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Mittwoch 28. Oktober 2015 Nr. #19
- Die elektronische Zeitung von Johannes Galli -
Spruch der Woche:
„Innere Größe beginnt bei der Einsicht in die eigene Kleinheit.“ (aus: Johannes Galli, „Gedankensprünge“)
Achtung, alle herhören! Heute, am Mittwoch, dem 28. Oktober von 13-14 Uhr wird im NDR (Radio) ein Interview übertragen, in dem H.J. Mende mit Johannes Galli über Kreati-vität, Theater und Krankheit spricht. Die Sendung heißt „Klassik à la carte“. In den Redepausen werden Musikwünsche von Johannes Galli gespielt – von Beethoven bis Beatles! http://www.ndr.de/ndrkultur/sendungen/klassik_a_la_carte/index.html
Text der Woche:
Hallo Wien! - Ein jahreszeitlich bedingter Überblick von Johannes Galli -
Hallo? Geht’s noch? Hier schreibt Johannes Galli. Diesmal gleich mit einem mächtigen Scherz auftrump-fend. Na, hast du ihn durchschaut? Ich mein doch natürlich, ich schreib über Halloween! Na, war das ein Scherz oder was sagst du? Gleich in der Überschrift leg ich los. Geglückt, hä? Ja, so bin ich halt. Immer zu ei-nem Scherz bereit. Am 31. Oktober ist wieder Hallo-ween. Darüber will ich ein wenig
schwalmen. Hallo, du wirst doch nichts gegen etwas Grundlagenwis-sen haben! Also, es war so: Eigent-lich ist Halloween ein christliches Fest, hat seinen Ursprung in Irland. Ja, die Katholiken da drüben ver-stehen zu feiern. „All Hallow’s Eve“, aus dem sich das Wort Halloween entwickelte, bedeu-tet: Der Abend vor Allerheiligen. In diesem alten, ursprünglich kelti-schen Fest wurde zum Ende des
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Sommers der Einzug des Viehs in die Ställe gefeiert. Auch glaubte man, dass in dieser Zeit die Seelen der Toten heimkehrten. Mit Freu-denfeuern und manchmal auch in Kostümierungen, die zur Vertrei-bung böser Geister dienten, wurde Halloween als wichtigstes heidni-sches Fest gefeiert. Bei uns hier auf dem Festland haben die Katholiken Allerheiligen und Al-lerseelen am 1. und 2. November – allerdings ohne Fest – installiert. Typisch. Das Schöne ist anderswo. Altklug wie du bist, fragst du mich herablassend: „Was redest du denn da? Halloween ist doch ein Fest aus Amerika!“ Nun warte doch! Ich erklär dir’s doch! In Irland herrschte immer große Hungersnot. Und immer mehr Men-schen flohen nach Amerika. In das Land der kaum begrenzten Mög-lichkeiten. Und dort breitete sich das Fest Halloween aus zu einer Art Gespensterparade. Also, man ver-kleidete sich in Gespenster; blut-rünstig, brutal... Amerika eben! Die Kinder wollten auch was vom Fest haben, liefen von Haustür zu Haustür, schrien „Trick or Treat“, was so viel bedeutet wie: „Süßigkei-ten her oder wir spielen dir einen üblen Streich!“ Und dann gab man ihnen Süßigkeiten und die Kinder hatten ihre Freude daran und die Zahnärzte auch. Manche Menschen, vor allem Ei-genbrödler, waren sehr genervt, und es wird berichtet, dass einmal so ein genervter Mensch die Bon-bons vergiftet hatte. Hallo, nicht richtig schwer. Die Kinder mussten nur kotzen und hatten zwei Tage Dünnpfiff. Man sieht, auch der
harmloseste Scherz kann gefährlich werden. Von Amerika schwappte Halloween dann wieder zurück nach Europa und vor allem nach Deutschland, weil wir ja gute Freunde von Ame-rika sind. Leider kann ich aus mei-ner Kindheit überhaupt nichts be-richten, da damals das Fest, soweit ich weiß, nirgendwo in Deutschland gefeiert wurde. So, nach dieser zäh-klebrigen Ein-leitung will ich zur Sache kommen. Vom Hörensagen weiß ich, dass es auf so einer Halloween Party ziem-lich übel zugeht. Vampire, Serien-mörder, Hingerichtete, brutal Ver-unstaltete... So auf diesem Niveau. Ich aber will mich in die germani-sche Mythologie vertiefen, die den Hintergrund zu Halloween bildet. Es ist nämlich so: In der Halloween Nacht, so sagt man, ist die Tren-nungsschicht zwischen unserer sichtbaren Welt und der darüberlie-genden unsichtbaren Welt so dünn wie im ganzen Jahr nicht mehr. Botschaften aus dem Jenseits, die meist von unseren verstorbenen Familienmitgliedern übermittelt werden, sind so klar und deutlich wie sonst nie. Hey, nun sei doch nicht gleich so kritisch. Bleib doch ein bisschen lo-cker. Es gibt Menschen, die glauben so was! Mythologisch betrachtet ist jetzt die Zeit der Ankunft der Ahnen. Odins Heer (Odin: Göttervater der Germa-nen) erscheint aus der nördlichen Finsternis und zieht durchs Land. Es beginnt die Zeit der Prüfung. Was das Jahr gebracht hat, wird jetzt einer genauen Prüfung unterzogen: Was war gut im Jahr, was wird wei-terbestehen? Und was war schlecht
