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16-2/98 Meine Kindheit lll. Reich, das Novemberpogrom von ... 400/Bad...Heft Nr. 16-2/98 SACHOR -...

Date post: 24-Oct-2020
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Heft Nr. 16-2/98 SACHOR - Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz 35 Meine Kindheit im Reich, das Novemberpogrom von 1938 und meine Flucht aus Deutschland von Chanan Peled, vormals Hans-Hermann Feibelmann lch bin am 10. Juni 1927 in einer kleinen Stadt namens Sobernheim (ab 1995 Bad Sobernheim) an der Nahe geboren. Sobernheim gehört zum Kreis Bad Kreuznach im Bundes- land Rheinland-Pfalz. Die Stadt hatte damals ca. 5000 Einwohner und war das Handels- und Verwaltungszen- trum von verschiedenen kleinen Dör- fern in der Umgebung. Sobernheim ist sehr schön gelegen und ist auch wegen seiner Lehmbäder von Pastor Felke zu einem Kurort geworden. Aus diesem Grunde gibt es dort einige Kurhäuser und Hotels. Die Einwohner von Sobernheim beschäftigten sich damals meistens mit Handel und Ver- waltung. Es gab auch einige Fabriken. Zur Zeil meiner Geburt beschäftigte die Strumpffabrik Marum ca. 800 Arbeiter und war aus diesem Grunde die größte Erwerbsstelle in der Gegend. Die Marums waren eine von ca. 15 jüdischen Familien in der Stadt. lnzwischen habe ich erfahren, daß Juden seit dem Jahre 1301 in Sobern- heim lebten. Soweit ich mich erinnere, gab es eine katholische und eine protestanti- sche Volksschule und eine Realschu- le. Die jüdischen Kinder besuchten die protestantische Schule. Einige meiner Lehrer waren auch die Lehrer meines Vaters und nicht einmal wurde mir gesagt, daß mein Vater ein besserer Schüler gewesen wäre als ich. Die jüdischen Familien waren mei- stens Kaufleute und führten ein recht gutes Leben - außer der Familie Marum, welche sehr wohlhabend war und großen Einfluß hatte. Es ist mir nicht bekannt, ob die Katholiken oder die Protestanten die Mehrheit waren, aber dies spielt ja keine Rolle. Unsere Familie, wie die meisten, wenn auch nicht alle jüdischen Familien, war sehr Links: Das Wohn- und Geschäftshaus der Familie Feibelmann in der oberen Groß- straße von Bad Sobernheim. assimiliert. Wir fühlten uns in jeder Weise als Deutsche mit jüdischem Glauben. Zu Weihnachten waren wir bei christlichen Familien eingeladen und deren Kinder kamen zu uns zu Hanukah. Auch erinnere ich mich, daß wir unseren Freunden zu Pessach Matzot schenkten. Jetzt ein paar Einzelheiten über meine Familie: Mein Vater, Eugen Feibelmann, wurde am 29.04.1892 in Medders- heim, einem Dorf bei Sobernheim, geboren. Er starb am 18.03.1936 und ist in Sobernheim begraben. Mein Großvater, Herrmann Feibelmann, wurde am 27.08.1859 in Medders- heim geboren, erstarb am 29.07.1919 und ist in Sobernheim begraben. Meine Großmutter, Karoline Fei- belmann geb. Landmann, wurde am 04.08.1 862 in Schifferstadt geboren, sie starb am 17.10.1924 und ist in Sobernheim begraben. Meine Großeltern hatten drei Söhne. Der älteste, Richard, fiel im l. Weltkrieg am 21.11.19'17 und ist in Cambrai/Frankreich begraben. Dann kam mein Vater und der jüngste Sohn, Hugo. Hugo floh vor dem ll. Weltkrieg mit seiner Frau Trude geb. Haas aus Kirn nach Frankreich. Sie hatten keine Nachkommen. Mein Großvater Herrmann hatte fünf Brüder und sechs Schwestern. lch kannte nur einen Rudolf, welcher in Sobernheim lebte. Er war mit Cle- mentine Adler verheiratet, sie hatten eine Tochter Alice, welche mit Gustav Hauser verheiratet war. Diese hatten einen Sohn Hans. Die ganze Familie floh vor dem Kriege nach Milwau- keeAffisc. in den Vereinigten Staaten. Jetzt etwas über die mütterliche Seite: Meine Mutter, Anni Bergheim, wurde am 09.08.1898 in Schwarenz in der Nähe von Posen/Polen gebo- ren. Dieses Gebiet gehörte damals zu Deutschland; meine Mutter schrieb die gotische Handschrift. Meine Mut- ter und Großmutter wurden von Sobernheim nach Köln umgesiedelt und von dort am 07.12.1941 nach Riga deporliert. Mein Großvater, Max Bergheim, wurde am 22.12.1859 geboren und starb am 29.07.1922. Er ist in Sobern- heim begraben. lch habe keine weite- ren lnformationen. Meine Großmutter, Rosa Berg- heim geb. Schrimmer, kam am 08.02.1868 in Wreschen zur Welt. Sie wurde zusammen mit meiner Mutter depoftiert. Meine mütterlichen Großeltern hatten zwei Töchter. Die ältere, Herta Bergheim, heiratete Georg Kämpfer. lll.
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  • Heft Nr. 16-2/98 SACHOR - Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz 35

