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19 2002

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ZEITSCHRIFT DES LCH 19/2002 «Es kann jedem passieren» • Sexuelle Übergriffe – Lehrer unter Verdacht LCH-Studien: Die Forderungen • Löhne erhöhen, Belastung reduzieren • Zeit und Geld für Schulentwicklung • Private Arbeitsplatzkosten abgelten
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Z E I T S C H R I F T D E S L C H 1 9 / 2 0 0 2

«Es kann jedem passieren»• Sexuelle Übergriffe – Lehrer unter Verdacht

LCH-Studien: Die Forderungen• Löhne erhöhen, Belastung reduzieren• Zeit und Geld für Schulentwicklung• Private Arbeitsplatzkosten abgelten

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Inhalt

Aktuell5 Kundgebung gegen Berner

Sparpläne5 Nachrichten

Aus dem LCH6 LCH-Präsidentenkonferenz: Ein

gewerkschaftliches Kraftpaket10 Kosten des privaten Arbeitsplatzes

geltend machen

Objets trouvés11 «Burnout» ist auch ein französisches

Wort

Reportage12 «Es kann jedem passieren» – Lehrer

unter Verdacht

Begabungsförderung18 Begabt sind viele, gefördert werden

müssen alle21 «Hochbegabung ist die normalste

Sache der Welt» – Interview mitMargrit Stamm

Pestalozzipreis26 Risch ZG: Kleine Gemeinde, grosses

Engagement

Bildungsnetz33 Perlen aus der Schulstube

Magazin/Rubriken30 Charta für nachhaltige Bildung31 Termine, Hinweise35 Bildungsforschung37 Leserbriefe, Impressum39 Vorschau

Rufnummer39 Heisse Astern

Titelbild: Erwünschte oderunerwünschte Nähe?Foto: Peter Larson

Nummer 19 . 2002, 19. November 2002

Zeitschrift des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH)147. Jahrgang der Schweizer Lehrerinnen-und Lehrerzeitung (SLZ)

Guten Schultag!

Imke, unsere Bekannte aus Norddeutschland, klingt gestresst am Te-lefon. Vor 14 Tagen erst zog die junge Chemikerin in die Schweiz,jetzt ist in ihrer Wohnung schon der Boiler kaputt. Wo, bitte, findetsie hier einen Klempner? Ich erkläre ihr, dass sie hierzulande keinenKlempner suchen sollte, sondern einen Sanitärinstallateur. NächstesTelefon, zwei Tage später: Es hat geklappt, heisses Wasser fliesstwieder. Aber der Besuch des alarmierten Handwerkers muss einiger-massen gespenstisch verlaufen sein, denn der Mann sprach keinHochdeutsch oder jedenfalls nichts, was für Imke als Hochdeutscherkennbar gewesen wäre. Nur mit Hilfe eines dolmetschenden Nach-barn sei die Verständigung möglich geworden.Wir lachten gemeinsam über diesen Vorfall. Eine Geschichte zumNachdenken wurde er für mich erst, als ich in der Zeitung las, imKanton Zürich komme es zur Volksabstimmung über die Finanzie-rung von Integrationskursen für ausländische Jugendliche. Eine Ver-einigung von Steuerzahlern, welche einer bestimmten Partei nahe-steht, habe dagegen das Referendum ergriffen.Vielleicht gehört der Handwerker, der Imkes Boiler reparierte, zu denLeuten, die den Integrationskredit bekämpfen. Schliesslich ist Inte-gration etwas zum Wohl der Ausländer, und denen soll’s bei unsnicht zu wohl werden, findet der Mann. Natürlich fällt ihm nichtein, dass er auf seine Weise ebenfalls Integrationshilfe nötig hätte(denn wer die Amtssprache nicht beherrscht, ist nicht integriert).Sein Sohn erhält Logopädiestunden, das ist ihm sowieso peinlich,und dass dieser Sohn dank der Therapie eine Regelklasse besuchenkann, würde er nie mit Integration in Verbindung bringen. Und seinegestresste Kundin? Die ist ja auch nur dank einer privaten Integrati-onsmassnahme auf ihn, den Sanitärinstallateur, gestossen, sonstwürde sie heute noch einen Klempner suchen.Integration oder Separation? Auch in der Begabtenförderung stelltsich die Frage. Vor kurzem gab es noch kaum Zweifel, dass nurfrühe Absonderung den kleinen Genies zum Durchbruch verhelfe.Heute wächst die Ansicht, mit Hilfe einer auf Begabungsförderungsensibilisierten Lehrperson könnten sich spezielle Fähigkeiten imvertrauten Umfeld einer Regelklasse mindestens ebenso gut ent-wickeln (Bericht Seite 18).Integration und Begabungsförderung sind gesellschaftliche Aufga-ben, für die die Schule genügend Zeit, Personal und Geld braucht.Das ist eine «Selbstverständlichkeit», um die der LCH und seineSektionen immer wieder kämpfen müssen. Im Bericht von der LCH-Präsidentenkonferenz (Seite 6) ist unter anderem davon die Rede.

Heinz Weber

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Recht auf Bildung

UnterfordertKindern und Jugendlichenvon Asylsuchenden inDurchgangszentren wird anverschiedenen Orten derdeutschen Schweiz derSchulbesuch verweigert. Aneiner gemeinsamen Medien-konferenz haben das ProjektInterkulturelle Bildung desvpod, das Centre de ContactSuisses-Immigrés (CCSI) undSolidarité sans frontière dieResultate einer Umfragepräsentiert, welche diesbestätigen. Ein vorbildlichesEinschulungsmodell kannhingegen der Kanton Genfvorweisen.In Solothurn und Bernhaben fremdenpolizeilicheBehörden ausdrücklich dasRecht, von den Schulbehör-den eine Liste der ausländi-schen Kinder, welche dieSchule besuchen, zu verlan-gen. Dies obwohl 1991 dieschweizerische Konferenzder kantonalen Erziehungs-direktoren (EDK) in den«Empfehlungen zur Schu-lung der fremdsprachigenKinder» betont hatte, esseien «alle in der Schweizlebenden fremdsprachigenKinder in die öffentlichenSchulen zu integrieren».So erhielt die Geschäftsfüh-rerin von Solidarité sansfrontière, Anni Lanz, in Aar-wangen die Auskunft, dassrund ein Dutzend Kinder imschulpflichtigen Alter imZentrum die Schule nichtbesuchen können. Sie lang-weilen sich, lernen in denwenigen Deutschstunden dieSprache nur ungenügendund hätten auch keine Mög-lichkeit, Sport zu treiben, wieeinige der betroffenen Ju-gendlichen erklärten.Im Namen der drei Organisa-tionen forderte vpod-SekretärUrs Loppacher, die Einschu-lung solle in allen Kanto-nen nach dem Vorbild vonGenf erfolgen. Ausserdem sollen Bund und KantoneOmbudsstellen einrichten.

B.S.

Über 20 000 Personen haben am Freitag, 1. November, aufdem Bundesplatz in Bern ihr «Veto» gegen die Spärpläne derBerner Kantonsregierung eingelegt. Die Kundgebung wurdevon Gewerkschaften und Berufsverbänden getragen. Sie rich-tete sich gegen die strategische Aufgabenüberprüfung (SAR),in welcher der Regierungsrat rund 400 Massnahmen zurHaushaltentlastung vorschlägt. Besonders stark betroffen sinddas Gesundheits-, das Sozial- und das Bildungswesen. Unteranderem sind Kürzungen in der Lehrerweiterbildung vorgese-hen. Die Mehrheit des Grossen Rates wolle Schulden abbauen,doch mit dem Abbau im Bildungswesen häufe sie lediglichSchuldenberge von morgen an, kritisierte Jean ChristopheSchwaab von der Studentinnen- und Studentenschaft derUniversität Bern. Die Einsparungen sollen in den kommen-den Jahren rund 570 Stellen kosten. Unter dem Motto «Veto –gegen die Demontage des Service public» brachten Vertrete-rinnen und Vertreter des Service public ihre Sorge zum Aus-druck, dass die Qualität in vielen Bereichen nicht mehrgewährleistet sei und der Kanton als Arbeitgeber mehr undmehr an Attraktivität verliere. B.S.

Kundgebung gegenBerner Sparpläne Die angekündigten Sparmassnahmen der Berner Kantonsre-gierung betreffen auch das Bildungswesen stark. Kürzungensind unter anderem in der Weiterbildung vorgesehen.

Liberalisierung

EDK besorgtDie Erziehungsdirektoren-konferenz (EDK) kritisiertean ihrer Jahresversammlungvom 7./8. November inGenf, dass die Schweiz imRahmen der GATS-Verhand-lungen offensichtlich bereitsVerpflichtungen eingegan-gen ist. LCH-Zentralpräsident BeatW. Zemp hatte bereits vorrund einem Jahr auf die Bri-sanz dieser Verhandlungenhingewiesen (BILDUNGSCHWEIZ 19/2001). Daringeht es um Globalisierungund Liberalisierung traditio-nell staatlicher Dienstleis-tungen, unter anderem desBildungssektors.Die politisch Verantwortli-chen, Kantone und zuständi-ge Bundesämter, seien bishernicht in den Verhandlungs-prozess einbezogen worden,kritisiert die EDK in einerPressemitteilung. Besorgnisäussert sie insbesondere dar-über, dass die Schweiz an-scheinend weiterreichendeVerpflichtungen als andereStaaten eingegangen sei. Diebisher von den feder-führenden Bundesinstanzengelieferten Informationenermöglichten den Bildungs-verantwortlichen keine Beur-teilung der Tragweite der be-reits gemachten Zugeständ-nisse.Die EDK verlangt vom Bun-desamt für Bildung und Wis-senschaft eine Detailanalyseüber die bisherigen Verhand-lungsergebnisse.Ausserdem fordert die EDK,dass Bund und Kantone ineinem Masterplan festlegen,welche Ziele sie in dengemeinsam verantwortetenund finanzierten Bildungs-bereichen (Berufsbildung,Hochschulen, Forschung) bis2008 erreichen wollen undwie deren Umsetzung undFinanzierung zu handhabenseien. Sie äussert ihre Besorg-nis hinsichtlich der Kosten-verschiebung zu Lasten derKantone. B.S.

Im Tessin wird Englisch PflichtItalienisch, Französisch, Deutsch, Englisch: In dieser Reihen-folge werden die Tessiner Schülerinnen und Schüler künftigSprachen lernen. Der Regierungsrat hat eine entsprechendeSchulreform des Erziehungsdepartementes gutgeheissen. Das Französische bleibt an den Tessiner Schulen erste Fremd-sprache. Es wird wie bisher bereits ab dem dritten Schuljahrgelernt und bleibt vier Jahre lang obligatorisch, danach Wahl-fach. Mit dem siebten Schuljahr setzt der ebenfalls obligatori-sche Deutschunterricht ein. Englisch wird neu Pflichtfach. Damit die Reform nicht zu einer Überlastung der Schülerführt, werden nicht mehr als zwei Fremdsprachen nebenein-ander obligatorisch unterrichtet. sda.

Berner Lehrpersonen auf dem Protestmarsch.

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«Es gibt keine einfache Formel; dieSituation ist komplex», machte Sozial-forscher Charles Landert gleich zuBeginn seiner Ausführungen klar. Vorden rund 70 Vertreterinnen und Vertre-tern der LCH-Sektionen und Mitglieds-organisationen resümierte Landert dieErgebnisse der vor einem Jahr durchge-führten Erhebung über die Arbeitszu-friedenheit der Lehrerinnen und Lehrerin der Deutschschweiz (Bericht BIL-DUNG SCHWEIZ 10/02, nähere Anga-ben auf der Homepage www.lch.ch)und präsentierte die daraus abgeleitetenEmpfehlungen. Allgemein sei die Berufszufriedenheitder Lehrpersonen gut, in einigen heik-len Punkten jedoch sei sie sehr schlecht,legte Landert dar. So stünden geradejene Arbeitsbereiche, welche bei denLehrpersonen Berufszufriedenheit «pro-duzieren» – nämlich die pädagogischeTätigkeit und die Gestaltungsfreiheit –gegenwärtig stark unter Druck (vgl.Bericht Seite 8): «Der Eindruck entsteht,dass Lehrpersonen immer mehr ausihrem Kerngebiet herausgedrängt wer-den und Dinge tun müssen, für die sienicht ausgebildet wurden.»

Berufsauftrag realistisch formulierenDaraus resultiert für Landert als wichtigs-tes Postulat eine «Formulierung desBerufsauftrages – basierend auf realisti-schen Annahmen der Rahmenbedin-gungen von Unterricht und schulischerErziehung». Adressaten dieser Forde-rung sind die Bildungsdirektionen, dieEDK, Schulgemeinden und Schulen.Weitere wichtige Forderungen sind fürihn: Überdenken des Volksschulberei-ches im Bezug auf Aufstiegsmöglichkei-ten, Job-Enlargement und Job-Enrich-ment – Schaffung zusätzlicher Auf- undUmstiegsmöglichkeiten. Schliesslichbrauche es eine professionelle Personal-betreuung und -entwicklung in denKantonen und Gemeinden sowie eineauf den Kapazitäten basierende Steue-rung der schulischen Reformprozesse:«Der in den Daten anklingende Reform-überdruss soll einem bewussten undbeständigen Engagement für sinnvolleReformen Platz machen.»

Gegen die «innere Kündigung»LCH-Zentralpräsident Beat W. Zempzeigte in der Folge auf, an welchen Stel-len sich entscheidet, ob Lehrpersonenihrer Aufgabe mit Engagement und

Freude nachgehen oder ob sie nachMöglichkeit die «Branche» wechselnund – falls dies misslingt – die «innereKündigung» vollziehen. Zemp zeigte zur Verdeutlichung ein gra-fisches Modell mit den drei Determi-nanten «Team», «Status» und «Berufs-aufgabe». «Die Erfahrung zeigt, dass mindestenszwei dieser drei Determinanten bei derpersönlichen Bilanz einen positivenSaldo ergeben müssen, damit jemandim Beruf verbleibt, beziehungsweiseeine positive Erwartungshaltung erzeu-gen müssen, damit jemand in den Berufeinsteigt», erklärte Zemp. Stimmen zumBeispiel Lohn und Berufsaufgabe, sobleibt man dabei, auch wenn es Span-nungen im Team gibt. Und wo dasTeam gut ist und die Aufgabe erfüllend,da wird man einen weniger guten Lohnin Kauf nehmen.Was die Schule betrifft, so ortet derLCH-Zentralpräsident Handlungsbedarfin allen drei Bereichen. WichtigstePunkte:• Die Anstellungsbedingungen der Leh-

rerinnen und Lehrer müssen verbes-sert werden. Es darf in Zukunft nichtmehr vorkommen, dass nicht einmal

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Ein gewerkschaftliches KraftpaketDie Erhebungen des LCH zur Arbeitszufriedenheit und zu den privaten Arbeitsplatzkosten derLehrpersonen waren Schwerpunkt der LCH-Präsidentenkonferenz vom 26./27. Oktober in Abtwilbei St. Gallen. Die Kantonalsektionen sind froh um dieses Grundlagenmaterial. An einer LCH-Medienkonferenz zeigte auch EDK-Generalsekretär Hans Ambühl Interesse an den Daten.

