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1 chirurgische praxis 2018 Band 84 / 4 Beckenfraktur – Fragilitätsfraktur – Osteoporose – inadäquates Trauma – Alterstraumatologie chirurgische praxis 84, 1–10 (2018) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG Beckenfraktur im Alter – spezifische Konzepte A. Tylla 1 , D. Tylla 2 , R. Stangl 1 1 Klinik für Unfall-, Schulter- und Wiederherstellungschirurgie, Sportmedizin und Sporttraumatologie, Krankenhaus Rummelsberg; 2 Unfallchirurgische Klinik, Klinikum Neumarkt Einleitung Dem demografischen Wandel der letzten Jahr- zehnte ist eine deutliche Zunahme der Becken- frakturen im hohen Alter geschuldet. Entstanden infolge eines inadäquaten Traumas, werden die- se Frakturen als sogenannte Fragilitätsfrakturen bezeichnet, welche zusätzlich häufig Osteopo- rose-assoziiert sind. Burge zeigte bereits 2007, dass 7 % der Osteoporose-bedingten Frakturen im Bereich des Beckens zu finden sind [1]. Be- züglich der Inzidenz konnte Sullivan eine deutli- che Zunahme von geriatrischen Beckenfrakturen innerhalb der letzten Jahrzehnte beobachten [2]. Natürlich kann man diese steigenden Zahlen auch auf eine bessere Verfügbarkeit von erwei- terter radiologischer Diagnostik, wie Computer- tomografie oder Kernspintomografie zurückfüh- ren, jedoch spielt die zunehmende Überalterung unserer Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Resultierend daraus steigt die Zahl von unfall- verletzten älteren Patienten, die gleichzeitig an akuten oder chronischen Begleiterkrankungen leiden. Diesen komplexen Zusammenhängen möchte die Alterstraumatologie Rechnung tra- gen. Sie fokussiert sich auf Patienten ab dem 70. Lebensjahr, die vorwiegend an Altersfrakturen leiden. Im Folgenden wird bezüglich der Becken- fraktur im hohen Alter, Diagnostik, Klassifikation und die daraus resultierende Therapie anhand des Algorithmus der Sana Klinik Rummelsberg präsentiert. Epidemiologie Die Inzidenz der Beckenfraktur bei jungen Pati- enten liegt bei 37/100.000 Einwohner [3]. Im Vergleich hierzu weisen die Fragilitätsfrakturen des geriatrischen Patienten deutlich höhere Zahlen auf [4]. Das deutsche Beckenregister nennt 224/100.000 [5], wohingegen in einer englischen Veröffentlichung bis zu 450 Frak- turen pro 100.000 im Bereich des Beckens bei geriatrischen Patienten beobachtet wurden [6]. Die Geschlechtsverteilung liegt bei 43 % zu 57 % aufseiten der weiblichen Bevölkerung [7]. Be- züglich der Ein-Jahres-Mortalität werden Daten zwischen 9,5 und 27 % beschrieben [8–10]. CME c m e. m g o -f ac h v e rl a g e .d e
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1chirurgische praxis 2018 Band 84 / 4

Beckenfraktur – Fragilitätsfraktur – Osteoporose – inadäquates Trauma – Alterstraumatologie

chirurgische praxis 84, 1–10 (2018) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG

Beckenfraktur im Alter – spezifische Konzepte

A. Tylla1, D. Tylla2, R. Stangl1

1Klinik für Unfall-, Schulter- und Wiederherstellungschirurgie, Sportmedizin und

Sporttraumatologie, Krankenhaus Rummelsberg;2Unfallchirurgische Klinik, Klinikum Neumarkt