    Meine Kindheit im Reich,das Novemberpogromvon 1938 und meine Fluchtaus Deutschlandvon Chanan Peled, vormals Hans-Hermann Feibelmann

    lch bin am 10. Juni 1927 in einerkleinen Stadt namens Sobernheim(ab 1995 Bad Sobernheim) an derNahe geboren. Sobernheim gehörtzum Kreis Bad Kreuznach im Bundes-land Rheinland-Pfalz. Die Stadt hattedamals ca. 5000 Einwohner und wardas Handels- und Verwaltungszen-trum von verschiedenen kleinen Dör-fern in der Umgebung. Sobernheim istsehr schön gelegen und ist auchwegen seiner Lehmbäder von PastorFelke zu einem Kurort geworden. Ausdiesem Grunde gibt es dort einigeKurhäuser und Hotels. Die Einwohnervon Sobernheim beschäftigten sichdamals meistens mit Handel und Ver-waltung. Es gab auch einige Fabriken.Zur Zeil meiner Geburt beschäftigtedie Strumpffabrik Marum ca. 800Arbeiter und war aus diesem Grundedie größte Erwerbsstelle in derGegend. Die Marums waren eine vonca. 15 jüdischen Familien in der Stadt.lnzwischen habe ich erfahren, daßJuden seit dem Jahre 1301 in Sobern-heim lebten.

    Soweit ich mich erinnere, gab eseine katholische und eine protestanti-sche Volksschule und eine Realschu-le. Die jüdischen Kinder besuchten dieprotestantische Schule. Einige meinerLehrer waren auch die Lehrer meinesVaters und nicht einmal wurde mirgesagt, daß mein Vater ein bessererSchüler gewesen wäre als ich.

    Die jüdischen Familien waren mei-stens Kaufleute und führten ein rechtgutes Leben - außer der FamilieMarum, welche sehr wohlhabend warund großen Einfluß hatte. Es ist mirnicht bekannt, ob die Katholiken oderdie Protestanten die Mehrheit waren,aber dies spielt ja keine Rolle. UnsereFamilie, wie die meisten, wenn auchnicht alle jüdischen Familien, war sehr

    Links: Das Wohn- und Geschäftshaus derFamilie Feibelmann in der oberen Groß-straße von Bad Sobernheim.

    assimiliert. Wir fühlten uns in jederWeise als Deutsche mit jüdischemGlauben. Zu Weihnachten waren wirbei christlichen Familien eingeladenund deren Kinder kamen zu uns zuHanukah. Auch erinnere ich mich, daßwir unseren Freunden zu PessachMatzot schenkten.