Die LCH-Geschäftsleitung an der Präsidentenkonferenz in Abtwil SG. Am Mikrofon: Beat W. Zemp.

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die Kaufkraft der Löhne erhaltenbleibt.

• Beim Unterrichten müssen sich dieLehrpersonen auf die eigentlicheKernaufgabe konzentrieren können.Die Schule muss sich gegenüber einerFlut von neuen Erziehungsaufgabenabgrenzen. Die berufliche Gestal-tungsfreiheit muss erhalten bleiben.

• Die Zusammenarbeit in den Schulkol-legien muss institutionalisiert wer-den. Die Schulen brauchen für dienötige Entwicklungsarbeit nicht nurviel Autonomie, sondern auch dienötigen Mittel.

Der LCH wird im kommenden Frühjahreine Fachtagung durchführen, um derFrage nachzugehen, was der Begriff«Kerngeschäft» für den Lehrberuf be-deutet.

Personalbetreuung dringlichGehört der «Räbeliechtliumzug» mit lo-kaler Tradition zum Kerngeschäft? Odersollen (und können) sich Lehrerinnenund Lehrer von solchen und ähnlichenProjekten und Exkursionen abgrenzen?Bei der Diskussion der LCH-Studien inverschiedenen Workshops wurden dieTeilnehmenden rasch konkret. Klar kamzum Ausdruck, dass Lehrpersonen sichgegen eine Anhäufung von pädagogi-schen «Randerscheinungen» wehrenund notfalls gemeinsame Aktionen zurEntschlackung des Pflichtenhefts unter-nehmen müssen.Karriere-Chancen oder gar die Möglich-keit einer minutiösen Karriereplanung,wie es sie in der Wirtschaft gibt, werdennicht von allen Lehrpersonen in glei-chem Mass vermisst. Schliesslich gebees durchaus die Möglichkeiten, sich zuverändern oder in bestimmten Berei-chen fortzubilden. Dringlich hingegenerscheint die Einführung einer pro-fessionellen Personalbetreuung. Diesemüsste unter anderem auch in der Lagesein, «Strategien gegen Burnout» anzu-bieten. Dass immer wieder Lehrkräftewegen emotionaler Erschöpfung ausfal-len, sei ein «Luxus», den sich die Schul-behörden je länger je weniger leistenkönnten.Allerdings, so gab der Luzerner Ver-bandssekretär Pius Egli zu bedenken, seihier auch ein Sinneswandel bei denPädagogen nötig: «Bis jetzt waren Lehr-personen nicht gewohnt, geführt zuwerden. Es braucht mindestens eineGeneration, bis sich das neue Bewusst-sein durchsetzt.»Einen Wandel der eigenen Einstellungerfordert auch die Steuerung von Re-

formprozessen (ein Hauptkritikpunkt inder Erhebung). Die Lehrerschaft müssesich als Mitträger anbieten, dafür aberauch ein Vetorecht einfordern, wurdepostuliert. «Lehrerinnen und Lehrermüssen sich bewusst werden, dass sieauch einen politischen Auftrag haben,und der Bevölkerung kommunizieren,was sie tun.»Insgesamt zeigten sich die Vertreterin-nen und Vertreter der Sektionen undStufenorganisationen sehr befriedigtüber die im Lauf des vergangenen Jahresgeleistete gewerkschaftliche Grundla-genarbeit. Die LCH-Erhebungen seieneine wertvolle Argumentationshilfe.

«Das Ziel wird verfehlt»Gut eine Woche nach der Präsidenten-konferenz von Abtwil, am 4. November,lud der LCH in Zürich zu einer Medien-orientierung über die Berufszufrieden-heits-Studie ein. Dabei setzte insbeson-dere Zentralsekretär Urs Schildknechtzusätzliche kritische Akzente: «Der vor-liegende Befund ist bedenklich», sagteSchildknecht: «Das Ziel der Bildungs-politik und -verwaltung, mit hoch pro-fessionellen und erfahrenen, hochzufriedenen, hoch motivierten undengagierten Lehrpersonen eine leis-tungsfähige und innovative öffentlicheSchule zu sichern, wird offensichtlich je

länger desto mehr verfehlt.» Durch dieZahl und die Widersprüchlichkeit derAnforderungen an die Schule werde diean sich hohe Motivation der Lehrperso-nen zur Arbeit mit Kindern und Jugend-lichen ständig torpediert.An der Medienkonferenz nahm auchEDK-Generalsekretär Hans Ambühl teil.Er würdigte die Grundlagenarbeit desLCH und erklärte, die Ergebnisse samtEmpfehlungen würden in die Arbeit der«Task-Force Lehrberufstand» einfliessen.In dieser Gruppe sind auch die Dachver-bände LCH und SER vertreten.Insbesondere, so Ambühl, sei der Hin-weis ernst zu nehmen, dass die Öffent-lichkeit zu viele Aufgaben an die Schuledelegiere, «nur weil es dafür wirklichoder vermeintlich keine anderen gesell-schaftlichen Strukturen mit entspre-chender Verbindlichkeit mehr gibt.»Die Stärkung des Berufsstandes derLehrenden sei im Tätigkeitsprogrammder Erziehungsdirektoren-Konferenz einSchwerpunkt mit höchster Priorität,betonte Ambühl. Die EDK sei bereits inden Bereichen Ausbildung, Berufsbildund Rekrutierung tätig geworden. Aufdie konkreten Arbeits- und Anstellungs-bedingungen habe sie freilich keinenEinfluss, denn diese würden auch inZukunft «zum Handlungsfeld der Kan-tone gehören». Heinz Weber

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A t t r a k t i v i t ä t d e s L e h r b e r u f s

TeamZusammenarbeit mit:KollegiumSchulleitungElternBehörden

BerufsaufgabeUnterrichtsaufgabeErziehungsaufgabeBerufliche FreiheitJob-Enrichment

StatusLohnArbeitszeitWeiterbildungKlassengrösse

Die Determinanten der Berufs-Attraktivität: Mindestens zwei von dreiBereichen müssen stimmen, damit jemand motiviert im Beruf verbleibt.

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Im Jahr 2001 hätten 71% der Lehrperso-nen ihren Beruf erneut gewählt, wärensie nochmals vor der Berufswahl ge-standen (1990: 75%). 29% (25%) gabendem gegenüber an, sie würden heuteanders entscheiden. Der Wert von 4%zusätzlichen «Abwähler(inne)n» ist eherschönfärbend, da sich die Struktur derLehrerpopulation zwischen 1990 und2001 deutlich zugunsten von Lehrerin-nen und Teilzeit Arbeitenden und damittendenziell zufriedeneren Lehrpersonenverschoben hat.Den Lehrerberuf weniger häufig wiederwählen würden Oberstufenlehrperso-nen, Lehrpersonen mit Dienstalter 21Jahre und mehr sowie Lehrerinnen undLehrer mit vollem Pensum (d.h. mitüber 90% einer vollen Stelle).Als Gründe für die Wiederwahl desLehrerberufs werden fast ausschliesslichdie pädagogische Tätigkeit, die damitverbundenen Gestaltungsräume unddie Abwechslung genannt. Als Gründeder Abwahl erscheinen zuoberst Stress,fehlende Aufstiegsmöglichkeiten, Aner-kennung und Akzeptanz, schwierigeSchülerinnen und Schüler sowie Belas-tung durch administrative Arbeiten.

Abgrenzung kaum praktikabelDie Ergebnisse zeigen zum einen, dasses in der Schule nicht leicht zu seinscheint, den verschiedenen beruflichenAspekten unterschiedliche Wichtigkeitzuzumessen und so Arbeitsanfall undKapazität in Einklang zu bringen. Letzt-lich ist alles wichtig, mehr noch – dieszeigt der Vergleich von 1990/2001: alleswird wichtiger. Das pädagogischePflichtbewusstsein der Lehrpersonenverbietet ein Nachlassen des Engage-ments in Unterricht und Erziehung.Gleichzeitig sehen sie sich aber von derBildungspolitik, den Behörden, den

Eltern, der Wirtschaft und der For-schung mit neuen Erwartungen kon-frontiert. Abgrenzungen sind deshalbnicht nur subjektiv schwierig, sondernfaktisch auch kaum praktikabel.Zweitens weisen Lehrerinnen und Leh-rer eine recht gute Berufszufriedenheitaus. Dieses Ergebnis wird aber relativiertdurch teilweise sehr schlechte Ergebnis-se in Teilaspekten des Berufs, so etwa inBezug auf die sozialen Bedingungen derSchülerinnen und Schüler. Diesen Aspekten ist gemeinsam, dass sievon den Lehrpersonen nur schwernachhaltig zu beeinflussen sind. Über-dies hat hier die Zufriedenheit in denletzten elf Jahren abgenommen. Somitist innerhalb dieser Periode der Anteilwenig zufriedener oder unzufriedenerLehrerinnen und Lehrer angestiegen.Die Gegenüberstellung von Berufszu-friedenheit fördernden und hemmen-den Faktoren weist, drittens, auf einRisiko bei der Entstehung von Berufs-unzufriedenheit hin. Die Bereiche, dieBerufszufriedenheit besonders ausge-prägt produzieren, stehen auch ammeisten unter Druck beziehungsweisesehen sich schwierigen Rahmenbedin-gungen gegenüber.Schliesslich sehen Lehrpersonen kaumMöglichkeiten wie etwa mehr Aufstiegs-chancen oder eine individuelle inhaltli-che Ausdehnung und Bereicherung desArbeitsfeldes (job enrichment, job en-largement) als Kompensation der sozia-len und materiellen Einbussen der letz-

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Dank an den KLVDie LCH-Präsidentenkonferenz war zuGast beim KLV St. Gallen. Die Ost-schweizer, welche 2001 als letzterdeutschschweizerischer Kantonalver-band zum LCH gestossen waren, botenim Hotel «Säntispark», Abtwil, eine aus-gezeichnete Infrastruktur und Organi-

Lehrpersonen sehen kaum Möglichkeiten zur Kompensation der sozialen und materiellen Einbussen der letzten Jahre, vor allem bei Prestige, Besoldung und Arbeitszeit.

sation, wofür sie von den VersammeltenDank und Applaus erhielten. Dass derKanton St. Gallen im interkantonalenPISA-Vergleich Bestnoten erzielte, ver-merkte in seinem Grusswort der kanto-nale Erziehungsdirektor und EDK-Präsi-dent Hans Ulrich Stöckling mit Stolz.Und er vergass nicht zu erwähnen, dassdaran die St. Galler Lehrerschaft – die

KLV-Mitglieder also – entscheidendenAnteil hat. Im kommenden Jahr, am 25./26. Okto-ber 2003, wird der Verband des KantonsBasel-Landschaft die LCH-Präsidenten-konferenz empfangen. hw.

Weiterer Bericht Seite 10

Alles wird wichtiger im LehrberufAus den Unterlagen zur Medienkonferenz über die LCH-Berufszufriedenheits-Studie von SozialforscherCharles Landert.

ten Jahre (v.a. bei Prestige, Besoldung,Arbeitszeit). Auf dem Hintergrund die-ser Zusammenhänge ist nachvollzieh-bar, dass die Haltung vieler Lehrperso-nen gegenüber Reformen nicht nurambivalent ausfällt – wie meist auchausserhalb der Schule – sondern biswei-len deutlich unzufrieden.Hohe Motivation und Einsatzbereit-schaft stellen eine wichtige Vorausset-zung dar, über längere Zeit im Lehrerbe-ruf tätig zu sein. Fehlen sie, kann diesder Ausgangspunkt von abnehmenderLeistung und Konflikten sein – mitSchülerinnen und Schülern, im Kollegi-um, mit Behörden und Eltern.

Schule schafft es nicht alleinEine grosse Sorge der Lehrpersonen istes, dass die Öffentlichkeit zu viel auf dieSchule abschiebt, ohne ihr dazu ausrei-chend Mittel zur Verfügung zu stellen.Die damit verbundene Preisgabe vonBildungspotenzial, das unsere Gesell-schaft zu fördern nötig hätte, gerät erstlangsam, etwa unter dem Eindruck derPISA-Untersuchung, ins Bewusstsein.Dass Schule und Lehrpersonen die öko-nomisch, sozial und kulturell beding-ten, im Schülerverhalten manifestenHerausforderungen nicht allein bewälti-gen können, ist offenkundig. Aus die-sem Grund werden sich Verbesserungs-massnahmen nicht auf das Arbeitsfeldder Lehrpersonen beschränken können,sondern müssen in einem grösserenZusammenhang geplant werden.

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«Die geringe Reaktion in denMedien auf die Studie zeigt:die Arbeitsbedingungen derLehrerschaft sind keine respublica», führte Zentralse-kretär Urs Schildknecht vorder Präsidentenkonferenz inAbtwil aus. Ende Septemberhatte der LCH die Ergebnisseseiner Erhebung über die pri-vaten Arbeitsplatzkosten vonLehrerinnen und Lehrern ver-öffentlicht (Bericht BILDUNGSCHWEIZ 16/02).Die Ergebnisse der Studie inKürze:94% der DeutschschweizerLehrerinnen und Lehrerhaben im Zusammenhang mitihrer beruflichen Tätigkeit zuHause einen Arbeitsplatz ein-gerichtet.Die privat getragenen Kostenfür Arbeitsplatz und weitereLeistungen im Zusammen-hang mit dem Berufsauftragbetragen im Durchschnitt proLehrperson und Jahr zwischen4200 und 6400 Franken. Dasentspricht 4–5% des Salärs.Hochgerechnet ergeben sichso allein für die gesamteSchweiz 600 Millionen Fran-ken pro Jahr, welche die Lehr-personen dem Staat «schen-ken». Nach Gesetz ist derArbeitgeber verpflichtet, denArbeitnehmer mit dem benö-tigten Gerät für die Erfüllungseines Auftrages auszurüsten.Die Chancen, diese Kostenvon den öffentlichen Arbeit-gebern einzufordern, wurdenan der Präsidentenkonferenzunterschiedlich eingeschätzt.Einig war man sich im Urteil,dass diese durch verbands-unabhängige Auswertung(Institut Landert Farago Da-vatz & Partner) belegten Zah-len die Position der Lehrer-schaft in den Verhandlungenüber Lohn und Arbeitsbedin-gungen stärken.Die LCH-Geschäftsleitungdürfte aufgrund der Diskussio-nen von Abtwil zunächst denKontakt zur eidgenössischen

Steuerverwaltung suchen, umeinen gangbaren Weg zumAusgleich dieser Belastung zufinden. Je nach Ergebnis wirdes anschliessend an den Kan-tonalsektionen des LCH lie-gen, mit den jeweiligenArbeitgebern zu verhandeln.Gewerkschaftliche Massnah-men, mit denen mehr Druckausgeübt werden könnte, sol-

len erst nach dieser erstenRunde ins Auge gefasst wer-den. Ideen dafür sind aberdurchaus vorhanden: Sokönnte in Musterprozessenversucht werden, den entspre-chenden Artikel 327 des Obli-gationenrechts durchzuset-zen. Letzte Konsequenz wäre,dass Lehrkräfte sich weigerndie betreffenden Arbeiten wei-

terhin im eigenen Heimdurchzuführen.Das zurückhaltende Medien-echo auf die LCH-Zahlenzeigt, dass das Problem im Be-wusstsein der Öffentlichkeitschlicht noch nicht existiert.Gleichzeitig mit den Verhand-lungen wird deshalb weitereAufklärungsarbeit nötig sein.

hw.

