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2 Tarantel Nr. 75 Heft IV-201 6

Editorial

Die Massenmedien sind vol l mit Nachrichten über Donald Trump. Mit ihm wird einer Präsident derUSA, für den der Kl imawandel erst ein „großer Schwindel“ war, der Anfang November noch hoheSummen, die an die UN und den Kl imaschutz gehen, und Ende November die finanziel le Unterstützungder Nasa-Abteilung für Erdforschung streichen wol lte und schl ießl ich am 8.1 2. den erklärten Kritikervon Obamas Kl imaschutzpol itik, Scott Pruitt, an die Spitze der Environmental Protection Agency (EPA)setzte. Damit wil l Trump die EPA „bis auf kleine Häppchen“ el iminieren.

Was das mit uns zu tun hat? Aus Sorge um Profite setzen Kapitalvertreter eine lebenswerte Zukunftder Menschheit aufs Spiel („Bl itzkrieg .. .“ und „Permafrost“)1 . Das gleiche macht in Deutschland dieAfD. Unter der Überschrift „Kl imaschutzpol itik: I rrweg beenden, Umwelt schützen“ heißt es ihremProgramm: „Das Kl ima wandelt sich, solange die Erde existiert. Die Kl imaschutzpol itik derBundesregierung beruht auf bisher unbewiesenen hypothetischen Kl imamodel len.“ Damit sol len al ljene beruhigt werden, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen, wird der Eindruck erweckt, das ist nurim Interesse „derer da oben“. Unser Lebensstil müsse sich nicht ändern, wir dürfen weitermachen wiebisher. Auf keinen Fal l aber sol l die kapital istische Wirtschaftsweise in Frage gestel lt werden.

Al lenthalben wird über den Zulauf der „Popul isten“ geklagt und gerätselt, wie das denn passierenkann. Doch nicht Zukunftsängste al lein bewirken das. Die angebl iche „Alternativlosigkeit“ desRegierungshandelns und die Wirkungslosigkeit von Protesten, die mit der gesamten staatl ichverfügbaren Spannbreite – argumentativ von den Medien bis physisch durch Pol izei (1 3.000 Pol izistenin Hamburg) und Überwachung („Vorratsdatenspeicherung“, „Bundestrojaner“ usw.) - unterdrücktwerden, zeigen, dass sich die Demokratie selbst auflöst: Gesel lschaftl iche Alternativen zumNeol iberal ismus sind tabu, Wahlkämpfe in den USA sind zu Showveranstaltungen verkommen, dasletzte Wahlduel l um den österreichischen Bundespräsidenten bestand zu weiten Teilen ausgegenseitigen Lüge-Vorwürfen und die AfD ist auf diesem Weg erfolgreich. Dabei ist offensichtl ich,dass auch die gewählten Regierungen nicht die Macht für grundlegende Veränderungen haben:Vattenfal l klagt gegen die BRD um fast fünf Mrd. € wegen des Ausstiegs aus dem Ausstieg aus demAtomausstieg - und hat nicht einmal schlechte Chancen. Die Wahlen werden zu „Entscheidungen“hochstil isiert, damit nur niemand auf die Idee kommt, über echte Alternativen nachzudenken – und„postfaktisch“ wurde „Wort des Jahres“ – ein weiterer Medienhype, der ablenkt von realen Problemenund Lösungen. Mit der Konferenz „GENUG für ALLE“ wol len wir dem entgegen wirken und mit vielenReferentinnen und Referenten aus Umweltverbänden und Kl imabewegung, Wissenschaft undGewerkschaften diskutieren, wie wir die erforderl iche gesel lschaftl iche Transformation vorantreibenkönnen.

Schon jetzt gibt es vielfältige gesel lschaftl icheund auch technische Mögl ichkeiten, derenDurchsetzung al lerdings Einsatz verlangt(„Unser Widerstand hat sich gelohnt. . .“,„Nyéleńi-Forum für Ernährungssouveränität. . .“,„Gespräch mit Michael Succow“,„Großbatterien statt Netzausbau“) . DiesenAspekt gesel lschaftl icher Veränderungenwol len wir im nächsten Heft weiter verfolgen.

Viel Spaß beim Lesen!

1 Das Wort „Bl itzkrieg“ ist im Deutschen – auch wenn es Eingang in andere Sprachen gefunden hat – durch die Nazisdiskreditiert. Wir akzeptieren seine Verwendung hier dennoch, weil die in dem Artikel genannten 1 00 Jahre bezogen aufdas Erdalter gerade einmal zweieinhalb Größenordnungen mehr sind als die Dauer eines Bl itzes, bezogen auf einMenschenalter.

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Heft IV-201 6 Tarantel Nr. 75 3

In eigner Sache

Arbeitsplan der Ökologischen Plattform für 201 7

Manfred Wolf

Die letzte Sitzung des KR 201 6 beschäftigte sichmit Fragen der Arbeit der Plattform einschl ießl ichkurzer Berichte anwesender Vertreter aus unserenGruppen in den Bundesländern Brandenburg,Baden Würtemberg, Schleswig-Holstein und Thü-ringen.

Eingangs wurde noch auf einige Schwerpunkte derArbeit des Sprecherrates im zurückl iegendenQuartal eingegangen. Es wurde darüber informiert,dass der neu gewählte Parteivorstand aus seinenReihen für die einzelnen Pol itikbereiche und damitbesonders befasste Zusammenschlüsse in derLINKEN Zuständigkeiten festgelegt hat. Für denBereich Umweltpol itik, Kl ima, Verkehr wurden dieVorstandsmitgl ieder Franziska Riekewald, ThiesGleiss, Sabine Leidig und Harald Wolf benannt, diedann auch für die Ökologische Plattformzusätzl iche neue Ansprechpartner wären.

Neu ins Zentrum unserer Arbeit ist seit dem Briefder Vorsitzenden an die Mitgl ieder der Partei vomSeptember die Vorbereitung auf dieBundestagswahl im nächsten Jahr gerückt. Dazusind Abstimmungen mit den ökologischEngagierten und Zuständigen in der Parteiangelaufen, die nach Vorlage des ersten Entwurfsdes Wahlprogramms durch den ParteivorstandAnfang 201 7 intensiviert werden.Immer noch gilt die Bitte an unsereMitstreiterInnen, uns ihre Gedanken zu Punktenmitzuteilen, die auf ökologischem Gebiet in einWahlprogramm aufgenommen werden sol lten.Wichtigster Punkt der Sitzung des KR war derVortrag von Dr. Michael Kopatz vomWuppertal institut zu seinem in diesem Jahrerschienenen Buch „Ökoroutine. Damit wir tun,was wir für richtig halten“ mit anschl ießenderDiskussion.

1 . Die Mitstreiter_innen der Plattform werden sich entsprechend ihren Mögl ichkeiten für gute Ergebnissefür die Partei DIE LINKE bei den Bundestagswahlen im Herbst 201 7 einsetzen. Dazu werden sie u.a. dievorl iegenden Material ien der Plattform (Broschüren, Tarantel-Ausgaben, Faltblätter) nutzen.Entsprechend des Aufrufes der Vorsitzenden der LINKEN im Brief an die Mitgl ieder vom September201 6 werden sie dem Vorstand auch Hinweise und Vorschläge aus ihrem Umfeld für einWahlprogramm der Partei zukommen lassen.

2. Der Sprecher_innenrat wird wie auch in der Vergangenheit die Mitarbeit der Plattform an der Erstel lungdes Textes des Wahlprogramms sichern.

3. Die Ökologische Plattform richtet eine Mail ingl iste zum Thema „Die LINKE und Ökologie“ ein, umweitere Anregungen für l inke Umweltpol itik zu diskutieren und aufzunehmen.

4. Die Mitgl ieder der Ökologischen Plattform werden ihre Aktivitäten in umweltpol itischen Verbänden undVereinen verstärken und dazu beitragen, die umweltpol itischen Positionen in DER LINKEN weiterauszubauen.

5. Das Bundestreffen der Ökologischen Plattform wird am 24. und 25.6.201 7 in Erfurt, Jugendherberge"Hochheimer Straße" durchgeführt.

6. Sitzungen des Koordinierungsrates finden am 1 1 .2. ; 23.6. ; 2.9. ; und 25.1 1 .201 7 statt.7. Die Ökologische Plattform wird dafür sorgen, dass die ökologische Thematik auch in der Arbeit des

Parteitages 201 7 und in seinen Beschlüssen in gebührendem Maße Beachtung findet.8. Die Herausgabe der Tarantel erfolgt wie übl ich zum Ende eines Quartals. Redaktionsschluss ist jeweils

sechs Wochen vorher.9. In der Reihe „Beiträge zur Umweltpol itik“ werden erneut zwei Broschüren herausgegeben.

Ihr Erscheinen wird rechtzeitig auf der Internetseite der Plattform bekannt gemacht.1 0. Die Plattform wird zu verschiedenen Gelegenheiten entsprechend ihren Mögl ichkeiten mit Infoständen

auftreten, so z.B. in Berl in bei der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration und in Essen bei derKonferenz „GENUG für ALLE“ im Januar, auf dem Parteitag und dem Fest DER LINKEN sowie beimUmwelt-Festival in Berl in am 4.6.201 7.

1 1 . Die Plattform wird auch 201 7 weitere Anstrengungen zur Verstärkung der Mitgl iederbasis und derArbeit der Umweltgruppen in den Bundesländern unternehmen. Unsere Mitstreiter_innen in denBundesländern sind aufgerufen, bei der Mitgl iederwerbung für die Plattform zu helfen.

Sitzung des Koordinierungsrates (KR) am 1 2.1 1 .201 6

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4 Tarantel Nr. 75 Heft IV-201 6

In eigner Sache / Aus den Ländern / NGOs

In Schleswig-Holstein verfal len reihenweise dieFörderl izenzen für Erdöl und Erdgas   – mit Ausnah-me von Deutschlands größtem Ölfeld Mittelplateim Naturpark Schleswig-Holsteinisches Watten-meer, deren Lizenz noch 25 Jahre läuft. Die kana-dische PRD Energy (Prasdorf, Gettorf, Elmshorn) ,die norwegische Central Angl ia (Sterup) und dieDeutsche Erdöl AG (Plön-Ost, Preetz, Preetz-Rest-fläche, Warnau, al lesamt im Kreis Plön) warfen dasHandtuch. Schwedeneck-See betreffend hält sichdie DEA ihre Entscheidung über eine Förderungvorerst noch offen. Doch auch hier steht esschlecht um die Rentabil ität.Seit Monaten dümpelt der Ölpreis um 50 US-Dol larpro Barrel . Angesichts relativ hoher Auflagen derdeutschen Umweltschutzbehörden wird besondersFracking in Deutschland für die Konzerne zuneh-mend zum Verlustgeschäft. Auf Druck von Bürger-initiativen und 200 Kommunen in SH, die wegenihrer rechtswidrigen Nichtbeteil igung an der Li-zenzvergabe gegen das zuständige Landesamt und

das Kieler Umweltministerium Klage eingereichthatten, sah sich Umweltminister Habeck veran-lasst, 201 5 die dem Land Schleswig-Holstein zu-stehende Förderabgabe von 21 auf 40 Prozent desÖl-Marktwerts zu steigern.Die „Kieler Nachrichten“ kommentieren: „Ange-sichts der laufenden Energiewende macht es pol i-tisch und ökologisch keinen Sinn, auch noch denletzten Tropfen Öl aus dem Boden zu holen. DieZeit der fossilen Brennstoffe geht mit oder ohneFracking langsam zu Ende. Die Zukunft gehört derÖko-Energie, großen Windparks an der Nordsee,Elektroautos und Wasserstoffzügen.“

Dennoch sind die Pläne der Öl industrie noch nichtendgültig vom Tisch. Sol lte der Ölpreis wiedersteigen, ist mit der Beantragung neuer Förderl i-zenzen zu rechnen. Umso wichtiger ist es daher,den Druck aufrecht zu erhalten und das deutscheBergrecht, dessen Substanz dem 1 9. Jahrhundertentstammt, zukunftsgerecht zu novel l ieren.

Unser Widerstand hat sich gelohnt: Konzerneverzichten auf Ölförderung in Schleswig-Holstein!Hajü Schulze

Der Kampf gegen industriel le Landwirtschaft undfür eine gerechte und nachhaltige Zukunft klein-bäuerl icher Landwirtschaft hat im Oktober einengroßen Schritt nach vorne gemacht.

Am 30.1 0.201 6 ging im rumänischen Cluj-Napocadas zweite Europäische Nyéléni-Forum zu Ernäh-rungssouveränität zu Ende, bei dem über 500 De-legierte aus 40 Ländern zusammenkamen, umStrategien für ein zukunftsfähiges Ernährungs- und

Kopatz rückt das in den Fokus, was die Bürger tunkönnen, damit es unserer Umwelt besser geht. Ermeint, der Zustand der Umwelt ist hundert- undtausendfach richtig beschrieben, diagnostiziertund es käme jetzt darauf an, mit der Therapie zubeginnen. An dieser Therapie müssen und könnensich al le Bürger beteil igen. Er wil l den Staat dabeiaber nicht aus seiner Verantwortung entlassen;erwartet werden umfangreiche Vorleistungen desStaates durch neue Rahmenbedingungen,

ordnungspol itische Maßnahmen, neue Standardsund Anreize für die Wirtschaft, den Handel und dieBürger. Ein der Umwelt dienl iches Verhalten derBürger wird auf diese Weise zur Routine und mussnicht mehr nur durch umweltbewußtes Handelnbedingt sein. Wie es aussehen kann, dazu führteKopatz viele im Buch enthaltene Beispiele an.

Am Ende der Sitzung wurde noch der Arbeits- undFinanzplan der Plattform für 201 7 beschlossen.

1 Was ist Ernährungssouveränität? (http://nyelenieurope.net/food-sovereignty) ; abgerufen 28.1 1 .1 6Dieses Jahr wurde das Forum in Europa abgehalten, aber die Bewegung ist global . Die Nyéléni Bewegung kam 2007 inMal i zustande und ist eine globale Bewegung, um lokale, demokratische Kontrol le über unsere Lebensmittel zu fördern– Ernährungssouveränität.Mehr zur Geschichte der Nyéléni Bewegung: http://nyelenieurope.net/nyeleni-historyhttp://www.foodsovereignty.org/forum-agroecology-nyeleni-201 5/; abgerufen 28.1 1 .1 6

2. Europäisches Nyéleńi-Forum fürErnährungssouveränität1mit 500 Teilnehmenden inRumänien zu Ende gegangen 1

Cluj-Napoca

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Heft IV-201 6 Tarantel Nr. 75 5

NGOs

Landwirtschaftssystem zu entwickeln. „Al le Men-schen und Gemeinschaften haben das Recht,selbst zu bestimmen, wie sie sich ernähren wol len.Das umfasst Anbaumethoden, Arbeitsbedingungensowie den Zugang zu natürl ichen Ressourcen - füruns in Europa und weltweit. Dafür müssen wir unsals Zivilgesel lschaft zusammentun und die ent-sprechenden pol itischen Rahmenbedingungen ein-fordern“, so Paula Gioia von der Arbeitsgemein-schaft bäuerl iche Landwirtschaft (AbL), derdeutschen Mitgl iedsorganisation von La Via Cam-pesina, der weltweiten Kleinbäuer* innenorganisa-tion. Eine große Leistung des Forums bestand inder gegenseitigen Annäherung zwischen osteuro-päischen und zentralasiatischen Organisationenmit den westeuropäischen Gegenübern.Erzeuger* innen, Konsument* innen, Aktivist* innenin urbanen Bewegungen, Vertreter* innen vonNichtregierungsorganisationen, Wissenschaft-ler* innen, Arbeiter* innen, Gewerkschaftsmitgl ie-der, Aktivist* innen, Fischer* innen, Hirt* innen, in-digene Gruppen, Konsument* innen, undVertreter* innen der Menschenrechte diskutiertensechs Tage lang über Lösungswege auf globaler,europäischer, nationaler und lokaler Ebene. Vonden 36 Delegierten waren drei Viertel Frauen, dreiViertel jünger als 35 Jahre und ein Drittel Produ-zent* innen. Das ist ein außergewöhnl ich hoherFrauenanteil für internationale Treffen. Der inhaltl i-che Fokus lag dabei auf sechs Themensträngen:Zugang zu Land und Wasser, Rechte von Arbei-ter* innen und von Migrant* innen im Agrar- undLebensmittelsektor, bäuerl iche Agrarökologie undSaatgut, alternative Handelssysteme und dieMacht globaler Konzerne, territoriale Märkte undregionale Lebensmittelverteilungssysteme sowiegemeinsame Ernährungs- und Agrarpol itik. Exkur-sionen ins Umland erläuterten die Situation undKonfl ikte von rumänischen Kleinbäuer* innen.Ramona Duminicioiu von Eco Rural is, der rumäni-schen Gastgeberorganisation, sagt: "Die meistenLänder in Osteuropa sind wie Rumänien: sie habeneine große und dynamische, aber gleichzeitig ver-letzl iche Kleinbäuer* innenpopulation, die von LandGrabbing und bil l igen Landinvestitionen aus globa-lem Kapital bedroht ist. Während dieser Woche ha-ben wir den kol lektiven Kampf begonnen und die

Koordination der Ernährungssouveränitätsbewe-gung in Westeuropa gestärkt. Wenn die Bewegungin Osteuropa und Zentralasien stark ist, ist sieauch in Europa als Ganzes stark.”Die Annäherung in Cluj-Napoca hat zu gemeinsa-men Plänen für Ernährung und Landwirtschaft ge-führt, in denen agrarökologische Landwirtschafts-model le gefördert werden sol len. Jocelyn Parot,Generalsekretär von Urgenci2, sagt: "Mil l ionen vonKonsument* innen in Europa unterstützen alterna-tive Landwirtschaftsmodel le, die auf Agrarökologiebasieren: sie vereinigen sich mit Kleinbäuer* innenim Kampf um demokratische Kontrol le über Nah-rungsketten. Sie fordern eine Veränderung derstaatl ichen Pol itik, welche ihre Initiativen unter-stützen sol lte, anstatt auf destruktive, kommerzi-el le Gebote zu drängen. Dieses Forum war einwichtiger Schritt für Verbraucherorganisationen,um Strategien innerhalb der Ernährungssouveräni-tätsbewegung zu entwickeln.”Um die zerstörerische Ausbeutung durch industri-el le Lebensmittelsysteme zu Fal l zu bringen, wur-den vom Forum mehrere Schlüsselaktionen entwi-ckelt. Darunter sind Strategien für gerechte undgleiche Rechte für landwirtschaftl iche Arbeiter* in-nen – besonders migrantische Arbeiter* innen   –eine staatl iche Pol itik, die Ressourcen (darunterLand, Wasser und indigene Besitzrechte) in dieHände der lokalen Bevölkerung legt, anstatt in dieder Unternehmen; Lebensmittelverteilungssyste-me, bei denen lokale, nachhaltige Lebensmittel anerster Stel le stehen; das Drängen auf ein völker-rechtl iches Abkommen der UN, um Unternehmenund Menschenrechte zu regul ieren3; und Strategi-en für eine inklusive Bewegung, die marginal isierteGruppen repräsentiert. Zentral für diese Aktionenist Agrarökologie, ein radikal lokaler, inklusiver undnachhaltiger Ansatz für Landwirtschaft.4 Untypischfür Diskussionen um Ernährungspol itik wurdenauch Krieg und seine Folgen angesprochen, wobeidie türkische Delegation angemerkt hat, dass esentscheidend sei, für Frieden einzustehen.5 Ali Bu-lent Erdem von Ciftci-Sen, dem kleinbäuerl ichenGewerkschaftsbund in der Türkei, sagt: “Kriegzwingt Menschen, ihre Felder, ihre Häuser, ihreLebensgrundlage zu verlassen. Die Flüchtl ingskrisein der Türkei und Europa ist Folge des Krieges. Als

2 Urgenci = Abkürzung, steht für „An Urban – Rural Network: Generating new forms of Exchange between Citizens“Urgenci verbreitet weltweit die Idee der CSA, der "Community Supported Agriculture", fördert beispielsweiseAustauschprogramme, finanziert Projekte und betreibt Aufklärungsarbeit in Regionen verschiedener Länder.