    Jetzt ein paar Einzelheiten übermeine Familie:

    Mein Vater, Eugen Feibelmann,wurde am 29.04.1892 in Medders-heim, einem Dorf bei Sobernheim,geboren. Er starb am 18.03.1936 undist in Sobernheim begraben. MeinGroßvater, Herrmann Feibelmann,wurde am 27.08.1859 in Medders-heim geboren, erstarb am 29.07.1919und ist in Sobernheim begraben.

    Meine Großmutter, Karoline Fei-belmann geb. Landmann, wurde am04.08.1 862 in Schifferstadt geboren,

    sie starb am 17.10.1924 und ist inSobernheim begraben.

    Meine Großeltern hatten dreiSöhne. Der älteste, Richard, fiel im l.Weltkrieg am 21.11.19'17 und ist inCambrai/Frankreich begraben. Dannkam mein Vater und der jüngste Sohn,Hugo. Hugo floh vor dem ll. Weltkriegmit seiner Frau Trude geb. Haas ausKirn nach Frankreich. Sie hatten keineNachkommen.

    Mein Großvater Herrmann hattefünf Brüder und sechs Schwestern.lch kannte nur einen Rudolf, welcherin Sobernheim lebte. Er war mit Cle-mentine Adler verheiratet, sie hatteneine Tochter Alice, welche mit GustavHauser verheiratet war. Diese hatteneinen Sohn Hans. Die ganze Familiefloh vor dem Kriege nach Milwau-keeAffisc. in den Vereinigten Staaten.

    Jetzt etwas über die mütterlicheSeite:

    Meine Mutter, Anni Bergheim,wurde am 09.08.1898 in Schwarenzin der Nähe von Posen/Polen gebo-ren. Dieses Gebiet gehörte damals zuDeutschland; meine Mutter schriebdie gotische Handschrift. Meine Mut-ter und Großmutter wurden vonSobernheim nach Köln umgesiedeltund von dort am 07.12.1941 nachRiga deporliert.

    Mein Großvater, Max Bergheim,wurde am 22.12.1859 geboren undstarb am 29.07.1922. Er ist in Sobern-heim begraben. lch habe keine weite-ren lnformationen.

    Meine Großmutter, Rosa Berg-heim geb. Schrimmer, kam am08.02.1868 in Wreschen zur Welt. Siewurde zusammen mit meiner Mutterdepoftiert.

    Meine mütterlichen Großelternhatten zwei Töchter. Die ältere, HertaBergheim, heiratete Georg Kämpfer.

    lll.

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    Sie lebten in Saarbrücken und hattendreiTöchter. Nur die älteste floh nachFrankreich und kam späier nach lsra-el. Sie starb vor einigen Jahren. lhreEltern und ihre Schwester wurdendeportiert.

    Meine Eltern hatten zwei Kinder.Meine Schwester Hannelore, geboren

    am 06.05.1922 in Sobernheim, floham 24.08.1939 von Deutschland nachEngland und emigrierte 1947 nachlsrael. Sie war diplomierte Kranken-schwester. Sie starb am 07.08.1985.Sie war verheiraiet mit Dr. Dan Bustan(Bustin), einem gebürtigen Wiener.Sie hatten zwei Söhne. Yoram Bustanwurde am 24.12.1949 geboren undverunglückte mit seinem Kampfflug-zeug am 02.06.1980 tödlich. Er warverheiratet mit Ora und sie haben eine

    Tochter Maya. Der zweite Sohn mei-ner Schwester, Amos Bustan, wurdeam 17.06.'195'l geboren, ist mit Dianaverheiratet und sie haben einen Sohnnamens Guy. Die Bustans leben in der

    Gegend von Tel-Aviv.lch selbst heiratete Liliane Mun-

    teanu, am 25.10.1931 in Bukarestgeboren. lhre Großmutter mütterli-cherseits stammte aus Berlin. Wir hei-rateten am 15.08.1962. Wir habenzwei Söhne. Uri, geboren am16.05.1963, ist verheiratet mit Daph-nah, sie haben eine Tochter namensHilla. Der zweite Sohn, Ronen, wurdeam 04.06.1971 geboren und ist mitMichal verheiratet. Wir alle leben inund um Tel-Aviv.

