Page 23: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Violine aus der Werkstätte der Geigenbauschule Brienz (Modell nach Petrus Guarnerius, Mantua, 1686).

bäude ist die Sammlung der Hallwilschen Privataltertümer untergebracht, deren

Katalog neben Geigen von Stradivarius und Stainer eine solche mit einer Inschrift

«Bern 1794» erwähnt.

So mögen in andern Schweizer Museen noch einzelne Streichinstrumente

schweizerischer Herkunft zu sehen sein, doch eine ganze Sammlung von Schweizer

Geigen? Gibt es das wirklich?

Ja, sie existiert, eine Sammlung von Geigen, die von Schweizern oder in der Schweiz niedergelassenen Berufs- und Dilettantengeigenbauern angefertigt wor­den sind. Während über 40 Jahren hat Herr Prof. H. Hanselmann diese Sammlung zusammengetragen. Sie umfaßt heute fast 200 Instrumente, von Berufenen und nicht so ganz Berufenen hergestellt, und soll nach dem Willen des Sammlers an­schaulich dartun, wie auch in unserem Lande das edle Streben auf diesem Zweige des Kunsthandwerks seit langem wach ist.

Es ist ja eigentlich nicht so erstaunlich, daß in der Schweiz Geigen gebaut wurden, wachsen doch in den Alpentälern gerade die bestgeeigneten Hölzer für diesen Zweck.

Page 24: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Violine (Decken- und Bodenansicht), gebaut von Adolf König, Brienz. Dieses Instrument wurde 1949 im inter­nationalen «Concours» in 's Gravenhage mit einem Ehrendiplom bedacht.

Wir wollen hier jedoch nicht eine Geschichte der Geigenbaukunst in der Schweiz schreiben - eine solche wurde schon 1923 von Hans Boltshauser heraus­gegeben, eine nachgeführte und bedeutend erweiterte Auflage liegt heute im Manuskript vor - , sondern uns jetzt diesen zweihundert Geigen zuwenden und uns erst einmal überlegen: wie kann man eine solche Anzahl Instrumente auf­bewahren? In einem Estrichraum ergibt das zehn Reihen zu zwanzig Geigen -jede Reihe sechs Meter lang, vielleicht in Papier- oder Cellophansäcken geschützt vor dem Verstauben. In einem Ausstellungsraum gibt es bei dichtem Hängen rund hundert «Laufmeter»; wenn man die Instrumente spielfähig erhalten will, so sind achthundert Saiten und achthundert Wirbel zu pflegen! Nun also, diese Sammlung ist jetzt als Leihgabe in der Brienzer Geigenbauschule untergebracht und ein kleiner Teil davon in einer Wechselausstellung zugänglich. In der Aus­stellung «Geigenbau in der Schweiz »im Berner Gewerbemuseum waren ungefähr sechzig Instrumente in verschiedenen Gruppen zur Schau gestellt, und wir wollen uns bei unserer Betrachtung auch an diese Ordnung halten.

Da sind zuerst die ältesten Stücke, darunter aus dem 18. Jahrhundert eines mit

Page 25: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

der Etikette «Fait à Genève / Par JEAN EMERY / Maître Luthie / l'An 1736» und eines mit dem handschriftlichen Vermerk «Fait par C. Borel / à Neuchâtel en Suisse / 1776 No. 3». Aus dem 19. Jahrhundert finden wir schon zwölf Geigen; davon möchten wir hier erwähnen die Arbeiten von Henri Borel, Neuchâtel 1801 – H.R.Waser, Zürich 1827 und 1837 – F.M. Pupunat, Lausanne 1845 – Alois Suter, Brunnen 1838 und 1865 – F. Schill, Luzern 1864 – G. Methfessel, Bern 1878. Von Borel senior und junior wissen wir, daß sie als «ebenistes» arbeiteten, von Waser nichts als die Existenz seiner hübschen Geigen; Pupunat war «Maitre ebeniste», verfertigte jedoch sehr schöne und gutklingende Geigen. Wir kennen auch ein Violoncello von seiner Hand, das in der obenerwähnten Ausstellung zu sehen war. Nach Vannes1 soll Pupunat – auf seinen Etiketten nennt er sich FRANCISCUS MARIA PUPUNATUS - 300 Geigen und 25 Celli gebaut und ungefähr 3000 Reparaturen ausgeführt haben, er war weitherum berühmt für seine Kunstfertigkeit.