Kosten des Arbeitsplatzes geltend machenDer LCH wird in Verhandlungen mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung den erfolgversprechenden Weg ausfindig machen.

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Stress und Burn-out, die englischen unddamit universellen Begriffe bleiben –wenigstens dem Wortlaut nach – in derWestschweiz genau gleich.

Käthi Kaufmann-Eggler

«Es ist nicht etwa der fünfzigjährigeKlassenlehrer unserer Tochter Camillein der Sekundarschule, bei dem man dasGefühl hat, er sei niedergeschlagen. Esist der viel jüngere Primarlehrer unseresSohnes Yves, der immer wieder malkrankheitshalber zu Hause bleibt, derauch im persönlichen Gespräch depri-miert erscheint», erklärt CatherineCrétier, eine engagierte Mutter und Teil-zeit-Übersetzerin. Und sie fügt an, heut-zutage sei es schon fast à la mode, depri-miert zu sein. Auch in ihrem Büro ohnejede Überforderung gebe es immer wie-der junge Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter, für die das Leben keineswegs nurrosig sei.Catherine Crétier sieht darin ein Zei-chen der Zeit, Folge einer Nach-68er-Erziehung, die den jungen Menschenalle Hindernisse aus dem Weg räumte.Und nun werfen sie bei kleinen Proble-men bereits das Handtuch.Was für Catherine Crétier eine Zeiter-scheinung und keineswegs auf pädago-gische Berufe beschränkt ist, bedeutetfür die Präsidentin des WestschweizerLehrerInnen-Verbandes (Syndicat desenseignant(e)s romand(e)s, SER), Marie-Claire Tabin, ein ernst zu nehmendesProblem, für das es unbedingt Lösungenzu suchen gilt. Einige Lösungsansätzehat sie in Zusammenarbeit mit derWestschweizer Erziehungsdirektoren-

konferenz und ihren Kolleginnen undKollegen im SER-Vorstand bereits gefun-den und in ausführlichen Dossiers fest-gehalten. Sie engagiert sich (wie derLCH) auch in der gesamtschweizeri-schen «Task-Force Lehrberufsstand».

Bumerang-Effekt«In den Medien wurde nun genuglamentiert. Inzwischen weiss die inter-essierte Öffentlichkeit, wie sehr dieLehrpersonen von allen Seiten unterDruck sind, wie die administrativenArbeiten zugenommen haben, wie diedauernden Neuerungen belasten undwie endlos so ein Lehrerinnen und Leh-rerarbeitstag sein kann», davon istMarie-Claire Tabin überzeugt. Es wurdeauch in der welschen Presse ausgiebigüber den Mangel an Disziplin und dieGewalt an den Schulen diskutiert. So viel Sensibilisierung für die Schulefindet sie zwar gut, aber der Ruf desVolkes nach strengeren Lehrern, nachgenaueren Lehrplänen, nach fundierte-rem Unterricht folge sofort. Nicht nurdie UDC – die SVP ennet der Sprach-grenze – wolle auf sämtliche Reformenverzichten, die Selektion wieder ein-führen. Richtig reaktionär findet sie dasund bittet ihre Kolleginnen und Kolle-gen inständig, mit dem Gejammer auf-zuhören «Wir sind keine Märtyrer! Vielgescheiter ist es, unseren Beruf zu analy-sieren und unsere Rolle in der Öffent-lichkeit auszuwerten. Nur mit einembesseren Berufsbild lassen sich wiedermehr junge Leute auf eine pädagogischeAusbildung ein.»Im Kanton Genf begannen mehr als 30von 180 Absolventen der Pädagogi-

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«Burn-out» ist auch ein französisches WortWie sich das angekratzte Berufsbild auf den pädagogischen Nachwuchs der Westschweiz aus-wirkt, beschreibt Käthi Kaufmann-Eggler in der zweiten Ausgabe ihrer Romandie-Kolumne.

schen Hochschule schon gar nicht erstzu unterrichten. Folglich gibt es nunverschiedene Genfer Schulen mit Lehr-personen mit einem beliebigen Hoch-schulabschluss, denen nebenbei päda-gogische Kenntnisse vermittelt werden.Man stelle sich umgekehrt vor, dass einLehrer mit guten Kenntnissen imBasteln und Zeichnen nach dem Ab-schluss der Pädagogischen Hochschulein einem Architekturbüro angestelltwürde; mit berufsbegleitenden Archi-tekturkursen... Im Kanton Neuenburg traten im August180 Interessenten in die PädagogischeHochschule ein, so viele wie schonlange nicht mehr. Der Präsident derNeuenburger Lehrerinnen und Lehrerfragt sich, ob das vielleicht an der abge-schafften Aufnahmeprüfung liege.Und der Präsident des WaadtländerLehrervereins Jacques Daniélou siehtwegen der grossen «féminisation» derPrimarschule Probleme auf sich zukom-men: «Bei dem hohen Frauenanteilwird es viel mehr Teilzeitstellen geben.»Zudem fehlt es an Lehrpersonen auf derSekundarstufe unter anderem für denDeutschunterricht.

«Travail en équipe» als ChanceJean-Claude Savoy, der Präsident desWalliser Lehrervereins, erkennt eineChance in der Zusammenarbeit allerLehrpersonen eines Schulhauses, ummit etwas längerem Atem all die Heraus-forderungen zu meistern. Allerdingswerde dadurch die Zeit für die eigeneFamilie noch knapper.«Travail en équipe» ist auch das Zauber-wort von Marie-Claire Tabin – gemein-sames Unterrichten, die Schüler zeitwei-se in verschiedene Klassen verteilen, umdamit den einzelnen Lehrerinnen mehrFreiraum zu geben ohne Mehrkosten.Das, so denkt sie, könnte eine Lösungsein, nicht nur den Berufsstand zu ver-bessern, sondern auch die öffentlicheHand zufrieden zu stellen.Übrigens, Camille, die Tochter jenereingangs erwähnten Catherine Crétier,überlegt sich, ob sie nicht doch einesTages «maitresse d’école» werden soll.Ihr gegenwärtiger Lehrer ist jenerimmer noch begeisterungsfähige Fünf-zigjährige...

«Genug lamentiert...» – Marie-Claire Tabin, Präsidentin

des Dachverbandes der Westschweizer Lehrkräfte.

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«Es kann jedem Lehrer passieren»Albert Ebneter und Jürg Germann erlebten den Albtraum eines jeden Lehrers: Die beiden Rheintaler wurden zu Unrecht beschuldigt, sich im Skilager an Mädchen vergriffen zu haben.

Tanzabend im Skilager 2001 der Sekun-darschule Rebstein-Marbach der Klassen2a und 2b in Sedrun, Lagerhaus TgesaStrem: Die Schüler und Schülerinnentanzen den Besentanz. Ein Tanzspiel,bei dem die Mädchen einen Besen unddie Buben ein Kissen weitergeben.Sobald die Musik stoppt, muss sich dasPaar, das die Sachen in den Händenhält, küssen.

Maya Egert

Lehrer Albert Ebneter hat Aufsicht. SeinKollege Jürg Germann löst ihn späterzusammen mit einem Hilfsleiter ab. DieLehrer tanzen zwischendurch mit, küs-sen aber keine Mädchen. Um 22 Uhrräumen die Schüler auf und gehen ins

Bett. Als Jürg Germann später dem Lärmder Mädchen nachgeht, stieben einigeaus fremden Zimmern heraus. EinMädchen schlägt beim Zurückrennenins eigene Zimmer die Türe so kraftvollzu, dass die Falle auf den Boden fällt.Jürg Germann hebt sie auf, geht insZimmer hinein und legt die Falle insLavabo. Er fordert die Mädchen auf, denSchaden am nächsten Tag dem Hausbe-sitzer zu melden. Albert Ebneter, Jürg Germann und derHilfsleiter setzen sich um 23 Uhr auf dieTreppe vor den Bubenzimmern, trinkenein Bier und sprechen über die Abrech-nung. Eine halbe Stunde später gehensie ins Bett. Keiner ahnt, dass zur glei-chen Zeit ein Schüler die SMS «Bei unsist die Hölle los» nach Hause schickt,und dass Ebneter und Germann am

nächsten Tag beschuldigt werden, sich«stockbesoffen an den Mädchen vergrif-fen zu haben».«Am nächsten Tag erschraken Jürg Ger-mann und ich, als der Schulratspräsi-dent und ein zweiter Schulrat am Mit-tag vor dem Lagerhaus standen. Wirdachten, es sei etwas Schlimmes pas-siert», sagt Albert Ebneter eineinhalbJahre später in seinem Garten, von woaus man übers Rheintal sehen kann. DieLehrer täuschen sich: «Der Präsidentkam auf uns zu und sagte: Du und du,ihr geht heute heim.» Warum? Das wis-sen sie noch nicht: «Er sagte etwas vonschweren Vorwürfen, und dass er nichtbereit sei, zu diskutieren.»Sogleich informiert der Schulratspräsi-dent die Schüler über die Heimreise derLehrer. Ebneter und Germann packen

Die Falle: Im Grenzbereich zwischen erwünschter und unerlaubter Nähe lauern Gefahren für Lehrpersonen.

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13R E P O R T A G E1 9 • 2 0 0 2

ihre Sachen. Als Marianne Ebneterihren Mann und seinen Kollegen amAbend abholt, wissen die Lehrer mittler-weile, worum es geht. Jetzt bricht dieLawine los: Gerüchte über sexuelleÜbergriffe, Kriseninterventionsgruppe,schulrätliche Untersuchung, Elterna-bende, Pressekonferenz. BLICK berich-tet vier Tage später von einem «Sex-skandal» und titelt «Lehrer griffSchülerin unters T-Shirt». Der Schulrat schaltet den Erziehungsratein. Dieser eröffnet eine Disziplinarun-tersuchung, die in der Androhung derKündigung mündet. Doch: Ebneter undGermann sind überzeugt, nichts Un-rechtes getan zu haben und reichenbeim Verwaltungsgericht eine Be-schwerde ein, die vor wenigen Wochengutgeheissen wurde.Wörtlich steht in der Würdigung: «Zu-sammenfassend kommt das Verwal-tungsgericht zum Schluss, dass den Be-schwerdeführern im Zusammenhangmit der Durchführung des Skilagers2001 in Sedrun keine Dienstpflichtver-letzung ... vorgeworfen werden kann.»Der Erziehungsrat kassiert eine Rüge:Die von ihr eingesetzte Disziplinarkom-mission verletzte das Recht auf Un-schuldsvermutung und rechtliches Ge-hör.

Der Anwalt

«Hexenhammer» ist der Titel desBuches, das Anwalt Werner Ritterdemonstrativ auf das Pult in seinemBüro knallt. «Dieser Fall erinnert michan die Hexenjagden im Mittelalter»,sagt er. Schon damals sei es nur darumgegangen, die Hexen möglichst raschauf den Scheiterhaufen zu bringen undsie dann zu verbrennen: «Heute sind dieLehrer die Hexen und gejagt werden sievon den Behörden und der Öffentlich-keit.»Als «grenzenlos ungerecht» und «dilet-tantisch» bezeichnet er, wie die erzie-hungsrätliche Disziplinarkommissionden Fall untersuchte: «Das Wort derSchüler hat alles und das Wort der Leh-rer hat nichts gezählt.» Das Urteil des

Verwaltungsgerichtes bestätigt dies,denn erst diese Oberinstanz hörte dieLehrer und Hilfsleiter überhaupt einmalan: «Ebneter und Germann wurden vonAnfang an vorverurteilt. Nicht einmalder Erziehungsdirektor hielt sich an dieUnschuldsvermutung. Er sprach schonöffentlich über den Fall, als das Verfah-ren noch gar nicht abgeschlossen war.Das darf er nicht.» Ritter meint, dass es«dem Erziehungsrat wichtiger war, einExempel zu statuieren als sich an ele-mentarste Verfahrensvorschriften zuhalten».

Der Regierungsrat

Hans Ulrich Stöckling, Vorsteher desErziehungsdepartementes des KantonsSt. Gallen, will sich bei Ebneter undGermann nicht entschuldigen. Er blät-tert im Ordner, liest aus Schüleraufsät-zen zum Lager vor und sagt: «Der Schul-ratspräsident schickte die Lehrer nichtgrundlos nach Hause. Es muss etwasvorgefallen sein.» Das Verhalten derLehrer ist für ihn «verwerflich». Es scha-de dem ganzen Berufsstand: «Deshalberachte ich die Androhung der Kündi-gung nach wie vor für angebracht.» Stöckling stützt sich auf die Beurteilungder erziehungsrätlichen Disziplinar-kommission, zu der neben MarkusRomer, Präsidiumsmitglied des Kanto-nalen Lehrerverbandes (KLV), ein Schul-ratspräsident und eine Juristin zählten.Dass das Verwaltungsgericht diese Kom-mission rügte, findet Hans Ulrich Stöck-ling unverständlich: «Die Kommissionmachte ihre Sache gut.» Dass es zu dieser Rüge kam, sei «eineFrage des Massstabes». Da der Erzie-hungsrat und das Verwaltungsgerichtoffensichtlich nicht denselben Massstabbenutzen, würde der Erziehungschef amliebsten das Disziplinarverfahren ab-schaffen. Denn: «Wenn an ein Diszipli-narverfahren dieselben Ansprüche wiean ein Strafverfahren gestellt werden,wird es sinnlos, noch welche durchzu-führen.»

Die Nachricht

Warum ein Schüler die SMS «Bei uns istdie Hölle los» nach Hause schickte undso die ganze Lawine auslöste, erklärensich Albert Ebneter und Jürg Germannmit einem Spass, den sich eine Skigrup-pe am Nachmittag vor dem Tanzabendgeleistet hatte: In einer Pause schriebdie Gruppe in einem Restaurant jedemder drei im Lager anwesenden Lehrereine Postkarte mit dem Bild einer nack-ten Frau und dem vorgedrucktenSpruch «Bei uns ist die Hölle los».«Diese sexistischen Karten waren dasThema des Tages», sagt Jürg Germann.«Überhaupt das Thema Sex. Wir fandenspäter auch Büchlein, in die dieMädchen obszöne Sprüche hineinge-schrieben hatten, und am Tanzabendwollten sie wissen, welche der beidenSängerinnen Britney Spears oder Chris-tina Aguilera mir besser gefällt.» Ebneter und Germann vermuten, dassaus dieser sexualisierten Stimmung her-aus und dadurch, dass sie mit Mädchengetanzt hatten, das Gerücht entstandenwar «Die Lehrer haben vor, auf dieMädchenzimmer zu steigen», das sichzur SMS steigerte.