� Einleitung

Dem demografischen Wandel der letzten Jahr-zehnte ist eine deutliche Zunahme der Becken-frakturen im hohen Alter geschuldet. Entstanden infolge eines inadäquaten Traumas, werden die-se Frakturen als sogenannte Fragilitätsfrakturen bezeichnet, welche zusätzlich häufig Osteopo-rose-assoziiert sind. Burge zeigte bereits 2007, dass 7 % der Osteoporose-bedingten Frakturen im Bereich des Beckens zu finden sind [1]. Be-züglich der Inzidenz konnte Sullivan eine deutli-che Zunahme von geriatrischen Beckenfrakturen innerhalb der letzten Jahrzehnte beobachten [2]. Natürlich kann man diese steigenden Zahlen auch auf eine bessere Verfügbarkeit von erwei-terter radiologischer Diagnostik, wie Computer-tomografie oder Kernspintomografie zurückfüh-ren, jedoch spielt die zunehmende Überalterung unserer Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Resultierend daraus steigt die Zahl von unfall-verletzten älteren Patienten, die gleichzeitig an akuten oder chronischen Begleiterkrankungen leiden. Diesen komplexen Zusammenhängen möchte die Alterstraumatologie Rechnung tra-gen. Sie fokussiert sich auf Patienten ab dem 70. Lebensjahr, die vorwiegend an Altersfrakturen leiden. Im Folgenden wird bezüglich der Becken-fraktur im hohen Alter, Diagnostik, Klassifikation und die daraus resultierende Therapie anhand des Algorithmus der Sana Klinik Rummelsberg präsentiert.

� Epidemiologie

Die Inzidenz der Beckenfraktur bei jungen Pati-enten liegt bei 37/100.000 Einwohner [3]. Im Vergleich hierzu weisen die Fragilitätsfrakturen des geriatrischen Patienten deutlich höhere Zahlen auf [4]. Das deutsche Beckenregister nennt 224/100.000 [5], wohingegen in einer englischen Veröffentlichung bis zu 450 Frak-turen pro 100.000 im Bereich des Beckens bei geriatrischen Patienten beobachtet wurden [6]. Die Geschlechtsverteilung liegt bei 43 % zu 57 % aufseiten der weiblichen Bevölkerung [7]. Be-züglich der Ein-Jahres-Mortalität werden Daten zwischen 9,5 und 27 % beschrieben [8–10].

CMEcm

e.mgo -fachverlage

.de

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Harnleiterabriss, Darmläsionen sowie retro- und intraabdominelle Blutungen bei Aufnahme aus-geschlossen werden. Der intrapelvine Blutver-lust, der vor allem bei Läsionen im Bereich des Venenplexus bei Frakturen des hinteren Becken-rings auftritt, kann bis zu fünf Liter betragen.

� Spezifische Diagnostik bei Becken­frakturen im hohen Alter

Die klinische Untersuchung des Beckens bein-haltet sowohl das Abtasten der Lendenwirbel-säule, die laterale und ventrale Kompression des Beckens als auch das Abtasten des vorderen Beckenrings mit axialer Stauchung. Weiterhin erfolgen eine Kontrolle der Iliosakralgelenke mittels Kompression sowie eine Inspektion der Weichteile. Prellmarken und Hämatome, aber auch unspezifische Schmerzen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule (LWS) sowie im Be-reich der Leistenregionen oder der Trochanteren können Hinweise auf eine Beckenfraktur sein. Eine allgemeine neurologisch-klinische Untersu-

� Risikofaktoren

Osteoporose, das weibliche Geschlecht, rezidi-vierende Stürze und Komorbiditäten, wie Dia-betes mellitus, Morbus Parkinson, Polypharmazie und rheumatoide Arthritis stellen einen Großteil an Risikofaktoren für die Fragilitätsfrakturen des Beckens im hohen Alter dar (Tab. 1). Weitere Faktoren wie vermindertes Koordinationsvermö-gen in Kombination mit verminderter Seh- und Muskelkraft, aber auch eine steigende Anzahl von zementaugmentierten Wirbelkörpern be-günstigen Insuffizienzfrakturen des Sakrums. Eine vorangegangene Chemo-/Strahlentherapie, z. B. bei Rektumkarzinom- bzw. Prostatakarzi-nompatienten, bedingt ebenfalls ein erhöhtes Risiko für derartige Frakturen [3, 11–14].