3 Dieses Abkommen ist besonders im Kontext der globalen Macht der Agrarindustrie relevant. Die Stel lungnahme vonNyéléni Europa in Befürwortung eines Völkerrechtl ichen Abkommens der UN über Unternehmen und Menschenrechte:http://nyelenieurope.net/news/european-states-must-negotiate-actively-and-constructively-towards-bindingtreaty;abgerufen 28.1 1 .1 6

4 Was ist Agrarökologie? http://www.eurovia.org/main-issue/agroecology-environment/; abgerufen 28.1 1 .1 65 http://nyelenieurope.net/blog/sol idarity-war-and-peasants-rights-sol idarity-statements-nyeleni-forum; 28.1 1 .1 6

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6 Tarantel Nr. 75 Heft IV-201 6

NGOs / Mensch und Gesellschaft

Verfechter* innen von Ernährungssouveränitätkämpfen wir für die Rechte von Geflüchteten undheißen sie bei uns wil lkommen. Es ist entschei-dend für den globalen Kampf um Ernährungssou-veränität, für Frieden einzustehen."In Opposition zu wachsendem National ismus inEuropa, sind wir aus Ländern von Osten nach Wes-ten zusammengekommen um uns zusammenzu-schl ießen. Mitten in den Verhandlungen um schäd-l iche Freihandelsabkommen, wie den kürzl ichunterschriebenen CETA-Vertrag zwischen der EUund Kanada, der eine Bedrohung für die Existenzder Kleinbäuer* innen darstel l t, halten wir zusam-men - mit Ernährungssouveränität im Zentrum un-serer Zusammenarbeit.Die deutschen Teilnehmer* innen des Forums wol-len die hier erarbeiteten Konzepte und entstande-nen Eindrücke mit der Nyéléni-Bewegung inDeutschland in konkrete Kampagnen und Aktionenumsetzen. Unter anderem sind Protestaktionen zurbevorstehenden BAYER-Monsanto-Fusion und Bil-dungskampagnen zu Themen wie Agrarökologieund Saatgut geplant.Daniel Rüde, Kleinbauer und Delegationsmitgl iedaus Hessen: „Die Vielfalt der Perspektiven, Spra-chen und Erfahrungen der hier zusammengekom-menen Menschen ist beeindruckend und inspirie-

rend. Die Sol idarität dieser bunten Bewegung istüberal l spürbar, ob beim Diskutieren, beim Ab-wasch oder beim gemeinsamen Singen. Wir fahrenmit einem starkem Gefühl von Verbundenheit nachHause. Es stärkt uns im Kampf für ein Ernährungs-system mit fairen Löhnen und Arbeitsbedingungen– und gegen übermächtige Agrarkonzerne oderFreihandelsabkommen wie TTIP und CETA.“Das Netzwerk nyeleni.de ist seit 201 4 in der Bun-desrepubl ik aktiv und setzt sich als Teil der welt-weiten Nyéléni-Bewegung für Ernährungssouverä-nität ein. Als Plattform unterschiedl icherOrganisationen, Initiativen und Einzelpersonen be-zieht sich nyeleni.de in seiner Arbeit auf die Forde-rungen der Erklärung von Nyeleni aus dem Jahr2007.

Pressekontakt: I ris Kiefer, Nyéléni-Delegation ausDeutschland, Tel . : +491 76 – 23522052 oder dasNyéléni-Europe-Presseteam:[email protected] Informationen zur Bewegung für Ernäh-rungssouveränität in Deutschland befinden sichauf unserer Webseite, Facebook oder Twitter(#nyeleni) :http://nyeleni.de/https://www.facebook.com/nyeleni.de

Seit 25 Jahren trafen sich Umweltschriftsteller_in-nen und tauschen sich aus.1981 begründete Reimar Gilsenbach die Brodowi-ner Gespräche. Schriftsteller_innen und Wissen-schaftler_innen diskutierten gemeinsam drängendeFragen des Natur- und Umweltschutzes. Daraus ging

nach der 1989er Wende der Arbeitskreis „LITERA-TUR UM WELT“ hervor. Marko Ferst sprach mit JuttaSchlott, der Leiterin des Arbeitskreises, über dieTagungen der Umweltschriftsteller_innen und überdas, was bleibt.

Worte und Gedanken, subtil und manchmal subversivMarko Ferst

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Heft IV-201 6 Tarantel Nr. 75 7

Mensch und Gesellschaft

Welche Ziele hatte man sich am Anfang ge-stellt und veränderten sich diese mit der Zeit?Die Konfl ikte sind gebl ieben, ihre Erscheinungsfor-men haben sich verändert. Unsere Bemühungenrichten sich nach wie vor – so banal das mittler-weile kl ingen mag – auf den Schutz der Lebens-räume für Menschen, Tiere, Pflanzen. Wir strebennach Frieden, friedl ichem Umgang miteinander,nach Freiheit von Gewalt. Und das al les nicht nurfür unsere unmittelbare Umgebung.Als ich vor fünfzehn Jahren die Leitung übernahm,haben wir ein kleines „Aktiv“ etabl iert. Diese kol-lektive Form der Zusammenarbeit für die Vorberei-tung von Tagungen, Lesungen, Exkursionen, aberauch für Problemlösungen, hat sich bewährt. Beider Gründung des Arbeitskreises war ich nochnicht dabei. In den ersten zehn Jahren wurde ervon Lia Pirskawetz geleitet.Zu den Herausforderungen, die sich uns und ande-ren umweltbewussten Menschen seit Jahrzehntenstel lten und stel len verweise ich auf den sorbi-schen Autoren Jurij Koch, einen der Vordenker beiuns, der auf dem letzten Schriftstel lerkongress derDDR formul ierte: „Wir brauchen einen Aufstand anKreativität.“ Den brauchen wir noch immer.Schriftsteller, die sich für den Schutz der Lö-wen in Namibia einsetzen, den Erhalt einer na-turnahen Elbe im Blick haben oder Umweltbil-dung im NABU organisieren: Das Engagementscheint sehr vielfältig zu sein?Al le Aktivitäten werden wesentl ich von individuel-len Erfahrungen, Interessen und vom jeweil igenLebensumfeld bestimmt. Wir kommen aus derganzen Bundesrepubl ik, die Lebensorte reichenvon München bis Mecklenburg. Die eigentl iche Ar-beit wird ja von jeder und jedem außerhalb unse-rer Zusammenkünfte geleistet. Der Kampf um denErhalt einer Al lee im Brandenburgischen, das En-gagement für „Stuttgart 21 “ oder die Verbesse-rung der Lebensbedingungen der Aborigines inAustral ien l iegen dabei auf einer Ebene.Welche Werke könnte man erwähnen von Au-toren des Arbeitskreises, die den ökologischenHorizont besonders stark ausleuchten?Namen zu nennen, wäre ungerecht. Die Vielzahlder Veröffentl ichungen aus unserem Kreis wird inder Öffentl ichkeit nicht analog zu ihrer l iterari-schen und journal istischen Qual ität wahrgenom-men. Es geht nicht nur um Bücher. Ein Feature vonCarola Preuß und Gerd Ruge, ein Gedicht von Ri-chard Pietraß oder den beiden viel zu früh verstor-benen Dichter_innen Gisela Kraft und Arnold Lei-fert, ein Lektorat von Annegret Herzberg,Übersetzungen aus dem Chinesischen von Helgaund Erhard Scherner finden selten die ihnen ge-

bührende Aufmerksamkeit. Kluge Worte und Ge-danken, subtil und manchmal subversiv, könnendennoch Wirkungen entfalten, wenn sie sich imDenken einnisten und so mitunter auch zu bewus-sterem ökologischen Handeln führen.Hervorheben möchte ich trotzdem: „Der sti l leGrund“ von Lia Pirskawetz, 1 985 erschienen, wirdseinen bleibenden Platz in der Umwelt-Literaturbehaupten. Ein kenntnisreicher Text, der temporä-re pol itische und ökonomische Verhältnisse, dieEingriffe der Menschen in Landschaft und Umweltin ihren kausalen Zusammenhängen aufzeigt underhel lt. (…)Die 25. war die letzte mehrtägige Tagung derUmweltschriftsteller. Welche Bilanz lässt sichziehen?Es gibt mehrere Gründe, jetzt einen selbstbe-stimmten Schlusspunkt zu setzen. Einer davon:Jutta Schölzel , die Geschäftsführerin unseresDachvereins FÖN e.V., hat jahrzehntelang weitmehr als ihre Pfl icht getan und wird ihre berufl icheTätigkeit beenden. Sie hat den Hauptanteil derpraktischen Arbeit geleistet: Von der Beschaffungvon Fördermitteln, über das Gewinnen von Refe-rent_innen und Gesprächspartner_innen, bis zumFinden von geeigneten Quartieren.Die Fünfundzwanzig ist eine stattl iche Zahl . Dafür,dass wir sie erreichen konnten, haben wir vielenMenschen und Institutionen zu danken. Dem LandBrandenburg für seine Förderung; den Referentin-nen und Referenten für anregende, aufregendeBeiträge; den ungezählten Helfer_innen an den Ta-gungsorten zwischen Rheinsberg und Heil igengra-be, die unsere Wünsche freundl ich aufnahmen. Wirdanken dem RBB für die Übertragung von Podi-ums-Gesprächen, für uns ein wichtiges Fenster insÖffentl iche. Und last but not least, danken wir un-serem Mitstreiter Volker Braun für sein uneigen-nütziges, sol idarisches Beistehen von Anfang an.Ich hatte die Leitung mit dem Ehrgeiz übernom-men, jüngere Menschen zur beständigen Mitarbeitin unserem Kreis zu gewinnen; das ist nur bedingtgelungen. Nach uns, den Gründervätern und ‑müt-tern, sind inzwischen fast zwei Generationen her-angewachsen. Sie haben sich, berechtigterweise,andere Formen des Einmischens in die gesel l -schaftl ichen und ökologischen Verhältnisse ge-schaffen. Was bleibt? Für jede und jeden, die dabeiwaren, wohl eine ureigene persönl iche Erfahrung.Viel leicht Bereicherung, sicher bewahrenswerteErinnerungen. Was von unserem Bemühen über-lebt, wird die Zeit entscheiden. Oder, um Hölderl inzu zitieren: „Wir, so gut es gelang, haben das Un-sere getan.“Quel le: nd-onl ine, 1 6.9.201 6 (modifiziert)

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8 Tarantel Nr. 75 Heft IV-201 6

Mensch und Gesellschaft

1 aus: Oya – anders denken.anders leben“, 40; 201 6 Kap. 5, Creative-Commons-Lizenz (CC-BY-NC-SA) -http://creativecommons.org/l icenses/by-nc-sa/3.0/de/)

Gespräch mit Michael Succow1

Der Schwarm

Ein Kapitel , in dem wir mit Michael Succow überden Menschen als Naturwesen sprechen und amtraurigen Beispiel der San lernen müssen, dassebendieser Mensch nicht als schützenswert gilt.Sol lte es noch ursprüngl ich lebende Ethnien ge-ben, die als dem Land eingeborene Menschen le-ben, anstatt sich als Beherrscher der Erde zu ge-bärden, dann zählen die San im südl ichen Afrikadazu. Archäologische Funde von Werkzeugen legennahe, dass die San seit mindestens 40.000 Jahrenihre ursprüngl iche Lebensweise pflegen. Sie kom-men ohne Führer aus; die Forschung nennt ihresoziale Verfasstheit „radikalen Egal itarismus“ –eine tiefverwurzelte Gleichwürdigkeit der Ge-schlechter und Lebensalter. Sie leben in Gemein-schaften von ein paar Dutzend bis zu zweihundertteils bluts-, teils wahlverwandten Menschen. Wich-tige Belange werden gemeinsam auf Grundlagepersönl icher Erfahrung, Sachkenntnis und Über-zeugungskraft entschieden. Kinder lernen, was siefürs Leben brauchen, durch freies Spiel . Sie wer-den nicht gemaßregelt. In jahreszeitl ichen Wande-rungsbewegungen ziehen die San durchs Land undleben von dem, was sie jagend und sammelnd er-beuten. Sie kennen keinen Landbesitz und keineGrenzen, außer jenen, die sich aus der Landschaftergeben. Sie sind wahre Kinder der Erde.In Botswana existieren heute noch rund 50.000San im extremen Lebensraum der Kalahari-Halb-wüste. Als dort Diamanten entdeckt wurden undsich die Großwildjagd als lukrativ erwies, wurdendie San in drei Räumungsaktionen von ihremheimatl ichen Land vertrieben. Zwar wurde ihnen2006 gerichtl ich zuerkannt, in ihre Stammesgebie-te zurückkehren zu dürfen. Weil sie aber nichtnach modernen Normen pol itisch organisiert sind,wird ihnen bis heute das Recht abgesprochen,über Land zu verfügen. Die Regierung umzäuntedie Wildtierreservate, pferchte die Menschen inGhettos, l ieß ihre Wasserstel len mit Beton zugie-ßen und gab die jagenden San als angebl iche Wil-derer zum Abschuss durch zum Schutz großwildja-gender Touristen eingesetzte Sonderkommandosfrei. Alkohol ismus sowie kriegerische Übergriffeder viehzuchttreibenden Bantu tragen aktuel l wei-ter zu ihrer Dezimierung bei.Ein Baum. Der südl ichste Baum der Erde. Etwas anihm und seinen kleinen, buchenähnl ichen Blätternrührt an: Sein knorriges Wurzelwerk, eine Minia-turversion des Wurzelgeflechts der in Europa hei-

mischen Buche, klammert sich mit gefasster Be-stimmtheit an die karge Küste eines windumtostenKaps in Patagonien – nach ihm nichts als Ödland,Wasser, Packeismassen. Er besiedelt eine ökologi-sche Nische, die sich ebenso gut niemals hättebilden oder irgendwann unbemerkt für immer hätteschl ießen können. – Neben dem Weg zu seinemHaus zeigt uns der Biologe Michael Succow seinenLiebl ingsbaum: Nothofagus antarctica, die Antark-tische Südbuche.Wir besuchen Michael in seinem Garten. In denzwanzig Jahren, in denen er und seine Frau Ul la ihrHaus in einem Dorf bei Greifswald bewohnen, ha-ben sie die Nachbarn dazu gebracht, ihre Garten-zäune abzubauen. Seine Beete mulcht er mit demGras und den Moosen, die im Schnittgut der noto-risch mähenden Nachbarn anfal len: „Die Erdebleibt so immer gechützt, in unseren Kl imaten gibtes in der Natur keinen unbedeckten Boden.“Bevor wir unser Gespräch beginnen, machen wirBekanntschaft mit al len Bäumen und Stauden inseiner Hecke: Mispel , Alant, Ginster, Ginkgo, Wild-apfel . Michael stel l t sie uns vor wie gute Freunde.Manche sind Mitbringsel von seinen Reisen zu

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Mensch und Gesellschaft

Biosphärenreservaten, um die sich seine Stiftungweltweit kümmert. Was in semihumiden Steppen-landschaften wächst und tief wurzelt, kommt mitunserem trockenen, kühlen Ostseekl ima gut zu-recht, lernen wir.Johannes Heimrath Seit vielen Jahren bin ich da-bei, mich zu „ent-humanisieren“, mich zunehmendals Wurm unter Würmern zu verstehen. Ich möchtelernen, mich als gleichwürdiges Lebewesen in dasLebensganze einzugl iedern, um von dem Sockel ,auf den unsere sogenannte Kultur uns Menschenhebt, hinabzusteigen. Kann ich eine würdevol leNeubewertung meiner selbst vornehmen, die michmit den Tieren, Pflanzen, Bakterien, Steinen ge-schwisterl ich verwandt werden lässt?Wenn ich aufhöre, den Menschen außerhalb derNatur zu verorten, beginnt eine Sprachlosigkeit –keine Stummheit, sondern ein tönendes Schwei-gen. Der Begriff „Natur“ ist ein Container, vol lge-stopft mit Konzepten von unserer menschl ichenÜberlegenheit. Viel leicht lässt sich das, was ich in-zwischen als „ganzes Leben“ empfinde, nur mitPoesie und Musik einfangen. Können wir uns den-noch gemeinsam auf dieses spracharme Feld ein-lassen? Darf ich dich fragen: Wer bist du als Natur?Wie empfindest du dein Natursein?Michael Succow Als Naturwissenschaftler habeich nach Antworten auf die Frage „Wie organisiertsich Natur?“ gesucht. Darwin hat in der Natur denKonkurrenzkampf gesehen, aber das ist nur diehalbe Wahrheit. Die Natur ist ein Organismus, des-sen Teile sich befruchten, fördern und zusammen-wirken. Das große Wort, um das es für mich geht,heißt deshalb „Zusammenspiel“. Ich erlebe heuteeine Gesel lschaft, die das Zusammenspiel nichtkennt, sondern nur die Logik der Verdrängung. Al leWelt spricht vom Anthropozän, in dem der Menschdas Gesicht der Erde zunehmend umgestaltet. Daskann nicht gutgehen. Lasst uns zur Demut gegen-über der Natur zurückfinden!JH Wenn wir „die Natur“ in uns hineinnehmen, hörtsie auf, etwas Externes zu sein. Dann geht es nichtum ein Sich-Unterordnen oder Kleinmachen, dennes gibt gar kein „Gegenüber“ im Objekt-Sinn mehr.Das „Gegenüber“ beschreibt dann nur recht unzu-treffend die Wahrnehmung eines gemeinsamen„Inmitten-Seins“ von autopoietischen Subjekten2,die sich einen Lebensraum – den Körper unsererPlanetin – teilen.MS Das ist ein Denkansatz, den ich so noch nichtbetrachtet habe. – Wenn ich in eine intakte Land-schaft gehe, zum Beispiel in ein noch lebendes,noch wachsendes Moor, habe ich das Gefühl, voneinem Wunder umgeben zu sein. Was hat die Evolu-tion al les hervorgebracht?! Dieses Verwobensein

al ler Lebewesen kann ich nur als Wunder bezeich-nen. Wir Menschen sind in solch einem Moor eherStörenfriede. Das bedrückt mich schon.In jüngeren Jahren war mein höchstes Ziel , Natur-schutzgebiete und Nationalparks auszuweisen, zudenen Menschen nur bedingt Zutritt haben. Natio-nalparks sind Kinder der Industriegesel lschaftenund begannen in Nordamerika. Die dort ansässi-gen traditionel len Kulturen wurden l iquidiert. Si-cher, das ist heute so nicht mehr der Fal l . Aber in-zwischen hoffe ich, dass diese Welt trotz al lerKol laps-Prozesse mit uns Menschen weitergeht –nicht ohne uns.

