+ All Categories
Home > Documents > 059-66 JDAV v6 - alpenverein.de

059-66 JDAV v6 - alpenverein.de

Date post: 12-Apr-2022
Category:
Upload: others
View: 4 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
8
special Sagen HAFTE BERGE Sagen HAFTE BERGE
Transcript
Page 1: 059-66 JDAV v6 - alpenverein.de

s p e c i a l

SagenHAFTEBERGE

SagenHAFTEBERGE

Page 2: 059-66 JDAV v6 - alpenverein.de

Von den Geschichten, die anden langen Hüttenabenden imHerbst erzählt werden, glaubeich nicht einmal die Hälfte. Ichweiß ja, was ich dort selber er-zähle. Ebenso wie es ein Jäger-latein gibt oder ein Anglerlatein,ebenso gibt es natürlich auchein Bergsteigerlatein.

Dazu gehört etwa der „Draco montanus 1660“ beiJohann Jakob Scheuzer, „weyland Profess. derNaturlehre und Mathematic, Canonici in Zürichetc.“ in seinem Werk „Itinera per Helveticae alpi-nas regiones“. Es gibt darin sogar ein Bild des Dra-chens. Die Westalpen waren damals dem gebilde-ten schweizerischen Stadtbewohner mindestensebenso fern wie uns heute die Weltgegenden, dievom Yeti besiedelt sind.Kann man derlei Berg-Geschichteln aus der „Prä-Al-pinistik“ noch mit einigem guten Willen begreifenals Ergebnisse der Phantasie von Zeichnern, die selber nie im Gebirg gewesen sind, so gilt diese Aus-rede für die Fotosnicht mehr, mit de-nen ein gewisser Dr.Radzow das Kapitel„Der Bergsport“ indem Buch „Sportund Körperpflege“aus dem Jahre 1908illustriert hat. Einesdieser RadzowschenBergsport-Bilder soll den Einbruch in eine Gletscher-spalte darstellen; doch hinter dem bis zum Bauch imSchnee steckenden „Hochtouristen“ sieht man in be-ruhigender Nähe eine typische Mittelgebirgslandschaftmit sanften Hügeln und Nadelwald. Ein berühmter Bergschreiber der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts, Walter Schmidkunz, erzählte nicht bloßeinzelne derartige G´schichtln sondern schuf ganzeLeitfiguren der Alpinistik, die so, wie er sie schilderte,nur in seiner Phantasie existiert haben, den „Bergva-gabunden“ Hans Ertl etwa, den Spross einer gut situ-ierten Münchner Kaufmannsfamilie, oder den „jungenMenschen im Gebirge“ Leo Maduschka, der zwar tat-sächlich als 24jähriger im Wettersturz auf der Solleder-Route an der Civetta-Nordwestwand starb, das aber beiSchmidkunz mit dem Lied „Wir sind die Fürsten dieserWelt“ auf den Lippen tat. Und da war keiner, der denSchmidkunz gefragt hätte, wie man sich denn so waspraktisch vorzustellen habe.Die „Sexquelle im Höllental“ zwischen der Rax und demWiener Schneeberg ist ein Beispiel dafür, dass solche

In der kalten, finsteren Jahreszeit ging früher das Leben im Alpenraum einengemächlichen Gang. Die Felder waren abgeerntet, das Heu für den Winter ein-gebracht, die Vorratskammern nach Kräften gefüllt und die Wintersaison nebstSkizirkus noch lange nicht erfunden. Selbstverständlich mussten die Tiere imStall täglich versorgt werden und auch sonst beschäftigte man sich fast aus-schließlich im und ums Haus. Abends saß man dann in der Stube, meist demeinzigen geheizten Raum am Hof, beisammen. Es wurde gesponnen, gestricktoder geschnitzt und dabei unzählige Geschichten erzählt. MTV und mp3 gabes noch nicht, nicht mal Radio und Strom, selbst Bücher waren mit Ausnah-

