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1-Ami - der Junge von den Sternen (deutsch)

Date post: 12-Apr-2017
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Inhaltsverzeichnis

ERSTER TEIL

Kapitel 1 Die erste Begegnung 9

Kapitel 2

Pedro fliegt

18

Kapitel 3

Sorge dich nicht

28

Kapitel 4

Die Polizei

38

Kapitel 5

Von den Ausserirdischen entführt!

50

Kapitel 6

Alles hängt von den Punkten ab

62

Kapitel 7

Unser Raumschiff wird gesichtet

70

ZWEITER TEIL

Kapitel 8

Ofir

83

Kapitel 9

Das Grundgesetz

96

Kapitel 10

Die interplanetarische Bruderschaft

109

Kapitel 11

Unter Wasser

118

Kapitel 12

Das neue Zeitalter

131

Kapitel 13

Eine blaue Prinzessin

140

Kapitel 14

Bis du wiederkommst, Ami!

154

ERSTER TEIL

9

1. Kapitel

Die erste Begegnung

Alles begann an einem Sommernachmittag in Einem Badeort

am Meer, wohin ich fast jeden Sommer Mit meiner Grossmutter

fahre. Diesmal hatten wir ein Holzhäuschen bekommen mit vielen

Pinien und Eiben im Innenhof und einem Vorgarten voller

Blumen. Es lag nahe am Meer an einem Pfad, der zum Strand

führte. Es waren nur noch wenige Leute da, weil die Badezeit zu

Ende ging. Meine Grossmutter geht gerne in den ersten

Märztagen auf Sommerfrische, weil es dann ruhiger und

ausserdem noch billiger ist, sagt sie.*

Es fing schon an, dunkel zu werden. Ich sass oben auf einem

hohen Felsen am menschenleeren Strand und schaute aufs Meer

hinaus. Auf einmal sah ich ein rotes Licht am Himmel über

mir. Ich dachte, es wäre ein Feuerwerk oder so eine Rakete, die

man zu Neujahr anzündet. Es kam tiefer und tiefer, während es

die Farben wechselte und Feuer sprühte. Als es noch etwas tiefer

sank, wusste ich, dass es kein Feuerwerk und keine Rakete sein

konnte, weil es immer grösser wurde.

Es war schon so gross wie ein kleines Flugzeug geworden –

oder noch etwas grösser. Ungefähr fünf- zig Meter vor der Küste

sackte es vor meinen Augen ins Meer, ohne einen Ton von sich zu

geben. Ich glaubte,

* Anmerkung des Übers.: Auf der südlichen Erdkugel dauert die Sommerzeit von

Dezember bis März.

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gerade ein Flugzeugunglück beobachtet zu haben, und schaute

angestrengt in den Himmel, ob ich einen Fallschirmspringer

entdecken konnte. Aber da war

keiner. Nichts störte die Stille und Ruhe am Strand. Ich bekam

Angst und wollte loslaufen, um meiner Gross- mutter davon zu berichten, aber dann beschloss ich,

doch noch ein Weilchen zu warten, ob sich noch etwas ereignete.

Als ich gerade aufbrechen wollte, sah ich etwas Weisses an der Stelle, wo das Flugzeug – oder

was immer es gewesen sein mochte – abgestürzt war. Jemand

begann, auf die Felsen zuzuschwimmen. Ich dachte, dass es vielleicht der Pilot sei, der sich beim

Unfall gerettet hatte. Ich wartete darauf, dass er näher kam;

vielleicht konnte ich ihm behilflich sein. Er schwamm sehr gut, also konnte er sich nicht verletzt

haben.

Bald hatte er die Felsen erreicht und schickte sich an, sie

heraufzusteigen. Er sah mich dabei freundlich an, und jetzt

erkannte ich, dass es ein Junge wie ich war! Ich dachte: muss der

froh sein, dass er gerettet ist, aber er schien die Lage nicht so

dramatisch zu nehm- en. Das erleichterte mich etwas. Als er

neben mir stand, schüttelte er sich das Wasser aus dem Haar und

lächelte mir zu. Jetzt war ich vollkommen beruhigt. Er sah wie ein

netter kleiner Junge aus. Er setzte sich neben mich und tat einen

tiefen Seufzer. Dann fing er an, die Sterne anzuschauen, die hie

und da am Himmel erschienen.

Er war ungefähr so alt wie ich, vielleicht etwas jünger und

auch etwas kleiner. Er hatte einen Piloten-

anzug an, vermutlich aus einem wasserdichten Mate- rial, es war

kein bisschen nass! An den Füssen trug er

weisse Stiefel mit dicken Sohlen. Auf der Brust glänzte ein

goldenes Zeichen: ein Kreis, in dem sich ein Herz

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mit Flügeln befand. Auch der Gürtel war goldfarben und hatte in

der Mitte eine grosse goldene Schnalle; an jeder Seite hing eine

Art Transistorradio.

Ich setzte mich auch wieder. Wir blieben eine Weile stumm.

Da er nichts sage, fragte ich ihn, was geschehen sei.

„Notlandung“, antwortete er fröhlich.

Er war sympathisch; seine Aussprache war ziem- lich

eigenartig, deshalb dachte ich mir, dass er mit seinem Flugzeug

aus einem fremden Land gekommen sein müsse. Seine Augen

waren gross und gutmütig.

„Was ist mit dem Piloten passiert?“ fragte ich. Ich dachte, da er

ein Kind war, musste der Pilot ein Erwach-

sener sein.

‚‚Nichts. Er sitzt hier neben dir’’, sagte er.

‚‚Ah’’, sagte ich bewundernd. Dieser Junge war wirklich ein

Weltmeister, so alt wie ich und Pilot eines Flugzeugs! Seine Eltern mussten steinreich sein.

Langsam wurde es Nacht, und mir wurde kalt. Er musste es

bemerkt haben, weil er mich fragte: ,, Ist dir kalt?’’

,,Ja.’’

,,Die Temperatur ist angenehm’’, sagte er lä- chelnd, und

wirklich, er hatte recht, es war nicht kalt! ,,Stimmt’’, gab ich zu.

Nach einigen Minuten fragte ich ihn, was er nun machen wolle. ,,Meine Mission erfüllen’’, antwortete er und

schaute immerfort in den Himmel. Ich dachte, das muss wirklich ein ganz besonderer Junge sein,

nicht wie ich ein einfaches Schulkind in den Sommerferien. Er

hatte eine Mission, vielleicht etwas Geheimes. Ich getraute mich

nicht, ihn zu fra- gen, worum es sich handelte.

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,,Tut es dir nicht leid um das Flugzeug?’’

,,Es ist nicht verlorengegangen’’, erwiderte er.

Ich verstand ihn nicht. ,,Es ist nicht verlorengegan- gen? Ist es

nicht vollkommen zerstört?’’

,,Nein.’’

,,Wie kann man es aus dem Wasser holen, um es zu

reparieren, oder kann man es aus dem Wasser holen.’’

,,Oh ja, man kann es aus dem Wasser holen.’’

Dabei schaute er mich freundlich an. ,,Wie heisst du?’’

,,Pedro’’, sagte ich zögernd. Es passte mir nicht ganz, dass er

meine Frage nicht beantwortete. Anscheinend merkte er, dass ich verstimmt war,

und fand es lustig. ,,Werd’ nicht böse, Pedrito, wird’ nicht böse. –

Wie alt bist du?’’ ,,Zehn beinah, und du?’’

Er kicherte leise, wie ein Baby, das gekitzelt wird. Mir kam es

so vor, als bildete er sich etwas darauf ein, dass er schon Pilot eines Flugzeugs war und ich nicht.

Das gefiel mir nicht. Trotzdem fand ich ihn weiterhin

sympathisch, ich konnte ihm nicht wirklich böse sein.

,, Ich bin älter, als du mir glauben würdest’’, meinte er

lächelnd. Dann zog er aus einer seiner Seitenta- schen den

Apparat heraus, der wie ein Transistorradio

aussah. Es war eine Art Taschenrechner. Er schaltete ihn ein, und

es erschienen Leuchtzeichen, die ich nicht deuten konnte. Er

stellte ein paar Berechnungen an,

doch als er die Antwort sah, sagte er lachend: ,, nein, nein, du

würdest es mir doch nicht glauben, wenn ich es dir sagte.’’

Es war inzwischen Nacht geworden, und ein herr- licher

Vollmond war aufgegangen, der den ganzen

Strand in Licht tauchte. Ich schaute mir das Gesicht

meines Nachbarn genau an. Er konnte nicht älter sein als acht

Jahre, und trotzdem war er der Pilot eines

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Flugzeugs. Vielleicht war er doch älter, oder er war ein Zwerg.

,, Glaubst du an die Ausserirdischen?’’ fragte er mich auf

einmal. Ich konnte nicht so schnell antwor-

ten. Er sah mich mit seinen leuchtenden Augen an; es war, als

spiegelten sich die Sterne in seinen Pupillen. Er war zu schön,

um nicht etwas ganz Aussergewöhnli-

ches zu sein. Ich dachte an das in Flammen stehende Flugzeug, an

sein Erscheinen, seine Aussprache, sei- nen Anzug, an den

Rechner mit den komischen Zei-

chen und daran, dass er ein Kind war, und Kinder flie- gen

bekanntlich keine Flugzeuge! ,, Bist du denn ein Ausserirdischer?’’ Meine Stimme

zitterte ein wenig.

,, Und wenn ich es wäre, würde es dir Angst machen?’’

Da wusste ich, dass er wirklich aus einer anderen Welt kam.

Obwohl er mich in diesem Augenblick ganz lieb ansah, war ich

keineswegs beruhigt. Ich fragte be-

klommmen:,, Bist du böse?’’

Er lachte belustigt. ,, Vielleicht bist du ein bisschen böser als

ich.’’

,,Warum denn das?’’

,, Weil du ein Erdenbewohner bist.’’

,, Und du bist wirklich ein Ausserirdischer?’’

,, Hab keine Angst’’, beruhigte er mich lächelnd. Er zeigte

hinauf zu den Sternen. ,, Dieses Universum ist voller Leben. Es gibt Millionen und Abermillionen von

bewohnten Planeten; dort oben leben viele gute Wesen.’’

Seine Worte hatten eine eigenartige Wirkung auf mich.

Während er sprach, konnte ich diese Millionen

von bewohnten Welten voller guter Wesen tatsächlich vor mir

sehen! Auf einmal hatte ich keine Angst mehr.

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Ich beschloss, es einfach hinzunehmen, dass er ein Wesen aus

einer anderen Welt war. Er schien freund- lich zu sein und ganz

harmlos.

,, Warum sagst du, dass wir Erdenbewohner böse sind?’’ Er schaute unentwegt in den Himmel und

schwärmte: ,, Wie herrlich ist das Firmament von der Erde aus!

Diese Atmosphäre gibt ihm Glanz, Farbe…’’ Schon wieder hatte er meine Frage nicht beant-

wortet! Das passte mir nicht. Wer hat es schon gern, wenn jemand

ihm sagt, er sei böse! Ich bin es nämlich nicht, ganz im Gegenteil. Früher wollte ich Forscher

werden, wenn ich gross sein würde, und in meinen freien Stunden

Jagd auf böse Leute machen! ,, Dort in den Plejaden gibt es eine wunderbare

Zivilisation…’’

,, Wir sind nicht alle böse hier. Ich sagte: nicht alle sind böse

hier! Warum hast du gesagt, dass alle Erden- bewohner böse

sind??’’

,, Das habe ich nicht gesagt’’, antwortete er sanft und schaute

unaufhörlich in den Himmel. Seine Augen glänzten. ,, Das ist ein Wunder!’’

,, Doch, das hast du gesagt!’’ Meine Stimme war etwas lauter

geworden, und so riss ich ihn endlich aus seinen Träumen. Er hatte genauso ausgesehen wie

meine Cousine, wenn sie das Foto ihres Lieblingssän- gers

betrachtet; sie ist nämlich verliebt in ihn. Er sah mich aufmerksam an, aber er schien nicht

verärgert zu sein. ,, Ich wollte sagen, dass die Erdenbe- wohner

meistens weniger gut sind als die Bewohner anderer Welten im All.’’

,, Siehst du, du hast gesagt, dass wir die aller- schlechtesten im

Weltall sind!’’ Er lachte wieder und strich mir übers Haar, wäh-

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rend er sagte: ,,Das wollte ich auch nicht sagen.’’

Das gefiel mir noch weniger. Heftig drehte ich den Kopf zur

Seite. Ich werde nicht gern für dumm gehal- ten, weil ich nicht

dumm bin. Ich bin einer der Besten in meiner Klasse und werde

bald zehn Jahre alt sein.

,, Wenn dieser Planet so böse ist, was tust du dann hier?’’

,, Hast du gesehen, wie sich der Mond im Meer spiegelt?’’

Wieder überhörte er meine Worte und wechselte einfach das

Thema!

,, Bist du gekommen, um mir zu sagen, ich soll mir ansehen,

wie sich der Mond im Meer spiegelt?’’

,,Vielleicht. – Hast du gemerkt, dass wir im Univer-

sum schweben?’’

Als er das sagte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: der

Junge war verrückt. Ganz klar! Er glaubte,

ein Ausserirdischer zu sein, deshalb redete er solch komisches

Zeug! Ich hatte genug von ihm. Wie konnte ich auch nur einen

Augenblick lang seine phantasti-

schen Geschichten ernstnehmen! Er hatte sich ganz einfach einen

Spass mit mir erlaubt. Ein Ausserirdi-

scher! Und ich hatte ihm geglaubt!! Ich schämte mich und war

wütend auf ihn und auf mich selbst. Am lieb-

sten hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst!

,,Warum? – sind meiner Ohren denn so hässlich?’’

Ich starrte ihn entgeistert an. Anscheinend hatte

er meine Gedanken gelesen! Er strahlte mich an. Ob- wohl ich

anfing, mich zu fürchten, wollte ich nicht klein beigeben. Das war

sicher nur reiner Zufall. Zufällig hatte er etwas gesagt, was ich

gerade dachte. Ich tat

so, als wäre ich kein bisschen überrascht. Vielleicht war es doch

wahr, vielleicht hatte ich ein Wesen aus einer anderen Welt vor

mir, eine Ausserirdischen, der Ge- danken lesen konnte. Ich

musste es herausfinden.

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So beschloss ich, ihn auf die Probe zu stellen. ,,Was denke ich

jetzt?’’ fragte ich und stellte mir eine Ge- burtstagstorte vor.

,, Hast du noch nicht genug Beweise?’’ fragte er, doch ich wich

keinen Millimeter zurück. ,,Welche Beweise?’’

Er streckte seine Beine aus und stützte die Ellbo- gen auf dem

Felsen auf. ,, Schau, Pedrito, es gibt an- dere Wirklichkeiten, andere feinstoffliche Welten mit

feinen Türen für feine Intelligenzen…’’

,, Was heisst: feinstofflich?’’

Er lachte: ,,Also, mit wie vielen Kerzen?’’

Auf einmal war mir ganz flau im Magen. Am lieb- sten hätte

ich geweint, so dumm und ungeschickt fühlte ich mich. Ich bat ihn um Verzeihung, aber er

hatte mir gar nichts übelgenommen. Er lachte nur.

Ich beschloss, nicht mehr an ihm zu zweifeln.

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2. Kapitel

Pedro fliegt

,, Komm mit mir nach Hause’’, bot ich Ami an. Es wurde

langsam spät für mich.

Er machte eine abwehrende Bewegung: ,,Lass uns

Freundschaft schliessen – ohne Erwachsene!’’ Er

Rümpfte lachend die Nase.

,, Ich muss aber gehen.’’

,, Deine Grossmutter schläft schon tief. Du wirst ihr nicht

abgehen, wenn wir noch ein Weilchen mitein- ander reden.’’

Wieder war ich überrascht und auch verwundert: Wie konnte er

von meiner Grossmutter wissen? Aber Dann erinnerte ich mich, dass er ja ein Ausserirdischer

war. ,, Kannst du sie sehen?’’

,, Von meinem Raumschiff aus konnte ich sehen, wie sie

gerade einschlief’’, antwortete er verschmitzt. Plötzlich rief er

begeistert: ,, Lass uns am Strand spazieren gehen!’’

Mit einem Satz stand er auf den Beinen, lief bis zur Kante des

hohen Felsens und – sprang hinunter! Langsam schwebte er

abwärts dem Sande entgegen; Er segelte wie eine Möwe. Dieses

unbekümmerte Ster- nenkind sorgte für immer neue

Überraschungen!

Ich stieg vorsichtig, so gut ich konnte, die Felsen hinunter. ,,

Wie machst du das?’’ fragte ich ihn nach seinem unglaublichen

Segelflug.

,, Ich fühle mich einfach wie ein Vogel’’, meinte er und begann

lachend und ohne besonderen Anlass am

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Strand umherzulaufen. Ich hätte es ihm gerne nachge- tan, aber

ich konnte so etwas nicht.

,, Doch, du kannst es!’’ Schon wieder hatte er meine Gedanken

aufgefangen. Er kam zurück, um mir Mut zu

machen. ,, Wir werden laufen und springen wie die Vögel!’’ Er

nahm meine Hand, und ich spürte eine starke Energie. Wir

begannen, den Strand entlangzu-

laufen. ,, Jetzt springen wir!’’

Er konnte viel höher springen als ich und half mir mit seiner Hand

nach. Er schien einige Sekunden in

der Luft hängen zu können! Wir liefen weiter, und in gewissen

Abständen setzten wir zum Sprung an. ,,Wir sind Vogel, wir sind Vogel!’’ Mein Vertrauen wuchs, ich war wie berauscht. Etwas ging in

mir vor- ich hörte langsam zu denken auf und war nicht mehr

derselbe wie früher: Mitgeris- sen von meinem ausserirdischen

Freund, beschloss ich einfach, so leicht wie einer Feder zu sein.

Schliesslich glaubte ich fest, wie ein Vogel fliegen zu können!

,,Jetzt hoch!’’ Wir hielten uns wirklich einige Augenblicke in der Luft, dann

sanken wir sanft nach unten und liefen weiter, um uns später

wieder zu erheben. Zu meinem grossen Erstaunen ging es besser

und besser.

,,Sei nicht erstaunt, du kannst es …jetzt!’’ Jedesmal fiel es mir

leichter. Wie im Zeitlupen-

tempo liefen und sprangen wir am Wasser entlang. Am Himmel

hingen der Mond und die Sterne. Es war eine neue Art zu leben,

eine andere Welt.

,,Tu es mit Liebe, segle mit Liebe!’’ machte er mir Mut. Dann

auf einmal liess er meine Hand los. ,,Du

kannst es, du kannst es’’, stärkte er mein Vertrauen,

indem er neben mir herlief. ,,Jetzt!’’

Wir hoben langsam ab, blieben eine Weile in der

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Luft und schwebten dann tiefer mit ausgebreiteten Armen wie

beim Segeln.

,,Bravo, bravo’’, beglückwünschte er mich.

Ich weiss nicht, wie lange wir in dieser Nacht so spielten. Es

war wie ein Traum. Schliesslich war ich müde; ausser Atem liess ich mich auf den Sand fallen und

lachte glücklich. Was für eine herrliche, unvergessliche

Erfahrung! Innerlich dankte ich meinem eigenartigen kleinen

Freund dafür, dass er mir Dinge beigebracht hatte, die ich nicht

für möglich gehalten hätte. Ich wusste noch nicht, dass in dieser Nacht noch weitere Überraschun-

gen auf mich warteten. Die Lichter eines Badeortes auf der

anderen Seite der Bucht flimmerten. Mein Freund betrachtete entzückt die tanzenden Lichter auf dem

nächtlichen Meer, während er neben mir auf dem mondhellen

Strand dahingestreckt lag. Dann wieder sah er den Vollmond an.

Wie wunderbar! Er fällt nicht herunter.’’ Ich hatte mir darüber nie Gedanken gemacht, aber jetzt, wo er

es sagte: Ja, es war wunderbar, Sterne zu haben, ein Meer, einen

Strand und einen hübschen Mond, der da oben hing und nicht

herunterfiel.

,,Ist denn dein Planet nicht schön?’’

Er seufzte tief und sah etwas nach rechts in den Himmel

hinauf. ,,Oh ja, er ist auch schön. Aber das

wissen wir auch alle, und darum passen wir auf ihn auf.’’ Ich erinnerte mich, dass er behauptet hatte, wir

Erdenbewohner seien nicht besonders gut. Nun glaubte ich, eine

der Gründe dafür zu verstehen. Wir halten unseren Planeten

anscheinend nicht für sehr wertvoll, wir passen nicht so sorgsam

auf ihn auf, wie sie es tun.

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‚,Wie heisst du ?’’

Er fand meine Frage lustig. ,,Das kann ich dir nicht sagen.’’

,,Warum nicht? Ist es ein Geheimnis?’’

,,Ach wo, nichts ist ein Geheimnis! Nur gibt es in deiner

Sprache diese Laute nicht.’’ ,,Welche Laute?’’

,,Die meines Namens.’’

Das überraschte mich. Ich hätte gewettet, dass er in meiner

eigenen Sprache mit mir redete, wenn auch

mit einem anderen Akzent.

,,Wie konntest du dann meine Sprache lernen?’’

,,Ich spreche sie nicht, und ich würde sie auch nicht verstehen,

wenn ich dies nicht hätte’’, sagte er belustigt und zog einen Apparat aus seinem Gürtel.

,,Das hier ist ein Übersetzer. Dieses Schächtelchen untersucht mit

Lichtgeschwindigkeit deine Gehirn- ströme und übermittelt mir genau das, was du sagen

willst; auf diese Weise kann ich dich verstehen. Wenn ich nun

etwas sagen will, hilft es mir, meine Lippen und

meine Zunge so zu bewegen wie du – nun, beinahe so wie du …

nichts ist vollkommen!’’ Er steckte den Übersetzer wieder an seinen Platz

und schaute aufs Meer hinaus. Er sass neben mir im Sand und

hielt seine Knie umschlungen. ,,Wie soll ich dich dann nennen?’’ fragte ich ihn.

,,Du kannst mich >>amigo<< nennen, denn das bin ich , ein

Freund für alle.’’ ,,Ich werde dich Ami nennen, das ist kürzer und

klingt mehr wie ein Name.’’

Sein neuer Name schien ihm zu gefallen. ,,In Ord nung,

Pedrito.’’

Wir gaben einander die Hand, und ich spürte, dass ich eine

neue grosse Freundschaft besiegelte. Und so

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sollte es auch sein.

,,Wie heisst dein Planet?’’

,,O je, da haben wir auch keine entsprechenden Laute, aber

dort oben ist er’’, und er zeigte lächeln zu

einigen Sternen hinauf.

Während Ami weiter den Himmel beobachtete, kamen mir

wieder die Filme in den Sinn, die ich so oft

im Fernsehen gesehen hatte, die mit den ausserirdi- schen

Eindringlingen. ,,Wann werdet ihr hier ein- dringen?’’

Er fand meine Frage komisch. ,,Warum denkst du, dass wir die

Erde überfallen wollen?’’

,,Ich weiss nicht. In unseren Filmen überfallen die

Ausserirdischen immer die Erde. Oder nicht? – nicht alle?’’

Diesmal war sein Lachen so ansteckend, dass ich

mitlachen musste. Trotzdem versuchte ich mich zu rechtfertigen:

,,Weißt du, in allen Fernsehfilmen…’’ ,,Ja, natürlich, das Fernsehen? – Komm, lass uns

zusammen einen Fernsehfilm ansehen, in dem Ausser- irdische

die Erde überfallen’’, schlug er begeistert vor und zog einen

Apparat diesmal aus der Schnalle sei- nes Gürtels. Er drückte auf

einen Knopf, und wir hatten einen leuchten den Bildschirm vor

uns. Es war ein klei- ner Farbfernseher mit einem gestochen

scharfen Bild. Schnell wechselte er von einem Programm zu

ande-

re. Das überraschte mich, da wir in dieser Gegend nur zwei

Programme empfangen können, aber in diesem Apparat gab es

eine Unmenge von Filmen, Live- Programmen, Nachrichten,

Werbung, alles in ver- schiedenen Sprachen und mit Menschen

verschiede- ner Nationen.

,,Diese Filme mit den Invasoren aus dem Weltraum sind doch

einfach lächerlich’’, meinte Ami fröhlich.

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,,Wie viele Programme bekommst du damit?’’ wollte ich

wissen.

,,Alle Programme, die es in diesem Augenblick auf deinem

Planeten gibt. Ich bekomme aber auch die

Satellitensignale, und zwar verstärkt. Halt, hier gib es einen Film

in Australien, schau’s dir an.’’

Ich konnte eine Anzahl grässlicher Ungeheuer er- kennen, die Köpfe wie Tintenfische hatten. Aus ihren vielen

vorquellenden Augen mit roten Adern drin schossen sie Strahlen

auf eine Ansammlung völlig ver- ängstigter Menschen. Ich

schauderte, aber mein Freund fand diese Szene nur komisch.

,,Was für ein Unsinn’’, rief er, ,,findest du das nicht lächerlich?’’

,,nein, warum?’’

,,Weil es diese Monsterwesen nur in der krankhaf- ten

Einbildung der Menschen gibt, die solche Filme

fabrizieren!’’

Ich war noch nicht überzeugt. Seit Jahren hatte

man mir alle möglichen Weltraumreisen gezeigt, die zu

schrecklich und bösartig waren, als dass sie jetzt so

einfach aus meinem Kopfe zu blasen wären. ,,Aber es gibt hier

auf der Erde doch auch Leguane, Krokodile und Meeresungeheuer. Warum sollten die nicht auch in anderen

Welten existieren?’’

,,Ah, die meinst du? Ja, die gibt es natürlich, aber die

konstruieren keine Pistolen, die Strahlen schiessen!

Die sind so wie die euren hier. Es sind Tiere ohne Intelligenz.’’

,,Aber vielleicht gibt es Welten mit Wesen, die böse und intelligent sind?’’

,,Intelligent und böse?’’ Ami lachte aus vollem Halse. ,,Das ist

dasselbe, als wenn du sagen würdest: böse-gut!’’

Ich konnte ihn nicht verstehen. ,, Und was ist mit

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diesen verrücken, perversen Wissenschaftlern, die Waffen

erfinden, um die Welt zu zerstören? – Du weisst schon, die gegen

Batman und Superman kämpfen?’’

Ami verstand meine Gedanken und antwortete la- chend: ,,Die

sind nicht intelligent, die sind verrückt!’’ ,,Gut, es kann aber doch sein, dass es irgendwo ein

paar verrückte Wissenschaftler gibt, die die Welt zer- stören

könnten’’’ ,,Die gibt es nur auf der Erde, sonst nirgendwo.’’

,,Warum?’’

,,Pass auf. Wer verrückt ist, wird immer zuerst sich selbst

zerstören. Verrückte erreichen nie das wissen-

schaftliche Niveau, das nötig wäre, um den Planeten verlassen

und andere Welten erreichen zu können. weisst du, es ist

einfacher, eine Bombe zu konstruieren

als intergalaktische Weltraumschiffe. Hat eine Zivilisa- tion keine

Güte, wendet sich ihre Zerstörungskraft gegen sie selbst, und

zwar bevor es dazu kommt, dass

sie in andere Welten gelangt.’’

,,Aber es könnte ja doch sein, dass Verrückte auf irgendeinem

Planeten überleben, zufällig!’’ ,,Zufällig?? In meiner Sprache gibt es diesen Aus-

druck nicht. Was heisst Zufall?’’

Ich führte verschiedene Beispiele an, damit er ver- stand, was

ich meinte. Als er es schliesslich erfasst hatte,

fand er es sehr komisch. Er sagte, dass alles, was es gebe,

zusammenhänge, aber dass wir die Gesetzte, die alle Dinge

miteinander verbinden, nicht verständen

oder nicht verstehen wollten.

,,Wenn es nun aber so viele Millionen von Welten gibt, wie du

sagst, dann könnte es doch sein, dass einige

Böse irgendwo überleben, ohne sich zu zerstören?’’ Ich dachte

immer noch an die Möglichkeit einer Invasion.

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Nun versuchte Ami, es mir noch besser zu erklä- ren. ,,Stell dir

vor: Viele Personen müssten, eine nach der anderen, eine

glühend heisse Eisenstange mit blo- ssen Händen anfassen. Was

meinst du: hätte einer von ihnen Aussicht, sich nicht zu

verbrennen?’’

,,Keiner’’, antwortete ich. ,,Alle verbrennen sich!’’

,,Siehst du, genauso zerstören sich alle Bösen selbst, wenn sie

nicht imstande sind, ihre Bosheit zu überwinden. Diesem Gesetz kann niemand entrinnen!’’

,,Welchem Gesetz?’’

,,Wenn in einer Welt das Niveau der Wissenschaft höher steigt

als das Niveau der Liebe, dann zerstört diese Welt sich selbst.’’

,,Das Niveau der Liebe?’’ Ich begriff sehr gut, was er mit dem

wissenschaftlichen Niveau eines Planeten meinte, aber unter

einem Niveau der Liebe konnte ich

mir nicht das geringste vorstellen.

,,Das Einfachste ist für manche am schwierigsten zu verstehen.

Die Liebe ist eine Kraft, eine Schwin-

gung, eine Energie, deren Auswirkungen wir mit unse- ren

Instrumenten messen können. Wenn in einer Welt

das Niveau der Liebe niedrig ist, entsteht daraus für alle Unglück,

Hass, Gewalt, Trennung, Krieg, und das

alles mit einem höchst gefährlichen Grad von Zerstö- rungskraft.

Verstehst du mich, Pedrito?’’ ,,Eigentlich nicht so ganz. Was willst du damit

sagen?’’

,,Ich will dir viele Dinge sagen, aber wir müssen schrittweise

vorgehen. Mir wäre es lieber, wenn du mir

deine Zweifel mitteiltest.’’ Ich konnte immer noch nicht glauben, dass es keine

Invasorenmonster geben sollte. Ich erzählte ihm darum von einem

Film, in dem ausserirdische Eidech- sen viele Planeten

beherrschten, da sie so gut organi-

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siert waren.

Er meinte dazu: ,,In einem solchen Fall herrschen Zwang und

Gewalt. Das Resultat davon ist Aufleh-

nung, Trennung, Zerstörung. Ohne Liebe gibt es keine dauerhafte

Organisation. Die einzige universell vollen- dete Ordnung, Die

imstande ist, das Überleben zu ga-

rantieren, ergibt sich von selbst, wenn sich eine Zivili- sation der

Liebe nähert, während sie sich entwickelt. Jene Welten, die dies

erreichen, nennen wir ent-

wickelt, zivilisiert. Da richtet niemand mehr einen Schaden an!

Im ganzen Universum gibt es keine an- dere Alternative. Eine

höhere Intelligenz als die unsere

hat dies alles so eingerichtet.’’

Ich verstand es immer noch nicht so recht. Ami erklärte es mir

noch einmal und noch genauer, aber

mir wollten die Monster, die gleichzeitig böse und in- telligent

waren, einfach nicht aus dem Kopfe!

,,Zu viel Fernsehen!!’’ rief Ami in leiser Verzweif- lung, aber dann versuchte er es von neuem: ,,Die Mon- ster, die

du dir vorstellst befinden sich in unserem eigenen Inneren.

Solange wir sie nicht loswerden, sind wir es nicht wert, all die

Wunder des Universums zu erleben! Die Bösen sind weder schön

noch intelligent.’’

,,Was ist zum Beispiel mit diesen schönen Frauen, die garstig

sind?’’