Mit Gustav Methfessel bekommt die Schweiz 1864 den ersten Berufsgeigen­bauer, der auch Nachfolger finden sollte. Methfessel war 1839 in Bern geboren und nach seiner Ausbildung in Regensburg und Wien wieder nach Bern zurück­gekehrt, wo sein Vater Musikdirektor war. Schon 1844 hatte der Wiener Geigen­baumeister Padewet in Basel sein Glück versucht, mußte aber 1846 nach Karls­ruhe weiterwandern. Von Padewet besitzt die Sammlung ein Exemplar aus seiner Karlsruher Zeit, 1847 datiert.

Im Jahre 1878 kam Anton Siebenhüner nach Zürich, aus einer böhmischen Instrumentenmacherfamilie gebürtig; nach einer Lehrzeit in Wien und reichlich benutzten Wanderjahren – sie führten ihn nach Budapest, München, Wien, Leip­zig, Berlin und New York – war Siebenhüner zweifellos der Mann, dem in Zürich aufstrebendem Musikleben als Geigenbaumeister zur Seite zu stehen. Die Geige vom Jahre 1913 zeigt die typische Arbeit dieses Meisters, der eine große Anzahl von Instrumenten hinterlassen hat. Anton Siebenhüner hatte drei Söhne und drei Töchter, von denen ein Sohn und eine Tochter das väterliche Handwerk erlernten. Carl hatte trotz sorgfältiger Ausbildung nicht die Berufung zum Geigenbauer, aber seine Schwester folgte zum Teil den Fußstapfen ihres Vaters, als sie einige Jahre in New York arbeitete. Die Geige mit der Etikette «Martha Siebenhüner / Geigenbauerin / Planegg b. München 1928» war lange Jahre das einzige von einer Frau angefertigte Exemplar der Sammlung, doch hat sie vor kurzem in der Arbeit der in Brienz ausgebildeten Brigitte Ueberwasser aus Basel Gesellschaft erhalten!

Mit Siebenhüners Geige sind wir unversehens ins 20. Jahrhundert gerutscht,

1 R. Vannes, Dictionnaire universel des Luthiers, Bruxelles 1951.

28

Page 26: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

und da finden wir natürlich den Hauptharst. Um die Jahrhundertwende kamen die Brüder August und Paul Meinel aus Markneukirchen in Sachsen nach Basel. August ging bald nach Liestal und bildete dort eine Reihe von Geigenbauern aus: wir finden Instrumente seiner Schüler F.Baumgartner, Basel 1918 – G. Senn, Basel 1937 – R. Reinert, La Chaux-de-Fonds 1921 – A.König, Zürich 1937. Aber auch von P. Meinel, Basel 1903 – A. Meinel, Liestal 1934 – und von der « Schweize­rischen Geigenbaugesellschaft Liestal», einer Schöpfung August Meineis, finden sich Instrumente. In Zürich etablierte sich 1893 J .E. Züst, der Sohn eines Sankt-Galler Orgelbauers. Schüler von Züst waren u. a. E. Tenucci und F. Sprenger, von denen Instrumente aus den Jahren 1910 und 1918 vorhanden sind. Die Geige von Züst aus dem Jahre 1920 ist auch wieder ein ganz typisches Exemplar dieses Meisters, eine der Perlen der Sammlung wie die Geige von «Georgius Ullmannius». Mit Georg Ulimann kam 1915 ein Großer der Geigenbaukunst in die Schweiz – nicht freiwillig, denn nach der Ausbildung in Markneukirchen und Wanderfahrten nach Berlin, Venedig, Berlin, Mailand, Prag und Paris hatte er sich in Mailand etabliert und mußte der Kriegsereignisse wegen in die Schweiz flüchten. Umgekehrt kam Giuseppe Fiorini aus München; auch seine Geige ist ein Meisterstück. Ullmann und Fiorini verließen die Schweiz 1923. Bildete Fiorini zwei «Amateure» zu guten Geigenbauern aus, so ist von Ullmann u.W. nichts Derartiges zu berichten.