� Komorbiditäten

Wie beim jungen Patienten müssen auch beim geriatrischen Patienten schwere intrapelvine Begleitverletzungen, wie z. B. Blasenruptur,

Junger Patient Geriatrischer Patient

Traumaenergie(Traumaereignis)

Hochenergie(adäquat)

Niedrigenergie(inadäquat)

Osteoporose ↓ ↑↑↑

Morbidität/Mortalität Vergleichbar

Zeitpunkt der Diagnose Früh/meist direkt nach dem Trauma

Oft verspätet/übersehen

Anzahl an Zusatzmedikamenten

↓ ↑↑↑

Anzahl an Begleiterkrankungen

↓ ↑↑↑

Begleitverletzungen Polytrauma Monoverletzung

Tab. 1 | Beckenfrakturen im Altersvergleich

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chung bezüglich der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität wird spezifisch bezüg-lich der Sphinkterkontrolle, aber auch bezüglich der Überprüfung der Reithosenanästhesie er-weitert. Blutaustritt aus dem Meatus urethrae bzw. Enddarm können indirekte Zeichen für eine Beckenfraktur darstellen. Die Sonografie bezüg-lich freier intraabdomineller Flüssigkeit und die nativradiologische Untersuchung des Beckens mittels Übersichtsaufnahme a. p. (Abb. 1) ver-vollständigen die initiale Diagnostik des Beckens beim geriatrischen Patienten. Die Röntgendia-

gnostik kann mittels Inlet-/Outlet-View ergänzt werden. Die Diagnostik von nicht-dislozierten Frakturen im Bereich der Massa lateralis und des Os sacrum sind nativradiologisch nur selten möglich [15–17]. Sinnvolle Erweiterungen stel-len hierbei die frühzeitige Computertomografie des Beckens dar, um Frakturen im Bereich des hinteren Beckenrings zu detektieren (Abb. 2), als auch die Magnetresonanztomografie (T2- und STIR-gewichtet), um frische von älteren osteo-porotischen Frakturen zu differenzieren [15, 18, 19].

Abb. 1 | Nativradiologische Beckenübersicht a. p. mit beid-

seitiger dislozierter vorderer Beckenringfraktur (FFP Ib nach

[20]); bezüglich der initialen Diagnostik kann diese mittels Inlet- und Outletaufnahmen

ergänzt werden. Die Diagnostik von nicht-dislozierten Frak-turen im Bereich der Massa

lateralis und des Os sacrum ist hierbei nur selten möglich.

Abb. 2 | CT Becken: Luftein-schlüsse im Bereich der

ISG-Fugen mit Verwerfung im Bereich der Massa lateralis

bds.; nicht-dislozierte Massa lateralis-Fraktur bds. (FFP IIb

nach [20]); die computer-tomografische Diagnostik

des Beckens ist insbesondere bei Verdacht von Frakturen

im hinteren Beckenring indiziert. Zusätzlich kann

die MRT-Diagnostik (T2- und STIR-gewichtet) Aufschluss

über eine frische bzw. ältere Genese bzgl. osteoporotischer

Frakturen liefern [18].

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• Schmerztherapie (nach WHO-Stufenschema)• Physiotherapie • Lymphdrainagentherapie• Ergotherapie• Logopädie• psychiatrische Mitbetreuung• Osteologische Mitbetreuung nach den Vorga-

ben des Dachverbands für Osteologie (DVO)• Geriatrische Mitbetreuung • Delirprophylaxe• Sturzabklärung• Sozialdienst (Abklärung der häuslichen

Versorgung, Hilfsmittel, …)