,,Entweder sind sie nicht garstig oder nicht wirk- lich schön.

Wahre Intelligenz und Schönheit und Güte gehen immer Hand in

Hand. Das ist alles die Folge

eines einzigen Evolutionsprozesses, der auf der Liebe beruht.’’

,,Damit willst du mir doch wieder sagen, dass es im

ganzen Universum nur auf der Erde böse Wesen gibt!’’

,,Aber nein, die gibt es auch noch woanders, Es gibt zum

Beispiel Welten, in denen du keine halbe

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Stunde überleben würdest, so wie das hier auf der Erde vor ein

paar Millionen Jahren auch mal war. Es gibt sogar Welten, die

von wahren Menschenmonstern be- wohnt sind.’’

,,Na, siehst du, na, siehst du!’’ triumphierte ich. ,,Du sagst es ja

selbst! Ich hatte also doch recht!! Genau diese Monster habe ich

gemeint!’’

,,Du brachst dich nicht aufzuregen. Die sind

unten, nicht oben! Die leben in Welten, die rückständi- ger sind

als diese hier. Die Entwicklung ihrer Gehirne

hat ihnen noch nicht einmal das Rad beschert, also können sie

kaum bis hierher kommen.’’ Das hörte sich wirklich beruhigend an. ,,Dann sind

wir Erdenbewohner also doch nicht die schlechtesten im ganzen

Universum!’’

,,Nein. Aber du bist einer der dümmsten in der

Galaxie!’’

Wir lachten wie zwei gute Freunde.

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3.Kapitel

Sorge dich nicht

,,Was ist das für ein Zeichen, das du da auf der Brust trägst?’’

fragte ich Ami.

,,Das ist ein Symbol für meine Arbeit’’, entgegnete er. Dann

sagte er, nach oben deutend: ,,Weißt du, dass

es hier >>ganz in der Nähe<< auf einem der Planeten des

Sirius Strände gibt, die violett sind? Sie sind wunder- bar! Du

kannst dir nicht vorstellen, wie ein Sonnenun- tergang dort

aussieht, mit zwei Riesensonnen!’’

,,Bewegst du dich mit Lichtgeschwindigkeit?’’ fragte ich ihn.

Das fand er belustigend. ,,Wenn ich mich so lan-

sam bewegte, wäre ich schon alt gewesen, bevor ich hier

angekommen wäre.’’

,,Wie schnell bewegst du dich dann?’’ ,,Wir bewegen uns normalerweise nicht, wir statio- nieren uns.

Aber von einem Punkte der Galaxis zu einem anderen würde ich

brauchen -, warte …’’ – er nahm seinen Taschenrechner aus dem

Gürtel und liess ihn eine Zeitlang tickern - ,,… nach deiner

Zeitrech- nung anderthalb Stunden; von einer Galaxie zu einer

anderen benötigte ich aber bereits mehrere Stunden.’’

,,Toll!! Und wie machst du das?’’

,,Kannst du einem Baby erklären, warum zwei mal zwei vier

ist?’’

,,Nein’’, erwiderte ich, ,,das weiss ich selbst nicht.’’

,,Siehst du, ich kann dir auch nicht Dinge erklären, die sich auf

die Kontraktion und auf die Krümmung

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von Raum und Zeit beziehen. Das ist auch gar nicht notwendig. –

Schau mal die Vögel da! Sie gleiten auf dem Wasser wie mit

Schlittschuhen. Wunderbar!’’

Er sah dem Spiel der Möwen zu, die in Schwärmen am

Wassersaum hin und her trippelten; sie holten sich die Nahrung, die die Wellen zurückliessen.

Plötzlich erinnerte ich mich, dass es schon spät war. ,,Ich muss

gehen, meine Grossmutter …’’ ,,Sie schläft noch.’’

,,Ich mache mir Sorgen.’’

,,Sich Sorgen machen, wie dumm!’’

,,Wieso?’’

,,Ich mache mir nie Sorgen, ich sorge für die Dinge.’’ ,,Das ist mir zu hoch, Ami.’’

,,Sorge dich nicht um Dinge, die noch nicht einge- troffen sind

und auch nicht eintreten werden. Geniesse die Gegenwart. Das Leben ist kurz. Wenn wirklich ein Problem

auftritt, dann sorge für die Lösung! Wäre es zum Beispiel gut, wenn wir uns jetzt Sorgen machten, dass eine

Riesenwelle kommen und uns wegschwem- men könnte? Es wäre

doch zu schade, diesen Augen- blick jetzt nicht zu geniessen,

diese wundervolle Nacht! Schau den Vögeln zu; sie nehmen das

Futter auf, ohne sich zu sorgen. Merk dir, tausche nie den

Augenblick für etwas ein, das es gar nicht gibt!’’

,,Aber meine Grossmutter gibt es.’’

,,Ja, und das ist überhaupt kein Problem. Dieser Moment aber,

existiert der vielleicht nicht?’’

,,Ich mach mir trotzdem Sorgen…’’

,,Ach, du Erdenbürger, du Erdenbürger’’, seufzte

Ami, ,,okay, lass uns nach deiner Grossmutter schauen.’’ Er nahm

seinen Fernsehapparat und begann an den Knöpfen zu drehen. Auf dem Bildschirm erschien der

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Weg zu unserem Häuschen. Die Kamera bewegte sich weiter

zwischen Bäumen und Felsen, alles in Farbe und hell erleuchtet

wie am Tage. Wir spazierten durch ein Fenster ins Haus hinein

und sahen meine Gross- mutter schlafend in ihrem Bett. Man

konnte mit diesem unglaublichen Apparat sogar ihr Atmen höre.

,,Sie schläft wie ein Engel’’, meinte Ami lachend.

,,Bist du sicher, dass das hier kein Film ist?’’

,,Nein, Pedrito, das ist live. Gehen wir doch ins Ess- zimmer.’’

Die Kamera drang durch die Wand des

Schlafzimmers, und wir standen im Esszimmer. Auf dem Tisch

mit dem grosskarierten Tischtuch stand an meinem Platz ein

Teller, über den ein zweiter gestülpt

war.

,,Schaut benah wie mein Raumschiff aus’’, meinte Ami witzig.

,,Lass sehen, was es zum Abendessen gibt.’’

Er hantierte an seinem Fernseher, und plötzlich wurde der

obere Teller durchsichtig wie Glas. Da lag ein Steak mit Pommes

frites und Tomatensalat.

,,Uahh!!’’ rief Ami entsetzt aus, ,,wie könnt ihr Lei- chen

essen?’’ ,,Leichen?’’

,,Tierleichen! Tote Kühe, ein Stück von einer toten Kuh!!’’ So wie Ami das sagte, klang es auch für mich

ekelerregend.

Ich versuchte abzulenken und fragte ihn: ,,Wie funktioniert das

alles eigentlich? Wo ist die Kamera?’’ ,,Ich brauche keine Kamera. Dieser Apparat hier

visiert, nimmt auf, filtert, wählt aus, verstärkt und proji- ziert …,

du siehst, alles höchst einfach!’’ Anscheinend machte er sich über

mich lustig.

,,Wieso ist es Tag hier, wo es doch Nacht ist?’’

,,Es gibt ein Licht, das deine Augen nicht sehen

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können. Dieser Apparat hier kann es.’’

,,Kompliziert!’’

,,Überhaupt nicht. Dieses Ding hier habe ich selbst gebaut.’’

,,Du hast es selbst…?’’

,,Ist schon etwas altmodisch, aber ich hänge nun mal dran. Es

ist ein Andenken, eine Arbeit aus der

Grundschule.’’

,,Seid ihr denn alle Genies??’’

,,Überhaupt nicht. – Kannst du multiplizieren?’’

,,Klar’’, antwortete ich.

,,Dann bist du ein Genie für einen, der das nicht kann. Weißt

du, es ist alles eine Frage des Entwick-

lungsstandes. Ein Transistorradio zum Beispiel ist für einen

Wilden im Urwald ein Wunder.’’

,,Da hast du recht. Glaubst du, dass wir hier auf der

Erde eines Tages auch solche Erfindungen machen werden?’’

Da wurde er zum ersten Mal ernst. Er sah mich an

mit einem Blick, in dem so etwas wie Trauer lag. ,,Ich weiss es

nicht’’ , sagte er leise.

,,Wieso weisst du das nicht? Du weisst doch sonst alles.’’

,,Nicht alles . . . Die Zukunft kennt niemand,

glücklicherweise.’’ ,,Warum sagst du: glücklicherweise?’’

,,Stell dir das mal vor! Das Leben hätte doch gar keinen Sinn,

wenn man die Zukunft schon kennen würde. Möchtest du zum

Beispiel schon im vorhinein den Ausgang des Filmes sehen, den

du dir anschauen willst?’’

,,Natürlich nicht, dann wäre ja alle Spannung weg.’’ ,,Oder kannst du über einen Witz lachen, den du

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schon kennst?’’

,,Kaum, das wäre doch langweilig.’’

,,Möchtest du vorher schon wissen, was du zum Geburtstag

bekommst?’’

,,Das noch weniger!’’

Es gefiel mir, wie er mir die Dinge mit anschauli- chen

Beispielen klarmachte.

,,Ja, das Leben verlöre vollkommen seinen Sinn, wenn man die

Zukunft kennen würde. Man kann be- stenfalls Möglichkeiten

abschätzen.’’

,,Wie?’’

,,Man kann zum Beispiel Möglichkeiten überden- ken, die die

Erde noch hat, um sich zu retten.’’

,,Zu retten, wovor?’’

,,Was heisst, wovor? Hast du noch nie was von der Vergiftung

der Erde gehört, von Kriegen und Bomben?

,,Ja doch. Willst du damit sagen, dass wir hier auch in Gefahr

sind, uns selbst zu zerstören? Wie in den Welten der Bösen?’’

,,Es gibt viele Möglichkeiten. Pass auf: Wissen- schaft und

Liebe müssen gleich stark sein, wenn alles

gut sein soll. Bei euch aber neigt sich die Waagschale der

Wissenschaft ganz mächtig nach unten. Das ist der

Punkt! Millionen von Zivilisationen wie eure hier haben sich

selbst zerstört. Ihr seid am Wendepunkt, an einem sehr

gefährlichen!’’

Langsam bekam ich es mit der Angst. Ich hatte bisher nicht

wirklich an die Möglichkeit eines dritten Weltkrieges oder

anderer Katastrophen geglaubt. So

blieb ich eine Zeitland in Gedanken versunken. Dann kam mir auf

einmal eine wunderbare Idee: ,,Tut ihr

doch etwas!’’

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,,Und was zum Beispiel?’’

,,Ich weiss nicht. Vielleicht mit tausend Raumschif- fen landen

und den Präsidenten aller Länder sagen, dass sie Schluss mit den

Kriegen machen sollen … ir- gend so was.’’

Ami lächelte. ,,Wenn wir das täten, gäbe es erstens Tausende

von Herzinfarkten. Alle Welt glaubt doch an

diese Weltraumfilme mit den blutrünstigen Invasoren! Dabei

können wir so unmenschlich gar nicht sein! Und zweitens: Wenn

wir euch zum Beispiel sagten: >>Wan-

delt eure Waffen in Werkzeuge um!<<, dann würdet ihr denken:

das ist wieder so ein raffinierter Plan der Ausserirdischen, um

euch zu schwächen und dann den

ganzen Planeten zu beherrschen! Nehmen wir drittens einmal an,

ihr kämt eines Tages wirklich so weit zu erkennen, dass wir ganz

harmlos sind, dann würdet ihr

trotzdem eure Waffen nicht aus der Hand legen.’’

,,Und warum nicht?’’

,,Weil jedes Land Angst vor dem anderen hätte. Wer wagte es

schon, sich als erster zu entwaffnen? Niemand!’’

,,Aber man muss doch Vertrauen haben.’’

,,Kinder haben vielleicht Vertrauen, Erwachsene nicht. Und die

Präsidenten der Länder am allerwenig- sten! Das nicht mal ohne Grund! Einige von ihnen

haben wirklich Lust, die anderen zu unterwerfen!’’

Nun war ich wirklich tief beunruhigt. Ich sann über eine

Lösung nach, die den Krieg und die mögliche Vernichtung der

Menschheit verhindern könnte. Schliesslich schien es mir noch

am besten, dass die Ausserirdischen mit Gewalt die Macht an sich

reissen, die Bomben zerstören und uns zwingen sollten, in

Frieden zu leben. Das sagte ich ihm. Nachdem er aus- giebig

darüber gelacht hatte, meinte er, ich könne es

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einfach nicht lassen, wie ein Erdenbürger zu denken.

,,Warum?’’

,,Gewalt, zerstören, zwingen! Das ist die Sprache der

Erdenbürger! Wir nennen so etwas unzivilisiert,

aggressiv! Die menschliche Freiheit ist etwas Heiliges, die eigene

wie die des anderen. Zwang gibt es in unse- ren Welten nicht.

Jedes Individuum ist wervoll und

wird respektiert. Die Macht an sich reissen und etwas zerstören ist

Gewaltanwendung. Das wäre eine Verlet- zung des universalen

Gesetzes!’’

,,Führt ihr denn keine Kriege?’’ Noch ehe die Frage ganz

heraus war, wusste ich schon, wie dumm sie war. Er sah mich liebevoll an und legte mir die Hand auf

die Schulter. ,,Wir führen keine Kriege, weil wir an Gott

glauben.’’ Diese Antwort überraschte mich sehr. Ich glaubte

auch an Gott, aber in letzter Zeit schien es eher so, als wenn nur

noch die Patres meiner Schule an ihn glaub- ten und noch ein paar

Leute, die keine allzu grosse Bildung haben. Ich dachte an meine

Onkel, der Atomphysik an der Universität lehrt; er sagt immer,

dass die Intelligenz Gott umgebracht habe.

,,Dein Onkel ist ein Dummkopf.’’ Ami hatte meine Gedanke

aufgefangen! ,,Das stimmt nicht’’, empörte ich mich; ,,mein

Onkel ist einer der intelligentesten Männer des Landes!’’ ,,Er ist ein Dummkopf’’, beharrte Ami. ,,Kann denn

ein Apfel einen Apfelbaum umbringen. Kann eine Welle das

Meer umbringen?’’ ,,Ich dachte mir …’’

,,Du bist im Irrtum. Gott existiert.’’

Ich begann über Gott nachzudenken, etwas schuldbe- wusst,

weil ich an seiner Existenz gezweifelt hatte.

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,,Hör auf! Lass den weissen Bart und das wallende Gewand

weg!’’

Ami lachte; er hatte mitbekommen, wie ich mir Gott vorstellte.

,,Ja, hat er denn keinen Bart? Rasiert er

sich etwa?’’ Mein Freund amüsierte sich köstlich über meine

Verwirrung. Dann wurde er ernst: ,,Dein Gott entspricht zu sehr

euren irdischen Vorstellung.’’

,,Und warum?’’

,,Weil ihr nicht anders könnt, als ihn euch wie einen Irdischen

Menschen vorzustellen.’’

Wollte Ami mir vielleicht sagen, dass die Ausserirdi- schen

nicht wie menschliche Wesen aussahen? ,,Aber du hast doch

gesagt, dass die menschlichen Wesen

anderer Welten nicht fremdartig oder wie Monster aus- sehen. Du

selbst siehst doch auch wie ein Erdenbürger aus.’’

Ami nahm lächelnd ein Stöckchen vom Boden auf und

zeichnete eine menschliche Figur in den Sand.

,,Das menschliche Modell ist universell: Kopf, Rumpf, Arme und Beine. Natürlich gibt es in jeder Welt kleine

Abweichungen wie Grüsse, Farbe der Haut, Form der Ohren,

eben kleine Unterschiede. Ich sehe wie ein Erdenbürger aus, weil

die Menschen meiner Welt ge- nauso aussehen wie die Kinder

hier auf der Erde. Aber Gott hat keine menschliche Form. –

Komm, lass uns etwas gehen.’’

Wir nahmen den Pfad, der zum Dorfe führte. Ami legte seinen

Arm um meine Schulter, und ich fühlte, dass er mein Bruder war,

der Bruder, den ich mir immer gewünscht hatte. Ein paar

Nachtvögel krächzten in der Ferne. Ami schien das alles zu

geniessen. Tief atmete er die Meeresluft ein und sagte: ,,Gott hat

kein menschli- ches Aussehen.’’ Sein Gesicht schien in der Nacht

zu leuchten, als er vom Schöpfer sprach. ,,Er hat über-

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haupt keine Form, er ist keine Person wie du und ich, er ist etwas

Unendliches, reine Energie, reine Liebe…’’

,,Ah.’’ Er sagte das so schön, dass auch ich gerührt war.

,,Deshalb ist das Universum schön und gut, es ist wunderbar!’’

Ich dachte an die Bewohner der primitiven Welten,

die er erwähnt hatte, und auch an die bösen Menschen auf diesem

Planeten.

,,Und die Bösen?’’

,,Eines Tages werden auch sie gut sein.’’

,,Aber wäre es nicht viel besser, wenn sie schon von Anfang an

gut geboren worden wären, dann gäbe

es doch nirgends etwas Böses?’’

,,Wenn man das Böse nicht kennt, wie will man dann das Gute

geniessen? Wie kann man es schätzen?’’

fragte Ami.

,,Das versteh ich nicht.’’

,,Findest du es nicht wunderbar, sehen zu können, dein

Augenlicht zu haben? ’’

,,Ich weiss nicht. Darüber hab ich nie gedacht. Wahrscheinlich

schon.’’

,,Wenn du blind geboren wärest und auf einmal

sehen könntest, wäre es für dich doch ein Wunder, sehen zu

können.’’ ,,Doch, ja.’’ ,,Wenn jemand ein hartes Leben der Gewalt gelebt hat und

dann lernt, ein menschlicheres Leben zu füh- ren, dann schätzt er

das so hoch ein wie niemand ausser ihm. Wenn es keine Nacht

gäbe, könnten wir keinen Sonnenaufgang geniessen.’’

Wir schritten auf dem mondbeschienenen Wege, der von

Bäumen eingesäumt war, voran und erreichten unser Haus. Ich schlüpfte rasch hinein und kehrte mit

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einem Pullover zu Ami zurück. Dann setzten wir unse- ren

Spaziergang fort. Während wir uns unterhielten, beobachtete

Ami alles, was ihm in den Blick fiel. Wir waren noch ein Stück

vom eigentlichen Dorf entfernt, es gab noch keine

Strassenbeleuchtung.

,,merkst du eigentlich, was du tust?’’ fragte Ami.

,,Nein, warum?’’

,,Du gehst, du kannst gehen!’’

,,Ja, natürlich. Ist da was Besonderes dran?’’

,,Wenn Menschen gehbehindert waren und dann nach Monaten

oder Jahren des Übens endlich wieder gehen können, dann ist das für sie etwas Wunderba-

res, und sie sind dankbar dafür und geniessen es. Du hingegen

gehst einfach so dahin und denkst dir nichts dabei!!’’ Ami sah mich bekümmert an.

,,Hast recht, Ami’’, tröstete ich ihn, ,,aber ich muss heute so

viele Dinge von dir lernen.

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4. Kapitel

Die Polizei

Wir erreichten die ersten Strassenlaternen etwa eine Stunde vor

Mitternacht. Es war für mich schon etwas abenteuerlich, ohne

meine Grossmutter so spät noch durch die Strassen des Dorfes zu

gehen, aber an Amis Seite fühlte ich mich vollkommen sicher.

Wir schritten ruhig vor uns hin. Von Zeit zu Zeit blieb mein

Freund stehen, um irgend etwas zu bewun-

dern: den Mond, der durch die Eukalyptusblätter lugte, dann ein

besonders hübsches Häuschen, eine Weg- biegung oder ein

malerisches Eckchen; er machte

mich auf das Rauschen der fernen Brandung aufmerk- sam, auf

das Quaken der Frösche und das Zirpen der Nachtgrillen. Tief sog

er das Aroma der Nadelbäume,

der Baumrinden und den Duft der Erde in sich ein.

Er geriet ins Schwärmen: ,,Wie schön das alles ist! Schau die

Laterne! Wie ihr Licht auf diese Kletter- pflanze fällt, das müsste

man malen! Schau, wie die Antennen sich von dem

Sternenhimmel abheben! Ge- niesse es, Pedrito, ganz

unbeschwert, das ist der Sinn des Lebens! Sei aufmerksam!

Versuche, ganz in dich aufzunehmen, was das Leben dir bietet.

Du kannst es nur mit dem Gefühl, nicht mit dem Verstand! Den

tiefen Sinn des Lebens findest du jenseits des Denkens! - weisst

du, Pedrito, das Leben ist ein Märchen, das Wirklichkeit wurde,

ein wunderbares Geschenk, das Gott dir gibt. – Gott liebt dich,

Pedrito!!’’

Amis Worte öffneten mir das Tor zu einer völlig

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neuen Welt, die kaum noch Ähnlichkeit hatte mit mei- ner alten,

alltäglichen Welt, auf die ich so wenig geach- tet hatte. Ich begriff

plötzlich, dass ich in einem Para- dies lebte, ohne es zu wissen!

Unterdessen hatten wir den Dorfplatz erreicht. Einige junge

Burschen und Mädchen standen im Ein- gang einer Diskothek

herum, andere unterhielten sich auf der Strasse. Es war ziemlich

ruhig, die Saison ging ja schon zu Ende. Trotz Amis Aufmachung

achtete niemand auf uns, vielleicht dachten sie auch, er hätte sich

zum Karneval verkleidet. Ich stellte mir vor, was passieren würde,

wenn sie wüssten, was für ein sonder- bares Wesen da über den

Platz spazierte. Man würde sich sofort um uns drängen,

Journalisten rückten an und das Fernsehen…

,,Nein, danke’’, sagte Ami, als er meine Gedanken auffing,

,,ich möchte nicht gekreuzigt werden.’’ Ich starrte ihn mit offenem Munde an.

,,Erstens würden sie es sowieso nicht glauben, und wenn sie es schliesslich doch glaubten, würden sie mich erst

mal verhaften, weil ich ja illegal gelandet bin. Dann würden sie

vermuten, dass ich ein Spion sei, und mich vielleicht sogar

foltern, um an Informationen her- anzukommen. Zum guten

Schluss kämen dann währ- scheinlich noch die Ärzte, um in

meinen Körper hineinzuschauen.’’

Obwohl Ami eine so schwarze Zukunft malte, lachte er.

Wir suchten uns jetzt ein ruhiges Plätzchen und setzten uns dort auf eine Bank. Ich dachte mir, die

Ausserirdischen sollten sich ruhig nach und nach etwas mehr

zeigen, damit sich die Leute an sie ge- wöhnten; eines Tages

könnten die Sternbewohner dann ja ganz öffentlich auftreten.

,,Ja, so ungefähr machen wir es ja nun’’, bestätigte Ami. ,,Aber

uns öffentlich zeigen! Hast du die drei Gründe vergessen, warum

das nicht möglich ist? Jetzt sage ich dir noch einen, den

Hauptgrund: es wäre gegen die Gesetze!’’

,,Welche Gesetze?’’

,,Die Gesetze des Universums. Pass auf: in deiner Welt gibt es

Gesetze, stimmt’s? In den zivilisierten Wel- ten gibt es auch Gestze, sagen wir, allgemeine

Grundsätze, die von allen respektiert werden müssen. Einer von

ihnen heisst: Greife nie in die Entwicklungs- prozesse der unzivilisierten Welten ein!’’

,,Unzivilisiert??’’

,,Wir nennen jene Welten unzivilisiert, die die drei

Grundbedingungen noch nicht erfüllen.’’ ,,Welche Grundbedingungen?’’ ,,Die drei Grundbedingungen aller zivilisierten Welten! Sie

lauten erstens: Das Grundgesetz des Uni- versums muss bekannt

sein; aus der Kenntnis und An- wendung dieses Gestzes ergeben

sich die beiden anderen Bedingungen von selbst. Zweitens muss

eine zivilisierte Welt eine Einheit sein, die unter einer einzi- gen

Weltregierung steht, und drittens muss diese zivili- sierte Welt

ihre Verfassung auf dem Grundgesetz des Universums

aufbauen.’’

,,Also ehrlich, davon hab ich nicht allzu viel ver standen. Was

ist das für ein Grundgesetz, wie heisst es?’’

,,Siehst du, du kennst es nicht’’, lachte er spöttisch,

,,du bist nicht zivilisiert!’’

,,Aber ich bin doch nur ein Kind’’, protestierte ich,

,,die Erwachsenen kennen das Gesetz bestimmt, un- sere

Wissenschaftler und Präsidenten …’’ Jetzt musste Ami noch viel mehr lachen: ,,Die Er-

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wachsenen, die Wissenschaftler, die Präsidenten! Die nun schon

am wenigsten! Mit ganz wenigen Ausnah- men …’’

,,Wie heisst dieses Gesetz?’’

,,Ich werde es dir später mal sagen …’’

,,Wirklich?’’ Ich fand es toll, dass ich bald etwas erfahren

würde, was offensichtlich kaum einer von uns

Menschen wusste.

,,…wenn du ganz brav bist.’’ Mein Freund machte sich schon

wieder über mich lustig.

Wir schwiegen eine Weile. Ich dachte über das Verbot nach, in

die Geschehnisse unzivilisierter Wel- ten einzugreifen. Plötzlich

ging mir ein Licht auf:

,,Dann tust du also etwas, was gegen das Gesetz ist?’’

,,Bravo, du hast es erfasst!’’

,,Na klar, erst sagst du, dass es verboten sei einzu- greifen, und

dann redest du trotzdem mit mir!’’ Ami lächelte. ,,Ja und nein. Das, was ich tue, greift

nicht in die Entwicklung der Erde ein, ich zeige mich nicht offen

und nehme keine Verbindung mit der gro-

ssen Masse der Menschheit auf, denn das wäre gegen das Gesetz.

Das, was ich tue, ist nur ein Teil unseres Nothilfeprogramms.’’

,,Wie bitte? – Das musst du mir näher erklären.’’

,,Weißt du, das ist etwas kompliziert. Alles kann man nicht

erklären, du würdest es doch nicht verste-

hen. Später mal vielleicht. Fürs erste sage ich dir nur soviel: das

Nothilfeprogramm ist so was wie eine Medi- zin, die wir ganz,

ganz vorsichtig und feindosiert

verabreichen.’’

,,Was für eine Medizin?’’

,,Information.’’

,,Information? Was für eine Information?’’

,,Hör zu: Nach der Explosion der ersten Atom-

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bombe begannen unsere Raumschiffe, sich hier und

da zu zeigen. Ihr solltet merken, dass ihr nicht die einzi- gen im

weiten Universum seid. Das ist Information! Mit der Zeit dann

konntet ihr immer mehr Raumschiffe sichten, das ist noch mehr

Information! Irgendwann einmal werden wir uns von euch sogar

fotografieren lassen! Gleichzeitig dazu stellen wir mit einigen

Men- schen direkte Kontakte her wie zum Beispiel mit dir, auch

senden wir Nachrichten auf den Mentalfrequen- zen. Diese

Frequenzen verhalten sich in der Luft wie Radiowellen. Sie

wenden sich an alle Menschen:

Einige haben ihren Sender auf Aufnahme gestellt und empfangen

diese Schwingungen, andere nicht. Von

denen, die unsere Nachrichten aufnehmen, glauben die einen, es

handele sich um ihre ureigenen Ideen, andere denken, dass es

göttliche Eingebungen seien,

und wieder andere kommen dahinter, dass wir es sind, die sie

ausgesandt haben. Es gibt dann welche, die geben diese

Nachrichten ziemlich verdreht wieder,

bunt vermischt mit ihren eigenen Ideen und Überzeu- gungen,

andere drücken sie sehr präzise aus.’’

,,Und wann werdet ihr vor allen Menschen erscheinen?’’

,,Wenn Ihr euch bis dahin nicht selbst zerstört

habt und wenn ihr die drei Grundbedingungen erfüllt. Vorher auf

keinen Fall!’’

,,Ich finde das trotzdem ganz schön egoistisch von euch, dass

ihr nicht eingreift und diese Zerstörung ver- meidet’’, sagte ich

etwas erbost.

Ami lächelte und sah zu den Sternen hinauf. ,,Unser Respekt vor eurer Freiheit geht so weit, dass wir euch dem

Schicksal überlassen müssen, das ihr ver- dient. Entwicklung ist

etwas sehr Heikles. Man kann da nicht einfach eingreifen. Man

kann nur empfehlen,

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ganz sanft, über besondere Menschen wie du.’’

,,Wie ich?? – Was ist denn an mir Besonderes?’’

,,Das sage ich dir vielleicht auch später mal. Im Augenblick

genügt es, dass du gewisse Bedingungen

erfüllst . . . he, das müssen nicht unbedingt Tugenden sein!! –

Pedrito, ich werde dich bald verlassen. Möch- test du mich wieder

sehen?’’

Mein Herz begann zu klopfen. ,,Aber natürlich! Ich hab dich

doch – liebgewonnen!’’ ,,Ich dich auch. Aber wenn du wirklich willst, dass

ich wiederkomme, musst du ein Buch schreiben, in dem du alles

erzählst, was wir miteinander erlebt haben. Deshalb bin ich

nämlich gekommen, das ist ein Teil unseres Nothilfeprogramms.

Willst du?’’

,,Ich soll ein Buch schreiben? Aber das kann ich doch gar

nicht!’’

,,Schreibe es einfach als eine Geschichte für Kin- der, als wär

das alles Phantasie. Wende dich an die Kinder; sie werden nicht

glauben, dass du lügst oder

verrückt bist. Übrigens kannst du noch deinen Vetter, der so gerne

schreibt, um Hilfe bitten: Du erzählst ihm alles, und er schreibt es auf.’’

Anscheinend wusste Ami mehr von mir als ich selbst. ,,Auch diese Buch wird eine Information sein,

mehr dürfen wir nicht tun. – Sag, Pedrito, fürchtest du immer

noch, dass böse Wesen einer fortgeschrittenen Zivilisation eines Tages kommen und die Erde

überfallen?’’ Ich musste lachen.

,,Na, siehst du! Aber ihr’’, – Ami blickte mich ein- dringlich an

– ,,wenn ihr eure Bosheit nicht überwin- den könntet – nimm an,

wir würden euch helfen zu überleben! – dann würdet ihr nichts

anderes mehr im

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Kopfe haben, als andere Zivilisation zu erobern, zu beherrschen

und auszubeuten! Das zivilisierte Univer- sum ist aber ein Ort der

Liebe, der Brüderlichkeit! – Dann ist da noch etwas: Es gibt im

Weltraum noch viele andere ungeheuer starke Energien – die

Atomenergie würde sich dagegen ausnehmen wie eine

Streichholz- flamme neben der Sonne. Wir können es einfach

nicht erlauben, dass eine gewalttätige Menschenrasse den Frieden

der zivilisierten Welten in Gefahr bringt, und noch viel weniger,

dass sie eine kosmische Katastrophe heraufbeschwört!’’

,,Ich bin beunruhigt, Ami’’, druckste ich.

,,Wegen der Gefahr einer kosmischen Katastrophe?’’

,,Nein, weil ich fürchte, dass es schon sehr spät ist.’’

,,Zu spät, um die Menschheit zu retten, Pedrito?’’

,,Nein, zu spät, um schlafen zu gehen …’’ Ami bog sich vor Lachen. ,,Beruhige dich, Pedrito, wir werden

nach deiner Grossmutter schauen. ‚’ Er be- nutzte wieder den

kleinen Fernseher aus seinem Gür- tel. Meine Grossmutter schlief

mit offenem Munde.