Dazu möchte ich mich einerseits als Teil der Naturfühlen, so wie du es sagst. Dann aber möchte ichauch wissen: Wie funktioniert sie? Dieses unfass-bare Wunder der Evolution – al les geht in denKreislauf ein, nichts ist Bal last oder Belastung. DieÖkosysteme halten das Produzierte fest und spei-chern es; der Überschuss an biologischer Massekann dabei festgelegt, fossil iert werden. Er wirdentsorgt; aus dem Abgestorbenen, Zersetzten ent-steht wieder das Neue, wird Humus. Aus dem Wis-sen um dieses Geschehen und Funktionieren ent-wickelt sich für mich die Erkenntnis: Wir könnennur staunen und versuchen, von der Natur zu ler-nen, wie sie es macht, zukunftsfähig zu sein und zubleiben! Meine Hoffnung ist, dass wir Menschenwieder ein bewusster Teil des großen Reichs „Na-tur“ werden, und nicht als dessen Zerstörer wirken.Wir Menschen können dabei auch heilsam wirken,etwa indem wir Moore wiedervernässen.JH Du siehst das Moor vor dir und empfindest es alsWunder. Das gibt mir Anlass zu einer Frage: Ichsehe dich vor mir, ein Gebilde, dass sich „MichaelSuccow“ nennt. Ein Wesen mit Augen, das auchnoch hören, riechen, schmecken und sich bewegenkann, das atmet und sich in seinem Leben-Sein

2 autopoietische Subjekte = sich selbst erschaffende und erhaltende Subjekte

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Mensch und Gesellschaft

nicht von anderem Leben unterscheidet – etwasganz Erstaunliches, ein Wunder! Durch und durchNatur! Jetzt vergegenwärtige ich mir das Symposi-um zur Feier deines 75. Geburtstags: Ein Raum vol-ler Menschen, vol ler solcher Wunder, die al le dei-netwegen gekommen sind. – In der Regelempfinden wir Ansammlungen von Menschen alsanstrengend und erholen uns davon, indem wir „indie Natur hinaus“ gehen. Was hält uns davon ab,Menschen auf dieselbe Weise wahrzunehmen wiedas Pfeilkraut, die Mispel oder den Molch?MS Wenn ich al lein bin oder von den Menschenenttäuscht, und ich gehe in Natur, die wenigstensnoch halbwegs intakt ist, oder sitze hier an mei-nem Teich, erfahre ich eine ungeheure Be-glückung. Wie ist das al les verwoben! Da sitze ichund staune und denke nach, möchte eintauchenins Ganze. In die großen Landschaften zieht esmich, ans Meer in seiner Weite, ins Hochgebirgeüber den Wolken, in die letzten Steppen oder Ur-wälder dieser Erde. Eine tiefe Sehnsucht treibtmich danach, wieder Teil zu sein, al les aufzuneh-men, die Suche nach Antworten des Woher undWohin. Wie konnte das al les entstehen? Gibt es daeine lenkende Hand? Gibt es doch einen „Desi-gner“? Es ist für den naturwissenschaftl ich gebil-deten Verstand unmögl ich, vol lständig zu ermes-sen, wie unendl ich verästelt und rückgekoppelt dieNatur, unser Lebensraum, ist. – So aufgebaut, fal leich wieder ins gewöhnl iche Leben zurück, dasmich weiter fordert im Wirken um das Erhalten, imHaushalten, im Werthalten.Über uns ein Vogelruf. In einem schraubendenRuck zuckt Michaels Kopf unwil lkürl ich nach oben,suchenden Bl icks: „Ein Waldwasserläufer?! – dieWatvögel aus Skandinavien ziehen hier geradedurch“, beantwortet er den Ruf. Seine Reaktionhat etwas Kreatürl iches. Außerhalb der Menschen-welt gibt es nur eingebettetes Handeln, al les in dermehr-als-menschl ichen Welt reagiert aufeinander,nichts agiert als isol iertes Wesen. „In der Praxisgibt es keine Autonomie“, schreibt der Landwirtund Poet Wendel l Berry. „In der Praxis gibt es nurdie Unterscheidung zwischen verantwortungsvol lerund verantwortungsloser Abhängigkeit.“ In diesemEingebettetsein ist al les für etwas anderes Nah-rung. – Für wen ist der industriemoderne Menschnährender Grund?MS Mir geht es heute weniger um „Natur“ als umdie Frage: Haben Menschen, die nichts weiter tun,als von dem ihnen angestammten Land zu leben,noch einen Platz? Darum wil l ich nicht weiter Na-tionalparks schaffen, aus denen die dort heimi-schen Kulturen vertrieben werden, sondern tradi-tionel l lebende Ethnien vor der Ausrottungschützen. In Botswana befinden sich die San in der

Endphase ihrer Liquidierung. Das bewegt mich au-ßerordentl ich. Ich war in der Kalahari-Halbwüsteund musste erleben, wie sie entwurzelt in Ghettosleben, wie ihre jahrtausendealte Kultur zusam-menbricht. Da habe ich mich an die UNESCO ge-wandt mit dem Vorschlag, die San als Weltkultur-erbe der Menschheit zu schützen. Die Antwortwar: „Das geht kaum, denn sie haben ja keine kul-turel len Werke hinterlassen!“ Hätten sie Städteund Tempel gebaut, wären diese schützenswert,aber ihre schiere Existenz, ihre lebensfreundl icheKultur, die dem Land eben keine Steinbauten auf-drückt – die gilt nichts, ist kein Weltkulturerbe.JH Das ist die grausige Kehrseite dessen, wovonich spreche: Du Mensch, wenn du nichts tust, au-ßer Mensch – eben Natur – zu sein, bist nichtschützenswert! Erst dein Kulturerzeugnis machtdich wertvol l . Deine Ruinen werden bestaunt, wenndeine Geschichte vorbei ist.MS Wären die San Nashörner, würde wenigstensder Naturschutz greifen! Deshalb meine Suchenach anderen Ansätzen: Das UNESCO-Programm„Der Mensch und die Biosphäre“ ermögl icht es,beim Schutz einer Landschaft zu beachten, wie diedort lebenden Menschen sie nutzen. Traditionel leLandnutzung, insbesondere in den trockenerenGebieten der Erde, hat überwiegend nomadischenCharakter. Die halbnomadischen Völker brauchenKorridore, durch die sie mit ihren Herden ziehenkönnen.Wieder ein Vogelruf – wieder schlägt Michaels in-nerer Seismograph aus. Einen Augenbl ick instink-tiver Aufmerksamkeit lang späht er nach oben,dann senkt er den Bl ick und hält kurz inne. Dies-mal bestimmt er den Rufer nicht, bevor er weiter-spricht.MS Ein wesentl icher Teil der Menschheitswerdungwar, dass der Mensch den Tieren in der Steppehinterher zog, dann den Hund domestizierte, dannPferd, Esel , Schaf und Rind. Diese Gesel lschaftenkannten keine Zäune. Die Grenzen wurden erst vonden Kolonialherren wil lkürl ich mit dem Lineal ge-zogen. Wir haben diese großen pastoralen Kulturennoch längst nicht begriffen. Bei uns dreht sich al-les um Eigentum und Einhegung.Das wurde mir erst durch Besuche bei nomadi-schen Kulturen in Äthiopien, im Iran, in Kirgisienoder in der Mongolei bewusst. Nur bei Erhalt ihrerKorridore in Form von Al lmenden können dieseKulturen fortbestehen. Jede Privatisierung vonLand zerstört diese „gottgewol lte“ Lebensweise.Die Regierungen müssen entscheiden, ob dieseLebensform erhalten bleiben sol l , denn dann müs-sen die jährl ichen Wanderwege vor Privatisierunggeschützt werden. Hel ikopter-Skiing im Hochge-birge wäre die schreckl iche Alternative.

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Mensch und Gesellschaft

Halbnomadische, pastorale Kulturen sind wirkl ichePflegnutzer ihrer Habitate. Sie sind nicht in derLage, sich aus dem großen Ganzen, dem Oikos, zudem auch ihr menschl iches Herdfeuer gehört, her-auszunehmen oder ihr Land zu übernutzen. Siekämen gar nicht auf die Idee, dass es ihnen gehö-ren könnte. Ihre Haltung l ieße sich als „oikolo-gisch“ beschreiben. Wie gelangen wir mit unseremindustriemodernen, eurozentristisch geprägtenMindset wieder zu einer solchen sorgnutzendenVerbundenheit mit unserem Lebensraum?Matthias Fersterer Michael , wie nimmst du dieheutige Zeitqual ität wahr?MS Noch nie habe ich eine Zeitphase erlebt, in derso viele Menschen so viel Sorge um die Zukunfthatten! Dabei grassiert eine ungeheure Angst,dass der kleine Wohlstand der hiesigen Bevölke-rung dahinfl ießen könnte. Der VW-Skandal , dieenorme Verunsicherung bei den Bürgerinnen undBürgern, die zu Pegida oder AfD laufen, um ihreStaatsverachtung zu zeigen – das verdeutl icht, wieschnel l sich etwas verändern kann. Wir könnenkeine Prognosen über die Zukunft abgeben. Eskönnen sich aber auch ungeahnte Mögl ichkeits-fenster auftun, so wie damals in der Wendezeit diegroßen Biosphärenreservate in Ostdeutschlandetabl iert und weiter ausgebaut werden konnten –die Krise gab uns eine Chance, die sich auf West-deutschland übertrug, wo nun ebenfal ls Biosphä-renreservate entstanden.Ich kann mit meinem Öko-Garten weiterbestehen,habe als Bauernsohn eine Beziehung zu Boden, zuHumus, verwende Mulch – damit bin ich eine Be-sonderheit. Deshalb seid auch ihr Menschen derKlein Jasedower Gemeinschaft für mich so wichtig:Eine Gruppe, die am Rand der Gesel lschaft – nichtnachvol lziehbar für die meisten – in der Lage ist,sich selbst zu organisieren, freundl ich zueinanderist, Natur nutzt, aber nicht vernutzt – und das ausinnerer Überzeugung in Gemeinschaft tut. Ichselbst habe das Glück, in meine Stiftung einge-bunden zu sein. Vor al lem die jungen Menschengeben mir Zuversicht und Kraft. Es ist wichtig,nicht al lein zu sein in einer Welt vol ler Wunder.Michael lädt uns ein, das Gespräch abends beiRotwein fortzuführen. So wäre es richtig – wir sindhier nicht als Journal isten, sondern als befreunde-te Forscherinnen und Forscher, die sich Zeitschenken können. Doch scheinbar Unvermeidl i-ches wartet auf uns – und wir folgen dem Schein.Michael eil t noch einmal in den Garten und bringteine Papiertüte mit kleinen, rotgesprenkelten Äp-feln ans Auto: „Eine frühe Sorte. Lasst sie nochdrei Tage l iegen!“ Als wir losfahren wol len, zieht erdrei purpurrote Zwiebeln aus dem Mulchbeet unddrückt sie uns wortlos in die Hand.

Als wir die zaunlose Enklave der Succows längsthinter uns gelassen haben, wird das Licht mit ei-nem Mal fahler, Staub erhebt sich, und ein mono-tones Summen erfül l t die Luft. Die Umgebung ver-ändert sich. Plötzl ich scheint es, als führen wirnicht mehr über die vorpommerschen Dörfer, son-dern durch Trümmerfelder aus endlosen Geröl l -und Schutthalden, vorbei an Betonbrocken, umge-knickten Stahlträgern und Fassadenteilen. Wie aufeinem gigantischen Elefantenfriedhof türmen sichdie Überreste ehemals wuchernder Werk- undWohnkäfige auf und scheinen in den schwefelgel-ben Himmel bis zur dunstverhangenen Sonne hin-aufzuwachsen. Eine Handvol l orientierungslos ge-wordener Bestäubungsdrohnen prasselt auf unserGefährt, pral l t an der Karosserie ab und zerschel ltauf dem Geröl lfeld. Ein Gleißen lässt uns himmel-wärts bl icken. Über uns tut sich eine Lücke auf, inockerroten Lettern steht dort zu lesen: „Geh nachHause, wenn du kannst.“ Nebenan weidet sich einReh an bunt ummantelten Kupferdrähten, die auseinem umgestürzten Stromkasten sprießen. EinZug weißgekleideter Kinder bahnt sich seinen Wegdurch Armageddon. Sie kommen auf uns zu undrufen uns mit dem rhythmisch an- und abschwel-lenden Summen eines Bienenschwarms etwas zu –noch ein klein wenig näher, dann werden wir sieverstehen können… Stopp! Eine beherzte Brem-sung, gefolgt vom Ausscheren aufs Bankett, berei-tet dem Tagtraum ein Ende: Ein Erntefahrzeug vonder Größe eines Mammuts mit mannshohen Reifenversperrt uns den Weg auf der einspurigen Al lee.Die Rapsfelder, vor kurzem noch bis zum Horizontsignalgelb leuchtend, sind abgemäht. Bodener-schütternd und mit heulendem Motor passiert unsdas Ungefährt. Unser Bl ick trifft sich nicht mit demdes Landmaschinenfahrers.

Die Moderne ist noch nicht vorbei.   . . .

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Energie

Großbatterien statt NetzausbauReiner Lemoine Institut, 27. Oktober 201 6

Großbatterien können eine ernst zu nehmendewirtschaftl iche Alternative zum Netzausbau auf lo-kaler Ebene sein. Das ist das Ergebnis des dreijäh-rigen Forschungsprojekts „Smart Power Flow“ desReiner Lemoine Instituts (RLI ) , das heute im Rah-men einer Veranstaltung abgeschlossen wurde.Mithil fe eines eigens entwickelten Batterieproto-typs wurde dabei ein Betriebsmodel l mit größt-mögl ichem Gewinn ermittelt.Der steigende Anteil von Erneuerbaren Energienstel l t neue Herausforderungen an die Stromnetze,da die Leistung von Solar- und Windenergie jenach Wetterlage schwankt. Dies belastet insbe-sondere die sogenannten Verteilnetze – also dieStromnetze auf lokaler Ebene, an welche Haushal-te angeschlossen sind. Grund hierfür ist, dass sichdie meisten Erneuerbare-Energie-Anlagen wegenihrer niedrigen Anschlussleistung in diesen Netzenbefinden, eigentl ich sind die Verteilnetze aber garnicht dafür ausgelegt. Daher ist die Forderungnach Netzausbau in al ler Munde. „Aus unsererSicht ist der zunehmende Netzausbau aus volks-wirtschaftl icher Sicht nicht sinnvol l , da die Netzefür eine Belastung ausgelegt werden, die nur anwenigen Tagen im Jahr erreicht wird – das ist un-nötig teuer und aufwendig“, erklärt ProjektleiterDr. Jochen Bühler, wissenschaftl icher Mitarbeiterim Forschungsfeld Transformation von Energiesys-temen des RLI . „Wir haben darum in diesem Pro-jekt Alternativen geprüft. Großbatterien stel lenhierbei eine Option dar, da sie durch eine optimier-te Betriebsweise die Aufnahmefähigkeit der loka-len Netze für Erneuerbare Energien erhöhen kön-nen.“Bei der im Projekt genutzten Großbatterie handeltes sich um den Prototypen einer Vanadium-Redox-Flow-Batterie dessen Wechselrichter sowie Steue-rung eigens für das Projekt entwickelt wurden. Siewurde in das Stromnetz der LEW Verteilnetz GmbH(LVN) in Bayerisch-Schwaben integriert und in ei-ner einjährigen Testphase überprüft. Ziel war es,den Spagat zwischen wirtschaftl ichem und netz-stützendem Betrieb zu ermögl ichen. Eine RLI-Ana-lyse der Geschäftsmodel le für Großbatterien hatergeben, dass unter heutigen Rahmenbedingungenin Deutschland der Einsatz von Batterien am Pri-märregel leistungsmarkt der mit Abstand lukrativs-te Anwendungsbereich ist. Daher lag der Fokusdes Projekts auf diesem Geschäftsmodel l .Für die Verteilnetze verhalten sich Batterien, welchePrimärregelleistung erbringen, al lerdings zunächstnicht netzdienlich, da das Be- und Entladen des Spei-chers einzig durch die Netzfrequenz und nicht durch

die lokale Netzsituation bestimmt wird. Dieses Pro-blem wird durch die vom RLI entwickelte intel l igenteBatteriesteuerung gelöst, die die Spannung im Orts-netz entsprechend regelt und so die Netzaufnahme-fähigkeit für Erneuerbare Energien erhöht.„Entscheidend und neu an unserem Ansatz ist dieKombination eines marktgetriebenen und zugleichnetzdienl ichen Batterieeinsatzes auf Verteilnetze-bene“, fasst Bühler das Projektergebnis zusam-men. „Auch für lokale Netzbetreiber lohnt sich invielen Fäl len der Einsatz von Großbatterien, sodasssehr viele von ihnen dezentral über Deutschlandverteilt werden könnten. Voraussetzung ist dabei,dass die Speicher von externen Investoren auf-grund tragfähiger Geschäftsmodel le erbaut werdenund die Batterien mit einer netzdienl ichen Rege-lung ausgestattet werden. Für die Netzbetreiber istdiese Lösung, selbst unter Berücksichtigung vonetwaigen Kompensationszahlungen für den Mehr-aufwand, welche den Batteriebetreibern für dasnetzdienl iche Verhalten ihrer Anlagen entstehen,günstiger als die eigenen Netze auszubauen. Sokönnen Netzausbaumaßnahmen durch den Einsatzvon Speichern vermieden werden, welche sowieso– nämlich aufgrund eines Marktanreizes – erbautwerden. Dies senkt die Stromkosten und kann dieEnergiewende schnel ler voran bringen.“Das RLI in Berl in, das das Projekt Smart PowerFlow leitete, hat sämtl iche Berechnungen und Mo-del l ierungen durchgeführt, weitere Partner nebender LEW Verteilnetz GmbH (LVN), die die Batteriein ihrem Netz testete, waren die SMA Solar Tech-nology AG, die den Wechselrichter für den Spei-cher entwickelte und die Younicos AG, die die Bat-teriesteuerung entwickelte. Smart Power Flowwurde vom Bundesministerium für Wirtschaft undEnergie als eins von 38 Leuchtturmprojekten inder Förderinitiative „Batterien im Verteilnetz“ ge-fördert.