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im Jahr und wird ausgesondert und untergehen? Dies sind die Fragen, die in den kommenden Wochen und Monaten immer wichtiger werden. Hallo? So ’ne rückblickende Prü-fung tut dir doch auch nicht schlecht, oder? Ist doch gut, mal zu-rückzublicken. Was hat man dieses Jahr hingebracht, was hat man in den Sand gesetzt? Hallo, da gibt’s doch einiges, oder? Na also! Also für mich macht das Sinn. Aber komisch finde ich, dass das Ganze ein bisschen kindisch darge-stellt wird. Als Geister und so... Kos-tüme und harte Getränke... Ich glaube nicht, dass die Geister und Gespenster in merkwürdigen Kos-tümen erscheinen, sondern dass sie – Achtung, jetzt kommt’s – Ener-gien sind, die auf uns zu kommen und die gelöst oder erlöst werden wollen. Der Mensch stellt die Ahnen sinn-bildlich als Geister dar. Sowohl an Halloween, als auch an Fastnacht, als auch in der Walpurgisnacht. Die Ahnen sind aber keine Geister, son-dern blockierte Energien unserer Vorfahren. Diese Energieblocks werden von Generation zu Genera-tion unbewusst weitergereicht und müssen irgendwann erlöst werden. Wir haben also eine fatale Situation: Neben der eigenen seelischen Auf-gabe müssen auch noch die unerlös-
ten Blockaden der Eltern, Großel-tern und Urgroßeltern usw. erlöst werden. Nun schaust du mich entgeistert an und stehst ratlos herum, weil du er-fährst, dass dein Problem gar nicht dein Problem ist, sondern ein unge-löstes Problem deiner Ahnen. Ich weiß, du willst es nicht wahrhaben. Aber das ist den Ahnen egal. Hey, du kennst mich. Ich bin der Letzte, der dich hängen lässt. Ich bin der blinde Seher und gebe Visi-onen preis. Dereinst wird kommen der Tag, da treffen wir uns an Hal-loween, machen aber keinen Mum-pitz, knallen uns nicht die Birne mit Wodka voll und springen nicht als schauerliche Geister umher, son-dern wir versenken uns in uns. Und danach erzählen wir uns gegensei-tig von den großen Problemen, die uns peinigen. Und wir finden her-aus, es sind gar nicht unsere eige-nen Probleme, sondern sie sind ge-erbt. Und wir machen uns auf den Weg, sie zu erlösen. Und es wird ein gewaltiges Fest, wenn wir endlich von den Ahnen nicht mehr bedrängt werden und uns nicht mehr mit fremden Problemen herumschlagen müssen, sondern genug Kraft ha-ben, die eigenen zu lösen. Das wird ein wahres Freudenfest.
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Angebot der Woche: (Verlängert für eine Woche!)
„Aus dem Leben eines Clowns – Erste Serie: Frühe Fehlversuche“ Neun heitere autobiographische Geschichten über verschiedene Lebenssituationen, denen ich mich als Kind mutig stellen musste, um den Weg zu meinem eigenen Clown zu finden. Für nur €2,- statt €9,90. Wie immer im Galli Verlag unter dem Stichwort „Papagalli“ erhältlich: [email protected]
Für zwei Euro bekommst du übrigens auch: Eine Dose eingemachte Pfirsiche (Apfelgeschmack – Aldo), eine Einlegesohle (rechts – Schuhhaus Pfrunz), Toi-lettenfeuchtpapier (Häkle Trocken), vier Luftballons (einfarbig – Ausschuss-ware), zwei Rundschrauben (für Klobrille – biologisch abbaubar), Sonnen-blumenkerne (geeignet als Vögelfutter), Leo Tolstoi „Krieg und Frieden“ (an-tiquarisch, Pappendeckeleinband, erste hundert Seiten fehlen, fällt aber bei dem Schinken nicht auf). Hinweis: Wenn einmal ein Papagalli nicht bei dir angekommen ist, kannst du ihn hier nachlesen: https://www.facebook.com/gallijohannes Noch ein Hinweis: Solltest du der Meinung sein, ein Freund von dir habe Pa-pagalli verdient, schick uns seine Adresse und wir besorgen’s ihm!