,,Sie geniesst ihren Schlaft wirklich’’, witzelte Ami.

,,Ich bin müde und schläfrig’’, gähnte ich, ,,ich möchte auch

schlafen gehen.’’

,,Gut, gehen wir.’’

Wir waren auf dem Weg zu unserem Haus, als uns ein

Polizeiauto entgegenkam. Für die Polizisten war

der Fall klar: zwei Kinder spät nachts allein auf der Strasse! Sie

hielten den Wagen an, stiegen aus und schritten auf uns zu. Mir

schlotterten die Knie. ,,Was

treibt Ihr den hier um diese Zeit?’’ ,,Wir gehen spazieren und geniessen das Leben’’, sagte Ami

betont ruhig, ,,und ihr, was treibt ihr? Arbei- ten? Jagd auf

Schurken machen?’’, und er lachte wie immer. Ich hielt den Atem

an, als ich hörte, wie Ami mit

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den Polizisten umsprang. Aber die fanden das Verhal- ten meines

Freundes seltsamerweise ungeheuer lu- stig. Sie lachten mit ihm

um die Wette. Ich versuchte mitzulachen, aber ich war zu nervös

dazu.

,,Wo hast du denn diesen Anzug her?’’

,,Von meinem Planeten’’, antwortete Ami keck.

,,Ah, du bist wohl ein Marsmensch!’’

,,Nicht gerade das, aber ein Ausserirdischer bin ich allemal.’’

Ami gab sich heiter, fast ausgelassen, ich dagegen wurde immer

zappliger.

,,Und wo hast du deine Ufo gelassen?’’ fragte einer der

Beamten und sah Ami väterlich an, Er glaubte offensichtlich, das

sich mein Freund ein kindliches

Spiel mit ihm erlaubte; er konnte nicht ahnen, dass Ami ganz

einfach die Wahrheit sagte. ,,Das habe ich am Strand geparkt, unten am Meer,

nicht wahr, Pedrito?’’

Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich lächelte nur

und machte ein ziemlich dummes Gesicht

dazu. Ich hatte nicht den Mut, einfach ja zu sagen.

,,Und hast du keine Pistole, die Strahlen schiesst?’’ Die

Polizisten genossen den Spass, Ami auch. Nur ich war völlig

verwirrt und aufgeschreckt.

,,Die brauche ich nicht, wir greifen niemanden an, wir sind

gut!’’

,,Und was tust du, wenn dir plötzlich ein Schurke

mit einer Pistole wie dieser gegenübersteht?’’ Der Poli- zist tat so,

als ob er ihn mit einer Waffe bedrohte. ,,Wenn er mich angreift, dann setze ich ihn mit

meiner Gedankekraft ausser Gefecht.’’

,,Na, das will ich sehen. Los, setz mich ausser Gefecht!’’

,,Sehr gerne, aber – das wird zehn Minuten anhalten!’’

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Die drei lachten fröhlich. Auf einmal wurde Ami still, fasste die

Männer ins Auge und sagte in einem sehr eigenartigen befehlenden

Ton: ,,Bleibt unbeweglich

für zehn Minuten, ihr könnt – ihr könnt euch nicht bewegen –

jetzt!’’ Die beiden standen plötzlich da wie gelähmt, in

der Haltung, die sie gerade eingenommen hatten; sie lächelten

sogar! ..Siehst du, Pedrito, so kann man die Wahrheit

sagen, als ob es ein Spiel wäre oder Phantasie’’, er- klärte er mir,

während er die Nasen seiner Opfer an- fasste und ihre Schnurrbärte bewegte. Das Lächeln der

Polizisten wirkte unter diesen Umständen schon fast tragisch! Ich aber geriet regelrecht in Panik. ,,Mensch,

nichts wie weg hier! Wenn die aufwachen . . .!’’ wollte ich rufen,

aber es kam nur ein heiseres Flüstern aus meiner Kehle.

,,Mach dir doch keine Sorgen, Pedrito, zehn Minu- ten sind eine

Ewigkeit!’’ Ami hatte noch immer nicht

genug: er gab den Dienstmützen einen Stoss, dass sie auf die Seite

rutschten. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. ,,Los, Ami, lass uns abhauen!!’’

Ami zuckte die Achseln. ,,Jetzt bist du schon wie- der besorgt,

anstatt den Augenblick zu geniessen, aber – gehen wir eben’’, meinte er resigniert. Er näherte

sich noch einmal den lächelnden Polizisten und befahl ihnen mit

derselben Stimme wie vorher: ,,Wenn ihr auf, werdet ihr für immer

diese beiden Kinder vergessen haben.’’

Wir entfernten uns rasch, bogen an der nächsten Strassenecke

zum Strand ein und gewannen immer mehr Abstand. Mir fiel ein

Stein vom Herzen.

,,Wie hast du das gemacht, Ami?’’

47

,,Hypnose! – Das kann jeder!’’

,,Ich hab mal gehört, dass sich nicht jeder hypnoti- sieren lässt;

die beiden hätten ja auch von dieser Sorte sein können.’’

,,Es ist nicht nur so, dass man alle Menschen hyp- notisieren

kann, sondern so: alle Menschen sind hypnotisiert!’’

,,Was willst du damit sagen? Ich zum Beispiel bin nicht

hypnotisiert, ich bin hellwach.’’ Ami lachte über meine Beteuerungen. ,,Erinnerst

du dich, wie es war, als wir den Weg hier herauf- kamen?’’ ,,Ja, ich erinnere mich.’’

,,Alles erschien dir anders, alles war schön.’’

,,Oh ja, ich war wie hypnotisiert. Hast du das etwa gemacht?’’

,,Nein, da warst du hellwach, jetzt schläfst du wie- der! Und

zwar ganz fest! Du glaubst, dass das Leben wertlos ist, dass alles

gefährlich ist, weil du wieder

hypnotisiert bist! Du hörst das Meer nicht mehr, du riechst die

Düfte der Nacht nicht mehr, du bist dir

nicht bewusst, dass du gehen und sehen kannst, du spürst deine

Atmung nicht, du bist hypnotisiert, und

zwar negativ! So wie die Leute, die glauben, dass der Krieg

irgendeinen glorreichen Sinn hat, oder wie sol- che, die alle für

ihre Feinde halten, die bei ihrer Hyp-

nose nicht mitmachen, oder wie andere, die der Mei- nung sind,

dass die Art der Kleidung ihrer Person ir- gendeinen besonderen

Wert verleihe. Das alles ist

Hypnose, sie sind alle hypnotisiert, sie schlafen alle! Aber jedes

Mal, wenn jemand spürt, dass das Leben

oder auch nur ein einziger Augenblick im Leben herr-

lich ist, dann fängt er an aufzuwachen. Ein Mensch, der erwacht

ist, weiss, dass das Leben ein herrliches Para-

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dies ist, und geniesst es jeden Augenblick. – Aber so viel kann

man von einer unzivilisierten Welt wohl nicht verlangen! Wenn

ich daran denke, dass es sogar Leute gibt, die sich umbringen!

Stell dir vor, wie kriminell! Sie bringen sich um!!’’

,,Wenn du das so sagst’’, meinte ich nachdenklich,

,,dann gebe ich dir recht. – Aber sag mal, wie kam das eigentlich,

dass die beiden Polizisten sich über deine Spässe nicht ärgerten?

,,Weil ich an ihre gute Seite appelliert habe, an ihre kindliche

Seite.’’ ,,Aber es sind Polizisten!’’

Ami sah mich an, als hätte ich etwas Dummes gesagt. ,,Schau,

Pedro, alle Menschen haben eine gute Seite, eine kindliche. Beinahe niemand ist vollkommen

schlecht. Wenn du willst, gehen wir in ein Gefängnis und suchen

uns den ärgsten Verbrecher…’’ ,, Nein, nein, vielen Dank!’’

,,Alle Menschen sind mehr gut als schlecht, sogar hier auf

deinem Planeten. Alle glauben sie, dass sie dass

Richtige tun, manche irren sich aber. Das ist nicht Bosheit,

sondern Irrtum! Nur wenn sie schlafen, wer- den sie dumpf und

gefährlich. Aber wenn du an ihre

gute Seite rührst, geben sie dir das Gute in ihnen zurück,

appellierst du an ihre schlechte Seite, antwor- ten sie mit ihrem

Schlechten. Aber die meisten von

ihnen spielen gern.’’

,,Warum ist es denn so, dass es auf dieser Welt mehr Unglück

als Glück gibt?’’

,,Das liegt an den alten Systemen, nicht an den Menschen! Die

meisten Menschen haben sich längst

weiterentwickelt, doch eure Organisationssysteme

sind zurückgeblieben. Falsche Systeme schaden den Menschen,

dadurch werden sie unglücklich und bege-

49

hen Irrtümer. Ein gutes System der Weltorganisation könnte die

Bösen ganz leicht in Gute verwandeln.’’

Es klang wunderbar, was Ami sagte, aber ehrlich gesagt, ich

verstand nicht allzu viel von seinen Worten.

50

5. Kapitel

Von den Ausserirdischen entführt!

,,Hier sind wir schon bei deinem Haus. Gehst du jetzt

schlafen?’’

,,Ja, ich bin schrecklich müde, ich kann einfach nicht mehr.

Und du, was wirst du machen?’’

,,Ich geh zu meinem Raumschiff und werde eine

Runde zu den Sternen drehen. Eigentlich wollte ich dich einladen,

aber wenn du zu müde bist …?’’ ,,Aber keine Spur! Im Ernst, würdest du mich auf

eine Runde mitnehmen in deinem Ufo?’’

,,Natürlich. Und deine Grossmutter?’’

Die phantastische Möglichkeit, in einer Fliegen- den

Untertasse spazieren zufahren, hatte meine Mü- digkeit weggeblasen. Ich fühlte mich plötzlich frisch

und unternehmungslustig. Mir fiel auch sofort ein Plan ein, wie

ich wegbleiben könnte, ohne vermisst zu wer-

den.,, Ich werde das Abendbrot aufessen und den lee- ren Teller

auf dem Tisch stehen lassen. Dann stopfe ich mein Kopfkissen

unter die Bettdecke, und wenn

meine Grossmutter aufsteht, wird sie glauben, dass ich zu Hause

bin. Ich werde mir auch was anderes anzie- hen. Wenn ich ganz

leise bin, wird sie mich nicht

hören.’’

,,Wunderbar. Wir werden zurück sein, ehe sie auf- wacht;

mach dir keine Sorgen.’’

Es verlief alles nach Plan; nur als ich das Steak essen wollte,

ekelte ich mich derart, dass es mir fast im Halse stecken geblieben

wäre! Ein paar Minuten später

51

gingen wir zum Strand hinunter.

,,Wie komme ich in das Raumschiff rein?’’

,,Ich werde hinausschwimmen und es an den Strand bugsieren.’’

,,Ist das Wasser nicht’n bisschen kalt für dich?’’ fragte ich.

,,Keine Angst! Dieser Anzug hält mehr Hitze und Kälte aus, als

du dir vorstellen kannst. – Gut, ich

werde das Raumschiff jetzt holen. Wart hier auf mich, und wenn

ich komme – hörst du? – brauchst du dich

nicht zu fürchten!’’

,,Oh, nein, ich hab keine Angst mehr vor euch

Ausserirdischen!’’ Ich lächelte über seine überflüssige

Empfehlung.

Ami marschierte auf die seichten Wellen zu, direkt ins Meer

hinein, und begann dann zu schwimmen.

Weiter draussen konnte ich ihn im Dunkeln dann nicht mehr sehen,

da sich der Mond hinter ein paar eher finsteren Wolken versteckt

hatte. Zum erstenmal,, seit

Ami in meinem Leben aufgetaucht war, hatte ich Zeit, alleine

nachzudenken. Ami? – Ein Ausserirdischer??

– War es wirklich wahr, oder träumte ich das alles nur? –

Ich wartete ziemlich lange und begann langsam,

unruhig zu werden. So gut fühlte ich mich auch wieder nicht, so

ganz allein am dunklen Strand. Und nun sollte

ich ein Raumschiff kennenlernen! Meine Phantasie gaukelte mir

dunkle Schatten zwischen den Felsen vor, im Sande, dann aus dem

Wasser steigen. –

Wenn Ami nun ein Bösewicht wäre, einer, der sich nur als Kind

verkleidet und mir nette Dinge gesagt hatte, damit ich ihm vertraute? – Nein, das konnte nicht sein.

Von einem Raumschiff entführt werden!

Auf einmal ereignete sich vor meinen Augen ein

52

furchterregendes Schauspiel. Aus den Tiefen des Meeres begann

ein gelbgrüner Schein langsam em- porzusteigen. Plötzlich

erschien eine Kuppel, die sich mit Lichtern in vielen Farben

drehte. Es war tatsächlich wahr! Ich sah wirklich ein Raumschiff

aus einer ande- ren Welt! Dann konnte man das Riesending sehen,

oval mit heller leuchteten Fenstern. Es strahlte ein silbrig- grünes

Licht aus. So etwas Grossartiges hatte ich nicht erwartet. Ich war

vor schreck wie gelähmt!

Es ist eine Sache, mit einem Kind zu reden – Kind? . . . war das

Liebe und gute vielleicht nur Maske?? – und eine ganz andere, nachts allein am

dunklen Strand zu stehen und dieses Schiff aus einer anderen

Welt zu sehen, ein Schiff, das sich ausserdem noch auf dich zu bewegt, um dich weit fortzuführen!

Mit einem Schlage vergass ich das Kind und alles, was es mir

gesagt hatte! Für mich war das Schiff nur noch eine Höllenmaschine, wer weiss, aus welchem dunklen

Fleck im Raume stammend, voller grausamer Monster- wesen,

die gekommen waren, mich zu entführen!! In

diesem Augenblick schien mir das Ding viel, viel grö- sser als das

Objekt, das ich vor ein paar Stunden in Wasser hatte fallen sehen!

Es kam auf mich zu, etwa drei Meter über dem Wasser

schwebend, es gab keinen Ton von sich. Das war eine

schreckliche Stille! Und es kam unausweich-

lich auf mich zu . . .

Ich kämpfte mit mir, ob ich davonlaufen sollte oder nicht.

Hätte ich diesen Ausserirdischen doch niemals

kennengelernt! Wie gerne hätte ich die Zeit zurückge- dreht, dann

schliefe ich jetzt seelenruhig im Häuschen bei meiner Grossmutter, beschützt in meinem Bett, ein

ganz normales Kind in einem ganz normalen Leben. Dies hier war

schrecklich. Ich konnte nicht laufen und

konnte es auch nicht lassen,

dieses erleuchtete Monstrum anzustarren, das kam, um mich zu

holen. Vielleicht für einen Weltraumzoo . . . !

Als es über meinem Kopf schwebte, fühlte ich mich

vollkommen verloren. Im Innern des Schiffes erschien ein gelbes Licht,

und dann wurde ich von dem Strahl eines Scheinwerfers

geblendet. Ich war halbtot vor Angst! Ich empfahl meine Seele

Gott und übergab mich seinem höchsten Willen . . .

Da spürte ich, wie ich Hochgehoben wurde in einer Art von

Aufzug, aber meine Füsse standen auf nichts.

Gottergeben erwartete ich die schrecklichen Wesen

Mit Stachelrochenhäuptern und roten, blutrünstigen Augen . . .

54

Auf einmal fühlten meine Füsse weichen Boden unter sich, und

ich befand mich in einem hellerleuch- teten, mit Tapeten und

Teppichen ausgestatteten Raum. Ami stand vor mir und lächelte

mich mit seinen grossen, lieben Kinderaugen an.

Sein Blick beruhigte mich, holte mich in die Wirk- lichkeit

zurück, in diese wunderbare Wirklichkeit, die

er mich zu sehen gelehrt hatte. Er legte seine Hand auf meine

Schulter und sagte: ,,Ruhig … ruhig …, alles ist in Ordnung.’’

Als ich wieder reden konnte, stammelte ich:

,,Mensch, Ami, hatte ich eine Angst!’’ Dabei lächelte ich etwas

schief.

,,Das tut deine ungezügelte Phantasie’’, meinte

Ami lakonisch, ,,zügellose Phantasie kann einen durch Angst

töten, kann Dämonen schaffen, wo in Wirklich-

keit nur Freunde sind! Aber denk daran, es sind immer nur unsere

eigenen inneren Monster, die Wirklichkeit ist einfach und schön

und unkompliziert.’’

,,Dann bin ich jetzt also wirklich in einem Ufo?’’ ,,Na ja – Ufo heisst >>Unidentified Flying Object<<. Dies hier

ist völlig identifiziert! Es ist ein Raumschiff! Aber wir können es

Ufo nennen, wenn du willst; und wenn du unbedingt möchtest,

kannst du mich auch einen Marsmenschen nennen.’’

Wir lachten beide, meine ganze Angst war wie weggeblasen. ,,Komm, komm mit in den Kontrollraum’’, lud mich

Ami ein. Durch eine sehr kleine bogenförmige Tür betraten wir

einen anderen, diesmal halbrunden

Raum, der genau so niedrig wie der erste war und ringsum ovale

Fenster hatte. In der Mitte standen drei

verstellbare Lehnsessel vor einer Unzahl von Kontroll-

instrumenten. Auch einige Bildschirme gab es, bei-

55

nahe in Bodenhöhe. Ich begriff: das alles hier war für Kinder

gemacht, die Stühle und auch die Höhe des Raumes! Kein

Erwachsener hätte hier aufrechte stehen können. Wenn ich den

Arm hochreckte, berührte ich die Decke!

,,Das ist ja ganz phantastisch!’’ rief ich begeistert. Ich lief auf

die Fenster zu, während Ami sich vor die

Kontrollinstrumente setzte. Hinter den Scheiben konnte ich in der

Ferne die Lichter des Dorfes sehen. Ich spürte ein leises Zittern

am Boden, und schon war

das Dorf verschwunden. Jetzt sah ich nur noch Sterne!

,,Ami, was hast du mit dem Dorf gemacht?!’’

,,Schau hinunter’’, antwortete Ami.

Ich fiel beinah in Ohnmacht: Wir waren schon Taus- ende von

Metern über der Bucht! Man konnte alle Dörfer der Umgebung

sehen. Mein Dorf lag da unten, ganz tief unten! Wir waren in

einem einzigen Augen- blick Tausende von Metern gestiegen,

und ich hatte keine Bewegung gespürt!

,,Das ist ja super! Supertoll!’’ Meine Begeisterung wurde

immer grösser, aber auf einmal fühlte ich in dieser Höhe einen

merkwürdigen Schwindel. ,,Ami!’’

,,Ja, was ist?’’

,,Bist du sicher, dass dieses Ding hier bestimmt nicht

runterfällt?’’ ,,Na ja, wenn jemand an Bord wäre, der immer

noch zu Lügen zuflucht nähme, dann … dann könnten allerdings

gewisse Mechanismen ausfallen…’’ ,,Ach, bitte, dann landen wir besser wieder! Bitte,

Ami, lass uns landen!!’’

Als Ami herzlich lachte, wusste ich, dass das ein Witz gewesen

war.

,,Kann man uns von da unten sehen?’’

,,Wenn dieses Licht hier an wäre, dann schon’’. Er

56

zeigte auf ein Oval am Armaturenbrett.

,,Willst du damit sagen, dass wir gesehen werden können?’’

,,Wenn dieses Licht ausgeschaltet ist, wie zum Bei- spiel jetzt,

dann sind wir unsichtbar.’’ ,,Unsichtbar?’’

,,Ja, genau wie der Herr hier auf diesem Stuhl’’, und er zeigte

auf den leeren Sitz neben sich. Ich war

verwirrt, bis Amis Lachen mich belehrte, dass er schon

wieder einen Witz gemacht hatte.

,,Wie machst du es, dass sie uns nicht sehen?’’

,,Wenn sich das Rad eines Fahrrades sehr schnell dreht, kann

man die Speichen nicht sehen. Wir ma- chen es durch die Beschleunigung der Moleküle des

ganzen Schiffes.’’

,,Genial! – Du, Ami, ich hätte eigentlich ganz gern, wenn die

da unten uns sehen könnten.’’

,,Das kann ich nicht tun! Ob unsere Raumschiffe in den unzivilisierten Welten sichtbar oder unsichtbar sind, wird

durch den nothilfeplan bestimmt, und zwar von einem

gigantischen Computer, der sich im Zen- trum dieser Galaxis

befindet.’’

,,Das verstehe ich nicht.’’

,,Dieses Schiff hier ist wie alle anderen mit dem

Zentralcomputer verbunden, und der beschliesst, ob

wir gesehen werden sollen oder nicht.’’

,,Und wie kann dieser Computer wissen, wann?’’

,,Der Computer weiss alles. – Pedrito, möchtest du an eine

bestimmten Ort reisen?’’

,,Ja, in die Hauptstadt. Ich möchte so gern mein Haus von oben

sehen.’’

,,Gut, gehen wir.’’

Ami bewegte ein paar Kontrollhebel und sagte:

,,Jetzt.’’

58

Ich richtete mich auf eine längere Fahrt ein; ich stand am

Fenster, um sie von dort aus zu geniessen.

Aber wir waren schon da! Hundert Kilometer im Bruch- teil einer

Sekunde!! Ich war ganz hingerissen:

,,Mensch, das ging aber schneller als schnell!!’’

,,Ich habe dir schon gesagt, dass wir normalerweise nicht

reisen, sonder uns situieren; eine Sache der

Koordination. Wir können aber auch reisen.’’ Die nächtliche Stadt

sah von hier oben unbe- schreiblich schön aus. Ich sah die grossen, leuchten-

den Strassen und fand auch das Viertel, in dem wir wohnten. Ich

bat Ami, dorthin zu gehen. ,,Aber, bitte langsam reisen, ich

möchte die Spazierfahrt geniessen.’’

Die Lichter am Armaturenbrett waren ausgeschal- tet; niemand

konnte uns sehen. Leicht und lautlos be- wegten wir uns zwischen

den Sternen und den Lich-

tern der Stadt. Dann sah ich auf einmal mein Haus; es sah von

oben ganz seltsam aus. ,,Möchtest du wissen, ob drinnen alles in Ordnung

ist?’’

,,Wie bitte?’’

,,Wir können es auf diesem Bildschirm sehen.’’ Vor Ami

erschien auf einem der Bildschirme eine

Strasse, von oben gesehen. Es schien dasselbe System zu sein, mit

dem wir meine schlafende Grossmutter beobachtet hatte, und

doch gab es einen Unter-

schied: hier war das Bild viel plastischer, wie ein Relief. Es

schien, als ob man die Hand durch den Bildschirm strecken und

die Dinge anfassen könnte. Ich versuchte

das zu tun, stiess aber gegen unsichtbares Glas.

Ami lachte mich aus. ,,Alle tun dasselbe!’’

,,Alle? Wer alle?’’

,,Du denkst doch nicht etwa, dass du der erste Unzi- vilisierte

bist, der in einem ausserirdischen Raumschiff

spazierenfährt?’’

,,Doch, das habe ich eigentlich geglaubt’’, sagte ich etwas

enttäuscht. ,,Nun, das stimmt leider nicht.’’

Das Bild der Kamera oder was immer es war schien durch das

Dach ins Haus einzudringen, jeden Winkel abtastend. Alles war in

Ordnung.

,,Warum sieht man auf deinem tragbaren Fernse- her nicht so

gut wie auf diesem Bildschirm?’’ ,,Ich habe dir schon gesagt, es ist ein altmodisches

System.’’

Jetzt bat ich Ami, eine Runde über der Stadt zu drehen. Wir

flogen über meine Schule; ich sah den Hof,

den Fussballplatz, die Tore, meinen Klassenraum. Ich musste

schmunzeln, als ich mir vorstellte, dass ich mei- nen Mitschülern

später stolz mein grosses Abenteuer

beschreiben würde: ,,Hört mal her, ich habe unsere Schule von

einem Ufo aus gesehen…!’’ Nachdem wir die ganze Stadt überflogen hatten,

meinte ich: ,,Eigentlich schade, dass es nicht Tag ist.’’

,,Warum?’’

,,Weil ich die Städte und Landschaften gern bei Tage von

deinem Raumschiff aus anschauen möchte,

dann, wenn die Sonne scheint.’’

,,Wie üblich’’, lachte Ami.

,,Warum lachst du?’’

,,Möchtest du so gerne, dass es Tag sein soll?’’

,,Schon. Aber das wirst selbst du nicht schaffen, auch noch den

Stand der Sonne zu verändern! – Oder

doch?’’

,,Nein, die Sonne nicht, aber wir können uns ver- ändern.’’

Er tätigte etwas an seinen Kontrollinstrumenten, und wir

begannen uns sehr schnell zu bewegen. Wir

60

59

stiegen die Bergkette der Anden hoch und überquer- ten sie in

etwa drei Sekunden. Dann erschienen meh- rere Städte, die wie

Leuchtpunkte aussahen, so gross war die Höhe, die wir

inzwischen erreicht hatten. Dann befanden wir uns schon über

dem riesigen Atlanti- schen Ozean, der im vollen Mondlicht

schimmerte. Es gab einige Wolkenbänke, die die Sicht etwas

behinder- ten. Am Horizont wurde der Himmel langsam heller,

wir bewegten uns gegen Osten. Endlich erreichten wir eine

Landmasse, über der gerade die Sonne aufging. Ich konnte es

kaum fassen: Ami hatte die Sonne be- wegt, nur ein paar

Augenblicke … und schon war es Tag geworden!

,,Warum hast du behauptet, dass du sie nicht bewe- gen

kannst?’’

Ami hatte wieder einmal Grund, sich über meine Unwissenheit

zu amüsieren. ,,Ich habe nicht die Sonne bewegt, wir haben uns

schnell bewegt!’’

Ich sah meinen Irrtum augenblicklich ein, aber schliesslich gab

es gute Gründe dafür, wenn man am

Horizont auf einmal die Sonne aufgehen sieht, und zwar so

schnell, wie man es noch nie zuvor gesehen

hat!

,,Wo sind wir jetzt?’’

,,Über Afrika.’’

,,Aber vor einer Minute waren wir doch noch in Südamerika!’’

,,Da du bei Tage in diesem Raumschiff fliegen wolltest, flogen wir eben dahin, wo es Tag ist. >>Wenn der Berg

nicht zum Propheten kommt. Geht der Pro- phet zum Berge<<! –

Welches Land in Afrika möchtest du wohl besuchen?’’

,,Ähhh . . . Indien.’’

Als ich Ami kichern hörte, merkte ich, dass mich

61

meine Kenntnisse in Geographie wieder mal im Stich gelassen

hatten.

,,Gut, gehen wir eben nach Asien, nach Indien. Welche Stadt

dort möchtest du dir ansehen?’’

,,Mmh, mir ist alles recht, such du dir eine aus.’’

,,Ist dir Bombay recht?’’

,,Ja, Ami, herrlich!!’’ Sehr hoch und mit grosser Geschwindigkeit über- querten wir

den afrikanischen Kontinent. Ich habe mir später zu Hause auf

einer Karte die ganze Reise noch einmal angesehen. Während die

Sonne schnell höher stieg. Erreichten wir den Indischen Ozean,

und bald waren wir in Indien angelangt. Plötzlich blieb das

Raumschiff still stehen.

,,Wie kommt es, dass wir nicht gegen die Scheiben knallen,

wenn du so scharf bremst?’’ fragte ich über-

rascht.

,,Die Trägheit der Masse wird aufgehoben.’’

,,Ach, so einfach!!’’

62

6. Kapitel

Alles hängt von den Punkten ab

Nachdem wir uns ungefähr hundert Meter über der Stadt

befanden, begann unsere Spazierfahrt über den Himmel von

Bombay.

Ich glaubte zu träumen, es war wie im Kino. Die Menschen

hatte Turbane auf, und die Häuser sahen alle ganz anders aus als bei mir zu Hause. Unglaublich,

die vielen Menschen, die überall auf den Strassen um- herliefen.

In meiner Stadt ging es nicht einmal im Zen- trum oder bei Büroschluss so lebhaft zu, hier aber gab

es überall eine Unmenge von Menschen. Ich war in einer anderen

Welt! Niemand konnte uns sehen, das entsprechende

Licht war ausgeschaltet.

Auf einmal kam ich wieder in die Wirklichkeit zu- rück.

,,Meine Grossmutter!’’

,,Was ist mit deiner Grossmutter?’’

,,Es ist schon Tag. Sie ist aufgestanden und macht sich Sorgen,

weil ich nicht da bin. Gehen wir doch zurück!’’

Ami schien aber auch alles, was ich sagte, uner- hört komisch

zu finden! ,,Pedrito, deine Grossmutter schläft tief. Bei ihr am anderen Ende der Welt ist es im

Augenblick zwölf Uhr nachts. Hier ist es nämlich zehn Uhr früh.’’

,,Von gestern oder von heute?’’

,,Von morgen!’’ lachte Ami. ,,Mach dir keine Sor- gen. Wann

steht sie denn gewöhnlich auf?’’

63

,,So gegen halb neun.’’

,,Dann haben wir ja noch achteinhalb Stunden, ganz

abgesehen davon, dass wir die Zeit auch strecken können.’’

,,Ich mache mir trotzdem Sorgen, warum gehen wir nicht

nachsehen?’’ ,,Was willst du nachsehen?’’

,,Vielleicht ist sie aufgewacht. Bitte, lass uns doch hingehen.’’ ,,Das können wir auch von hier tun.’’

Ami bewegte seine Kontrollknöpfe, und es er- schien die

südamerikanische Küste, aus grosser Höhe gesehen. Dann sauste

das Bild wie im Sturzflug mit phantastischer Geschwindigkeit

nach unten. Bald konnte ich die Bucht sehen, das Dorf, das

Strandhäus- chen, das Dach, meine Grossmutter. Es war nicht zu

glauben, ganz so, als wenn ich dort wäre! Sie schlief mit offenem

Mund, genau wie vorher.

,,Man kann nicht behaupten, dass sie keinen guten Schlaf hat’’,

schmunzelte Ami, und dann sagte er:,,Nun

werden wir etwas tun, damit du völlig beruhigt bist.’’ Er nahm

eine Art Mikrofon und schärfte mir ein, ganz still zu sein. Dann

drückte er auf den Knopf des

Geräts und machte: Pssst.

Meine Grossmutter musste das gehört haben; sie erwachte,

stand auf und ging ins Esszimmer. Wir konn-

ten ihre Schritte hören, ja sogar ihren Atem. Sie sah den

halbleeren Teller auf dem Tisch, nahm ihn und trug ihn in die

Küche. Dann ging sie hinüber in mein

Zimmer, machte die Tür auf, schaltete das Licht an und sah zu

meinem Bett hin. Alles schien in Ordnung, es

sah wirklich so aus, als ob ich im Bett läge. Doch dann

schien ihr etwas aufzufallen. Ich konnte mir nicht vor- stellen,

was es sein könnte, doch Ami schaltete sofort:

64

Er begann in sein Mikrofon hineinzuatmen! Als meine

Grossmutter die Atemzüge hörte, war sie überzeugt, dass ich im

Bett war und schlief. Sie löschte das Licht und schlurfte wieder in

ihr Zimmer. Ami schaltete den Bildschirm aus.

,,Bist du nun beruhigt?’’

,,Ja, danke, jetzt schon. Es ist einfach nicht zu glauben: Sie

schläft dort, und wir sind hier am hellich- ten Tag!’’