Die konservative Therapie der FFP I beinhaltet weiterhin eine Vollbelastung mit Mobilisation bis zur Schmerzgrenze (Abb. 4) unter adäqua-ter Schmerztherapie nach WHO-Stufenschema. Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) werden aufgrund der unerwünschten Arzneimittelwir-kungen möglichst vermieden und frühzeitig durch Opioide entsprechend ersetzt. Innerhalb von drei bis fünf Tagen sollten der Transfer vom Bettrand in den Stuhl und die Mobilisation im hohen Gehwagen unterhalb eines Schmerzscores von VAS 5 erreicht werden. Die Frequenz der Mobilisation und das Ausmaß der Belastung er-folgen schmerzadaptiert nach Angabe durch den Patienten. Bezüglich der Reevaluation und der Therapiekontrolle erfolgt eine nativradiologische Übersichtsaufnahme des Beckens in 5 bis 7 Ta-gen nach Beginn der physiotherapeutischen Be-übungen. Sollte nach wenigen Tagen bereits eine Zunahme des Schmerzscores trotz ausreichender Analgesie zu verzeichnen sein, wird zeitnah eine CT-Diagnostik des Beckens veranlasst, um hier frühzeitig Begleitpathologien auch im Bereich des hinteren Beckenrings zu verifizieren. Ziel-punkt sollte in der Regel eine Mobilisation im hohen Gehwagen bzw. mittels Rollator und ein Schmerzscore von VAS 3 sein.

FFP II

Die undislozierten Frakturen des hinteren Be-ckenrings, die mit einer Fraktur des vorderen Beckenrings einhergehen (FFP II), werden in der Regel ebenfalls konservativ versorgt. Eine

� Klassifikation

Aufgrund der unterschiedlichen Behandlungs-ansätze bezüglich der Beckenfraktur bei jun-gen und älteren Patienten ist die ursprüngliche AO-Klassifikation der Beckenfraktur nicht ausrei-chend. Rommens und Hofmann haben im Jahre 2013 eine Übersichtsarbeit mit 245 geriatrischen Patienten veröffentlicht, in der insbesondere die Fragilitätsfrakturen des Beckens berücksichtigt wurden [20]. Die sogenannten Fragility Fractures of the Pelvis (FFP) werden in 4 unterschiedliche Hauptkategorien eingeteilt, die von stabil (FFP I), moderat stabil (FFP II) über instabil (FFP III) bis hochinstabil (IV) reichen.

Abbildung 3 zeigt einen Überblick über die Klassifikation der Fragilitätsfrakturen des Be-ckens nach Rommens und Hofmann.

� Therapien von Fragilitätsfrakturen des Beckens

Im Folgenden werden die spezifischen Behand-lungsalgorithmen unserer Klinik bei geriatri-schen Beckenfrakturen in Abhängigkeit der Klas-sifikation von FFP nach Rommens und Hofmann erläutert [20].

FFP I

Die durchwegs stabilen Fragilitätsfrakturen des Beckens, die unilateral bzw. bilateral auf den vorderen Beckenring beschränkt sind, werden initial konservativ behandelt. Bei Aufnahme aller Patienten mit Beckenringfraktur und ei-nem Alter von über 70 Jahren wird bereits in der Notaufnahme ein geriatrisches Screening veranlasst. Fällt dieses positiv aus, erfolgt in Absprache zwischen dem Koordinator des alters-traumatologischen Zentrums der Unfallchirurgie und dem geriatrischen Kollegen die Aufnahme in unser Zentrum für Alterstraumatologie. Wäh-rend des zweiwöchigen stationären Aufenthal-tes erfolgt eine geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung, die folgende Punkte bein-haltet:

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FFP Lokalisation % Differenzierung

I

Stab

il

Vordere Beckenring­

fraktur (VBF)

17,6 % A: unilaterale VBF

0,4 % B: bilaterale VBF

II

Mod

erat

sta

bil

Nicht­ dislozierte

Sakrumfraktur (SF)