Die Gewerkschaft

Das Präsidiumsmitglied des sankt-galli-schen Lehrerverbandes (KLV), MarkusRomer, sass in der Disziplinarkommissi-on. «Aber nicht als Vertreter des Lehrer-verbandes, sondern als Lehrer», sagt erund trinkt einen Schluck Bergamotte,das ihn an vergangene Skilager erinnert.Das Dilemma dieses Mandats: Romerstand unter Schweigepflicht und durftedie Gewerkschaft nicht auf Trab brin-gen. «Der KLV hätte nur reagieren kön-nen, wenn er sämtliche Unterlagen wieKorrespondenzen und Fallbeschrieb er-halten hätte.» Von Ebneter und Ger-mann lag kein schriftlicher Auftrag vor.«Trotzdem», so Romer, «machte sich derKLV Gedanken, wie er hätte eingreifenkönnen. Aber er sah keine Möglichkeit.»Jetzt, nach einer Reihe von ähnlichenFällen, will der KLV handeln, denn: «Es

Als «grenzenlos ungerecht» und «dilettantisch» bezeichnetder Anwalt, wie die erziehungsrätliche Disziplinarkommissionden Fall untersuchte: «Das Wort der Schüler hat alles und dasWort der Lehrer hat nichts gezählt.»

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scheint, als ob es System hätte. Plötzlichscheint ein Lager so etwas zu sein, woein Lehrer potenziell mit einem Fussschon im Gefängnis steht.» Der KLVplant, ein Merkblatt zum Thema Lager-leitung zusammenzustellen. Es soll einRatgeber werden im Sinne von «Woraufmuss man als Lehrer achten, um nichtin Fallen hineinzutreten?». Gerade das«Töplen», so Romer, sei heutzutage eineeffiziente Falle, mit der ein Lehrer bös-willig «abgeschossen» werden könne.

Der Schulpsychologe

Am Montag nach dem Skilager betreutdie Kriseninterventionsgruppe des Kan-tons St. Gallen die Klassen 2a und 2b.Ihr Ziel ist es, den Unterricht «nach denausserordentlichen Ereignissen» wiederzu normalisieren. Nachdem sich Schüle-rinnen mehrmals direkt an HermannBlöchlinger, Leiter des Schulpsychologi-schen Dienstes, wenden, ist für ihn klar,dass «es im Skilager eine Angst gab, dieJürg Germann und Albert Ebneter ver-schuldet hatten». Obwohl er für diese Anschuldigung kei-nen Beweis hat, glaubt er den Schülerin-nen und will die beiden Lehrer für dieZeit der Untersuchung suspendieren:«Es war die Betroffenheit der Kinder, diemich nicht zweifeln liess, dass im Ski-lager etwas vorgefallen sein musste.»Denn: «In solchen Fällen wurde ichnoch nie angelogen.» Das Urteil desVerwaltungsgerichtes ist für ihn eine

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Ohrfeige für die Schülerinnen: «Es sig-nalisiert, dass man sich als Lehrer alleserlauben kann, solange es nicht straf-rechtlich relevant ist.»

Der Schulpräsident

Schulratspräsident Edgar Vetsch würdeheute seinen Ohren nicht mehr trauen,wenn er noch einmal hören würde: «Beiuns ist die Hölle los. Die Lehrer vergrei-fen sich an den Schülerinnen.» Ineinem Gruppenraum im Oberstufen-zentrum in Rebstein nimmt er die Brilleab und reibt sich die Augen: «Ich warwohl zu leichtgläubig und habe einigeEltern zu ernst genommen.» Er erklärtdies damit, dass «man zur gleichen Zeitim Rheintal nach einer Reihe von sexu-ellen Übergriffen besonders sensibili-siert war». Als Vetsch ins Lager reist, will er darumverhindern, «dass die SchulgemeindeRebstein-Marbach auch noch in dieSchlagzeilen gerät». Die weinendenMädchen, die er antrifft, machen ihmden Entscheid leicht, die Lehrer ausdem Lager zu weisen: «Die andere Vari-ante war, das Lager abzubrechen.» Die beiden Schulräte befragen noch anOrt und Stelle die Mädchen und stellenfest, dass nichts für eine sexuelle Anschul-digung spricht. Als sie dies am nächstenTag den Eltern mitteilen, merken sie,«dass uns keiner mehr glaubte; die meis-ten Eltern wollten an nichts anderes alsan einen Missbrauch glauben».

Jetzt beginnt es erst recht zu brodeln:Der Schulrat setzt eine Untersuchungs-kommission ein, obwohl es weder kon-krete Tatbestände noch eine Strafanzei-ge gibt – bloss Gerüchte: «Die Eltern,die mich anriefen, standen nachhernicht mehr zu ihren Anschuldigungen.»Edgar Vetsch fühlt sich im Nachhinein«missbraucht» und will Eltern in Zu-kunft nur noch dann trauen, «wenn sieschriftlich zu ihren Anschuldigungenund der ihrer Kinder stehen oder Bewei-se haben». Zudem bleibe die für ihnwichtigste Frage – warum Schülerinnenweinten – unbeantwortet.

Die Lehrer

Albert Ebneter und Jürg Germann sagenselber, dass sie sich in der einen oderanderen Situation im Lager anders hät-ten verhalten können. «Doch», so Ebne-ter, «das gehört zum Lehreralltag. Werkann schon von sich behaupten, immerrichtig zu reagieren?» Ebneter und Ger-mann sind überzeugt: «Was uns passier-te, kann jedem Lehrer passieren.» Durch das Urteil des Verwaltungsgerich-tes fühlen sie sich in der Sache, abernicht im Ruf rehabilitiert: «Es bleibtimmer etwas hängen. Ein Ruf ist nichtwieder gutzumachen.» Sie hoffen, dassalle Beteiligten ihre Lehre aus dem Fallziehen: «Das Unrecht, das wir erlebten,darf sich nicht wiederholen. Dass wir zuzweit waren, war unser Glück. So konn-ten wir die Anschuldigungen und diepsychische Belastung besser ertragen.»Unterstützt wurden sie von ihren Familien, Freunden und von den Kolle-gen: «Vom Lehrerteam fühlten wir unsvon Anfang an getragen. Als wir ihnenmitteilten, wie wir uns im Lager verhal-ten hatten, atmeten sie auf. Ihre Solida-rität uns gegenüber bekundeten siezudem in einem Brief an den Schulrat.»Den Lehrerberuf üben Albert Ebneterund Jürg Germann nicht mehr gleichaus wie vor dem Skilager 2001 inSedrun: Beide sind vorsichtig geworden.Ebneter wird in einem Lager nie mehrmit einem Mädchen tanzen und Ger-mann wird nie mehr ein Mädchenzim-mer betreten.

Weiter im Text«Wenn was los geht – Grundsätze fürden Umgang mit Kritik an Lehrperso-nen», LCH-Leitfaden, 1996, Fr. 10.– (ab5 Expl. Fr. 6.–). Bestellungen an: LCH-Service, Telefon 01 315 54 54, Fax 01311 83 15, E-Mail [email protected].

«Wer kann schon von sich behaupten, immer richtig zu reagieren...?»

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«Daniel war ein normales, sehr wissbe-gieriges Kind. Bereits im Kindergarteninteressierte ihn alles, was mit Geografieund Landkarten zu tun hatte, unge-mein. Schreiben und lesen konnte ernoch nicht, im Zahlenraum bis 100fand er sich jedoch bereits vor demSchuleintritt gut zurecht», erzähltKatrin Buis aus dem aargauischen Nie-derlenz, Mutter eines 13-jährigen Soh-nes und einer 9-jährigen Tochter. Sieschildert ihre Erfahrungen mit derSchule und den Behörden im Zusam-menhang mit der Erkennung und För-derung der speziellen Begabungen ihrerKinder:

Doris Fischer

«Daniel wurde ganz normal eingeschultund war in der ersten Klasse nicht wei-ter auffällig. Erst als er eine andere Leh-rerin bekam und der Unterricht wenigerstraff geleitet wurde, ging er nicht mehrgerne zur Schule, klagte über Langewei-le. Eine Abklärung beim schulpsycholo-gischen Dienst ergab, dass Daniel sei-nen gleichaltrigen Kameraden ummindestens ein Jahr voraus war. Wirwaren überrascht, aber Hochbegabungwar für uns damals noch ein Tabu, biswir durch den Elternverein für hochbe-gabte Kinder (EHK) in Kontakt mit

andern betroffenen Eltern kamen. Nachweiteren Abklärungen und Tests erlaub-te man Daniel schliesslich, eine Klassezu überspringen (damals war diese Mög-lichkeit noch nicht im Schulgesetz ver-ankert). Das alles war für unsere Familieemotional sehr aufwändig. Heute istDaniel in der 3. Bezirksschule ein guterSchüler mit überdurchschnittlichen Leis-tungen in Mathematik. Wir betrachtenden Weg, den unser Kind gemacht hat,als Glücksfall. Wir kennen andere Fami-lien, die viel mehr Probleme hatten.»

Vom Tabu zum QualitätsmerkmalHochbegabung war bis vor einigen Jah-

Begabt sind viele, gefördert werden müssen alleBegabungsförderung war noch bis vor wenigen Jahren ein Tabuthema. Heute ist sie ein Qualitätsmerkmal im Umgang mit Heterogenität in der Schule. Vom 7. bis 11. Oktoberfand das vierte einwöchige Intensivseminar zur Begabungs- und Begabtenförderung unter dem Titel «Wings» in Basel statt, an dem rund 160 Lehrpersonen und Behörden-mitglieder teilnahmen.

Jedes Pflänzchen braucht die entsprechende Pflege zum guten Gedeihen. Hochbegabte Kinder sollen in Regelklassengefördert werden. Integrative Massnahmen verhindern eine Stigmatisierung.

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ren ein Tabu-Thema. Eltern mit speziellbegabten Kindern stiessen oft auf Un-verständnis. Erfahrung und Strategienfehlten. 1989 wurde der EHK gegründet,ein Verein zur Selbsthilfe. Die Ziele desVereins sind unter anderen der Abbauvon Vorurteilen in Gesellschaft, Schuleund Familie, Erkenntnisse und Er-fahrungen über Hochbegabung vermit-teln und politisch Einfluss nehmen.Die Förderung von speziellen Begabun-gen ist zu einem pädagogischen Anlie-gen geworden und gilt heute als Qua-litätsmerkmal für den Umgang mitHeterogenität in der Schule. Lehrperso-nen müssen jedoch für diese Thematiksensibilisiert werden und sich das nöti-ge Wissen und Vorgehensweisen aneig-nen. «Wings», ein Intensivseminar zurBegabungs- und Begabtenförderung,bietet dazu die Gelegenheit. Nach drei-maliger Durchführung in Zürich (1999bis 2001) fand die Kurswoche in diesemJahr vom 7. bis 11. Oktober in Baselstatt.

«Man ist nicht begabt, man wird es»«‹Wings› soll Lehrpersonen und Men-schen, die im Bildungswesen tätig sind,beflügeln und zu Höhenflügen anregen,damit sie ihre Schülerinnen und Schülerbeflügeln können», sagte Joëlle Huser,die zusammen mit Cornelia Kazis fürdas Konzept und die Leitung des Semi-nars verantwortlich war, am Eröff-nungstag. «Es soll Lehrpersonen für dieBedürfnisse der Begabten sensibilisierenund sie befähigen, zu einem lustvollen,angstfreien Umgang mit begabten Kin-dern.» Neben der bisher im Vordergrund ste-henden Begabtenförderung mit separa-tiven Projekten (Sonderklassen, Talenta,Univericum) soll in Zukunft vermehrtauf eine integrative Begabungsförde-rung im Regelunterricht Wert gelegtwerden, um der Erkenntnis Nachdruckzu verleihen: «Man ist nicht begabt,man wird es.» Oder wie es das Kabaret-tistentrio Sibylle und Michael Birken-meier & Felicitas Vogt satt und humor-voll formulierten: «Aus dem, was ist,noch ein bisschen mehr herausholen.»Als wegweisend wurde dabei das «Dynamische Begabungsmodell» nachJoseph Renzulli (Schoolwide Enrich-ment Model, USA) hervorgehoben, wo-nach aussergewöhnlich hohe Leistungaus dem Zusammenspiel dreier Haupt-faktoren resultiert: überdurchschnitt-liche Fähigkeit, Kreativität und innereMotivation.

Vielfältig und anregend war das Ange-bot für die rund 160 teilnehmendenLehrpersonen. Neben Referaten vonnationalen und internationalen Fach-personen konnten sie unter anderem inWorkshops und vertiefenden Kursenihre eigenen Flügel stärken und zumathematischen, tänzerischen, sprach-lichen, theatralischen und physikali-schen Höhenflügen ansetzen.

«Eine wandelnde Schatztruhe»Im Kurs «Spiel und Theater» wachsenden Kursteilnehmerinnen und Teilneh-mern die Flügel der Fantasie. Das Rate-spiel aus dem Lehrmittel «Otto mopst»– eine Art Denksportaufgabe – regt nichtnur den Geist, sondern auch die Lach-muskeln an. Kreativität und schauspie-lerisches Talent ist gefragt, um die ein-zelnen Buchstaben eines Wortes nur mitMimik und Gestik darzustellen, durchKörpergeräusche einen ganz bestimm-ten Ort hörbar zu machen oder «tönen-de Geschichten» zu erfinden.Dazwischen streut Kurt Lauterburg,Schauspieler, Dozent und Primarlehrer,methodische Tipps, präsentiert eineFülle von kreativen Unterrichtsvor-schlägen und lehrt die Teilnehmendenen passant mit Videokamera und Mikro-fon umzugehen. «Der Mann ist einewandelnde Schatztruhe», begeistert sicheine Teilnehmerin spontan. «Der Kurshat all meine Erwartungen übertroffen.Ich kann es kaum erwarten, bis ich mitmeiner Klasse all das, was ich hier erfah-ren habe, ausprobieren kann», erklärtMarketa Bregenzer, die in Maur ZH eine Begabten-Fördergruppe unterrich-tet.

Das eine tun, das andre nicht lassen«Begabtenförderung fällt den Lehrper-sonen nicht einfach in den Schoss», gabWilli Stadelmann, Direktor der Pädago-gischen Hochschule Zentralschweiz, inseinem Referat zu bedenken. «Begabten-förderung muss zu einem pädagogi-schen Prinzip gemacht werden, mussTeil der Schulentwicklung sein.» In den letzten Jahrzehnten hat sich diePädagogik vorwiegend mit der Förde-

rung leistungsschwacher Kinder befasst.Sonder- und Heilpädagogik wurden aus-gebaut und Fachleute für Logopädie,Legasthenie, Dyskalkulie und Psycho-motorik ausgebildet und eingesetzt.Chancengleichheit wird erst erreicht,wenn neben der Stärkung der Kindermit Defiziten auch den speziell Begab-ten Nahrung geboten wird. Es sei eineverbreitete aber irrige Meinung, so Sta-delmann, Begabten müsse nicht beson-ders geholfen werden, diese seien vonNatur aus privilegiert und könnten sichselber helfen. Die neuen Schulleitungsmodelle müs-sen dieser Entwicklung Rechnung tra-gen. Ein Paradigmenwechsel, «der dasLernen und nicht das reine Vermittelnvon Bildungsinhalten ins Zentrumrückt», müsse auf allen Schulstufen bishinauf zur Universität erfolgen, betonteUlrich Gäbler, Rektor der UniversitätBasel.