,,Ihr Menschen seid zu festgelegt in eurer Vorstel- lung von

Entfernungen und Zeiträumen.’’ ,,Das verstehe ich nicht.’’

,,Was würdest du zum Beispiel sagen, wenn wir heute auf

Reisen gingen und gestern ankämen?’’ ,,Ami, mach mich doch nicht ganz verrückt! – Du,

könnten wir nicht mal nach China gehen?’’

,,Natürlich. In welche Stadt?’’

Diesmal wollte ich mich nicht schämen müssen, stolz und

sicher sagte ich: ,,Nach Tokio.’’

,,Gut, gehen wir nach Tokio, der Hauptstadt von Japan’’,

meinte er und tat so, als ob es gar nichts zu lachen gäbe.

Nun flogen wir über ganz Indien von Westen nach Osten und

erreichten die Bergwelt des Himalaja. Dort blieb das Schiff auf einmal stehen.

,,Wir bekommen Befehle’’, teilte mir Ami mit. Auf dem

Bildschirm erschienen fremdartige Signale. ,,Es handelt sich darum, jemandem einen Beweis zu lie-

fern. Der Zentralcomputer sagt, dass wir uns an einem

bestimmten Ort von jemandem sehen lassen sollen.’’ ,,Wie lustig . . . und von wem?’’

,,Das weiss ich auch nicht, wir werden vom Compu- ter

geleitet. Wir sind übrigens schon da.’’ Wir hatten das System der augenblicklichen Orts-

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veränderung angewandt! Wir befanden uns über einem Walde,

ungefähr fünfzig Meter hoch. Das Licht

zeigte an, dass wir sichtbar waren. Alles in der Gegend war mit

Schnee bedeckt.

,,Das ist Alaska’’, sagte Ami, der die Landschaft kannte. Die

Sonne schickte sich gerade an, über dem Meer unterzugehen. Auf

einmal setzte sich das Raum-

schiff in Bewegung: Es beschrieb ein Riesendreieck und

wechselte dabei unaufhörlich die Farben. ,,Warum tun wir das?’’

,,Um Eindruck zu machen. Wir wollen diesen Freund auf uns

aufmerksam machen. Dort kommt er.’’

Ami sah auf den Bildschirm. Ich schaute zum Fen- ster hinaus, und dann sah auch ich ihn. Ziemlich weit weg

zwischen den Bäumen stand ein Mann in einer braunen Pelzjacke.

Er trug ein Gewehr. Er schien sich sehr zu fürchten und richtete

plötzlich die Waffe gegen uns. Ich duckte mich unwillkürlich, um

Deckung zu suchen. Ami fand das wieder einmal sehr komisch.

,,Hab keine Angst, dieses Ufo ist natürlich kugelsi- cher – und

auch sicher gegen so manches andere.’’

Wir stiegen nun höher und verhielten dort eine Zeitlang. Jetzt

sandte das Raumschiff Lichter in allen

Farben aus.

,,Es ist notwendig, dass der Mann da unten diese Vision

niemals wieder vergisst.’’

Ich dachte, es wäre sicher nicht nötig gewesen, den Mann so

furchtbar zu erschrecken; wenn wir ein- fach nur so durch die Luft geflogen wären, hätte er das

Schauspiel auch nie mehr vergessen! Das sagte ich Ami.

,,Da bist du sehr im Irrtum’’, meinte er. ,,Millionen von

Menschen haben unsere Raumschiffe in der Luft gesehen und es doch wieder vergessen. Meist sind sie

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in dem Augenblick mit ihren eigenen Gedanken be- schäftigt oder

machen sich Sorgen über irgend etwas, und dann sehen sie uns,

ohne uns wirklich zu sehen. Und dann vergessen sie es eben

wieder. Wir haben da eine ziemlich eindrucksvolle Statistik.’’

,,Warum ist es notwendig, dass dieser Mann uns jetzt sieht?’’

,,Das weiss ich nicht genau. Vielleicht ist gerade seine

Wiedergabe des Erlebnisses wichtig für eine an- dere Person, die

wiederum aus anderen Gründen in-

teressant ist, oder vielleicht ist er selber auch was ganz Spezielles.

Ich werde mal mein Sensometer auf ihn richten.’’

Auf einem weiteren Bildschirm konnte man den- selben Mann

sehen, aber diesmal ganz durchsichtig! Mitten in seiner Brust

leuchtete ein goldenes Licht –

wunderschön!

,,Was ist das für ein Licht?’’

,,Man könnte vielleicht sagen, dass dieses Licht die Menge von

Liebe ist, die in ihm steckt …, aber so ganz

genau stimmt das nicht. Vielleicht sagen wir besser, dass es sich

um die Auswirkung der Liebeskraft auf seine Seele handelt. Das

ist dann sein Entwicklungs-

grad. Seiner misst 750 punkte.’’

,,Was heisst das denn nun?’’

,,Dass er interessant ist.’’

,,Interessant, warum?’’

,,Sein Entwicklungsstand ist für einen Erdenbe- wohner

ziemlich hoch.’’

,,Entwicklungsstand?’’ ,,Der Grad, der bestimmt, ob er einer Bestie ähnli- cher ist oder

einem Engel. Schau…’’ Auf dem Bild- schirm hatte Ami jetzt

einen Bären, der ebenso durch- sichtig aussah. Auch er trug ein

Licht in der Brust, aber

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das leuchtete viel weniger als das des Mannes. ,,Zwei- hundert

Punkte genau’’, mass Ami. Jetzt richtete er das Gerät auf einen

Fisch: das Licht war minimal. ,,Fünfzig Punkte’’, sagte Ami, und

dann erklärte er: ,,Der Durch- schnitt bei den Menschen auf der

Erde liegt bei 550 Punkten.’’

,,Und wie viel Punkte hast du, Ami?’’

,,760.’’

,,Was? Nur zehn Punkte mehr als der Jäger?’’ Ich war

überrascht über den winzigen Unterschied zwi-

schen einem Erdenmenschen und ihm.

,,Auf der Erde bewegt sich das Niveau zwischen 330 und 800

Punkten.’’

,,Einige von uns haben also mehr als du??’’

,,natürlich! Mein Vorteil ist nur, dass ich gewisse Dinge weiss,

die sie nicht wissen; aber es gibt hier sehr,

sehr wertvolle Menschen … Lehrer, Künstler, Kranken- pfleger,

Feuerwehrleute …’’ ,,Feuerwehrleute?’’

,,Nun, findest du es nicht edel, sein Leben für an dere zu

riskieren?’’

,,Da hast du recht. – Aber auch mein Onkel, der Atomphysiker,

ist sicher sehr wertvoll.’’

,,Er ist vielleicht berühmt. Sag mal, auf welchem Gebiet der

Physik betätigt sich denn dein Onkel?’’ ,,Er ist dabei, eine neue Waffe zu entwickeln, eine

mit Ultraschallwellen!’’

,,Er glaubt nicht an Gott … und stellt ausserdem Waffen her …

Ich glaube, dass er leider nur ein ziemlich

niedriges Niveau hat.’’

,,Was?? Aber er ist doch ein Weiser!!’’ protestierte ich.

,,Du verwechselst schon wieder die Dinge. Schau, dein Onkel

hat Informationen, aber Informationen

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haben heisst nicht notwendigerweise, dass man auch intelligent

ist, und noch viel weniger weise. Ein Com- puter kann ein sehr

eindrucksvoller Speicher von Daten sein, aber deshalb ist er doch

nicht intelligent! Findest du es zum Beispiel sehr intelligent, wenn

ein Mensch eine Grube gräbt, in die er selbst einmal fallen

wird?’’

,,Nein, aber . . .’’

,,Waffen wenden sich immer gegen diejenigen, die sie

erfinden.’’

Diese Aussage schien mir nicht so sonnenklar, aber ich wollte

ihm trotzdem glauben. Wer war ich denn schliesslich, um an

seinen Worten zu zweifeln?

Aber ich war schon ziemlich durcheinander: Mein Onkel war

immerhin mein Vorbild gewesen, so intelli- gent, wie der war!

,,Er hat einen guten >>Computer<< im Kopf, dein Onkel, das

ist alles’’, sagte Ami, der meine Gedanken las. ,,Es ist ein

Problem der Definition: Auf der Erde

wird jemand intelligent oder weise genannt, wenn er gute

Fähigkeiten in dem einen seiner Gehirne hat, aber wir haben schliesslich zwei davon!’’

,,Wie bitte??’’ ,,Eines im Kopf, das ist der Computer und das einzige, das ihr

anscheinend kennt. Das andere ist in der Brust, zwar nicht

sichtbar, aber es ist dort. Dieses Gehirn ist das wichtigere: Es ist

das Licht, das du in der Brust des Mannes auf dem Bildschirm

gesehen hast. Für uns ist jemand intelligent oder weise, wenn

seine beiden Gehirne im Gleichgewicht stehen. Ein gesun- des

Gleichgewicht haben bedeutet, dass das Gehirn, das im Kopfe

seinen Sitz hat, dem Gehirn in der Brust zu Diensten ist und nicht

umgekehrt wie bei den mei- sten eurer sogenannten

Intellektuellen.’’

69

,,Ami, du krempelst meine ganze Welt um! Aber ich glaub, ich

kapier es langsam. – Und was ist mit denen, die das Gehirn in der

Brust besser entwickelt haben als das Gehirn im Kopf?’’

,,Das sind die gutmütigen Dummen. Man kann sie leicht

hereinlegen, und die intelligenten Bösen tun das auch mit Wonne.

Man kann den Dummen sogar einre- den, dass sie das Rechte tun,

während sie in Wahrheit Schaden anrichten. Die Entwicklung des

Verstandes muss Hand in Hand gehen mit der Entwicklung des

Gemütes. Nur so kann jemand wirklich intelligent oder weise

werden. Nur so kann das Licht, das du gesehen hast, wachsen.’’

,,Und ich, Ami? Wieviel Punkte habe ich?’’

,,Das kann ich dir nicht sagen.’’

,,Warum nicht?’’

,,Wenn du eine hohe Punktzahl hättest, würdest du eitel werden

. . .’’

,,Ah, ich verstehe.’’

,, . . . aber wenn sie niedrig läge, wärest du viel- leicht sehr

gekränkt.’’ ,,Ah . . .’’

,,Stolz löscht das Licht aus. Der Stolz ist der Same des Bösen. Das wieder versand ich nicht so ganz.

,,Wir müssen versuchen, immer bescheiden zu sein. – Schau,

wir brechen schon wieder auf.’’ Augenblicklich waren wir wieder in den Bergen

des Himalaja, auf der anderen Seite des Planeten.

70

7. Kapitel

Unser Raumschiff wird gesichtet

In Sekundenschnelle bewegten wir uns auf ein fernes Meer zu,

überquerten es und gelangten zu ein paar Inseln. Dann gingen wir

über der Stadt Tokio nieder. Ich dachte mir, wir würden Häuser

mit diesen komischen Dächern sehen, die sich nach oben hoch-

biegen, aber was ich sah, waren hauptsächlich Wol- kenkratzer,

moderne breite Strassen, Parks und Autos.

,,Wir werden gesichtet’’, sagte Ami und zeigte auf das Licht am

Armaturenbrett.

Auf den Strassen liefen die Leute zusammen und zeigten mit den Fingern auf uns. Wieder spielten die Aussenlichter

in allen Farben. Wir standen ziemlich hoch und blieben dort für

ungefähr zwei Minuten sichtbar.

,,Noch eine Sichtung’’, erklärte Ami, während er die Zeichen

auf seinem Bildschirm beobachtete. ,,Unser Standort wird verändert werden.’’

Mit einem Male erlosch das Tageslicht; hinter den Fenstern

funkelten die Sterne. Man konnte kaum etwas erkennen: in der

Ferne eine kleine Stadt, wenige

Lichter, dann einen Weg, auf dem uns ein Auto entgegenkam. Ich

stellte mich neben Ami vor den Bild- schirm. Dort war das gesamte Panorama hell ausge- leuchtet. Alles, was man wegen der Dunkelheit mit den Augen

nicht wahrnehmen konnte, erschien auf dem Bildschirm so wie bei

Tageslicht. Das Auto, das lang- sam näher kam, war grün; drinnen

sassen ein Mann und

71

eine Frau, anscheinend ein Ehepaar.

Wir standen auf etwa zwanzig Meter Höhe und waren, unseren

Lichtsignalen zufolge, weithin sicht- bar. Ich wollte mir alles

weitere auf dem Bildschirm ansehen, ich kriegte es dort viel

genauer mit als selbst in der Wirklichkeit.

Als das Fahrzeug in unserer Nähe war, blieb es am Wegesrand

stehen, und die Insassen stiegen aus. Sie begannen zu schreien und zu gestikulieren, während

sie und mit weit aufgerissenen Augen anstarrten.

,,Was sagen sie?’’ fragte ich.

,,Sie wollen Kontakt aufnehmen, mit uns in Verbin- dung

treten. Dieses Ehepaar studieret Ufos oder, besser

gesagt, sie beten die Ausserirdischen an.’’

,,Dann nimm doch Kontakt mit ihnen auf’’, drängte ich, etwas

besorgt wegen dieser aufgeregten Leute.

Sie waren nun niedergekniet und schienen zu beten Oder so

was…

,,Das kann ich nicht so einfach, ich muss die stren- gen Befehle des Nothilfeprogramms befolgen. Die

Kommunikation erfolgt nicht, wenn jemand es gerade so möchte,

sondern wenn es von oben beschlossen wird. Ausserdem könnte

ich bei so einem Anbetungs- theater nicht mitmachen, das ist

Idolatrie.’’

,,Was ist Idolatrie?’’

,,Eine Verletzung des Universalgesetzes’’, antwor- tete Ami

ernst. ,,Worin besteht sie?’’ Ich war neugierig.

,,Sie glauben, dass wir Götter sind.’’ ,,Und wäre das so schlimm?’’

,,Nur Gott darf man anbeten, alles andere ist Ido- latrie. Es

wäre eine grosse Respektlosigkeit, wenn wir versuchten, den

Platz Gottes einzunehmen, den uns die abwegige Religiosität

dieser armen Leute zuwei-

72

sen möchte . . . Wenn sie uns als Brüder betrachten würden, wäre

das etwas anderes.’’

Ich schlug vor, dass Ami diese Leute über ihren Irrtum

aufklären sollte.

Als Ami meine Gedanke auffing, sagte er: ,,Pe- drito, in den

unzivilisierten Welten des Universums gibt es so viele

schreckliche Dinge. Allein in diesem

Augenblick werden auf vielen Planeten unzählige Menschen

wegen Ketzerei lebendig verbrannt, so wie es früher, vor

Jahrhunderten, auf der Erde geschah.

Und in diesem selben Augenblick gibt es Fische unten im Meer,

die andere lebendige Fische fressen. Dieser Planet ist nicht sehr

entwickelt. Genauso wie die Men-

schen verschiedene Entwicklungsebenen haben, haben es auch

die Planeten. Die Gesetze, die das Leben in den niedrigen Welten

bestimmen, erscheinen

uns sehr grausam. Die Erde wurde vor ein paar Millio- nen Jahren

auch von anderen Gesetzen regiert, alles war aggressiv und giftig,

alles hatte Krallen und

scharfe Schneidezähne. Da das Entwicklungsstadium heute höher

ist, gibt es jetzt mehr Liebe. Aber man

kann immer noch nicht sagen, dass dies eine höher entwickelte

Welt wäre! Es gibt noch sehr viel Brutalität.

– Schau . . .’’

Er stellte einen der Bildschirme ein, der uns sofort eine

Kampfszene vor Augen führte: Von einigen Pan-

zern aus beschossen Soldaten Gebäude, bewohnte Gebäude, in

denen es Männer, Frauen und Kinder gab! ,,Das passiert hier in diesem Augenblick, Pedrito,

in einem Land auf dieser Erde! – Aber wir können nichts tun,

denn wir dürfen in den Entwicklungsstand von Planeten, Ländern

oder Personen nicht eingreifen; denn letzten Endes ist alles ein

Lernweg. Ich bin auch mal ein wildes Tier gewesen und wurde

von anderen

73

wilden Tieren zerrissen. Ich war ein Mensch auf niede- rer

Entwicklungsstufe; ich habe getötet und wurde getötet, ich bin

grausam gewesen, und man war grau- sam zu mir. Ich bin viele Male

gestorben und habe nach und nach gelernt, in Harmonie mit dem

Grundge- setz des Universums zu leben. Jetzt ist mein Leben besser,

aber ich kann mich nicht gegen das Entwick- lungsystem stellen, das

von Gott erschaffen wurde.

Dieses Ehepaar verletzt das Universalgesetz, indem es uns mit

etwas so Erhabenem und Majestäti-

schem vergleicht wie Gott. Sie entziehen ihm dadurch ihre Gefühle

der Liebe und Verehrung, um sie auf uns zu richten. Auch die

Soldaten, die wir eben gesehen

haben, verletzen das Universalgesetz: >>Du sollst nicht töten<<. Sie

werden für ihren Irrtum bezahlen, und so lernen sie nach und nach.

Nur Menschen oder auch Welten, die einen gewis- sen

Entwicklungsgrad erreicht haben, können unsere Hilfe erhalten,

sonst verletzen wir die Gesetze des all-

gemeinen Entwicklungssystems.’’ Ich hatte bei weitem nicht alles verstanden; erst später, als ich

über Amis Worte nachdenken konnte, wurde mir einiges klar. Da

war mein Freund aber schon längst nicht mehr hier. Ich konnte erst

nach seiner abreise dies hier alles aufschreiben, mehr oder weni- ger

so, wie er es gesagt hatte.

Während wir darauf warteten, dass uns der Super- computer

umsituieren würde, stellte Ami das japani- sche Fernsehen ein. Es

lief gerade eine Nachrichten- sendung, die Ami mit seinem üblichen

guten Humor begleitete. Ein Journalist, der ein Mikrofon in der

Hand hielt, interviewte die Leute auf der Strasse. Eine Frau

gestikulierte und zeigte zum Himmel, während sie sprach. Ich

verstand natürlich nichts, aber ich bekam

74

schon mit, dass sie von ihrem Ufo-Erlebnis erzählte, von uns also

… Auch andere Leute gaben ihre Meinung über den Vorfall ab.

,,Was sagen sie?’’ fragte ich.

,,Dass sie ein Ufo gesehen haben …, wie verrückt manche

Leute sind!’’ kommentierte er lachend. Dann erschien ein Mann mit Brille, der Kreise auf

eine Tafel zeichnete und sie dann erklärte. Es handelte sich um

eine Darstellung des Sonnensystems, der Erde und der anderen

Planeten. Er sprach ziemlich lange. Anscheinend verstand Ami

die Sprache, weil er die Sendung sehr unterhaltsam fand; er hatte

ja einen Übersetzer!

,,Was sagt er?’’ fragte ich wieder.

,,Er sagt, dass aufgrund seiner Ausführung wissen- schaftlich

bewiesen sei, dass es ausserhalb der Erde in

der ganzen Galaxis kein intelligentes Leben gebe. Ausserdem sagt

er, dass die Leute, die das vermeintliche Ufo gesehen hätten, an

einer Massenhalluzination lit-

ten und er ihnen empfehle, zum Psychiater zu gehen.’’

,,Im Ernst?’’ fragte ich lachend.

,,Im Ernst’’, sagte Ami, ebenfalls lachend. Der Wissenschaftler

redete immer noch.

,,Und was sagt er jetzt?’’

,,Dass es vielleicht eine Zivilisation gebe, die eben- so

fortgeschritten sei wie diese, aber nach seinen

Berechnungen bestenfalls eine auf zweitausend Gala- xien.’’ ,,Und was heisst das nun wieder?’’

,,Das heisst: wenn der Arme erst einmal erfährt, dass es in

dieser Galaxie allein Millionen von Zivilisationen gibt, dann wird

er selbst verrückt, noch verrückter, als er jetzt schon ist.’’

Wir lachten eine Weile darüber. Es war lustig,

75

einem Wissenschaftler zuzuhören, der behauptete, dass Ufos

nicht existierten, während ich das Programm von einem Ufo aus

ansah!

Wir blieben fast eine Stunde an jenem Ort, bis sich das Licht

der Sichtbarkeit ausschaltete. ,,,Jetzt sind wir frei’’, sagte Ami.

,,Dann können wir weiter spazieren fahren?’’ fragte ich. ,,Natürlich, wo möchtest du jetzt hin?’’

,,Hmm … zu den Osterinseln.’’

,,Dort ist jetzt Nacht, schau… ‚’ Wir waren schon dort!

,,Sind das die Osterinseln?’’

,,Ja, genau.’’

,,Wie ungeheuer schnell!’’

,,Das findest du schnell? Warte, schau jetzt zum Fenster

hinaus.’’ Wir befanden uns über einer sehr komischen

Wüste; der Himmel war dunkel, fast schwarz, es war ein etwas

bläulicher Mond zu sehen. ,,Und wo sind wir jetzt? In – Arizona?’’

,,Auf dem Mond.’’

,,Auf dem Mond?’’ Ich sah mir die Scheibe genauer an, die ich

für den Mond gehalten hatte. ,,Dann ist das da . . . ?’’ half Ami nach.

,,Die Erde!!’’

,,Ja, die Erde. Dort schläft deine Grossmutter.’’

Ich war überwältigt. Es war wirklich die Erde! Man konnte ihre

schöne blaue Farbe sehen. Es schien mir

unglaublich, dass etwas so Kleines eine solch grosse menge von

Dingen fassen konnte, Berge, Meere … Und

ohne zu wissen warum, stiegen in mir einige Bilder aus

meiner Kindheit hoch: ein kleiner Bach, eine moos-

überwachsene Mauer, Bienen im Garten, ein Ochsen-

76

karren, ein Sommernachmittag . . . All das war dort ge- wesen,

auf dieser kleinen blauen Kugel, die zwischen den Sternen

schwebte. Auf einmal sah ich die Sonne. Sie war ein entfernter

Stern, aber sie blendete mehr als auf der Erde.

,,Warum sieht sie so klein aus?’’

,,Weil es hier keine Atmosphäre gibt. Die Atmo sphäre wirkt

wie eine Vergrösserungslinse, wie eine Lupe. Von der Erde aus scheint sie grösser als von hier

aus. Aber wenn diese Spezialfenster hier im Raum- schiff nicht

wären, würde dich diese kleine Sonne ver- brennen, eben weil es keine Atmosphäre gibt, die ge-

wisse Strahlen filtert, welche für Menschen schädlich sind.’’ Auf dem Mond gefiel es mir nicht sonderlich, von

der Erde sah er viel schöner aus. Es war eine traurige,

furchterregende Stätte. ,,Könnten wir nicht an einen schöneren Ort

gehen?’’

,,Einen bewohnten?’’

,,Natürlich. Aber nicht von Monstern!’’

,,Da müssen wir sehr weit gehen’’, meinte Ami und bewegte

seine Kontrollhebel. Das Raumschiff zitterte

leicht, die Sterne wurden plötzlich zu Strichen, und vor den

Fenstern erschien eine Art weisser, glänzender Nebel, der

vibrierte.

,,Was ist los?’’ fragte ich erschrocken.

,,Wir sind schon dabei, uns zu stationieren.’’

,,Stationieren?’’ ,,Auf einem sehr weit entfernten Planeten. Wir müs- sen schon

ein paar Minuten warten. Inzwischen kön- nen wir ja Musik

hören.’’

Ami drückte auf einen Knopf am Armaturenbrett und leise,

eigenartige Töne begannen den Raum zu

77

erfüllen. Mein Freund schloss die Augen und genoss die Musik.

Es waren ganz andere Klänge, als ich bisher ge- hört hatte.

Plötzlich eine ganz tiefe Vibration, die an-

hielt und den Kommandoraum erzittern liess, dann ein ganz hoher

Ton, der plötzlich abbrach, und dann Schweigen während einiger

Sekunden. Dann hörte

man ganz schnelle Töne, die rauf- und runtergingen, dann wieder

das tiefe Brummen, das sich langsam heraufschraubte, während

eine Art von Brüllgeräu-

schen und Glockengeläut im Wechsel einen Rhythmus erzeugten.

Ami schien sich in Ekstase zu befinden. Ich dachte, dass er diese Melodie sehr gut kennen musste, weil er mit

den Lippen oder mit einer Handbewegung schon im vorhinein

anzeigte, was kommen würde. Es tat mir leid, ihn unterbrechen zu

müssen, aber diese Art von Musik ging mir auf die Nerven.

,,Ami!’’ rief ich, aber er reagierte nicht; er war ganz auf seine

Musik konzentriert, die für mich so klang wie eine elektrische Störung in einem UKW-Sender.

,,Ami!’’ rief ich noch einmal.

,,Oh, entschuldige, was ist?’’

,,Entschuldige du bitte, aber das da gefällt mir überhaupt

nicht!’’ ,,Natürlich nicht. – Diese Musik muss man hören

lernen, - Ich werde etwas suchen, was dem näher- kommt, was du

schon kennst.’’

Er drückte auf einen besonderen Knopf in einer ganzen Reihe. Sofort ertönte eine Musik, die mir auf

Anhieb gefiel. Sie war lustig und hatte Rhythmus. Das tragende

Instrument klang so etwa wie das Pfeifen

einer schnellen Dampflokomotive.

,,Wie angenehm! Was ist das für ein Instrument,

78

das wie ein D-Zug pfeift?’’

,,Um Himmels willen!’’ rief Ami und tat so, als wäre er

entsetzt. ,,Du hast eben die herrlichste Kehle meines Planeten

beleidigt, indem du seine wunderbare

Stimme mit dem Pfeifen einer Dampflok verglichen hast.’’ ,,Entschuldige bitte, das wusste ich nicht, aber …

doch, er pfeift sehr gut’’, sagte ich, um meinen Tritt ins

Fettnäpfchen wieder gut zumachen.

,,Blasphemie!! Ketzerei!!’’ schrie Ami und tat so, als

ob er sich die Haare raufen wollte. ,,Unwissender! Zu sagen, dass

das Glorioseste, was es in meiner Welt gibt, pfeift!!!’’

Schliesslich brachen wir beide in ein lautes Ge- lächter aus.

Die Musik lud zum Tanzen ein. ,,Dafür ist sie ge-

dacht’’, sagte Ami, ,,lass uns tanzen.’’ Er federte mit einem

Sprung aus dem Sessel und begann zu tanzen, indem er in die

Hände klatschte.

,,Tanz, tanz!’’ machte er mir Mut. ,,Lass dich gehen, du willst

doch tanzen. Nur das, was eigentlich nicht du

bist, will es dir nicht erlauben! Lerne, die Freiheit zu erlangen, du

selbst zu sein! Befreie dich!’’

Ich liess meine angeborene Schüchternheit fallen

und begann zu tanzen. ,,Bravo’’, gratulierte Ami. Wir tanzten

beide ziemlich lange, voller Begeisterung. Ich

fühlte mich unendlich froh, so wie damals am Strand, als wir

gemeinsam in die Luft sprangen und schweb- ten . . .

Dann hörte die Musik auf. ,,Jetzt werden wir uns etwas entspannen’’, schlug Ami vor und

wandte sich wieder seinen Knöpfen zu. Er drückte einen, und es

ertönte klassische Musik, etwas, was ich kannte.

79

,,Hör zu’’, sagte ich, ,,das ist von der Erde.’’

,,Natürlich. Bach!’’ antwortete er. ,,Es ist wunder- bar. Gefällt

es dir nicht?’’ ,,Doch, und dir gefällt das auch?’’

,,Aber ja, sonst hätte ich es nicht in meinem Raum- schiff.’’

,,Ich dachte schon, dass alles, was wir haben, für

die Ausserirdischen unzivilisiert ist.’’

,,Da bist du vollkommen im Irrtum. Hör dir das an …’’, und er

drückte auf einen weiteren Knopf.

,,Imagine there’s no country it isn’t hard to do.’’

,,Aber . . . , das ist ja von John Lennon, von den Beatles!’’ Ich

war sehr überrascht, dass sogar die Songs

der Beatles für die Ausserirdischen einen Wert zu haben schienen.

,,Pedrito’’, sagte Ami, ,,wenn eine Musik gut ist, dann ist sie universell gut. Die gute Musik der Erde wird auf

verschiedenen Galaxien gesammelt, genauso wie gute Musik

irgendeiner anderen Welt und einer anderen Zeit. Dasselbe gilt für

alles, was Kunst ist. Wir bewahren Filme und Aufnahmen von

allem, was an Kunst auf deinem Planeten gemacht wird. Die

Kunst ist die Sprache der Liebe, und die Liebe ist universell. Lass

uns das hier noch anhören: Imagine all the people living life in

peace.’’

Ami hörte die Musik mit geschlossenen Augen Und schien

jeden Ton zu geniessen. Als John Lennon zu ende gesunden hatte, waren wir bereits in einer

anderen bewohnten Welt gelandet.

ZWEITER TEIL

83

8. Kapitel

Ofir

Der weisse Nebel löste sich auf, und wir tauchten in eine

himmelblaue Atmosphäre ein. Sie hatte eine strahlende Farbe; es

war so, als schwebte das Himmel- blau um uns herum, statt über

uns zu sein wie auf der Erde. Wir befanden uns inmitten eines

strahlenden bläulichen Nebels, der die Sicht aber keineswegs be-

hinderte.

Unten erschienen einige Wiesen von einer zart- orangenen

Farbe. Wir gingen langsam tiefer. Alles sah wie eine besonders

schöne Herbstlandschaft aus.

,,Schau dir die Sonne an’’, riet Ami. Hoch über mir stand eine riesige rote Scheibe, die von der

Atmosphäre nur leicht verschleiert war. Ich schätzte sie auf etwa

fünfzigmal so gross wie unsere

Erdsonne.

,,Vierhundertmal’’, korrigierte mich Ami, der wie- der einmal

meine Gedanken angezapft hatte.

,,So gross sieht sie nun auch wieder nicht aus.’’ Weil sie sehr

weit weg ist.’’ ,,Was ist das hier für eine Welt?’’

,,Das ist der Planet Ofir. Seine Bewohner stammen von der

Erde.’’ ,,Wie bitte?’’ fragte ich überrascht.

,,Es gibt so vieles, was ihr in eurer Welt nicht wisst, Pedrito. –

Vor Tausenden von Jahren gab es auf der Erde mal eine

Zivilisation, die der euren sehr ähnlich war. Das Niveau der

Wissenschaft war damals sehr viel

84

höher gestiegen als das Niveau der Liebe . . . , und da sie sich

ausserdem nicht einig waren, geschah eben das, was geschehen

musst . . .’’

,,Sie haben sich selbst zerstört?’’ ,,Vollständig! Nur wenige Menschen überlebten, weil sie

gewarnt worden waren und in andere Konti- nente fliehen

konnten. Aber trotzdem waren die Über- lebenden durch die

Auswirkungen der Katastrophe sehr mitgenommen und mussten

praktisch wieder von vorne anfangen. – Du bist übrigens ein

Resultat aus alledem: Du stammst nämlich von diesen Überleben-

den ab!’’

,,Was? Ich??? – Und ich dachte, dass alles so an- gefangen hat,

wie es in unseren Geschichtsbüchern steht, von Null an … Höhlen, Urmenschen und so wie-

ter … Und die Leute von Ofir, wie sind die hierherge-

kommen?’’ ,,Wir haben sie gebracht. Wir haben alle die geret-

tet, die 700 Punkte hatten oder mehr, den guten Samen! Wir

nahmen sie von der Erde weg, kurz bevor

die Katastrophe eintrat. Es waren nur sehr wenige, der

Durchschnitt der Menschheit stand damals gerade bei 450

Punkten, hundert weniger als bei euch jetzt … Ja,

ja, die Erde hat sich schon entwickelt!’’