    Vom bisher Erzählten habe ich vie-

    les Herrn Hans-Eberhard Berkemannzu verdanken. Er ist Lehrer und lebt in

    Chanan Peled 1953 als iunger Soldat derisraelischen Armee.

    Sobernheim. Er hat mehr Wissen Über

    die jüdische Bevölkerung von Sobern-heim als sonst irgendjemand und ichbin ihm sehr dankbar fÜr seine Arbeitund besonders f ür meine eigeneGeschichte.

    Wir wohnten im Hause meinesGroßvaters Herrmann Feibelmann inder Hauptstraße von Sobernheim.Mein Vater war Geschäftsmann undhandelte mit Stoff und Kurzwaren,genauso wie mein Großvater, derauch Getreide und Trauben von denKleinbauern aufkaufte und anstattGeld bekamen diese dann Kredit fürden Einkauf in seinem Geschäft. lnmeinem Geburtsjahr war die Getrei-deernte gewaltig und mein Vatermußte die gesamte Ernte aufkaufen.Die Getreidespeicher hielten dieseMengen nicht aus und brachen zu-sammen. Nichts war versichert unddie Verluste waren enorm. Mein Vatermußte unser Haus mit einer Hypothek

    belasten. Wir haben uns danachfinanziell nie mehr erholt.

    Eine meiner frühesten Erinnerun-gen ist unser Auto, ein ,,Horch", riesiggroß, mit der HuPe oben auf demErsatzreifen. Später wechselten wirzu einem kleineren Auto, einem,,Opel", und ich erinnere mich, daß der

    Rücksitz eine Art Dreieck war, wo ichwährend unserer WochenendausflÜ-ge saß. Ein Ziel war der Soonwald,nicht weit weg von zu Hause. lch erin-nere mich auch an einen Ausflug andie Loreley. Wir standen sehr naheam Ufer des Rheines und Plötzlichschubste mich meine Schwester. Bei-nahe wäre ich in den Rhein gefallen.

    Auch der Winter von 1933 ist mirnoch gut in Erinnerung. Am 30. Janu-ar lag sehr viel Schnee. Hitler hielteine wichtige Rede im Reichstag undalle nichtiüdischen Kinder blieben zuHause, um den Führer am Radio zuhören, und wir jüdischen Kinder konn-ien ungehindert Schlitten fahren. lcherinnere mich sehr gut an diesen Tag,weil ich mir dabei das Bein gebrochenhabe, und nicht nur, weil dies derAnfang unseres UnglÜcks war.

    Nach den Osterfeiertagen diesesJahres begann ich die Schule. MeineEltern schickten mich zur protestanti-schen Volksschule. lch weiß nichtwarum, aber alle jüdischen Kinder gin-

    gen zu dieser Schule. Wahrscheinlichwaren die Protestanten wenigerstreng als die Katholiken, und die jüdi-

    schen Kinder mußten nicht an ihremReligionsunterricht teilnehmen. lcherinnere mich noch sehr gut, daß zu

    Beginn der Schulzeit die anderen Kin-

    der mich geschlagen haben - siewaren die Mehrheit, ich war allein-Manchmal, wenn es wenige Angreiferwaren, schlug ich zurück. lch wardamals sehr stark. Ab und zu blieb ich

    auch in der Schule zurück, bis dieanderen Kinder schon zu Hausewaren, und ich konnte mich dannungestört auf meinen Heimwegmachen. Die Lehrer und auch dieanderen Erwachsenen,,sahen nichts"oder hatten Angst, etwas dagegen zuunternehmen. Wenn ich mich richtigerinnere, waren in meiner Klasssenoch zwei andere jüdische Kinder.Das eine Kind hieß Leo Metzler, denNamen des anderen weiß ich nichtmehr.