Weiterbildung und Support nötigRascher und kostengünstiger umsetzbarsei zwar eine separative Förderung –«von einer integrativen Förderung pro-fitieren aber alle Schülerinnen undSchüler und eine Stigmatisierung einzel-ner Kinder kann vermieden werden»,betonte Silvia Grossenbacher von derSchweizerischen Koordinationsstelle fürBildungsforschung, Aarau. Begabungs-förderung müsse sowohl in die Unter-richts- als auch in die Schulentwicklungeinfliessen.Die Konzepte der DeutschschweizerKantone basieren nach Aussagen vonGrossenbacher auf den folgenden dreiSäulen: • Akzeleration (frühzeitige Einschu-

lung, überspringen einer Klasse), En-richment im Regelklassenunterricht(Binnendifferenzierung und Projektemit flexiblen Lernvereinbarungen)

• Separative Fördermassnahmen (Ein-zelförderung, Sonderklassen undschulhausübergreifende Angebote).

• Weiterbildungs- und Supportmass-nahmen für die Lehrpersonen.

Dazu braucht es die Öffnung der Schulegegenüber dem gesellschaftlichen Um-

Von einer integrativen Förderung profitieren alle Schülerin-nen und Schüler und eine Stigmatisierung einzelner Kinderkann vermieden werden.

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feld und eine positive Einstellung zurVielfalt. «Heterogenität muss als Chan-ce und nicht als Problem gesehen wer-den, dann geht der Weg RichtungBegabungsförderung», erklärte die Bil-dungsforscherin.Nötig sei dazu aber auch ein Umdenkenin bildungspolitischen Kreisen. Diesdürfte einer der Gründe sein, weshalberstmals im Rahmen von Wings fürSchulbehörden, Schulleitende und Per-sonen mit bildungspolitischer Funktionein spezielles Programm angebotenwurde. 30 Personen machten von die-sem Angebot Gebrauch.

Weiter im Text• Begabungsförderung in der Volks-

schule – Umgang mit Heterogenität.Trendbericht Nr. 2 der Koordinations-stelle für Bildungsforschung SKBF,Aarau

• Brunner Esther: «Forschendes Ler-nen». ILZ Kanton Thurgau, 2001Gardner Howard: «Intelligenzen»,Klett-Cotta, Stuttgart, 2002

• Huser Joëlle: «Lichtblicke für helleKöpfe», Lehrmittelverlag des KantonsZürich, 2001

• Renzulli Joseph, Reis, Sally und Stedt-nitz Ulrike: «Das schulische Enrich-

ment Modell», Bildung Sauerländer,Aarau, 2001

• Stamm Margrit: «Frühlesen und Früh-rechnen als soziale Tatsachen»

• Webb, J.T., Huber: «Hochbegabte Kin-der, ihre Eltern, ihre Lehrer», Bern-Göttingen-Toronto

• Neue Reihe aus dem Studienverlag:Journal für Hochbegabtenförderung,ISBN 3-901160-64-7

Weiter im Netzwww.wingsseminar.chwww. begabungsfoerderung.chwww.ulef.bs.chwww.echa-switzerland.chwww.bildungsplanung-zentral.chwww.uniweiterbildung.ch

Projekte und Institutionen:www.reosch.ch (RessourcenorientierteSchule Bern)www.drs1.ch (Looping)www.tuelab.ch (Tüftellabor für Kinder)www.ssd.stzh.ch (Universikum ZH)www.zentrumlesen.chwww.thinkquest.chwww.mindscouts.orgwww.offeneslernen.chwww.ehk.chwww.pfiffikus.org

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Ausbildung zurBegabten-lehrperson

Am Wings-Seminar nahmen auchrund 20 Lehrpersonen aus derganzen Schweiz teil, welche dieberufsbegleitende Ausbildungzum «Specialist in Gifted Educa-tion» in Angriff genommenhaben. Dieser anderthalbjährigeeuropäische Ausbildungslehr-gang wird mit dem ECHA-Diplom (European Council ofHigh Ability) abgeschlossen undwird in Kooperation mit derUniversität Nijmegen (NL) undder Bildungsplanung Zentral-schweiz durchgeführt.

Die Zusatzausbildung befähigtLehrpersonen, begabten Kin-dern und Jugendlichen in derSchule «Unterricht nach Mass»zu erteilen, Begabungs- undBegabtenförderung in dieSchulentwicklung einfliessen zulassen und im Kollegium bera-tend tätig zu sein.

Das Interesse an diesem Lehrgangist dermassen gross, dass fürden Kurs mit Start im Oktober2002 zwei Klassen mit insge-samt 40 Personen gebildet wer-den konnten. Die Diplomfeierder Absolventinnen und Absol-venten des ersten Kurses fandam 9. November dieses Jahresin Zürich statt.

Weitere Informationen unterwww.echa-switzerland.ch undwww.hfh.ch (Nachdiplomkurs«Begabtenförderung» an derHochschule für Heilpädagogik).

Heterogenität muss alsChance und nicht als Pro-blem gesehen werden, unddazu braucht es ein Umden-ken auch in bildungspoliti-schen Kreisen.

Hochbegabt ist man nicht, man wird es. Lehrpersonen können ihreSchülerinnen und Schüler mit differenziertem Lernangebot unterstützen.

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Frau Stamm, was macht den Unter-schied aus zwischen einer guten Schü-lerin, einem guten Schüler und einemhochbegabten Kind?

Margrit Stamm: Das ist gar nicht so ein-fach zu beantworten, weil die Gruppeder Hochbegabten sehr heterogen istund es ganz unterschiedliche Ausprä-gungsprofile gibt. Es kann sein, dass einhochbegabter Schüler sehr gut arbeitet,möglich ist aber auch, dass Hochbegab-te keine guten Leistungen zeigen undihr Potenzial nicht ausschöpfen. In derRegel aber denken Hochbegabte deut-lich schneller, arbeiten und verarbeitenrascher, sind intellektuell ausgespro-chen neugierig und finden oft ganzandere kreativere Lösungswege, dasheisst sie fallen durch qualitativ undquantitativ hochstehende Leistungenauf.

Die Kriterien hoher IQ oder sehr guteSchulnoten reichen also nicht, um vonHochbegabung zu sprechen? Nein, überhaupt nicht. Sehr gute Schul-noten können auch so genannte Überleister erzielen, das sind Schülerin-nen und Schüler mit einem eher tiefenIQ, die ihn mit sehr guten Übungshal-tungen und Fleiss kompensieren. Wenn eine Person einen hohen IQ hat,heisst das einfach, dass sie oder er sehrhohe kognitive Fähigkeiten besitzt. Die heute gängigen Modelle von Ren-zulli, Mönks oder Heller, nach denenman eine Hochbegabung definiert,umfassen neben der Intelligenz weitereKomponenten wie Motivation, Kreati-vität, Persönlichkeit und das sozialeUmfeld.

Können Eltern oder Lehrpersonen anbestimmten Zeichen oder Verhaltens-weisen eine Hochbegabung erkennen? Was Eltern beispielsweise feststellenkönnen, ist eine akzelerierte frühe Ent-wicklung. Begabte Kinder lernen im All-gemeinen früh sprechen, lesen oder

rechnen, wollen früh selbstständig vie-les tun oder haben einen grossen Wis-sensdrang, einige entwickeln auch eineauffällige Sammelleidenschaft. Danngibt es auch die Formen spezieller Hoch-begabung, Kinder, die auf einem ganzbestimmten Gebiet (beispielsweisemusikalisch, künstlerisch oder sport-lich) Spitzenleistungen zeigen. In die-sem Fall ist es schwieriger festzustellen,ob eine Hochbegabung vorliegt, weil es– anders als bei intellektueller Hochbe-gabung – keine oder wenig objektiveTestverfahren gibt. Neu, aber nochwenig erforscht und deshalb umstrittenist ein weiteres Konzept, dasjenige dersozialen Begabung. In diesem Punkt istsich die Fachwelt noch uneinig, obhohe soziale Begabung – die weit überdie häufig zitierten «Führungsqualitä-ten» hinausgehen müsste – ebenfalls

unter Hochbegabung eingereiht werdensoll.

Braucht jedes hochbegabte Kind eineSonderbehandlung oder eine Sonder-förderung? Das ist eine sehr wichtige Frage. Ich sageganz klar: überhaupt nicht in jedemFall. Ich glaube, dass es in der zukünfti-gen Entwicklung der Diskussion sogarproblematisch werden könnte, Hochbe-gabung unreflektiert mit Fördernotwen-digkeit zu koppeln. Ich vertrete die Mei-nung, Hochbegabung ist die normalsteSache der Welt. Ein Kind, das sich gutentwickelt, gut integriert ist im Klassen-verband und gute Leistungen zeigt,kann man einfach wachsen und ihmdie bestmögliche Förderung innerhalbdes Klassenverbands angedeihen lassen.Es ist keineswegs nötig, eine psychologi-sche Abklärung vorzunehmen. Aller-dings soll man es gut beobachten undwenn die Komponenten, welche in denzuvor genannten Modellen von Renzul-li, Mönks oder Heller nicht miteinan-der interagieren, dann muss man han-deln.

Fachleute sprechen sich ja in dieser Hin-sicht für eine allgemeine Begabungs-förderung und gegen eine ausschliessli-che Begabtenförderung aus. Das heisst,

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«Hochbegabung ist die normalste Sache der Welt»BILDUNG SCHWEIZ sprach mit Margrit Stamm, Leiterin desInstituts für Bildungs- und Forschungsfragen im Schulbereich,Aarau.

Ein begabtes Kind braucht nicht in jedem Fall eine Sonderbehandlung. Mankann es wachsen lassen und es wird seine Fähigkeiten zum Blühen bringen.

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der Förderunterricht soll im normalenRegelunterricht geschehen und nicht in speziellen Fördergruppen oder sogenannten Eliteschulen. Ist das nichteine zusätzliche Anforderung und möglicherweise Überforderung für dieschon arg strapazierten Lehrpersonen? Das Konzept der Heterogenität wird imMoment in der BildungslandschaftSchweiz favorisiert. Dieses Konzept hatdurchaus seine Berechtigung, dennangesichts der Entwicklung zur multi-kulturellen Gesellschaft werden dieLeitideen der Schulentwicklung derneunziger Jahre – Individualisierungund Integration – zu zwei notwendigenSchulqualitätskriterien. Die Aufgabe derBegabtenförderung reiht sich nungenau in solche Entwicklungstenden-zen ein; so verstanden ist sie auch keinespezifische Mehrbelastung für Lehrerin-nen und Lehrer. Zukünftig wird esdarum gehen, bei den individuellenMöglichkeiten und dem Potenzial deseinzelnen Kindes anzusetzen und seineLernausgangslage festzustellen. Unddazu müssen neue Konzepte und Instru-mente entwickelt werden, in denenBegabungsförderung ein Teilaspekt seinwird. Ohne gute Rahmenbedingungenfür Lehrpersonen zweifle ich allerdingsan ihrem Umsetzungserfolg.Interessant ist aber festzustellen, dassein Teil der Lehrpersonen bereits aufdiesen Zug aufgesprungen ist und sichmit der Begabungsförderung auseinan-der setzt. Andere wiederum betrachtendies, vor dem Hintergrund der aktuellenRahmenbedingungen wohl auch zuRecht, als eine Überforderung. Ichbefürchte aber, dass der Druck derEltern, die zu einer ihren Vorstellungenentsprechenden Förderung drängen,auf die Lehrpersonen zunimmt.

Konkret könnte das heissen, dass inZukunft Eltern jede Verhaltensauffällig-keit ihres Kindes entweder als Aus-druck von Unterforderung oder vonHochbegabung gedeutet haben möch-ten?Genau, das ist eine grosse Problematik,die mit der Tatsache einhergeht, dassEltern heute generell viel höhereAnsprüche an die Bildungsqualität stel-

len. Eltern aus sozial privilegierten Bil-dungsmilieus wissen sich häufig besserfür ihre Anliegen stark zu machen, alssozial schwächer gestellte oder ausanderen Kulturen stammende Eltern.Tatsache ist jedoch, dass Begabungnicht an ein bestimmtes Milieu oder aneine bestimmte soziale Lage gebundenist. Wenn die Schule nur auf bildungs-beflissene Eltern reagiert und nichtagiert, könnte die soziale Differenz, diesich ja im Rahmen der PISA-Ergebnisseals Charakteristikum der Schweiz her-ausgestellt hat, noch grösser werden.

Das würde heissen, dass Begabungsför-derung das Ziel, die Chancengleichheitfür alle Kinder zu verstärken, verfehlt. Wenn vor allem Kinder aus bildungsbe-flissenen Elternhäusern als hoch begabtidentifiziert und gefördert werden,gleich begabte aus sozial einfachen oderbenachteiligten Milieus hingegen nicht,dann verfehlen wir dieses Ziel. Hochbe-gabtenförderung könnte dann auf eineneue Elitebildung hinauslaufen. Lehr-personen und Schulen können denChancenausgleich fördern, wenn siedas Augenmerk mehr auf die Ent-deckung besonders begabter Kinderr ausbildungsfernen Schichten richten. Dortwo Lehrpersonen einen starken Druckseitens der Eltern verspüren, bleibt invielen Fällen nur der Beizug von Fach-personal übrig.

Bisherige Erfahrungen suggerieren,dass Kinder mit einer überdurchschnitt-lich hohen intellektuellen Begabung imsozialen Bereich oft Defizite aufweisen.Können Sie dies bestätigen?Einerseits kann ich das bestätigen undmit entsprechenden Forschungsergeb-nissen belegen. Andererseits – und hier-in liegt gerade auch meine Kritik an sol-chen Befunden – basieren dieForschungsprojekte oft auf Stichprobenvon Kindern, die aus Beratungspraxenrekrutiert werden, also bereits Problemeunterschiedlicher Art aufweisen. In mei-nem Forschungsprojekt «Frühlesen undFrührechnen als soziale Tatsachen» undin anderen Projekten, die mit unausge-lesenen Stichproben arbeiten, gibt esdiese Gruppe der Verhaltensauffälligen

ebenfalls, aber sie sind nicht derartüberproportional vertreten.Wir verbinden in der Schweiz allzu oftHochbegabung mit Verhaltensauffällig-keit und setzen als Korrekturmassnah-men eine Sonderbehandlung. Es gibtrelativ viele Hochbegabte, die problem-los durchs Leben gehen, aber es gibtauch die anderen und die brauchenunsere Hilfe wie alle anderen mit beson-deren Bedürfnisssen.