,,Heisst das, dass ihr einige von uns jetzt auch retten würdet,

wenn sich auf der Erde wieder eine Katastro-

phe ereignete?’’

,,Alle die, Welche mehr als 700 Punkte hätten! Jetzt wird es

viel mehr Gerettete geben als damals.’’

,,Und ich, Ami, habe ich 700 Punkte?’’ Er lachte über meine Besorgnis. ,,Ich habe die Frage erwartet,

aber ich sagte dir schon, dass ich sie nicht beantworten kann.’’

,,Wie kann man wissen, ob man 700 Punkte hat

85

oder mehr?’’

,,Das ist sehr einfach: Alle die, welche uneigennüt- zig für das

Wohl der anderen arbeiten, haben über 700 Punkte.’’

,,Du sagtest doch, dass alle von uns ihr Bestes tun.’’

,,Wenn ich sage die anderen, meine ich mehr als nur die kleine

Familiengruppe, den Club oder sonst

was Privates, und wenn ich sage für das Wohl, so denke ich an

etwas, was nicht gegen das Grundgesetz des Universums

verstösst.’’

,,Schon wieder dieses Gesetz! Könntest du es mir jetzt nicht

näher erklären?’’

,,Noch nicht, hab noch etwas Geduld.’’

,,Und warum ist es so wichtig?’’

,,Weil man den Unterschied zwischen gut und

böse nicht wissen kann, wenn man dieses Gesetz nicht kennt.

Viele töten im Glauben, etwas Gutes zu tun, sie kennen das Gesetz nicht! Andere foltern, stellen Waf-

fen her, zerstören die Natur und glauben auch, dass sie das

Richtige tun. Tatsache ist, dass sie alle etwas sehr

Böses tun, aber sie wissen es nicht, weil sie eben das Grundgesetz

des Universums nicht kennen! Sie wer- den aber trotzdem für ihre

Übertretungen bezahlen

müssen.’’

,,Weißt du, ich hätte nie gedacht, dass es etwas so Wichtiges

gibt!’’

,,Und ob es wichtig ist! – Für den Augenblick

schau dir die Welt von Ofir an, da kannst du viel lernen. Hier

leben nämlich alle nach diesem Gesetz.’’

Ich setzte mich in den Sessel neben Ami, um diese schöne Welt

auf dem Bildschirm zu betrachten . Ich

war schon sehr neugierig auf ihre Bewohner.

Wir bewegten uns langsam, in einer Höhe von etwa

dreihundert Metern. Ich sah viele andere Raum-

86

schiff, die dem unseren ähnlich waren Nähe stellte ich fest,

dass es bei ihnen sehr unterschiedliche Formen und Grössen gab.

Grosse Berge schien es hier nicht zu geben, auch keine

Wüsten. Alles war von einer vielfarbigen Vegeta- tion überzogen; Töne von Grün und Braun bis zu

einem Orange in allen Schattierungen herrschten vor. Es gab viele

Hügel, Seen, Flüsse und Lagunen; die ganze Landschaft wirkte ausgesprochen paradiesisch.

Man konnte auch einige Bauten sehen, die im Halbkreis um ein

zentrales Gebäude standen. Überall gab es Pyramiden mit und ohne Treppen, auf Dreieck-

oder auf Viereckbasis, und es gab auch viele Bauten in Form

eines Halbkreises in verschiedenen hellen Far- ben, hauptsächlich aber in Weiss.

Dann konnte ich plötzlich auch die Bewohner die- ser schönen

Welt sehen. Sie gingen auf den Wegen hin und her und plantschten in den Flüssen und Lagunen.

Sie sahen tatsächlich wie menschliche Wesen aus, zumindest aus

der Ferne. Alle trugen sie Weisse Gewän-

der, die sich nur durch verschiedenfarbige Bänder und Bordüren

voneinander abhoben.

Nirgends war eine Stadt zu entdecken.

,,Es gibt keine Städte auf Ofir’’, sagte Ami, ,,über- haupt in

keiner zivilisierten Welt! Städte sind prähisto- rische

Siedlungsformen.’’

,,Und warum das?’’

,,Aus den verschiedensten Gründen. Städte haben eine Menge

Nachteile: Zu viele Menschen auf demsel-

ben Fleck verursachen immer eine Unausgeglichen- heit, die

sowohl für die Menschen wie auch für den

Planeten schädlich ist. Auch die Planeten sind nämlich

Lebewesen, die mehr oder weniger weit entwickelt sind. Nur

Leben erzeugt Leben. Alles hängt zusam-

88

men, alles ist miteinander in Verbindung. Was mit der Erde

geschieht, hat auch Einfluss auf die Menschen, die auf dieser Erde

leben, und umgekehrt.’’

,,Und warum verursachen viele Menschen auf einem Fleck eine

Unausgeglichenheit?’’ ,,Weil sie nicht glücklich sind! Und die Erde spürt

das! Menschen brauchen Raum, freie Natur, Erde, Pflanzen,

frische Luft…’’ ,,Die Höherentwickelten auch?’’ fragte ich über-

rascht. Ami malte mir das Bild einer Zukunftsgesell- schaft, die

ungefähr so lebte wie auf dem Bauernhof. Und ich hatte gedacht, dass sich alles ganz im Gegen-

teil in künstlichen Städten abspielen würde, in fe- stundsartigen

Riesengebäuden, die im Weltraum schweben, in unterirdischen Metropolen, alles aus Pla-

stik, so wie man es uns in den Filmen weismacht.

,,Besonders die Höherentwickelten’’, bekräftigte Ami. ,,Und ich dachte, es wäre gerade umgekehrt.’’

,,Wenn ihr auf der Erde nicht alles umgekehrt.’’ dächtet, wäret

ihr nicht schon wieder an dem Punkt der Selbstzerstörung

angelangt.’’

,,Und die Menschen auf Ofir? Möchten die nicht wieder auf die

Erde zurück?’’ ,,Nein, niemals.’’

,,Und weshalb nicht?’’

,,Sie haben das alte Nest verlassen. Erwachsene gehen nicht in

die Wiege zurück, sie ist ihnen zu eng.’’ ,,Wir gelangten in die Nähe einiger niedriger sehr

moderner Bauten und gingen tiefer.

,,Dies hier ist etwas, was auf einem zivilisierten Planeten einer

Stadt noch am nächsten kommt. Sagen wir, es ist eine Art

Zentrum für Organisation, Verteil- lung und für kulturelle

Veranstaltungen. Die Men-

89

schen kommen ab und zu hierher, holen sich, was sie brauchen,

oder wohnen einer künstlerischen, kulturel- len oder geistigen

Veranstaltung bei. Aber niemand lebt hier.’’

Ami hielt das Raumschiff etwa fünf Meter über dem Boden an

und sagte: ,,Jetzt wirst du deine jahrtau- sendealten Vorfahren

kennenlernen.’’

,,Werden wir das Raumschiff verlassen?’’

,,Auf keine Fall! Deine Viren könnten die gesamte

Bevölkerung dieses Planeten ausrotten!’’

,,Und warum schaden sie dir nicht?’’

,,Ich bin geimpft. Aber trotzdem muss ich mich einer

Reinigungskur unterziehen, bevor ich meinen.

eigenen Planeten wieder betreten darf.’’

Wir sahen viele Leute vor dem Zentrum. Als einer von ihnen

dicht unter den Fenstern des Raumschiffes

vorbeiging, erschrak ich mächtig: das waren Riesen!

,,Ami, das sind keine Erdenbewohner, das sind Mon- ster!’’

,,Warum? Weil sie nur drei Meter gross sind?’’ wit- zelte Ami. ,,Was sagst du? Drei Meter?’’

,,Mehr oder weniger, aber sie selbst kommen sich nicht

besonders gross vor.’’ ,,Aber du sagtest doch , dass sie von der Erde kom-

men, und dort sind die Leute nur etwas mehr als halb so gross.’’ ,,Ich sagte dir, dass die Überlebenden damals sehr

geschädigt waren durch die inneren und äusseren Tumulte, vor

allem aber durch Strahlung. All das hat

dazu geführt, dass die Menschen Wachstumsschäden erlitten. –

Aber wenn sie den jetzigen Lebensrhyth-

mus beibehalten, werden sie in ein paar hundert Jah- ren wieder

ihre natürliche Grösse erreicht habe . . .

90

wenn sie überleben!’’

Niemand achtete auf uns. Die Menschen hatten eine eher

dunkle Haut! Sie waren schlank mit schma- len Hüften und

breiten, hohen Schultern. Manche von ihnen trugen Gürtel, die

dem von Ami ähnlich waren. Alle sahen sie sehr ruhig aus,

entspannt und liebens- würdig. Sie hatten grosse, strahlende

Mandelaugen,

aber nicht wie die der Asiaten, sondern eher so wie die der Leute

auf den altägyptischen Malereien. Ihr Aus- druck war von tiefer

Spiritualität.

,,Dies hier sind die vorfahren der Ägypter, der Mayas, der

Inkas, der Griechen, Kelten und andere mehr’’, erklärte Ami. ,, All diese Kulturen waren Überre-

ste der Atlantischen Zivilisation. Dies hier sind die direkten

Nachkommen der Atlanter.’’ ,,Atlantis! Der verlorene Kontinent!’’ rief ich aus.

,,Ich hatte immer gedacht, das sei nur eine Sage.’’

,,Beinahe alle sagen in deiner Welt sind wirklicher als die

düstere Wirklichkeit, in der ihr lebt.’’

Man sah kaum einzelne Fussgänger; meist standen die Leute in

Gruppen zusammen. Sie umarmten sich,

während sie miteinander sprachen, berührten sich am Arm oder

an der Schulter, manche fassten sich an den

Händen. Wenn sie einander trafen oder auseinader- gingen, waren

sie sehr liebevoll miteinander, sie schie- nen fröhlich und

unbeschwert.

,,Wie ich dir schon gesagt habe,’’ – Ami hatte meine Gedanken

erfasst - ,,sie sind frei von Sorgen. Sie sorgen sich nicht wegen der

Dinge, sondern sie

sorgen für die Dinge. Es wäre schön, wenn du das auch lerntest.’’

,,Warum freuen sie sich denn so?’’ Ich musste an

unsere Städte denken und an die Menschen, die immer so ernst

und mit abwesendem Blick durch die Strassen

91

hasten. Hier hingegen schien alles ein einziges Fest zu sein.

,,Weil sie leben … Ist das vielleicht nichts?’’

,,Und sie haben keine Probleme?’’

,,Sie haben Herausforderungen, keine Probleme. Hier ist alles

in Ordnung.’’ ,,Mein Onkel sagt, das Leben sei nur dann sinnvoll,

wenn man Probleme zu lösen habe. Er ist davon über- zeugt, dass

sich ein Mensch erschiessen würde, wenn er keine Probleme

habe.’’

,,Die Sache mit deinem Onkel ist die, dass er sich auf die

Probleme des Intellekts bezieht; er hat nur die eine seiner

Gehirnhälften aktiviert. Er ist ein Computer

auf zwei Beinen! Der Intellekt ist ein Computer, der nie aufhört

zu funktionieren, ausser wenn eine gewisse Entwicklung in der

anderen Gehirnhälfte einsetzt, im

Emotionellen. Wenn der Intellekt kein Problem findet, das er

lösen muss, wenn er keine Puzzle hat, nichts, worüber er sich den

Kopf zerbrechen muss, dann kann

er wirklich verrückt werden und sich erschiessen!’’

Mir wurde plötzlich bewusst, dass das alles auch auf mich

zutraf: auch ich bin immer in Gedanken, habe immer was zu

knobeln!

,,Was gibt es denn noch ausser Denken?’’

,,Spüren, geniessen, was du siehst, die Töne hören, anfassen,

bewusst atmen, streicheln, riechen, schmek-

ken, fühlen, den Moment geniessen … Sag, bist du in diesem

Augenblick glücklich?’’ ,,Ich weiss nicht …’’ ,,Wenn du auch nur einen Augenblick aufhören würdest zu

denken, wärest du glücklich! Stell dir vor, du bist in einem

Raumschiff, befindest dich in einer Welt, die Lichtjahre von

deiner Erde entfernet ist, du betrachtest einen zivilisierten

Planeten, der von den

alten Atlantern bewohnt ist … und du weißt nicht, ob du glücklich

bist??! – Anstatt so viele dumme Fragen zu stellen, solltest du

dich gründlich umsehen und den Augenblick geniessen!’’

Ich spürte, dass Ami recht hatte, aber etwas in mir zweifelte

immer noch, und ich musste es ihm sagen. ,,Dann nützt also das Denken überhaupt nichts?’’

,,Das ist wieder so ein typischer Erdenbürger- schluss’’, lachte

Ami in komischer Verzweiflung. ,,Wenn es nicht das Beste ist,

muss es natürlich das Schlechte- ste sein; wenn es nicht weiss ist,

muss es unbedingt schwarz sein; wenn es nicht vollkommen gut

ist, dann muss es bösartig sein; wenn nicht Gott, dann der Teu-

fel! Das ist mentaler Extremismus!! Natürlich nützt das Denke

etwas! Ohne das Denke wärest du ein Vege-

tal. Aber das Denken ist nicht die höchste menschliche

Errungenschaft.’’ ,,Welche ist es dann … geniessen?’’

,,Um etwas geniessen zu können, musst du erst ein- mal

merken, dass du geniesst.’’ ,,Und etwas merken ist nicht denken?’’

,,Nein. Etwas merken ist eine Wahrnehmung, und

Wahrnehmung beruht nicht auf dem Verstande, es ist

mehr als Verstand.’’

,,Dann ist die Wahrnehmung das höchste’’, fol- gerte ich,

schliesslich schon etwas erschöpft von die-

sem tiefen Wasser, in das ich mich da mit meinen Frage

hineinbegeben hatte.

,,Auch nicht’’, sagte Ami mit einem geheimnisvol- len Lächeln. ,,Ich werde dir ein Beispiel geben. Erin- nerst du

dich an die eigenartige Musik, die du vorhin gehört hast? Die

erste, die ich ausgesucht hatte.’’

,,Ja, aber die gefiel mir gar nicht.’’

,,Du hast gemerkt, dass es eine eigenartige Musik

92

93

war, das war Wahrnehmung. – Aber sie hat dir nicht gefallen.’’

,,Nein, wirklich nicht.’’

,,Dann ist also Wahrnehmung nicht genug, um etwas zu

geniessen.’’ ,,Du hast recht … was fehlt da noch?’’

,,Das wichtigste. Die zweite Musik hast du doch geniessen

können, nicht wahr?’’ ,,Ja, weil sie mir gefallen hat.’’

,,Aha!’’ Amie strahlte mich an. ,,Gefallen finden ist eine Form

der Liebe. Ohne Liebe gibt es keinen Genuss, ohne Wahrnehmung auch nicht. Wie du siehst ist das

Denken hier auf einem bescheidenen dritten Platz ge- landet, was

die menschlichen Möglichkeiten anbe- trifft. Den ersten Platz nimmt die Liebe ein. Wir zum

Beispiel können alles lieben, daher können wir auch alles

geniessen. Dir hat es auf dem Monde nicht gefal- len, mir schon! Ich kann mehr geniessen als du, daher

bin ich glücklicher als du.’’

,,Dann ist also die Liebe der höchste menschliche Ausdruck?’’ ,,Na endlich, bravo, Pedrito!’’

,,Und wissen die das bei uns auf der Erde?’’

,,Hast du es gewusst? Hat man es dich in der Schule gelehrt?’’

,,Nein.’’

,,Man steht dort noch auf der dritten Stufe, auf der Stufe des

Denkens. Deshalb geltend bei euch auch alle Mensche, die viel

denken, als weise.’’

,,Und wie kommt es, dass uns so etwas Einfaches entgangen

ist?’’

,,Weil ihr nur ein einziges Gehirn benutzt! Das

Denken kann die Liebe nicht begreifen. Die Gefühle sind keine

Gedanken. Manche eurer Weisen haben so

94

viel nachgedacht, dass sie zu dem Schluss gekommen sind,

Gefühle seien etwas Primitives, das durch Denk- ken ersetzt

werden müsse, und auf diesem Wege haben sie Theorien

konstruiert, die es für gut und in der Ordnung befinden, Kriege zu

führen, unehrlich zu sein und die Natur zu zerstören. Und jetzt ist

die ganze Menschheit in Gefahr, ausgelöscht zu werden, alles

wegen dieser intelligenten Gedanken und ach so bril- lanten

Theorien …!’’

,,Du triffst ins Schwarze, Ami’’, seufzte ich, ,, wir auf der Erde

denken vermutlich alles verkehrt herum!’’ ,,Dann schau dir hier die Welt gut an. Auf Ofier sind

die Dinge nicht verkehrt herum.’’

Die Aufregungen des Tages, all die neuen Dinge, die Amir mir

sagte, hatten mich sehr müde gemacht.

Durch die Fenster sah ich diese Riesenmenschen vor den

weissglänzenden Gebäuden, Kinder, die zwei

Meter gross waren; Ich sah fliegende Fahrzeuge und Gefährte, die

sich am Boden bewegten … Aber ich

konnte mich nicht mehr richtig konzentrieren, ich war einfach zu

müde.

,,Weisst du, wie alt dieser Mann da ist?’’ Ami zeigte auf einen

Mann, der sich in der Nähe des Raumschiffes

mit jemandem unterhielt. Er sah ungefähr wie sechzig aus, schien

aber trotz seines weissen Haares kein Greis zu sein.

,,Vielleicht sechzig?’’

Er ist ungefähr fünfhundert Jahre alt.’’

Mich überkam ein Schwindel, mein Kopf schien zu zerplatzen.

,,Weisst du , Ami, ich bin sehr müde. Ich muss

mich ausruhen, schlafen, nach Hause gehen… Ich will nichts

mehr wissen, mir ist übel … ich will auch nichts

mehr sehen…’’

,,Klarer Fall von Informationsüberfütterung’’, scherzte

95

Ami. ,,Komm, Pedrito, leg dich hierhin.’’ Er führte mich zu einem

Sessel, dessen Lehne er herunterdrückte; so wurde ein weiches,

sehr bequemes Sofa daraus. Ich streckte mich aus. Ami schob mir

etwas in den Nacken, und ich spürte, wie ich sofort einschlief. Ich

liess mich fallen und schlief tief, viele Stunden lang.

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9. Kapitel

Das Grundgesetz

Ich wachte frisch und ausgeruht aus, voller Ener- gie; Ich

fühlte mich wie neu. Ami war mit den Kontrol- len beschäftigt

und zwinkerte mir zu: ,,Geht’s dir jetzt besser?’’

,,Phantastisch! – Oh je, meine Grossmutter! Wie viele Stunden

hab ich denn geschlafen?’’

,,Fünfzehn Sekunden’’, antwortete Ami.

,,Wie bitte?!’’ Ich stand auf und schaute zum Fen- ster hinaus.

Wir standen immer noch am selben Platz;

ich sah dieselben Menschen von vorhin dort gehen, der Mann mit den weissen Haaren unterhielt sich immer noch mit

jemandem nicht weit von unserem Raum- schiff. Es hatte sich

nichts verändert.

,,Wie hast du das gemacht, Ami?’’

,,Du brauchtest den Schlaf, um deine Batterien

aufzuladen. Wir besitzen >>Auflader<<, welche dir in fünf- zehn

Sekunden die gleiche Erholung verschaffen, die du auf der Erde erst nach acht Stunden Schlaf errei-

chen würdest.’’

,,Mensch, das ist ja ganz toll! Dann legt ihr euch eigentlich nie

zum Schlafen hin?’’ ,,Ich würde nicht sagen nie, manchmal brauchen

wir das schon. Im Schlaf findet ja noch mehr statt als nur

Aufladen, aber wir benötigen tatsächlich viel weni- ger Schlaf als

ihr.’’

,,Also, ihr Zivilisierten habt aber wirklich was vom Leben!

Fünfhundert Jahre! Und dann schlaft ihr auch

97

noch so wenig!’’

,,Ja, darum dreht sich doch das Ganze!’’

,,Also, dieser Mann da ist fünfhundert Jahre alt. Wieso kannst

du das so genau wissen?’’

,,Das erkenne ich an gewissen Besonderheiten seiner

Kleidung. Willst du mit ihm sprechen? Komm!’’

Wir setzten uns vor den Bildschirm, Ami ergriff das

Mikrofon und drückte irgendwo ein paar Knöpfe.

Da erschien das Gesicht des Mannes. Ami be- nutzte eine

höchst eigenartige Sprache; es kamen

Laute aus seinem Munde, die sich alle mehr oder weni- ger wie

>>Shhh<< anhörten. Das erinnerte mich an die Musik, der wir

gelauscht hatten. Der Mann verstand,

was Ami zu ihm sprach, und näherte sich unserem Raumschiff. Er

lächelte durch den Bildschirm, als wenn er uns sehen könnte, und

sagte ganz deutlich:

,,Hallo, Pedro!’’ Ich merkte, dass ein Übersetzer am Werke war,

da die Bewegung seiner Lippen mit den Worten, die ich hörte,

nicht übereinstimmte.

,,Ha … hallo’’, antwortete ich unsicher.

,,Weisst du, wir sind beinah Verwandte, meine Vor- fahren

stammen von einer Zivilisation der Erde.’’ ,,Ah.’’ Mir fiel nichts Interessanteres ein.

,,Jene Zivilisation zerstörte sich selbst, sie hatte zu wenig

Liebe!’’ ,,Ah …’’

,,Wie alt bist du?’’

,,Zeh …, ich meine, neun Jahre, und Sie?’’

,,Ungefähr fünfhundert Erdenjahre.’’

,,Wird Ihnen denn das nicht langweilig?’’

,,Langweilig? Langweilig??’’ Er mache eine Geste des

Nichtverstehens.

,,Wenn der Intellekt eine Betätigung sucht und keine findet’’,

dolmetschte Ami.

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,,Ah, das …, das hatte ich schon vergessen. Nein,

ich langweile mich nicht, warum sollte ich das tun?’’

,,Ich meine, so lange zu leben … zum Beispiel.’’

In diesem Moment trat eine schöne junge Frau auf den

Weisshaarigen zu und begrüsste ihn herzlich. Er gab ihr einen Kuss und streichelte sie liebevoll. Sie

sprachen eine Weile miteinander und lächelten sich an. Dann ging

sie weiter. Sie schienen sich sehr zu lieben.

,,Wenn das Denken der Liebe dient, dann gibt es keine

Langeweile’’, sagte der Mann lächelnd. Mir schien, dass er in die schöne Frau verliebt war,

und ich fragte ihn: ,,Sind Sie in sie verliebt?’’

Er seufzte tief. ,,Ja, ich bin vollkommen verliebt’’, gab er zu.

,,In die Frau, die gerade bei Ihnen war?’’

,, In das Leben, in die Menschen , in das Universum, in das

Sein, in die Liebe…’’

Eine andere Frau kam auf ihn zu. Sie war noch schöner als die erste, sie war dunkel, schlank, hatte langes,

seidiges, glänzendes Haar, das schwarz, fast dunkelblau war, und

hellgrüne Augen. Die beiden streichelten und küssten sich und

sahen sich tief in die Augen; sie sprachen miteinander und

lachten. Dann nahm sie von ihm Abschied und ging weiter. Ich

hielt ihn nun doch für so etwas wie einen Wetraum- Casanova.

,,Sind Sie einmal auf der Erde zu Besuch gewe- sen?’’ fragte

ich ihn.

,,Oh ja, ich war einige Male dort. Aber es war sehr traurig.’’

,,Warum denn?’’

,,Das letztemal, als ich dort war, brachten sich die Menschen

gerade gegenseitig um, Millionen Tote, zer-

99

störte Städte, Gefangenenlager … Es war sehr, sehr traurig…’’

Nun war mir wirklich ganz und gar nicht mehr wohl, ich kam

mir wie ein Höhlenmensch vor!

,,Nimm in deine Welt eine Nachricht von mir mit’’, sagte der

Mann mit einem liebevollen Lächeln. ,,Ja, gern. Welche denn?’’

Liebe, Friede, Brüderlichkeit.’’ –

Wir verabschiedeten uns. Wir wollten auf Ofir noch andere

Orte besuchen.

,,Hat dieser Mann zwei Frauen?’’

Natürlich nicht. Er hat nur eine’’, antwortete Ami.

,,Aber er hat sie doch beide geküsst!’’

Na und? Was ist da Schlimmes dran? – Sie lie- ben sich, aber

keine von beiden war seine Frau.’’

,,Und wenn seine richtige Frau das nun sieht?’’

Ami lachte mich aus. ,,In den zivilisierten Welten gibt es keine

Eifersucht.’’ ,,Ah.’’ Das gefiel mir; ich glaubte zu verstehen.

,,Dann kann man also viele Frauen haben’’, sagte ich, um ihm

eine Falle zu stellen.

Er schaute mich mit einem ganz klaren Blick an.

,,Nein, nur eine einzige.’’

Jetzt verstand ich gar nichts mehr, aber ich be- schloss, lieber

den Mund zu halten und das Panorama auf dem Bildschirm zu

betrachten.

Man sah viele Felder, auf denen gearbeitet wurde, aber nur von

Maschinen. Ab und zu tauchte solch ein Zentrum auf, wie wir es

schon kennengelernt hatten. Es

gab keine weiten, unbewohnten Gegenden, aber auch keine

Städte. Die vielen Fussgängerwege waren von Blu-

men und Bäumen eingesäumt und mit Steinen verziert.

Überall kleine Bäche, zierliche Brücken, Wasserfälle! Der ganze

Planet sah aus wie ein japanischer Garten.

100

Die Leute gingen zu Fuss, entweder in kleinen Gruppen oder

als Paare. Ich erblickte nicht eine ein- zige Autobahn. Auf den

schmalen Wegen führen hin und wieder winzige Fahrzeuge, die

so ähnlich aussa- hen wie die auf unseren Golfplätzen; nur wenige

Per- sonen hatten in ihnen Platz.

,,Ich sehe keine Autos, keine Lastwagen und Züge.’’

,,Die brauchen sie nicht. Sie erledigen den gesam- ten

Transport in der Luft.’’ ,,Deshalb so viele Ufos! Und wie kommt es, dass es

keine Zusammenstösse gibt?’’

,,Wir alle sind an den Zentralcomputer ange- schlossen,

welcher Zugang zu den Kontrollgeräten

sämtlicher Raumschiffe hat. – Pass auf!’’ Ami drehte an einem

Kontrollknopf. ,,Wir werden versuchen, gegen diese Felsen da

unten zu stossen. Aber hab keine

Angst, es wird nichts passieren.’’

Das Raumschiff erhöhte seine Geschwindigkeit und stürzte

plötzlich wie ein Stein auf die Felsen zu.

Doch kurz vor dem Aufprall änderte sich urplötzlich die

Richtung, und wir flogen horizontal über dem

Boden weiter. Ami hatte die Kontrollhebel nicht ange- fasst!

,,Siehst du’’, meinte er, ,,es ist einfach nicht mög- lich, einen

Zusammenstoss zu verursachen, der Com- puter erlaubt es nicht.’’

,,Absolut Spitze!’’ rief ich aus; das war wirklich

beeindruckend.

Ich wechselte das Thema und fragte: ,,Wie viele Länder gibt es auf Ofir?’’

,,Keine. Ofir ist eine zivilisierte Welt.’’

,,Was, es gibt keine Länder?’’

,,Natürlich nicht, oder besser gesagt, ein einzi- ges: Ofir.’’

101

,,Und wer ist der Präsident?’’

,,Es gibt keinen Präsidenten.’’

,,Wer regiert denn dann?’’

,,Regieren … regieren? Niemand regiert.’’

,,Aber einer muss doch das alles organisieren!’’

,,Das ist etwas anders. Hier ist alles organisiert. Und wenn

tatsächlich einmal etwas Unvorhergesehe-

nes geschehen sollte, dann kämen die Weisen mit den Fachleuten

auf den betreffenden Gebieten zusammen und fassten ihre

Entschlüsse, oder sie gäben das Pro-

blem dem dafür zuständigen Computer ein. In dieser Hinsicht gibt

es hier sehr wenig zu tun, alles ist pro- grammiert, und die

Maschinen leisten fast jede Arbeit.’’

,,Was tun die Leute dann den ganzen Tag?’’

,,Leben, arbeiten, studieren, geniessen, einander dienen und

helfen, wo sie können. Da es in den Welten

hier keine grossen Probleme gibt, helfen wir den unzivil- lisierten

Welten . Leider können wir nicht allzu viel tun, doch wir können

Nachrichten durchgeben und Kon-

takte aufnehmen, wie diesen hier zum Beispiel. Wir helfen ein

bisschen nach, wenn beispielsweise Religio-

nen geboren werden, die zur Liebe führen. Was denkst du, auf

welche Weise ist das Manna vom Himmel gefal-

len?’’

,,Ihr wart das?’’

,,Ja, wir! Ausserdem arbeiten wir mit bei notwendi- gen

Rettungsaktionen, wenn Welten sich selbst zer- stören. – Pedro, es war schrecklich damals, als Atlan-

tis unterging…’’

,,Wegen der Bomben?’’ fragte ich.

,,Ja. Aber auch wegen des Hasses, der Angst und des vielen

Leides. Die Erde konnte die negativen Aus- strahlungen dieser

Menschen nicht länger ertragen und noch weniger die

Atomexplosionen. Der ganze

102

Kontinent versank … - Und wenn ihr euch jetzt nicht ändert,

wenn ihr weitermacht mit den Atomversuchen, könnte es

wiederum sein, dass es für die Erde unerträg- lich wird, dann

könnte sich etwas Ähnliches jederzeit noch einmal ereignen….’’

,,Dass es so schlimm steht, hätte ich nicht gedacht!’’

,,Alles hat auf alles Einfluss’’, sagte Ami.

,,Was für eine Riesenverantwortung tragt ihr da für uns!’’

,,Darin besteht unsere Arbeit.’’

,,Zu denken, dass es viele Menschen gibt, die nicht einmal

daran glauben, dass ihr existiert!’’

,,Sie sind naiv, Pedro! Aber wir existieren nicht nur, sondern wir überwachen euch sehr sorgfältig. Das ganze

Universum ist eine Einheit, ein lebendiger Orga- nismus. Wir

dürfen die wissenschaftlichen Entdeckun- gen der unzivilisierten

Welten nicht aus den Augen verlieren. Ich habe dir schon gesagt,

dass gewisse Energien in den falschen Händen das Gleichgewicht

der gesamten Galaxie stören können, und dazu gehö- ren unsere

Welten ja schliesslich auch. Alles hat auf alles seinen Einfluss.

Unsere Arbeit besteht darin, euch weiterzuhelfen.’’

Ich blickte aus dem Fenster. ,,Ich sehe nirgends Zäune. Woran

erkennt ihr, wem jedes Grundstück ge- hört?’’

,,Hier gehört alles allen.’’

Ich musste eine Zeitlang nachdenken. ,, Dann strengt sich

niemand an weiterzukommen?’’

,,Ich glaube, ich verstehe dich nicht, Pedrito.’’

,,Weiterkommen, aus der Masse herausragen, mehr sein als die

anderen!’’

,,Du meinst, einen höheren Entwicklungsstand haben als die

anderen? Mehr Punkte? – Dafür gibt es

103

die geistigen Übungen.’’

,,Nein, ich meine nicht die Punkte!’’

,,Was meinst du dann?’’