Weitere Informationen unterhttp://reiner-lemoine-institut.de/smart-power-flow/.Das Reiner Lemoine Institut ist ein unabhängiges, ge-meinnütziges Forschungsinstitut, das sich für eine Zu-kunft mit 1 00 % Erneuerbaren Energien einsetzt. Unse-re drei Forschungsbereiche sind „Transformation vonEnergiesystemen“, „Mobil ität mit Erneuerbaren Ener-gien“ und „Off-Grid Systems“. Wir forschen anwen-dungsorientiert mit dem Ziel , die langfristige Umstel-lung der Energieversorgung auf Erneuerbare Energienwissenschaftl ich zu unterstützen. Weitere Informatio-nen: http://reiner-lemoine-institut.de/

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Klima

1 geochronologische Erdepoche, in der der Mensch der wichtigste Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen undatmosphärischen Prozesse der Erde ist

2 Todes-Erdzeitalter

Der menschgemachte Turboklimawandel verläuftviel schneller, als bisherige natürliche Klimaände-rungen. Biosphäre, Klimasystem und entscheidendeRegelkreise des Systems Erde stehen vor dem Kol-laps. Das kapitalistisch verfasste Anthropozän1 er-weist sich als Nekrozän2 und bedroht den Fortbe-stand des Lebens auf unserem Planeten. Es brauchteinen weltweiten Aufstand für das Leben!Temperaturrekorde al lerorten – in den nördl ichenPolarregionen zeitweise 20 Grad über dem lang-jährigen Mittel – mit der Folge einer neuen Re-kordeisschmelze. Es droht der massive Verlust vonmehrjährigem Packeis und ein viel früheres Endedes Arktischen Meereises, als bisher gedacht. Diekritische Temperaturgrenze für die verstärkte Frei-setzung von Treibhausgasen durch den tauendenPermafrost ist jetzt wohl auch überschritten. 201 6lehrte das Fürchten. Die Kälte im November 201 6bezeugt den finalen Temperaturausgleich der Ark-tis mit den Subtropen und nicht etwa ein Stagnie-ren der Erderwärmung.Die globale Mitteltemperatur erhöhte sich im hal-ben Jahr nach der Pariser Kl imakonferenz um fastein halbes Grad. Das ist wirkl ich erschreckend undwürde bei Fortsetzung des Trends einen Tempera-turanstieg von 1 0 Grad in 1 0 Jahren bedeuten. DasTempo der Erderwärmung, bisher ein Zehntel Gradin 1 0 Jahren, hätte sich damit verhundertfacht.Auch wenn man den El Nino-Effekt berücksichtigt,ist eine starke Beschleunigung der Erderwärmungoffensichtl ich und sind 1 ,2 Grad schon erreicht.Das Zeitfenster schl ießt sich offenbar eher als ge-dacht. Eile tut not!Die hehren Ziele des zahnlosen und unverbindl i-chen Pariser Kl imavertrags, die Erderwärmung aufzwei oder gar 1 ,5 Grad zu begrenzen, stehen al ler-dings bisher nur auf dem Papier. Die derzeitigeschnel le Freisetzung von gigantischen Mengen anTreibhausgasen ist erdgeschichtl ich beispiel losund überfordert das System Erde. Al lein unsereCO2-Emissionen von fast 40 Gt jährl ich sind zehn-mal so hoch wie bei vergleichbaren, natürl ichenKl imaänderungen. Eine Begrenzung der Erderwär-mung erfordert deshalb eine schnel lstmögl iche,massive Reduzierung der THG-Emissionen um denFaktor 1 0. Der Pariser Vertrag setzt als Ziel Nul lEmissionen bis 2050. So weit so gut. Die Erdebraucht al lerdings jetzt dringend eine Atempauseund nicht erst in 35 Jahren. Die bisherigen realen

Verpfl ichtungen und auch die realen Trends erge-ben aber eine Steigerung der derzeitigen CO2-Emissionen von 40 Gt auf jährl ich 60 Gt bis 2030.Das entspricht ziemlich genau den 800 Gt, dieman angebl ich in diesem Jahrhundert noch emit-tieren darf – worüber man natürl ich bis 2030weiter verhandeln wird. Es ist ein sehr hohes Risi-ko, dem bereits stark destabil isierten Kl ima- undErdsystem weiterhin derartig hohe Emissionen zu-zumuten und es erst in einigen Jahrzehnten zuentlasten. Dann könnte es bereits zu spät sein.Der ungebremste, global isierte Turbokapital ismusproduziert bereits jetzt einen nie dagewesenenTurbokl imawandel . Mit einem fortgesetzten jährl i-chen CO2-Ausstoß von 40 oder gar 60 Gt würdenwir unseren „Bl itzkrieg" gegen die Erde fortsetzen,was nicht nur eine Erderwärmung von 4-6 Grad biszum Ende des Jahrhunderts zur Folge hätte, son-dern auch eine irreversible Schädigung entschei-dender Regelkreise des Systems Erde. Der bereitsschwer destabil isierte Kohlenstoff- und Sauer-stoffkreislauf, könnte durch Kippprozesse der Bio-sphäre vol lends kol labieren, was eine unbegrenzte,verstetigte Aufheizung der Erde zur Folge hätte.Um noch Frieden mit der Erde schl ießen zu kön-nen, müssen die Emissionen sofort drastisch auf4-6 Gt CO2 reduziert werden und schnel lstmögl ichgegen Nul l gehen.

„Blitzkrieg" gegen die ErdeBeim bisher schnel lsten natürl ichen Kl imawandel ,dem Paläozän-Eozän-Temperatur-Maximum (kurzPETM) vor 56 Mil l ionen Jahren wurden jährl ich4‑6   Gt CO2 freigesetzt, weshalb es zu einer Erder-wärmung von 5 Grad innerhalb von 20 000 Jahrenkam. Der Übergang von der letzten Eiszeit zur jet-zigen Warmzeit dauerte 1 2 000 Jahre.Das sind für die Kl imawissenschaft abrupte, sehrschnel le Kl imaänderungen. Fünf Grad Erwärmungsind inzwischen auch für den derzeitigen Kl ima-wandel wahrscheinl ich - das al lerdings in nichteinmal 1 00 Jahren.Beim PETM erwärmte sich die Erde um 0,025 Gradin 1 00 Jahren. Also ein vierzigstel Grad, statt derjetzt zu erwartenden fünf Grad. Eine globale Er-wärmung um fünf Grad in nur 1 00 Jahren hat es inder Geschichte der belebten Erde noch nie gege-ben. Nach erd- und kl imageschichtl ichen Zeitmaß-stäben ist das keine sehr schnel le, sondern eine

"Blitzkrieg" gegen die Erdevon Jürgen Tallig

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Klima

bl itzartige Veränderung, ein abrupter Turbokl ima-wandel , der 1 00 bis 200 mal so schnel l verläuftwie bisherige abrupte Erwärmungen der Erde. Ei-nem Jahr heute entsprechen also 200 Jahre da-mals.Unsere Treibhausgasemissionen sind für einen„normalen“ Kl imawandel auch viel zu hoch, näm-l ich zehnmal so hoch wie beim PETM, deshalb ver-läuft der Temperaturanstieg viel schnel ler und des-halb verursachen wir keinen Kl imawandel , sonderneine Kl imakatastrophe. Wir führen also geradeeine Art „Bl itzkrieg" gegen das Leben und die Erde,der, fal ls wir ihn nicht schnel lstens beenden, einenKol laps der Biosphäre und damit des gesamtenErdsystems zur Folge haben wird.

Anpassung unmöglichDas derzeitige Tempo der Erderwärmung und dasderzeitige Niveau an Treibhausgasemissionen sindabsolut tödl ich für die Biosphäre. Bei bisherigenErderwärmungen hatten die Ökosysteme immermehrere tausend Jahre Zeit für Anpassung undVerschiebung. Es kam zwar immer zu Artensterbenund Artenwechseln, aber das Leben war nie grund-sätzl ich bedroht. Man kann es nicht oft genug sa-gen, die Temperaturerhöhung im PETM dauerte im-merhin 20 000 Jahre, weshalb sich Arten undÖkosysteme anpassen konnten - sie hatten genugZeit! In nur 1 00 Jahren kann sich das Leben nichtan eine Erderwärmung von 4-6 Grad anpassen,dieser Zeitraum ist viel zu kurz – zumal wir uns jalängst im 6. Massensterben der Erdgeschichte be-finden: Die absolute Zahl der Wildtiere hat seit1 970 um 50 % abgenommen, was so ist, als wäredie halbe Menschheit ausgelöscht worden. DieWildnis hat in nur 20 Jahren eine Fläche von derGröße Indiens verloren. Auch sind die Ökosystemeschon geschwächt und beschädigt und stoßenüberal l auf die Begrenzungen der industriel len Zivi-l isation (Straßen, Bahnl inien, Felder, Siedlungenusw. usf.) . Eine sich aufschaukelnde Erderwär-mung von fünf Grad und mehr in nur 1 00 Jahrenwürde die Lage noch einmal dramatisch verschär-fen - sie l ieße der Biosphäre nicht die nötige Zeitfür Anpassung durch Wanderung oder Mutation.Einzig die Selektion würde noch funktionieren.Bereits in seinem 4. Bericht prognostizierte derWeltkl imarat bei einem Temperaturanstieg bis 3,5Grad das Aussterben von 40% - 70 % al ler Tier- undPflanzenarten. Besonders betroffen sind die fürKl ima und Artenvielfalt so wichtigen Wälder. 4-5Grad Erderwärmung bedeuten eine Verschiebungder Kl imazonen um etwa 1 000 Kilometer polwärts(Schel lnhuber, 201 5) sowie eine erhebl iche Verän-derung der Niederschlagsmuster, z.B. der innertro-pischen Konvergenzzone. Wälder können sichdurchaus 1 000 km verschieben und ausdehnen,

um verschobenen Kl imazonen zu folgen - wenn siegenügend Zeit dafür haben. In 1 00 Jahren ist dasal lerdings nicht mögl ich! Jedes Kind versteht, dassin so kurzer Zeit kein Wald so weit weg kann unddass Pflanzen vertrocknen, wenn sie zu wenigWasser kriegen.Es droht ein weitgehenderKollaps der BiosphäreDie bisherigen, lebensfreundl ichen Ordnungs-strukturen des Systems Erde gehen gerade weit-gehend verloren, es findet ein nivel l ierender Aus-gleich des veränderten Wärmehaushalts statt,wodurch sich Kl imazonen verschieben und Nieder-schlagsmuster verändern, woran sich die Biosphä-re auf Grund der Geschwindigkeit der Veränderunggrößenteils nicht anpassen kann.Die großen Wälder sind schon schwer geschädigt.aber auch das Leben in den Ozeanen ist durch Er-wärmung und Versauerung schwer beeinträchtigt.Es droht der weitgehende, unersetzl iche Verlustentscheidender ökosystemischer Leistungen, wief CO2-Aufnahme und Umwandlung, (al lein die Regen-

wälder binden 30% des atmosphärischen CO2)f die Produktion von Sauerstoff.f die Erzeugung von Biomasse, als Grundlage der Nah-

rungsketten,um nur Wesentl iches zu nennen.Die Entwicklungen sind dramatisch: 2005, 2007,201 0 und 201 6 war der Amazonas-Regenwald vonschweren Dürren betroffen. Die monatelange Tro-ckenheit hat 2005 ein Drittel des Waldes abster-ben lassen, 201 0 waren 50 % betroffen. Währendder Dürren „emittierte“ der Wald riesige Mengenan CO2, die den Gesamtemissionen der USA ent-sprachen. Gleichzeitig verringerte sich die CO2-Aufnahmefähigkeit der „Grünen Lunge“ der Erde innur 1 0 Jahren um 30 %.Auch die Borealen (nordischen) Wälder sind durchTemperaturanstieg und Trockenheit, aber auchdurch zunehmenden Schädl ingsbefal l schwer ge-schädigt (auf Satel l itenaufnahmen zeigen sich rie-sige Flächen braun verfärbt) . Die Zahl der Wald-brände hat in den letzten Jahrzehnten massivzugenommen. Sie sind bereits seit 2000 Netto-quelle von CO2. Der vol lständige Kol laps dergroßen Wälder ist offensichtl ich nur noch eine Fra-ge der Zeit. Damit würden das Kl imasystem unddamit das System Erde vol lends destabil isiert undes käme zu einer Dysfunktion entscheidenderRegelkreise des Erdsystems.Kippprozesse sind in vollem GangeBedeutende Elemente des Kl imasystems sind nichtnur instabil geworden, sondern haben sich in denletzten 20 Jahren bereits fundamental und mögl i-cherweise irreversibel verändert. Wenn das Krite-rium eines Kippprozesses ist, ob und wie schnel lStörungen noch ausgegl ichen werden (Martin,

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Klima

201 5), dann sind die meisten Kipppunkte im Kli-masystem und Erdsystem bereits überschritten.Nicht nur bei den Wäldern und den Ozeanen, son-dern bei al len nachfolgend erwähnten Großele-menten des Kl imasystems werden die Störungennicht nur nicht ausgegl ichen, sondern die Verände-rungen verstärken und beschleunigen sich immermehr:f Die Arktis könnte schon in 1 0 Jahren im Sommer völ-

l ig eisfrei sein.f Weltweit hat sich der Eisverlust der Eisschilde und

Gletscher in nur 1 0 Jahren fast verdreifacht.f Beim Grönländischen Eisschild hat sich der Eisver-

lust sogar vervierfacht, ein schnel les vol lständigesAbschmelzen scheint unaufhaltsam.

f Der Westantarktische Eisschild beginnt instabil zuwerden (durch Erwärmung von unten – Rahmstorf201 4), auch die Ostantarktis ist betroffen.

f Die Erwärmung der Arktis kann man nur dramatischnennen, doch auch in der Antarktis gibt es großflä-chige Erwärmungen um bis zu fünf Grad.

f Weltweit taut der Permafrost immer schnel ler undtiefer auf und setzt zusätzl ich große Mengen anTreibhausgasen frei.

f Die atmosphärische und ozeanische Zirkulation hatsich weltweit verändert, es erfolgt ein massiver Wär-metransport nach Norden.

f Die Niederschlagsmuster verändern sich weltweitimmer stärker.

Nichts deutet darauf hin, dass diese Kippprozessedurch irgendetwas rückgängig gemacht werden -wachsende Urwälder und Gletscher wurden nochnirgends beobachtet. Nach erdgeschichtl ichenZeitmaßstäben - hundert Menschenjahre entspre-chen viel leicht zehntausend Erdenjahren - sind die-se Kippprozesse al lesamt nur Punkte auf der Zeits-kala, egal ob sie Jahrzehnte oder Jahrhundertedauern. Uns stehen die Kipppunkte also nicht erstbevor, sondern wir befinden uns längst mittendrin.Die Erderwärmung wird bei zwei Grad auch nichtplötzl ich Halt machen, wenn entscheidende Ele-mente im Klimasystem bereits gekippt sind und esvielfache, gefährl iche Wechselwirkungen undRückkopplungen gibt.Die gegenwärtigen rasanten Veränderungen kannman nach erd- und kl imageschichtl ichen Zeitmaß-stäben nur als Kol laps des Systems Erde einord-nen.Auch der Kohlenstoff- und der Sauerstoffkreislaufsind längst völ l ig aus dem Gleichgewicht, undDie Schere im Kohlenstoffkreislauf öffnetsich immer weiter.Neben den Emissionen der Menschheit gibt es aufGrund der Erderwärmung immer mehr Emissionenaus natürl ichen Quel len. 30% kommen jährl ich oh-nehin aus Abholzung und Bodenzerstörung hinzu -dem „normalen“ Wald- und Landverbrauch - dem

jährl ich eine Fläche von der Größe Griechenlandszum Opfer fäl l t. Die Erderwärmung steigert auchdie mikrobiel le Zersetzung von organischem Mate-rial im Boden, was zu erhöhter CO2-Produktiondurch Mikrobakterien führt. Der auftauende Per-mafrost wird in den nächsten Jahrzehnten gigan-tische CO2- und Methan-Emissionen verursachen,die 1 5-50 Jahresemissionen der Menschheit ent-sprechen oder den Emissionen der letzten 1 80Jahre (die entscheidende Temperaturgrenze für eintiefes Auftauen dürfte durch die dramatische Er-wärmung der Arktis wohl überschritten sein) . H in-zu kommen die weltweit ständig zunehmendenWald- und Torfbrände. Die großen Wälder sind da-bei, von Sauerstoffproduzenten zu gigantischenneuen CO2-Quel len zu werden (Waldbrände undriesige Mengen verrottender Biomasse).Diesen Emissionen aus immer mehr Quel len aufder einen Seite stehen also CO2-Senken gegen-über, deren Aufnahmefähigkeit immer geringerwird und die vom völ l igen Zusammenbruch be-droht sind.

Die ozeanische CO2-Aufnahme sinkt.Auch die Ozeane als bedeutendste CO2-Senke desPlaneten, haben ihre Belastungsgrenze längstüberschritten. Sie haben seit 1 800 ca. ein Drittelder menschl ichen Emissionen aufgenommen. Siewirkten damit und mit der Aufnahme von 90% derzusätzl ichen Wärme als gigantische Puffer, was dieErderwärmung massiv verzögerte. Auf Grund vonGeschwindigkeit und Menge der weiteren CO2-Freisetzung sind die ozeanischen Aufnahmeme-chanismen inzwischen überfordert und die Ozeaneversauern komplett. Die Versauerung hat jetzt be-reits um 30 % zugenommen und ist damit so hoch,wie seit 300 Mil l ionen Jahren nicht. Beim PETM vor56 Mil l ionen Jahren versauerte nur die Tiefsee, daes genug Zeit für die Tiefenverfrachtung des CO2gab.Erwärmung und Versauerung verringern die ozea-nische CO2-Aufnahme. Waren es früher ca. 30 bis34 % der Emissionen, die absorbiert wurden, sowaren es 1 999 nur noch 26 % und inzwischendürfte es noch viel weniger sein. Sowohl die che-mische, die physikal ische als auch die biologischeCO2-Pumpe der Ozeane sind erhebl ich beeinträch-tigt und werden es noch Jahrtausende sein (Ma-thesius u.a.) .Erwärmung und Versauerung gefährden nicht nurKoral lenriffe und Nahrungsketten, sondern in wär-meren, sauerstoffärmeren und versauerten Ozea-nen kann sich viel weniger CO2 lösen (chemischePumpe). Auch der Austausch der Wasserschichtenist durch warmes Oberflächenwasser schwer ge-stört und damit auch der CO2-Transport in die Tiefe(physikal ische Pumpe).