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Leseprobe der Woche: „Eine Nacht voll Verantwortung“
(erschienen 1999 in „Aus dem Leben eines Clowns – Erste Serie: Frühe Fehlversuche“)
Da sie erst knapp drei Jahre alt war, konnte sie noch nicht richtig für sich selbst sorgen. Den Kakao könnte sie allerdings aus einer Schnabel-‐tasse selbst trinken... Nun sollte ich mich um mich selbst kümmern. Ich sollte mir mein Pausenbrötchen zubereiten, genauer gesagt, ich sollte Butter auf das flache Unterteil schmieren und dann aus der Plastik-‐box im Kühlschrank drei Scheiben Salami her-‐ausfischen und aufs Brötchen legen, Deckel drauf, dann ins Pausenbrotpapier wickeln und dann ab damit in meinen Schulranzen! Bevor ich aber in meine Schule abtrabte, sollte ich Ilka füttern, bis sie abwinkte, und dann wieder in ihr Bettchen legen, auf dass sie noch eine Runde schliefe... Also noch mal, zuerst sollte ich die Milch, die in einem Topf im Kühlschrank wäre... Ich schlief irgendwann ein uns, vollständig ein-‐gebunden in den Kreislauf des Ewig-‐Menschlichen, wachte ich irgendwann wieder auf. Kaum aber war ich aufgewacht, da schoss es mir in meinen nachtschlafenen Kopf: ... zuerst sollte ich die Milch, die in einem Topf im Kühl-‐schrank wäre... Doch warum sollte das alles nur in meinem Kopf stattfinden? Schrie da nicht ei-‐ne wuchtige Aufgabe nach Erfüllung? Also wälzte ich mich noch überraschend bett-‐schwer heraus aus meinem Klappbett hinaus in die Küche. Durchs Küchenfenster sah ich, dass es noch ziemlich volldunkel war, aber das konn-‐te sich jeden Moment schlagartig ändern, denn im Sommer kommt die Sonne ja ziemlich senk-‐recht hoch. ich wusste überhaupt nicht, in wel-‐chem Zeitrahmen ich mich befand. Zwar konnte ich die Uhr noch nicht sicher und verlässlich lesen, aber irgendwie musste die Küchenuhr auf viertel vor eins stehengeblieben sein. Leicht verunsicherte mich auch diese für mich völlig ungewohnte Müdigkeit in meinen jungen Kno-‐chen. So konnte ich also zum ersten Mal fühlen, wie schwer Verantwortung lastet. Doch da blieb nicht viel Raum, um über solch ungewohnte Empfindungen nachzugrübeln. Was sich gestern Abend in Mutters Worten so leicht angehört
hatte, wollte jetzt gegen eine widerborstige Wirklichkeit entschlussfreudig durchgesetzt werden. Anfangs lief alles gut, ich fand die Milch im Kühlschrank, schüttete sie in den Topf, der auf dem Herd stand, wischte mit dem Küchenhand-‐tuch auf, was ich auf dem Herd und auf dem Fußboden verschüttet hatte, dann wrang ich das Handtuch über dem Spülstein aus... Aber dann kam es. Welcher der vier Schalter am Elektroherd würde welche Platte erhitzen? Das war eine Frage, die einen kleinen Menschen wie mich schnell an den Rand der Verzweiflung füh-‐ren konnte. Ich entschied mich rein aus dem Gefühl, wobei nach wie vor unklar blieb, wie man zu der Technik eines Elektroherdes Gefüh-‐le entwickeln soll, aber damals glaubte ich noch, ich käme allein mit Gefühl durchs Leben! Nun musste Ilka geweckt werden, denn der Ka-‐kao war in meinem Geiste ja schon fast fertig. Die Schnabeltasse hatte Mutter, die auch schon den ganzen Frühstückstisch gedeckt hatte, vor Ilkas Kinderhochstuhl gestellt. Einen Menschen zu wecken ist mir heute noch ein Greuel. Wie viel Undankbarkeit schlägt ei-‐nem da entgegen, will man einen anderen aus der Welt seiner oder ihrer meist süßen Träume in die allzu bittere Wirklichkeit zerren. Ilka ignorierte konsequent mein Mühen. Ich lockte, gurrte, kitzelte, es half nichts. Ich brüllte, tobte, rüttelte an ihrem Bett, dass sie fast raus-‐fiel, es half nichts! Immer wieder sackte sie in sich zusammen und tat das, was sie nicht sollte: Selig schlafen. Jeden meiner Versuche kommen-‐tierte sie mit stetig gleichem Ablauf dreier Ver-‐haltensmuster: Nach meinem heftigen Weck-‐versuch öffnete sie ihre Augen in endlosem Staunen, wer da in Dornröschens Reich einge-‐drungen sei. Sodann verengten sich die Augen und die kleinen Fäuste ballten sich, ihr ganzes Körperchen zuckte vor Widerstand und tobte rumpelstilzchengleich gegen den Eindringling ...