,,Mehr haben als die anderen!’’

,,Mehr von was haben, Pedrito?’’

,,Mehr Geld!’’

,,Hier gibt es kein Geld.’’

,,Und wie kaufen sie dann alles?’’

,,Sie kaufen nichts. Wenn jemand etwas braucht, nimmt er es

sich.’’

,,Was er will?’’

,,Was immer er braucht.’’

,,Irgend etwas??’’ Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. ,,Wenn er es braucht und es existiert, warum

nicht?’’

,,So ein Wägelchen zum Beispiel auch?’’

,,Ja – oder ein Raumschiff’’, sagte Ami, als ob es das

Natürlichste von der Welt wäre.

,,Jeder kann ein Raumschiff haben?’’

,,Jeder kann ein Raumschiff verwenden’’, sagte Ami genauer.

,,Gehört dieses Raumschiff dir?’’

,,Ich benutze es, genau wie du auch.’’

,,Ich frage, ob es dir gehört?’’

,,Nun warte ein bisschen. >>gehören<< …, das heisst besitzen,

nicht wahr? Ich habe dir doch schon gesagt, dass alles allen gehört…, wer immer etwas braucht und

so lange er es braucht.’’ ,,Und wenn er es nicht mehr braucht?’’

,,Dann verwendet er es nicht mehr.’’

,,Kann ich zum Beispiel so ein Raumschiff wie dieses hier in

meinem Garten parken, wenn ich es nicht mehr brauche, ja?’’

104

Für wie lange etwa wirst du es nicht brauchen?’’ Ich überlegte.

,,Nun, sagen wir drei Tage.’’

,,Dann lässt du es besser an einem Ort, der für das Parken von

Raumschiffen vorgesehen ist, am Flugha-

fen. So kann ein anderer es in deiner Abwesenheit benutzen.

Wenn du es dann wieder brauchst, kommst du und nimmst es dir

oder ein anderes, das gerade zur

Verfügung steht.’’

,,Wenn ich aber nun gerade dieses haben will?’’

,,Warum solltest du das? Hier gibt es mehr als genug

Raumschiffe, ausserdem sind sie sich alle mehr oder weniger ähnlich.’’

,,Nehmen wir an, dass ich es gerne habe, so wie du deinen

altmodischen Fernseher.’’ ,,Dieser Fernseher, wie du ihn nennst, ist ein klei-

nes Andenken; niemand bracht es, weil es eben alt- modisch ist.

Wenn ich ihn nicht mehr haben wollte, gäbe ich ihn ab, und die Leute, die mit solchen Instru-

menten arbeiten, würden entscheiden, ob sie ihn aus-

einandernehmen oder umbauen. Doch ich kann ihn

auch mein Leben lang behalten, Es ist nicht etwas, was für die

Öffentlichkeit nützlich wäre! Aber wenn du immer dasselbe

Raumschiff benutzen möchtest – was

für eine Marotte! Du hast es ja nicht gebaut, und es gibt ohnehin

so viele! -, dann müsstest du eben warten, bis es ankommt, bis es

für dich verfügbar ist.’’

,,Aber wenn nur ich dieses Raumschiff verwenden möchte und

es niemandem sonst geben wollte?’’

,,Warum denn niemandem sonst?’’ fragte Ami ver- ständnislos.

,,Es könnte ja sein, dass ich es nicht mag, wenn ein anderer

meine Sachen gebraucht.’’

,,Aber warum denn? Hier gibt es keine anstecken- den

Krankheiten.’’

105

,,Ich weiss nicht. Es könnte ja sein, dass ich will, dass meine

Sachen mir gehören und sonst niemandem’’,

ereiferte ich mich.

Ami sah mich gross an. ,,So was würde ich krank- hafte

Besitzgier nennen, Egoismus!’’ ,,Nein, das ist kein Egoismus!’’

,,Was denn dann? Grosszügigkeit etwa?’’ Ami lä- chelte. ,,Also muss ich auch meine Zahnbürste herleihen?’’

,,Nein, deine Zahnbrüste natürlich nicht und deine persönlichen

Dinge auch nicht. Davon gibt es hier Millionen, genug von allem, niemand hängt an ihnen.

Aber ein Raumschiff nicht herleihen wollen!!! – Ausserdem wird

es auf dem Flughafen von den dafür vorgesehenen Maschinen gewartet und repariert, falls

das notwendig ist; das brauchst du alles nicht selbst zu tun.’’ ,,Das klingt okay, aber mir kommt das hier alles so

ein bisschen vor wie ein Internat. Alles Zwang. Alles

überwacht!’’

,,Ich habe verstanden, was du sagen willst. Aber du irrst dich.

Hier haben die Menschen vollkommene und umfassende

Freiheit.’’

,, Und es gibt keine Gesetze?’’

,,Doch, die gibt es. Aber sie bauen alle auf dem universalen

Grundgesetz auf, zum Wohle des Men-

schen.’’

,,Wirst du mir nun endlich dieses berühmte Gesetz erklären?’’

,,Später, noch ein bisschen Geduld’’, lächelte Ami.

,,Und wenn ich ein Gesetz übertrete?’’

,,Dann leidest du.’’

Werde ich bestraft? Eingesperrt?’’

,,Hier gibt es keine Strafe und keine Gefängnisse.

106

Aber du leidest, du bestrafst dich selbst.’’

,,Ich mich selbst? Das verstehe ich nicht, Ami.’’

,,Würdest du deiner Grossmutter eine Ohrfeige geben?’’

,,Nein, natürlich nicht! Was sagst du denn da?’’

,,Stell dir vor, du hättest ihr eine Ohrfeige gegeben. Was würde

das für dich bedeuten?’’

,,Es täte mir weh. Ich würde es bereuen, es wäre unerträglich

für mich.’’

,,Das heisst: sich selbst bestrafen! Da brauchst du

nicht von anderen bestraft oder eingesperrt zu werden. Es gibt

Dinge, die einfach niemand tut und nicht, weil die Gesetze es

verbieten. Du würdest deine Grossmut- ter niemals kränken, ihr

niemals wehtun, du brächtest es nicht übers Herz, ihr ihre kleinen

persönlichen Hab- seligkeiten wegzunehmen, im Gegenteil: du

würdest alles tun, um ihr zu helfen und sie zu beschützen.’’

,,Natürlich, weil ich sie lieb habe.’’

,,Hier haben all einander lieb, wir sind Brüder.’’ Es gibt

Augenblick, in denen wir etwas sehr

Wichtiges plötzlich verstehen, und dann ist das, wie wenn ein

Licht in unserem Inneren aufgeht. Amis Er- klärungen liessen

mich plötzlich alles verstehen, was er

mir so lange beizubringen versucht hatte. Jene Welt war eine

grosse Familie, in der jeder jeden liebte und alle miteinander alles

teilten. Dass war im Grunde gar

nicht so kompliziert.

,,… und genau so ist das ganze Universum entwor- fen’’,

sprach Ami weiter, froh darüber, dass ich endlich

verstanden hatte.

,,Dann ist Liebe die Basis jeder Organisation?’’ Ja, Pedrito, das

ist das Grundgesetz des Univer-

sums.’’

,,Wie, was?!’’

107

,,Die Liebe’’, sagte Ami.

,,Die Liebe??’’

,,Ja, die Liebe. Das ist das Gesetz.’’

,,Und ich dachte, es wäre viel komplizierte.’’ ,,Das Gesetz ist einfach, klar und natürlich, trotz- dem ist es

nicht einfach zu leben; dafür ist die Entwick- lung da.

Entwicklung heisst: sich der Liebe nähern. Je höher die

Entwicklung eines Wesens ist, um so mehr Liebe kann es

ausdrücken und erfahren. Die tatsächli- che Grösse oder

Unzulänglichkeit eines Wesens wird einzig und allein dadurch

bestimmt, wie gross seine Liebesfähigkeit ist.’’

,,Und warum ist das so schwierig für uns?’’

,,Weil ihr in euch eine Schranke habt, die euch von der Liebe

abhält, die eure schönsten Gefühle abwürgt.’’ ,,Was für eine Schranke?’’ ,,Euer Ego…, eure falsche Vorstellung, die ihr von euch selbst

habt, euer falsches Ich . Je grösser euer Ego ist, um so wichtiger

kommt ihr euch vor, den anderen gegenüber. Das Ego treibt euch

an, dass ihr berechtigt wäret, zu verachten, zu schaden, zu

unterdrücken und andere auszunützen, ja sogar über euer Leben

zu ver- fügen! Wenn die Schranke des Egos die Liebe von euch

fernhält, dann könnt ihr kein Mitleid, keine Zärt- lichkeit, keine

Zuneigung, keine Liebe empfinden. Das Ego macht euch

gefühllos dem Leben gegenüber, es nährt sich von falschen Ideen,

von falschen Folgerun- gen über sich selbst, über die anderen und

über das Dasein. Schau: ein EGO-ist interessiert sich nur für sich

selbst, nie für die anderen; ein EGO-latriker betet niemanden an

als sich selbst; ein EGO-tist spricht nur von sich selbst; ein EGO-

zentriker denkt, das ganze Universum kreise nur um seine eigene

Person. Die menschliche Entwicklung aber erfordert den Abbau

108

des Ego, damit die Liebe wachsen kann!’’

,,Heisst das nun, das wir Erdenbewohner beson- ders viel Ego

haben?’’ ,,Das hängt vom Entwicklungsstand des einzelnen

ab. – Komm, Pedrito, lass uns weiter spazierenfahren.’’

109

10. Kapitel

Die interplanetarische Bruderschaft

In einer Wiesenmulde lag ein hübsches kleines Amphitheater,

in dem gerade eine Vorstellung gege- ben wurde. Die

Schauspieler waren sehr eigenartige Wesen; anfangs glaubte ich,

dass sie verkleidet aufträ- ten, aber dann überzeugte ich mich

davon, dass das nicht so war. Da gab es Riesen, viel, viel grösser

als die von Ofir, neben wesentlich kleineren Gestalten, aber auch

echte Zwerge. Einige schauten zierlicher aus als wir

Erdenbewohner, andere wiederum waren uns sehr ähnlich.

Manche hatten einen eigenartigen Blick, unter schönen, grossen

Augen einen kleinen Mund, andere Gesichter waren olivfarben

und beinahe ohne Nasen und Lippen. Mir fiel besonders eine

Gruppe von Kin- dern auf, die wie Ami aussahen, obwohl sie

nicht so wie er gekleidet waren.

,,Sie kommen von meinem Planeten’’, erklärte mein Freund. Von jeder Welt waren fünf Vertreter auf der Bühne.

Sie tanzten nach einer fremdartigen Melodie und form- ten, sich

an den Händen haltend, fröhlich einen grossen Kreis. Über ihnen schwebte ein goldener Ballon. Wenn

er sich einem der Tänzer näherte, stiess dieser ihn ganz sanft

wieder nach oben. Darauf traten er und die vier anderen seiner

Gruppe in die Mitte des Kreises und führten dort einen Solotanz

zu einer anderen Melodie auf, die zugleich mit der ersten ertönte,

aber ohne sie zu stören. Währenddessen tanzte der grosse Kreis

110

immer weiter zur ersten Musik. Wenn der Ballon nun jemand

anderen berührte, trat eine neue Gruppe in die Mitte, und die erste

kehrte an ihren Platz im grossen Kreise zurück, welcher sich

langsam drehend immer weiter bewegte. Jedesmal, wenn eine

Gruppe ihren Tanz beendete, spendete das Publikum begeistert

Bei- fall.

,,Alle diese Wesen scheinen aus verschiedenen Welten zu

stammen.’’ ,,Ja, so ist es. Jede Gruppe führt einen Tanz ihres

Planeten vor.’’

Ausser den Zuschauern aus Ofir waren übrigens auch Vertreter

anderer Planeten anwesend. Rundher-

um war die ganze Anlage mit Fahnen geschmückt. Auf einer Art

Parkplatz vor dem Theater waren viele ver- schiedenartige

Raumschiffe stationiert, wieder andere

schwebten so wie wir in der Luft.

,,Wer gewinnt denn?’’

,,Wer gewinnt was?’’

,,Ist das nicht ein Wettstreit?’’

,,Ein Wettstreit?’’ Ein Wettstreit?’’

,,Suchen sie nicht die Gruppe aus, die es am be-

sten macht?’’

,,Nein.’’

,,Ja, was bezwecken sie denn dann?’’

,,Sie zeigen, was sie können, sie bieten dem Publi- kum ein

gutes Schauspiel, sie knüpfen Freundschaf- ten an, sie lernen,

geniessen…’’

,,Und die Gruppe, die es am besten macht, be- kommt keinen

Preis?’’ ,,Es wird nicht verglichen! Alle geniessen und ler-

nen dabei.’’

,,Auf der Erde werden immer die besten herausge- sucht und

preisgekrönt.’’

111

,,Ja, und dadurch werden die letzten gedemütigt, und in den

Preisgefrönten wuchert das Ego’’, sagte Ami lächelnd.

,,Das ist vielleicht hart’’, gab ich zu, ,,aber so müs- sen sie sich

mehr anstrengen, wenn sie gewinnen wol- len.’’

,,Immer mehr sein wollen als die anderen, immer wieder

Wettkampf, Egoismus, Teilung…! Um immer besser zu werden, muss man gegen sich selbst kämp-

fen, nicht gegen Brüder! Wettkämpfe gibt es in den brüderlichen,

entwickelten Welten nicht, sie sind der Same für Krieg und Zerstörung.’’

,,Na, so schlimm wird es nun auch wieder nicht sein. Es gibt

doch auch gesunde Wettkämpfe, sportli- che zum Beispiel.’’

,,Aber alle nach prähistorischen Massstäben! Es

hat schon Kriege gegeben, die mit einem Fussballspiel begannen;

es gibt deswegen hin und wieder Tote in den Grossstädten der Welt … – Das, was du hier siehst,

ist gesund, sportlich und kunstvoll.’’

,,Für mich sieht es eher aus wie ein Kinderspiel.’’

,,Der Kreis, der Zirkel sind universelle Sinnbilder, die

Brüderlichkeit symbolisieren und anderes mehr,

eine Welt zum Beispiel.’’

,,Was bedeutet der Kreis auf deiner Brust?’’

,,Er bedeutet die Menschheit.’’

,,Und das Herz mit den Flügeln?’’

,,Das ist die freie und höchste Liebe, die uneigen- nützige.’’

,,Die Menschheit in Liebe vereint!’’ rief ich aus.

,,Du bist ein Genie!’’ Ami war zufrieden mit mir. Wir sahen

uns das Schauspiel weiter an, Ami er-

klärte mir alles. ,,Jede Bewegung, die sie ausführen, hat eine

besondere Bedeutung, ist eine Sprache.’’

112

,,Das gefällt mir, das würde meiner Grossmutter auch Spass

machen… übrigens, wie spät ist es jetzt auf der Erde?’’

,,Deine Grossmutter wird noch ganze vier Stunden schlafen.’’ ,,Können wir sie auch von hier aus sehen?’’

,,Ja, über die Satelliten, die wir um die Erde kreisen lassen.

Warte!’’ Er betätigte einige Kontrollhebel des Bildschirms, und die Erde erschien, aus grosser Höhe

gesehen. Bald konnten wir meine schlafende Gross- mutter

betrachten. ,,Wie wunderbar! Kannst du das ganze Universum

sehen?’’

,,Na, das sind grosse Worte. Ich glaube, du hast keine Ahnung,

wie gross das Universum ist!’’ ,,Da magst du recht haben, das weiss ich wirklich

nicht’’, gab ich zu.

,,Wir kennen einige Millionen von Galaxien, natür- lich die in

unserer Nähe, die anderen sehen wir nur aus

der Ferne; was noch weiter weg ist, davon wissen wir nichts!

Aber ich finde, dieser Bildschirm hier ist schon

sehr abwechslungsreich, ein paar Millionen Galaxien sollten

eigentlich reichen, nicht wahr?’’ Wir lachten.

,,Dabei habe ich nicht einmal mitgezählt, dass wir auch die

Vergangenheit jeder Welt einblenden können.’’ ,,Die Vergangenheit? Geht das überhaupt?’’

,,Das geht ganz einfach! Alles, was geschieht, wird archiviert,

und zwar auf verschiedenartige Weise. >>Die Sonne bringt es an

den Tag<<, wie du weisst. Ich werde dir eine unserer Methoden

erklären. Dieser goldene Globus zum Beispiel, der dort über den

Tänzern schwebt, strahlt das Licht, das er von der Sonne erhält,

zurück; ein Teil davon erreicht deine Augen, ein ande- rer Teil

wird senkrecht nach oben in den Weltraum

113

abgestrahlt, wo er sich ewig weiterbewegt. Wenn wir nun diesen

Anteil von Licht an irgendeinem Punkt seiner Laufbahn einfangen

und das Bild vegrössern, können wir den Globus sehen, wie er in

seiner Vergan- genheit war.’’

,,Unglaublich das!’’

,,Später werde ich dir einmal Napoleon, Cäsar oder – Jesus

zeigen … in voller Aktion!’’ ,,Im Ernst?’’

,,Du kannst auch dich selbst sehen, wie du vor einigen Jahren

warst, aber im Augenblick ist es mir lieber, du lernst noch etwas mehr über Ofir.’’

Wir stiegen langsam höher und liessen das Amphi- theater

hinter uns zurück. Ein grosses, hellerleuchtetes Raumschiff schwebte an uns vorbei. Es grüsste mit

einem Lichtsignal; wir antworteten mit einem ähnli- chen

Lichtblitz. Ami lächelte verschmitzt. ,,Wer war das? Ein Freund von dir?’’

Nette und lustige Leute aus einer Welt, die ich vor langer Zeit

einmal besucht habe.’’ ,,Und was bedeutete das Lichtsignal?’’

,,Ein Gruss. Freundschaft! Sie waren mir sympa- thisch, und

wir ihnen auch.’’

,,Wie merkst du so was?’’

,,Hast du es nicht gespürt?’’

,,Ich glaube nicht…’’ ,,Das kommt, weil du dich selbst nicht beobach- test. Wenn du

aufmerksam wärest, wenn du dir ebenso viel Aufmerksamkeit

schenken würdest wie der Aussenwelt, würdest du vieles

entdecken. Hattest du nicht eine Art von Glücksgefühl, als das

Raumschiff auf uns zukam?’’

,,Ich weiss nicht, ich glaube nicht … ich dachte eigentlich, dass

wir zusammenstossen könnten …’’

114

,,Du warst besorgt!’’ lachte Ami. ,,Schau, das Raumschiff, das

dort schwebt, ist aus meiner Welt. Siehst du, es sieht genauso aus

wie dieses hier.’’

,,Ich möchte zu gerne deinen Planeten kennenler- nen.’’ ,,Ein anderes Mal nehme ich dich mit zu mir,

Pedrito. Heute reicht die Zeit nicht mehr.’’

,,Hand aufs Herz?’’

,,Wenn du das Buch schreibst: Hand aufs Herz.’’

,,Und in die Vergangenheit auch?’’

,,In die Vergangenheit auch.’’

,,Und auch an die Strände des Sirius?’’

,,Auch dorthin’’, lachte mein Freund aus dem Welt- raum, ,,du

hast ein recht gutes Gedächtnis. Ich werde dich sogar mit zu dem Planeten nehmen, den wir für

diejenigen vorbereiten, welche wir von der Erde retten, falls sie

zerstört wird.’’ ,,Heisst das, dass für euch die Zerstörung der Erde

eine unabwendbare Tatsache ist?’’ ,,Es hängt alles davon ab, ob ihr es lernt, anders zu leben, in

Einheit, ohne Grenze, ohne Ungerechtig- keit, ohne Waffen.’’

,,Wir sollten ein einziges Land schaffen, nicht wahr? Ein Land,

das Erde heisst!’’ ,,Ja, so sollte es sein. Übertriebene Liebe zur enge-

ren Heimat ist kein hohes Ziel, sondern Egoismus! Wenn man

einen Ort zu sehr liebt, heisst das, dass man die anderen Orte weniger gern hat. Das Universum ist

gross. Wir müssen gross denken und lieben. Stell dir vor, es gibt

auf der Erde Leute, die glauben, dass die Bewoh- ner ihrer Strasse besser sind als die jeder anderen!!’’

,,Du hast recht, Ami. Wir müssen lernen, ohne Grenzen zu

leben… Unsere Atmosphäre sollte unsere Grenze sein!’’ rief ich begeistert.

115

,,Nicht einmal das! Das Universum ist frei, Liebe bedeutet

Freiheit! Wir brauchen niemanden um Er- laubnis zu bitten, ob

wir in diese Welt eintreten dürfen oder in irgendeine andere.’’

,,Jeder kann in diese Welt kommen, auch ohne Erlaubnis?’’

,,Ja, und in jede andere Welt in Gottes Universum.’’

,,Und die Leute hier in Ofir stört das nicht?’’

,,Warum sollte es sie stören?’’ Ami genoss schon wieder

unsere Unterhaltung.

,,Ich weiss nicht’’, seufzte ich, ,,es fällt mir schwer, so viel

Wunderbares einfach hinzunehmen.’’

,,Ich werde versuchen, es dir zu erklären, Pedrito.’’

,,Die zivilisierten Welten bilden eine universale Bruderschaft.

Wir sind alle Brüder, Freunde. Wir kön- nen alle frei kommen

und gehen, solange wir nieman- dem schaden. Nichts ist geheim,

nichts ist verboten. Es gibt keine intergalaktischen Kriege, weil es

keine Ge- walt zwischen uns gibt. Gewalt ist ein Kennzeichen

primitiver Welten und der Gesellschaften, die diese Welten

ausbilden. Zwischen uns gibt es keine Konkur- renz. Niemand

will mehr sein als der andere. Das ein- zige, was wir wollen, ist

es, die Schönheit des Lebens zu geniessen. Aber weil wir zu

lieben verstehen, ist es für uns das allerschönste, anderen zu

helfen, zu dienen und nützlich zu sein. Wenn wir nützlich sind,

sind wir glücklich. Wir haben alle ein ruhiges Gewissen, wir alle

lieben unseren Schöpfer und danken ihm für unser Leben, weil

wir nur so unser Dasein geniessen können. Das Leben ist sehr

einfach für uns, obwohl wir viele technische Errungenschaften

haben. Wenn die Mensch- heit der Erde es schafft zu überleben,

wenn sie ihren Egoismus und ihr Misstrauen besiegen kann,

werden wir alle kommen, um ihr zu helfen, in die kosmische

116

Bruderschaft einzutreten. Wenn ihr Irdischen es schafft, wird das

Leben für euch nicht länger ein harter Konkurrenzkampf ums

Überleben sein, sondern ihr werdet anfangen zu geniessen, ihr

alle! Wir werden euch die Werkzeuge reichen, damit ihr aus der

Erde eine glückliche Welt machen könnt, eine Welt des Frie-

dens, der Gerechtigkeit und der Einheit.’’

,,Ach, das ist alles so wunderbar, Ami!’’

,,Weil es wahr ist! Nur die Wahrheit ist schön. Wenn du in

deine Welt zurückkehrst, Pedro, schreibe

dieses Buch, damit es noch eine Stimme mehr gibt, ein Sandkorn

mehr.’’ ,,Wenn ich es ihnen sage, werden mir alle glau-

ben… und die Waffen niederlegen.. und in Frieden leben!’’ rief

ich überzeugt.

Ami lachte wieder über mich und strich mir über

den Kopf. Jetzt störte mich das nicht mehr, weil ich begriffen

hatte, dass er nicht einfach ein Junge wie ich war, sondern ein viel

höher entwickeltes Wesen.

,,Wie unschuldig du bist’’, seufzte mein Freund.

,,weisst du denn nichts von den Kriegen? Wie schreck- lich sich

alle gegeneinanderstellen?? – Wie sehr sie

alle schlafen! Wie ernst und stumpf sie sind? Die Wahr-

heiten des Universums sind niemals ernst, sie sind schön und

heiter! – Findest du ein Feld voller Blumen ernst?’’

,,Nein, es ist schön’’, antwortete ich.

,,Wenn diejenigen, die die Länder und die Armeen anführen,

Blumen machen müssten, gäben sie ihnen

Kugeln statt der Blütenblätter und harte, unerbittliche Gesetze

anstelle der Stengel.’’

,,Dann … dann werden sie mir also nicht glau-

ben?’’

,,Die Kinder schon und all jene, die wie die Kinder

117

sind; sie werden dir glauben. Die Erwachsenen aber halten nur

das Schreckliche für wahr; sie häufen mate- rielle Dinge an,

vergöttern die Waffen und sind völlig gleichgültig gegenüber

allem Schönen und Wahren. Sie denken, dass die Dunkelheit hell

und das Lichte dunkel ist. Darum werden sie sich auch nicht für

dein Buch interessieren. Aber die Kinder wissen noch, dass

die Wahrheit schön und friedvoll ist. Sie werden helfen, unsere

Nachricht zu verbreiten, die von dir und deinem Buch ausgehen

wird. Es ist wie eine Kette: Zuerst tun wir das unsere, um euch

durch unseren Dienst zu helfen, dann aber muss sich die

Menschheit schon selbst anstrengen!’’

,,Und wenn sie euch nicht folgen und die Erde zerstören?’’

,,Dann werden wir dasselbe tun wie vor Tausenden

von Jahren.’’

,,Alle die retten, die einen genügend hohen Stand haben?’’

,,Ja, Pedrito, alle die!’’

,,Und habe ich die 700 Punkte?’’ Ich probierte es noch einmal,

ob ich Ami eine Antwort entlocken konnte.

Doch der blieb unbeirrt. ,,Jeder, der etwas für den Frieden tut’’,

meinte er, ,,hat einen hohen Stand. Alle die, die nichts tun,

obwohl sie etwas tun könnten, eben

weil sie gleichgültig sind oder gar Helfershelfer, die also ohne

Liebe sind, die haben keinen hohen Stand.’’ ,,Sobald ich zu Hause bin’’, versprach ich, auf ein-

mal sehr besorgt, ,,fange ich an zu schreiben!’’ Ami lachte wieder

über mich.

118

11. Kapitel

Unter Wasser

Wir näherten uns einem riesigen See mit himmel- blauem

Wasser, auf dem etliche Segel- und Motor- boote zu sehen waren.

Am Strande badeten einige Leute. Ich bekam Lust, auch in dieses

kristallklare Wasser einzutauchen…

,,Du kannst aber nicht!’’ Ami blieb nichts verbor- gen! ,,Wegen meiner Mikroben?’’

,,Ja, deswegen.’’ Es gab einen kleinen Hafen, wohin die Leute kamen, um sich

eines der dort liegenden Wasserfahr- zeuge zu nehmen. Es gab

luxuriöse Jachten, kleine Ruderboote, durchsichtige Kugeln in

verschiedenen Grössen, Treträder und Taucherausrüstungen.

,,Kann sich hier jeder nehmen, was er will?’’

,,Natürlich.’’

,,Ich denke mir, dass die meisten Leute auf die schönen Jachten

scharf sind.’’ ,,Da irrst du dich. Viele rudern mit Vergnügen,

andere spielen am liebsten mit einem kleinen Boot herum, sind

gern unmittelbar am Wasser, bevorzugen körperliche

Anstrengung…’’

,,Warum ist hier so viele los? Ist heute Sonntag?’’

,,Hier ist jeder Tag Sonntag’’, lachte Ami.

Einige Besucher hatten Taucherausrüstungen ge- wählt und

tauchten. ,,Was tun die unter Wasser?’’

119

,,Sie spazieren umher, lernen alles kennen, geniessen das Leben.

Möchtest du auch dorthin?’’

,,Aber du sagtest doch, dass ich nicht aus dem Raumschiff

herausdarf.’’

Ami steuerte lächelnd direkt auf den See zu, und wir tauchten darin

ein. Es war ein wunderbares Erlebnis, einen Blick in diese

Unterwasserwelt zu tun. Dort bewegten sich viele Menschen und

Unterwasserfahrzeuge, von denen die meisten wie durchsichtige

Halbkugeln aussahen. Ein Kind mit Taucherbrille und einem

Sauerstoffgerät auf dem Rücken war in unserer Nähe.

120

Als es uns sah, schwamm es auf das Raumschiff zu und drückte

seine Nase an einem unserer Fenster platt. Ami lachte. Mir ging

durch den Kopf, dass ich an seiner Stelle nicht so vertrauensselig

auf ein fremdes Unterwasser- Ufo zugehalten hätte!

Am Grunde des Sees erschien eine riesengrosse durchsichtige

Kuppel, die durch Strahler in allen Far-

ben beleuchte war. Es sah aus wie ein Restaurant in einer

ungeheuren Seifenblase. Es gab Stühle und Ti- sche und eine

Tanzfläche. Ein Orchester spielte leben-

dige Rhythmen. Einige Leute tanzten, andere sassen an den

Tischen und klatschten in die Hände, während sie den Tänzern

zusahen. Sie hatten hohe Gläser mit Ge-

tränken oder Eiskrems vor sich stehen.

,,Bezahlt man hier auch nicht?’’

,,Nirgends, Pedrito.’’

,,Ja, Wenn das Leben hier so einfach ist, werden sich die Leute

wahrscheinlich nur noch amüsieren, statt zu arbeiten!’’

,,Es gibt hier nun einmal sehr wenig Arbeit, weil alle schweren

Arbeiten von den Maschinen und Robo- tern erledigt werden.’’

,,Da haben sie es ja noch besser als im Himmel!’’

,,Wir sind doch im Himmel, oder?’’

Ich verstand immer besser, wie wunderbar es sein müsste, in

einer solchen Welt leben zu dürfen.

,,Das muss man sich aber verdienen’’, warnte Ami.

Wir bewegten uns weiter auf dem Boden des Sees dahin, wo es

von eigenartigen Fischen und pflanzen

wimmelte. Wir entdeckten auch Pyramidenbauten zwi- schen

Algen und vielfarbigen Korallen.

,,Gibt es hier Haie?’’

,,Hier gibt es keine Haie, keine Schlangen, keine Spinnen,

keine wilden Tiere; es gibt hier nichts, was

121

feindselig oder giftig ist. Auf einem hochentwickelten Planeten

gedeihen keine Gattungen, die von der Liebe noch entfernt sind.’’

,,Was fressen denn die Fische?’’

,,Dasselbe wie die Kühe und Pferde in deiner Welt: Pflanzen!

In den zivilisierten Welten wird nicht getötet, um zu überleben.

Kein Tier frisst das andere!’’

,,Dann isst du auch kein Fleisch?’’

,,Was willst du damit sagen??’’

Ich hatte ihn nicht beleidigen wollen, aber Ami lachte nur.

,,Selbstverständlich essen wir kein Fleisch,

wie ekelhaft! Was für eine Bosheit, all diese Hühnchen,

Schweinchen und unschuldigen Kälber zu töten!’’

So wie Ami das beschrieb, schien es mir auch eine Bosheit zu

sein, und ich beschloss, in Zukunft kein Fleisch mehr zu essen.

,,Da wir gerade vom Essen reden …’’, begann ich

– mein leerer Magen knurrte…

,,Bist du hungrig?’’

,,Sehr! Hast du nicht so etwas wie ein ausserir- disches Essen

bei der Hand?’’

,,Natürlich. Greif mal hinter dich!’’ Erzeigte auf einen

Einbauschrank hinter den Sesseln des Kontroll-

raums. Ich schob dort einen Rolladen hoch und ent- deckte eine

kleine Vorratskammer mit verschiedenen anscheinend hölzernen

Dosen, die unleserliche Auf-

schriften trugen.