    Es ist interessant, daß ich mich ankeinen einzigen Namen von denanderen Kindern oder den Namen des

    Lehrers erinnern kann. Es ist so, alsob diese Erinnerungen aus meinemGedächtnis ausradiert wurden. Dabeihabe ich normalerweise ein sehrgutes Gedächtnis. Als ich nach 43Jahren nach Sobernheim zurückkehr-te, kam ich mit der Eisenbahn. lchwußte genau den Weg zu unseremHaus, zur Synagoge und auch zumFriedhof. Nur habe ich am Friedhofden Eingang nicht gefunden. lch ging

    zurück zum Bahnhof und nahm einTaxi - mein ganzer lrrtum bestand aus150 Metern. lch will hiermit nur beto-nen, daß man sich nur an das erin-nert, was man mag, das andere schal-

    tet man aus.Von 1933 an wurden alle jüdischen

    Unternehmen boykottiert und unserLebensunterhalt wurde immer gerin-ger. Die Menschen, mit denen meinVater zur Schule gegangen war,zusammen im Kriege gekämPft hatteund die meisten unserer sogenanntenFreunde kehrten uns den RÜcken zu.lm Jahre 1934/35 versuchte meinVater, ein Visum fÜr die VereinigtenStaaten zu erhalten, aber keiner woll-te für uns bürgen. ln der Hoffnung aufdie Ausreise begann ich zu HauseEnglisch und auch die lateinischeSchrift zu lernen, weil wir in der Schu-le nur die gotische Schrift lernten.Vater dachte auch an eine Emigrationnach Palästina, aber er meinte, daßer schon zu alt wäre und es auchgesundheitlich nicht könne. Er hattekeine Ausbildung, die ihm dort ein Ein-

    kommen sichern würde. Er ließ dieseldee fallen.

    Nur sehr wenige Sobernheimerhielten noch Kontakt zu uns, alle

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    befanden sich unter demDruck des Regimes. ln derSchule gab es anfangswährend des Unterrichtskeine Diskriminierung. Viel-leicht wurden meine Lei-stungen etwas schlechtereingeschätzt oder das Lobder Lehrer war geringer,aber dies kann ich nichtbeurteilen. Manche der älte-ren Lehrer waren auch dieLehrer meines Vatersgewesen, und nicht einmalwurde mir gesagt: ,,DeinVater hat es andersgemacht." ln der Grund-schule und vom 5. Schul-jahr an in der Realschulewar ich nie gleichzeitig mitmeiner Schwester zusam-men. lch durfte die Real-schule besuchen, weil meinVater ehemaliger Front-kämpfer war.

    lm März 1936 starbmein Vater. Er war in Frank-furt im Krankenhaus undwurde dort von der Frau vonDr. Ostermann gepflegt. lchkann mich nicht erinnern,wie lange er im Kranken-haus war. Ich erinnere michaber an die Beerdigung. DerSarg wurde mit einem Pferdewagendurch die Stadt auf den Domberggebracht, wo sich der Friedhof befin-det. lch sprach das Kaddisch undnach der Beerdigung kamen Ver-wandte und auch Freunde zu einemKondolenzbesuch zu uns. lch habeauch etwas Taschengeld bekommen,wovon ich später erzählen werde.

    Meine Mutter führte das Geschäftweiter, obwohl nur noch selten Kun-den kamen. Oma und unsere treueHaushaltshilfe Tilly waren zu Hause.Hannelore ging morgens zur Schulenach Bad Kreuznach und kehrtenachmittags spät zurück. Später, ichglaube, es war 1937 oder 1938, gingsie nach Heidelberg, wo ein Vettermeines Vaters, Dr. Theo Hirsch, einePrivatklinik führte. Sie begann dortihre Lehre als Krankenschwester. Die-ser Beruf half ihr, wie es sich späterzeigte, Deutschland zu verlassen.

    ln den frühen Morgenstunden des10. Novembers 1938 wurden wirdurch heftiges Klopfen an unsererHaustür geweckt. Weil die Tür nichtsofort geöffnet wurde, wurde sie ein-geschlagen und eine Bande von ca.10 SA-Leuten, bewaffnet mit Stöcken