Bereiten die Pädagogischen Hochschu-len die zukünftigen Lehrpersonen aufdie Zusatzaufgabe vor?Ich glaube, die Chancen steigen. Wiedie einzelnen Ausbildungsstätten diesjedoch in ihren Lehrplänen verankern,ist wohl sehr individuell. An denSchweizer Universitäten wird dieserThemenbereich nur teilweise angespro-chen. Die Ausbildnerinnen und Aus-bildner müssen sich diese Kompetenzenerst selber aneignen. Deshalb beruhtvieles nach wie vor auf Eigenmotivationund Selbststudium. Schwerpunkte dürf-ten an den Ausbildungsstätten gesetztwerden, wo sich Führungskräfte profes-sionell und intensiv mit dem Themaauseinander setzen. Wichtig wäre aufjeden Fall, dass die zukünftigen Lehr-personen nicht nur theoretische Grund-lagen erarbeiten, sondern auch Strategi-en erlernen, wie man in der Elternarbeitmit dem Thema umgeht. Ich stelle aberim Moment fest, dass viele Junglehrper-sonen für das Thema noch nicht genü-gend sensibilisiert sind.

Interview Doris Fischer

22B E G A B U N G S F Ö R D E R U N G1 9 • 2 0 0 2

«Begabte Kinder lernen im Allgemeinen früh sprechen, lesenoder rechnen, wollen früh selbstständig vieles tun oder habeneinen grossen Wissensdrang, einige entwickeln auch eine auf-fällige Sammelleidenschaft.»

Margrit Stamm, Expertin fürBegabungsförderung.

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der Baustelle des zukünftigen Erlebnis-spielplatzes in Rotkreuz. Nach einer kur-zen Lagebesprechung einigen sich diedrei mit Meinrad Dörig, dem Verant-wortlichen der Jugend- und Familien-

förderung der Gemeinde Risch, dass siean diesem Nachmittag die Arbeiten amRäuberturm fortsetzen wollen. Undbereits wenige Minuten später hantie-ren die drei geschickt mit Metermass,Stichsäge, Hammer, Nägeln und Schrau-ben in luftiger Höhe.

Doris Fischer

Rotkreuz, Verwaltungsort der vierGemeinden Risch, Rotkreuz, Buonasund Holzhäusern, wirkt auf den erstenBlick nicht eben attraktiv. Die Gemein-de ist erst in den letzten rund 150 Jah-ren als Folge des Baus der Bahnlinie ent-standen. Es ist ein Ort, der ein grossesBevölkerungswachstum mit einemhohen Ausländeranteil aufweist.Beeindruckend sind aber die vielfältigenund zukunftsorientierten Aktivitätenund Projekte im Bereich der Kinder-und Familienpolitik. Das Leitbild Fami-lienförderung und eine ganze Palettevon Angeboten machen die Gemeindefür Familien mit Kindern und fürJugendliche zunehmend attraktiver.Belohnt wird dieser Einsatz mit der Ver-leihung des diesjährigen mit 20 000Franken dotierten Pestalozzipreises.

Politisch gut abgestütztDen Kernpunkt bildet das Familienleit-bild, welches aufgrund einer Bedürfnis-erhebung bei Kindern, Jugendlichenund Eltern in den letzten vier Jahrenentstanden ist. Es ist die Grundlage fürpolitische Aktivitäten im Bereich famili-enfördernder Projekte und liefert dennötigen Freiraum für engagierte Perso-nen und Gruppen. In einem nächstenSchritt wurde die Leitungsstelle «Fami-lie plus Jugend» als 60-prozentige Ver-waltungsstelle eingerichtet. Leiter istMeinrad Dörig, der für die Koordinationund die Vernetzung der verschiede-nen Angebote im Bereich der Jugend-

261 9 • 2 0 0 2

Hoch motiviert, professionell ausgerü-stet mit Helm, Overall und Werkzeug-tasche, erscheinen die SechstklässlerChristian, Dominik und Roman amMittwochnachmittag um 13.30 Uhr auf

Risch: Kleine Gemeinde – grosses Engagementfür Familien und KinderDer diesjährige Pestalozzipreis wird am 20. November, dem Tag des Kindes, an die GemeindeRisch ZG vergeben. Die Aktivitäten der kleinen Gemeinde im Bereich der Kinder- und Familien-politik sind vielfältig und zukunftsorientiert. Der Kanton Basel-Stadt erhält einen erstmalsvergebenen Anerkennungspreis.

Junge Helfer werken in der Freizeit auf dem künftigen Erlebnisspielplatz.

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und Familienförderung sorgt und dieVerantwortlichen der einzelnen Projek-te betreut. Eine Familienkommissionübernimmt die Brückenfunktion zurBevölkerung. Der Rückhalt in derGemeinde, sowohl der Behörden alsauch der Einwohner sei gross, bestätigtMeinrad Dörig: «Wir haben es geschafftzu beweisen, dass unsere Anstrengun-gen greifen und spüren deshalb wenigWiderstand gegenüber unseren Projek-ten.»

Gute Angebote für die FreizeitBereits seit einigen Jahren realisiert sinddie offene Jugendarbeit mit professio-neller Leitung, der Ausbau der Kinder-betreuung mit Krippe, Hort und Mit-tagstisch, die Vernetzung im BereichKinderschutz und die Spielraumbera-tung. Ab 2003 soll das Projekt «Schuleund soziale Arbeit» umgesetzt werden.Verschiedene Partizipationsprojekteund ein Konzept für Kinder- undJugendpartizipation sind in Planung. Die Infrastruktur im Freizeitbereich istgut ausgebaut. Den Kindern undJugendlichen stehen, neben einem gross-zügigen Sportpark mit Beachvolleyball-und Fussballfeld, eine mobile Skater-anlage, das Schwimmbad, ein eigenesJugendhaus mit verschiedenen Grup-pen- und Proberäumen und einemInternet- und Grafikraum zur Verfü-gung. Dort treffen wir an diesem Nachmittagden dreizehnjährigen Nava an. Er ist amChatten, nachdem er zuvor für einenBeitrag für die Schülerzeitung im Inter-net Informationen zu Real Madrid her-untergeladen und ausgedruckt hat. Erbenutzt nach seinen Aussagen dasAngebot im Jugendhaus einmal proWoche, weil er zu Hause keinen Com-puter zur Verfügung hat.

Eigenverantwortlichkeit fördernWert gelegt wird im Speziellen darauf,dass den Kindern und Jugendlichennicht fixfertige Angebote präsentiertund ein Animationsprogramm offeriertwird, sondern dass sich die Benützerin-nen und Benützer eigenverantwortlichfür die Gestaltung, die Einrichtung undden Unterhalt einsetzen. «Wir stellendie Rahmenbedingungen, aktivieren,begleiten und beraten die Jugendlichen,aber wir machen nichts allein», betontMeinrad Dörig.

für Kinder- und Jugendpartizipation.Eigens dafür soll eine Aktionswoche miteinem Wettbewerb stattfinden, an wel-chem die Kinder und Jugendlichen auf-gefordert sind, Ideen zu kreieren und zuformulieren. Die Preissumme von 20 000 Franken bildet dafür den nötigenfinanziellen Rückhalt.

Anerkennungspreis an Basel-StadtDer Kanton Basel-Stadt hat in den letz-ten fünf Jahren mit der Gestaltung kin-derfreundlicher Lebensräume und mitMassnahmen, welche auf Partizipationzielen, verschiedene Projekte realisiertund unterstützt. Unter anderem bestehteine kantonale Interessenvertretung fürKinder, gesetzlich verankert ist die För-derung von Integration, Partizipationund Gleichstellung von Kindern. EineBesonderheit ist die Schaffung einesKinderfreundlichkeitslabels, in dessenRahmen Kinder öffentliche Räume inihrem Quartier bewerten und besonderskinderfreundliche Orte auszeichnen. Die Bewerbung des Kantons Basel-Stadthat die Jury zwar überzeugt, ist jedochschwer mit anderen vergleichbar, da dieSchaffung von Grundlagen im Vorder-grund steht. Deshalb wurde Basel einAnerkennungspreis zugesprochen.

27P E S T A L O Z Z I P R E I S1 9 • 2 0 0 2

Den Beweis dafür liefern die Buben, diean diesem Nachmittag auf dem Erleb-nisspielplatz im Einsatz sind. Unterdes-sen sind nämlich ein paar weitere Helferdort eingetroffen. Sie machen sich mitSchaufeln und Spaten am Damm desneu angelegten Weihers und beim Gra-ben einer Höhle zu schaffen. Für zusätz-liche Unterstützung wird zu einem spä-teren Zeitpunkt ein einheimischesBaugeschäft mit einer Lehrlingsgruppesorgen und die schwereren Arbeitenübernehmen. Je nach Interesse undKönnen sollen auch Erwachsene zurMitarbeit animiert werden, die ein klei-neres oder grösseres Projekt zur Berei-cherung des Spielangebots selbstständigumsetzen. Zur Umsetzung und zur Förderung dersoziokulturellen Animation mit Kin-dern wird ab 2003 eine Praktikumsstellegeschaffen. Im Aufbau begriffen istauch ein Projekt zur Schaffung von lese-fördernden Situationen. Überall wo sichKinder und Jugendliche aufhalten, wer-den Leseorte eingerichtet und mitBüchern bestückt «als Ergänzung zuröffentlichen Bibliothek», wie MeinradDörig erklärt. Ausgearbeitet wird in den nächstenzwei Jahren im Weiteren ein Konzept

«Wir stellen die Rahmenbedingungen, aktivieren, begleiten und beraten die Jugendlichen, aber wir machen nichts allein.»

Meinrad Dörig

Pestalozzipreis Der «Pestalozzipreis für kinderfreundliche Lebensräume» wird jedes zwei-

te Jahr an eine Gemeinde, eine Stadt, einen Gemeindeverband, einenKanton, eine Kirch- oder eine Schulgemeinde vergeben, welche sich inbesonderer Weise für die Interessen der Kinder, für kinderfreundlicheLebensbereiche und für die Rechte der Kinder stark macht. Risch istnach Luzern (1996), Schule Brühl Solothurn (1998) und Leuk (2000) dievierte Preisträgerin.

Getragen wird die Idee vom Dachverband Schweizerischer Lehrerinnenund Lehrer (LCH), von der Stiftung pro juventute, den OrganisationenUNICEF Schweiz, Kinderlobby Schweiz und der Pestalozzi-Weltstiftung.Am 20. November, dem Tag des Kindes, werden Urs Schildknecht, Zen-tralsekretär des LCH, und Maya Sonderegger, UNICEF, der GemeindeRisch und dem Kanton Basel-Stadt die Preise übergeben.

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301 9 • 2 0 0 2

SAJV sind die Einrichtungeines Freiwilligen SozialenJahres, eine – bezahlte – Wo-che Jugendurlaub für Weiter-bildung sowie eine gesicherteGrundausbildung für alleJugendlichen. «Die sozialeZeitbombe tickt», sagte Mon-tagéro, «wir müssen uns nundarum kümmern, die Bombeso schnell als möglich zu ent-schärfen, indem wir dieChancengleichheit verstär-ken.»Die an der Charta beteiligtenHilfswerke verlangen insbe-sondere, dass mit Weiterbil-dungsprojekten für wenigqualifizierte Personen dieNeue Armut bekämpft wird.

HinweiseDamit die Stimme stimmtWie kann singbeeinträchtigten

Kindern geholfen werden?

Eugen Stähli hat einen Leitfaden

unter dem Titel «Stimmt die

Stimme nicht» herausgegeben.

Das Heft ist in zwei Teile geglie-

dert. Im theoretische Teil wer-

den die folgenden Themen an-

gesprochen: «Musikalität», «Kin-

derstimme», «Hören-Horchen-Lau-

schen», «Das Wesen der Stimm-

beeinträchtigung».

Im zweiten Teil finden sich

grundlegende pädagogische As-

pekte für die praktische Arbeit

mit folgenden Inhalten: Hören,

Atmen, singen, Bewegen. Die

eigentlichen Übungen – Emp-

fehlungen genannt – sind in drei

Bereiche gegliedert: «Hören-Hor-

chen-Lauschen», «Atmen-Span-

nen-Entspannen» und «Singen».

Das Heft soll Erziehende ermun-

tern, die vielfältigen Praxis-

empfehlungen in subtiler Weise

in den Musikunterrricht einzu-

bauen.

«Gerade weil die Singbeeinträch-

tigung ein sehr komplexes

Gebiet ist, gibt es keine

Schnelllösungen und Rezepte»

schreibt der Autor. «In jedem

Fall muss der therapeutische

Ansatz individuell aussehen,

denn die Gründe reichen von

psychologischen Gegebenheiten

bis zur psychischen und sozialen

Gesamtsituation des Kindes.»

Eugen Stähli: «Stimmt die Stim-

me nicht», Fr. 24.–, zu bezie-

hen bei Krompholz, Bern, oder

beim Autor, Am Bach 5, 3053

Münchenbuchsee, Telefon

031 869 06 92.

Schweiz-GUS-TreffDie Stiftung Jugendaustausch

Schweiz-GUS lädt am 23.

November um 15.15 Uhr zu

einem Treffen im St. Leodegar-

saal der Hofkirche in Luzern ein.

Eine Austausch-Teilnehmerin

und ein -Teilnehmer erzählen

von ihren Erfahrungen in Weiss-

russland und Russland.

Anmeldung unter jugendaus-

tausch©schweiz-gus.ch oder

Telefon 041 340 96 63.

«Obwohl die Schweiz sichmehrmals zu einer Bildungder nachhaltigen Entwick-lung verpflichtet hat, gibt esheute keine entsprechendeBildungspolitik», hielten diebeteiligten «Nichtregierungs-organisationen» (NGO) aneiner Medienkonferenz vom28. Oktober in Bern fest. Mitihrer Bildungscharta fordernsie, «dass ökologische undsoziale Lernziele zum Kern-auftrag der Schulen auf allenStufen gehören». Menschen,welche die sozialen und wirt-schaftlichen Zusammenhän-ge kennen und verstehen,seien eher fähig und willens,umweltverantwortlich undsozial zu handeln, erklärteKaspar Schuler, Geschäftslei-ter von Greenpeace.Nach der Ablehnung derSolidaritätsstiftung soll dasNationalbank-Gold zum Teilfür eine nachhaltige Bildungverwendet werden. DieseForderung wurde an derMedienkonferenz von Sté-phane Montagéro, Präsidentder Arbeitsgemeinschaft derJugendverbände (SAJV) vor-getragen. Hauptanliegen der

Die Bildungscharta vor dem Bundeshaus, per Velokurier ging sie an die zuständigen Bundes-ämter und die EDK.

Zudem sollen Impulspro-gramme den beruflichenWiedereinstieg von Frauenunterstützen.Die Unterzeichner-Organisa-tionen wollen ein Monito-ring einrichten, um die Bil-dungspolitik von Bund undKantonen auf ihren Nach-haltigkeits-Effekt zu überprü-fen. Über die Resultate solldie Öffentlichkeit regelmäs-sig orientiert werden.Die Charta fordert nichtzuletzt auch «eine Ermuti-gung und Stärkung der Lehr-kräfte durch Politik undVerwaltung». Für Bildungs-projekte der nachhaltigenEntwicklung seien Lehrper-sonen «angemessen zu ent-lasten und freizustellen».