,,Bring mal das breite Gefäss da her.’’ Als ich es trotz aller

Mühe nicht öffnen konnte – es schien her-

metisch verschlossen zu sein –, wollte sich Ami aus- schütten vor

Lachen. ,,Drück auf den roten Knopf’’, prustete er.

Als ich das tat, sprang der Deckel leicht auf. In der Dose war

etwas, das wie Nüsse aussah; sie hatten eine

122

helle, durchsichtige Elfenbeinfarbe.

,,Was sind das denn für Dinger?’’

,,Iss eine.’’

Ich nahm eine, sie war weich wie ein Schwamm. Ich probierte

vorsichtig mit der Zungenspitze, sie schien eher süss zu sein…

,,Na, iss schon eine, Junge, sie sind nicht giftig!’’ Ami hatte

meine Zimperlichkeit beobachtet. ,,Gib mir auch eine!’’

Ich reichte ihm die Dose, und er nahm eine der Früchte, steckte

sie in den Mund und ass sie mit Genuss. So biss ich schliesslich auch ein Stückchen ab und ko-

stete vorsichtig. Es schmeckte so ähnlich wie Erdnuss oder

Haselnuss mit Früchten, ein feines Aroma, es schmeckte mir. Ich fing an, der Sache zu trauen, nach

dem zweiten Biss schmeckte es bereits nach mehr!

,,Die schmecken aber gut, Ami!’’

,,Iss nicht mehr als vier oder fünf; sie haben einen sehr hohen

Proteingehalt!’’

,,Was ist das denn?’’

,,Eine Art von Honig’’, lachte Ami, ,,von einer Art von Bienen’’,

und lachte noch mehr. ,,Die schmecken mir. Kann ich welche davon für

meine Grossmutter mitnehmen?’’

,,Natürlich, lass mir nur die Dose da. Sie sind aber nur für deine

Grossmutter, hörst du? Sonst darfst du sie

niemandem zeigen! Ihr beiden esst sie alle auf, es darf nichts davon

übrig bleiben! Versprichst du mir das?’’ ,,Ja, ich verspreche es. Mmm, die schmecken wirk-

lich gut.’’

,,Meiner Meinung nach nicht so gut wie einige Früchte, die ihr

auf der Erde habt.’’

,,Welche denn zum Beispiel?’’

,,Die , die ihr Aprikosen nennt.’’

123

,,Die schmecken dir?’’

,,Und ob, sie sind in meiner Welt hoch begehrt. Wir haben

versucht, sie auf unseren Böden anzubauen, aber wir erreichen

nicht denselben Geschmack. Es kommt darum gar nicht so selten

vor, dass es in euren Aprikosenplantagen Ufos zu sehen gibt…’’,

und Ami lachte mit seinem kindlichen Lachen.

,,Du meinst, ihr stehlt sie euch einfach?’’ fragte ich überrascht.

,,Stehlen… Was ist Stehlen?’’ Er tat, als ob er das

nicht wüsste.

,,Etwas nehmen, was einem nicht gehört’’

,,Ah, schon wieder das berühmte >>gehören<< … Sagen wir

einmal so: wir können eben die schlechten Angewohnheiten unserer Welten nicht ablegen und

stehlen fünf oder zehn Aprikosen!’’

Ich fand es lustig, war aber doch nicht ganz über- zeugt.

Stehlen ist Stehlen, ob es nun eine Aprikose ist oder eine Million

Dollar. Ich sagte ihm das.

,,Warum erlaubt ihr auf der Erde denn nicht, dass jeder sich das

nimmt, was er braucht, und zwar ohne zu bezahlen?’’ fragte Ami dagegen.

,,Bist du verrückt? Niemand würde sich bei uns die Mühe

machen zu arbeiten, wenn er nichts verdiente!’’ ,,Ihnen fehlt eben die Liebe. Vor lauter Egoismus

können sie nichts hergeben, wenn sie nichts dafür bekommen.’’

Ami hatte eine besondere Art, unange- nehme Dinge mit einem Lächeln zu sagen, in dem

Zärtlichkeit und Verständnis lagen.

Wenn ich nun so ein Eigentümer einer aprikosen- Plantage

wäre, und die Leute würden einfach kommen und sich das Obst

pflücken, ohne etwas dafür zu be- zahlen? Vielleicht käme ein

ganz Schlauer sogar auf Den Gedanken, gleich mit einem

Lastwagen vorzufah-

124

ren und den Rest der Aprikosenernte kurzerhand auf- zuladen! In

Gedanken versuchte ich ihn davon abzu- halten, aber er fuhr

einfach davon mit seinem Lastwa- gen und machte sich noch

lustig über mich, indem er mir zurief: ,Na, was ist denn, hast du

keine Liebe in dir? Bist du etwa ein Egoist?? Jajaja…’

,,Pfui, was für ein Misstrauen’’, kommentierte Ami meine

Gedankenspiele. ,In einer zivilisierten Welt wird niemand von einem anderen übervorteilt. Was würde

dieser Mann zum Beispiel mit seiner Aprikosenladung anfangen? ,,Na, verkaufen selbstverständlich!’’

,,Wenn aber nichts verkauft werden kann, weil es kein Geld

gibt?’’ Das war nun wieder recht komisch. Ich hatte total

vergessen, dass es in den zivilisierten Welten kein Geld gibt! ,,Okay, aber warum sollte ich umsonst arbeiten?’’

,,Wenn viel Liebe in dir ist, wirst du glücklich sein, den

anderen dienen zu können, und das gibt dir wie-

derum das Anrecht darauf, dass ein anderer auch dir dient. Du

kannst zum Nachbarn gehen und von seiner Ernte nehmen, was

du brauchst; vom Milchmann

nimmst du die Milch, vom Bäcker das Brot und so weiter. Statt

dass jeder für sich und alles durcheinander werkelt, schliessen

sich die Menschen doch besser zu-

sammen und kommen überein, die Produkte in Vertei-

lungszentren zu bringen. Statt dass du arbeitest, tun das die

Maschinen für dich.’’

,,Dann würde doch niemand mehr auch nur einen Finger

krumm machen!’’

,,Es gäbe immer etwas zu tun. Die Maschinen müs-

sen zum Beispiel überwacht werden, auch müssen ständig bessere

entwickelt werden; man kann denen

125

helfen, die Hilfe brauchen; unsere eigene Welt will auch immer

weiter verbessert werden, und wir wollen uns selbst auch

weiterbilden … und natürlich unsere freie Zeit geniessen.’’

,,Aber es könnte doch immer einen geben, der die anderen nur

ausnützen wollte und selbst gar nichts mehr tut, weisst du, so ein

ganz Gewitzter’’, wandte ich ein und dachte dabei an den Mann

mit dem Lastwagen.

,,Der, den du gewitzt nennst, hat einen ganz niedri- gen

Entwicklungsstand, sicher weniger als 400

Punkte, viel Egoismus und wenig Liebe! Er glaubt nur, besonders

schlau zu sein, gewitzt und intelligent, in Wahrheit ist er dumm

und würde mit seinem Niveau

niemals in die zivilisierten Welten aufgenommen wer- den. In

unseren Welten ist es eine grosse Auszeich- nung, mehr arbeiten

zu dürfen, mehr dienen zu kön-

nen. Du siehst hier sehr viele Leute, die sich unterhal- ten, aber

die Mehrzahl von ihnen arbeitet irgendwo, in Laboratorien und

Universitäten, in all diesen Pyrami-

den zum Beispiel und auch bei Hilfsmissionen in den

unzivilisierten Welten. Das Leben ist dazu da, uns

glücklich zu machen, damit wir es geniessen können. Aber das

grösste Glück ist es, anderen zu dienen.’’

,,Dann sind die Leute, die wir hier sehen, - faul?’’

Amis Gelächter sagte mir schon, dass ich wieder einmal falsch

getippt hatte.

,,Nein, das sind sie nicht. Es gibt einfach nicht so viele

Gelegenheiten zu dienen.’’ ,,Wie viele Stunden arbeiten sie am Tag?’’ ,,Das hängt von der Art der Arbeit ab. Wenn sie angenehm ist,

arbeiten sie ganze Tage hindurch. Wie

ich zum Beispiel jetzt. Aber das ist ein grosses Privileg!’’

,,Du?? – Was arbeitest du denn? Wir fahren doch nur

spazieren?’’

126

Ami lachte. ,,Ich bin so einer, der Botschaften übermittelt, so

eine Art Professor, was dasselbe ist.’’

Mir schien es nicht dasselbe zu sein. In diesem Augenblick

beobachtete ich zwei junge Leute, die ver-

suchten, durch ein Fenster in eine der Pyramiden ein- zusteigen;

wollten sie stehlen?

Ami fing meine Gedanken auf. ,,Was bist du nur für

ein Ausbund von Misstrauen! Sie putzen die Fenster.’’ Ich lenkte

ab. ,,Und wie ist die Polizei hier?’’ ,,Polizei, wozu?’’

,,Um aufzupassen, dass die Bösen…’’

,,Welche Bösen?’’

,,Es gibt hier keine Bösen?’’ ,,Na ja, niemand ist perfekt. Aber wenn man 700 Punkte hat

und in einer Welt lebt, die durch ihre soziale Struktur für das

richtige Wissen und die notwendigen Anreize sorgt, dann fügt

keiner einem anderen mehr ein Leid zu. Man braucht ganz

einfach nicht mehr böse zu sein, und darum brauchen wir auch

keine Polizei hier.’’

,,Das ist ja unglaublich!!’’

,,Unglaublich ist vielmehr, dass es Welten gibt, wo Menschen

einander umbringen!’’

,,Da hast du recht, Ami … Weißt du, mir scheint es aber

unmöglich, dass wir auf der Erde jemals so leben können wie ihr.

Wir sind böse, uns fehlt die Liebe,

sogar ich kenne Leute, die ich nicht mag.’’ – Ich dachte an einen

Klassenkameraden, der immer miss- mutig dreinschaut. Wenn wir

anderen begeistert und

übermütig irgend etwas spielen, braucht er einen nur anzusehen,

und aus ist es mit dem Spass. Dann fiel mir

noch ein anderer ein, einer der immer so heilig tut! Er

behauptet, dass ihm die Jungfrau Maria erscheint und dass er

deshalb direkt in den Himmel kommen wird!

127

Immer hat er was zu meckern, wenn wir Spässe machen oder

Unfug treiben und weil wir nicht so oft in die Messe gehen wie er.

,,Nein, wirklich, ich mag ihn nicht’’, dachte ich laut.

,,Ich mag auch nicht alle Leute gleich gerne, weder in meiner

Welt noch in irgendeiner anderen’’, sagte Ami offensichtlich gut

gelaunt. ,,Aber weil mir nicht alle gleich sympathisch sind, muss

ich ihnen doch nichts antun.’’

,,Im Ernst? Hast du auch Fehler?? – Ich war begeistert! ,,Und

ich hatte schon geglaubt, du wärest vollkommen! – Ich selbst würde schliesslich diesen

beiden Typen auch nichts antun, aber ich möchte doch nicht

dauernd mit ihnen zusammen sein!’’ ,,In den zivilisierten Welten gibt es Seelen, die ein-

ander anziehen, und andere, die einander nicht anzie- hen; aber

deshalb stossen sie sich auch nicht ab. Für bestimmte Missionen und Arbeiten, bei denen man

lange miteinander auskommen muss, werden deshalb Leute

ausgesucht, die sich sympathisch sind. Wenn

man indes einmal 1500 Punkte hat, dann liebt man absolut jeden!

Wir alle müssen natürlich danach trach- ten, diesem Ziel

näherzukommen, doch im Augenblick

wird weder von euch noch von uns so viel verlangt.’’

,,Dann ist es also nicht notwendig, dass wir Erden- bewohner

ganz vollkommen sind?’’

Nun lachte mein Freund aus vollem Halse. ,,Voll- kommen?

Die Erdenbewohner vollkommen?? – Weisst du denn, was es

heisst, vollkommen zu sein?’’

,,So sein wie Gott?’’

,,Genau! Wer kann denn das schon?! Ich nicht!!’’

,,Ich auch nicht.’’

,,Das ist typisch irdische Mythomanie, geistiger Extremismus!!

Sie bringen einander mitleidlos um, sie

128

foltern und betrügen sich und sind richtige Sklaven der Materie,

ihr Entwicklungsstand ist erschütternd nied- rig, und dann

verlangen sie von sich selbst Vollkom- menheit! Es wäre schon

genug, wenn sie die Waffen niederlegten und wie eine Familie in

Frieden lebten, nur das! Um nur das zu erreichen, bedarf es keiner

Vollkommenheit, man muss nur aufhören, einander weh zu tun.

Das ist viel einfacher, als vollkommen zu sein. Man schnalzt mit

den Fingern, und schon wäre die Welt in Ordnung! Aber für diese

Leute scheint das eine Utopie zu sein, ein Wahnsinn, eine

Unmöglich- keit! Die Vollkommenheit hingegen, die erscheint

ihnen denkbar!! Sie tun überhaupt nichts für die Menschheit, sind

ausschliesslich auf die eigenen und fremden Fehler konzentriert,

suchen in jeder Suppe

ein Haar …!’’

,,Und wenn man sich auf einen Berg zurückzieht, um nach

Gott zu suchen?’’ Da ich in eine Klosterschule ging, wurde oft

über dieses Thema gesprochen.

,,… und wenn jemand in einem Fluss ertrinkt, wäh- rend du am

Ufer betest und nichts für ihn tust? Wird Gott das erfreuen? Glaubst du?’’ fragte Ami.

,,Ich weiss nicht, vielleicht freut er sich über meine Gebete.’’ ,,Was ist das Grundgesetz des Universums?’’

,,Liebe.’’

,,In welcher Haltung beweist du mehr Liebe: Wenn du

unbeteiligt betest, während dein Bruder ertrinkt, oder wenn du

versuchst, sein Leben zu retten?’’

,,Ich weiss nicht. Wenn ich bete, liebe ich Gott.’’ ,,Ich will es anders erklären: Nimm an, du hast zwei Kinder;

das eine droht gerade in einem Fluss zu ertrin- ken. Da stellt sich

das andere Kind vor ein Bild von dir und betet es an, statt seinem

Geschwisterchen zu hel-

129

fen. Würde dich diese Haltung glücklich machen?’’

,,Nein, natürlich nicht. Mir wäre es tausendmal lieber, wenn

das Kind gerettet würde. Aber Gott ist vielleicht nicht so wie

ich?’’

,,Nein? Glaubst du vielleicht, dass Gott eitel ist, dass er darauf

aus ist, angebetet zu werden, und dass es ihm schnuppe ist, was

mit seinen Kindern geschieht? Nicht

einmal du würdest so etwas fordern, obwohl du nicht vollkommen

bist; wie könnte dann er, der Vollkom- mene, weniger sein als

du?’’

,,Auf diese Weise habe ich das noch nie gesehen!’’

,,Gott hat einen, der seinen Brüdern dienlich ist, lieber als einen

unnützen Gläubigen, der seiner Um-

welt gleichgültig gegenübersteht, obwohl sie doch dabei ist zu

>>ertrinken<<. Schau, solche Leute sind le- diglich an ihrer

eingebildeten Erlösung interessiert,

haben nur ihre persönliche Entwicklung und Vervoll- kommung

im Sinn.’’ ,,Das wusste ich alles nicht, Ami… Wieso weißt du

soviel über Gott?’’

,,Gott ist Liebe; daher muss es so sein, dass jeder, der die Liebe

lebt, Gott erlebt. Wer wirklich liebt, will nur dienen.’’

,,Wie heisst denn deine Religion?’’

,,Sie hat keinen Namen, oder vielleicht doch, ich weiss es nicht

… Im ganzen zivilisierten Universum

besteht die einzige Religion, die universelle Religion, darin, die

Liebe zu leben, weil Gott die Liebe ist. Ausser dieser Wahrheit

haben wir kein Glaubenssystem.’’

,,Ausgenommen eines’’, sagte ich.

,,Welches, Pedrito?’’

,,Na, du weißt schon, dass die Liebe das Grunduni- versum des

Gesetzes ist.’’ ,,Das Grundgesetz des Universums, Pedrito! Aber

130

das ist kein Glaube, das ist ein Gesetz, ein wissen- schaftlich und

geistig bewiesenes Gesetz. Es wird auch für euch gelten, wenn

eure Wissenschaft die Liebe entdeckt.’’

,,Ich glaube, dass…’’

,,… dass es ein Aberglaube wäre?’’

,,Ja, so was, oder vielleicht eine gute Absicht.’’

,,Das stimmt wieder einmal nicht! – Komm, gehen wir, lass uns

ein paar ganz besondere Menschen hier besuchen.’’

131

12. Kapitel

Das neue Zeitalter

Wir stiegen aus dem Wasser auf und glitten dann sehr schnell

über das offene Land des Planeten dahin. Nach kurzer Zeit hatten

wir einige Bauten erreicht. Wir blieben in der Luft stehen, und –

beinahe wäre ich

vom Sessel gefallen! Ich rieb mir die Augen, ich konnte nicht

glauben, was ich sah: Menschen, die flogen!

Sie schienen in der Luft zu hängen mit ausgebrei- teten Armen, einige schwebten in waagerechter Lage, andere

aufrecht stehend; alle Gesichter drückten gro- sses Glück und

Konzentration aus. Wie segelnde Adler beschrieben sie

ausgedehnte Kreise.

Ami stellte das Sensometer ein und bekam einen der Flieger

ins Bild. ,,Wir schauen uns mal seinen Ent-

wicklungsstand an.’’ Der ganze Mensch schien durchsichtig zu sein. Das Licht in

seiner Brust wirkte wie ein wunderschö- nes Bild. Es floss über

seinen Körper hinaus und strahlte wie eine Kugel aus Licht, die

ihn völlig einhüllte.

,,Sie üben sich in der grössten Kraft des Univer- sums, in der

Kraft der Liebe’’, erklärte mir Ami. Ich war fasziniert. ,,Wie können sie denn fliegen?’’

fragte ich.

,,Die Liebe hebt sie hoch. Es ist dem ähnlich, was wir beide am

Strande taten.’’ ,,Die müssen eine Unmenge von Punkten haben!’’ ,,Diese Menschen haben meistens an die tausend

132

Punkte. Aber wenn es ihnen gelingt, sich völlig auf die Liebe zu

konzentrieren, erreichen sie manchmal über zweitausend! Es

handelt sich um sogenannte geistige Übungen. Hinterher fallen

die Leute auf ihren norma- len Stand zurück. Es gibt Welten, in

denen die Bewoh- ner immer so leben, wie es hier die Flieger tun.

Aber wir wissen auch von Welten, Pedrito, in die weder ich noch

du gehen könnten, auch nicht für einen einzigen Au- genblick!

Dort existieren Wesen, die über zehntausend Punkte haben,

Sonnenwesen; sie sind beinahe reine Liebe!’’

,,Die Sonnenwesen?’’

,,Ja, die Wesen, die auf der Sonne leben.’’

,,Dort leben Wesen! Also, da wär ich im Traum nicht drauf

gekommen!’’

,,Das ist ganz verständlich. Man kann über die

eigene Stufe nicht allzu weit hinaussehen. – Komm, lass uns diese

Gruppe dort drüben anschauen.’’ In der Ferne sahen wir eine Gruppe von etwa fünf-

zig Personen, die im Kreis auf einer Wiese sassen. Ge- nauso wie

die Menschen, die fliegen konnten, schie- nen auch sie aus sich

selbst zu strahlen. Sie sassen mit gekreuzten Beinen und

aufrechten Rücken, sie schie- nen zu meditieren oder zu beten.

,,Was tun sie?’’

,,Sie senden Botschaften in die weniger entwickel- ten Welten

der Galaxie, so eine Art von telepathischen Kundgaben, die aber nicht nur mit dem Verstande,

sondern auch mit dem Herzen aufgenommen werden müssen.’’

,,Ja, davon hast du mir schon erzählt. Was sind das für

Botschaften?’’

,,Versuche, dich auf deinen Brustbereich zu kon- zentrieren,

beruhige deine Gedanke, dann kannst du

133

Sie vielleicht auffangen; wir sind ja sehr nahe an der

>>Sendestation<< … Nein, so nicht, entspanne dich vor- her,

schliess die Augen, sei aufmerksam …’’ Ich versuchte es. Anfangs merkte ich gar nichts,

ausser einer allgemeinen Gemütsregung, die ich, seit wir an

diesen Ort gekommen waren, unbewusst emp- fand. Aber sehr

bald wurde ich gewahr, wie gewisse Gefühls-Ideen in mir

hochstiegen:

>>ALLES, WAS NICHT AUF LIEBE BERUHT, SOLL ZERSTÖRT WERDEN,

VERGESSEN IN DER ZEIT, ABGELEHNT…<<

Ich spürte zunächst in mir eine eigenartige innere Helle, und

dann fand mein Verstand die rechten Worte zu diesem Gefühl. Es

war sehr fremdartig und sehr schön.

… UND ALLES, WAS AUF DER LIEBE BERUHT, FREUNDSCHAFT ODER

LIEBE ZWISCHEN MANN UND FRAU,

FAMILIE ODER GRUPPE REGIERUNG ODER VOLK, EINZELSEELE ODER

MENSCHHEIT, WIRD FEST UND SICHER WERDEN,

WIRD BLÜHEN UND FRÜCHTE TRAGEN

UND DIE ZERSTÖRUNG NICHT ERFAHREN…<<

134

Ich konnte das Wesen, das diese Worte sprach, beinahe sehen.

Plötzlich war es für mich nicht mehr jene Gruppe von Menschen,

sondern es war Gott selbst, der da sprach!

>>DAS IST MEIN PAKT,

DAS IST MEIN VERSPRECHEN UND MEIN GESETZ.<<

,,Hast du es aufgefangen, Pedrito?’’ fragte mich Ami.

Ich öffnete die Augen. ,,Oh, ja! - - Ist es zu Ende?’’ Ami

nickte. ,,Diese Botschaften kommen aus der

Tiefe des Universums, von Gott … Die Freunde, die du hier

siehst, empfangen sie und geben sie an die weni- ger entwickelten

Welten weiter, wie zum Beispiel an

deine. Dort werden sie von anderen Personen aufge- fangen, aber

nicht immer rein weitergegeben, weil das vom Entwicklungsstand

des Empfängerbewusstseins abhängt.’’

,,Entwicklungsstand des Bewusstseins? Was ist das, Ami?’’

135

,,Das ist der Grad der Harmonie zwischen den beiden

Gehirnen, Pedrito. Diese Harmonie ist die Vor- aussetzung dafür,

dass die Botschaften wirklich das bewirken, was sie sollen,

nämlich helfen, das neue Zeitalter zu schaffen! Wenn, die

Kundgaben aber un- klar weitergegeben werden, stiften sie noch

mehr Ver- wirrung, mehr Angst, mehr Gewalttätigkeit.’’

,,Das neue Zeitalter, Ami?’’

,,Ja, das Zeitalter des Wassermanns.’’

,,Was ist das, das Zeitalter des Wassermanns?’’

,,Es ist eine neue Entwicklungsetappe des Plane- ten Erde, das

Ende jahrtausendealter Barbarei, ein neues Zeitalter der Liebe! Dein Planet wird ab jetzt von kosmischen und geologischen Energien regiert, die viel

feinstofflicher als die bisherigen sind, die das Wachstum der

Liebe in allen wesen fördern. Ihr könntet heute schon so leben wie

die Menschen hier auf Ofir.’’

136

,,Und warum tun wir das nicht, Ami?’’

,,Weil ihr noch immer an den alten Ideen und Sy- stemen klebt,

die für das neue Zeitalter nicht geeignet sind und den Menschen

deiner Welt nur Leid besche- ren. Aber die Wesen werden

geboren, um glücklich zu sein, Pedrito, nicht um zu leiden. Daran

arbeiten wir mit unserem Nothilfeprogramm. Hast du nicht be-

merkt, dass man in letzter Zeit auf der Erde viel von der Liebe

spricht?’’

,,ja, das stimmt.’’

,,Das kommt daher, dass im Wassermannzeitalter viele

Menschen unsere Botschaften auffangen; die meisten von ihnen

spüren die grösser werdende Kraft dieser Liebesstrahlung.’’

,,Und warum sind dann die Menschen auf der Erde jetzt

unglücklicher als vorher? Zu anderen Zeiten hat

es schliesslich auch Weltkriege gegeben, Elend und

Epidemien…’’ ,,Ja, aber die Menschen waren damals weniger

sensibel; sie litten weniger unter den Grausamkeiten, sie glaubten

mehr an den Sinn der Kriege. Heute ist das nicht mehr so. Heute

will die grosse Mehrheit der Menschheit in Frieden leben. Es ist

ein neues mensch- liches Geschlecht herangewachsen, das durch

die kürzeren Schwingungen verfeinert worden ist. Darum leiden

sie mehr, weil grössere Sensibilität die Schmerz- empfindlichkeit

steigert, leider …’’

Wir waren sehr bewegt, als wir uns von dem Orte so

eigenartiger geistiger Schwingungen trennten,

nahmen dann aber rasch wieder Fahrt auf.

,,Ami, wie viele Stunden bleiben uns noch?’’

,,Zwei.’’

,,Wie komisch’’, überlegte ich, und Ami fragte:

,,Warum?’’

137

,,Weil es mir so vorkommt, als wäre ich mindestens schon

zwölf Stunden in diesem Raumschiff, seit ich am Strand da unten

eingestiegen bin.’’

,,Ich sagte dir ja, dass man die Zeit auch streeeeeecken kann. –

Komm, gehen wir noch schnell ins Kino! Schau mal hinunter.’’

Wir kamen in eine Gegend von Ofir, in der es gerade Nacht

war. Trotzdem war alles hell erleuchtet, weil eine grosse Anzahl künstlicher Strahler die Wiesen

und Gebäude mit Licht überschütteten.

Da unten gab es so etwas wie ein Kino im Freien mit vielen

Zuschauern. Die Leinwand schien eine Wand aus Kristall zu sein,

auf der farbige

Bilder, Formen- und Schattenspiele Gestalt annahmen, das alles

begleitet durch eine leise Musik. Von den Plätzen der Zuschauer abgesondert, befand sich vor der Lein-

wand ein besonderer Sitz, auf dem eine Frau sass. Sie trug eine

Art Helm auf ihrem Kopf, hielt die Augen geschlossen und wirkte

sehr konzentriert.

,,Was passiert hier, Ami?’’

,,Was sich die Frau vorstellt, erscheint auf der Leinwand. Das

ist ein Kino, für das man keine Kameras und keine Projektoren

braucht.’’

,,Das ist aber nun wirklich Spitze!’’ rief ich aus.

,,Technik, Pedrito, ganz simple Technik!’’

Die Frau war nun mit ihrer Vorstellung fertig. Wäh- rend das

Publikum klatschte, wechselte sie ihren Platz mit einem Manne.

Eine neue Musik begann; auf der Leinwand er- schienen

stilisierte Vögel, die im Takte er Musik über

eine Landschaft flogen, die so wirkte, als wäre sie aus Kristallen

oder aus Edelsteinen geformt. Es sah sehr

schön aus, wie ein Zeichentrickfilm oder so was Ähnli- ches.

Lange Zeit blieben wir still und betrachteten

138

dieses ausserirdische Wunder.

Jetzt kam ein Junge an die Reihe. Er stellte sich eine

Liebesgeschichte zwischen sich und einem Mäd- chen vor, das

aus einer anderen Welt stammte; die einzelnen Episoden fanden

auf verschiedenen sehr eigenartigen Planeten statt. Die Bilder

waren längst nicht so klar wie die vorherigen, manchmal ver-

schwammen sie sogar ineinander. Ich fragte Ami nach dem

Grunde.

,,Er ist noch ein Kind, er hat noch nicht die Kon-

zentrationsfähigkeit eines Erwachsenen, aber für sein Alter macht er es sehr gut.’’

,,Erfindet er auch die Musik dazu?’’ ,,Nein, Bilder und Musik gleichzeitig schaffen sie nicht, nicht

in dieser Welt; doch in anderen Welten bringen sie auch das

zustande. Aber auf Ofir gibt es zum Beispiel Konzertsäle, in

denen der Künstler die Musik einfach erfindet, und das Publikum

kann sie dann hören. Möchtest du mal in einen Vergnügungs-

park gehen?’’

,,Na klar.’’

Wir traten in eine Phantasiewelt ein, wo es jede nur denkbare

Unterhaltung gab: riesige Berg- und Talbah-

nen, Fabellandschaften und Märchenwesen, Orte, wo die Leute in

der Luft schwebten, während sie vor La- chen beinahe umkamen.

,,Je höher die Entwicklung’’, klärte mich Ami auf,

,,umso mehr werden wir wie die Kinder. In unseren Welten gibt

es viele solcher Orte. Eine reife Seele ist

wie die Seele eines Kindes. Wir brauchen das Spiel, die Phantasie

des Erschaffens. Es gibt kein grösseres

Spiel, keine bessere Phantasie oder keine höhere

Schöpfung als das Universum, dessen Schöpfer die Liebe ist.’’

139

,,Gott?!’’

,,Die Liebe ist Gott! In unseren Sprachen gibt es nur ein

einziges Wort für den Schöpfer, die Göttlich- keit oder Gott: und dieses Wort ist Liebe! Wir schreiben

es ganz gross: LIEBE!! … auch ihr werdet das eines Tages tun.’’

,,Ami, ich fühle es immer mehr in mir, wie wichtig

die Liebe ist.’’

,,… und dabei weisst du noch gar nicht viel! – Komm, unser

Besuch auf Ofir ist zu Ende. So wie diese

Welt könnte die eure schon ab morgen sein, wenn ihr euch alle

einig wäret …; wir würden euch den Rest schon zeigen! – Jetzt

gehen wir in eine Welt, zu der

weder ich auf Dauer Zugang habe noch du! Wir dürfen ihr nur

einen kurzen Besuch abstatten, weil dies hier ein guter Zweck ist.

In jener Welt hat niemand weniger

als zweitausend Punkte! Die Reise ist weit, und ich werde dir

inzwischen einiges erzählen. Komm, setz dich in den Sessel

hier.’’

Ami drehte an seinen Kontrollknöpfen. Das Raum- schiff

begann ganz leicht zu zittern. Die Sterne wurden

zu langen Strichen, und vor den Fenstern erschienen wieder die

weissen Nebel, die anzeigten, dass wir in eine

sehr weit entfernet Welt reisten.

140

13. Kapitel

Eine blaue Prinzessin

,,Du sagtest doch, dass es Menschen in deinem Leben gibt, die

es dir schwer machen, sie zu lieben, nicht wahr, Pedrito?’’

,,Ja.’’

,,Ist es denn schlecht, nicht zu lieben?’’

,,Ja’’, sagte ich

,,Und warum?’’ fragte Ami.

,,Weil du gesagt hast, dass die Liebe das Gesetz ist und so

weiter …’’

,,Pedrito, vergiss nun für einen Augenblick mal alles, was ich

dir gesagt habe. Vielleicht habe ich dir ja was vorgemacht, oder

ich irre mich ganz einfach … Stell dir jetzt ein Universum ohne Liebe vor!’’