me eines Gebetbuches in den bäuerlichen Haushalten selten vorhan-den. Ob Märchen für die Kinder oder Sagen für die Älteren, es wurdedas mündlich weitergegeben, was man selbst x-mal aufmerksam ge-hört hatte. Auch bemerkenswerte Erlebnisse oder Ereignisse wurdenimmer wieder aufgewärmt und mit jeder Erzählung zunehmend aus-geschmückt. Gar lustige oder schaurige Geschichten entstanden aufdiese Weise und irgendwann war es nicht mehr nachvollziehbar, obsich die Sache tatsächlich so zugetragen hatte. Beim Ausschmückender Geschichten war reichlich Platz für die Phantasie des Erzählerswie auch für die der Zuhörer. Und Phantasie spielte eine wichtigeRolle in dieser Jahreszeit, in der die Kasermanndl die Almhütten be-setzt hielten, Frau Percht(a) nächtens um die Häuser schlich unddie Wilde Jagd durch die Lüfte tobte. Auch heute lädt ein tristesWochenende oder ein verregneter Urlaubstag ein, sich mit altenSagen zu beschäftigen. Die Alpen sind zumindest voll davon undbieten so manche Überraschung, zumindest aber eine Erklärungfür diverse Bergnamen oder Ortsbezeichnungen.

Ab ends am OfenHorst Länger

Peter Baumgartner

Die Mär vomPotenzwasser

unter der Stadelwand

60 JDAVspecial 6/2005

Malerei auf Bienenstock

WirtshausschildFoto

s: H

ors

t L

äng

er

Page 3: 059-66 JDAV v6 - alpenverein.de

JDAVspecial 6/2005 61

G’schichtln auch im Zeitalter der elektronischen Medien ge-glaubt werden, wenn sie nur professionell genug gemacht sind.In die Welt gesetzt wurde die Mär vom Potenzwasser unter derStadelwand von Karl Lukan zusammen mit dem JournalistenHans Jablonka, und was von den beiden ursprünglich als alpineMünchhausen-Story geplant war – siehe Lukans bisher letztesBuch „Geheimnisvolles rund um Wien“ – hat sich verselbst-ständigt, wurde von österreichischen und bundesdeutschenGazetten ebenso ernsthaft nacherzählt wie vom Fernsehen

und steht heute schwarz auf weiß gedrucktim „Atlas der Wiener Hausberge“ von Freytagund Berndt.Die folgende Geschichte aber könnte EdgarAlan Poe erfunden haben: Ein Bergführer, nen-nen wir ihn Otto, war im Schlechtwetter mitseiner Partie unterwegs auf der „Buuch“ inder Bernina, einem wild zerrissenen Glet-scher, auf dem auch ein erfahrener Skitou-rist schon einmal in eine Spalte fallen kann,was dem Otto auch passierte. Während erdarauf wartete, von seinem Gefährten wie-der raus gezogen zu werden, gewöhnten

sich seine Augen allmählich an das Halbdunkel inder Spalte und da sah er, an einem straff gespann-ten Seil, dessen Verankerung droben am Spalten-rand von dem vielen Neuschnee zugedeckt wordenwar, einen Toten hängen. Ich habe diese Geschichtezuerst bei Henry Hoeck gelesen („Am Hüttenfeuer“)und später noch bei Kurt Maix („Berggeschichten“).Geglaubt habe ich sie aber erst dem Otto Feutl, denich in den 1960er-Jahren als Hüttenwirt vom Anna-

berger Haus auf dem Tirolerkogel in Niederösterreich per-sönlich kennen gelernt habe. Er war der Bergführer in jenerSpalte und die Erklärung für sein Erlebnis ist recht einfach:Von einer Zweierpartie stürzt der Erste in die Spalte, derZweite bringt ihn nicht heraus, verankert das Seil, versuchtHilfe zu holen, verirrt sich und wird erst Tage später halb ver-hungert am Piz Roseg gefunden. Und dazwischen fällt Feutlausgerechnet in diese Spalte von all den vielen auf der Buuch.Die wildesten und abenteuerlichsten Geschichten schreibt ebendoch das Bergsteigerleben selbst. Man hätte es gar nicht not-wendig, G’schichtln zu erfinden. Aber es ist halt so verlockend,an den langen Hüttenabenden im Herbst … �

s p e c i a lBergsteiger sind wahrhaft

und bescheiden …Ein kurzer Streifzug durch das Bergsteigerlatein

„Gletscherspalte“

Phantasiezeichnung

Foto

s: A

. Ste

inin

ger

: Der

Alp

inis

mu

s in

Bild

ern

, Pip

erve

rlag

19

24

Page 4: 059-66 JDAV v6 - alpenverein.de

Magnus und der BärDer Glaube der Bewohner des FüssenerLandes und der Leute im tirolischen Außer-fern an den Säuling als Treffpunkt der He-xen ist ein untrüglicher Hinweis, dass derSäuling bis zur Christianisierung des All-gäus im frühen 8. Jahrhundert ein alterGötterberg war. In der Lebensbeschreibungdes Füssener Stadtpatrons Magnus suchtedieser Heilige eines Tages am Säuling dieBegegnung mit Gott. Auf halber Höhe desBerges traf Magnus auf einen Bären, dermit seiner Tatze auf einen Baum zeigte.Magnus befahl dem Tier, den Baum mitZähnen und Klauen zu fällen. Als der Baumaber bis zu den Wurzeln ausgerissen war,lag eine Erzader frei, die künftig mit Hilfeder Menschen im Tal und zu deren Wohlausgebeutet werden sollte.Wahrend die einen in dem Bären ein Sym-bol für die wilde, heidnische Bevölkerung

sehen wollen, weisen die anderendarauf hin, dass der Säuling

den Säuling besteigen. Wir.....gelangten ge-gen 1 Uhr auf die Spitze desselben, die eineschöne Aussicht bietet; unter anderemsieht man München.....“Vier Jahre später, am 28. August 1861schrieb der Kronprinz an seine frühere Er-zieherin, Sibylle Meilhaus: „Neulich bestie-gen wir den Aggenstein in Tyrol, wo wirsehr viel Edelweiß pflückten. ...“ Zum Zeitpunkt der jeweiligen Besteigungkonnte der spätere Märchenkönig nichteinmal ahnen, dass er einmal zu Füßen desSäulings Schloss Neuschwanstein bauenwürde; und dass er für einen dem Aggen-stein gegenüber liegenden, kühnen Felsen,dem Falkenstein, sich ein atembe-raubendes Bauwerk erträumte, ei-ne filigrane, turmartige Architek-tur, deren goldstrotzende, zentraleHalle einmal den Leichnam seinesBauherren aufnehmen sollte.Das hügelige Land um Füssen wirdvon der markanten Berggestalt

des Säulings beherrscht. Anders als die an-deren Gipfel der Ammergauer und Tannhei-mer Berge, die alle durch Jöcher und Gra-te miteinander verbunden sind, steht derSäuling isoliert über der Landschaft. Un-verwechselbar sind seine Umrisse: die Fels-szenerie der Ostflanke und die beiden Kup-pen des Doppelgipfels; der Vorgipfel, aufdessen vom Tal aus eben erscheinendenPlateau, dem „Hexabödele“ der Überliefe-rung zufolge sich die Füssener Hexen ver-sammelten; die Zackenreihe der „ZwölfApostel“, deren letzter und mächtigster,der Pilgerschrofen, in seiner Form einer ge-waltigen Bischofsmütze gleicht.

62 JDAVspecial 6/2005

Sagen−hafte Berge im

OstallgäuAm 23. August 1857, zwei Tage vor seinem 12. Ge-burtstag, schrieb der bayerische Kronprinz Ludwigaus Hohenschwangau an seinen Großvater, KönigLudwig I., in München: „...nachdem es gestern schöngeworden war, durften wir zu unserer großen Freude