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Klima

Die Minderung des Phytoplanktons reduziertgleichfal ls die CO2-Aufnahme und die Tiefenver-frachtung von Kohlenstoff (biologische CO2-Pum-pe), aber auch die Photosynthese und damit dieSauerstoffproduktion.Das bedeutet, dass die Ozeane mit fortschreiten-der Versauerung und Erwärmung in Zukunft sehrviel weniger CO2 absorbieren werden als bisher(minus ca.30% noch in diesem Jahrhundert) . DieOzeane können dann hohe Emissionen nicht mehrwie bisher abpuffern, so dass diese direkt die Er-derwärmung, aber auch die Versauerung verstär-ken. Das beeinträchtigt wiederum die CO2-Aufnah-me der Ozeane usw. usf.Eine fatale Rückkopplung. Durch al l diese Verände-rungen gibt es einen zunehmenden Überschuss anungebundenem CO2.Zunehmender CO2-ÜberschussWie und wodurch sich diese Schere kurzfristig wie-der schl ießen sol lte, ist völ l ig unklar. Es ist nichterkennbar, wodurch Quel len und Senken jemalswieder ins Gleichgewicht kommen sol lten. Hier istder entscheidende Kipppunkt im Kl ima- und Erd-system erreicht: das Überschreiten des Punktes,ab dem die Freisetzung von Treibhausgasen ausnatürl ichen Quel len die Bindungs- und Rückfüh-rungsmögl ichkeiten des Systems Erde überschrei-tet. Das bedeutet eine verstetigte, zunehmendeEmission von CO2 und anderen Treibhausgasenaus immer mehr natürl ichen Quel len. Damit hättesich der Prozess verselbständigt. Dieser Punktkönnte schon überschritten sein.So schreibt der Weltkl imarat in seinem 5. Bericht:„Es muss der Atmosphäre zusätzl ich wieder CO2 ingroßem Umfang entzogen werden, da Emissionsre-duzierungen al leine nicht mehr für eine Stabil isie-rung des Kl imasystems ausreichen“. Das bestätigtdas große Ungleichgewicht im CO2-Kreislauf, alsodie Überforderung der Senken.Mit dem weiteren Kol labieren der großen Wälderund dem weiteren Kippen der Ozeane wäre dieserPunkt mit Sicherheit überschritten - das wäre derGAU für das Kl imasystem! Gekippt ist gekipptund tot ist tot. Auch Geo-Engeneering kann Ent-wicklungen dieser Größenordnung und die eigen-dynamische Beschleunigung dieser Prozesse nichtmehr stoppen.Auch stel lt sich die Frage, inwieweit man bei CO2noch von einer Verweildauer von 1 00 Jahren in derAtmosphäre ausgehen kann. Wenn sich die Abbau-und Aufnahmefähigkeit der Biosphäre und derOzeane so stark verringert haben, dauert es mögl i-cherweise sehr viel länger, ehe CO2 in Sauerstoffumgewandelt oder mineral isch gebunden wird undentsprechend länger bleibt mehr CO2 in der Atmo-sphäre.Selbst wenn es also 2050 Nul l Emissionen der

Menschheit gäbe, wäre es zu spät. Die Emissionenaus natürl ichen Quel len würden weitergehen unddie CO2-Senken wären irreversibel geschädigt. Waspassiert, wenn die Emissionen auf 80 Gt CO2 an-steigen sol lten, was eine durchaus real istischeProjektion ist, möge sich jeder selbst ausmalen.Sauerstoffdefizit - die Luft wird knapp.Mit dem weitgehenden Zusammenbruch der Pho-tosynthese, durch den Kol laps der großen Wälder,die Schädigung der Ozeane usw., käme auch dieSauerstoffproduktion weitgehend zum Erl iegenund der Sauerstoffgehalt der Erdatmosphäre wür-de beschleunigt abnehmen. Laut UBA hat der Sau-erstoffgehalt der Atmosphäre in den letzten 40Jahren bereits um ein Tausendstel abgenommen.Inzwischen wird eine Abnahme in dieser Größen-ordnung wahrscheinl ich nur noch 1 0 Jahrebrauchen.Es könnte zu einem erdgeschichtl ich einmal igschnel len Rückgang des Sauerstoffgehalts der At-mosphäre kommen, er könnte schon in 1 0 000Jahren oder gar noch eher gegen Nul l tendieren.Die sauerstoffverbrennenden Prozesse durch In-dustrie und Verkehr gehen ja ungebremst weiter.Bereits in einigen Jahrtausenden könnte der Sau-erstoffgehalt bei nur noch 1 2 %, statt bei 21 % l ie-gen, was einer Höhe von 5300 Metern entspricht.Auch in den Ozeanen hat der Sauerstoffgehalt be-reits erhebl ich abgenommen. Hier sind nicht diesauerstoffarmen, meist küstennahen Todeszonengemeint (Abwässer, Stickstoff) , sondern die ver-ringerte Sauerstoffaufnahme und Durchmischungdurch Versauerung und Erwärmung. Durch dasAuftauen von Methanhydraten und das freigesetzteMethan könnte sich dieser Prozess noch erhebl ichbeschleunigen. Methan oxidiert ja bekanntl ich mitSauerstoff und könnte so den Ozeanen sehr vielSauerstoff entziehen, was wiederum den Sauer-stoffgehalt der Atmosphäre reduzieren würde.Es ist also nicht nur das 6. Massensterben derErdgeschichte in vol lem Gange, sondern dieGrundlagen sauerstoffbasierten mehrzel l igen Le-bens überhaupt könnten weitgehend zerstört wer-den, womit 2 Mil l iarden Jahre Evolution zunichtegemacht wären.Doch dieVerstetigte Aufheizungwird das Leben schon viel eher bedrohen. „DieZukunft des Kl imas und damit des Planeten ent-scheidet sich im Dreieck Sonne, Biosphäre undKarbonat-Sil ikat-Kreislauf.“ (H.‑J . Schel lnhuber) .Al le Mechanismen zum Ausgleich von Störungen,die die Erde nun schon seit vielen Mil l ionen Jahrenals einen lebensfreundl ichen Planeten erhalten ha-ben, sind längst überlastet und außer Kraft ge-setzt. Die wichtigsten Puffer, die Ozeane, versau-ern und erwärmen sich immer stärker und die

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CO2-Aufnahme nimmt ab. Durch den gleichzeitigenKol laps der Wälder hätte die Erde keine hinrei-chenden Mittel mehr, um CO2-Anstieg und Erwär-mung wieder zu bremsen.Die verbl iebenen geochemischen Mechanismen,wie der Karbonat-Sil ikat-Kreislauf wirken sehrlangsam und reichen offenbar nicht aus, den be-ständigen hohen Input an Treibhausgasen schnel lauszugleichen. Sie konnten ja auch den bisherigenschnel len Anstieg der CO2-Konzentration nicht ver-hindern und haben ihre Kapazitätsgrenzen offen-bar bereits erreicht.

Die Gefahr der „Selbstverbrennung“(Schellnhuber) ist offensichtlich real.Mit der weiteren Destabil isierung des lebens-freundl ichen Systems Erde stel len wir die Weichenunumkehrbar in Richtung auf eine absolut lebens-feindl iche Zukunft des Planeten. Das wäre dasgrößte denkbare Verbrechen der Menschheitsge-schichte und würde al le kommenden Generationenzum Tode verurteilen. Wir müssen jetzt sofort dieEmissionen und das Wirtschaftsvolumen drastischreduzieren und al les für eine Stabil isierung derBiosphäre tun. Wir leben al lerdings in einer Gesel l -schaftsstruktur, deren Hauptziel unendl iches Wirt-schaftswachstum ist. Ein jährl iches Wachstum desBruttoinlandsprodukts um 2 % ist al lgemeiner ge-sel lschaftl icher Konsens und 3 % werden als nochbesser angesehen. Wie sol lte diese Gesel lschaftdie nötige Begrenzungsordnung herbeiführen kön-nen und wol len, da ihre immanenten Antriebss-trukturen (Kapitalakkumulation, Geldvermehrung,der Zwang zur Mehrwert- und Profiterwirtschaf-tung) doch ständig in die entgegengesetzte Rich-tung wirken, also eine „erweiterte Reproduktion,auf immer höherer Stufenleiter“ (Marx) erzwingen.Deshalb muss sie jede Begrenzung und Beschrän-kung, z.B. beim Zugang zu Rohstoffen und Märktennotfal ls auch gewaltsam überwinden, wie ja auchdie jüngste Geschichte lehrte. Sie unterl iegt einemstrukturel len Zwang zum Wachstum und zur Größe,auch der Unternehmen (wirtschaftl iche Konzentra-

tion zu Monopolstrukturen). Angesichts der dro-henden planetaren Katastrophe erscheint der Ka-pital ismus inzwischen als regelrecht absurd undanachronistisch. Ein Wachstum von 3 % bedeutetja eine Verdopplung des BIP in 25 Jahren - und wirüberlasten die Erde mit THG-Emissionen bereitsjetzt um das Zehnfache.

Der Kapitalismus ist nicht mehr zeitgemäßund dem Planeten nicht mehr zumutbar.2009 kam es zu einer Reduzierung des deutschenBIP um 5,4 % und auch die CO2-Emissionen redu-zierten sich deutl ich und real . Sehr gut für das Kl i-ma, möchte man meinen. Al lerdings handelte essich um die schwerste Wirtschaftskrise in der Ge-schichte der Bundesrepubl ik und es herrschte al l -gemeine Weltuntergangsstimmung. Was das Kl imaretten könnte, weniger Wachstum und Reduzierungdes Wirtschaftsvolumens, bedroht den Kapital is-mus in seiner Existenz.Al l die schönen Theorien von Effizienz und Suffizi-enz konnten nicht verhindern, dass sich die CO2-Emissionen und die Zahl der Autos in den letzten25 Jahren verdoppelt haben.Es besteht ein antagonistischer, also nicht lös-barer Widerspruch zwischen der Begrenztheitdes Systems Erde und den kapitalistischenWachstumsgesellschaften. Viel weniger stattimmer mehr geht eben nur ohne ständigesWachstum!Der Kapital ismus hat seine historische Missionauch längst übererfül l t und eine ungeheure Entfal-tung der Produktivkräfte und von Wissenschaftund Technik bewirkt. Doch inzwischen sind dieProduktivkräfte längst Destruktivkräfte geworden.Wachsende Wirtschaften bedeuten längstwachsende Zerstörung und wachsende Emissionenund damit den Weg in die Kl imakatastrophe! Be-reits in den 50er Jahren waren die CO2-Emissionenso hoch wie beim PETM. Bald werden sie sich imVergleich zu damals verzehnfacht haben - ein erd-geschichtl ich beispiel los schnel ler Eintrag riesigerMengen von Treibhausgasen in die Atmosphäre.„Das al les so weitergeht, ist die eigentl iche Kata-strophe!“, wie schon Walter Benjamin wusste.Die Menschheit wusste spätestens seit Rio 1 992um die drohende Gefahr. Es wurde aber nicht ge-handelt, der Kl imaschutzprozess verkam zur Al ibi-veranstaltung. Die Emissionen verdoppelten sichseitdem sogar. Statt bei 1 0 Gt, was erreichbargewesen wäre, l iegen die jährl ichen Emissionenjetzt bei fast 40 Gt CO2. Und das weltweite Brutto-inlandsprodukt verdreifachte sich. Das ist ange-sichts der drohenden Selbstvernichtung ein völ l igirrationales Verhalten! Man hat das Gegenteil vondem getan, was 99 % al ler Wissenschaftler fürdringendst notwendig hielten.

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Minimalausdehnung des arktischen Eisschii ldes 201 6gelbe Linie: langjähriges Mittel

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Der Kapitalismus ist irrational und anachronis-tisch und muss schnellstmöglich in eine zeit-gemäße Gesellschaftsform transformiert wer-den, sonst wird er der Totengräber des Lebensauf der Erde sein.Dabei gibt es in den überentwickelten westl ichenIndustrieländern keine Notwendigkeit und keineneinzigen rationalen Grund für weiteres Wirtschafts-wachstum. Der Wohlstand und der Energie- undRohstoffverbrauch sind viel zu hoch. Bei gerechterVerteilung würde schon viel weniger ein gutes Le-ben für al le ermögl ichen. Ledigl ich der systemim-manente Zwang zur Mehrwert- und Profiterwirt-schaftung und die Renditeerwartungen der Geld-und Kapitalbesitzer erfordern immer weiteresWachstum, immer weitere Expansion. Die reichenWeltmarktgewinner zeigen sich deshalb nicht wirk-l ich bereit zu irgendwelchen substanziel lenEinschränkungen, nicht beim Profit und also auchnicht bei den Emissionen. Der Kapital ismus ist of-fenbar nicht fähig oder wil lens der „größten Gefahrund Herausforderung in der Geschichte derMenschheit“ (UN-Generalsekretär Ban), der Kl ima-katastrophe, rechtzeitig adäquat zu begegnen undwil l es darauf ankommen lassen. Die wahnwitzigeAuffassung, man könne immer weiter expandieren-de ökonomische Systeme trotz Beschädigung undZerstörung der ökosystemischen Grundlagen auf-rechterhalten und viel leicht später noch etwas re-parieren, scheint sich durchgesetzt zu haben. Diewestl ichen Herrschaftsel iten meinen, den Kriegmit der Natur gewinnen zu können. Schon jetztbaut man die Deiche höher und auch die Grenzen.Man wil l die Kl imakatastrophe, aber auch ihre Fol-gen aussperren. Der Stacheldraht der neuen Kl i-maapartheid verläuft an den EU-Außengrenzenund zwischen den USA und Mexiko. Den Preis zah-len die armen Länder des „Globalen Südens“, dieja am wenigsten zur Kl imakatastrophe beigetragenhaben, aber jetzt schon am härtesten betroffensind. Der Weltkl imarat schreibt zu den Folgen derKl imakatastrophe: “In reicheren Gesel lschaften(ein Fünftel der Menschheit verfügt über 85 % desweltweiten BIP) geht es eher um den Verlust öko-nomischer Werte, in ärmeren um starke Beein-trächtigungen der Gesundheit und den Verlust desLebens…“ Dass die reichen Länder, Elend und Todvon zig Mil l ionen Menschen als Kol lateralschadenihres „Way of l ife“ in Kauf nehmen, sol lte der viel-beschworenen „Weltgemeinschaft“ wenigstens be-wusst sein. Nach Angaben der UNO sind al leine inAfrika 700 Mil l ionen von 1 ,1 Mil l iarden Einwohnerndurch den Kl imawandel in ihrer Existenz gefährdet.

Die Menschen, die kaum zum Klimawandel beige-tragen haben, können ihm nicht entkommen undsich nicht vor ihm schützen und sterben zuerst.Der Kapitalismus nimmt den Tod in Kauf.Er verbraucht Leben und produziert Totes und Tod.Diese zu Expansion und Wachstum verdammteGesel lschaftsform erweist sich als evolutionäreSackgasse und fossiles System im doppeltenWortsinn und ist zu einer Bedrohung für das Lebenauf der Erde geworden. Der nekrophile Charakterdes Kapital ismus (E. Fromm) entäußert sich in En-tropie3. Das kapital istisch verfasste Anthropozänerweist sich immer mehr als Nekrozän, als Zeital-ter des Toten und des Todes und als Entropozän,als Zeitalter der Entropie und des Chaos und of-fenbart somit seinen eigentl ichen Charakter. JedeIn-Wert-Setzung im ökonomischen Sinne ist ja eineAußer-Wert-Setzung auf der ökologischen Ebene -also eine Schwächung des Lebens.Das auf Wachstum und bil l igen fossilen Brennstof-fen beruhende kapital istische Weltsystem, ver-braucht und zerstört die Biosphäre bei gleichzeiti-gem massivem Output von Treibhausgasen - dasist seine Voraussetzung, es beruht auf der Stei-gerung von Entropie. Mit ihrer Nutzung fossilerBrennstoffe haben sich die Industriegesel lschaftenvon den natürl ichen energetischen Gegebenheitendes Planeten, die auf dem Energieinput der Sonneberuhen, und von der Natur emanzipiert, aber auchentfremdet. Der Mensch hat eine globale Nekro-sphäre4 geschaffen und ist nun scheinbar unab-hängig von der Natur. Er ist nun selbst der bedeu-tendste Veränderer des Planeten, gleichsam selbsteine Naturgewalt mit erdgeschichtl icher Wirk-mächtigkeit, der ein eigenes Zeitalter eröffnet hat,das Anthropozän (vgl . Renn und Scherer: „Das An-thropozän. Zum Stand der Dinge.“) .Wohl wahr - doch diese Unabhängigkeit von derNatur ist nur scheinbar und nicht dauerhaft mög-l ich. Die Unabhängigkeit ist erkauft mit ungedeck-ten Wechseln auf die Zukunft und die Rechnung istnoch offen. Sie wird uns gerade in Gestalt der Kl i-makatastrophe von der Natur präsentiert. Ein sehrhoher Preis für unseren „Fortschritt“! Es droht dievöl l ige Destabil isierung al ler natürl ichen Kreisläufeund eine lebensfeindl iche Heißzeit.Durch diese Veränderungen könnten die Lebens-grundlagen bald so stark verändert und geschädigtsein, dass nicht nur menschl iches Leben, sondernLeben überhaupt auf der Erde nur noch in einigenÜberlebensnischen mögl ich ist. Die Erde befindetsich in einer wahrscheinl ich nicht mehr aufzuhal-tenden Abwärtsbewegung der energetischen

3 Entropie = thermodynamische Größe, Maß für die „Unordnung“ eines Systems, kann in einem abgeschlossenen Systemnicht sinken.

4 Tote Umwelt, Technosphäre

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Nivel l ierung und des Struktur- und Ordnungsver-lustes hin zu einem lebensfeindl ichen Zustand ho-her Entropie, der sehr lange anhalten dürfte. DieMenschheit gleicht in der Tat einem Autofahrer,der vor einem Abgrund Gas gibt, statt eine Vol l-bremsung zu machen, weil das Navi gesagt hat, esgeht immer nur leicht bergab. Es geht tatsächl ichnur leicht bergab, ohne plötzl ichen Absturz. Aberunten angekommen, befindet er sich doch in ei-nem ausweglosen Abgrund, da al le Wege zurückversperrt und zerstört sind. Diesen „entropischenAbgrund“(J .Rifkin) wird die Menschheit bald nichtmehr verlassen können. Wir haben die Zukunft inZahlung gegeben, zugunsten der Gegenwart undwir haben wahrscheinl ich die Zukunft verloren.

Das Zeitfenster für eine Begrenzung der Kli-makatastrophe schließt sich gerade.und es wird sich nicht wieder öffnen. Kippprozessein der Biosphäre und im Erdsystem können die Er-derwärmung jederzeit dramatisch beschleunigen.Es muss jetzt sofort entschlossen gehandelt wer-den, um die verbl iebene Minichance einer Begren-zung noch zu nutzen.Doch die Menschheit scheint den Ernst der Lagenoch nicht wirkl ich begriffen zu haben. Vor al lemdie westl ichen Gesel lschaften befinden sich ange-sichts der Kl imakatastrophe in einem interessen-geleiteten Verblendungszustand, der sie gegeneine real istische Wahrnehmung der Gefahrenregelrecht immunisiert. Sie verhalten sich so, alsginge es um eine Erderwärmung von fünf Grad im

Verlauf von 1 0 000 Jahren und begreifen nicht,dass von 1 00 Jahren die Rede ist und was das be-deutet. Substanziel le Gegenmaßnahmen werdenimmer wieder hinausgeschoben, wie die Entschär-fung des Kl imaschutzplans und des Kohleausstiegsam 1 1 .1 1 .201 6 zeigte. Kl imaschutz als Karnevals-veranstaltung, während woanders schon gestorbenwird (wie im Sudan). So, als sei noch al le Zeit derWelt. Dem ist aber nicht so!Wir sind tatsächl ich die letzte Generation, die dieKatastrophe noch aufhalten kann (B. Obama).Noch besteht die Mögl ichkeit, die Kl imakatastro-phe wenigstens einzudämmen - diese Chance auf-grund von Macht- und Profitinteressen leichtfertigzu vertun, wäre unverzeihl ich.

Aufstand für das LebenAngesichts der planetaren Krise reicht individuel-les Wohlverhalten al lein nicht aus.Die gesel lschaftl ichen Rahmenbedingungen müs-sen neu gestaltet werden. Das bedarf der Aufklä-rung über die drohenden Gefahren und der moral i-schen Diskreditierung der bisher Verantwortl ichen.Die Umweltbewegung muss ihren defensiven Ko-operationskurs gegenüber Wirtschaft und Pol itikaufgeben und strukturel le Ursachen für Wachs-tumszwang und Naturzerstörung sowie gesel l -schaftl iche Alternativen dazu klar benennen.Moral isch diskreditiert haben sich z.B. die Auto-konzerne ja schon selbst. Der fossil istischeMachtblock in Wirtschaft und Pol itik muss auchjuristisch unter Druck gesetzt werden. Es handeltsich hier nicht um Kaval iersdel ikte, sondern umSchwerverbrechen größten Ausmaßes  - den künf-tigen Tod von Mil l ionen oder gar Mil l iarden Men-schen - ganz zu schweigen vom Ökozid an derErde. Die Verantwortl ichen verletzen nicht nurgröbl ichst ihre Vorsorgepfl icht, sondern auch na-tionales und internationales Recht. Es gilt, nichtnur „Schaden vom deutschen Volke abzuwenden“,sondern auch „eine gefährl iche Störung des Kl i-masystems“ zu vermeiden (Kl imarahmenkonventi-on). Ein regelmäßig tagendes Kl imatribunal ähnl ichdem Vietnam-Kongress könnte informieren undaufrütteln.Es gilt den Fortschritts- und Modernisierungs-konsens zu brechen, zugunsten eines Überle-benskonsens‘. „Rettet das Leben!“ könnte derWeckruf für einen Parteien und Grenzen über-schreitenden neuen Aufbruch der Umweltbewe-gung sein und zum gesel lschaftl ichen Fanal wer-den, um das Al lerschl immste doch noch zuverhindern. Weitere 20 Jahre Global isierung undexponentiel les Wirtschaftswachstum mit den ent-sprechenden Treibhausgasemissionen ausgehendvom jetzt schon gigantischen Niveau müssen un-bedingt verhindert werden.