Heinz Weber

Weiter im Netzwww.wwf.ch/bildungszen-trum (Bildungscharta zumHerunterladen)

Die OrganisationenUnterschrieben wurde die Bildungs-Charta von folgen-

den Organisationen: WWF Schweiz, Greenpeace, ProNatura, Equiterre (früher Schweizerische Gesellschaftfür Umweltschutz), Verkehrsclub der Schweiz VCS,Swissaid, Helvetas, Brot für alle, Terre des Hommes,Erklärung von Bern (Deutschschweizer Sektion),Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendver-bände SAJV.

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Für nachhaltige BildungElf Organisationen aus den Bereichen Umwelt, Jugend undEntwicklung haben die Charta «Bildung für eine nachhaltigeEntwicklung» veröffentlicht. Für diesen Zweck soll nach demWillen der Unterzeichner auch ein Teil des Erlöses aus demNationalbank-Gold eingesetzt werden.

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311 9 • 2 0 0 2

MAGAZIN HinweiseUnterrichtsentwicklung für die Sekundarstufe IINach den erfolgreichen EDK-

Foren zur Maturaarbeit (2000)

und zur Interdisziplinarität

(2002) findet im Frühjahr 2003

unter dem Patronat von EDK

und BBT ein internationaler

Kongress zur Unterrichtsent-

wicklung auf der Sekundarstufe

II statt. Tagungsort ist die Kan-

tonsschule Alpenquai Luzern. Es

stehen 44 Workshops zur Wahl.

Das Detailprogramm mit nähe-

ren Angaben zu allen Work-

shops und Referaten findet sich

im Internet auf www.webpalet-

te.ch unter «Kongress 2003».

Online-Anmeldung ist möglich.

Auf Wunsch wird ein gedrucktes

Programm zugestellt. Für die

Organisation ist die Schweiz.

Zentralstelle für die Weiterbil-

dung der Mittelschullehrerinnen

und -lehrer (WBZ) in Luzern

verantwortlich. Auskunft und

Anmeldung (WBZ-Projekt-Nr.

02.28.41): WBZ, Postfach, 6000

Luzern 7, E-Mail: schmid.isabel-

[email protected], Telefon

041 249 99 17, Fax 041 240 00 79.

«Likrat» – Begegnung mitdem Judentum«Likrat» ist hebräisch und heisst

«in Begegnung». Jüdische Ju-

gendliche können im Rahmen

eines Themenschwerpunktes Ju-

dentum/Israel im Religions-

oder Geschichtsunterricht in die

Schulklasse eingeladen werden,

um sich und ihr Judentum vor-

zustellen. Das Angebot richtet

sich an Schülerinnen und Schü-

ler von 15 bis 17 Jahren an Mit-

telschulen in der deutschspra-

chigen Schweiz. Die jüdischen

Jugendlichen sind Gymnasias-

ten oder in der Lehre und nah-

men an einem Ausbildungskurs

teil, um in diesem Projekt mit-

wirken zu können. Information

und Anmeldung: Schweizeri-

scher Israelitischer Gemeinde-

bund, «Likrat», Gotthardstr. 65,

Postfach 564, 8027 Zürich.

Projektleiterin Eva Pruschy,

Telefon 01 201 89 25, E-Mail

[email protected], In-

ternet www.swissjews.org.

zubereitet. Sie entsprechenalso genau den Kriterien, dieheute gesellschaftlich rele-vant sind. Aber schmeckenuns solche Produkte auch?Die Ausstellung im Win-terthurer Gewerbemuseumbietet dem Besucher einereich gedeckte Tafel, wo er anHand von Rauminszenierun-gen, Videos, Hörstationenund auch einer mobilen Gar-küche des Koch- und Essper-formers Max Bottini ausUesslingen TG seine Sinnetesten kann. Während in derFastfood-Ecke auf einer ausPizzakartons und Hambur-gerstyroporboxen gefertigtenBar das Essen beinahe alsnotwendiges Übel möglichstschnell «erledigt» werdenkann, kommt beispielsweiseauch die veritable Kunst desKochens nicht zu kurz, dortwo Handwerk und Technikzählen.

Noch bis Ende März 2003geht es im Gewerbemuse-um Winterthur um «FoodDesign». Eine Ausstellungvom Essen zwischen Küche,Kunst und Labor.

Eigentlich weiss man es ja: Jevielfältiger sich im Restau-rant die Speisekarte präsen-tiert, desto mehr greift derKoch in seiner Küche zuFunctional oder Conve-nience Food, um innerhalbvon drei Minuten im Mikro-wellenherd ein Menü aufden Tisch zu zaubern. Beinahe 90 Prozent des Nah-rungsmittelangebotes sindinzwischen ganz oder teil-weise industriell verarbeitet.Und täglich kommen weite-re Produkte aus den Labor-küchen der «Food Designer»auf den Markt – und auchauf den Tisch. Denn sie sindnicht nur gesund und halt-bar, sondern auch schneller

Der kulinarisch designteSpaziergang führt auch indie Vergangenheit, zu altenBekannten wie Knorrli, Juli-us Maggi und Dr. Wander alseigentliche Begründer desConvenience Food. Oder1866 zur Herstellung vonMargarine, welche damalsals erstes synthetischesLebensmittel galt. Heute istdie Nahrung häufig gentech-nisch verändert; FunctionalFood soll nicht nur ernäh-ren, sondern auch die Ge-sundheit fördern.«Food Design» im Gewerbe-museum am Kirchplatz,Winterthur. Bis 30. März2003, Di–So 10–17 Uhr, Do10–20 Uhr, Mo geschlossen.Vom 18. April bis 8. Juni2003 ist die Ausstellung imKornhausforum in Bern zusehen. Madlen Blösch

Weiter im Netzwww.gewerbemuseum.ch

Wer denkt sich unser Essen aus?

Industrielle Herstellung von Pommes frites.

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Page 21: 19 2002

Das ist wirklich gut gemacht– und sehr unterhaltsam zulesen: Die interaktiven Web-Geschichten der Sek 9a amOberstufenzentrum Täuffe-len BE sprühen nur so vonIdeen www.sen.ch/oszt/web-stories/index.html. Die Schü-lerinnen und Schüler er-zählen fünf verschiedeneGeschichten, die Titel wie«Das Labyrinth» oder «Ge-fangen im Spiel» tragen. Es sind nicht einfach Texte;thematische Bilder ergänzendie Erzählungen – und als Be-sonderheit kann man teil-weise die Fortsetzung derGeschichten selbst auswäh-len. Wird die Frage am Endedes Textes nicht richtig be-antwortet, fällt man automa-tisch eine Seite zurück...«Bereits seit einigen Jahrenbegleitete mich die Idee, miteiner Klasse Texte zu erstel-len, die nicht einfach imAufsatzheft geschrieben ste-hen, sondern im Interneteiner breiteren Öffentlichkeitzugänglich gemacht werden»,berichtet Lehrer Reto Mor-genthaler. Sein Grundsatz sei gewesen, «die Webstorysunverfälschte Schülerpro-jekte werden zu lassen». Die Klasse investierte rund55 Lektionen, Fach Deutsch,in das Projekt. Die Internet-seiten gestalteten zwei Schü-ler, die das Fakultativfach«Homepage» besuchten. DieSites sind einfach gestaltetund haben eine logischeNavigation. Über deren Ent-stehung als «Making of» zuberichten, ist auch ein attrak-tiver Einfall.

Virtuelle GemeindeNicht weniger lebendig istdas Projekt, das die Jugendli-chen des neunten Schuljah-res in Escholzmatt LU auf dieBeine stellten www.schulen-luzern.ch/escholzmatt/V2/index.htm. Sie präsentierenihre mit wachen Blicken ent-deckte Gemeinde in Pano-ramafotos, die sie mit Hilfeeines speziellen PC-Pro-gramms aus gewöhnlichenFotos zusammenbauten. Je

zwei Schüler erhielten einenStrassenabschnitt zugeteilt.Das Ergebnis des Vorhabens«virtuelle Gemeinde» lässtsich sehen und ist ein gutesBeispiel für ein Projekt, beidem der Computer vor allemals Mittel zum Zweck genutztwird. Dank der logischenNavigation lässt sich ange-nehm durch das Dorf «spa-zieren». Aber zu lesen gibtsetwas gar wenig.Ebenfalls auf virtuelle Erfah-rungen setzt die Primarschu-le Hoechi in Baden-DättwilAG. Die Kinder der ersten bisdritten Klasse bauten unterLeitung von Marianne Bolli-ger ein «virtuelles Kinderdorf»zusammen www.daettwil. net/redakto/pages/index.html. Dagibts eine «Villa Kunterbunt»und eine «eiserne Burg»: Indiesen Rubriken erzählen dieKinder mit Zeichnungen undin Worten von sich, ihrenIdeen und Phantasien. Das istalles gut gemacht, führt dieKinder an die Internetweltheran – und ist letztlich auchein Stück Öffentlichkeits-arbeit für die Schule.

Kleine KunstwerkeSehr aufwändig gemachtekleine Internet-Kunstwerke

sind die Projekte der Miner-va-Schulen Basel: http://pro-jekte.minerva-schulen.ch.Da gibt es Mini-Dramen,Music-Clips und The WebSide Stories. Aus dem PC-Lautsprecher ertönt die Stim-me eines Erzählers und aufdem Bildschirm wechselnsich zur Geschichte «DieHandtasche» die Bilder ab.Die Mini-Dramen müssenauch beim Produzieren Spassgemacht haben. Die Sekun-darschüler komponierten undgenerierten Musik, die siewiederum in bewegte Bilderumsetzten. Die animiertenSchülerporträts sind eben-falls eine Klasse für sich.Die Sekundarklassen arbeite-ten im Zeichen- und Infor-matikunterricht an den Pro-jekten. Bei all diesen Werkengibt es keine kopflastigen Er-klärungen: Die Ergebnisse vonviel Denk- und Computerar-beit sind einfach zu bestau-nen. Daher ist es nicht über-raschend, dass die Projektebei Wettbewerben verschie-dene Auszeichnungen gewan-nen. Eines sollte nicht verges-sen gehen: Öffentliche Schu-len verfügen nicht immerüber genügend technischeRessourcen (und Geld), um

solch aufwändige Internet-Ideen umsetzen zu können.

Abgründe warten überallAber Geld ist nicht so wich-tig. Nicht wenigen Internet-projekten im Zusammen-hang mit den Netdays siehtman an, dass sie aus derBastelstube kommen (Linkszu allen Projekten: www.net-days.ch). Einige Lehrkräftehaben sich wohl gesagt: «Wirmüssen dabei sein und unbe-dingt ein Internetprojekt ha-ben.» Gute Ansätze werdenin der Hitze des Gefechtsohne präzises Konzept um-gesetzt. Man ist vor allembegeistert von der Vorstel-lung, dass die wild gestalte-ten, blinkenden Websitesvon irgendwo auf der Welt an-geschaut werden könnten...Dabei gilt auch beim kleins-ten Projekt: weniger ist mehr.Denn im Internet kann mansich wunderbar blamieren,etwa mit einem wirren Lay-out oder einer unlogischenNavigation durch überfüllte,knallbunte Seiten. Ohne dieSorgfalt (die bei einem Falt-blatt oder einer kleinen Bro-schüre notwendig ist), gehtsim Internet sowieso nicht.

Thomas Gerber

33B I L D U N G S N E T Z1 9 • 2 0 0 2

Perlen aus der SchulstubeIllustrierte Geschichten erzählen oder die Gemeinde mit Panoramafotos vorstellen: Diekreativ verspielte Art der Internetprojekte von Schulklassen fällt an den Netdays 2002besonders auf. «Image – Bilder» lautet schliesslich das Motto der 6. Netdays Europe, diedieser Tage (18.–24.11.) auch in der Schweiz stattfinden.

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351 9 • 2 0 0 2 35

Die Ergebnisse dieser Auswertungbestätigen übrigens eine schon frühergemachte Beobachtung, dass die Ver-gleiche zwischen Ländern beim Zusam-menhang zwischen Lernfaktoren wieMotivation, Interesse, Selbstkonzeptund Leistungstestergebnissen ausge-sprochen schwierig sind. Jugendlicheaus Ländern, die im Lesen und inMathematik sehr gut abgeschnittenhaben, können niedrigere Werte bei denLernfaktoren aufweisen als ihre Kolle-ginnen und Kollegen aus Vergleichslän-dern mit schwachen Testergebnissen.Innerhalb eines Landes, also auch in derSchweiz, sind die Schülerinnen undSchüler mit guten Lernfaktoren auchjene mit den guten Testleistungen.

PISA liefert keine RezepteWas aufgrund dieser Resultate im fami-liären oder schulischen Bereich zweck-mässig und wirkungsvoll zu tun wäre,lässt sich nicht einfach aus diesen wieallen anderen PISA-Resultaten ableiten.PISA macht Aussagen über Zusammen-hänge, liefert aber keine Ursachen, wel-che die Zusammenhänge erklären. Auchwird zu Recht darauf verzichtet, Mass-nahmen zur Verbesserung der Leis-tungsfähigkeit und Behebung von Pro-blemen vorzuschlagen. PISA liefert erstdie Grundlagen für Vermutungen bzw.Hypothesen, die in weiteren Studienvertieft untersucht werden müssen.

Weiter im TextZutavern, Michael; Brühwiler, Christi-an: «Selbstreguliertes Lernen als fächer-übergreifende Kompetenz». In: Bundes-amt für Statistik (BFS); SchweizerischeKonferenz der kantonalen Erziehungs-direktoren (EDK). Für das Leben gerüs-tet? Die Grundkompetenzen derJugendlichen – Nationaler Bericht derErhebung PISA 2000. Neuenburg; Bern:BFS; EDK, 2002, S. 64–89.

Weiter im Netzwww.skbf-csre.ch

PISA 2000 hat sich nicht darauf be-schränkt, die Leistungsfähigkeit inLesen, Mathematik und Naturwissen-schaften zu testen, sondern hat sichauch für die Lernfähigkeiten allgemeinund die Einstellungen der Jugendlichenzum Lernen interessiert. Die Erfassungdes selbstregulierten Lernens erfolgtemittels einer schriftlichen Befragung.Die Ergebnisse beruhen ausschliesslichauf den Selbsteinschätzungen der Schü-lerinnen und Schüler und nicht aufBeobachtungen oder Tests.

Urs Vögeli-Mantovani, SKBF

Für die befragten 15-Jährigen ist Lernenihr Beruf, den sie während rund 10 000Stunden Unterricht ausgeübt haben.Die Autoren der PISA-Teilstudie, Micha-el Zutavern und Christian Brühwilervon der Forschungsstelle der Pädagogi-schen Hochschule St. Gallen, fragtensich deshalb, ob Schweizer Schülerin-nen und Schüler über ausreichendeFähigkeiten verfügen, selbständig zu ler-nen?