Frau Percht(a): mit freundlichem und bösem Gesicht

Untersberg: In ihm hausen Zwerge

Magnus Peresson

Page 5: 059-66 JDAV v6 - alpenverein.de

ein Kultplatz der keltischen Göttin Artiowar, der die Mythologie einen Bären alsheiliges Tier beigegeben hatte. Das Berni-sche Historische Museum in Bern besitztein vergoldetes, keltisches Votiv, das dieGöttin mit einem Bären zeigt.Mit der Christianisierung wurden die altenGötter zu Hexen, Drachen und anderen Un-tieren degradiert; ihre einst heiligen Plätzesanken zu Stätten wüster Orgien herab. Inder Tiroler Sagenliteratur hat sich dieFunktion des Säulings als Hexentanzplatzbis in unsere Zeit herüber gerettet:„Auf der Spitze des Säulings, der sich überdem Talbecken von Reutte erhebt, kommendie Hexen der ganzen Gegend zusammen,feiern dort ihreGelage und hopsenauf ihrem Tanzbo-den mit dem Sa-tan. Als zu Pfings-ten 1886 der auchim Tiroler Äußer-fern beliebte undverehrte Bayern-könig Ludwig II. inden Fluten desStarnberger Sees einen frühen, tragischenTod fand, hissten die Reuttener zum Zei-chen der Trauer auf der Gipfelstange desSäulings eine schwarze Fahne. Nach einigerZeit wollte man die Fahne wieder einziehenund fand dabei das Tuch mit so merkwür-digen Knoten verknüpft, dass es nicht ge-lang, sie wieder aufzulösen. Die geheimnis-vollen Knöpfe hatten tückische Hexenwährend ihres Gelages auf dem Säuling insFahnentuch geschlungen.“ (Karl Paulin, Ti-roler Sagen)Keine zehn Kilometer westlich des Säulingsragt hoch über den dreizehn Ortsteilen vonPfronten der dreigezackte Aggenstein inden Himmel. Besonders eindrucksvoll er-

scheint er im späten Herbst, wenn erschwarz wie ein finsteres Schloss vor ei-nem flammenden Abendhimmel steht. Wievon vielen anderen Bergen in den Alpen istauch von ihm eine der verbreiteten Vene-digersagen überliefert. Aber anders alssonstwo hat hier die Geschichte nichts mitden nach Gold oder Edelsteinen suchendenMännlein aus Venedig zu tun:

Gottesgericht im Märchenschloss„Hoch oben am Aggenstein, ein Stückleinunter der Nordwand, haben die Venedigerein wahres Märchenschloss. Der größte Teilist zwar unterirdisch, aber ein Stück ragtdoch über den Boden heraus. Alle sieben

Jahre kann es ein Menschsehen, und, wenn erGlück hat, den Venediger-könig dazu. Aber wenndieser Mensch nicht gan-ze sieben Jahre darüberschweigen kann, muss erunfehlbar tot umfallen,sobald er auch nur einWörtlein darüber verlau-ten lässt. Das Schloss ist

so herrlich, dass man es gar nicht beschrei-ben kann. Der König trägt keine Krone, son-dern einen goldenen Kapuzenmantel; seinlanger Bart ist ganz von Gold- und Silber-fäden, und er wickelt ihn mehrmals um denLeib. Im Gebiet des Aggenstein und bis überden Breitenberg duldet aber der Venediger-könig keinen Übeltäter, der seine Schuldnoch nicht gesühnt hat. Einmal hatte einPfrontener bei einem Kindsmord mitgetanund, um selber loszukommen, alles auf dieMutter des Kindes geschoben. Nun wollte erauf dem kürzesten Weg ins Tannheimertalhinüber. Da aber hielten ihn in der Muldezwischen dem Breitenberg und dem Aggen-stein ganz plötzlich zwei Kapuzenmänner

fest. Der Mann wollte sie ab-schütteln, aber das ging

nicht. Er schlug nach ihnen, aber er trafsich selber. Die zwei Männle legten ihm eineBinde um die Augen und, er mochte wollenoder nicht, er musste mit ihnen gehen. Alssie ihm die Binde abnahmen, sah er sich ineinem Gerichtssaal vor dem Venedigerkö-nig und seinen Schöffen. Alle hatten die Ka-puzen tief ins Gesicht gezogen. Vor demBurschen aber stand ein Tisch, auf dem einSpiegel lag; auf diesen Spiegel deutete derRichter. Schon beim ersten Blick merkte derGefangene, um was es hier ging: aus demsilbrigen Glas schaute ein totes Kindlein.Der Mörder schlug die Augen nieder, abereine Stimme rief: „Schau weiter, was duverschuldet hast!“ So musste er im Spiegelein Ereignis sehen, dem er vor Jahresfristfeige ausgewichen war: Die Henker führtenein todbleiches Weib zum Richtblock. Derunselige Mensch erkannte es sogleich undvermochte kein Wort mehr hervorzubrin-gen. Er zitterte am ganzen Leib und hattenicht mehr die Kraft, um Gnade zu flehen.Er wusste mit einem Male, was er verdienthatte, und sank tot zu Boden.Die Männlein aber lassen keinen Unreinenin ihrem Berg. Sie haben den Leichnam desGerichteten zu Tal getragen und hinter dieKirchhofmauer gelegt. Erst sieben Jahrespäter erzählte der Mesner die Geschich-te. Er hatte mit eigenen Augen gesehen,wie die Venediger mit dem Toten den Bergherabgekommen waren.Mit dieser Sage aber hebt sich der Schleiervor einer längst vergangenen Zeit, vor ei-ner Zeit, als die Berge noch Sitz der Göt-ter waren. Das Schloss der Venediger, derAggenstein, ist Wohnstatt der Götter; derKönig der Venediger mit seinem Bart ausGold- und Silberfäden ist kein geringererals der Göttervater, die letzte und höchsteInstanz, die furchtbar und unerbittlich allesBöse bestraft.” �

Wie ein finsteresSchloss vor

einem flammendenAbendhimmel

s p e c i a l

JDAVspecial 6/2005 63

Steinerne Agnes: vor dem Teufel errettete Sennerin

Watzmann: versteinerte böse Königsfamilie

Foto

s: H

ors

t L

äng

er

Page 6: 059-66 JDAV v6 - alpenverein.de

Eis der Übergossenen Alm Grünland war,dass da Wiesen gewachsen waren ...

...und göttliche ZeichenSagen als „moralische Instanz“: Dazugehören auch die Geschichten vonversteinerten Menschen, die be-kannteste dürfte die des grausa-men Königs Watzmann sein.Aber da hat es unter ande-rem auch die Frau Hitt er-wischt, die „SteinernenJager“ am Hochstau-fen, die „SteinerneAgnes“ im Latten-gebirge, oder dieKundl vor demBackofen amHeuberg. Straf-gerichte auchhier, für Hybris,für Grausam-keit, für nichtgottgefälligesLeben: Da hatman quasi die

Es muss dereinst ein blühendes Almdorf gewesen sein,hoch droben mit satten Almwiesen und fetten Kühen.Die Bewohner waren reich, sehr reich, und Reichtumgebiert Geiz und Hartherzigkeit. Es heißt, sie hättenvon silbernen Tellern gegessen und ihre Almwege mit

In Alpensagen ist das Urwissen der Bergbewohner aufbewahrt

Von Almgeistern

bis zum Zlatorog

Willi Schwenkmeier

Geschichte von Lots Frau ins Gebirgeübertragen. Es kann aber auch sein, dassdie Zur-Stein-Werdung als gnädiges Schick-sal gesehen wird, als „letzter“ göttlicherSchutz vor wilden Unholden oder gar vordem lüstern bedrängenden Teufel. Mahn-male bleiben diese meist bizarren Fels-gestalten allemal.Immer schon glaubten Menschen an ver-gangene, an so genannte „gute, alte Zei-ten“, erlagen sie dem Trugschluss, dass frü-her alles besser gewesen sein soll. War´s

fehlendes Zurechtfinden in einer unsi-cheren Gegenwart? War´s die Sehn-

sucht nach Ordnung, nachGerechtigkeit, vielleicht

gar nach einer star-ken, schützenden

Hand? Nach einer überden deprimieren-den Dingen ste-henden Auto-rität? Die Britenhatten ihren Kö-nig Artus nachAvalon entrückt,auf dass er einesfernen Tages „auf-erstehe“ und allenwieder eine rosigeZukunft bereite. DieBergbewohner sa-hen längst zum über-

Butter beschmiert, die Knöpfe ihrerKleider wären aus purem Gold ge-wesen. Ein armseliger Bettler wareines Tages gekommen, abgewiesenhatten sie ihn, schließlich abendszum Teufel gejagt. Da soll ein Unwet-ter aufgezogen sein, mit nie erlebtenStürmen, zu schneien fing´s an und zutosen und die Berge krachten undächzten, die ganze Nacht lang, den an-deren Tag auch noch und eine weitereNacht. Und als dann wieder die Sonneschien, sahen die Talbewohner die Almsiedlung mit all ihren Menschen undTieren unter einem dicken Gletscher begraben ...