1,2 % A: nicht-dislozierte SF

24,1 %B: Kompressionsverletzung der vorderen Massa lateralis mit

VBF

26,5 %C: komplette nicht dislozierte

SF, Ileumfraktur (IF) od. ileosakrale Verletzung mit VBF

III

Inst

abil

Dislozierte unilaterale

hintere Beckenring­

fraktur

8,2 % A: dislozierte unilaterale IF

1,6 %B: dislozierte iliosakrale

Verletzung/Ruptur

1,2 % C: dislozierte unilaterale SF

IV

Hoc

h in

stab

il Dislozierte bilaterale hintere

Beckenring­fraktur

0,8 % A: dislozierte bilaterale IF

15,1 % B: dislozierte bilaterale SF

3,3 %C: Kombinationen von verschie-denen dorsalen Instabilitäten

Abb. 3 | Übersicht der Klassifikation der FFP modifiziert nach [20]

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mal-invasiv von lateral aus eingebracht. Um ein Eindringen des Schraubenkopfes – aufgrund der meist vorliegenden Osteoporose – zu vermeiden, sollte eine Beilagscheibe verwendet werden. Eine zusätzliche Option stellt im Rahmen dieser Behandlung die Zementaugmentation im Bereich der Schraubenspitze dar. In vereinzelten Fällen ist jedoch auch eine lumbopelvine Abstützung, insbesondere bei stark medialisierten Sakrum-frakturen indiziert (Abb. 5).

FFP III und IV

Bei den instabilen bzw. hoch instabilen Be-ckenringfrakturen mit deutlicher mechanischer Instabilität erfolgt regelhaft eine operative Ver-sorgung. In den meisten Fällen wird hier ein

suffiziente Analgesie zur Mobilisation muss erreicht werden, um mögliche Komplikationen einer länger andauernden Immobilität zu ver-meiden [21]. In diesem Behandlungsalgorithmus werden die Patienten – wenn möglich – mittels Teilbelastung unter adäquater Schmerztherapie mobilisiert. Der weitere Behandlungspfad ähnelt hierbei im Wesentlichen dem der Therapie der vorderen uni- bzw. bilateralen Beckenringfrak-tur (FFP I). Bei Therapieversagen oder sekun-därer Dislokation wird frühzeitig die operative Versorgung favorisiert. Die minimal-invasive ze-mentaugmentierbare transiliosakrale Verschrau-bung stellt hierbei insbesondere bei iliosakraler Instabilität oder Frakturen lateral der sakro-iliakalen Fuge das Mittel der Wahl dar. Hierbei werden 1 bis 2 kanülierte Schrauben mit Teil-gewinde im Bereich des Wirbelkörper S1 mini-

a b c

d e f

Abb. 4 | Die konservative Therapie der FFPI beinhaltet die frühzeitige Mobilisation unter Vollbelastung. Ein spezifisch geschultes Team aus Physiotherapeuten trainiert primär den Transfer aus dem Bett (a–c) und versucht dann den Patienten am hohen Gehwagen zu mobilisieren (d–f).

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kombiniertes dorsoventrales Vorgehen mit Ver-sorgung des vorderen und hinteren Beckenrings angestrebt. Bei vorliegender dislozierter oder in-stabiler vorderer Beckenringfraktur erfolgt eine offene Reposition und interne Fixation mittels Plattenosteosynthese.

Instabilitäten bzw. einseitige Dislokationen des hinteren Beckenrings (FFP III) werden mittels minimal-invasiver transiliosakraler Verschrau-

Abb. 5 | TISTM-Schraube – kanülierte transiliosakrale Verschraubung, ggf. zementaugmentiert (mit freundlicher Genehmigung der Königsee Implantate GmbH)

Abb. 6 | Alternativ kann eine spinopelvine Fixation mit zusätzlicher Plattenosteosynthese mittels transspinalem Stab ebenfalls zum Einsatz kommen.

bungsosteosynthese gemäß der Versorgung der therapieresistenten unilateralen hinteren Be-ckenringfrakturen Typ FFP II versorgt.