Sprachregionale UnterschiedeEin Ergebnis ist klar und eindeutig.Interesse und Spass am Lesen sind wich-tige Voraussetzungen für die Förderungdes lebenslangen Lernens. Umgekehrtgehören wenig Interessierte und Lese-abstinente in der Freizeit zur Gruppe,die bei den Tests zur Lesefähigkeitschlecht abschneidet. Die Mädchen zeigen in allen Sprachre-gionen ein deutlich höheres Interesseam Lesen als die Knaben, diese habenaber ein grösseres Interesse an Mathe-matik. Bezieht man den Sprachhinter-grund der Jugendlichen mit ein, so zei-gen sich bemerkenswerte Unterschiede:Das Leseinteresse von Mädchen, die zuHause nicht die Testsprache sprechen,ist tiefer als das Interesse von Mädchen,für die Testsprache und Familiensprachedie gleiche ist. Hingegen zeigen dieMädchen mit anderem Sprachhinter-grund in Mathematik ein klar höheresInteresse als die anderen Mädchen, dieeine der drei Schweizer Testsprachenauch zu Hause sprechen. Was für das Interesse gilt, trifft tenden-ziell auch auf die Bedeutung von Lern-

strategien zu, die über das Wiedergebenvon Wissen hinausgehen. Tiefergehen-de Verarbeitungsstrategien sind dem rei-nen Auswendiglernen überlegen. Insbe-sondere die Fähigkeit, das eigene Lernenzu steuern, erweist sich als Merkmalguter Leserinnen und Leser. Die Ge-wohnheiten, Lernstrategien anzuwen-den, sind sprachregional ungleich ver-teilt. So geben französischsprachigeJugendliche sehr häufig an, auswendigzu lernen und zu wiederholen, um sichInhalte einzuprägen.Zur Einstellung betreffend kooperati-vem und konkurrierendem Lernen zei-gen die Schweizer Schülerinnen undSchüler eine Ablehnung von wettbe-werbsorientiertem Verhalten. Die Auto-ren vermuten, dass vielen Jugendlichendie Solidarität mit den Gleichaltrigenauch im Lernen wichtig ist. Ob negativeErfahrungen mit Konkurrenzdruck inder Schule zu dieser Tendenz führen,kann aus den PISA-Daten nicht beant-wortet werden. Eine kritische Einstel-lung zum konkurrierenden Lernenführt aber zu keinem Leistungsverlust,denn auch wettbewerbskritische Ju-gendliche gehören zu den leistungs-stärksten.Sprachregionale Unterschiede fallenauf: In der Westschweiz lernen Jugendli-che angeblich häufiger auswendig als inden anderen Landesteilen; die deutsch-sprachigen Jugendlichen halten sicheher für ausdauernde Lerner, währenddie italienischsprachigen stärker als dieanderen wettbewerbsorientiert sind.Derartige Unterschiede können sich alskulturelle Tendenzen bei Auskünftenüber das eigene Lernen zeigen.Die Jugendlichen in der Schweiz zeigenim internationalen Vergleich durch-schnittliche Lernkompetenzen, Interes-sen und Selbstkonzepte, also ähnlicheErgebnisse wie in der Kompetenzmes-sung im Lesen und in den Naturwissen-schaften. International gesehen liegendie meisten Schweizer Werte nahe amPISA-Mittelwert.

Interesse ist die beste VoraussetzungIm internationalen Leistungsvergleich PISA wurde auch nach den Fähigkeiten der Jugendlichen zuselbständigem Lernen gefragt. Tiefergehende Verarbeitung ist dem Auswendiglernen überlegen.

Insbesondere die Fähigkeit, das eigene Lernen zu steuern,erweist sich als Merkmal guter Leserinnen und Leser.

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Impressum BILDUNG SCHWEIZ erscheint monatlichBILDUNG SCHWEIZ thema erscheint zwei-monatlichBILDUNG SCHWEIZ-Stellenanzeiger erscheint inallen Ausgaben sowie nach Bedarf separat; 147. Jahrgang der Schweizer Lehrerinnen- undLehrerzeitung (SLZ)

Herausgeber/VerlagDachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer

(LCH)• Beat W. Zemp, Zentralpräsident, Erlistrasse 7,

4402 Frenkendorf E-Mail: [email protected]

• Urs Schildknecht, ZentralsekretärE-Mail: [email protected]

• Anton Strittmatter, Leiter PädagogischeArbeitsstelle LCH, Jakob-Stämpflistr. 6, 2504 Biel-BienneE-Mail: [email protected]

Zentralsekretariat/Redaktion: Ringstrasse 54, Postfach 189, 8057 ZürichTelefon 01 315 54 54 (Mo bis Do 8.00 bis 9.00 und

13.00 bis 17.00 Uhr, Fr bis 16.30 Uhr)Fax 01 311 83 15, E-Mail: [email protected]

Redaktion• Heinz Weber (hw.), Verantwortlicher Redaktor

E-Mail: [email protected]• Peter Waeger (wae), Grafik/Layout

E-Mail: [email protected]

Ständige MitarbeitMadlen Blösch (mbl.), Doris Fischer (dfm.), Thomas Gerber (ght.), Ute Ruf, Martin Schröter(ms.), Pia Wermelinger (pia), Adrian Zeller (aze.)

Internetwww.lch.chwww.bildungschweiz.chAlle Rechte vorbehalten.

Abonnemente/AdressänderungenZentralsekretariat LCH, Postfach 189, 8057 Zürich,Telefon 01 315 54 54, E-Mail: [email protected]ür Aktivmitglieder des LCH ist das Abonnementvon BILDUNG SCHWEIZ inklusive BILDUNGSCHWEIZ thema im Verbandsbeitrag enthalten.

Schweiz AuslandJahresabonnement Fr. 95.50 Fr. 162.–Studierende Fr. 67.50

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ISSN 1424-6880

Idealistisches Ziel«Umbau der Einschulung», BILDUNG SCHWEIZ17/2002

Ich sende Ihnen die Zusammenfassungeines Gesprächs, das ich in Hollandführen konnte. Dr. C. G. Th. Vernooy istDozent am Institut für Unterrichtsent-wicklung in Amersfoort. Das Konzeptder Basisstufe, das im Kanton Bern inPlanung ist, wurde ihm in den Grund-zügen vorgestellt und er wurde gebeten,dazu Stellung zu nehmen.Auch Holland wollte in den 80er-Jahrenden Kindergarten und die Schule engerzusammenschliessen. Spiel- und Lern-kultur sollten sich einander annähern.Die Kindergartenkassen wurden in dieSchulhäuser integriert. Diese ersteSchulstufe für die 4- bis 12-Jährigenwurde Basisschule genannt. Im Gegen-satz zum Basisstufenkonzept des Kan-tons Bern war darin nicht vorgesehen,die ersten vier Jahrgänge altersgemischtzu unterrichten.Fliessende Übergänge sind ein idealisti-sches Ziel, das in der Praxis schwierigumzusetzen ist. Die Integration der Kin-dergärten in die Schulhäuser verein-facht die punktuelle Zusammenarbeitder beiden Stufen, garantiert sie abernicht. Der halbjährige Übertritt, wie erfür die Basisstufe vorgeschlagen wird,wurde in Holland ausprobiert. Er hatsich nicht durchgesetzt, weil der organi-satorische Aufwand zu gross war.Vier Jahrgänge gemeinsam zu unterrich-ten, ist für G. Vernooy ein schwierigesUnterfangen. Das Klassenmanagementnimmt viel Zeit und Energie der Lehr-kraft in Anspruch und stellt hoheAnforderungen an diese. Er weist auf dieGefahr hin, dass darunter der direkteUnterricht und die Beziehung der Lehr-kraft zum einzelnen Kind leiden könn-ten. Gerade sehr junge Kinder und«Risikokinder» brauchen zusätzlicheAufmerksamkeit der Lehrkraft. In alters-gemischten Klassen sind die jüngerenKinder oft benachteiligt, weil sie nichtdie nötige Zuwendung erhalten.Dass das Kind im Kindergarten- und Un-terstufenalter selbstbestimmt und selb-ständig gezielt lernt, ist für G. Vernooyeine zu idealistische Vorstellung. DasKind, vor allem das Risikokind, brauchtdazu die Bezugsperson. G. Vernooy: «Un-terrichtsentwicklung wird immer vonMenschen der Mittelschicht gemacht. Soist auch das Konzept der Basisstufe einKonzept für die starken Kinder.»Derart tiefgreifende Reformen müssenzwingend in wissenschaftlich kontrol-

lierten Modellen, die repräsentativ sind,erprobt und ausgewertet werden. Sonstwerden die Kinder, vor allem dieschwächeren, zu Opfern der Reform.

Annebeth Grossen-Gasser, Kinder-gärtnerin in Burgdorf (Text gekürzt)

Chancengerechtigkeit«Chancengleichheit ja – aber wie?», BILDUNGSCHWEIZ 16/2002

Auch unser Team hat sich mit der CDder Sendung «Kontext» beschäftigt. DieBotschaft der Pädagogikprofessorin FrauCristina Allemann-Ghionda kam beiuns ganz anders an. Wir hörten, dassFrau Allemann die Einrichtung von Auf-gabenhilfen und Betreuungsangebotenim Schulhaus empfiehlt. Dort könntejedes Kind seine Aufgaben in einer ruhi-gen Umgebung mit entsprechenderUnterstützung lösen. Die sehr unter-schiedlichen Bedingungen in den ver-schiedenen Elternhäusern würden soweniger ins Gewicht fallen. Der Chan-cengerechtigkeit wären wir einenSchritt näher. Wir finden es sehr schade,wenn die durchdachten Ausführungenvon Frau Allemann-Ghionda auf dieirreführende Aussage «Verzicht aufHausaufgaben» reduziert werden.

Gabriella Gianotti Tscherne, Schulleiterin, Rorschach

Warum ein Mann?Editorial, BILDUNG SCHWEIZ 17/2002

Ich beziehe mich auf das Vorwort vonBILDUNG SCHWEIZ Nr. 17 und habezwei Fragen dazu, die Sie mir und einerweiteren Leserschaft sicher beantwortenkönnen.1. Wie kommen Sie bei dieser unange-nehm protestierenden Person auf einenMann? Leider geht das aus Ihrem Textnicht hervor.2. Haben Sie eine Vorstellung, wie diesePerson mit den SchülerInnen umgeht?Ich nehme an, dass Sie an einenschlechten Umgang denken.

Beat Gerber, Uetendorf

In der Tat ist es schwer zu begründen, wes-halb nicht eine Frau für die Rücksendungenohne Absender in Frage kommen soll. DieVerbindung von systematischem Vorgehen,Hartnäckigkeit und Anonymität erwecktebei mir den Eindruck, da führe jemand eineArt «Krieg», was erfahrungsgemäss eherMännersache ist. Im Übrigen vermutet derLeserbriefschreiber richtig. hw.

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Du kommst also morgens ins Büro, läufst direkt, ohne ein einziges Mal aufgehaltenzu werden, zu deinem Platz, wirfst den Compi an und den Fax, erledigst, wasanfällt, und um fünf schaltest du ab und gehst nach Hause, um dort nochmal abzu-schalten. Hast dich die ganze Zeit kein einziges Mal genervt. Das sei besser als meinPäda-Maso-Trip. Behauptest du.Ganz klar, dass es bei uns im Klassenzimmer mehr zu nerven gibt als im Büro. Völ-lig einverstanden, dass da öfter ein Ärgernis auftaucht entweder in Form einesStreits mit Haarausreissen oder in Form eines reklamierenden Elternteils oder auchin Form einer, zwei oder drei unerledigter Verbesserungen oder vier oder fünf vergessener Hausaufgaben, dazu eventuell einem extremen Schimpfwort mitRevanche. Aber sag mal, hörst du von Bürokollegen Komplimente der farbigen Sorte wie ichbei einem neuen Blazer: «Ein Papagei würde gerne auf deinen Schultern landen. Siesind so schön breit.» Eben nicht. Oder traust du einem dieser Anzugsmäuseriche zu, dass sie immer einen Keks fürdich im Sack haben?Und sei ehrlich, glaubst du, dass es heutzutage noch Männer gibt, die sehr viel Zeitaufwänden, um ihre Zuneigung schriftlich zu fixieren wie mein Karim mit «Ikhabed ik LIBSOLIB.» Oder glaubst du, dass es ein Büro gibt, wo, wenn du mal die langen Ohrringe an-legst, gleich dein ganzes Kollegium um den Schreibtisch hüpft und ruft: «Sie ischdie Schönscht!»Und hast du mal einen Durchhänger und gähnst ein bisschen vor dich hin – wogibt es das in einem Büro, dass jemand kommt und dir ein Plüsch-Nilpferd auf denSchreibtisch setzt «damit dir’s nicht so langweilig ist».Nicht zu vergessen die interessanten Montagmörgen, wo wirklich Wichtiges berich-tet wird. Dass der Hund zweimal gekörbelt hat, oder dass der Papi Streit angefangenhat, als Mami sagte, sie sei für Bayern München.Natürlich würden auch deine Bürokollegen dich herzlich empfangen, wenn dunach eintägiger krankheitsbedingter Abwesenheit wieder erscheinst. Aber sie wür-den bestimmt nicht Spalier stehen, oben die Hände zum Tor verbunden. Und was besser ist als ein Ton-in-Ton-Blumenstrauss von den adretten Netten ausdeinem Grossraumbüro, das ist doch ein heisses Asternsträusschen, heiss die Stiele,von Kinderhänden so lange festgehalten. Wenn du Glück hast, ist noch ‘ne abgeris-sener Geranie dabei.

Heisse Astern

BILDUNGSCHWEIZdemnächst• Weiter bilden & kommen Wie muss eine professionelle, wirkungs-volle Weiterbildung aussehen, die denLehrpersonen und den Schulen zu gutekommt? Der LCH veröffentlicht einPositionspapier mit dem Titel «FünfBrennpunkte der Weiterbildung». Darinfordert der Dachverband eine Ausrüs-tung aller Schulen mit Mitteln für eineigenständiges Weiterbildungskonzept.

• Rio im Klassenzimmer«Nachhaltige Entwicklung» – 1992 inRio postuliert, letzten Sommer inJohannesburg bekräftigt – setzt nichtzuletzt auf die Kraft von Bildung undAufklärung. Doch was kann die Schulewirklich leisten? Und hat die «Nach-haltigkeit» überhaupt Platz in ihremKernauftrag. Ein nationaler Bildungs-kongress in Bern (mitgetragen vomLCH) sucht Antworten.

• Vergebliche Liebesmüh?Das Interesse für Umweltfragen bei Kin-dern und Jugendlichen habe abgenom-men, klagen engagierte Lehrerinnenund Lehrer. Eine wissenschaftliche Stu-die hat überprüft, was von Öko-Lektio-nen hängen bleibt.

Die nächste Ausgabe erscheintam 10. Dezember.

Ute Ruf

Foto: Greenpeace «Schule für den Wald»


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