Realer Hintergrund...Ein Strafgericht also, die Sage von der„Übergossenen Alm“ als warnendes Bei-spiel für die Nachgeborenen. Wir findensie im ganzen Alpenraum verstreut, über-all dort, wo die Gletscher herabgereicht ha-ben zu den Wiesen der Almbauern, amHochkönig wie im Ötztal, im Wallis wie imBerner Oberland. Eine Sage mit einer „Mo-ral“, wenn man das so sehen will: Reichtumführt zu Übermut und Frevel, eine allesvernichtende Strafe erscheint da unaus-weichlich, wie die Sintflut im Alten Tes-tament. Aber da könnte auch noch einrealer Hintergrund gegeben sein, näm-lich die katastrophale Klimaverschlech-terung vor rund vierhundert Jahren, dieso genannte „kleine Eiszeit“. Hat sichmöglicherweise eine vage Erinnerung er-halten? Zumindest am Hochkönig hat manherausgefunden, dass dereinst unter dem

Bergkristall

Perchtenmaske

Zapfenmanndl im Salzburger Land

64 JDAVspecial 6/2005

Foto

s: H

ors

t L

äng

er

Page 7: 059-66 JDAV v6 - alpenverein.de

menschlich Guten verklärte Herr-scher tief drinnen in unterhölten Ber-gen, Karl den Großen zum Beispiel imUntersberg, dem „Wunderberg“: Dasitzt er an seinem steinernen Tischund harrt der Dinge, und wenn seinsteinerner Bart dreimal um den Tischherum gewachsen ist, dann wird sichder Berg öffnen, dann wird Karl mitGekrach und Getöse zurückkehren aufdiese Welt und alles zu neuer Herrlich-keit und neuer Blüteführen. Interessan-terweise war´s ei-gentlich Barbarossa,der da im Unters-berg auf das göttli-che Zeichen wartet:Er hatte den Berch-tesgadenern die aller-ersten Freiheitsrech-te verbrieft ... Dannsoll´s sein Enkel gewesen sein, KaiserFriedrich II., den man schon zu Lebzei-ten als das „Staunen der Welt“ bezeich-nete, bis er nach seinem Tode 1250 als„Antichrist“ in die klösterlich manipu-lierte Geschichtsschreibung einzog undsomit alle Staufer mehr oder wenigerunmöglich machte: Blieb also der großeKarl, Barbarossa darf stattdessen imKyffhäuser schlummern ...

Menschliche GierDer Untersberg birgt ja tatsächlich eineganze Menge an Höhlen, auch Eishöhlen:Die Sagen erzählen von glitzerndem Ge-schmeide im Innern des Berges, von un-vorstellbarem Reichtum, und von Mann-derln und Weiberln, die darauf achten,dass diese Pracht den gierigen Menschennicht zugänglich ist. Wer´s dennoch ver-suchte, verschwand auf Nimmerwiederse-hen oder kehrte nach langen Zeiten völ-lig verwirrt zurück. Überhaupt handelnüber die ganzen Alpen verstreute Sagenvon Reichtum und Gold und Geschmeideund Menschen, die all das haben wollenund die deshalb draufgehen oder ein füralle Mal diese Pracht vernichten. Der

Gamsbock Zlatorog mit seinem golde-nen Gehörn zum Beispiel, ermuss wegen eines dämlichenWeibes sterben und sein Blutvergießen, aus dem seither dieTriglav-Rosen wachsen. Die Schät-ze im Inneren der Julischen Alpensind dadurch den Talbewohnernverwehrt, sind aufgrund (allzu)menschlicher Niedertracht verschüttgegangen für ewige Zeiten.

Projektionen der AngstAusgesetztsein erzeugte immer schonAngst. Bergbewohner waren (und sind)einer kaum kontrollierbaren Natur aus-geliefert, sie konnten vielfach nur hoffenund beten. Und die bösen Geister be-sänftigen. Die traten in vielerlei Gestaltauf, als Druud, als Dämonen, als quälen-de Almgeister. Der Teufel und seine Ge-spielen lauerten überall, sie ließen Tieredraufgehen, den Berg „kommen“, sorg-

ten für Lawinenund Stürme undstürzende Was-ser. So entstan-den Wallfahrten(deren Ursprungimmer Sagenzum Gegenstandhaben: Zum Bei-spiel die Wall-fahrt übers Stei-