Ich begann mir Welten vorzustellen, auf denen Menschen

lebten, die niemanden liebten ausser sich selbst. Es waren Welten

voller Kälte und Ichbezogen- heit; denn nur Liebe kann das Ego

bremsen, wie Ami sagte. Alle kämpften gegeneinander und

zerstörten sich gegenseitig. Ich dachte an die negativen Ener-

gien, vo denen Ami gewarnt hatte, weil sie eine kosmi- sche

Katastrophe heraufbeschwören konnten. Ich ver- mochte mir

vorzustellen, wie ein schon am Boden lie- gender

selbstmörderischer Egozentriker nur aus

Rache auf den berühmten >>roten Knopf<< drückte …, und

schon verglühten ganze Galaxien in einer ketten-

reaktion!

,,Wenn keine Liebe wäre’’, sagte ich schliesslich,

141

,,gäbe es kein Universum.’’

,,Könnten wir dann vielleicht sagen, dass Liebe auf- baut und

fehlende Liebe zerstört?’’ ,,Ja, so könnte man sagen’’, meinte ich, ,,darauf

läuft es schliesslich hinaus.

,,Wer hat das Universum erschaffen?’’

,,Gott.’’

,,Wenn Liebe aufbaut und Gott das Universum auf- gebaut hat,

gibt es dann viel Liebe in Gott?’’

,,Natürlich, klar!’’ Plötzlich sah ich das Bild eines

wunderbaren Wesens vor mir, das strahlte und strahlte, während

es Galaxien, Welten und Sterne schuf.

,,Willst du wohl den Bart weglassen?!’’ lachte Ami. Er hatte

recht, schon wieder hatte ich mir ihn mit Bart und einem

menschlichen Gesicht vorgestellt, aber we-

nigstens nicht inmitten von Wolken, sondern inmitten Des

Universums!

,,Dann können wir sagen, dass Gott aus unendlich

viel Liebe besteht?’’

,,Natürlich’’, sagte ich, ,,deshalb mag er den Hass nicht und die

Zerstörung.’’ ,,Gut, wozu hat Gott das Universum erschaffen?’’

Ich dachte eine Zeitlang nach und wusste keine Antwort; dann

protestierte ich: ,,Glaubst du nicht, dass Ich zu klein bin, um so

eine Frage zu beantworten?’’

Ami nahm meinen Protest nicht zur Kenntnis.

,,Warum’’, fragte er, ,,bringst du deiner Grossmutter diese

>>Nüsse<< mit?’’

,,Damit sie sie kosten kann; sie werden ihr be- stimmt

schmecken.’’

,,Möchtest du, dass sie ihr schmecken?’’

,,Natürlich.’’

,,Warum?’’

142

,,Damit sie eine Freude hat, wenn sie ihr schmecken.’’

,,Warum möchtest du denn, dass sie eine Freude hat?’’

Weil ich sie lieb habe!’’ Ich war selbst überrascht festzustellen,

dass es ein Teil der Liebe ist, wenn man möchte, dass ein anderer

glücklich wird.

,,Deshalb also möchtest du, dass ihr die >>Nüsse<<

schmecken, damit sie eine Freude hat und glücklich ist?’’

,,Ja, genau deshalb.’’

,,Wozu, glaubst du, hat Gott die Menschen er- schaffen, die

Welten, die Landschaften, den Ge-

schmackssinn, die Farben, die Dürfte?’’

,,Damit wir glücklich sind!’’ rief ich aus, froh dar- über, etwas

Neues verstanden zu haben.

,,Sehr gut. Also glaubst du, dass Gott uns liebt?’’

,,Klar, er liebt uns sehr.’’

,,Na also, wenn er liebt, müssen wir doch auch lieben, oder?’’ ,,Ja, wenn Gott liebt …’’

,,Wunderbar! Gibt es etwas Grösseres als die Liebe?’’

,,Du hast gesagt, es ist das wichtigste.’’

,,Ich habe auch gesagt, du sollst vergessen, was ich gesagt

habe’’, lächelte Ami. ,,Es gibt einige, die

sagen, dass Intelligenz mehr wert ist. Wie wirst du es anstellen,

diese >>Nüsse<< deiner Grossmutter zu über- reichen?’’

,,Ich werde eine Überraschung vorbereiten.’’

,,Und brauchst du dafür deine Intelligenz?’’

,,Natürlich. Ich denk mir einen Plan aus.’’

,,Dann dient deine Intelligenz also der Liebe, oder ist es

umgekehrt?’’

143

..Das verstehe ich nicht.’’

,,Womit fängt es an, dass du möchtest, dass deine Grossmutter

glücklich ist? Mit der Liebe oder der Intel- ligenz?’’

,,Ah, mit der Liebe, damit fängt alles an.’’

,,Damit fängt alles an, Pedrito, da hast du sehr recht! Dann ist

es also so, dass du deine Intelligenz

verwendest, weil du deiner Grossmutter eine Freude machen

willst?’’

,,Ja, das stimmt. Ich stelle meine Intelligenz mei-

ner Liebe zur Verfügung, aber zuerst kommt die Liebe.’’

,,Was gibt es also, was über der Liebe steht?’’

,,Nichts?’’ fragte ich.

,,Nichts’’, antwortete er und wandte sich mir mit einem

strahlenden Blick zu. ,,Und wenn wir nun wis-

sen, dass Gott viel Liebe in sich hat, was ist er dann?’’

,,Ich weiss es nicht …’’

,,Wenn es etwas Grösseres gäbe als die Liebe, müsste das doch

Gott sein, nicht wahr?’’ ,,Ich glaube, ja.’’

,,Und was ist grösser als die Liebe?’’

,,Ich weiss nicht.’’

,,Was sagten wir denn, was über der Liebe steht?’’

,,Wir sagten, dass nichts über der Liebe steht.’’

,,Was ist dann Gott?’’ fragte er.

,,Ah, Gott ist Liebe. Du hast es ja schon öfters gesagt, und in

der Bibel steht es auch. Aber ich dachte, dass er ein Mensch sei,

der viel Liebe hat.’’

,,Nein, er ist kein Mensch mit viel Liebe, er ist die Liebe, oder

die Liebe ist Gott.’’ ,,Das versteh ich nun wieder nicht, Ami.’’

,,Ich habe dir gesagt, dass die Liebe eine Kraft ist, eine

Schwingung, eine Energie, deren Auswirkungen

144

mit den geeigneten Instrumenten gemessen werden können, mit

einem Sensometer zum Beispiel.’’

,,Ja, ich erinnere mich.’’

,,Das Licht ist auch eine Energie, eine Schwin- gung.’’ ,,Wirklich?’’

,,Ja, und auch die Röntgenstrahlen und die infra- roten und

ultravioletten Wellen, genauso wie die Ge- danken. Alles ist Vibration aus demselben Stoff auf

verschiedenen Schwingungsebenen. Je höher die

Schwingungszahl, umso feiner die Materie oder die Energie. Ein Stein oder ein Gedanke ist schliesslich

derselbe Stoff, nur mit unterschiedlicher Schwin- gungszahl.’’ ,,Und was ist das für ein Stoff?’’

,,Liebe.’’

,,Im Ernst?’’

Im Ernst! Alles ist Liebe, alles ist Gott!’’

,,Dann hat Gott das Universum aus reiner Liebe erschaffen?’’

,,>>Gott hat erschaffen<< ist eine alte Ausdrucks- form. Die

Wahrheit ist, dass Gott sich in das Universum verwandelt, in

einen Stein, in dich, in mich, in einen

Stern oder eine Wolke…’’

,,Dann …bin ich Gott??’’

Ami lächelte zustimmend. ,,Ein Tropfen des Mee- res kann

noch nicht sagen, dass er Meer ist, obwohl das Meer aus Tropfen besteht. Du bist aus derselben Sub-

stanz wie Gott. Du bist Liebe. Die ganze Entwicklung besteht

darin, es immer mehr zu wissen und unsere

Wesensgleichheit wiederzuerlangen: Liebe!’’

,,Dann bin ich Liebe?’’

,,Ja. Kannst du auf dich selbst zeigen?’’

,,Das verstehe ich wieder nicht, Ami.’’

145

,,Wenn du >>ich << sagst, wohin zeigst du? Auf wel- chen Teil

deines Körpers zeigst du, wenn du >>ich<< sagst?’’

Ich zeigte mitten auf meine Brust und sagte: ,,Ich.’’

,,Warum hast du nicht auf die Nasenspitze gezeigt, oder auf die

Stirn oder auf den Hals?’’ Ich fand es lustig, dass ich irgendwo anders hinzei-

gen sollte als auf meine Brust. ,,ich weiss nicht, warum ich gerade

hierhin zeige’’, meinte ich lachend. ,,Weil du dort wirklich zu Hause bist. Du bist Liebe,

und die Liebe wohnt hauptsächlich in der Brust. Dein Kopf ist so

eine Art Periskop wie beim Unterseeboot. Der Kopf ist dazu da,

damit du …’’, – und Ami deutete auf meine Brust – ,,dein

äusseres Leben erfassen kannst. Dieses Fernrohr hat auch einen

Computer,

und das ist dein Gehirn. Es hilft dir, die äusseren Ein- drücke zu

verstehen und deine Lebensfunktionen auf- einander abzustimmen. Deine Beine sind dazu da,

damit du gehen kannst, und deine Hände, um mit den Dingen

umgehen zu können. Aber du bist hier!’’ – und

er zeigte wieder auf die Mitte meiner Brust – ,,du bist Liebe.

Deshalb ist jeder Akt, den du gegen die Liebe begehst, ein Akt,

der gegen dich selbst gerichtet ist

und gegen Gott, der Liebe ist. Deshalb ist das Grund- gesetz des

Universums die Liebe, deshalb ist die Liebe die höchste

menschliche Ausdrucksform, und deshalb

ist der Name Gottes Liebe. Deshalb gibt es auch keine bessere

Universalreligion, als Liebe zu erleben und auszudrücken. Das ist

meine Religion, Pedrito.’’

,,Jetzt habe ich auf einmal ganz viel verstanden! Vielen Dank,

Ami!’’

,,Die Dankbarkeit ist eine der zwölf >>Früchte des

Lebensbaums<<.’’

,,Warum heisst er Lebensbaum?’’

146

Weil aus der Liebe das Leben kommt. Hast du schon davon

gehört, was es heisst, wenn zwei Men- schen sich sehr lieben?’’

,,Sicher. – Welches sind die zwölf Früchte?’’

,,Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Weisheit, Schönheit, um

nur einige zu nennen. Du kannst die anderen selbst herausfinden

und vor allem versuchen, sie zu verwirklichen.’’

,,Uff! Das wird nicht leicht sein!’’

,,Niemand verlangt von dir, dass du vollkommen bist, Pedrito,

das wird nicht einmal von den Sonnenwe- sen verlangt. Nur Gott ist vollkommen, weil er reine

Liebe ist. Wir sind ein Funken dieser göttlichen Liebe und müssen

versuchen, immer näher an das heranzu- kommen, was wir wirklich sind, müssen versuchen,

immer mehr wir selbst zu sein, nämlich frei! Es gibt keine andere

Freiheit! – Schau…,’’ – vor unseren Fenstern war ein rosafarbenes Licht erschienen – ,,…

wir sind da. Schau zum Fens…..’’, wollte Ami gerade sagen, da

lag das Innere des Raumschiffs plötzlich wie

gebadet da im Lichte eines Himmels, das vom zarten Rosa in ein

helles Lila hinüberspielte. Eine Art ehr- fürchtiger geistiger

Aufmerksamkeit erfüllte mich.

Mein Verstand war nicht mehr der alte. Es fällt mir schwer, die

Veränderung, die mit mir vorging, zu be- schreiben. Ich empfand

mich plötzlich nicht mehr als

dasselbe >>Ich<<, das ich jetzt bin; ich war auf einmal kein Kind

mehr, das von der Erde kam, sondern viel mehr als das. Mir kam es so vor, als wenn ich das, was ich erlebte, schon früher einmal erlebt hatte, weder die Welt noch der

Augenblick waren mir fremd. Ami und das Raumschiff waren

unwichtig geworden; ich war allein und ging einer Begegnung

entgegen, auf die ich lange gewartet hatte.

147

Ich schwebte durch die rosa strahlenden Wolken hindurch;

keine sonne war zu sehen, alles war ganz sanft. Es erschien eine

idyllische Landschaft mit einem rosafarbenen See, auf dem Vögel

schwammen, die Schwänen ähnlich sahen; vielleicht waren sie

weiss, aber das Lila des Himmels färbte alles ein. Um den See

herum gab es Schilf und Büsche in verschiedenen Grüntönen, in

Orange und Gelbrosa. Weiter weg erho- ben sich Hügelketten, die

mit Grün bedeckt waren, dazwischen gab es Blumen, die wie

Juwelen in vielen Farben und Tönen strahlten. Auch die Wolken

leuchte- ten in vielen Abstufungen von Rosa und Lila.

Ich wusste nicht, ob ich in dieser Landschaft war oder die

Landschaft in mir, vielleicht stimmte beides. Am meisten überraschte mich, dass die ganze Vegeta-

tion zu singen schien. Gräser und Blumen wiegten sich und

strömten dabei eine Art von Musik aus. Andere Blumen und Büsche taten es auf andere Weise und mit

anderen Tönen. Das waren bewusste Wesen, diese Schilfrohre,

diese Blumen und Gräser, alles sang und

tanzte und wiegte sich dabei. Selbst die fernen Hügel hatten ihren

Anteil an diesem wunderbaren Konzert, dem schönsten, das ich je

gehört hatte. Hier stand alles

in bewusster Harmonie!

Ich schwebte über den Saum der Lagune. Die Schwäne

schienen ein Elternpaar mit ihrer Brut zu

sein, sie sahen mich vornehm und gleichzeitig ehrer- bietig an aus

Augen, die wie hinter blauen Masken verdeckt schienen. Sie

grüssten mich, indem sie die

langen Hälse anmutig neigten. Ich grüsste zurück, mich ebenfalls

leicht und freundlich verneigend, und

ich weiss nicht, wie es zuging, ob die Eltern einen ge-

heimen Befehl ausgeschickt oder nur eine leichte Be- wegung

gemacht hatten, jedenfalls versuchten die

kleinen Schwäne ebenfalls ihre Hälse zu neigen. Das gelang ihnen

auch, wenn auch ein kleines bisschen weniger elegant; denn für

einen Augenblick verloren sie das Gleichgewicht, gewannen es

aber rasch wieder und schwammen weiter mit einer kindlichen

Hochnä- sigkeit, die ich sehr lustig fand. Ich grüsste auch sie

liebevoll, wahrte aber trotzdem den gebührenden Ab- stand.

Mein Weg führte mich unaufhaltsam weiter, dem Ort unserer

Begegnung entgegen. Dies war eine Ver-

abredung, die ich vor ewigen Zeiten eingegangen war: Ich würde

>>sie<< endlich finden!

In der Ferne erschien eine Art Pagode oder Per- gola, die in der Nähe des Ufers schwamm. Ihr japani- sches Dach

ruhte auf schmalen Stangen, zwischen denen Schlingpflanzen mit

rosa Blättern und blauen Blüten emporrankten und so das Innere

einschlossen. Auf dem glänzenden Holzboden lagen Kissen mit

brei- ten farbigen Streifen. Von der Decke hingen kleine

Verzierungen, Weihrauchampeln aus Gold oder Bronze und

kleine Käfige voller Grillen.

Auf dem Kissen sah ich >>sie<< sitzen. Ich fühlte, dass ich sie

schon lange, lange kannte, obwohl wir hier zum

erstenmal zusammentrafen. Wir sahen uns nicht in die Augen; das

wollten wir noch aufschieben, nichts über- eilen, wir hatten

schliesslich Tausende von Jahren ge-

wartet…! Ich machte eine Verneigung, die sie leicht erwiderte.

Dann trat ich ein, und wir begannen ein Gespräch, das nicht mit

den Worten des Alltags ge-

führt wurde. Für jene besondere Welt und diese beson- dere

Begegnung, die ich so ersehnt hatte, bestand

unsere Sprache vielmehr aus kunstvollen Gesten: wir

bewegten die Arme, die Hände und die Finger nach ganz

bestimmten Gefühlsregungen, die wir als

148

150

Schwingungen aussandten. Wenn das gesprochene Wort nicht

mehr ausreicht, verlangt die Liebe andere Formen der

Verständigung.

Endlich durfte ich das unbekannte Gesicht sehen! Sie war ein

wunderschönes Mädchen mit orientali- schen Gesichtszügen und einer lichtblauen Haut. Ihr

schwarzes Haar war in der Mitte gescheitelt, und auf der Stirn

trug sie einen Punkt. Ich fühlte, dass ich sie sehr Lieb hatte und sie mich auch, doch als ich mich endlich

getraute, meine Hand auf die ihre zu legen, - war auf Einmal alles

verschwunden. Ich befand mich wieder bei Ami im Kontrollraum

Des Raumschiffs, und der weisse, glänzende Nebel vor den

Fenstern sagte mir, dass wir bereits dabei waren, uns von dieser Welt zu verabschieden.

–,, …nster …!

Oh,

da

bist du ja wieder’’, sagte Ami.

Nun wusste ich, dass ich dies alles im Bruchteil einer Sekunde

erlebt hatte, zwischen dem >>Fens…<< Und dem >>…nster: des Wortes >>Fenster<<, das Ami aus- gesprochen hatte, als die rosa Farbe vor unseren Fen- stern

erschien. Ich war sehr bestürzt wie jemand, der aus einem

wunderschönen Traum erwacht und die glanzlose Wirklichkeit

wiedersieht. Oder war es umge- kehrt? Vielleicht war dies der

böse Traum und das andere die Wirklichkeit?

,,Ich will zurück!’’ rief ich . Ami hatte mich auf grau- same

Weise von >>ihr<< getrennt! Ich fühlte mich ganz zerrissen, das

konnte er mir nicht antun! Ich rang um meinen klaren Verstand;

das andere >>Ich<< war wie über mein wirkliches Leben

gestülpt! Auf der einen Seite

151

war ich Pedro, ein junge von neun Jahren, und auf der anderen

Seite ein Wesen …, und auf einmal konnte ich mich an nichts

mehr erinnern…

,,Du wirst dich schon wieder erinnern’’, besänftige mich Ami,

,,und du wirst zurückgehen dorthin, aber noch nicht jetzt.’’

So beruhigte ich mich langsam wieder. Ich wusste, dass ich

wirklich einmal zurückgehen würde. Ich erin- nerte mich an das Gefühl, dass es >>keine Eile hatte<<,

und ich wurde ganz ruhig. Nach und nach fühlte ich mich wieder

als der wirkliche Pedro, aber ganz der- selbe würde ich nie mehr sein; denn jetzt hatte ich eine

andere Dimension meines Wesens erlebt. Ich war zwar Pedro,

aber nur für den Augenblick, in Wahrheit war ich viel mehr als Pedro.

,,Was ist das für eine Welt, in der ich war?’’

,,Eine Welt, die ausserhalb von Raum und Zeit ist, in einer

anderen Dimension…vorderhand.’’

,,Ich war dort, aber ich war nicht der, der ich immer

bin. Ich war ein anderer.’’

,,Du hast deine Zukunft gesehen, das, was du sein wirst, wenn

du einen anderen Entwicklungsstand er- reicht hast, so um die

zweitausend Punkte.’’

,,Und wann wird das sein?’’

,,Da wirst du noch öfters sterben und wiedergebo- ren werden

müssen, sterben und geboren werden,

einige Leben lang!’’

,,Wie kann es sein, dass man in die Zukunft sehen kann?’’

,,Es steht alles schon aufgeschrieben. Der Roman Gottes ist

längst geschrieben. Du hast nur einige Sei-

ten übersprungen und auf einem Blatt gelesen, das

weiter hinten ist. Das ist alles. Es war notwendig, ein kleiner

Impuls, damit du ein für allemal den Gedanken

152

aufgibst, dass mit dem nächsten Tode alles aus ist … und auch,

damit du es aufschreibst und andere es lesen können.’’

,,Wer war dieses Mädchen, Ami? Ich weiss, dass wir uns sehr

liebhaben.’’ ,,Gott wird sie dir viele male an deine Seite stellen;

manchmal wirst du sie erkennen, manchmal nicht. Das hängt von

dem Gehirn in deiner Brust ab. Jede Seele hat eine andere Seele an ihrer Seite, eine bessere

Hälfte.’’

,,Ihre Haut war blau.’’

,,Deine auch. Nur hast du dich nicht im Spiegel gesehen’’,

lachte Ami mich aus.

,,Ist meine Haut jetzt auch blau?’’ Ich sah besorgt auf meine

Hände. ,,Natürlich nicht. Ihre Haut ist jetzt auch nicht

blau.’’

,,Wo ist sie jetzt in diesem Moment?’’

,,In deiner Welt.’’

,,Führ mich zu ihr, ich möchte sie sehen!’’

,,Und wie wirst du sie wieder erkennen?’’

,,Sie sah aus wie eine Japanerin, obwohl ich mich nicht genau

an ihre Züge erinnere; sie hatte einen

Punkt auf der Stirn.’’

,,Jetzt sieht sie aber nicht mehr so aus’’, sagte Ami,

,,jetzt ist sie ein ganz normales Mädchen.’’

,,Kennst du sie? Weißt du, wer sie ist?’’

,,Nichts übereilen, Pedrito, erinnere dich, Geduld bringt Rosen

… und inneren Frieden. Ein Überra-

schungsgeschenk soll man nicht vor der Zeit öffnen. Das Leben

wird dich führen, Gott steht hinter jedem

Ereignis.’’

,,Wie werde ich sie wiedererkennen?’’

,,Nicht mit dem Verstand, nicht mit Denken, nicht

153

mit Vorurteilen, nur mit deinem Herzen, nur mit Liebe.’’

,,Aber wie??’’

,,Beobachte dich aufmerksam! Besonders wenn du jemanden

kennenlernst … , aber verwechsle das

Innere nicht mit dem Äusseren! – Wir haben nicht mehr viel Zeit.

Deine Grossmutter wird bald aufwachen. Wir müssen zurück.’’

,,Wann wirst du wiederkommen?’’

,,Schreib erst das Buch, dann komme ich wieder.’’

,,Soll ich das von dem japanischen Mädchen schreiben?’’ ,,Schreib alles auf, aber vergiss nicht zu sagen, dass

es nur eine Geschichte ist.’’

154

14. Kapitel

Bis du wiederkommst, Ami!

Unter uns erschien die blaue Atmosphäre meines Planeten. Wir

waren über dem Meer und näherten uns der Küste. Die Sonne

ging schon hinter der entfernten Kordillere auf und schickte ihre

golden Strahlen durch die silbernen Wolken. Um uns der blaue

Him- mel, das schimmernde Meer, weiter weg die Berge…

,,Mein Planet ist wunderschön, trotz allem…’’

,,Ich habe es dir gesagt: er ist wunderbar, und ihr merkt es gar

nicht. Nicht nur, dass ihr ihn nicht schätzt,

ihr zerstört ihn auch noch und euch gleich mit! Wenn ihr aber

entdeckt, dass die Liebe das Gesetz des Univer- sums ist, wenn

ihr euch wie eine einzige Familie ohne Grenzen zusammenschliesst, euch nach den Gesetzen

der Liebe einrichtet, werdet ihr überleben.’’

,,Ohne Länder?’’

,,Die Länder würden wie verschiedene Provinzen sein, die von

einer Weltregierung vertreten werden wie überall in den zivilisierten Welten. Seid ihr nicht alle

Brüder?’’

,,Was heisst, sich nach den Gesetzen der Liebe einrichten?’’

,,So wie sich alle Familien in der Welt verhalten: Alle steuern ihre Kräfte bei, und alle geniessen zu glei- chen

Teilen. Wenn du fünf Leute hast und es fünf Äpfel gibt, dann

bekommt jeder einen. Das ist höchst ein- fach. Wenn die Liebe

fehlt, dann dient der Intellekt dem Ego und macht alles

kompliziert, um seine Selbstsucht

zu rechtfertigen. Wo die Liebe herrscht, ist alles einfach,

durchsichtig.’’

,,Ich bin schon wieder schläfrig, Ami…’’

,,Komm, ich werde dich noch einmal aufladen; aber heute abend

musst du schlafen.’’ Ich legte mich wieder in den Sessel, Ami schob mir wieder

etwas um den Kopf, und ich schlief ein. Als ich erwachte, war ich

voller Energie und glücklich, am Leben zu sein. ,,Warum bleibst du nicht ein paar Tage bei mir, Ami? Wir

würden an den Strand gehen und…’’

,,Ich möchte das gerne’’, sagte er und strich mir dabei übers

Haar, ,,aber ich habe viel zu tun. Es gibt noch viele, die das Gesetz

nicht kennen und nicht nur die auf der Erde…’’

,,Du dienst gerne, nicht wahr?’’

,,Ja, dank der Liebe. Auch du kannst dienen. Arbeite für den

Frieden und für die Einigung und lass für immer von der Gewalt

ab!’’

,,Das werde ich tun, obwohl der eine oder der andere schon mal

eine Ohrfeige verdiente…!’’

156

Ami lachte. ,,Du hast recht, aber die geben sie sich selbst.’’

,,Wie geht das?’’

,,Die Verletzungen der Liebe müssen tausendfach bezahlt

werden. Schau dir das Leid an, das es alleror- ten gibt! Manche haben Unfälle oder sie verlieren

einen geliebten Menschen, sie haben Pech … Auf diese oder

andere Weise werden die Verfehlungen gegen die Liebe gesühnt.’’

Dann konnten wir den Badeort sehen. Ami setzte das

Raumschiff einige Meter über den Strand; wir waren unsichtbar. Wir wandten uns nach rückwärts in

den Kontrollraum und umarmten uns. Ich war sehr traurig und er

auch. Dann gingen einige Lichter an, die mich blendeten.

,,ERINNERE DICH: DIE LIEBE IST DER WEG ZUM GLÜCKLICH-

SEIN’’, sagte er, während ich merkte, dass ich mich nach unten

bewegte. Dann stand ich auf dem Strand. Über mir sah ich gar

nichts. Ich wusste aber, dass Ami mich sah; vielleicht liefen auch

ihm die Tränen über die Wangen wie mir.

Ich wollte noch nicht fortgehen. Mit einem Stück Treibholz

zeichnete ich ein geflügeltes herz in den

Ufersand, damit er sah, dass ich seine Botschaft ver- standen

hatte.

Augenblicklich zeichnete sich wie von selbst ein

Kreis um das herz, und ich hörte Amis Stimme, die sagte: ,,Das ist

die Erde.’’ Dann ging ich nach Hause. Alles schien mir so

unendlich schön. Tief sog ich die Meeresluft ein, strei- chelte den

Sand, die Bäume, die Blumen. Ich hatte vorher gar nicht bemerkt,

wie schön der Pfad war, der zu unserem Häuschen führte, sogar

die Steine schie- nen zu schwingen.

157

Ehe ich ins Haus ging, sah ich noch einmal zum Himmel über

dem Strand: Es war nichts zu sehen.

Meine Grossmutter schlief noch. Ich richtete in meinem

Schlafzimmer alles her, tat so, als o ich ge-

rade aufgestanden wäre, und ging ins Bad, um mich zu duschen.

Als ich aus dem Bad kam, stand meine Gross- mutter vor mir.

,,Wie hast du denn geschlafen, mein

Kind?’’

,,Gut, Grossmutter, und du?’’

,,Schlecht, Pedrito, schlecht. Eigentlich habe ich die ganze

Nacht kein Auge zugetan!’’ Daraufhin musste ich sie zärtlich umarmen, ich

konnte nicht anders.

,,Grossmutter, ich habe eine Überraschung für dich, ich werde

sie dir beim Frühstück geben.’’

Sie machte den Kaffee und stellte ihn dann auf den

Tisch. Ich hatte die Nüsse auf einen Teller gelegt und mit einer

Serviette zugedeckt. Es waren noch fünf oder sechs übrig.

,,Probier das, Grossmutter’’, sagte ich und reichte ihr den

Teller. ,,Was ist es denn, mein Kind?’’

,,Es sind ausserirdische Nüsse, probier sie , sie sind gut.’’ ,,Na, was du wieder daherredest, mein Lieber. Lass

sehen, mmmh …, wie gut! Was ist das?’’

,,Ich habe es dir schon gesagt: ausserirdische Nüsse! Iss bitte

nicht mehr als drei, denn sie haben einen hohen Eiweissgehalt. –

Grossmutter, weisst du,

welches das grösste Gesetz im ganzen Universum ist?’’ Ich

strahlte, denn nun würde ich ihr eine meisterliche

Lektion erteilen können.

,,Aber natürlich, mein Kind’’, sagte sie.

Ich setze schon an, um sie über ihren Irrtum auf-

158

zuklären. ,,Welches ist es denn, Grossmutter?’’

,,Na, die Liebe, Pedrito’’, sagte sie ganz selbstver- ständlich.

Ich fiel aus allen Wolken, wie konnte sie das nur

wissen? ,,Und wieso weisst du das?’’ sagte ich ungläu- big.

,,Steht doch in der Bibel!’’

,,Ja, und warum gibt es dann Bosheit und Kriege,

Grossmutter?’’ ,,Weil es nicht alle wissen oder wissen wollen!’’

Ich ging dann im Dorf spazieren. Als ich zum Hauptplatz kam,

blieb ich wie angewurzelt stehen. Auf mich zu schritten die

beiden Polizisten von gestern abend, doch sie gingen an mir

vorüber, ohne mich zu beachten. Auf einmal blickten sie nach

oben, und an- dere Leute taten das auch. Hoch oben sah man ein

leuchtendes Objekt, das sich bewegte und die Farben Rot, Blau,

Gelb und Grün ausstrahlte. Die Polizisten telefonierten gleich

über ihre Sprechgeräte mit dem Polizeikommando. Ich war

glücklich und zufrieden. Ich wusste, dass Ami mich auf dem

Bildschirm sehen konnte, und grüsste ihn fröhlich mit der Hand.

Ein alter Herr mit Stock war wütend über den gan- zen

Auflauf. ,,Ein Ufo, ein Ufo!’’ schrien die Kinder glücklich. Der alte Mann sah nach oben und meinte

dann grämlich: ,,Was für unwissende, abergläubische Leute! Das

ist doch ein Aufklärungsballon oder ein Helikopter, vielleicht ein Flugzeug… Ufos!!! Nein, so

viel Unverstand!’’ Und er ging weiter mit seinem Stock, ganz

hochmütig, ohne noch einmal nach oben in den

Himmel zu gucken, der an diesem Morgen dieses wun- derbare

Schauspiel bot.

Ich hörte noch einmal ganz deutlich die Stimme von Ami, dem

Sternenkind: ,,Adios, pedrito.’’

159

Adios, Ami!’’ sagte ich sehr gerührt – und dann war das

>>Ufo<< verschwunden.

Am nächsten Tage stand gar nichts in der Zeitung. diese

Massenhalluzinationen sind schon nicht mehr

interessant, sind keine Neuigkeit mehr, es gibt schliess- lich jeden

Tag mehr von diesen unwissenden und abergläubischen Leuten…

Schlusswort

An der Küste jenes Badeortes gibt es ein Herz mit Flügeln in

einem Kreis. Es ist auf einen hohen Felsen Gezeichnet, auf

denselben Felsen, auf dem ich Ami kennengelernt habe. Es sieht

so aus, als ob sich diese Zeichnung in den Stein eingeschmolzen

hätte. Jeder, der an diesen Ort kommt, kann es sehen, aber es ist

nicht leicht, auf diesen hohen Felsen zu klettern, für Erwachsene

schon gar nicht!

Ein Kind kann es eher schaffen, denn Kinder sind wendiger

und vor allem weniger schwerfällig.

Die gute Nachricht:

Ami Kehrt zurück

Teil II


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