Im Falle einer FFP-IV-Verletzung des Beckens mit bilateraler Beckenringfraktur und deutli-cher mechanischer Instabilität steht ebenfalls das dorsoventrale operative Therapieregime im Vordergrund. Hierbei erfolgt neben der »Open Reduction and Internal Fixation« (ORIF) des vorderen Beckenrings eine Stabilisierung des hinteren Beckens mittels lumbopelviner Abstüt-zung (Abb. 6), ggf. kombiniert mit iliosakraler Schraubenosteosynthese, um eine Dissoziation und ein Eintauchen der Wirbelsäule in das Be-cken zu verhindern. Hierbei werden Pedikel-schrauben in L3/L4 und/oder L4/L5 sowie eine großkalibrige Schraube im Bereich der Spina iliaca posterior superior parallel zum Iliosakral-gelenk bis in die supraacetabuläre Region plat-ziert. Hierüber wird ein Stab eingebracht, um die Schrauben zu verbinden.

Zusammenfassend werden die spezifischen Be-handlungsalgorithmen der Osteoporose-assozi-ierten Frakturen des Beckenringes in Abbil-dung 7 anschaulich dargestellt.

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vom vorgegebenen Behandlungsregime abge-wichen werden. Eine frühzeitige und adäquate Diagnostik mittels CT bzw. MRT sollte zu einer schnellen Diagnosestellung und adäquater The-rapie führen, um eine langwierige Immobilisati-on des Patienten und die daraus resultierenden Komplikationen zu vermeiden.

Tylla A, Tylla D, Stangl R: Pelvic fracture in old age – specific concepts

Summary: The osteoporosis-associated fractures of the pelvic ring will become increasingly important in trauma care in the coming years due to the demographic change in our society. The overview of fragility fractures according to Rommens and Hofmann is a clear classification for this. Specific treatment algorithms for the particular main categories (FFP I to IV) ease the decision on the treatment options. This variegates

� Zusammenfassung

Die Osteoporose-assoziierten Frakturen des Be-ckenringes werden in den kommenden Jahren aufgrund des demografischen Wandels unserer Gesellschaft einen zunehmend höheren Stellen-wert in der unfallchirurgischen Versorgung ein-nehmen. Die Klassifikation der Fragilitätsfraktu-ren nach Rommens und Hofmann stellt hier eine übersichtliche Einteilung dar. Spezifische Be-handlungsalgorithmen zu den jeweiligen Haupt-kategorien (FFP I bis IV) erleichtern die Ent-scheidung über die jeweiligen Therapieoptionen. Diese reichen von konservativer Schmerztherapie mit Mobilisation unter Vollbelastung oder Teil-belastung (FFP I und II) über minimal-invasives Vorgehen mittels transiliosakraler Verschraubung (FFP II und III) bis hin zum dorsoventralen ope-rativen Vorgehen mittels offener Reposition und interner Fixation des ventralen Beckenrings so-wie zur spinopelvinen Fixation bzw. lumbopelvi-nen Abstützung des hinteren Beckenrings (FFP IV). Grundsätzlich muss aufgrund der begleiten-den Nebenerkrankungen des Patienten oftmals

Beckenfraktur

Stabil

FFP I

MobilisationVollbelastung

MobilisationTeilbelastung

Bei immob. Schmerzen (VAS 5): operativ

minimal­invasiv

Meist operativ

Ventral: meist ORIF

Dorsal: minimal­invasiv

Operativ

Ventral: meist ORIF

Dorsal: spinopelvine

Fixation

FFP II FFP III FFP IV

Instabil

18 % 19 %11 %52 %

Abb. 7 | Übersicht spezifischer Behandlungsalgorithmen von FFPs in unserer Klinik

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Keywords: pelvic fracture – fragility fracture – osteoporosis – inadequate trauma – geriatric traumatology

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2018 Band 84 / 4 chirurgische praxis 10

Dr. Alfred TyllaKlinik für Unfall-, Schulter- und

Wiederherstellungschirurgie,Sportmedizin und Sporttraumatologie

Krankenhaus RummelsbergRummelsberg 71

90592 Schwarzenbruck

[email protected]

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass bei der Erstellung des Beitrags keine Interessen-konflikte im Sinne der Empfehlungen des Inter-national Committee of Medical Journal Editors bestanden.


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