nerne Meer, die „Barthlmäfahrt“, als diePinzgauer zu Pestzeiten die Glocke vonSt. Bartholomä hörten), aber auch Ab-wehrzeichen, Bannsprüche und „guteGeister“, die dem bösen Treiben Einhaltgeboten. Angst wurde projiziert insTranszendente, das Ausgeliefertsein warein Gänzliches, also bedurfte es helfen-der Kräfte gegen die Unbill der allmäch-tigen Natur. Sagen erklären Bergstürze,Überschwemmungen, Waldbrände, aberauch menschliche Verstöße und Untaten.Und hinter allem stecken wahre Kerneund Deutungsversuche. Die Altvorderenversuchten zu begreifen und durch Ge-schichten zu erklären, was sie eigentlichnicht verstanden.Die Pest des 17. Jahrhunderts war grausi-ge Realität und nicht fassbare Bedrohungzugleich: Aus der Angst entsteht der My-thos, wie in Saalfelden die Glocke von St.Bartholomä, und der Mythos gebiert denKult, also die Wallfahrt übers Gebirg. DieSagen von den vergletscherten Almen wei-sen zurück in eine „Warmzeit“, die heuti-ge Klimaforscher und auch die Archäologiebestätigen. Hybride Menschen hat es im-mer gegeben, das Strafgericht Gottes hatsie versteinert. Fast überall finden wir inden Alpensagen Begebenheiten versteckt,die auf ein tradiertes „Urwissen“ zurück-zuführen sind. Berge als Bedrohung einer-seits und als Hort des Glücks andrerseits:Berge sind für die Bewohner nichts ande-res als ihr Schicksal. Ihnen lieferten und lie-fern sie sich aus, heute wie seit undenk-lichen Zeiten. Solange werden Sagen, alsoeigentlich „Gesagtes“, weiter bestehen undwohl auch weiter entstehen. Das ist nur all-zu menschlich. �

t i c k e r + + + + + +

JDAV beim Ganztagsschulkongress

Anfang September fand im Berliner Congress Center dervom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowieder Kinder- und Jugendstiftung initiierte zweite Ganztags-schulkongress statt. Thema war diesmal „Individuelle Förderung – Bildungschancen für alle“. Der mit 1.500 Teil-

nehmern ausge-buchte Kongressdiente dem Erfah-rungsaustauschzwischen Lehrern,Schülern, Elternsowie Vertreternvon Verbänden,der Jugendhilfeund aus Verwal-tung und Wissen-schaft.

Die Landesjugendleitung Rheinland-Pfalz/Saarland warvom Deutschen Bundesjugendring eingeladen worden, ih-re Aktionstage „Umweltbaustelle“ aus dem Jahr 2004und „Klettern“ aus diesem Jahr an einem Stand vorzu-stellen. Zahlreiche Kongressteilnehmer zeigten großesInteresse an den JDAV-Aktionstagen im Rahmen vonSchul-Projektwochen und es konnten vielversprechendeKontakte geknüpft werden.

Stromausfall

Gegen Langeweile, für mehrSpaß: Endlich gibt es den 5. Band von Erbses Kletter-comics. Der neue Band han-delt unter anderem von denUmständen und Nöten einesKletterers, dem Nachwuchsins Haus steht. Diejenigen,denen so was auch schonpassiert ist, dürften da wohleiniges wieder erkennen.Und die anderen können sichein Bild davon machen, was mal auf sie zukommt. In je-dem Fall schlägt's auf die Form durch bis hin zum"Stromausfall"...

Erbse: Stromausfall. Panico Alpinverlag, Köngen 2005,ISBN 3-936740-26-7, € 10,-.

Zeit im Griff 2006 – Wochenplaner

Klettern pur: 144 Seiten mitüber 80 eindrucksvollenKletterfotos, durchweg inFarbe. Auf der linken Seiteein großformatiges Foto,auf der rechten Seite einWochenkalendarium mitviel Platz für tägliche Ter-mine und Notizen; inklusi-ve einer Jahresübersicht.Zwölf Doppelseiten mitausführlichen Gebietsin-fos (incl. Topos und Wandbildern) bieten zudemausreichend Stoff für den ersten Tag im Gebiet.