Aus Bern kommen die Geigen von Gustav Lütschg 1910 und von Gerhard Lütschg 1934. Gustav Lütschg muß ein ganz begabter Geiger gewesen sein, denn er durfte schon als Zwölfjähriger im großen Orchester mitspielen. Sein Vater – seines Zeichens Direktor des Waisenhauses – wollte ihn jedoch nicht Künstler werden lassen, lieber Arzt oder Apotheker! Gustav kam dann zu Methfessel in die Lehre und lehrte seinerseits seinen Bruder Gerhard. Letzterer betreibt seine Werkstatt hochbetagt heute noch mit Hilfe seiner Schwester.

Die Westschweiz ist vertreten u. a. durch Geigen von Alfred Vidoudez, Genf 1918 – Pierre Gerber, Lausanne 1938 – M. Dessouslavy, Neuenburg, während aus dem Tessin nur F.Andina, Lugano 1933, für eine geigenbauerische Tätigkeit zeugt.

Dies sind nur wenige der Arbeiten von Berufsgeigenbauern aus dem 20. Jahr­hundert; ein komplettes Verzeichnis würde einen ordentlichen Katalog ergeben. In diesem wären natürlich noch aufzunehmen die Geigen der Liebhaber-Geigen­bauer, die einen wesentlichen Teil der Sammlung beanspruchen. Dann gibt es auch «Amateure », die aus ihrem Hobby den Hauptberuf machten und es zu Erfolg brachten, zum Beispiel E. Baltensberger in Chur, dessen Arbeit vom Jahre 1901 in der Schweiz als Rarität zu gelten hat, da die meisten seiner Instrumente nach England verkauft worden sind.

29

Page 27: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

In der Ausstellung «Geigenbau in der Schweiz», die im Jahre 1954 im Berner Gewerbemuseum zu sehen war, waren über 50 Geigen aus der «Kollektion Hanselmann» zur Schau gestellt.

Ja, diese Dilettanten! Es ist aber nicht leicht, über sie zu schreiben, und auch nicht leicht, ihnen gerecht zu werden. Sie mögen aus den verschiedensten Gründen aufs Geigenbauen gekommen sein: W. Türcke und E.Thomann, die beiden Fiorini-Schüler, vielleicht zum Ausgleich ihrer sonst rein intellektuellen Arbeit als Architekt und Ingenieur; Jon Perl aus Santa Maria, Karl Probst und Franz Sousa mit ihren siebzig und mehr Jahren, weil sie ihren Beruf als Wagner bzw. Schreiner nicht mehr ausüben konnten; A. Stemplowsky, um sich die Zeit zu ver­treiben, da er dank einer vermöglichen Ehefrau seinen Broterwerb aufgeben und sich dem Geigenspiel und -bau widmen konnte. Dann wären auch noch die «Erfinder» zu erwähnen; sie verbessern den Lack oder auch die Wölbung, den Umriß, die Zargenkonstruktion oder auch gleich die ganze Architektur! – Zweifel­los finden sie ihre Befriedigung dabei, und eine Inschrift möge hier für alle spre­chen: IN ARTE VOLUPTAS!

Herr Prof. Hanselmann hat seine Sammeltätigkeit vor einigen Jahren abge­schlossen, aber trotzdem tröpfelt noch dann und wann ein weiteres Instrument dazu. Es wäre da zu nennen eine Geige der Brüder Werner und Alex Jacot in Les Bayards - deren Oeuvre hoffentlich auch einmal eingehend gewürdigt wird –

Page 28: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

Im Historischen Museum in Bern stoßen wir in der kleinen, aber interessanten und übersichtlich aufgestellten Musikinstrumentensammlung unter anderem auch auf zwei Streichinstrumente: einen kleinen Kontrabaß und eine Bratsche, beide mit Inschrift «Hans Krouch Daler auff der Leimen / In der Kilchöri Oberbalm 1696 ». Diese Instrumente sind sichtlich von einem Musikliebhaber gemacht worden, der sich auf die Holzbearbeitung ver­stand und seine Kunstfertigkeit in vollem Maße anwendete.

Page 29: 27145_1016_Koenig_Schweizer_Geige_O.pdf

und dann etwa eine Arbeit von den jungen Geigenbauern, die die Schule ver­lassen haben. Vielleicht findet sich auf diese Publikation hin noch der eine oder andere Besitzer einer Schweizer Geige veranlaßt, diese der Sammlung als Gabe oder Leihgabe zur Verfügung zu stellen oder sie auch nur zu melden zuhanden eines noch anzufertigenden Kataloges der Schweizer Geigen.