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Ökologische Weltrevolution oder BarbareiWenn die Emissionen der Menschheit bereits jetztum das Zehnfache über dem gerade noch Erdsys-temverträgl ichen l iegen, dann ist klar, dass esnicht mit grüner Kosmetik getan ist, sondern umeine gesel lschaftl iche Neubegründung geht.Um das System Erde funktionsfähig zu erhalten,muss das zum Wachstum verdammte System Ka-pital ismus schnel lstmögl ich außer Betrieb genom-men werden und die Energie- und Stoffströmemüssen um den Faktor 1 0 auf ein erdsystemkom-patibles Niveau reduziert werden. Das bedeutetden radikalen Um- und Rückbau der über- undfehlentwickelten westl ichen Industriegesel lschaf-ten. In kürzester Zeit muss eine massive Reduktionder Energie und Stoffströme erreicht werden unddie Treibhausgasemissionen müssen sofort um 80% reduziert werden.Wir werden erdsystemkompatibel sein oderwir werden nicht mehr sein.Bei Emissionen unter 6 Gt CO2 gibt es die Chanceauf eine Regeneration und Stabil isierung der Öko-systeme. Dadurch könnte auch der Kohlen- undSauerstoffkreislauf stabil isiert werden und eineKl imakettenreaktion bzw. eine galoppierende Er-derwärmung noch vermieden werden.Die Verhinderung der Klimakatastrophe und dieBewahrung der Lebensgrundlagen der Menschheitmüssen zum vorrangigen Ziel gesellschaftlichenHandelns werden, dem sich al les unterzuordnenhat. Das ist nur mögl ich, wenn gleichzeitig Groß-konzerne und Großkapital entmachtet und enteig-net werden. Eine sofortige Reduzierung des auf-geblähten Kapitalstocks um mindestens 90 % istnotwendig und dies auf friedl ichem Wege. Leben-dige Arbeit muss gegenüber der Energie und Res-sourcen fressenden, vergegenständl ichten „totenArbeit“ klar bevorteilt werden.Roboter, Fließbänder und globalisierte Wert-schöpfungsketten dürfen sich einfach nichtmehr rechnen! Es braucht einen Wechsel hin zustationären, regionalen Ökonomien mit viel ge-ringerem Energieverbrauch und stark reduziertenTreibhausgasemissionen. Womit nebenher undgleichzeitig wieder für viele „Arbeit da wäre“ unddie derzeitigen sozialen, ökonomischen und fi-nanziel len Ungleichgewichte weltweit, aber auch inder EU abgemildert wären. Dadurch wäre inter-essanterweise auch der „Fal l der Profitrate“ ersteinmal beendet und umgekehrt. Aber es muss so-fort gehandelt werden, sonst droht der Menschheiteine barbarische Endzeit.Ein Rettungsplan für die Erde, ein Sofortpro-gramm für das Leben:Emissionen stoppen - Biosphäre stärkenNotwendig ist eine sofortige globale Preisreform

für Energie und Rohstoffe. Die Zukunft muss end-l ich eingepreist werden. Durch einen aufge-schlagenen Generationenvorbehalt (Zukunftssteu-er) gibt es einen Preisanstieg, der Verschwendungund die Zerstörung der Ökosysteme stoppt und dieInteressen der kommenden Generationen berück-sichtigt.Auch eine weltweite CO2-Steuer könnte eine wich-tige Lenkungsfunktion erfül len.Den Klimawandel eindämmen, heißt vor allemdie Globalisierung eindämmen! Weitere Global i-sierung ist der GAU für das Kl ima und das genaueGegenteil des Notwendigen.Ein erster Schritt dazu könnte die Einführung einerweltweiten Kl imasteuer auf Ferntransporte sein,um nachhaltige regionale Wirtschafts- und Le-bensweisen zu schützen. Ferntransporte müssenviel teurer werden! Arbeit vor Ort muss sich wie-der lohnen und vor aggressiver Markteroberungdurch die westl ichen Länder geschützt werden.Einen Schutz des Kl imas ohne Gerechtigkeit kannund wird es nicht geben.Die Mittel würden in nationale und internationaleKl imarettungsfonds fl ießen und für Rettungsmaß-nahmen und den nötigen strukturel len Um- undRückbau bereitgestel l t werden.Mit diesen Mitteln könnte ein massives weltweitesAufforstungsprogramm finanziert werden, beistrengstem Schutz al ler verbl iebenen Wälder. Auchder weltweite Umstieg auf regenerative Energienund 1 00% ökologischer Landwirtschaft, sowie Um-welttechnologietransfers und die nötige Konversi-on der Industrie wären so machbar. Die Autopro-duktion der westl ichen Industrieländer mussmassiv zurückgefahren werden und weltweit einentschlossener Umbau der Verkehrssysteme erfol-gen, weg vom motorisierten Individualverkehr hinzum kostenlosen ÖPNV und zur kostenlosen Bahn.Die weltweit nötigen Anpassungsmaßnahmen beiWasserversorgung und Hochwasserschutz, sowiesinnvol le Maßnahmen des Geo-Engeneering wür-den so, international koordiniert, mögl ich, wobeider Westen hier seine historische Kl imaschuld ab-arbeiten könnte. Al l dies würde sehr, sehr viele Ar-beitsplätze schaffen. Die westl ichen Hochemissi-onsländer würden sehr strenge Auflagen für einesehr schnel le Senkung ihrer Emissionen auf denglobalen Durchschnitt bekommen, von denen siesich nicht freikaufen dürften.Um al l diese Maßnahmen durchzusetzen, bedarf esnationaler Rettungsregierungen (aus Expertengebildet) und natürl ich eines UN-Klimarates mitexekutiven Befugnissen . N icht kooperierendeStaaten hätten mit Anklagen des Klimagerichts-hofs, Boykotten, Sanktionen und drastischenStrafmaßnahmen zu rechnen.

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Heft IV-201 6 Tarantel Nr. 75 21

Klima

Vom 20. bis 24. Juni 201 6 fand in Potsdam bereitsdie elfte Internationale Permafrostkonferenz statt.Mit 800 Teilnehmer_innen war die vom Alfred-We-gener-Institut organisierte diesjährige Konferenzdie bisher größte. In insgesamt 1 6 Interviews mitteilnehmenden Wissenschaftler_innen berichtetedie onl ine-Zeitung Schattenbl ick über diese in den„Qual itätsmedien“ eher unterbel ichtete Veranstal-tung.1

Die weltweiten Permafrostböden wurden in denletzten Jahren vor al lem im Zusammenhang mitdem Klimawandel zum Gegenstand wissenschaftl i-chen Interesses. Aktuel le Schätzungen besagen,dass in der Permafrostregion ca. 1 .330-1 .580 GtKohlenstoff2 gespeichert sind – die Atmosphäre

enthält in Form von CO2 nur ca. 860 Gt Kohlen-stoff. Sol lte der im Permafrost gespeicherte Koh-lenstoff in Form von CO2 oder Methan in die At-mosphäre gelangen, dann versagen al le bisherigenKl imamodel le. Sicher ist nur, dass dann sogenann-te Kipp-Punkte – Zustände, bei denen das Erdkl imairreversibel geschädigt wird – überschritten wer-den. In der Chaostheorie heißen solche Kipppunk-te daher auch Point-of-no-Return – Punkte ohneUmkehr.Sicher ist aber jetzt schon, dass die polaren Zonenam stärksten vom Klimawandel betroffen sind:Während sich die globale Erdmitteltemperatur umüber 1 ° erhöht hat, sind es in der Arktis bereits3° . Durch abtauende Eis- und Schneeflächen

1 Die Beiträge im Schattenbl ick zu diesem Thema finden Sie unterhttp://www.schattenbl ick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

2 1 Gt = 1 Mil l iarde (1 .000.000.000) Tonnen

PermafrostWolfgang Borchardt

Um die global isierte Wachstums- und Mobil itätsra-serei zu zähmen und so schnel l wie mögl ich zu be-enden, müssen die westl ichen Verschwendungs-ökonomien juristisch, ökonomisch und pol itisch,aber auch moral isch von der Weltgemeinschaft un-ter Druck gesetzt und zu einem Kurswechsel ge-zwungen werden.Beim Nichtgel ingen dieser „Großen Transformati-on“ (WBGU) drohen der Erdsystemkol laps und dieweitgehende Auslöschung des Lebens und derMenschheit.

Literatur:WBGU (2006): Die Zukunft der Meere - zu warm, zu

hoch, zu sauer, SondergutachtenLee R.Kump (201 2): Was lehrt uns die letzte Erder-

wärmung, Spektrum Spezial 4/201 2; www.spek-trum.de/artikel/1 1 21 040

M. Sturm (201 3): H itzestress für die arktische Flora,Spektrum Spezial 4/201 2; www.spektrum.de/ar-tikel/1 05001 2

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„Vom Wetter zum Unwetter“, Umwelt aktuel l07.201 3; „Vom Unwetter zur Katastrophe“ Umweltaktuel l 06.201 4; „Das System Erde ist aus derBalance“ Umwelt aktuel l 1 2.201 4; „Letzte Aus-fahrt Paris“ Umwelt aktuel l 1 2.201 5; „Kippele-ment atmosphärische Zirkulation“, 1 0.201 6; „DasSystem Erde kippt“ Umwelt aktuel l 1 2.201 6

N. Klein (201 5): „Kapital ismus vs. Kl ima“Wuppertal Institut (1 997, 2008): „Zukunftsfähiges

Deutschland“

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22 Tarantel Nr. 75 Heft IV-201 6

verringert sich die Albedo3 der Landschaften, dieSonnenstrahlung heizt die Oberfläche dadurchstärker auf, die Temperatur in der Region steigtnoch schnel ler.…Neben den mögl ichen Emissionen von CO2 oderMethan bedeutet das Auftauen des Bodens auch,dass ganze Städte und Straßen im (mehrere Metertiefen!) Morast versinken können.Mit im Boden versin-kenden Häusern lebendie Menschen in Russ-land schon lange – zu-mindest bei Blockhäu-sern. Al lein durch derenLast taut darunter derBoden und die Häusersinken langsam ab.Nach einigen Jahrzehn-ten müssen sie zerlegtund wieder aufgebautwerden. Bei großenStädten mit Stein- oderBetonhäusern geht dasnicht mehr.

Doch neben CO2 oderMethan kann der Bodenbeim Auftauen nochganz andere Überra-schungen bereit halten:Sporen von Krankheits-erregern sind zum Teilsehr gut konserviert –wie lange noch? Zufäl l igerweise l ieferte uns derdiesjährige Sommer dafür eine Antwort: Im Jul i tratim Bezirk Jamal des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen eine Milzbrand-Epidemie auf, der einzwölfjähriger Junge und 2.300 Rentiere zum Opferfielen.Die Verwaltung wurde der Lage nicht Herr und hatdie Armee um Hilfe gebeten. Diese setzte ABC-Truppen des zentralrussischen Mil itärbezirks ein,die die verendeten Tiere einäscherten und den Bo-den desinfizierten. Fast 400 Menschen musstenevakuiert werden, mehr als hundert wurden imKrankenhaus untersucht; 28 von ihnen waren mitHautmilzbrand infiziert und mussten mit Antibioti-ka behandelt werden. Die überlebenden Tiere ha-ben sich über ein Gebiet von ca. 70 km² verstreut.Mehrere Famil ien sind ruiniert. Rentiere sind fürdie Nenzen überlebenswichtig; wer seine Rentiereverl iert, hat man nichts mehr.

Zurück zur Berichterstattung des Schattenbl icküber die Permafrostkonferenz. Da heißt es:„Eine der führenden Forschungsgruppen auf die-sem Gebiet (gemeint ist Permafrostmikrobiologie)sind die russischen Mikrobiologen des Labors fürBodenkryologie am Institut für physikal isch-chemi-sche und biologische Probleme in den Boden-wissenschaften, das in Pushchino in der Oblast

Moskau beheimatet ist (ISSP - Institute of SoilScience Pushchino der Russian Academy ofScience (RAS)) . Sie suchen schon seit langemnach extremophilen Bakterien, bakteriengroßenRiesenviren, Einzel lern, Hefen und Pilzen, die sieaus Tausende bis Mil l ionen Jahre altem Permaf-rostmaterial extrahieren. Da viele Probleme, diemit dem Auftauen des Permafrosts einhergehen,mikrobiologische Ursachen haben, sprach derSchattenbl ick zum Abschluß des Kongresses mitder Leiterin dieses Instituts, Dr. El izaveta Rivkina.Eher im nebenherein berichtete sie u.a. über nochvirulente Funde aus aufgetauten Bodenproben,welche die distopische Phantasie anregen undwelche die 70jährigen Anthraxkeime, die kurz da-nach die Medien erregten, wie die Spitze des Eis-bergs, pardon, des Permafrost-Problems erschei-nen lassen. Zumal die erwachenden Mikro-organismen neue Überlebensstrategien entwickelnund damit beginnen könnten, das unterirdischeÖkosystem zu dominieren.“4

3 Reflexionsvermögen4 http://www.schattenbl ick.de/infopool/umwelt/report/umri0249.html

Blockhaus und "Platte"

Klima

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23 Tarantel Nr. 75 Heft IV-201 6

Wenn ich mich auf meine kurze Leseprobe verlas-sen hätte, würde der Band sicher keine Chance ge-habt haben, auf meinen Leseplan zu gelangen.Ausschlaggebend war wohl die gute Empfehlungvon jemandem, die das Buch gelesen hatte. Dannhatte ich Gelegenheit, die Autorin selbst in einerLesung zu erleben, was meine Skepsis erhebl ichzurückgedrängt hat. Mir ging beim Lesen späterauch auf, das sich die Ausschnitte, die sie vortrug,eingebettet ins Ganze viel logischer und verständl i-cher fügen. Zuvor hatte ich schon gesehen, wie derBand in Rezensionen etc. gelobt und gestraft wur-de, sehr unterschiedl iche Bewertungen entfachte,z.B. auch im l iterarischen Quartett des ZDF.Dann war da natürl ich auch die Neugier, wie es je-mand schafft, urplötzl ich so interessant als Autorinzu werden. Da ich mich selbst intensiv mit ökologi-schen Themen beschäftige, bewährte sich die Lek-türe unter diesem Gesichtspunkt durchaus, habenmich die Bl ickwinkel der Autorin bereichert.Es werden viele Aspekte ökologischer Aktivität mitkritischem, manchmal auch leicht satirischemBlick bedacht. Viel leicht sind mir nicht al le Anspie-lungen aufgegangen, zumal die Vogelkunde nichtmein Gebiet ist. Mögl icherweise hätte engagiertesScharfstel len des ein oder anderen ökologischenSachverhalts nicht unbedingt geschadet. Über dieVogelwilderei weiß ich nicht so gut Bescheid, au-ßer das es sie gibt. So ist es viel leicht nützl ich,wenn man dem Leser und der Leserin intel l igenteBildungsbrücken bietet, so als ob sie gar nicht vor-handen wären. Diese Technik gibt es vereinzelt imText durchaus, etwa wenn der Sinn des heiml ichenDeichdurchbruchs an der Elbe nachgetragen wird.Wenn ich den Band in Gänze betrachte, muss icheinräumen, ich bl ieb immer an die Webstrukturdes Textes gefesselt. Wenn man im Strom ist, ziehteinen der Text meist. Mit überraschenden Wen-dungen oder neuen Aspekten muss man immerrechnen. Zweifel los ist die Handlung des Romanseine brüchige Sache, die sich aus dem virtuosenSchreibsti l entfaltet, man wird mit einer Vielzahlvon Anrissen versorgt, die man sich in gewisserWeise selbst ordnen muss. Aber wenn ich michnur an „Sommerstück“ von Christa Wolf erinnere,wird man da auf ähnl iche Muster treffen, auchwenn es gravierende Unterschiede in der Atmo-sphäre und Sprachtechnik zwischen beiden gibt.Zinks Schreibsti l ist extravagant, ungewöhnl ich,gewagt  - ich musste mich erst darauf einlassenund wil l hier nicht auf den vereinzelt verunglücktenSätzen ʼrumreiten. Warum nicht, es muss unter-

schiedl iche Stile geben. I rritiert hat mich der Er-fahrungsraum der Partnerschaft, die melanchol i-sche Leere. Das wird al les seinen Sinn haben, aberes geht eine ungeheure Kühle davon aus. Michdaran zu gewöhnen, fiel mir sehr schwer. Die et-was störrischen Erzählperspektiven überdeckenMögl ichkeiten, die einem die Figuren näherbringen, Empathie ins Spiel fl ießen lassen könnten.

Neue Kontakte bleiben häufig etwas starr. Ehe-bruch und erotische Passagen ergeben manchepikante Wendung. Viel leicht würde ich den Bandbei einem zweiten Mal anders lesen und wahrneh-men. Über das Sprachpotential verfügt der Romandafür.Nel l Zink, 1 964 in Kal ifornien geboren, wuchs imländl ichen Virginia auf. Sie studierte am Col lege ofWil l iam and Mary Philosophie und wurde später inMedienwissenschaft an der Universität Tübingenpromoviert. Sie lebt in Bad Belzig, südl ich von Ber-l in. „Der Mauerläufer“ ist ihr Debüt. In engl ischerSprache publ izierte sie bereits weitere Romane.Nel l Zink, Der Mauerläufer, Roman, 1 92 Seiten, Rowohlt,

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Bücherecke

Von Mauerläufern und UmweltaktivistenNotizen von Marko Ferst

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Bücherecke

Jørgen Randers, der bereits am Club of Rome-Be-richt “Die Grenzen des Wachstums“ von 1 972 alsKoautor mitgearbeitet hatte, und der Generalse-kretär des Club of Rome Graeme Maxton habeneine neuen Bericht an den Club of Rome gerichtetmit dem Titel : „Ein Prozent ist genug“. Ursprüng-l ich sol lte dieser Bericht den Titel bekommen „IhreKinder und wie Sie vermeiden können, sie umzu-bringen“. Dieser Titel hätte aber dem Inhalt nichtentsprochen, denn das gegenwärtige kapital is-tische System sol l nicht ausgehebelt und beseitigtwerden, was bei diesem Titel unbedingt notwendiggewesen wäre, sondern Ziel ist nur ein bessererKapital ismus mit gedämpfter Marktradikal ität undWegen zur Nachhaltigkeit. Es geht den Autoren umeine gerechte Umverteilung von Arbeit, Wohlstandund Einkommen im kapital istischen System.Im Zeitraum von 1 950 bis 1 980 war Wirtschafts-wachstum auch für die Arbeiter positiv. Danachentstanden keine neuen Arbeitsplätze mehr, aberes entstand mehr Ungleichheit. Heutzutage profi-tieren vom geringen Wirtschaftswachstum nichtmehr al le Bürger. Dabei verdoppelte sich das BIPder reichen Länder von 1 980 bis 201 0. Die Au-toren weisen nach, dass seit den 1 980er Jahren inden reichen Industrieländern durch Wirtschafts-wachstum genau das Gegenteil dessen eingetretenist, was die neol iberalen Wirtschaftslehrer verkün-den: die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, besondersunter Jugendl ichen; die Jahresarbeitszeit hat sichverlängert; der Real lohn ist gesunken; die Zahl derin Armut lebenden hat sich vergrößert; die Kluftzwischen Arm und Reich ist gewachsen. Nur dieReichen haben vom Wirtschaftswachstum profi-tiert. Das westl iche Wirtschafts- und Konsummo-del l ist kein Zukunftsmodel l mehr für die Welt. Ur-sache dieser Entwicklung ist die vol lständigeOkkupation des Staatsapparates durch Banken,Shareholder und Unternehmer mit Hilfe ihrer vor-zügl ichen Lobbyarbeit. Die Autoren kommen zumSchluss, dass das Wirtschaftswachstum vermin-dert werden muss, um die gegenwärtigen Proble-me zu lösen. Verwundern muss, dass bei dieserAnalyse für die reichen Industrieländer immernoch 1 % Wachstum vorgeschlagen wird, wo dochein Schrumpfen der Wirtschaft angebracht undnotwendig wäre. Jedes „Weiter so“ der kapital is-tischen Wirtschaft bringt die Menschheit voran aufdem Weg in den Abgrund. Seit 30 Jahren funktio-niert die marktradikale Doktrin nicht mehr. Aber zueiner Forderung nach Abschaffung des kapital is-tischen Systems können sich die Autoren nichtdurchringen, weil die Mehrheit der Bürger diesen

Weg nicht mitgehen würde, weil sie Angst vor ei-nem Zusammenbruch haben, denn ohne Wachs-tum würde das System des Kapital ismus zu-sammenbrechen.Die Autoren widmen ein Kapitel den gegenwärtigenund zukünftigen Problemen und Bedrohungen, diedie Menschheit lösen muss, um zu überleben: Be-völkerungswachstum, Ressourcenende und Roh-stoffverknappung, Kl imawandel , Umweltver-schmutzung, sinkende Artenvielfalt, zunehmendeZahl der Armen, zunehmende Arbeitslosigkeit, Öff-nung der Schere zwischen Arm und Reich sowieKriege, Terrorismus und Migration. Als Ursache al-ler dieser Probleme erkennen die Autoren das ge-genwärtige Wirtschaftssystem. Der Marktradika-l ismus sorgt nicht nur für die Umverteilung derGewinne hin zu den Reichen, sondern er führt auchzu einem egoistischen, gierigen und verschwende-rischen Verhalten der Menschen. Die Belastbarkeitdes Planeten wird überschritten, was von denRegierungen und den Unternehmern in Kauf ge-nommen wird. Das Tempo auf dem Weg zum Kipp-punkt wird immer schnel ler.