Versch. Fotografen. Zeit im Griff. Wochenplaner 2006.Panico Alpinverlag, Köngen 2005, ISBN 3-936740-08-9, € 16,80.

n

Hoffen und beten –und die bösen

Geister besänftigen

e

JDAVspecial 6/2005 65

Foto

: Kat

ja B

ecke

r

Page 8: 059-66 JDAV v6 - alpenverein.de

Volles Programm: Das neue JDAV Jugendkursprogramm ist da

Kinder und Jugendliche zwischen 9 und 25 Jahren ha-ben auch im kommenden Jahr wieder die Qual der Wahlaus einer bunten Mischung aus Abenteuer, Äktschn,Spaß, Naturerfahrung und Ausbildung. Ob mit Touren-ski und Snowboard, beim Klettern, auf einer Umwelt-baustelle, mit dem Mountainbike, Steigeisen oder Pickel,es gibt viele Möglichkeiten, mit der JDAV unterwegs zusein. Das 28 Seiten umfassende Heft präsentiert sichin gewohnt frischem Outfit mit zahlreichen Bildern,Erlebnisberichten und Hintergrundinfos zu den Kursen.

Neu im Programm sind unter anderem zwei Freeride-Camps, eine deutsch-französische Mountainbike-Woche, eine Kletterwoche im Elbsandsteinge-birge und eine integrative Gebirgsdurchquerung im Allgäu. Das kompletteKursangebot ist unter www.jdav.de abrufbar. Du kannst dir aber auch dasProgrammheft zuschicken lassen. Ruf einfach an: 089/14003-0.

t i c k e r + + + + + + + + + + + + v e r a n s t a l t u n g e n

Allgäuer Seminare 2006

Die Jugendbildungsstätte Hindelang des Deutschen Alpenvereins in Hinde-lang im Allgäu veranstaltet 2006 wieder erlebnispädagogische Seminarefür haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter in der Jugendarbeit. Einekonzeptionelle novellierte pädagogische Zusatzqualifikation im Bereich Erlebnispädagogik in den Handlungsfeldern „Bergwandern“, „Klettern“,„Zahmwasser“, „Wildwasser“, „Höhle“ und „Mountainbike“ wird in einemTrägerverbund mit anderen Jugendinstitutionen und Fachsportverbändenangeboten, ebenso eine Ausbildung zum Ropes-Course-Trainer. Nach den Erfolgen der Vorjahre wird die auch fachsportliche Qualifizierungfür Erlebnispädagogen, „Hard skills Klettern“, erneut angeboten. Dieses Seminarprogramm ist praxisorientiert angelegt; die Reflexion dereigenen Erlebnisse führt zur Grundlage einer Diskussion erlebnispädago-gischer Modelle sowie einer realistischen Einschätzung von Wirkungen,Chancen und Defiziten. Hierbei wird ökologischen Bezügen ein besondererStellenwert eingeräumt.

Nähere Informationen im internetunter www.jubi-hindelang.deoder direkt bei der

Jugendbildungsstätte HindelangJochstraße 50 Postfach 114387539 Hindelang

Tel.: 08324/9301-0Fax: 08324/9301-11

IMPRESSUM: JDAV special – Sonderteil für die Jugend des DAV, aus Mit-teln des Kinder- und Jugendplans des Bundes gefördert, 49. Jahrgang, JDAVspecial in DAV Panorama 6/2005. Herausgeber ist die Jugend des DeutschenAlpenvereins, Bundesjugendleiter ist Hannes Boneberger, Chefredakteur desJDAV specials ist Lutz Bormann in Zusammenarbeit mit dem JDAV-Redak-tionsteam. Mitarbeiter dieser Ausgabe sind: Peter Baumgartner, Horst Länger,Magnus Peresson und Willi Schwenkmeier. Beiträge bitte an den DAV, JDAV-Redaktionsteam, Von-Kahr-Str. 2 – 4, 80997 München senden. Die Beiträgegeben die Meinung der Verfasser, nicht der Jugend des Deutschen Alpenver-eins wieder. Nachdruck nur mit Genehmigung der Chefredaktion. Grafik undArtwork: SENSiT Communication GmbH, München, www.sensit.de. Titelbild:Horst Länger

Foto

: JD

AV

Foto

: JD

AV


Recommended