    Die Eheleute Peled 1996 mit H.E. Berkemann lm HetmatmuseumPriorhof belm Betrachten des Gemäldes von Hans Marum clasden lnnenraum der Synagoge van Bad Sobernheim zergt (sreheHeft B/91). Foto: LautenschlägelAZ

    und Axten, drang in unser Haus ein.Sie zerstörten alles auf ihrem Weg,sogar das große Bild, das meinenVater in seiner Offiziersuniform ausdem L Weltkrieg zeigte, wurde miteiner Axt zertrümmert. Diese Männer,mit denen er zur Schule gegangenwar, mit denen er zusammen im Krieggedient hatte und mit denen er imWirtshaus getrunken hatte, sie zeig-ten keinen Schimmer von Respekt.Der Anführer war Karl Dhonau. Auchder rothaarige Schmied Karl Parten-heimer, welcher nur ein paar Häuservon uns entfernt wohnte, war dabei.Ebenso gehörte der Nachbar vongegenüber, Rudolf Greulach, der einFahrradgeschäft betrieb, zu derBande. Sie zerstörten alles, und alssie mit unserem Haus fertig waren,zogen sie zur nächsten jüdischenFamilie, die das gleiche Schicksalerlitt. Tilly wurde angewiesen, unserHaus sofort zu verlassen, well es eineRassenschande wäre. lch war derMann im Haus, ganze 11 112 Jahrea11...........

    Auch schon vor der ,,Kristallnacht"spielte ich meistens zu Hause odervor unserer Haustür, aber nach dieser

    Nacht wagte ich mich nichtmehr von'zu Hause weg.Neulich habe ich einenBericht gelesen, in welchemzitiert war, daß meine Mut-ter nach der Zertrümme-rung blutig und weinend aufdie Straße lief. lch kannmich daran nicht erinnern,aber ich glaube, daß eswahr ist.lch weiß nichl, wann meineMutter entschieden hat, daßwir Kinder Deutschland ver-Iassen müßten. Für michwurde beschlossen, daß ichnach Straßburg/Frankreichzu ihrem Onkel auswandernsollte. Die Franzosen erteil-ten für Erwachsene keinVisum mehr, aber für Kindermachten sie eine Ausnah-me. lch bekam einenKinderpaß, gestempelt miteinem roten ,,J" und ichbekam einen neuen Vorna-men: lch hieß jetzt Hans-Hermann lsrael Feibel-mann. Für Frauen wurdeder Vorname Sara hinzuge-fügt. Dr. Ostermann undseine Familie erhielten einTransitvisum durch Frank-reich auf dem Weg zu den

    Vereinigten Staaten, und sie waren sonett mich mitzunehmen, zusammenmit ihrer Tochter Franziska, jetzt Fran-ces Henry genannt. Sie war 4 Jahrejünger als ich. lch erinnere mich andie Zugfahrl nach Straßburg via Kehl,wie wir die Brücke passieften und wie-viel Angst wir bei der Paßkontrollehatten, auch ängstigte ich mich, ob ichmit Mutters Onkel gut auskommenwürde. lch hatte schon als Kind vieleZweifel, und in vielen Dingen wurdees noch schlimmer, als ich es mir vor-gestellt hatte.

    So floh ich aus Deutschland. MeineFlucht dauerte aber eigentlich nochviel länger: Januar 1939 bis Oktober1942 lebte ich in Frankreich, von Okio-ber 1942 bis Oktober 1946 in derSchweiz, teils interniert, teils in Ju-gendflüchtlingsheimen, von Oktober1946 bis März 1947 in einem Flücht-lingslager in ltalien, von April 1947 bisbis Juli 1948 war ich auf Zypern inter-niert. Erst im Juli 1948 kam ich nachlsrael. Meine gewünschte Schulausbil-dung konnte ich nie beenden, weil ichnach der ,,Kristallnacht" von der Schu-le verwiesen wurde, hatte ich nicht dierichtige Basis zu einem Studium.


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