Ein Prozent ist genugRezension von Götz Brandt

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Bücherecke

Die Autoren fassen die Herausforderungen der rei-chen Welt zusammen: Automatisierung und im Ge-folge mehr Arbeitslosigkeit, zunehmende Kluft zwi-schen Arm und Reich, alternde Bevölkerung,erschwerter Zugang zu Rohstoffen, nur noch ge-ringe Produktivitätssteigerungen, Sinken des Wohl-stands. Gegenwärtig wird nichts unternommen, umdiesen Herausforderungen zu begegnen.Weil weder die Herrschenden noch die Beherrsch-ten an den gegenwärtigen Wirtschaftsverhältnissenetwas verändern wol len aus Unkenntnis oder Ver-antwortungslosigkeit, haben die Autoren 1 3 Vor-schläge gemacht, die zu einer Milderung der Miss-stände führen können. Das sind Vorschläge, die imSystem des freien Marktes umgesetzt werden kön-nen, um Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Kl ima-wandel zu mildern: Verkürzung der Jahresarbeits-zeit und Erhöhung der Urlaubstage, um dieArbeitslosigkeit abzuschaffen. Erhöhung des Ren-teneintrittsalters, um die Staatsausgaben für dieRenten zu senken. Unbezahlte häusl iche Arbeit inbezahlte Arbeit verwandeln. Erhöhung des Arbeits-losengeldes. Erhöhung der Steuern für die Unter-nehmen und Reichen, um die Gewinne umzuvertei-len. Verstärkter Einsatz grüner Konjunkturpakete,um dem Klimawandel zu begegnen. Besteuerungfossiler Brennstoffe und Verteilung der Erlöse aufal le Bürger. Verlagerung von der Einkommensbe-steuerung auf die Besteuerung von Emissionen unddes Rohstoffverbrauchs, um den ökologischen Fuß-abdruck zu verringern. Erhöhung der Erbschafts-steuern. Förderung der Gewerkschaften, um dieEinkommen zu erhöhen, die Ausbeutung zu ver-ringern und den Druck auf die Pol itiker zu erhöhen.

Existenzsicherndes Grundeinkommen:Die Autoren meinen, dass diese Vorschläge richtigsind, „auch wenn das nach extrem linker Gesin-nung kl ingen mag“. Richtig sind sie deshalb, weilsie einen Übergang von einem „todgeweihten zu ei-nem nachhaltigen Wirtschaftssystem“ ermögl icht.Sonst werden wir in 20 Jahren einen Kol laps desWirtschaftssystems erleben und „die reichen Men-schen verl ieren das, was ihnen l ieb und teuer ist“.Das Mittel in der „sozial-pol itischen und ökologi-schen Schlacht des 21 . Jahrhunderts“ kann nur dieDemokratie sein. Zurzeit ist „die Demokratie einWerkzeug der Reichen zur Sicherung ihres Wohl-standes und ihrer Macht“. „Der freie Markt und dieDemokratie sind Todfeinde“. Die Vorschläge derAutoren können eine Grundlage für Koal itionsver-handlungen der LINKEN mit der SPD und denGrünen auf Bundesebene sein, denn viele der Vor-schläger sind bekannt, häufig vor Wahlen verspro-chen und dann nicht gehalten, von NGOs schonseit langem gefordert und entsprechen als Mini-malforderung dem linken Parteiprogramm. Voraus-setzung für die Umsetzung der Vorschläge ist abereine globale Ordnungspol itik, damit nicht die Kapi-tal isten eines Landes Nachteile gegenüber den an-deren Ländern haben. Mit dieser Einschränkung istdie vol lständige Real isierung der Vorschläge nur ineinem Land fragl ich, meinen die Autoren.

Jørgen Randers, Graeme Maxton: Ein Prozent ist genug. Mitwenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeitund Kl imawandel bekämpfen. Oekom- Verlag. 201 6.ISBN 978-3-86581 -81 0-2, 22,95 €

„Energiewende.Aber fair!“Wie sich die Energiezukunft sozialtragfähig gestalten lässtRezension von Hansjürgen Schulze„Ob eine kl imaverträgl iche Gesel lschaft entstehenkann, entscheidet sich vor al lem in diesen dreiTransformationsfeldern: Trendumkehr in den Ener-giesystemen, kl imaverträgl iche Gestaltung der sichbeschleunigenden Urbanisierung, kl imaverträgl i-che Landnutzung“ (WBGU 201 1 , S. 97). Meinungs-umfragen zufolge sind die Energiewendebefürwor-ter in der absoluten Mehrheit. Dennoch:„al lerorten scheinen wütende Bürger bestrebt, denBau von Speichern, Windkraftwerken und Trassenin ihren persönl ichen Lebensbereichen zu behin-dern“ (S. 9) . Warum? Vom Prekariat bis in die Mit-telschichten sind soziale Schieflagen und tiefsitzende Ängste vor sozialem Abstieg verbreitet.

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26 Tarantel Nr. 75 Heft IV-201 6

Bücherecke

Als energiearm gilt jeder, dessen Gesamtaufwen-dungen für Strom, Heizung und Warmwasser mehrals zehn Prozent des Haushaltseinkommens betra-gen. Seit der Jahrhundertwende verdoppelten sichdie Preise für Strom, Erdöl und Erdgas. Sie wuch-sen deutl ich stärker als al le Transferzahlungen unddie meisten Löhne und Altersrenten. Analoges giltfür das Gros al ler Nahrungsmittel und speziel l fürdie Mieten in den Bal lungszentren. Vor die Ent-scheidung gestel lt, entweder zu hungern oder beiEnergie zu sparen, verzichten hunderttausendeEnergiearme auf angemessenes Heizen ihrer Woh-nung. Sie haben zudem Probleme, nach Eingangihrer Stromrechnung am Jahresende die oft hohenNachzahlungen zu stemmen. Daher führen mehrals eine halbe Mil l ion Menschen aufgrund vonStromabschaltungen ein zeitweil iges Höhlenda-sein.Dieser Herausforderung widmeten sich 201 3 derÖkowissenschaftler vom Wuppertal-Institut undGRÜNE Stadtrat von Osnabrück Dr. Michael Kopatzund seine MitstreiterInnen: „Energiewende. Aberfair! Wie sich die Energiezukunft sozial tragfähiggestalten lässt“. Reich bebildert und grafisch auf-gelockert enthält das Buch eine Fül le praktikablerVorschläge, wie die Energiearmut innerhalb desbestehenden Gesel lschaftssystems zu l indern sei.Drei Aspekte seien in dieser Rezension hervorge-hoben:

1 . Stromspar-Check für einkommensschwacheHaushalteIm Rahmen des gleichnamigen Projekts von Cari-tas und Bundesverband der Energie- und Kl ima-schutzagenturen wurden in hundert Städten, Ge-meinden und Landkreisen mit Unterstützung desBundesumweltministeriums bis zu 650 Langzeitar-beitslose (Stand 201 3) zu „Stromsparhelfern“ aus-gebildet. Sie arbeiten meist auf 1 -Euro-Basis.Haushalte, die von Transferleistungen leben (Hartz-IV, Sozialhi l fe, Wohngeld) , haben vor Ort Anspruchauf kostenlosen Stromverbrauchs-Check. Mitunterwerden Energiesparlampen, schaltbare Stecker-leisten, Strahlregler, Sparduschköpfe oder Zeit-schaltuhren im Gesamtwert von durchschnittl ich66 Euro für den „Kunden“ unentgeltl ich sofort in-stal l iert. In Freiburg können dank eines kommuna-len Zuschusses sogar ineffiziente Kühlschränkeausgetauscht werden. Auf diese Weise lässt sichder Stromverbrauch zwischen zehn und dreißigProzent senken. Eine Weiterqual ifizierung zumhauptberufl ichen „Serviceberater für Energie- undWasserspartechnik“ mit Festeinstel lung ist mög-l ich – jeder Fünfte konnte bisher in den ersten Ar-beitsmarkt wechseln. Inzwischen haben sichweitere Verbände dem Projekt angeschlossen, u.a.das Diakonische Werk und die Arbeiterwohlfahrt.

Geplant sind die Durchführung von 1 50 000Stromspar-Checks und Zuschüsse für den Aus-tausch von 1 6 000 ineffizienten Kühlschränken –al les ist freiwil l ig und bei weitem nicht ausrei-chend.Hinzu kommen lokale Projekte: das EnergieSpar-Projekt Nürnberg, welches Kopatz zufolge mit demSozialamt vorbildl ich kooperiert; der ClevererKiez-Verein Berl in sowie der EnergieSparService Essen,wobei - hier setzt meine Kritik an - dessen Koope-ration mit RWE auf eine längst existierende Grau-zone hinweist: N icht immer haben die beteil igtenUnternehmen einen guten Ruf. Das lässt mancheUnterstützungsbedürftige zögern. Bis Länder undKommunen per Gesetz zur umfassenden Durch-führung von Energiespar-Checks auf breiter Frontverpfl ichtet werden, ist es noch ein weiter Weg.

2. Vorabkasse bei der StromabrechnungViele Finanzschwache nutzen Prepaid-Tarife fürihre Mobiltelefone. Kopatz zufolge sol len armeHaushalte nach Zahlungsproblemen verpfl ichtetwerden, dieses Model l auch bei ihren Stromab-rechnungen anzuwenden. Dies sei in anderen Län-dern längst die Norm: Speziel le Zähler zum Preisvon mehreren Dutzend Euro, entweder von denBedürftigen oder von der hilfreichen Kommuneaufzubringen, seien in der Wohnung zu instal l ieren.Die „intel l igenten Stromzähler der Zukunft“ könn-ten dies „nebenbei“ bewirken: Noch bevor dieStromrechnung ins Minus rutscht, sol l der Zählerdies anzeigen. Sol lte der „Kunde“ dann nicht l iqui-de sein, könne er entscheiden, ob der Zähler biszur nächsten Kontoauffül lung auf Sparflammeläuft, sodass nur die al lerwichtigsten Abläufefunktionieren, z.B. nur eine Lichtquel le, oder ersich von Freunden aushelfen lässt, damit derStrom reibungslos wie zuvor fl ießt. Am Jahresendewürden keine unüberwindbaren Rückstände mehrauflaufen und Sperrungen vermieden.Im Gegensatz dazu fordert DIE LINKE (auch rück-wirkend) Steigerungsraten von Löhnen, Renten undSozialtransfers, die zumindest die al lgemeine Kos-tenentwicklung ausgleichen. Hierzu Kopatz: „Ausrein sozialpol itischer Sicht l ießen sich die hohenEnergiepreise über Sozialtransfers kompensieren.Doch so flösse viel Geld in ein Fass mit löchrigemBoden, wenn die Energiepreise weiter ansteigen“(S. 1 1 ) . Ein Radio-Ausschnitt unterstreicht (SWR2vom 1 9.9.201 6): „Sprecher: ‚Für sie sind Strom-sperren ein Rel ikt der Vergangenheit. WeshalbCaren Lay mit der Linkspartei - als einzigepol itische Kraft in Deutschland – dafür kämpft,Strom- und Gassperren gesetzl ich zu verbieten. (…)Für Michael Kopatz, Autor des Buchs ‚Energiewen-de. Aber Fair! ‘, ist ein Verbot von Stromsperrendennoch keine Lösung.“

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O-Ton Michael Kopatz: „Ein Supermarkt verkauft jaauch kein Brot, wenn der Kunde nicht bezahlt.Muss der Kunde zur Tafel gehen oder irgendwasanderes tun. Warum sol l ein Energieversorger dasmachen?“ Kopatz ignoriert die für DIE LINKE unab-weisbare Forderung, die elementaren Lebensbe-dürfnisse jeder und jedes Einzelnen vor Ausbeu-tung zu schützen.

3. Sozialverträgliche Gebäudesanierung dank„Bielefelder Klimabonus“Private Haushalte verbrauchen mehr als ein Viertelder gesamten Energie in Deutschland. Davon wie-derum werden 85 Prozent für Heizung und Warm-wasserbereitung benötigt. Bei weitem überwiegtdie Verbrennung von Erdöl und Erdgas. Der Anteilerneuerbarer Energien l iegt nur bei knapp 1 3 Pro-zent. Ältere Gebäude verbrauchen dreimal so vielHeizenergie wie Neubauten: Hier ist die Herausfor-derung für eine sozialverträgl iche Energiewendegigantisch.Zunächst ein Beispiel wie aus dem Bilderbuch: „InKöln sanierte eine Wohnungsbaugenossenschaftdiese Seniorenwohnanlage. Die Kaltmiete stieg an-schl ießend von 4,30 €/qm auf 5,45 €/qm. DerEnergiebedarf konnte um gut 85 Prozent gesenktwerden, sodass die Warmmiete anschl ießendgünstiger war als vorher“ (S. 1 55). Die Real itätsieht zumeist anders aus: Rund 1 00 000 MieterIn-nen konnten sich 201 1 nach energetischer Moder-nisierung ihre Wohnung nicht mehr leisten. Knappein Viertel der über 21 Mil l ionen Mieterhaushaltesind ganz oder teilweise auf Sozial leistungen an-gewiesen. Laut Baugesetzbuch darf die Kaltmieteum maximal elf Prozent der Modernisierungskos-ten erhöht werden. Dadurch wird in vielen Fäl lendie laut SGB zulässige Höchstgrenze überschrit-ten. Mieter, Vermieter und Kommunen stehen vorkaum lösbaren Problemen: Mieter müssen durchdie wegbrechenden Transferzahlungen ausziehen.Vermietern droht Wohnungsleerstand. Häufige Fol-ge: energetische Modernisierungen bleiben ausund die Wohnwerte der betroffenen Kommunensinken.

2006 bis 201 0 war die Blütezeit des BielefelderKl imabonus: Die ostwestfäl ische Großstadt erlaubtnoch immer höhere Mieten, wenn die Gebäudeenergieeffizienter werden, und gewährt trotz derimmer enger werdenden Finanzspielräume Zu-schüsse für Nettokaltmieten, wenn durch Energie-ausweise die Unterschreitung eines festgelegtenEnergiekennwerts belegt wird. Mittelfristig be-trachtet mindert eine verbesserte Energieeffizienzdie Warmmiete, sodass sich der Sanierungsauf-wand für Vermieter und Mieter lohnt. Auch unterkurzfristigem Aspekt rechnet es sich dank einerFörderung durch die KfW-Bank. Al lerdings verän-derte sich dies nach 201 0 a) durch den Anstiegder Baukosten, b) das Absenken der Fördersätzeund c) den immer klammeren Kommunalhaushalt.Es „zeigte sich, dass sich eine energetische Mo-dernisierung bei strengen Maßstäben nur dannwirtschaftl ich darstel len lässt, wenn (…) ver-gleichsweise hohe Mietsteigerungen real isiertwerden können“ (S. 1 58 f) . Den Druck neol iberalerKräfte ignorierend möchte Kopatz erreichen, dasseinkommensschwache Mieter nicht mehr „aus ih-rem Heim saniert werden. Das ist unter anderemmögl ich, wenn bei Mehrfamil ienhäusern ein Drittelder Sanierungskosten durch die staatl iche Förde-rung getragen wird. Hilfreich wären auch Ober-grenzen für Mietsteigerungen sowie eine Stärkunggenossenschaftl icher Wohnformen und des sozia-len Wohnungsbaus“ (S. 1 3). Sozialtarife lehnt erab: „Sie können die sozialen Folgen steigenderEnergiekosten nicht mildern, ohne unerwünschteNebenwirkungen auszulösen. Ein hoher administ-rativer Aufwand, mangelnde Zielgenauigkeit,rechtl iche Hürden, wettbewerbl iche Verzerrungenund kl imapol itische Überlegungen sprechen gegeneine bundesweit verpfl ichtende Einführung solcherTarife“ (daselbst) . Das fäl l t m.E. noch hinter die201 1 publ izierten Vorstel lungen des WBGU zur„Großen Transformation zu einer kl imaverträgl i-chen Gesel lschaft“ zurück.Energiewende. Aber fair! - Wie sich die Energiezukunft

sozial tragfähig gestalten lässt von Michael Kopatz u.a. ;296 Seiten, oekom verlag München, 201 3, ISBN-1 3:978-3-86581 -428-9

Professor Cal lum Roberts, ein Meeresbiologe derUmweltabteilung der University of York, hat schon201 2 ein umfassendes Werk unter dem Originalti-tel Ocean of Life. How our Seas are Changing her-ausgegeben. Selbst sagt er darüber: „ Mein erstesBuch …beschäftigte sich mit tausend Jahren ausder Geschichte des Meeres, und seine Bühne war

die ganze Welt … und als ich fertig war, hatte ichvor, mich an eine weniger umfangreiche Arbeit zumachen. Aber mein Agent und … mein spätererLektor … überredeten mich, etwas noch Größeresin Angriff zu nehmen: die Geschichte der Ozeanevon den Anfängen der Welt bis zu ihrer mögl ichenZukunft in hundert Jahren.“

Der Mensch und das MeerRezension von Wolfgang Borchardt

Bücherecke

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28 Tarantel Nr. 75 Heft IV-201 6

Die Deutsche Ausgabe umfasst 588 Seiten und –soweit ich das beurteilen kann – al le relevantenWechselwirkungen von Mensch und Meer. In zwei-undzwanzig Kapiteln betrachtet er die Entwicklungder Ozeane seit ihrer Entstehung und das Meer alseine der frühesten menschl ichen Nahrungsquel len.Doch schon im dritten Kapitel Weniger Fische imMeer bringt er eine für mich erschreckende Grafik,in der er zeigt, dass die angelandete Menge Fischje Einheit Fischereikapazität von 1 889 bis 2007auf weniger als zehn Prozent des Ausgangswertes

gefal len ist. Auch die Einführung der gemeinsamenEU-Fischereipol itik und Abkommen mit Entwick-lungsländer zur Nutzung ihrer Fischbestände konn-te die Situation nicht bessern, sondern nur stabil i-sieren. Hier wird deutl ich: Roberts ist nicht inerster Linie Naturschützer; er sieht das Meer auchals Gegenstand wirtschaftl icher Tätigkeit, doch erist Wissenschaftler – und er ist frei von wirtschaft-l ichen Interessen der Fischereilobby.Nüchtern und sachl ich behandelt er Wind undStrömungen, Meeresspiegelanstieg, Versauerungund die Entstehung toter Zonen der Ozeane sowieden Zusammenhang mit menschl ichen Einwirkun-gen durch Abwässer, Chemikal ien, Dünger und

Kunststoffe, die durch Flüsse in die Meere gelan-gen. Roberts zeigt, dass al l das Stressfaktorensind, die die Meerestiere al ler Stufen in der Nah-rungskette beeinträchtigen und die natürl iche Re-produktion zusätzl ich zur Überfischung mindern.Das elfte und zwölfte Kapitel behandeln die Aus-wirkungen der Schifffahrt: die Verlärmung derOzeane, die vor al lem die Kommunikation dergroßen Säuger – bis hin zur Partnersuche undFortpflanzung – behindert und den Transport vonArten in Gebiete, in denen sie vorher nicht vorka-men. Verschiedene Lebensräume der Ozeane wer-den miteinander verbunden, Arten sehen sichplötzl ich mit Feinden konfrontiert, die es für siebisher nicht gab; sensible bleiben auf der Strecke.Das ist gewissermaßen die Global isierung unterder Oberfläche. Doch wie sol l mit Eindringl ingenumgegangen werden? Vernichtung mit der „che-mischen Keule“? Nur in der Anfangsphase ihrerVerbreitung können Eindringl inge erfolgreich be-kämpft oder wenigstens unter Kontrol le gehaltenwerden, doch einige Naturschützer vertraten bisvor Kurzem eine kompromisslose Haltung undwol lten auch vor bis zu 500 Jahren eingedrungeneArten ausrotten. Roberts fragt mit Recht: „Wo sol lman die Grenzte ziehen?“ Er sieht die Hauptgefahrin der Reduktion der Artenvielfalt und plädiert fürvorbeugende Maßnahmen: „Arten nicht mehr au-ßerhalb ihres natürl ichen Verbreitungsgebietes zuzüchten“ (Aquakultur) , „unerwünschte bl inde Pas-sagiere“ im Bal lastwasser der Schiffe mitMotorenabwärme oder UV-Licht abtöten usw. AmBeispiel des Verbotes giftiger Anstriche derSchiffshaut zeigt er die Notwendigkeit internationalabgestimmten Handelns.Ein ganzes Kapitel beschäftigt sich mit der Aus-breitung von Krankheiten in den Ozeanen. Epide-mien breiten sich durch Meeresströmungen vielschnel ler aus, als an Land und durch Umweltgiftewie PCB oder DDT und andere Stressfaktoren sinddie Tiere, insbesondere langlebige, größere Fischeund Säuger stärker geschwächt und bedroht. Doches geht ihm nicht um einzelne Arten. Wie ein roterFaden ziehen sich Begriffe wie Ökosystem, Kom-plexität, Lebensraum, Nahrungsnetz (nicht nur-kette!) durch das ganze Buch, denn die Vielfaltund Komplexität der unterseeischen Flora undFauna ist eine wesentl iche Voraussetzung fürozeanische Produktivität – im biologischen, aberauch im ökonomischen Sinn – und Stabil ität ge-genüber wechselnden Umwelteinflüssen. Das be-weist Roberts mit einer erdrückenden Vielfalt vonBeispielen über die Dezimierung und das Sterbeneinzelner Arten und die Verarmung bis hin zum Zu-sammenbruch ganzer Ökosysteme in einzelnenRegionen der verschiedensten Weltmeere. Daherplädiert er für die Einrichtung von Schutzgebieten

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zum Erhalt auch der Arten, die für uns (noch?!) kei-ne wirtschaftl iche Bedeutung haben – auch wenndie meisten Menschen die Notwendigkeit nichteinmal ahnen: „Wenn al les den Bach runter geht,so sagen sie, warum habe ich dann den Eindruck,dass mein Leben immer besser wird? . . . (»Umwelt-schützer-Paradox«)“. Verschiedene Antworten wer-den diskutiert, bis er zum Schluss kommt: „Unheil -vol ler ist die letzte Erklärungsmögl ichkeit: Wirhaben den wirkl ichen Preis für unser Handeln nochnicht zu spüren bekommen, aber die Rechnung istbereits unterwegs.“Die Bewirtschaftung der Meere durch Fischereiund Aquakultur stel l t eine Notwendigkeit dar. Al ler-dings gibt es Fangmethoden, die durch übermäßi-gen Beifang – der vernichtet wird oder bereits imWasser verendet – oder durch Grundschleppnetzeund Muschelbagger nicht nur die gewünschten Ar-ten fangen, sondern al les Leben am Meeresbodenzerstören. Diese müssen verboten werden. AuchAquakultur ist differenziert zu betrachten. Wäh-rend sich Muscheln und Austern selbst durch Fil-tration des Wassers ernähren, werden insbesonde-re Raubfische, z.B. Lachse mit großen Mengenspeziel l zu diesem Zweck gefangener Fische gefüt-tert. Das Ergebnis: „Manchmal braucht man meh-rere Kilogramm wild gefangene Fische, um nur einKilo Zuchtfisch zu erzeugen.“ (Anmerkung des Re-zensenten: Da die „Futterfische“ auch direkt dermenschl ichen Ernährung dienen könnten, hat die-se Situation gewisse Paral lelen zum Essen Fleisch.Auch für die „Fleischproduktion“ wird vor al lem inder Massentierhaltung viel Futter gebraucht, dasder direkten menschl ichen Ernährung entzogenwird.) Ein weiterer Aspekt der Fischfarmen ist diehohe Besatzdichte und der dadurch erforderl icheEinsatz von Medikamenten – die auch in das offe-ne Meer gelangen. Dennoch werden die Beständein den Fischfarmen von agressiveren Krankheitenheimgesucht, als die Fische der gleichen Art infreier Wildbahn. Die Erreger passen sich an undentwickeln Resistenzen (Anm.: wie Krankenhaus-keime) und können sich in den Ozeanen ausbrei-ten. Die Lösung besteht in der Trennung desWassers in den Farmen vom offenen Meer.Am Klimawandel kommt auch Roberts nicht vorbei.Er untersucht verschiedene Mögl ichkeiten Energie-gewinnung aus dem Meer und der Erdabkühlung,darunter auch geotechnische Verfahren, und ver-weist dann auf die risikofreie Alternative: „Gesun-de, natürl iche Ökosysteme sind Kohlenstoffabflüs-se, die der Atmosphäre das Kohlendioxidentziehen und in Sedimenten, Torf und Carbonat-gestein binden.“ Das wird mit Zahlen belegt undfestgestel lt: „Wenn wir den Verlust heute aufhaltenwürden, hätte dies wahrscheinl ich die gleiche Wir-kung wie die Emissionsminderung um zehn Pro-

zent, die notwendig wäre, um die Erwärmung beizwei Grad oder weniger zu halten.“Drei Kapitel beschäftigen sich mit: Ein »New Deal«für die Meere, Das Leben sanieren und Die Riesender Meere retten. Die Aussagen münden in dasSchlusskapitel Vorbereitung auf das Schlimmste.Gründe für eine „große Neuorganisation des Le-bens auf unserem Planeten“ sind das Bevölke-rungswachstum, die „globale Erwärmung“ (Anm.:die besser Erderhitzung genannt werden sol lte) ,der Meeresspiegelanstieg und Vernichtung frucht-barer Landstriche, die Versauerung der Meere so-wie schwindende Mögl ichkeiten, die Bedürfnissezu erfül len mit der Konsequenz von Kriegen. DerErhalt des Lebens in den Meeren kann uns helfen,die Schäden zu minimieren. Dazu sind vernetzteSchutzgebiete an Stel len nötig, die für die Repro-duktion besonders wichtig sind; insgesamt sol ltendiese Gebiete mögl ichst ca. 30% (mindestens 1 0%)der gesamten Fläche umfassen.

Ein Epilog Meere der Zukunft, Zukunft der Meereund zwei Anhänge Lebensmittel aus dem Meer mitgutem Gewissen genießen und Organisationen, diesich für den Schutz des Lebens in den Ozeanen ein-setzen, 58 Fotos, 57 Seiten Anmerkungen undzwölf Seiten Register runden den Band ab.Abschl ießend möchte ich drei Dinge hervorheben:Die Breite der Themen, von denen Roberts selbstsagt: „von denen ich vorher nicht einmal wusste,dass es sie gibt“ und die Gründl ichkeit ihrer Be-handlung – die von einem Wissenschaftler auch zuerwarten war. Vor al lem aber beeindruckt diesachl iche, dabei nicht emotionslose Sprache. Esgel ingt ihm, die Probleme einfach, verständl ich undeindringl ich zu beschreiben. Roberts verwendetkaum Hervorhebungen oder Ausrufezeichen, umdie Wichtigkeit ihrer Lösung deutl ich zu machen.

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ImpressumHerausgeber: Sprecherrat der Ökologischen Plattform ISSN 21 95-027XRedaktion: [email protected] (ausschl ießl ich für Veröffentl ichungen)Kontakt: Ökologische Plattform bei der Partei DIE LINKE ; Kleine Alexanderstr. 28, 1 01 78 Berl inE-Mail: oekoplattform@die-l inke.de Internet: www.oekologische-plattform.de [1 ]Die ÖPF ist ein anerkannter Zusammenschluss DER LINKEN und arbeitet als bundesweite Arbeitsgemein-schaft.Redaktionsschluss: 1 5.1 1 .201 6Beiträge, Leserbriefe, Buchempfehlungen bitte mögl ichst in maschinenlesbarer Form per E-Mail einsen-den. Ein Anspruch auf Rückgabe unverlangt eingesandter Beiträge in Papierform wird ausgeschlossen.Über eine Veröffentl ichung entscheidet der Sprecher* innenrat. Veröffentl ichte Beiträge, auch einzelnerAutoren der Ökologischen Plattform, spiegeln nicht in jedem Fal l die Auffassung der Ökologischen Platt-form als Ganzes wider. Beiträge ohne weitere Quel lenangabe stammen von den Autoren, Beiträge ohneAutorenangaben in der Rubrik IN EIGENER SACHE von der Redaktion.Geplanter Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe:1 5.2.201 7Elektronische Fassungen dieser und älterer Ausgaben sind unter www.oekologische-plattform.de bzw.www.die-l inke.de verfügbar.Bestellung/Adressänderung: [email protected] [2]Spenden für die „Tarantel“ und ÖPF: Partei DIE LINKE; IBAN: DE38 1 009 0000 5000 6000 00;BIC: BEVODEBB; Verwendungszweck: Ökologische Plattform – SpendeAutorenManfred Wolf, Marko Ferst, Wolfgang Borchardt und Götz Brandt sind Mitgl ieder der Ökologischen Platt-form bzw. ihres Sprecher* innenrates.Michael Succow (75) war Professor für Geobotanik und Landschaftsökologie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald und engagiert sich mit seiner Stiftung weltweit für Natur und Mensch. Für dieEinrichtung zahlreicher Naturschutzgebiete wurde er 1 997 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeich-net. www.succow-stiftung.deJürgen Tal l ig ist Mitgl ied der ökologischen Plattform sowie Autor und Referent in der Agentur für NeuesDenken.Hajü Schulze ist Mitgl ied der ökologischen Plattform sowie Mitbegründer des Sozialökologischen Bünd-nisses Plön.Bildnachweis"Klimawandel gibt es nicht" , Karikatur von Gerhard MesterNyéleńi-Forum für Ernährungssouveränität; http://nyelenieurope.net/news/european-states-must-negotiate-actively-and-constructively-towards-bindingtreaty [3]„San mit Perlenkette“; Ian Beatty from Amherst, MA, USA – IDBeatty_00221 9 (CC BY-SA 2.0)„Michael Succow 1 991 während einer Exkursion in einem Moor in Brandenburg“, Christian Fischer(CC BY-SA 3.0)arktischer Eisschild , Minimalausdehnung am 1 0.9.201 6; NASA„Erde unter Druck“ Montage unter Verwendung von „A Money Bag“; fl ickr-Mitgl ied 401 (K) 201 2 (CC BY-SA 2.0) und "blue marble"; NASA/Apol lo 1 7 crew; taken by either Harrison Schmitt or Ron Evans„Blockhaus und ‚Platte‘“; Wolfgang BorchardtProfessor Callum Roberts bei einem Vortrag der Heinrich-Böl l-Stiftung (CC BY-SA 2.0)

Gerade dadurch ist sein Plädoyer besonders ein-dringl ich.„Manche der Geschichten, die ich in diesem Bucherzählt habe, sind entmutigend, und noch düstererwird das Bild unserer Zukunft, wenn wir unserenKurs unbekümmert beibehalten. … Mittlerweile ha-ben viele Menschen erkannt, welchen Einfluss un-ser Handeln auf und unter dem Meer hat. Derzeitlaufen unzählige Projekte, mit denen man die

Schäden beseitigen will. … Das ist der Grund, wes-halb ich optimistisch bleibe. Wir können etwas än-dern. …

Die Alternative wäre unser Untergang.“

Der Mensch und das Meer, Warum der größte Lebensraumder Erde in Gefahr ist; DVA, 201 3, 588 S., 58 Abbildun-gen, ISBN-1 3: 9783421 044969

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Neuaufnahmen, Veränderungen, Ergänzungen bei Adressen/ Abonnement der Tarantel bitte ü[email protected] oder http://www.oekologische-plattform.de

BundesebeneKleine Alexanderstr.28, 1 01 78 Berl in, www.oekologische-plattform.de oder oekoplattform@die-l inke.deManfred Wolf, 030 241 1 1 27, manfredwolfberl [email protected] Beck, [email protected]ötz Brandt, Prof.Goetz.Brandt@t-onl ine.deMailverteiler (Newsletter) : Anmeldung unterwww.oekologische-plattform.deBAG Umwelt-Energie-VerkehrThomas Scherzberg, Walter-Oertel-Str. 32,091 1 2 , Chemnitz, ts_091 1 [email protected]

BundestagEva Bul l ing-Schröter (Sprecherin für Energie undKl imaschutz) , Tel . 030_22772485, Fax 030_22776485 ,eva.bul l [email protected] Lenkert (umweltpol itischer Sprecher) , Tel .030_22772636, Fax 030_227-76638,ralph. [email protected]

LandesebeneBaden-WürtembergWolfgang Kämmerer, Strohberg 36, 701 80 Stuttgart,[email protected] Umwelt, Bahnhofstraße 5, 85051 Ingolstadt, Tel . 08413796284, eva.bul l [email protected] Selke, marianne-selke@t-onl ine.deBerl inMarion Platta (MdA, Umwelt) , N iederkirchnerstr. 5, 1 01 1 1Berl in, Tel . 030 23252550, platta@linksfraktion-berl in.de

BrandenburgNorbert Wilke Großbeerenstr. 7 1 4482 Potsdam ,01 520_2875749 norbert.wilke@diel inke-brandenburg.de(LAG Umwelt)

BremenHelmut Kersting, Helmut Kersting@die-l inke-bremen.de

HamburgGilbert Siegler, Braamwisch 41 , 221 75 Hamburg,[email protected] (AG Umwelt, Energie, Verkehr)HessenHajo Zel ler, DIE LINKE.KV Marburg-Biedenkopf ,Bahnhofstr. 6, 35037 Marburg , hajo.zel ler@die-l inke-marburg.de , Tel . 06421 1 63873Marjana Schott (MdL, Umwelt- und Landwirtschaftspol itik) ,Schlossplatz 1 -3, 651 83 Wiesbaden,[email protected]

Mecklenburg-VorpommernDr. Mignon Schwenke (MdL, Sprecherin für Energie-,Verkehr- und Umweltpol itik) , Lennestr. 1 , 1 9053 Schwerin,m.schwenke@diel inke. landtag-mv.de Tel .09385 5252531Ute Spriewald (LAG Nachhaltige Entwicklung)info@die-l inke-mv.de

NiedersachsenKarsten Färber (LAG ÖPF), Karsten.faerber@kabelmail .deHeinz Preuß (Koordinierungsrat ÖPF), Sedanstr.6, 31 787Hameln, Tel . 051 51 _409481 , [email protected]

Nordrhein-WestfalenRalf Henrichs, Hohenzol lernring 99, 481 45 Münster,Tel ._01 51 _1 8479447, [email protected]

Rheinland-PfalzMarion Morassi, Walporzheimer Str. 5, 53474 Ahrweiler,marion-morassi@t-onl ine.deWolfgang Huste, [email protected] (LAG ÖPF RP)

SaarlandDagmar Ensch-Engel (MdL, umwelt-, energie-, sport-,verkehr- und wohnungsbaupol itische Sprecherin) Franz-Josef-Röder-Straße 7, 661 1 9 Saarbrücken,dagmar.ensch-engel@diel inke-saar.de

SachsenSabine Kunze, Jahnstr. 1 , 02929 Rothenburg, Tel . 03589135290, an-sa-kunze@t-onl ine.deMichael-Alexander Lauter, Schrammsteinstr. 9, 04207Leipzig, Tel . 0341 9424882, micha. [email protected]; (ADELE– ÖPF SA)Marco Böhme, MdL,[email protected]. Jana Pinka (MdL, Umwelt- und Technologiepol itik) ,Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 , 01 067 Dresden,[email protected]

Sachsen-AnhaltFrigga Schlüter-Gerboth, Ernst-Haeckel-Str. 5, 061 22 Hal le,Tel . 0345 2941 8-63, (AG Umwelt)Angel ika Hunger (MdL, Verbraucherschutz, Energiepol itik) ,Domplatz 6-9, 391 04 Magdeburg,Angel ika.hunger@diel inke. lt.sachsen-anhalt.deAndre Lüderitz (MdL, Umweltpol itik) , Domplatz 6-9, 391 04Magdeburg, andre. luederitz@diel inke. lt.sachsen-anhalt.deFrank Roßband, [email protected]

Schleswig-HolsteinBernd Friedrich, friedrich_bernd@t-onl ine.de, Augrund 7,24321 LütjenburgHans-Jürgen Schulze, [email protected],Öhlmül lenal lee 1 , 24306 Plön

ThüringenDr. Johanna Scheringer-Wright (Sprecherin ÖPF Thüringen,MdL, Agrar- und Regionalpol itik) , [email protected],Jürgen-Fuchs-Straße 1 , 99096 Erfurt, Tel . 01 51 1 1 72 3000Maik Eisfeld [email protected] Kummer (MdL, umweltpol itischer Sprecher) ,Jürgen-Fuchs-Str. 1 , 99096 Erfurt, Tel . 0361 377231 7,kummer@die-l inke-thl .de

l inke und ökologische MedienNeues Deutschland: Uwe Kalbe, Franz-Mehring-Platz 1 ,

10243 Berlin, [email protected]

Der Rabe Ralf, Umweltzeitung für Berlin und

Brandenburg, Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin.

Tel. 030_44339147, www.grueneliga-berlin.de/raberalf

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